01. Intro
02. Schwätza
03. Realität
04. Bin gleich zurück
05. Hemshos und so feat. Celo & Abdi
06. FFM
07. Para Para feat. Sari
08. Peep Show feat. Xatar
09. 60 Punchbars
10. Märchenrapper feat. SSIO
11. Hektisch feat. Emo
12. For ever Ewa
13. Szenen meines Lebens
14. Mein Mann und ich
Gerade als man felsenfest davon überzeugt war, jetzt nun wirklich alles gesehen zu haben, erschien um die Weihnachtszeit 2011 das Video zu "Schwätza" einer gewissen, bis dahin – im Rapbereich – völlig unbekannten Schwesta Ewa. Besagte Rapperin erzählte in diesem Song gänzlich hemmungslos von ihrem damaligen Hauptberuf, der Prostitution. Wie bei Lines der Klasse "Bei mir gibt's ein 50-Euro-Programm, französisch Verkehr" kaum anders zu erwarten, verbreitete sich das Video in Rekordgeschwindigkeit über sämtliche soziale Netzwerke und Internetforen. Jeder Zweite verbreitete "Schwätza" mit Worten wie: "Schaut mal, da is' 'ne Hure, die rappt", der Rest fügte diesen Beiträgen sein "LOOOOOOOL XDDD" oder "Made my day^^" hinzu. Amüsant war das Ganze ohne Zweifel. Und was beim ersten Mal noch lustig war, funktionierte beim zweiten Mal zwar auch noch recht passabel, zu viel mehr war aber ein Auftritt der Schwesta dann nicht gut. Wieso auch? Von einer begabten Rapkünstlerin war nie die Rede, als das Video so zahlreich verbreitet wurde. Ohne die Story dahinter wäre Schwesta Ewa wohl sang- und klanglos in der Masse an deutschen Rapvideos untergegangen. Eine Feststellung, die die Rapperin im Übrigen sinngemäß auch selbst in einem Interview zugab. Soweit, so gut. Aber was ist, wenn das Klickwunder versucht, sein erstes Release an die Käuferschaft zu verteilen?
"Ich zerfetz' Crews, während ich im M6 cruis'/
Meine Raps geh'n unter die Haut wie Tattoos/
(Schwesta Ewa auf "Intro")
"Die Schwester lässt es knall'n wie Silvester/"
(Schwesta Ewa auf "For ever Ewa")
Was den Hörer auf dem Mixtape erwartet, wird bereits im "Intro" mehr als klar: Eine bestenfalls mittelmäßige Rapperin stellt eindrucksvoll unter Beweis, dass sie eine bestenfalls mittelmäßige Rapperin darstellt. Da hätten wir zum einen die Themenwahl: So sehr das Motto "Nein, ich bin kein Vorbild, ich gehe jetzt den geraden Weg" in der Promo- und Interviewphase auch immer und immer wieder gepredigt wurde, noch mehr wird das einstige Arbeitsverhältnis der Alles oder Nix-Rapperin von vorne bis hinten ausgeschlachtet. Als anfangs noch grundsätzlicher Befürworter ihrer Lyrics merke ich an, dass das kein Problem darstellt, da sie etwas zu erzählen hat, wovon noch keine andere deutsche Musikerin berichten konnte. Doch auch genau hier liegt der Haken: Sie hätte wirklich etwas zu erzählen, tut es aber dann nur sehr bedingt. Ohne ein Experte auf dem Gebiet zu sein, möchte ich doch meinen, dass ein Jahrzehnt im ältesten Gewerbe der Welt mehr Gesprächsstoff und Inspiration bietet als in jedem zweiten Satz sinnentleert das Wort "Rotlichtviertel" zu erwähnen. Rechnen wir spaßeshalber ein wenig mit. 10 Sonnenumrundungen Prostitution in einem Laufhaus, was für Schwesta Ewa wohl einen zeitlich herkömmlichen Job bedeutete, will heißen: 365,25 (der leichten Rechnung zuliebe im Folgenden 365) Tage zählt das durchschnittliche Jahr. 2/7 dieser Zeit machen das Wochenende aus, was bei 52 Wochen 52*2=104 Tagen entspricht, zu denen sich noch durchschnittlich 26 Urlaubstage gesellen. 365 – (104+26) = 235 Tage pro Jahr werkelte Ewa nun im Freudenhaus, was bei einer Dekade 2350 Tagen entspricht – ausgehend von einem Arbeitstag von 8 Stunden knapp 800 Tage reine Prostitution. Folgende Vermutung ist gewiss nicht respektlos gemeint und mag eventuell etwas unsensibel klingen, aber gewiss nicht unverständlich. In diesen 800 Tagen muss der Schwesta doch zum Beispiel der ein oder andere außergewöhnliche Freier einen Besuch abgestattet haben, was zusammengefasst sicher Stoff für zwei unterhaltsame Alben gewesen wäre. Paraphilien gibt es schließlich wie Sand am Meer und begegneten Ewa garantiert des Öfteren in ihrer prämusikalischen Karriere. Also wieso nicht gleich beispielsweise von einem Kunden mit Vorliebe zum Entkotisieren oder Zertreten von Kakerlaken – und dem darauf vermutlich folgenden Rauswurf – erzählen, anstatt nur an der Oberfläche zu kratzen, bei dieser Ehrlichkeit, die sie ja durchaus an den Tag legt? Würde man über den Alltag eines Kassierers im Supermarkt rappen, wäre doch auch nicht nur das Scannen der Ware Thema, oder doch?!
"Frankfurt Feminin, Junkies auf Heroin/
Nachtleben, Acht geben, Schlampen, die Yayo zieh'n/
Aber ich könnt' keiner Iris vertrau'n/
Denn wir sind die Kanacken ihres Vertrau'ns/"
(Schwesta Ewa auf "60 Punchbars")
Auch handwerklich gerät "Realität" sehr unspektakulär. Einfallslose Spitts, oftmals äußerst holprige Doppelreimversuche und ausgelutschte Vergleiche wie im ersten Zitat trüben den Hörgenuss doch sehr. Schwesta Ewa rappt über jeden der 14 durchaus angenehm, im typischen Alles oder Nix-Style gepickten Amibeats nahezu exakt gleich über nahezu das exakt gleiche Thema. Das Leben ist schwer, in Frankfurt geht's härter zu als in der Bronx, es gibt Drogen, es gibt Waffen, es gibt Menschen, die diese konsumieren und benutzen, Alles oder Nix ist geil, Xatar ist im Knast und soll trotz schwerwiegender Straftat und dem sicher nicht zu Unrecht geltenden Strafrecht auf freien Fuß gelangen, ich kenne viele Fremdwörter und eine Kurva war ich auch. Und bis auf den letzten, ohnehin schon ausführlich besprochenen Punkt sind wir in diese Materie dank einiger Subgenrekollegen Ewas (die teilweise auf dem Mixtape vertreten sind) bereits mehr als genügend eingeweiht.
"Damals Hunger, heute hab' ich Kummer/
Sehne mich nach Normalität, denn/
Da, wo ich lebe, wird Liebe mit Kohle eingetauscht/
Den Profit gibt man am Novoline aus/"
(Schwesta Ewa auf "Szenen meines Lebens")
Fazit:
Das Intro vom "Intro" ist witzig. Aber: Ein großes Stück an Konsequenz fehlt dem Mixtape schlicht und ergreifend. Warum es mediale Beachtung erhielt, ist jedem klar. Umso trauriger ist es, dass die Thematik, auf der sich Schwesta Ewas kompletter Werdegang als HipHop-Artist aufbaut, in seiner Häufigkeit zwar enorm, dann aber nur sehr nachlässig behandelt wird. Dass das Leben in Deutschland die reinste Zumutung ist, glaube ich nun wirklich langsam, so oft, wie es mir ansässige Rapkünstler – Schwesta Ewa bleibt keine Ausnahme – eintrichtern wollen. Ich will nicht frustriert klingen, aber diese Tatsache bin ich mittlerweile so leid, dass sie trotz der häufigen Thematisierung auf "Realität" bewusst kaum Erwähnung in dieser Review fand. Und dass die deutsche Sprache doof ist, dürfte mit fast gänzlichem Verzicht auf Artikel und der bewusst häufig falschen Betonungen den Reimen zuliebe seit den letzten Werken der Featuregäste auf Track 5 und 8 ebenso bekannt sein. Schade nur: Rap ist und bleibt zu einem großen Teil der gekonnte Umgang mit der jeweiligen Sprache. So bleibt nur noch die eingangs gestellte Frage zu beantworten: Was ist also, wenn Schwesta Ewa ein Album releaset, wo ihre erste Erscheinung doch durchaus unterhaltsam war? Dem Album gelingt das Kunststück, nicht in die media control Charts einzusteigen. Und das kommt nicht von ungefähr. Für einen kleinen Skandal und einiges an Aufsehen genügt es, eine sich ehemals prostituierende Rapperin zu sein, um aber auf Dauer zu unterhalten, reichen ihre textlichen und raptechnischen Fähigkeiten bei Weitem nicht aus.
(TonySunshine)
[REDBEW]944 [/REDBEW]
Bewerte diese CD:
[reframe]reviewthread.php?reviewid=944 [/reframe]
[azlink]Schwesta+Ewa+%96+Realit%E4t [/azlink]