01. Die Stadt
02. Aufgeben
03. Soll das alles sein
04. Der Präsident
05. Alles funktioniert
06. Szene in der Wüste
07. Der Passant
08. Roter Luftballon
09. Wer ich sein will
10. Das Blut
11. Der Pianist
12. 2in1
13. Bei dir
Ich laufe alleine durch die große Stadt, in der ich lebe, und fühle mich ein wenig bedrückt. Nicht wirklich traurig, nicht wirklich wütend, eher melancholisch und zweifelnd. Vorsichtig weiche ich Pfützen aus, welche sich durch den überraschend einsetzenden Regen langsam mit Wasser füllen. Ich hatte die grauen Wolken am Himmel nicht gesehen, denn ein hoher Turm verdeckt mir die Sicht nach oben. Gestern stand da noch ein anderes Gebäude. Aber es wird heutzutage immer schneller gebaut, deshalb wundere ich mich kaum. Zwei Passanten in schwarzen Masken fragen nach dem Weg zu einer Straße, die ich noch nicht kenne, und ich gebe ihnen Auskunft. Dabei entdecke ich erneut den Turm, der mir eben noch den Blick versperrt hat, wobei mir diesmal besonders seine elegante Architektur auffällt. Keines der 13 Stockwerke ähnelt einem anderen und trotzdem passen sie zueinander, denn jede Etage ist mit Worten und Sätzen in unterschiedlichen Grautönen bemalt. Irgendwo hört das Gebäude auf, aber ich erkenne nicht genau, wo. Dann lese ich einen Schriftzug neben dem Eingang und fange an zu verstehen. "Wenn man Wachstum zu seiner einzigen Gottheit macht, dann wächst man ins Nichts." Dennoch erkenne ich die Spitze. Dort stehen zwei Männer im Regen. Und als sie mich sehen, öffnet einer der beiden den Mund und singt einen klaren Ton, der schon nach kurzem nicht mehr menschlich klingt, sondern elektronisch verändert. Als ich den Turm betrete, ist das komplette Bauwerk von diesem Ton erfüllt, bis er unterbrochen wird, um in eine Melodie überzugehen, die sich melancholisch – basslastig über das klare Soundgerüst des Turmes legt: "Evigila".
"Wir haben uns irgendwie die Sicht verbaut/
Dort, wo der Himmel war, da steht jetzt ein tiefgraues Haus/
Irgendwie fühlen wir uns ausgelaugt/
Zwischen Stahl und Beton, und dem Druck, hier zu leben/"
(Vasee auf "Die Stadt")
Tua und Vasee haben diesen Komplex erschaffen. Auf ihrem gemeinsamen Album gestalten sie aus Wut, Melancholie und Zweifel die Stadt "Evigila" und wollen ihre Hörer mit einer Mischung aus Rap, Elektro und TripHop erwecken wie auch ermutigen. Die Produktionsarbeit teilen sich die beiden Reutlinger, nur auf der vokalen Ebene übernimmt Tua das Rappen und Vasee zeigt sich vor allem für die melodiösen Töne zuständig. Nach eigener Aussage mussten Tua und Vasee bei ihrem Soundgebilde nicht einmal Kompromisse eingehen, da sich der musikalische und thematische Geschmack so sehr überschneidet – und Chimperator dadurch um einen wertvollen Tonträger bereichert. Für den Raphörer, dem Tuas bisheriges Schaffen wohl bekannter sein könnte als Vasees, lässt sich das vor allem daran erkennen, dass der Sound sich fast nahtlos in die Diskografie des inzwischen in Berlin lebenden Künstlers eingliedert. So werden auf "Evigila" triste elektronische Töne angespielt und jeder Beat gleicht einem einzigartigen Konstrukt, welches sich langsam aufschaukelt und schließlich nach einer Vollendung in sich zusammenstürzt, nur um im nächsten Track wieder von Neuem bis zur Implosion aufgebaut zu werden. "Evigila" eben. Dumpfe synthetische Drumkompositionen klingen teilweise verschachtelt und verspielt, teilweise exakt und klar geordnet. Dazu erklingen schrille Geigen, übersteuerte Klaviersonaten oder minimalistisch – elektronische Akkorde. Vor allem aber sind die Beats genau auf die Vocals zugeschnitten und verändern sich unbemerkt, immer passend zu Aussage und Flow der beiden Künstler. So baut sich "Szene in der Wüste" aus einem schnellen, rasselnden Rhythmus auf, bis Glockenklänge den Beat ordnen und die Drums langsam, quasi Schritt für Schritt, den Gang durch die Wüste schattieren. Dadurch deutet sich die eigene ausgebrannte Gefühlslosigkeit an, die metaphorisch durch eine Filmbeschreibung mit passend monotonem Flow dargestellt wird.
"Leblose Landschaft umgibt ihn, das Bild ist fremdartig/
Man nimmt Dünen und Krater an, aber man erkennt gar nichts/
Seine Fußstapfen wirbeln gleichmäßig Staubwolken auf/
Doch kein Fortschritt, er scheint überhaupt nicht zu laufen/"
(Tua auf "Szene in der Wüste")
Inhaltlich verarbeiten Tua und Vasee ihren eigenen Weltschmerz, jedoch wirken die beiden dabei weder tief-depressiv noch hasserfüllt. Sie berichten schlichtweg ein bisschen verbittert von Themen wie Gleichgültigkeit ("Der Passant"), Anpassung ("Wer ich sein will") oder Wut ("Das Blut"). Aber auch, wenn die Tristesse klar die Oberhand behält, so wird die Hoffnung nicht ausgeschlossen. Tracks wie "Aufgeben" oder "Soll das alles sein" skizzieren eine echte Freundschaft oder den Mut, aus dem eigenen Leben etwas zu machen – stets begleitet vom akkurat zugeschneiderten Klangbild. In "Roter Luftballon" klingt der schnell klackernde und hektische Beat vergänglich und durch die Hook ein wenig wie ein Kindertraum. Der Luftballon steigt mit hohen gläsernen Tönen in die Lüfte und sinkt ebenso sanft, aber verschrumpelt, wieder zu Boden, um damit die Vergänglichkeit perfekt in ein Tonbild umzuformen.
"Und so kam ich am Boden an/
Nur ein runzeliges Häufchen Elend mit Knoten dran/
Und hier werd' ich liegen, bis jemand kommt/
Der mich an sich nimmt und von Neuem aufpumpt/
Und mich steigen lässt, wo ich sein sollte/"
(Tua auf "Roter Luftballon")
Inzwischen habe ich den Turm von Tua und Vasee Etage für Etage erklommen. Ich habe in jedem der 13 Stockwerke ein anderes musikalisches Soundkonstrukt vernommen, um schließlich das Gesamtwerk von oben zu bestaunen. In meinem Kopf schwirren zahlreiche bombastische bis sinnliche Hooks und kluge Bars herum. Ich spüre den Regen auf meinem Kopf, denn meine schwarze Maske habe ich inzwischen abgenommen, um besser sehen zu können. Unter mir liegt "Evigila", eine Stadt, dessen Sound manchen vielleicht zu verspult und verwinkelt klingen mag. Alteingesessene raunen ihre üblichen "Kein Rap"-Floskeln, und ich glaube, erkannt zu haben, dass das Argument schon lange nicht mehr zählt. Dafür wurde HipHop schon zu oft eingerissen und neu aufgebaut. Zu poppig, zu pessimistisch, zu was-auch-immer. Eigentlich auch nicht wichtig. Natürlich, "Evigila" ist düster, traurig, melancholisch. Aber die Stadt macht auch Mut und Hoffnung, noch unbekannte Ecken und Straßen zu entdecken. Und auch auf dem Album lassen sich bei mehrmaligem Hören immer neue Fassaden erschließen, man muss nur genau hinhören, was die beiden Bauherren da in ihr Musikkonstrukt eingearbeitet haben. Es sind zwei Architekten, die wunderbar zusammen konstruieren und sich mit Rap, Gesang und vor allem Klang gegenseitig ergänzen. Zweifel habe ich jedenfalls keine mehr – vielleicht ein bisschen Sehnsucht. Deshalb stehe ich auf der Spitze dieses Turmes, schweife in die Ferne und genieße die Lichter der Stadt "Evigila".
(Benedikt Dirschl)
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