Als Redaktion geben wir unser Bestes, zu jedem relevanten Release eine Review zu veröffentlichen. Jedoch kamen vor der ersten rappers.in-Review im April 2007 einige Alben auf den Markt, die auch aus heutiger Perspektive durchaus relevant und für Deutschrap prägend waren. Vor einiger Zeit beschäftigten sich die "Meilensteine" mit den Jahren 1992 bis 1998. Dabei wollen wir es allerdings nicht belassen und somit führen wir eine weitere Kolumne ein, die sich mit wichtigen Releases der weiteren Jahre befasst. Neuer Redakteur, neuer Name. Also viel Spaß mit unserer neuen alten Kolumne "back in the days"
Als ältestes Redaktionsmitglied hat man es nicht leicht. Während die jungen Redakteure ausgelassen über neue Trends sinnieren, sitzt man zuhause, eine verstaubte Stieber Twins Platte eiert am Grammophon und man will einfach nicht verstehen, was alle mit diesem Sheesh meinen. Hipsterrapper, Tweef und Money Boy. Money Boy ... was soll das eigentlich schon wieder sein? Früher haben wir noch gekifft und jetzt trinken die allen Ernstes Hustensaft – den trinke ich zwar auch, aber nur, weil ich früher eben viel gekifft habe. Von den engen Hosen will ich gar nicht erst anfangen. Wie ich die gute alte Zeit vermisse. Rap war noch real, Samy Deluxe noch gut und Star Wars noch kein Disney-Franchise. In den Battles nennen sie sich neuerdings Hurensohn, das hätt's früher auch nicht gegeben, diese Kinder – sowas von respektlos. Nicht weiter drüber nachdenken, lieber ins Bett, ist ja immerhin schon halb neun und der Morgenspaziergang erledigt sich nicht von selbst. Wenn nur diese Nachbarskinder etwas leiser wären. Also Ihr Lieben, kommt ran, Opa erzählt jetzt von einer Zeit, als das Gras noch grün war und Rapper noch Rapper sein durften:
Eins Zwo – Gefährliches Halbwissen (1999)
01. Intro
02. Arbeitstitel: Aller Achtung
03. Liebes Logbuch
04. Danke Gut
05. Zu laut! feat. Das Bo
06. Vogelperspektive
07. Die Omi aus dem 1. Stock
08. Sternzeichen Krebs feat. Nico Suave
09. Frohes Neues
10. Technique feat. Ferris MC
11. Mitarbeiter des Monats
12. Four Black Quarters feat. Tone & DJ Cullmann
13. Wort drauf feat. Samy Deluxe & Falk
14. Hand auf's Herz
15. Schön, daß es euch gibt
16. Outro
Appetit auf 'ne Platte, die aufgrund ausgefeilter Strategie/
Entschieden mehr Saft hat als eure schlappe Batterie/
(Dendemann auf "Vogelperspektive")
Mai 1999: Hamburg scheint die Raphauptstadt Deutschlands zu sein und das aus eben jener Stadt stammende Duo Eins Zwo, welches bereits ein Jahr zuvor mit seiner EP "Sport" einen kleinen Hype generieren konnte, ging mit seinem Debütalbum "Gefährliches Halbwissen" an den Start. Eins Zwo bestand aus Dendemann am Mikrofon und DJ Rabauke an den Reglern und Turntables – eine klassische one MC, one Producer Komposition also.
"Gefährliches Halbwissen" ist eines dieser Alben, dem man seine Detailverliebtheit einfach anmerkt: Die Sampleauswahl der Beats ist vom ersten bis zum letzten Track durchgehend stimmig und DJ Rabauke lässt die Drums darüber scheppern, als hätte er Zeit seines Lebens nie etwas Anderes gemacht. Das Ganze veredelt mit gut platzierten Cuts und schon steht das Grundgerüst für Dendemanns Rapparts. Genau diese sind es auch, die "Gefährliches Halbwissen" zu dem erstklassigen Album machen, das es ist, denn die Lyrics überzeugen vor allem durch Wortspiele und Metaphern, die es damals noch nie in solcher Qualität und Quantität gegeben hatte sowie eine nach heutigem Maßstab grundsolide und nach damaligem Maßstab unfassbare Reimtechnik. Jeder Text auf der Platte scheint bis ins letzte Detail ausgearbeitet und perfektioniert worden zu sein, was vor allem auf dem, aus der Sicht des älteren Dendemann gerappten "Schön, dass es euch gibt" oder auf dem reimtechnisch zukunftsweisenden "Wort drauf" jedem auffallen müsste. Die abwechslungsreichen Beats werden teils humorvoll, teils ironisch, teils kritisch, aber immer mit einem ticken Aggression in der Stimme und dem typisch norddeutschen Akzent berappt, was es in derartiger Perfektion bis dahin nicht oft gab.
Wort drauf, für all die hammerharten Kameraden, jammerschade/
Dicke Fresse, im Kopf nur Marmelade/
Für all die wortkargen, vom bloßen Dasein überforderten/
"Rap ist es nicht mehr"-Schweppesgesichter, hab' ich Sportarten/
(Dendemann auf "Wort drauf")
Ein besonderes Highlight auf "Gefährliches Halbwissen" stellt "Sternzeichen Krebs" dar, auf dem sich Dendemann und Nico Suave die Lines derart gekonnt zuspielen, dass der typische Rapfan anno 1999 schon mal mit offenem Mund ungläubig seinen Discman anstarrte. Auch "Danke gut" zeigt durch das großartige Zusammenspiel des Rappers mit dem Beat die Harmonie auf, die im Team Eins Zwo bestanden haben muss und zeitgleich perfektionierte der Rapper hier einen an Wortwitz und Reimketten jahrelang kopierten aber nie erreichten Stil. Die Krönung des Ganzen ist letztlich definitiv das Video zur Single "Hand aufs Herz", wo die Skandaltalkshow Jerry Springer parodiert wird und im Video das Who is Who der damaligen Hamburger Szene antritt. Natürlich sollten auch die Featureparts nicht unerwähnt bleiben, denn von bereits angesprochenem Nico Suave, über Ferris MC bis hin zu Samy Deluxe sind einige Hochkaräter auf der Platte mit dabei und liefern durch die Bank Top-Leistungen ab.
Mit dem im übrigen hybriden Style eines Bastards/
Und einer Ernährung zwischen Tanke und Rastplatz/
Hab' ich mehr Karies gesehen als jeder Knastarzt/
Ich kassier' Wehwehchen wie Strafzettel fürs Falschparken/
Nur gut, dass ich euch im Schlaf battle, ihr Halbstarken/
(Dendemann auf "Danke gut")
Die Instrumentals, die Lyrics, die Flows und die Features; auf der Platte stimmt einfach alles. Jeder Flow sitzt, die Wortspiele überzeugen durch erstaunliche Kreativität und der Hamburger Slang verleiht dem Release einen einzigartigen Charme. Das Ganze veredelt mit einer Reimtechnik, die ihresgleichen sucht und fertig ist ein Klassiker. Eins Zwo erbrachten mit "Gefährliches Halbwissen" den Beweis, dass ein Rapper und ein DJ mehr als genug sind, um ein Album zu schaffen, welches nach Jahren noch so überzeugt, wie am ersten Tag und waren für die temporäre Vormachtstellung von Hamburger HipHop wohl so wichtig wie kaum ein anderes Album dieser Zeit.
(El-Patroni)