1. Que Walou
2. Alles was zählt
3. Je ne parle pas français
4. Ok feat. Lary
5. Programm
6. Liebe Liebe
7. Dschungel im Kopf
8. Parkbank
9. DNA
10. Ahmed (1960-2002)
11. Hände feat. Farid Bang
12. Comic
13. Roboterliebe
14. Kronleuchterlicht
15. Ich will dich vermissen
16. Zirkus
Der Erstling von Namika war sehr gewöhnungsbedürftig, eben weil er so einfach zu konsumieren war – Kinderpublikumspreise von Kika, Ali As und Römer als Featuregäste, dazu kamen noch die belanglosen Fließbandarbeiten der BeatGees. Man wurde bislang das Gefühl nicht los, dass Namika sich arg anstrengte, die hübsche Immigrationsvariante des späten Clueso (weinerlich, angeblicher HipHop-Bezug) zu werden und Menschen, die Soul Kitchen für ein authentisches Bild deutscher Immigrantenszenen halten, mit Lines wie "selbst der Stau auf der A2/ ist mit dir blitzschnell vorbei" ("Lieblingsmensch") zu beglücken. Schlüsselfrage dieser Review wird zweifellos sein, ob Namika es schafft, oder auch nur versucht, ihren bislang beliebigen Sound eine eigene Note zu verpassen – sei es in Richtung Rap oder Weltmusik oder etwas ganz Anderes. "Que Walou" ist übrigens Tamazight, hinlänglich bekannt durch diverse malische Rockgruppen unter den Fittichen von Damon Albarn & Co. und steht, mit etwas Lateinkenntnissen ahnt man es, für frei übersetzt "Wie, nichts?" – und nein, laut.de, es ist nicht "marokkanisch". Widmen wir uns also der Frage, ob Namika zu einer erwachseneren und selbständigeren Künstlerin mit Ethnoeinschlag (vielleicht sogar mit klugen Gedanken zu Heimat!) geworden ist; ein Feature des im Massenmarkt durchaus umstrittenen Farid Bangs könnte ja durchaus dafür sprechen, denn seine Fans werden ihre Platte vermutlich nicht kaufen, wohingegen er einige ihrer potentiellen Fans abschrecken könnte. Angenehm auch, wie bei ihrem letzten Erfolg, das recht zurückhaltende Auftreten der Sängerin.
Die Armbanduhr hat jeden Schritt gezählt/
Sagt, ich soll schneller gehen, sonst wird's zu spät/
Und erinnert mich dran, einen Schluck Wasser zu nehmen/
Hab' sieben Mal nach dem Wort "Sinn" gesucht/
Und Amazon empfiehlt mir dieses Buch/
Doch wo liegt der Sinn, wenn wir zwei uns nicht sehen?
(Namika auf "Alles was zählt")
Ein schnell ersichtliches Problem der Scheibe wird mit oben angeführtem Zitat deutlich: Die Texte sind stilistisch unbeholfen, unabhängig vom Inhalt. Man gewinnt den Eindruck, Namika schreibt ihre Texte, schlägt sich anschließend auf den Kopf, "korrigiert" sie, betrinkt sich, "korrigiert" sie erneut und macht so weiter bis kurz vor der Auto-Lobotomie, und hier habe ich die unzähligen Passagen mit la-la-la und anderen Füllsilben noch unterschlagen. Das Ergebnis hört sich an wie die Zuschriften von BILD-Lesereportern. Beispiel gefällig?
Und auch wenn die Termin-Termiten meine freien Tage befallen/
Weiß ich, trotz allem Affengeschrei, dass meine Geduldsliane nicht reißt
(Namika auf "Dschungel im Kopf")
Zu oft muss man sich Phrasen wie "jeder Weg ist es wert, ihn zu gehen" ("Que Walou") antun. Namikas Wortschatz und Sprachempfinden ist allem Anschein nach stark von Sprüchen auf Erbauungs-Deko-Artikeln geprägt. Von ihrem Floskeldeutsch abgesehen, verpasst die Künstlerin in ihren Texten Chancen, auf Albumlänge Tiefe zu schaffen: Der Song "Ahmed (1960-2002)" ist für sich genommen eine angenehme Reflexion über ihren Vater und ihr Verhältnis zu ihm, in dem die Lyrics nicht mehr nur simpel wirken, sondern zumindest auch Authentizität durch ihre Unmittelbarkeit schaffen. Aber dieses persönliche Lied, auf einem persönlich betitelten Album, wirkt schal, wenn es neben "Zirkus" oder "Ok" steht, völligen Luftnummern, denen jegliche Traktion abgeht, sinnlose Popkonsumsongs. Warum sagt sie beispielsweise nichts zur schwierigen Situation der Berber in Marokko? Sie erwähnt sogar den "Verteidigungs"-Wall zur Westsahara, aber kriegt die Abstraktion weg von ihrer eigenen familiären Situation einfach nicht gebacken und kann dadurch auch diese nicht wirklich einordnen. Die Gefahr, wenn man einen interessanten Themenkomplex wie Marokko anteasert, ist, ihn nicht bedienen zu können und so erst inhaltliches Potential so richtig zu verschenken. Ebenfalls befremdlich ist Namikas Frauenbild, denn in "Je ne parle pas francais" will sie mal so richtig erobert werden, in "Alles was zählt" ist sie als Tussi halt nicht so gut mit Zahlen und als "Programm" müsste einfach mal jemand die richtigen Knöpfe bei ihr drücken. An sich ist mir ihr Frauenbild natürlich völlig egal und alles hier ist hundertmal unkritischer als der typische Omik-K-Verschnitt aus Bochum, allerdings setzt sie eben auch einen anderen Rahmen und will hier als selbstbewusste, moderne und reflektierte Frau auftreten, versagt dabei aber völlig.
Gottlob ist Namika aber ein besserer MC als Songwriterin. Klar ist das hier nicht wirklich klassischer Rap und man hat es so oder ähnlich schon hundertmal gehört, insbesondere aus dem amerikanischen Raum. Umso beachtlicher ist es aber, das fade und ausgelutschte Konzept Pop-Sprechgesang so bedienen zu können, dass sich nicht sofortiger Ekel einstellt, insbesondere, da Text und, das kommt unten noch, Produktion größtenteils Totalausfälle sind. Die MCette verfügt offenbar über ein stabiles Rhythmus- und Stilempfinden, das ihr einen schönen Flow erlaubt, den sie zwischen gesungenen Passagen auch organisch wiederaufnehmen kann, wobei sogar die Übergange mit geschickten Tempiwechsel gut klingen. Uneingeschränkt positiv ist aber auch dieser Aspekt leider nicht, da Namika in einige typische Fallen tritt, zuvorderst, absolut jeden Gesangspart bis zur Unendlichkeit auszudehnen und immer noch einen Haken und ein Uhh-uhh unterzubringen. Das ist typisch für deutschen Pop, ist aber halt trotzdem scheiße und wurde von Lauryn Hill in den 90ern und anschließend Christina Milian vor Unzeiten besser gelöst. Umso bedauerlicher, da sie diesen "Kniff" gar nicht nötig hätte, sondern auch schematisch strukturierten Songs mit ihrer warmen, lebendigen Stimme und authentischem Rap Emotionen einzuflößen, ohne arabeskes Uhh-Uhh.
Die zumeist fürchterlichen BeatGees haben ihr handwerklich sauberes, seelenloses Werk auf "Que Walou" fortgesetzt. Wie oftmals bei den Berliner Produzenten hat man auch in diesem Fall den Eindruck, dass es eine deutlich bessere Demo gibt, von der dann nicht das Fett getrennt wurde, sondern das gute Fleisch, um es der dummen Masse in die Schlünde zu schmeißen. Was übrig bleibt, ist eine austauschbare Karikatur eines Beats. Die Plattenfirma sagt dazu: "Soul, arabische Harmonien, Hip-Hop, Songwriterkunst, Pop: alles fließt auf diesem Album zusammen". Wer auch nur zwei Minuten im Maghreb verbracht hat, dafür muss man gar nicht arg regionalspezifisch in Namikas Herkunftsort Nador, wird wissen: Sehr richtig, auch dort hören viele Menschen austauschbaren Kommerzpop. Was aber frech oder zumindest mutig anmutet, ist der Anspruch, hier verschiedene Stile zusammenzuführen, was nicht im Geringsten funktioniert. Denn anders als Omar Suleyman ist der "orientalische" Einschlag hier immer nur Beigabe, eine Schleife am Produkt. Gut sichtbar wird dieses Konzept am Negativbeispiel "Alles was zählt", dessen orientalische Einflüsse sich in einem nervigen, eine Art Flöte nachäffenden Synthie selbst erübrigen. So leider der Regelfall in diesem Werk, jedoch nicht ohne etwas Licht, nämlich dem "Kronleuchterlicht". Interessanter Text, spannender Beat und weicht sogar vom Schema F ab, allein schon wegen seiner Kürze und vermeidet so das übliche Strophenrefrain-La-la-Gewichse. Ebenfalls positiv: Einer der weniger nervigen Parts von Bangs Karriere auf "Hände", bei dem er es aber leider nicht schafft, nicht betont ironisch aufzutreten – Weiberschmarren, geht um Liebe.
Fazit:
Alles für nichts? Nein, eine gut vermarktbare Sängerin, die gern etwas schneller singt mit Hang zum Sprechgesang, mit aalglatten, handwerklich sauberen Popsongs. Was hier wirklich nicht ist: Authentizität, Wiedererkennbarkeit und vor allem künstlerische Reflexion, die ganz wenigen originellen Stellen dieses Albums reißen es einfach nicht raus. Man nimmt Namika irgendwie tatsächlich ab, dass sie ihr Produkt nicht absichtlich auf einen Markt hinbiegt; noch viel trauriger ist, dass ich eher denke, dass hier nichts verunglückt ist, sondern diese 2 Zentimeter geistige Tiefe tatsächlich die sind, die Namika aufwenden kann, um tiefgreifenden Fragen wie ihrer eigenen Identität nachzugehen und sie denkt, dass die Produktion auch im Funkhaus Europa laufen könnte. Aber warum sollte man dieser begrenzten Musikhandwerkerin dann weiter zuhören?
(Franz Xaver Mauerer)
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