Beiträge von johnnydieratte

    ich kann nicht glauben, dass freestyle wirklich "in vergessenheit" geraten ist... ;(


    und rekless hat oben mit 100prozentiger Sicherheit alles gefreestylt. Ich hab Rekless schon sehr sehr oft live gesehen und das oben ist sogar noch ein freestyle von ihm, der weniger gelungen ist... der kann sogar noch mehr!! Boh, freu ich mich schon!!!!


    Alle mal herhören! Hier! Das, was jetzt kommt, ist eine Kolumne. Da erzähl' ich von spannenden Abenteuern mit verschiedenen Rappern und anderen Gestalten der Rapszene. Doch Achtung: Die Geschichten sind nicht echt, sondern erfunden! Was soll man damit anfangen? Unterhalten werden. Und einen anderen Blick auf bestimmte Themen werfen. Vielleicht noch gut finden. Das reicht dann auch. Jetzt aber Schluss, denn es geht los ...



    Neulich bei der deutschen Presseagentur mit Paul Ripke …


    Paul Ripke ist ganz schön aufgeregt, schließlich darf er heute bei der deutschen Presseagentur aushelfen und das ist schon etwas Besonderes. Sonst macht er die Videos für Marteria und seine Leute aber die deutsche Presseagentur sorgt immerhin für die ganzen spannenden Meldungen aus aller Welt und versorgt die Zeitungen in Deutschland mit allerlei Neuigkeiten und so weiter. Und Paul soll jetzt genau diese Neuigkeiten im Bereich Musik herausfinden und aufbereiten und das ist doch mal wirklich reizvoll, denn für die dpa darf nun wirklich nicht jeder arbeiten. Paul aber schon, deswegen macht er sich auch sofort mit vollem Eifer ans Meldungen machen. Und er muss auch gar nicht lange suchen, schon fliegen ihm die ersten brisanten Themen zu, er muss sie nur noch in den Computer tippen und sie werden an allerlei Nachrichtenmagazine gesendet. "Eko Fresh spielt mit Hund", meldet er etwa oder: "Haftbefehl dreht neues Video mit irgendwelchen Leuten." "Fler steht vor Villa" kommt dazu und "Ahzumjot verpackt CDs" schafft es auch in die News. Pauls Lieblingsnachricht wird an diesem Tag aber: "Marteria isst Fleisch und spielt Tennis." Gigantisch, kaum zu glauben aber wahr, also, wenn das keine Nachricht wert ist. In Ripkes Kopf schwirren schon Bilder von möglichen Berichterstattungen umher. Weil er selbst ziemlich begeistert ist, versteht er auch nicht, warum ihn ein Chef von der deutschen Presseagentur nach relativ kurzer Zeit relativ lange zur Sau macht. "Schundschlagzeilen" hört man raus und auch "BILD-Niveau" und "verdammter Kackdreckscheißpillermannarsch" sind prägnante Fetzen des Rüffels, welchen ich miterleben darf.


    Schließlich, nachdem der komplette Ripke zusammengefaltet ist, bin ich der Meinung, es schon kommen gesehen zu haben. Weil echte und brisante Nachrichten in seinem bisherigen Musikmetier vielleicht gar nicht so wichtig sind, könnte man meinen. Man sendet schlicht seine Existenz via Videobotschaft um die Welt und ins Wohnzimmer der Anhänger. Da ist das Zeigen von Präsenz eigentlich schon das Nonplusultra und eben das, worauf es ankommt. Manche mögen es böswillig als Promomove abtun, andere bezeichnen es angewidert als Fan-Gehätschel, der moderne Beobachter sieht und bemerkt stolz, es handle sich um ein typisches Web-2.0-Syndrom. "Ja, ja, so scheint es", räuspert er sich neunmalklug und fährt sich durch den dünnen Bart. Und recht haben wohl alle ein bisschen, nur die feine Art ist es in keinem Fall. Jeder gute Rapper möchte heutzutage auch im Internet auf sich aufmerksam machen und das eben auf allen Plattformen, die der gemeine Musikhörer so besucht. Neben Facebook und Soundcloud ist deshalb auch YouTube eine mögliche Plattform. Und weil ein Video pro Woche ein wenig zu sehr auf die Gage drückt, gibt es eben die abgespecktere Version der Musikalität – den Videoblog. Irgendwas zwischen Hier und Jetzt, zwischen Interview und Aufmerksamkeitsgeheische, zwischen interessant und dämlich, manchmal auch alles zusammen. Aber gut, so ist es nun mal. Keiner muss es sich ansehen, das ist das Positive daran.


    Aber jeder darf gucken und für jeden Geschmack ist da etwas dabei, denn es scheint als bräuchte jeder Rapper mit mehr als drei Klicks auch passende Videobotschaften für seine(n) Fan(s) so dringend wie Musiker früher Instrumente. Und so sendet heute jeder Rapper mit mehr als zwei Bars im Gepäck sein Promovideo für die nächsten zwei Bars quer durch die Internetgemeinde. Da benötigt der erfahrene Vlogger kaum mehr als siebeneinhalb Minuten Redezeit, um auf kommende DVDs, Merchandiseartikel, Alben, Snippets oder Tourdaten hinzuweisen. Jeweils. Klingt spannend, ist es manchmal auch. Da kündigt man einige Wochen vor Veröffentlichung eines Videos gerne mit allerlei Firlefanz selbiges an und der Normaluser interessiert sich eigentlich nur deshalb dafür, weil er gerade Besseres zu tun hat, meist arbeiten oder lernen – man prokrastiniert auf neudeutsch so vor sich hin, deshalb verfolgt man gerne, wie Künstler xy lange Zeit vor Veröffentlichung mit seinem Werbefeldzug beginnt. Da kommt der Shoutout, ein kurzes Lebenszeichen. Nur mal schnell schreien, damit alle wissen, man ist da. Kurz darauf eine vierminütige Ansage beim Hängen im Park mit guten Freunden: Bald ist es so weit, das neue Video kommt echt ganz bald. Nur eine Woche später meldet man sich mit einem Countdown beziehungsweise mit einer Ankündigung für einen Countdown zurück, der selbst erst am Tag darauf beginnt. Schließlich fängt man an, runterzuzählen. Auf dem Weg trifft man vielleicht befreundete Künstler, vielleicht auch nicht. Schließlich endet der Countdown nicht bei Null, sondern bei einem Making of des Videos, gefolgt von einem Interview zum Video, gefolgt von einem Videoblog zum Video, bei dem die Nebendarsteller vorgestellt werden, gefolgt von einem Splitvideo, gefolgt von drei bis sieben Trailern, gefolgt von einer Acapellaversion des Videos. Und dann das Video selbst, aber das ist gar nicht so irre. Der Anlauf dafür gigantisch und man war live dabei.


    Für manchen Katerfrühstücker ist das Entertainment, CSU-Wähler würden es als "Näher am Menschen" bezeichnen – man wächst quasi näher an den Artist heran, während man eigentlich nur sonntags im Bett vor sich hinvegetiert. Aber es ist schon schön, dass Hinz und Kunz im Internet auf ihre Produkte hinweisen können. Oft mag ich das auch, nur manchmal wünsche ich mir mehr Kreativität und weniger Ähnlichkeit.
    "Authentisch, emotional, ganz nah am Menschen", nennt das Flo Schuster vom Topf. Und das ist der ganze Trick dabei: Man verzichtet einfach auf all das teure Zeug, welches Fernsehen vorher spannend gemacht hat. Schnitttechnik, Kameraführung, Soundtracks und so weiter. Man mischt sich als halber Amateur unter die vollen Amateure, weit weg von den Profis, und suggeriert dadurch eine CSUsche Nähe zum Menschen. Eigentlich geil und bestimmt kein ausgeklügelter Werbeschachzug, sondern schlichtweg so entstanden. Über Sinn und Unsinn darf trotzdem diskutiert werden. Über das täglich grüßende Murmeltier ebenso. Denn immer mit dabei: Jemand zeigt, wie man eine CD kauft; jemand filmt seinen Produzenten beim In-den-Rechner-Starren; jemand schickt Grüße aus dem Urlaub; jemand zeigt, wie er sein Studio einrichtet; jemand lässt sich tätowieren. Und ebenfalls immer mit dabei: Die Fake-Amateur-Porno-Kamera, sprich der Protagonist wird im Sekundentakt scharf und unscharf gestellt, abwechselnd zoomt man porentief auf Auge oder Nase.


    Und jetzt? Jetzt lassen wir das einfach mal so stehen. Ich mag Videoblogs, ich mag aber auch Unterschichtenfernsehen. Unterschichtenfernsehen ist ja eigentlich auch für den Spott der Oberschicht gemacht. Paul Ripke sieht mich nachdenklich an. Er ist ja quasi noch ein Großmeister seines Fachs, ein echter Fotograf und so. Aber die Presseagentur hält wenig davon. So ist das eben, jeder kehrt in der eigenen Stube. Und jeder tut das, was er kann, und alles hat seine Daseinsberechtigung, spätestens nach dem nächsten Rausch. Und dann schau' ich mir gerne an, wie Ripke mit Marteria in Island oder Argentinien oder Granada rumhüpft und sie dort Fleisch essen und Tennis spielen. Ist ja auch anständig geschnitten, da kann man nicht meckern. Und dann fühle ich mich wieder ein bisschen näher am Menschen, weil Fleisch, ja, das esse ich auch, keine Frage. Da ist wirklich kaum ein Unterschied zwischen mir und Marteria. Fühlt sich gut an. Das ist es vielleicht auch. Dass man etwas sieht, das sich gut anfühlt. Nur manchmal unterscheidet man sich, da zeigt der Star im Video seine Skills. Zum Beispiel wenn er alle Editionen eines Albums auswendig aufsagt, das könnte ich wirklich nie im Leben, vielleicht trennt mich das vom echten Rapper. Aber davon ein andermal ...



    (Benedikt Dirschl)
    (Titelbild von Jabo Jersey, Facebook)


    Alle mal herhören! Hier! Das, was jetzt kommt, ist eine Kolumne. Da erzähl' ich von spannenden Abenteuern mit verschiedenen Rappern und anderen Gestalten der Rapszene. Doch Achtung: Die Geschichten sind nicht echt, sondern erfunden. Was soll man damit anfangen? Unterhalten werden. Und einen anderen Blick auf bestimmte Themen werfen. Vielleicht noch gut finden. Das reicht dann auch. Jetzt aber Schluss, denn es geht los ...



    Neulich im Altenheim mit ein paar echten Rappern ...


    Sido versteht die Welt nicht mehr. "Was mache ich denn falsch?", fragt er verzweifelt in die Runde, doch niemand kann ihm helfen. Denn die anderen echten Rapper kämpfen mit eigenen Problemchen. Savas ringt noch mit dem Bettbezug von Opa Erwin. Er hilft eigentlich gerne, versteht aber nicht ganz, warum der noch frisch riechende Bettbezug überhaupt gewechselt werden muss. "Weil mittwochs immer die Bettwäsche gewechselt wird, das ist nun mal so ...", lautet die Antwort. Samy versucht sich derweil den abendlichen Ablauf-Ritus einzuprägen – die Reihenfolge im Bad ist wichtig, niemals Freestyle. Erwin hat eben die Erfahrung gemacht, dass man die Hände zuletzt eincremen sollte, sonst hat man die Schmiere danach nur am Gebiss hängen. Das kriegt Samy schon hin, auch wenn er genervt den Kopf schüttelt. Aber noch ist es nicht so weit, noch muss gegessen werden. Ob es keinen Früchtetee gäbe, mittwochs gebe es sonst immer Früchtetee, hakt Opa Erwin nach. Aber der ist alle, das tut Sido sehr leid. Trotzdem ist er enttäuscht, denn der mitgebrachte Döner scheint dem alten Mann im Sessel nicht besonders gut zu schmecken. Verständlich, findet Opa Erwin, Mittwoch ist eigentlich auch Pfannkuchentag. Mit Früchtetee. Döner ist da anders, das ist schwer zu leugnen. Die echten Rapper, mit denen ich heute im Altenheim aushelfe, sehen ein wenig genervt aus, sie verstehen nicht, warum die Senioren so garstig sind, will man doch nur das Beste für sie. Thomas D versucht die Stimmung ein wenig aufzulockern, er stimmt "Sie ist weg" an. "Ilse ist seit 20 Jahren tot, du Arsch!", unterbricht ihn der alte Mann sehr strikt, dafür aber auch abrupt. Cro diskutiert derweil, denn er soll gefälligst seine Maske im Haus abnehmen, das gehöre sich so. "Das hätte es ja noch nie gegeben", ist das einzige, aber schlagkräftige Argument. Punkt. Da kommt man nicht aus. Aber Spaß macht das nicht. Da will man den Senioren im örtlichen Altenheim etwas Gutes tun und am Ende sind alle nur böse aufeinander. Opa Erwin will nun mal keinen außergewöhnlichen Abend, er möchte einen Mittwochabend haben, wie er ihn kennt, wie er immer ist und immer war. Ausrufezeichen. Torch sieht mich verzweifelt an, ein bisschen vorwurfsvoll, als ob er nun eine Erklärung erwartet.


    "Das ist wie mit deutschem Rap", versuche ich zu erklären, "da wollen die Fans doch auch immer nur das, was sie schon kennen". Und das verstehen die echten Rapper ein bisschen, jeder von ihnen ist schließlich schon gegen die Wand aus Fans gelaufen, die vergeblich versuchen, ihre Definition von Rap zu konservieren, zu mumifizieren, für immer haltbar zu machen. Und deshalb auch vor anderen Einflüssen zu schützen. Es ist doch im Endeffekt immer dasselbe: Rap rappt so vor sich hin, dann kommt eine neue Strömung, vor allem junge Leute sind begeistert davon, können sich damit von den alten Fans abgrenzen, die alten Fans finden die neue Strömung blöd, weil das hat es ja noch nie so gegeben. Dann sind die jungen Fans irgendwann alt und die Chose beginnt von vorne. So war das mit den Fantas, so war das mit Samy Deluxe, so war das mit King Kool Savas, so war das mit Aggro Berlin, so ist das mit Cro und der Falk'schen Reimgeneration. Und immer die gleichen Diskussionen und immer die gleichen Argumente von beiden Seiten. Und noch immer ist Rap verdammt nochmal nicht tot! Und wird auch so bald nicht abkratzen, an dieser Stelle ein Königreich für den, der mir eine wirklich tote Musikkultur nennen kann, Deathmetal zählt nicht. Und immer: "Das ist doch keine Musik". Und immer: "Die jungen Leute Schrägstrich Teenies Schrägstrich Kinder feiern das alle." Und immer: "Die falschen Inhalte". Und immer: "Zu viel Pop oder zu wenig Rap".


    Und eigentlich steckt hinter dieser vermeintlich aggressiven Verteidigung des eigenen Genres nur die Angst, seine Kultur zu verlieren. Das kann man sich evolutionär ableiten. Der Mensch hat einen Instinkt in sich, der ihm befiehlt, die eigene Spezies zu erhalten. Das klingt soweit sinnvoll. Der Mensch ist ein Rudeltier, ansonsten nicht überlebensfähig. Ein Rudel beziehungsweise eine Gesellschaft zeichnet sich durch Riten aus, das macht ein Rudel stark, da stimmt der Zusammenhalt. Sind diese Riten in Gefahr, dann auch das Überleben. Deshalb sind wir konservativ. Deshalb versuchen wir, die Kultur genau so zu erhalten, wie wir sie kennengelernt haben. Maximal wie wir sie persönlich mitverändert haben. Wir fühlen uns sonst einfach unsicher. Gewohnheit bedeutet Sicherheit und die brauchen wir, um nicht dauernd zu verrecken wie dieser Rap.


    Da zeigt der eine Neandertaler dem anderen Neandertaler eine tolle neue Quelle und wundert sich, denn der Beschenkte hat keinen Bock darauf. Er will lieber seine alte gewohnte Quelle nutzen, da weiß er wenigstens, dass die nicht giftig ist. Was braucht er auch eine neue Quelle, neumodisches Glump, früher hat man auch keine zwei Quellen gebraucht, aber die jungen Leute, ja, die jungen Leute. Man fängt eigentlich schon sehr früh an konservativ zu sein, man nennt es nur noch nicht so, weil man eigentlich noch zu jung für dieses große Wort ist. Aber Gewohnheit geht nun mal vor, Gewohnheit bedeutet Sicherheit, bedeutet Überleben. Die Diskussionen sind ja auch gut und wichtig, ich will mich nicht dagegen aussprechen, ich will verstehen, warum sie geführt werden. So ist jede Diskussion im Endeffekt auch das Überprüfen der neuen Kultureinflüsse. Das gilt es zu kontrollieren, sonst würde ja jeder ein echter Rapper sein dürfen, und wo kämen wir denn da hin.


    Deshalb also die schlechte Stimmung im Altenheim. Weil man weiß ja nicht, wie giftig so ein Döner ist, bei Pfannkuchen kennt man sich aus, da ist alles im grünen Bereich. Jedenfalls nichts Neues, das klingt erst mal gefährlich. Verständlich jetzt. Die echten Rapper um mich herum nicken zustimmend, sie kennen das Gefühl, sie wissen auf welche Barrikaden die Fans schon dann springen, wenn das neue Album nur nicht wie das alte klingt. Das ist immer so eine Krux, ja, das ist es. Und sie kennen auch den Gegenwind, der ihnen ins Gesicht blies, als sie versucht haben, das Game zu ändern, als sie es geändert haben als junge Wilde. Das fanden viele scheiße und trotzdem haben sie es getan, trotzdem waren sie daran beteiligt, als sich Rap mal wieder veränderte. Und heute sind es ihre Fans der ersten Stunde, die sich gegen weitere Veränderung im Spiel sträuben. Vielleicht darf man ja nicht mehr mitspielen, wenn man die Regeln nicht kennt, so vielleicht die unterbewusste Angst dieser Fans. Wären sie nicht schon entkulturiert, möglicherweise würde man diese neue Strömung sogar gut finden.
    Die alten Leute im Heim wollen jetzt ihre Ruhe. Sie wollen noch ein wenig fernsehen, so wie jeden Mittwoch. Heute kommt Olympia, deshalb sollen wir gehen, meint Opa Erwin. Bei Olympia wird das Feuer auch weitergegeben – und da führt sich niemand so auf, als wäre er Prometheus wenn er die Fackel bekommt. Auch der Überbringer weiß, dass das Feuer in guten Händen ist, dass das Feuer Feuer bleibt. Aber genug jetzt. Wir beschließen zu gehen und schlendern Richtung Ausgang, haben noch Einiges zu tun heute. Schließlich muss man sich noch ums Rudel kümmern, ein bisschen Cyphern, oder Spitten, oder Burnen oder so. Irgendwas Rapmäßiges machen halt, das kennt man ja. Hört sich ungefährlich an, da fühlt man sich sicher ...



    (Benedikt Dirschl)
    (Titelbild von Jabo Jersey, Facebook)

    Stark, ich find eure Diskussion wirklich interessant und spannend, ich folge ihr schon seit Tagen. Vielleicht interessiert euch, warum ich reviews schreibe oder was ich mit meiner Einschätzung bewirken möchte: wenn ich eine Review schreibe, dann versuche ich darin das Album so widerzuspiegeln wie ich es beim Hören empfinde. Mein Ziel ist es, dass der Leser danach ein ungefähres Bild vom Album hat und beim Lesen auch noch unterhalten wird. Die Bewertung interessiert mich persönlich eigentlich weniger bzw. empfinde ich als nicht so wichtig. Wenn ich einen Orgi zerreiße, dann sollen auch Orgifans beim Lesen mitbekommen, was sie auf dem Album erwartet - und dann vielleicht Interesse bekommen. Meine Bewertung ist ohnehin subjektiv, das habt ihr aber schon vor Seiten festgestellt.


    Zu gewissen Beiträgen im Forum möchte ich nicht sagen. :)



    01. Malen statt Radieren
    02. Karaoke
    03. Irgendwann
    feat. Wasi
    04. 4S Punks
    05. Gib mir 5
    06. Vielleicht
    07. Geht's dir gut
    08. Schuld sind die Anderen
    09. Schlimm schlimm
    10. Serienkiller
    11. Gespenster
    12. Warum


    Es ist wieder Sonntag, das bedeutet: Opa im Altersheim besuchen. Ich mag das nicht, Opa sitzt dann immer da und erzählt von besseren Zeiten. Er erzählt von früher und wie er dieses und jenes anders gemacht, vor allem besser gemacht hat als heute. Damals hätte man noch das Rad neu erfunden, hätte man das Feuer geklaut, hätte man Aufbruchswillen besessen, man war kritisch, nicht so wie heute. Heute gibt es ja nur Waschlappen, die vor der Demo nach der passenden Sonnenbrille suchen, wenn überhaupt hingegangen wird. Damals war das Flyerdesign egal, da kam es noch auf den Inhalt an. Und hätte er noch eine Hüfte, dann aber, dann würde er noch genauso am neu erfundenen Rad drehen, aber hallo, Gummistiefel aus Holz und so, kennt man.
    Mein Opa ist Gott sei Dank nicht wie Roger. Roger ist ganz anders. Roger ist zwar auch schon ein Rapopa, ja ... so könnte man das nennen, jedoch möchte ich ihn lieber einen Grand-Seigneur nennen, das ist eine Frage des Respekts. Schließlich ist der Münchner mit der Band Blumentopf mittlerweile 20 Jahre aktiv im Rapspiel unterwegs und ganz eindeutig auf diesem Film hängen geblieben. Bald kommt Album Nummer 7 vom Topf und jetzt eben releaste Roger sein zweites Soloalbum via Wortsport. Und Wortsport aus purer Realness und nicht etwa, weil er kein größeres Label gefunden hätte. Solo bedeutet für den vormals Specht gerufenen Rapper nämlich wirklich solo und deshalb sind Beats, Raps und Artwork komplett von ihm, im heimischen Kleiderschrank aufgenommen. Und was beim ersten Soloalbum noch mit dem Titel "Alles Roger" platt getrampelt wurde, gewinnt mit der neuen Scheibe "4S Punks" erst richtig an Fahrt.
    Ich muss an dieser Stelle zwei Dinge klarstellen, damit man als Leser meine Bewertung in den richtigen Hals bekommt: Ja, es stimmt, der Topf hat mich Hiphop-sozialisiert, ich bin halt ein Münchner Kind der 90er. Aber "Alles Roger" fand ich trotzdem richtig mies und deshalb hat es lange gedauert bis ich mir "4S Punks" angehört habe und dann erst feststellen durfte, dass damit gar keine "Force Punks" gemeint sind. Jetzt läuft das Album zum circa neunten Mal durch.


    "Wir kenn' die Wahrheit nur vom Hörensagen/
    Doch unter der Dusche sing' wir wilde Lieder von der Revolution/
    Aber nicht mehr so laut, wegen den Leuten, die neben uns wohn'/
    "
    (Roger auf "4S Punks")


    Der Pressetext schreibt vom Langspieler, dass es kein richtiges Konzept gab. Das ist falsch. Roger selbst ist das Konzept, er trägt es in sich, seine Erfahrung, seine Weltsicht, sein Gefühl spannt den roten Faden durch die 12 Anspielstationen. Auf knarzend gesampelten Beats, soulig jazzig verraucht, die Drums ein wenig staubig aber komplex, betrachtet Roger die Welt, in der wir leben. Das Schöne dabei ist, dass er eigentlich nur den Spiegel vor eine Gesellschaft hält, die ihn geprägt hat, ganz Kästner-like. Er schließt sich dabei selbst nicht aus, spricht immer vom "wir", hackt also nicht auf anderen Lebensentwürfen herum oder verliert sich in einem Stuckrad-Barreschen Identitätsfaschismus. Er porträtiert eine Gesellschaft der Zwanzig- bis Vierzigjährigen und übertreibt nicht übermäßig, nur pointiert nennt er uns "krasse Draufgänger mit Bügelschloss und Fahrradhelm" oder "Peter Pans mit Rentenplan" oder "ausgeflippte Bausparer". Punks mit iPhone 4S eben, "4S Punks".
    Er deckt Widersprüchlichkeiten auf, mehr auch nicht. "Schuld sind die Anderen" fragt, warum wir den Fehler immer im Gegenüber suchen, nicht bei uns selbst. "Schlimm schlimm" ist ein Agglomerat an miesem Zeug, das wir im Zuge von diversen Trends und Styledekaden erleben mussten, von Föhnfrisuren und Heidi Klum bis Truckercap und Sommerhits. Also eigentlich nur rückblickend wirklich furchtbar, ähnlich einem Klassenfoto aus der Sechsten.


    "Es ist so leicht, sich sein Leben schwer zu machen/
    Es ist so leicht, nicht richtig reinzupassen/
    Es ist so leicht, den Rest der Welt zu hassen/
    Es ist so leicht, zu denken alles wär' auf einmal Schwachsinn/
    "
    (Roger auf "Warum")


    Und statt mit dem Finger auf den Schuldigen zu deuten, sucht Roger lieber nach den Ursprüngen dieser arg menschlichen Angewohnheiten. Man fragt sich zeitweise, ob dieser Neunmalklug von Rapper eigentlich auch Antworten hat. "Gib mir 5" sucht nostalgisch nach der Liebe von damals, aber hoffnungsvoll nostalgisch, nicht traurig wie Casper. Irgendwann sucht Roger nach einer passenden Beschäftigung für seinen Lebensentwurf, "Vielleicht" metaphert in unterhaltsamer Wortspielmanier umher: "Vielleicht bewerb' ich mich bei Google, suche 'ne Stelle bei Yahoo/ vielleicht begreif' ich dann, wonach die Menschheit in Wirklichkeit sucht". Und schließlich sucht der Solo-Topf in "Geht's dir gut" nach keinem Mädchen, sondern etwas Abstraktem zwischen Zufriedenheit und Unschuld, nur flüchtig in Kinderaugen zu entdecken.
    Jetzt könnte Roger doch dieser Opa sein, der im Perfektum lebt, im Sinne von: In unserer Vergangenheit waren wir die Zukunft. Keine konstruktiven Verbesserungsvorschläge, keine Lösungen, nur Genörgel und Gemoser über die Jugend von heute. Aber wenn man wieder von der 12 auf die 1 skippt, dann ist da plötzlich auch die Antwort:


    "Ich such' nach Bildern in den Wolken, nach Schätzen in Rillen/
    Nach den Kernen unter Hüllen, Textblättern, die ich nicht zerknüll'/
    Nach Kunst im Müll und andersrum/
    Nach der Wahrheit auf dem Grund von 'ner Flasche Rum/
    "
    (Roger auf "Malen statt Radieren")


    Roger spricht von den Widersprüchlichkeiten in uns allen, ihn selbst eingeschlossen, und bietet als Lösung "Malen statt Radieren" an. Also seine persönlichen Schätze suchen und finden, nicht die Fehler der Anderen finden und ausmerzen. Punkt. Das war's schon. Und das erzählt uns der Münchner Rapper in vermaledeit guten 40 Minuten, pumpender als sonst geflowt, emotionaler, aufgebrachter, als hätte er Land entdeckt. Klar, ohne Doubletimes und irren Vergleichen oder solchem Schnickschnack. Dazu ist Roger immer noch viel zu, pardon, Rapopa, macht eben "echten Rap", also Samplebeats ohne Flowakrobatik, aber real. Genau deshalb begeistert das Album wohl vor allem Hörer, die diese Sorte Rap feiern. Man darf eben kein Reimgewitter erwarten, kein Flowfeuerwerk oder Features, die über Wasi hinausgehen. Und man kann auch getrost über "Serienkiller" und "Gespenster" hinwegskippen, ich vermute dahinter Überbleibsel von "Alles Roger".


    Ansonsten empfinde ich "4S Punks" als sehr gelungen. Das Album ist authentisch, emotional und ehrlich, nicht verbittert oder seiner Zeit zurück. Es stimmt optimistisch und pessimistisch zugleich, denn nach dem "Ja Mann, so ist es" und dem darauffolgenden "Scheiße, so ist es" kommt kein "Und was jetzt machen außer eingraben?" sondern die Lösung in unserer Hand. Nicht die Welt ist ungerecht, sondern wir denken sie uns ungerecht. Wenn wir uns nicht ärgern lassen, dann ist auch alles gut. So ein kleines bisschen zumindest. Klar, jeder halbwegs reflektierte Mensch ist da schon drauf gekommen und Roger erfindet das Rad nicht neu, aber er macht Rap daraus. Mann, wenn mein Opa auch mal solche Sachen zu mir sagen würde. Dann würde ich jetzt auch aufhören zu schreiben und endlich ins Altersheim gehen und sagen: "Opa, die Welt ist nur so schlecht wie du denkst!"



    (johnnydieratte)

    [REDBEW]845 [/REDBEW]

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    Alle mal herhören! Hier! Das, was jetzt kommt, ist eine Kolumne. Da erzähl' ich von spannenden Abenteuern mit verschiedenen Rappern und anderen Gestalten der Rapszene. Doch Achtung: Die Geschichten sind nicht echt, sondern erfunden. Was soll man damit anfangen? Unterhalten werden. Und einen anderen Blick auf bestimmte Themen werfen. Vielleicht noch gut finden. Das reicht dann auch. Jetzt aber Schluss, denn es geht los ...



    Neulich im Tierpark mit Cro ...


    Wie lange ein Trend hält, das kann man nie sagen. Manchmal bleibt er nur zum Tee, manchmal nistet er sich so lange im Gästezimmer ein, bis er auf die Nerven geht. Oscar Wilde stellte bereits fest: "Nichts ist so gefährlich wie das Allzumodernsein. Man gerät in Gefahr, plötzlich aus der Mode zu kommen."
    Tiere sind zum Beispiel gerade ganz groß im Kommen, könnte man meinen. Die Affenbande der Chimperators hat neben der Schweinskombo um Die Orsons nun zudem den Panda Cro und seinen Psaiko Dino im Gehege stehen. Klar, da ist ein Besuch im Tierpark genau das Richtige. Deshalb will ich mir heute mit Cro die Pandas im Zoo ansehen, die sollen sich nämlich bald paaren, schreibt die Zeitung. Nur der DJ will nicht mit, denn seine Rasse ist bereits ausgestorben. Um die Pandabären steht es aber auch nicht besonders gut. Die mag zwar jeder und die sind total knuffig, aber viele gibt es davon nicht mehr. Und deren Paarungsvorlieben sind wohl ebenso schwer zu durchschauen wie Cros Pandamaske. Der sieht auch ein wenig bedrückt ins Tierparkgehege der Asiabären. Schließlich muss im Juli das Album erscheinen und wenn das kein Sommermärchen wird, dann brüllt nicht nur die ganze Affenbande ...


    So ähnlich muss sich auch das Pandamännchen fühlen, wenn es jetzt gefälligst befruchten soll, obwohl es gerade eigentlich viel lieber am Eukalyptus knabbern würde. Aber das muss jetzt. Und eine Maske gibt es nicht, hinter der es sich verbergen darf. Die hat nur der gute Cro, der allseits begehrt ist und sein Gesicht verhüllt, obwohl er gut aussieht. Dann ist es erlaubt. Vom Heute-Journal bis zum Feuilleton wollen alle ein Stück vom Gutelaunebär der Rapmusik abhaben. Und auch die Rapmusik will natürlich diesen Alleskönner mit Gummiverhüllung für sich verbuchen. Auf Konzerten fragt man sich, wer denn diese Typen sind, die vor dem Senkrechtstarter auf der Bühne waren. Außer denen, die Rap über Cro und Casper hinaus hören. Aber das sind die wenigsten. Einen Frauenanteil von geschätzten 70 Prozent, wie es auf den Crockstahzumjot-Konzerten der Fall war, den kriegt nicht mal ein Orgipörnchen hin. Und alle wollen "Easy". Ein paar finden auch den Nerd im Vorprogramm gut, trotzdem hätte vor einem halben Jahr noch niemand gedacht, dass Ahzumjot und Rockstah, die beiden Szenehelden aus der neuen Reimgeneration, zum besseren Supportact für ihren Homie Carlo mutieren. Aber alles easy, nur fragen sich ein paar, ob dieser Monty und sein Kumpel Crusoe eine Band sind, die wohl Ahzumjot oder so ähnlich heißt. Egal, "Easy" ist super. Warum auch immer der von Sunny singt. Weiß keiner, ist auch egal. Bobby ist eh schon tot, Cro ist halt voll gut drauf, wie immer eigentlich – also "Yayy" und "Hey" und "Heissahopsassa".


    Bei den Pandas ist auch alles total schön und so. Cro guckt immer noch ein wenig wehmütig durch die Glasscheibe und kann die Bären irgendwie verstehen. Wer hat denn bestimmt, dass ausgerechnet die Pandas nicht aussterben dürfen und warum schaut man nicht den Bartgeiern beim Kindermachen zu? Um uns herum stehen 50 Leute und warten mit einer Kamera bewaffnet auf den Geschlechtsakt der Bären. Cro hat heute Gott sei Dank seine Maske nicht auf, deshalb erkennt ihn auch niemand. Aber hätte er, dann würden sich die Objektive wohl auf ihn richten und darauf warten, dass er sein Album releast. Auf dem muss alles stimmen. Die tollen Beats, die luftig-leichten Rhymes, die tolle Stimmung. Und eigentlich hat ihn auch niemand gefragt, ob er gerne gehypet und gehatet werden möchte. Ich frage ihn, was los ist. Sofort verzieht er das Gesicht zu einer guten Laune. Er zückt das Handy und twittert, dass er gerade bei den Pandas im Zoo ist und das ist voll super da, aber noch lieber wäre er jetzt gerade bei seinen Fans und er freut sich schon auf sein nächstes Konzert in Hinterneustadt. Suuuuuuu ... dann sind die Zeichen aus. Nicht genug Platz für so viel freudige Erregung. Aber eigentlich ist gerade im Rap doch besonders viel Platz für gute Laune. Eigentlich ist er doch einer der Messiasse, die das Lächeln zurück in diese Gewaltmusik bringen. Damit nicht mehr alle so gucken, als sei das Wetter schlecht. Aber wenn einer schlecht drauf ist, dann ist das auch okay, findet Cro, denn ein Nebeneinander ist ja schon viiiiiiiel schöner als hier so Macht und Hierarchie und so.


    Schwierig ist das schon. Irgendwo zwischen Rap und Pop, zwischen Nische und Mainstream, zwischen bekannt und unerkannt. Und jetzt das Album und dann wird man sehen, ob dieser Oscar Wilde recht hatte. Und ob die Chimps einen Glücksgriff gelandet haben und wieder Authentizität in den Rap kommt oder die Authentität bleibt. Oder ob alles als Gute-Laune-Image auffliegt. Bis auf die Bravo weiß das ja noch keiner. Aber auch wenn, danach weiß ja auch gar keiner, wer wieder in der Versenkung verschwindet. Niemand weiß ja, wie dieser Cro aussieht, außer hübsch, das schreiben zumindest die im Feuilleton.


    Ist auch egal, und wenn schon. Wenn es nichts wird mit Rap, dann macht er halt was anderes Cooles. Vielleicht wieder bei der Zeitung. Oder als Maskottchen im Europapark. Vielleicht auch ein Naturschutzbuch schreiben. "Warum Pandas sich nicht paaren, wenn alle gucken" oder "Wieso Pandas bei der Paarung eine Kaninchenmaske bräuchten" oder so. Man wird sehen, wie viel Fröhlichkeit das eigentlich als so trist und bieder verschrieene Deutschland aushält. Gönnen würde man es ja jedem, egal ob im Schweinskostüm oder mit Dackelfrisur. Gute Laune ist halt einfach schön. Aber mal sehen. Die Pandas sind ja auch am Aussterben. Und da kommt nichts nach, bis jetzt zumindest. Ob bei Cro noch wer nachkommt? Wir verabschieden uns von den knuffigen Bären im Tierpark. Cro winkt recht euphorisch, er fand es suuuuuuper bei ihnen und er schenkt ihnen noch ein Bonbon zum Abschied. Tschühüüüss. Wir gehen jetzt Burgeressen, einen Crockstahzumjot, garantiert ohne Pandafleisch. Bon Appetit und einen schönen Sommer. Mal sehen, ob der Trend so lange bleibt – oder ob er nach dem Essen schon wieder aufbricht.



    (Benedikt Dirschl)
    (Titelbild von Jabo Jersey, Facebook)

    Alle mal herhören! Hier! Das, was jetzt kommt, ist eine Kolumne. Da erzähl ich von spannenden Abenteuern mit verschiedenen Rappern und anderen Gestalten der Rapszene. Doch Achtung: Die Geschichten sind nicht echt, sondern erfunden. Was soll man damit anfangen? Unterhalten werden. Und einen anderen Blick auf bestimmte Themen werfen. Vielleicht noch gut finden. Das reicht dann auch. Jetzt aber Schluss, denn es geht los:



    Neulich in der Wrestling Arena mit ein paar Rappern …


    Slamdunk PAM! Die Menge tobt. Ich auch. Ich recke meinen aufblasbaren Schaumgummifinger mit der "#1" in die Luft und feuere die muskelbepackten Rabauken an, die sich unten gegen Ringseile werfen, um dann mit Schwung Clotheslines loszulassen. Gerade steigt dieser eine mit dem 44er Bizeps auf den Turnbuckle und setzt zum Frog Splash an. Der Gegner zuckt, vom heftigen Schlag getroffen. Aber auch wenn er momentan am Boden ist wie Möwendreck, jeder weiß, dass er früher oder später wieder zurück im Game ist. Dann wird er sich noch mal auflehnen und den Typ im seidenen Mantel mit einem Corner Slingshot Splash oder einem Delayed Vertical Suplex oder einem Tombstone Piledriver auf die Matte legen. Irgendwann sind beide kurz vorm Kotzen und es geht nur noch um die bessere Crew, die nach einer kurzen Videobotschaft in die Halle stürmen wird – das ist immer so beim Wrestling.


    "Gott sei Dank ist das alles nur gespielt", bemerke ich, als einer der beiden zum Double Axe Handle ausholt. Fragende Blicke richten sich genau jetzt auf mich. Die Rapper, mit denen ich hier auf Ausflug bin, scheinen verunsichert: "Wie, das ist nicht echt?", fragt 3Plusss. "Natürlich ist das nicht echt!", antworte ich. "Das ist alles nur gespielt, das sind Schaukämpfe." Ich erkläre, dass es sich beim Wrestling um eine Stuntshow handelt und die Kämpfer ganz dolle gut in Akrobatik sind. Ungefähr so wie das VBT, nur, dass es beim Wrestling vorher schon abgemacht ist, wer gewinnt. So läuft das beim VBT natürlich nicht, auch wenn das manche Zuschauer vermuten. SpliffTastic rollt mit den Augen. "Der Unterschied zwischen Wrestling und VBT ist halt auch sehr klein", fahre ich fort. "Beides sind Kämpfe, die man nur zum Spaß austrägt und für den Fame, und um zu zeigen, dass man bessere Punches hat." Die Augen um mich herum werden immer größer. Basti und Weekend rücken ihre Brillen aufgeregt zurecht, so baff sind sie, und Coru streift sich die Haare aus dem Gesicht. Unten im Ring gibt es gerade wieder Rambazamba. Nachdem Kolle einen Hustleslam gelandet hat, greift Laas mit Real Talk an. Plötzlich flimmert die obligatorische Videobotschaft über die Arenaleinwände. Flowin' Immo, ein langhaariges, zerzaustes Männchen mit weißer Brille, beleidigt wild umher – irgendein gewisser Staiger kriegt es besonders ab.
    Die Jungs um mich herum schauen gebannt zu und knabbern an den Eistüten, die Weekend und Duzoe mitgebracht haben. Auf der Videoleinwand sieht man jetzt, wie jemand Dellen in Bushidos Monstertruck macht, und alle lachen, weil sie wissen, dass Autos Extrapunkte bringen. Das ist beim Wrestling bestimmt auch so.


    So ein Schaukampf ist aber doch verwirrend. Wo hört jetzt die Fiktion auf und wo fängt der Spaß an? Auch die Battlerapper beim VBT bewegen sich auf einem schmalen Grat zwischen Realität und Fiktion. Da werden Dinge aus Aurich ausgepackt, die doch jeder wissen will, aber vielleicht nicht alle hören sollten – zumindest nicht in solch einem Rahmen. Das ist mit Sicherheit kein Vorwurf an irgendjemanden. Es ist schließlich ein Battle. Jeder erwartet Blut, Schweiß und Tränen – und die soll man auch bekommen. Klar, auch den Spaß, aber vor allem Explosionen und Pulverfässer und Übergewicht und Brillen und Frisuren und und und … Schwierig ist hier bloß das Level, auf dem Beleidigungen und Punches stattfinden – da scheiden sich die Geister, und für den einen ist noch Witz, was der andere bierernst nimmt. Der kontert dann adäquat und so schaukelt sich das am Ende hoch (wie dieser BBB, haha). Jeder versucht, den richtigen Ton zu treffen, einer singt jedoch immer schief. Nicht mal mit Absicht. Einfach so, weil man im Übermut einen kleinen Schritt zu weit Richtung Person geht. Oder den Gegner schlichtweg nicht kennt, blöderweise in eine Wunde tappt und sie stolz für den Anus hält – den hab ich am Arsch. Und dann geht's los! Keiner weiß eigentlich, wo der Gegnerbezug aufhört und die persönliche Beleidigung anfängt. Wo überhaupt die Kunstfigur des Rappers endet und der Typ beginnt. Wen battlet Sorgenkind, wenn Basti seine Brille abnimmt und aufhört, die Stimme zu verstellen?
    Früher war dieses Battleding noch anders. Entstanden ist es aus Scherzen, die MCs übereinander machten, einfach nur, um die ewigen Breakbeats der Blockparty-DJs ein wenig zu versüßen. Lustig und so, Unterhaltung und Komik. Dann kam irgendwann richtiger Streit dazu, weil Geld ins Spiel kam – und, schwuppdiwupp, waren zwei Rapper weg vom Fenster. Berlin macht in Deutschland auch ein böses Gesicht. Und der Pott kann auch grimmig gucken. Und überhaupt, man frotzelt halt rum, und ich frage mich dann an der Stelle: Was ist Spaß, so wie bei Favorite und der Kebekus, und wo hat der Spaß ein Loch, so wie Massivs Schulter?


    Egal, jetzt passiert wieder was im Ring. Ein Wrestler mit einer silbernen Totenkopfmaske kommt durch den Halleneingang und zeigt auf Kolle, macht dabei ein böses Gesicht (das sieht man natürlich mit der Maske nicht, aber er ist wohl Berliner, deshalb ist es wahrscheinlich) und zückt einen verbeulten Integrations-Bambi. Aha, nun weiß der Zuschauer, dass Sido den wohl geklaut und damit den Monstertruck demoliert hat. Die Ringrichter scheinen das zu notieren – Extrapunkte und so. Auf der anderen Seite taucht dann noch Shiml auf, und während er auf den Ring zustürzt, ruft er, er wolle auch mal jemanden von der Bühne kloppen, einfach so. Und dann geht alles drunter und drüber. Alle balgen sich, schlagen mit Plastikklappstühlen auf Köpfe, der eine hüpft vom Ringseil runter und der andere hüpft aus dem Ring raus und man fliegt in die Seile und alles ist pure Tollerei. Es kommt halt auf die richtige Crew an! Wen man alles auf der Videoleinwand unterbringt und wer alles kurz durch den Ring fetzt, um schnell zu schreien, zu wem gehalten wird. Fler gibt sein "Hurensohn" zum Besten, Farid Bang spittet ein bisschen Gift und Galle ... und so weiter. Für den einen schreien letztendlich sieben, für den anderen fünf – klarer Vorteil also. Vermutet man.

    Die VBT-Jungens neben mir sind fasziniert; und als dem einen Wrestler die Maske geklaut wird, ist man sich kurz nicht einig, ob das jetzt Ernst oder Spaß ist. Weiß man nicht. Weiß keiner. Vielleicht ist genau das die Spannung an der Unterhaltung. Vielleicht. Muss man sehen. Dann ist der Kampf zu Ende, keiner weiß, wer gewonnen hat, aber die Ringrichter sind sicher: der mit dem Monstertruck nach Punkten. Das Publikum ist jedoch ganz anderer Meinung und die Jury muss jetzt schnell abhauen, sonst gibts Ärger. Wir stapfen Richtung Ausgang, der nächste Zug nach Aurich geht bald, den müssen wir erwischen. Ansonsten müssten wir mit Wiegands Eiswägen heimfahren oder bei Bastis Freunden aus der Wohnwagensiedlung übernachten. Wir kaufen uns noch ein Eis. Das schmeckt schon lecker, Duzoe kann es sogar mit den Zähnen beißen. Lance meint, er könne das auch, aber keiner sieht ihn kauen, rosten tut er aber auch nicht. Im Zug gibt es Streit, weil alle neben Lupa sitzen wollen, doch Sorgenkind singt einfach am schönsten – es wird ein bisschen geschimpft, manchmal lachen alle – aber dann schaut man plötzlich wieder finster. Und ich bin mir nicht sicher, wie das jetzt gemeint ist ...



    (Benedikt Dirschl)



    01. Deutscher Herbst
    02. Arsen
    – Ali A$
    03. Protest – Pretty Mo
    04. Green Screen – Ali A$
    05. Lackschuhe – Pretty Mo
    06. HHH – Ali A$
    07. Soziussitz – Pretty Mo
    08. Roland Kaiser – Ali A$
    09. Crystal Meth – Pretty Mo
    10. #BG4M


    Links, rechts, links, rechts, links – ratatatat. Da laufen sie ein. Ali, Mo, Ali, Mo, Ali – ratatatat. Es ist Krieg, zumindest im Spiel. Deckung suchen, hinwerfen, spitten – ratatatat. Baåder Meinhøf, "Heil HipHop", "Deutscher Herbst" – ratatatat. Ali A$ und Pretty Mo marschieren als Baåder Meinhøf und wollen mit Poloreiter und drei Streifen am Ärmel den deutschen Rap in "1000 Bars" heilen, so die Ansage. Daher auch das "Heil HipHop". Hier, nichts mit Dönermorde, pure Provokation und Wortspielerei soll das sein. Und Rap in Reinstform soll das sein, diese "1000 Bars", die via Mixtape in die Menge gefeuert werden – ratatatat. Lang' ist's her, seit die beiden Münchner ihre Deckung zuletzt verlassen haben. Pretty und Ali kennen sich noch von "Der Neue Süden", da waren sie noch finster und haben das Ghetto in München gesucht, obwohl Straßenrapper auch damals schon die falsche Bezeichnung war. Aber seit der "Bombe" von Ali A$ und der Schließung seiner damaligen Labelheimat Deluxe Records hat man wenig gehört. Apropos "Bombe" – ratatatat! Jetzt sind sie also wieder da und schießen mit 10 Tracks um sich, natürlich nur für den guten Zweck, nur für Gevatter Rap, und vor allem nur aus Spaß.


    "Und wir bringen weiter bösen Sound, töten Clowns/
    Rap ist wie ein zugefror'ner Teich – es springen keine Kröten raus/
    Seht nur, seit Goethes Faust sind die Texte das Beste, eure Tracks sind wie Äste/
    Denn es steh'n nur paar Vögel drauf, ich hör' an euren Tracks die fehlende Technik/
    Und bin wie Stammzellenforscher nur mit Genen beschäftigt/
    Wir ficken jeden im Rapbiz, Rapper sind jetzt wie Gärtner/
    Warum? Sie sind auf den Knien und mit Beeten beschäftigt/
    "
    (Ali A$ und Pretty Mo auf "Deutscher Herbst")


    Ja, man merkt schnell, wohin das führt. Ich kann und möchte an dieser Stelle gar nicht auf die einzelnen Tracks eingehen. Da gibt es den einen, da rappt Ali A$ und macht viele Punchlines, da gibt es den anderen, da rappt Pretty Mo und macht viele Punchlines. Hier ist noch einer, da rappen Ali A$ und Pretty Mo und machen viele Punchlines. Track ist gleich Track, Skippen bedeutet vor allem, ein neuer Beat geht los. Da wird geradlinig marschiert, links, rechts, links, nicht gucken, nur spitten – ratatatat. Dazwischen keine Hook, kein Skit, nichts dergleichen. Was mir auffällt? Ali ist in seinen Punchlines nicht so sexuell wie der gute Mo. Sonst? Ratatatat.


    Im Ernst: Punchlinerapper waren die beiden ja schon immer und auch diesmal klingen die Münchner nicht nach Gosse. Sie klingen vor allem nach Rap. Nach purem Rap ohne Accessoires, ohne öden Schnickschnack. Punchlinerap wäre also eine durchaus passende Bezeichnung für die "1000 Bars", ja, keine Frage. Und dabei spielen Mo und Ali auch in der selben Liga. Beim Vergleich der beiden in Text und Technik gewinnt immer der, der den Geschmack des Hörers am besten trifft. Ich kann mich da gar nicht entscheiden. Pretty ein bisschen versaut, das kann langweilen, dafür mit einer taktvollen Ruhe im Ausdruck, die irgendwo zwischen Provokation und Verrücktheit wurzelt. Dafür legt A$ dermaßen viel Kraft in seine Stimme, dass man ab und an sogar das Gefühl hat, sie würde sich gleich überschlagen, durchbrennen und davongaloppieren. Aber beides klingt fresh, da kann sich niemand beschweren. In Aussage und Flow harmonieren die Rapper aus dem Süden generell gut, man bemerkt den gemeinsamen musikalischen Background. Beide flowen präzise, mit genug Ausdruck, mit genug Ausdrücken, mit Ratatatat eben. Nicht sehr variabel, aber man kann auch nicht meckern.


    Dabei liegt der inhaltliche Schwerpunkt vor allem auf der Aussage, der Beste zu sein. Untermauert mit einer Unmenge an richtig guten und ein paar eher mäßigen Vergleichen. Ich kann mir keinen einzigen merken, so viele sind das. Wenn man schon mal versucht hat, sich ein ganz bestimmtes Steinchen am Sandstrand zu merken, dann kann man sich das vielleicht vorstellen. Aber ich muss mir das auch nicht zu merken, es läuft eh alles recht ähnlich ab:


    "Ichbinsoderbegut wie *Vergleich*/
    Ihrseidsoderbeschlechtdrumfick'icheuch *Wortvergleich*/
    Alsowirklichsorichtigderbeschlecht wie *Vergleich*/
    Sorichtigrichtigrichtigrichtigschlecht *Wortvergleich*/
    "
    (Einervondenbeiden auf "Irgend'nemtrack")


    Da ballert Baåder Meinhøf einfach mal "1000 Bars" raus und wer muss sich alle anhören? Wir natürlich. Was nach einer ziemlich guten Idee klingt, kann auch ermüdend sein, das sei an dieser Stelle angemerkt. Ohne eine Hook, die den Punchlinebrei ab und zu auflockert, treten sich die vielen Zeilen zu einer zähen Masse zusammen. Die meisten Tracks dauern um die fünf Minuten, das ist nichts Schlechtes, aber auf Dauer ist es eben immer das Gleiche. Reimanreimanreimanreim. Skip. Reimanreimanreimanreim. Skip. Ratatatat. Das möchte ich gerne mal live sehen.


    Es wird also viel marschiert und man möchte HipHop heilen. Nebenbei frage ich mich seit Tagen, von was man diese deutsche Mukke eigentlich heilen möchte. Bei einer Entstehungsphase von mehreren Jahren und viel altem Stuff auf dem Tape kann ich das allerdings nicht beantworten. Ist es der neue Waschlappenrap oder der alte Hartwieknäckebrotrap? Egal, sie marschieren jedenfalls. Im Takt. Und die Marschkapelle kann sich wirklich hören lassen. Da treten wahre Hochkaräter aus allen Ecken und Enden von Somusshiphopkling'land auf. Neben Monroe, Gee Futuristic, einem 7inch oder Tai Jason sind da auch noch The Titans, Benjamin Bently, die Bounce Brothas und DJ Vito im Spiel, und beschwingen das Ratatatat mit Brettern, die Musik bedeuten. Sehr pompös, knallige Snares mit Tusch und Wirbel, aber eher dreckiger Sound in Marschgeschwindigkeit – so klingt Krieg, Bruder, immer am Stampfen, unaufhaltbar. Aber das ist sehr gut, dieser Geschmack beim Beat picken rettet die 1000 Lines vor der Belanglosigkeit. So bleibt man dran, so hört man zu, so findet man das gut.


    Fazit:
    Baåder Meinhøf ist Terror mit Rap und Rap mit Terror – aber pure Unterhaltung, spaßig und man macht eben diese eine Musik, die wir alle so lieben. Vergleichslastig und hooklos, nicht besonders flowvariabel, dafür aber beatbombastisch. Und eines vor allem, nämlich real. Das war auch das Ziel des Tapes und das ist erreicht. Purer Rap, blank serviert, krachend, keifend und vor allem punchend. Da verzeiht man dem guten Ali auch, dass er den Soundtrack für Jimi Blues Film "Homies" gemacht hat. Wer so stramm marschiert, der kann nur eins im Sinn haben: HipHop heilen. Also weiter marschieren, links, rechts, links, rechts, links – anlegen, zielen, spitten – ratatatat.



    (Benedikt Dirschl)

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    01. Jukebox – Migo
    02. Bilderbuch – Yasemin
    03. Der Calo – Calo
    04. Surreal – Deniz
    05. Zwerge werden Riesen – Migo
    06. Freitag – Calo
    07. Sei still – Yasemin
    08. Traurig – Calo & Migo
    09. Es reicht – Migo
    10. Schwer voran – Calo & Deniz
    11. Boden beben – Migo & Calo
    12. Keiner hält uns auf – Calo
    13. Im Geiste vereint – Starring: Migo & Yasemin
    14. Vielleicht – Calo
    15. Co-Pilot – Yasemin
    16. Street Pop Hooray – Migo, Calo, Deniz, Jorge Vogt, Der Plot, Leek, Marcsen & ON Klique


    Die "Evolution Vol. 1" der Street Pop Allstars entspringt einer ähnlichen Titelgattung wie "Der ultimative Dance-Mix (Dance Mix Club Mix)" von Helene Fischer. Erst hatte ich Bedenken, mich darüber lustig zu machen, weil ich Sarkasmus dahinter erhoffte, aber nach dem Hören bestätigen sich meine Befürchtungen leider: Der Titel passt zur Musik des Samplers. Jetzt darf ich es ja sagen – wie zum Henker kann man sich "Allstars" nennen, wenn ich der Einzige bin, der etwas in der Richtung macht? In meiner Kindheit waren ich und meine Freunde auch die besten Stufenfahrer der Gegend. Leider hat sich sonst keiner in der Gegend damit beschäftigt, Stufen mit dem Fahrrad herunterzufahren. Seltenheit schmälert einen Titel enorm, das sei hier angemerkt. Doch so spannend Stufenfahren auch war, sogar wir sind nicht auf die Idee gekommen, etwas Evolutionäres an unserem Handeln zu entdecken. Deshalb spare ich mir an dieser Stelle eine Bemerkung über den Titel "Evolution Vol. 1". Nun gut, aber scheinbar hat sich die Musik in Düsseldorf weiterentwickelt und vielleicht erkenne ich das Epochale daran einfach nicht. Vielleicht haben die Tiere früher auch Witze über unsere Daumen gemacht, wer weiß, und jetzt haben sie das Nachsehen, weil man mit Pfoten keine SMS tippen kann.


    Egal, Migo hat gemeinsam mit Calo, Yasemin und Deniz eine 16 Tracks starke Platte auf den Markt geworfen, deren Artwork die Mischung aus "The Dome" und "Hotel Zac & Cody" sein muss. Ich habe also poppigen Rap aus dem Hause Street Pop Music zu erwarten, der "bissiger als der geleckte Mainstream, doch harmonisierender als populäre Gossenmusik" ist, so beschreibt es Amazon. Wenn man an die Riggedi Rawtakes von Miggi Pop denkt, dann weiß man auch schon ungefähr, was das bedeutet.


    "Und alles das, was die Box von sich gibt, das ist abartig geil/
    Denn meine Box kennt kein' nach ein paar Tagen abflachenden Hype/
    Denn meine Box kennt kein Popstars, DSDS und auch nichts sonst von dem Rotz da, geh damit weg/
    Weil meine Box keine Grenzen kennt, denn meine Box ist mein best friend/
    "
    (Migo auf "Jukebox")


    Miggi eröffnet die "Evolution Vol. 1" und schwingt seine melodiösen Raps über Klavierakkorde, mit ein bisschen Schelle und Tusch, das treibt ganz gut. Dazu bewährter Autotune, der nicht nach Fler und deshalb gut klingt – läuft. Innen wie außen geht es also um die Liebe zur Musik, das macht Spaß, Ohrwurmfaktor inbegriffen.
    Dann kommt Yasemin und trällert. Trällert seicht über verlorene Liebe oder trällert rotziger über verlorene Liebe, das gibt mir auch die Gitarre mit Popbeat im Hintergrund zu verstehen. Aus musikalischer Sicht kann ich auch nichts gegen "Bilderbuch" sagen, nur die Straße ist hier ganz weit weg. Höchstens die Straße nach Süden, die hör' ich in der Ferne. Irgendwo zwischen Wir sind Helden und Yvonne Catterfeld.
    Jetzt dann Calo. "Der Calo" macht halt, was er will. Der "scheiß[t] auf die Meinung anderer" und geht saufen. Der Beat bumst mehr, als bei der guten Yasemin, Party auf Elektroorgel. Calo eifert dem lieben Migo nach und das sehr gut. Nur Sätze wie "am Tresen fühle ich mich pudelwohl [...] und was ich da manchmal so quassel, das hat gar kein' Sinn" sind doch ein klitzekleines bisschen peinlich. Vielleicht erinnert es mich deshalb auch an Mike Krügers "Jenseits vom Tresen", das drückt Ähnliches aus.
    Und schließlich Deniz. "Surreal". Da ist wieder dieses Gefühl mit halbstarkem Beat, Deniz auf der Suche nach dem weißen Ritter, der sie rettet. Ich mag weder mitsingen, noch heulen – und meckern auch nicht. Ja, das ist halt Musik, ganz gut, aber schlecht bewertbar, denn so weit im Pop drin wage ich kein Urteil.


    Und jetzt? Der Rest der LP beschäftigt sich mit Emotion und Pathos, Migo hier, Calo da, ein bisschen Yasemin und eine Ecke Deniz. "Zwerge werden Riesen" oder "Traurig" sollen aufbauen. Heul nicht, das Leben geht weiter oder glaub an das Leben. Dazwischen drückt "Boden beben" mal ein bisschen mehr, Calo und Migo harmonieren gut und der Track hat sogar eine eigene Bassline. Schließlich "Im Geiste vereint", im Sinne von "Ich liebe dich für immer und ewig". Migo und Yasemin liefern hier einen Dialog voll Liebe und Sehnsucht, ganz nah am Altar. Für meine Geschmack ein bisschen viel, aber gut, ich will da nicht reinreden.
    "Schwer voran" mit Calo und Deniz beschreibt das Leben wieder etwas melancholischer. Glaub' an dich, immer, weil sonst tut es ja niemand. In Düsseldorf klingt das dann so:


    "Wenn du selbst nicht an dich glaubst, sag mal, wer glaubt an dich/
    Und viele reden hinterm Rücken, aber lachen dir ins Gesicht/
    In dieser Welt gibt's so viel Böses und du musst kämpfen wie ein Löwe/
    Mit dem Herz eines Bären und keiner hält dich auf/
    "
    (Calo auf "Keiner hält uns auf")


    Schließlich "Street Pop Hooray". "Der Asphalt kreischt nach den Charts". Die Hymne auf den Straßenpop läuft und geht gut ins Ohr, ja, macht sogar über sieben Minuten lang Spaß. Dazu die passende Unterstützung von Jorge Vogt, dem Plot, Leek, Marcsen und ON Klique, das rennt. Aber ganz ehrlich? Wieso nur der erste und letzte Track in diesem Stil? Wären bei einem Cheesie nur die Brötchen lecker, dann wäre McDonalds heute eine Bäckereikette und kein Burgerladen.
    Und die Musik? Die Beats sind alle von Migo, also nicht von schlechten Eltern. Entweder softrockig, klavinös oder elektresk, dazu seichter Bimtischik (Bumtschak in seicht), wenig Bass, wenig Snare. Aber Migos Musik ist eben ein bisschen poppig, das soll sie sein, das ist ja etwas Schönes. Das regt auch zum Tänzeln an. Immer pogen muss ja nicht sein.


    Fazit:
    Ich bin eigentlich keiner, der nicht auf Experimente stehen würde und musikalisch sind die vier bestimmt. Aber eben auch zwischen den Genres gefangen und etwas überambitioniert, was das Image angeht. Wenn man nämlich ein Image augenscheinlich erzwingt, dann bewirkt man durch die Anstrengungen meist ungewollte Komik. Musikalisch wäre das ja unproblematisch, aber Musik liefert auch Attitüde und die ist bei den Street Pop Allstars eher fragwürdig. Generell fehlt der Biss von der Straße, den Migo bei seinen ersten Releases noch an den Tag gelegt hat. Denn poppige Melodie in den Rap zu bringen, ist ja an sich nichts Verwerfliches. Hier sind die Damen und Herren Allstars aber leider über das Ziel hinausgeschossen. Ich will nicht sagen, dass die Musik nicht ins Ohr geht, aber... ja, aber. Das "aber" steht oben. Also, Evolution reloaded, please, dann kann man seinen Daumen auch nach oben halten. Dafür sind Daumen nämlich ebenfalls hervorragend geeignet...



    (Benedikt Dirschl)

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    01. Intro (Geiler Tag)
    02. So hui
    03. 30000 Fans
    feat. Bosca
    04. Siegergesicht feat. Konse
    05. Böse oder gut
    06. Flaschengeist
    feat. Yasemin
    07. Narbe
    08. Nur im Schlaf
    feat. Calo


    Hi-dideli-ho, liebe rappersinos, Miggi Pop hat die "Riggedi Raw Takes 3" für umme riggedirausgehauen und wir dürfen nun die acht Liedchen des Miggedimixtapes genießelchendießelchen. Also, wie sagte der Nudeltopf zur Spaghetti? Hoch und rein damit, lasst uns diese Gabe voll Didelidank annehmen und am besten auch loben und preisen. Okily-Dokily, zumindest mal reinhören, was der Dudelidüsseldorfer da so auf sein Scheibchen gepackelidackelit hat. Willkommen also auf "Graue bunte Welt"!


    Genug Quatsch. Was Migo und Ned Flanders gemeinsam haben – am Schluss der Review. Das über Vegas Label Freunde von Niemand veröffentlichte Rohmaterial von Rapper, Produzent und Songwriter Migo wird auf sprachlicher Schiene von Labelkollege Bosca, Sängerin wie Freundin Yasemin, Konse und Calo verstärkt. Musikalisch unterstützt ihn niemand, weil er alles selber kann. Straßen-Pop nennt er seine Musikrichtung, aber die Diskussion über diesen Musikhermaphroditen führten wir bereits beim zweiten Teil. Damals hat es auch noch gepasst, wie ich meine, denn von der Straße ist – abgesehen vom passenden Label – nicht mehr viel übrig. Der Pop hingegen hat ordentlich zugelegt und glibbert aalglatt auf der Platte herum.


    Im "Intro (Geiler Tag)" klatscht die Snare zwar noch ansatzweise, aber nach elektrischem Knarzen und Synthetikgeeier verläuft sich der Rums im verzerrten Autotune und flacht gegen Ende gehörig ab, weist so aber immerhin den musikalischen Weg auf die folgenden Tracks. Inhaltlich berichtet Migo gut gelaunt von einem schönen Tag, weil eben die Raw Takes rauskommen, und verkauft sich nebenbei aber auch als Chartstürmer (mit dem Freetape, aha), Frauenversteher und Soundkünstler. Das ist vielleicht auch gar nicht gelogen:


    "Bevor ich kam, sorry, da war alles grau/
    Ich verkuppel' Mama Flavour mit dem Papa Sound/
    Obwohl ich ein ganzes Album lang über Nächte rede/
    Miggi Pop – in guten sowie in schlechten Mädchen/
    "
    (Migo auf "Intro (Geiler Tag)")


    Auf "So hui" wirkt der Beat zwar etwas kantiger, die Laune aber hält an. In Sachen Frohsinn kennt Miggi Pop auf dieser Scheibe wohl wenig Grenzen. So berichtet er von einer, nämlich seiner, schönen heilen Welt und verquirlt diese dabei mit weiblichen Reizen. Da führt dann auch eins zum anderen und endet schließlich in dreckigem heavy Petting – und ja, dieser Begriff erinnert auch mich eher an Dr. Sommer denn die Bronx. Egal, alle Straßen führen ja bekanntlich nach New York, warum also nicht auch diese. Auf "30000 Fans" kommt Bosca zu Hilfe und über klangvollem Sound philosophieren die Freunde von Niemand über deren Daseinsberechtigung, welche sich über Musik definiert – man merkt, wohin das Herz schlägt. Denn, da sind sich die beiden einig, ohne ihr Schaffen als Klangkünstler würde wohl kein Schwein nach ihnen pfeifen. So schön die Idee, so weit verirren sich auch die Gedanken im Gewusel der virtuellen Fangemeinschaft und fangen an zu strömen. Hier macht Migo Musik, wie man sie gerne immer hören würde: melodisch, nachdenklich und ein klein bisschen hart zu sich selbst und der Welt.


    "Und wenn es jemand' gäb', der mich verständ', dann gäb's nicht dieses Lied/
    Aber leider gibt es kein', deshalb pack' ich meine Zeilen auch weiterhin auf Beats/
    Ohne Musihik gäb's keinen, der mich kennt/
    Doch wenn der Beat läuft, hab' ich 30000 Fans/
    "
    (Migo auf "30000 Fans")


    Mit "Siegergesicht" wird die Stimmung auf Textebene gehalten und auch der Beat knallt ein bisschen, wenn auch nur in der Hook ordentlich. Dann schwenkt der Düsseldorfer zum für ihn typischen Frauenthema, auf welches man fast ungewohnt lange warten musste. "Böse oder gut" sind diese Frauen eben, so sexy und so gemein. Hinterlassen manchmal "Narben" und man kann nichts tun, als sich dafür bedanken, dass sie dich gefickt haben. Das übliche Gequengel über diese und jene Schlampe, die den Männern das Herz, wenn nicht gar den Penis bricht. Vernaschen tut er die Frauen zwar nicht mehr so arg wie auf den Vorgängertakes, aber er hat wohl auch seine Gründe dafür. Und zwischen dieser halbherzigen Frauenabscheu erscheint wieder eine Mischung aus sympathischer Selbstbeweihräucherung und nett gemeintem Gutmenschgehabe. Dabei flowt der Rapper zwar herrlich präzise und melodiös, wie es auch zu seiner musikalischen Versiertheit passt, jedoch vergreift er sich meiner Meinung nach hin und wieder im Ton, wenn es um das Beatgerüst geht. Viel Piano, viel Melodie, viel Plastik, dafür aber wenig Bumm und fast kein Tschak, darunter verspieltes Gerassel und Geklingel. Migo animiert zwar zum Mitsingen, vielleicht schunkeln auch ein paar, das Kopfnicken bleibt aber aus:


    "Duängduängdunäng (e-gitarre), schischischischischischi (Keyboardgeklimper, Skandal um Rosi?), düüüdüdelüüüüüdüdelüüüü (kommt jetzt drüber)/
    (jetzt setzen die Drums ein) DumTschikDumTschikDumTschik/
    DingeldingeldingelingDumTschikDumTschik/ PlirrPlirrdüüüdelüüüüdelüüüdelüTschikDumTschikaaaaaaauuuuuuuusfaaaaaade (warum das immer?)/
    "
    (Migos Beat auf "Böse oder gut")


    Fazit:
    Wie sagte die Flunder zum Goldfisch? Da bin ich aber platteliplatt. Ja. So oder so ähnlich. Die "Riggedi Raw Takes 3" setzen nicht ganz den Straßen-Pop des Vorgängers fort, enttäuschen aber bestimmt auch nicht. Zwar sind die Beats tatsächlich etwas flach, Migo flowt aber sehr gut, variiert oft, passt sich ans Klangkostüm an, bringt Melodie ins Spiel. Singsang wäre ein rechter Ausdruck und dann auch gar nicht bös' gemeint. Inhaltlich ist er bescheidener geworden. Er findet diese eine Sorte Frau zwar immer noch gemein, verteufelt sie aber nicht, überzeugt stattdessen mit Gefühl und positiver Stimmung. Musikalisch fehlen die Haken, die sonst das Besondere betonen und einen vom Hocker hauen, knallen tut nichts mehr, tüdeln sehr viel. Wie dem auch sei, sehr solide – aber ein bisschen fad. Was haben Ned Flanders und Miggi Pop also gemein? Beide sind im Herzen gut, aber ein bisschen zu clean und glatt. Ein paar Ecken und Kanten würden gut tun – vielleicht hilft ein Schnurrbart? Trotzdem okily-dokily oder wie sagte das Beet zum Gärtner? Vielen herzlichen Dank für die Blumen.



    (Benedikt Dirschl)

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