Beiträge von El-Patroni

    Auch Teil 2 dieser Artikelreihe führt uns wieder in die Untiefen deutscher Coverkunst:



    Dipset!
    Keine Phase der Deutschraphistorie weist mehr Fremdschammomente auf als die Dipset-Jahre. Auch wenn dieser Zeit vereinzelte Klassiker entsprangen, so können sich heute wohl alle darauf einigen, dass die Masse an Diplomats-Nachahmern, die Vogelgeräusche über Plastikbeats schmetterten, alles andere als eine Glanzstunde deutschsprachiger Musikkultur repräsentierten. Auch die Ästhetik der Plattencover folgte diesem Beispiel: Die Männer in XXXL und allen Farben des Regenbogens gekleidet, schmissen sich in alle Posen, die der Katalog zwischen Gangster und Player so hergab und sahen dabei jedes Mal aus wie die Karikatur ihrer Selbst. Auch wenn es zwischen Freunde der Sonne, Kid Kobra und Taichi ziemlich schwer fällt, sich für ein Cover zu entscheiden, so fällt meine Wahl aufgrund der perfekten farblichen Abstimmung von Cap, Poloshirt, Hintergrund und Schriftzug auf den guten alten Sentino. Und bitte überseht bloß nicht die kleinen dicken Engel <3



    Das Kinderfoto
    Von "Illmatic", über "Zum Glück in die Zukunft 2", bis "Nevermind" haben sich Fotos der kleinsten Mitglieder unserer Gesellschaft auf Plattencovern Genre übergreifend stets als Erfolgsgarant erwiesen. Auch wenn der kommerzielle Erfolg von Summer Cems "Sucuc & Champagner" wohl kaum an den des Nas-Debüts heranreicht, so berührt mich der dicke Junge mit der Goldkette und Sonnenbrille an einem Punkt tief in meinem Herzen.



    Wie bin ich hier hergekommen?
    Regelmäßig finden sich Rapper auf ihrem Albumcover in kuriosen Situationen wieder. Als Betrachter stelle ich mir dabei gerne die Frage, wie es zu ebenjenen Szenarien kommen konnte. Ein sehr gutes Beispiel finden wir in Form eines jungen Prinz Pi mit fragendem Gesichtsausdruck an Bord des Todessterns. Die Story würde ich gerne hören. Auf einer Seite des Booklets trägt der Rapper übrigens eine Panzerfaust auf der Schulter. Ja – Prinz Pi – eine Panzerfaust – auf dem Todesstern – ja … im ernst.



    Das Massiv-Cover
    Ein Mann hat das Covergame verstanden wie sonst keiner: Massiv! Ob er nun in Handschellen auf dem Elektrischen Stuhl sitzt oder sich mit Palischal in einer Ruine ablichten lässt, sein physisches Erscheinungsbild gepaart mit dem bösesten aller bösen Blicke sorgt stets für Aufsehen. Das Artwork zu "M10" übertrifft allerdings alle anderen: Massiv in der körperlich wohl besten Form seines Lebens, behangen mit Goldketten, so schwer, dass der Durchschnittsbürger sie vermutlich nicht mal heben könnte, streichelt einen Panther. Ja! Genau so!



    Besondere Erwähnung
    Berliner Rap zeichnete sich um die Jahrtausendwende durch einen gewissen Grad an Minimalismus und völlig eigenen Style aus. Auch ein Cover aus Berlin hatte herzlich wenig mit einem Cover aus Stuttgart oder München gemein und ein heute allseits bekannter Rapper stellte dies mit seinem ersten Album unter Beweis: Zu bewundern gibt es den jungen Bushido! Ein Blick zwischen Ignoranz und Arroganz gepaart mit dem ausgestreckten Mittelfinger – typisches Rap-Album bisher. Mein persönliches Highlight stellt allerdings die halbnackte Frau im Hintergrund dar, denn bei genauerem Hinsehen fällt auf, sie wurde einfach gespiegelt und nochmal eingefügt. Zwei Frauen waren anscheinend nicht im Budget. Dieser Fakt amüsiert mich derart, dass ich gar nicht dazu komme, mich zu fragen, was es mit dem Hundekopf auf sich hat.
    Ein Glück, dass aktuelle Bushido-Cover etwas anders aussehen.



    Hier gehts zum Ersten Teil



    El-Patroni (David)


    01. Intro
    02. Ein Schluck
    03. Winter in Frankfurt
    04. Delorean
    05. Lass sie reden
    feat. Casper
    06. Für Vinko
    07. Was ihr wollt
    08. Sag den Pissern
    feat. Face
    09. Standby
    10. Deshalb lieb' ich dich
    feat. Moses Pelham & Credibil
    11. Unser Lied
    12. S6chsdr3i
    feat. Face
    13. Outro


    Vega kommt mit Soloalbum Nummer 5 an und wenn es sich schon anbietet, seinen Spitznamen mit der simplen Nummerierung des Releasekataloges zu vereinen, sollte man es natürlich auch tun.
    Ob ich den Frankfurter hier wirklich vorstellen muss, bezweifle ich, denn die einen sind bereits Fans, feiern mehr oder weniger bedingungslos den Output rund um Vega und seine Freunde von Niemand, während die anderen nicht so ganz verstehen können, worin die Faszination der Gruppierung liegt. Da zweitere mit ziemlicher Sicherheit ohnehin nicht weiter lesen werden, können wir ja auch gleich beginnen:


    Seitdem ich denken kann, wollt' ich dieses Album schreiben/
    Besser als die Zukunft und besser als die alte Scheiße/

    (Vega auf "Intro")


    Das "Intro" startet auf einem ruhigen, sich langsam entwickelnden Beat mit lyrischem Blick in die Vergangenheit, der sich instrumentell wie auch stimmlich immer mehr zu einem dieser Vega-typischen monumentalen, vor Pathos nur so triefenden Opener entwickelt und schon mal klar zu machen scheint, wo "V" hinsteuern könnte: Nämlich in den altbekannten Hafen. Und ja, genau das macht Vega. Er folgt exakt dem Kurs, der ihn mit "Kaos" schon vor drei Jahren zur Chartspitze führte. Einige Songs kommen sogar wie Rekonstruktionen von Stücken des Vorgängeralbums daher. Aus "1312" wird "Ein Schluck" aus "Hip-Hop & Rap" wird "Was ihr wollt", aus "Kosmos" wird "Für Vinko" und aus "Ich will Raus mit dir" wird "Delorean". Was sich jetzt liest wie unausstehliche Langeweile, ist in der Praxis zum Glück bei weitem nicht so schlimm, denn die Tracks entpuppen sich mehr als Weiterentwicklung denn als Kopie.


    Ich schwör, ihr habt mein Herz gebrochen/
    Ich dachte wirklich, dass die Autos euch gehören, ihr Fotzen/

    (Vega auf "Unser Lied")


    "Für Vinko" behandelt auf extrem emotionale Art den Tod eines Familienmitglieds (ich vermute, der Schwiegervater) und birgt neben dem "Outro" einen von zwei Songs mit tatsächlichem Gänsehautpotential. Auch die Gute-Laune-Nummer "Was ihr wollt" weiß auf ihre ganz eigene Art und Weise zu überzeugen. Vegas Glanzmomente stellen aber auch auf diesem Album wieder die stimmungsgeladenen Battletracks dar: Die Randale-Hymne "Unser Lied" beinhaltet die wohl besten Lines der Platte, während es auf "Lass sie reden" den straightesten Casper Rap-Part der letzten Jahre zu bestaunen gilt. Negativ fällt vor allem die kürzlich veröffentlichte Single ins Auge: Der nach weichgespülter Radiotauglichkeit gierende Song "Delorean" samt Vega-Gesangseinlage in der Hook dürfte dem typischen FvN-Fan in etwa so viel Freude bereiten wie ein Montagsspiel der Eintracht auswärts. Die für das Beatgerüst verantwortlichen Timo Krämer, The Cratez und Johnny Illstrument pendeln sich irgendwo zwischen ruhigen Melodien und Monumentalfilmsoundtrack, zwischen Pianopassage und dumpf dröhnendem Bass, zwischen Radiokompatibilität und klassischem Straßenrap ein. Genau durch dieses Hin und Her gelingt es ihnen, das bisher abwechslungsreichste Vega-Album zu schaffen, auch wenn wohl nicht alle Fans glücklich damit sein werden.



    Fazit:
    Kaos 2? Ein Nachfolger soll "V" wohl definitiv sein und qualitativ stecken viele Songs das Vorgängeralbum locker in die Tasche. Leider wirkt das Konzept bestehend aus eine Hymne für die Stadt, eine Nummer fürs Radio, bisschen was Trauriges, bisschen was zum Randalieren und bloß nicht die Jungs vom Fußball vergessen, sonst könnte jemand sagen, man sei abgehoben, sehr konstruiert und stellenweise etwas gewollt. Dieser Umstand, gepaart mit einigen wenigen Tracks, die mir so gar nicht ins Ohr wollen, sorgen eben dafür, dass "V" trotz großartiger Produktionen, hochkarätiger Gastbeiträge und insgesamt einer soliden Leistung des Protagonisten zwar ein sehr gutes, aber eben nicht das bisher beste Vega-Album ist, was es aber durchaus hätte werden können.


    Eins noch: Auf "Delorean" kennt Vega den eigenen Vater nicht und nur wenige Minuten später schenkt er ihm dann plötzlich ein Auto. Außerdem gab es auf "Nero" doch dieses Lied, in dem die Plattensammlung des Vaters mehrfach thematisiert wird. Ja was denn nun, Vega?



    El-Patroni (David)


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    Ein Albumcover steht vor so vielen verschiedenen Aufgaben: Es soll das Interesse potentieller Käufer wecken, eventuell schon erahnen lassen, wie die Musik klingt und im besten Fall auch noch gut aussehen, wenn es denn gekauft und ins Regal gestellt wird. Ebenso vielfältig wie die Aufgaben sind auch die Möglichkeiten zur Gestaltung. Der Designer startet quasi vor einem weißen Blatt Papier und kann alles tun. Zeichnungen, Fotos, Effekte, Filter, Portraits, Landschaften, Schriftzüge, ... die Möglichkeiten sind endlos. Wer jedoch durch bekannte Deutschrap-Releaselisten scrollt, wird eher früher als später entdecken, dass immer wieder die selben Grundideen hinter den Artworks stehen. Hier möchte ich Euch eine Typologie der Coverarten liefern:


    Der Typ vor der Wand
    Kaum etwas steht schon seit den 90er Jahren sinnbildlicher für HipHop als die Graffitiwall. Aus dem tristen Grau der Großstadtghettos leuchten sie in sämtlichen Farben heraus und bilden Oasen der Kunst in einer sonst so deprimierenden Umgebung. Auf metaphorischer Ebene verkörpert nicht viel den Grundgedanken von HipHop mehr. Die perfekte Kulisse für ein Albumcover also. Leider hört die Kreativität meist bei den Sprayern auf und der Rapper beschränkt sich nur darauf, in möglichst cooler Pose (gerne auch rauchend) an dieser Wand zu lehnen, wie Gregpipe im angeführten Beispiel eindrucksvoll unter Beweis stellt.




    FÜRCHTET EUCH!

    Angst! Eine der stärksten Emotionen, die wir Menschen zu verspüren im Stande sind. Einige Rapper scheinen zu glauben, es wäre gut, den potentiellen neuen Fan aus dem CD-Regal bei Saturn heraus derart zu verängstigen, dass er gar nicht anders kann, als dem bloßen Überlebensinstinkt folgend das Album zu kaufen. Hier möchte ich Twin als Beispiel anführen: Der riesige tätowierte Muskelberg sitzt mit grimmigem Gesichtsausdruck und den Augen eines brünftigen Zuchtbullen an einem Holzisch. Die Hände zu Fäusten geballt, ein Messer im Bildmittelpunkt platziert und den Albumtitel in die Tischplatte geritzt. Bereit zu tun, was getan werden muss.



    Der Faule
    Schon als ich letztes Jahr die Review zu Musos Album Amarena schrieb, konnte ich nicht verstehen, was es mit diesem Cover auf sich hat: Lieblingsfarbe hin oder her, aber was hier passiert ist, schießt den Vogel nicht nur ab. Nein! Es holt ihn mit Flugabwehrgeschützen vom Himmel, taucht ihn komplett in mintgrünen Lack und fotografiert ihn im 200-fachen Zoom aus einem halben Meter Nähe. Ist das wirklich noch Kunst?




    Der Junge Mann und das Meer

    Ich kann verstehen, welche Faszination die schier endlosen Ozeane auf den Menschen ausüben. unendliche Weiten, unendliche Tiefen, unendliche Geschichten von alten Seefahrern und der Traum von der Freiheit. All das treibt Rapper immer wieder ins knietiefe Salzwasser und lässt sie dabei bemüht episch und freiheitsliebend mit dem nötigen Schuss Traurigkeit wirken. Ich hätte gern weniger Meer.



    Das Sample
    Seit jeher bilden Samples den Grundstein der Rapmusik und bis heute besteht so gut wie jedes Instrumental aus Schnipseln eines bereits existenten Songs. Dass dieses Prozedere auch im Coverartwork Einsatz findet, ist jedoch weit weniger bekannt. Während Eko Freshs Eksodus ganz offen dem Vorbild eines Michael Jackson Covers folgt, gibt es auch Rapper, die sich bei anderen Alben bedienen und einen weniger offenen Umgang damit pflegen. Bestes Beispiel hierfür scheint Morlockk Dilemma zu sein, der sich beim Cover zu "Circus Maximus" am Brasilianischen Sänger Erasmo Carlos bediente. Wohl in der Hoffnung, hierzulande würde niemand den Typ kennen. Dumm gelaufen, mein Herr … dumm gelaufen.



    Muskeln
    Ja, das ist Majoe. Und er trägt einen Büffel. Einen Büffel mit Banger Musik Brandzeichen. Lass ich mal so stehen.




    Besondere Erwähnung
    Das Cover zu "Die linke & die rechte Hand Gottes" von Snaga & Pillath ist wohl der beste ungewollte Witz der letzten Jahrzehnte. Je länger ich davor sitze und versuche zu verstehen, desto mehr Details fallen mir ins Auge. Der "goldene" Filter hätte dem Ganzen wohl einen BlingBling-Touch verleihen sollen, lässt es aber im Endeffekt wirken, als hätte die CD jahrelang in der Sonne gelegen. Das & Symbol kann nur mit viel gutem Willen als solches identifiziert werden und nicht zu vergessen: das Spruchband. Was soll das? Jeder 9-Jährige mit Microsoft Paint hätte diese Standard-Schriftart (ich vermute, es ist Arial) in leichtem Bogen einfügen können. Abschließend bleibt nur noch eine Frage: Wen ruft Pillath da an? Hoffentlich einen anderen Grafikdesigner.




    El-Patroni (David)


    01. 100.000 Fans
    02. Sunny Driveby
    03. Gold
    04. Mafioso
    05. Berghain
    06. Kate Moss
    07. Bahama Mama
    08. Serienmodell
    09. Bitches
    10. Haubi
    11. Monacco
    12. American Dream


    Deutschraps Most Working Woman! In den letzten Jahren jagte ein Haiyti-Video das andere; die Frau schien keine Pausen zu brauchen und pumpte mit schockierender Regelmäßigkeit qualitativ hochwertige Songs in die Welt hinaus. Das ungewohnte Soundbild, die Ästhetik der Videos und eine Stimme, die Diskussionen lostrat, wie man sie Jahre zuvor bei Morlockk Dilemma schon geführt hatte, sorgten dafür, dass praktisch jeder Szenekenner von der Existenz der Hamburgerin mitbekommen hat. Kurz gesagt: Der Hype wurde größer und größer, die Anzahl von Fans wie Hatern stieg exponentiell an und so war es nur eine Frage der Zeit, bis Haiyti mit ihrem ersten großen Release an den Start gehen würde:


    Komm, ich kippe dir einen ein/
    Drogendeals und Schlägerei/
    Ich hab' vieles schon gesehen/
    Doch wünschen tu' ich's keinem/

    (Haiyti auf "Haubi")


    Straßenhustle, schwärmen für die kleinen Freuden des Lebens, aber auch hin und wieder durchblitzende bittere Gesellschaftskritik geben sich in immer kürzer werdenden Abständen die Staffelstäbe weiter, dass es sich nach etwa einer halben Stunde schon anfühlt, als stünde man inmitten eines unüberschaubaren Pfeilhagels. Inhaltlich scheint es kaum möglich "Montenegro Zero" in eine Schublade oder auch nur in eine Kommode zu stecken: Haiyti fabriziert die Kombination aus dem besten ihrer letzten Releases, streut auch ihr Ganster-Alter Ego Robbery immer wieder ein und lässt es schlussendlich so zusammenfließen, dass ein undefinierbares, nicht einzuordnendes, mal pathetisches, mal ganz zwanglos wirkendes großes Ganzes entsteht. Hinter jedem Song der Platte verbirgt sich mehr als auf den ersten Blick erwartet, was vor allem klar wird, wenn zwischen den beiden eigentlich sehr simplen und den Lifestyle der finanziellen Elite mit leicht kritischem Unterton verherrlichenden Nummern Serienmodell und Monacco der triste Alltag am Hautbahnhof zum Thema gemacht wird. Hut ab für diese Anordnung der Songs.


    Sage alles ab, hab' mein'n Bodyguad/
    Schreibe einen Part, feier' mit den Stars/
    Alles elegant, Gala, weißer Sand/
    Millis auf der Bank, Brillies an der Hand/

    (Haiyti auf "Monacco")


    Haiyti treibt ihren Stil auf "Montenegro Zero" auf die Spitze: Den Hörer erwartet mehr melodischer Singsang als man bisher von ihr gewohnt ist, jedoch im Kontrast dazu auch Passagen, auf denen lauter, schriller und unangenehmer gekreischt wird als je zuvor. All das untermauert von einem Beatgerüst, das in seiner Einzigartigkeit und durch die Innovativen Ideen zu begeistern weiß. Hier mischen sich diverse Genres durcheinander und der leicht poppige Sound, den man schon immer vereinzelt auf Haiyti-Releases finden konnte, nimmt diesmal einen wesentlich größeren Bestandteil ein, als es bisher der Fall war. Die Instrumentals aus dem Hause KitschKrieg vermischen Trap, Pop und Dancehall mit fast schon kitschigen RnB Elementen, ohne zu irgendeiner Zeit deplatziert oder unharmonisch zu wirken und auch wenn es jetzt vielleicht so klingen mag, haben die Beats kaum etwas mit aktuellen Szenetrends wie Afrotrap zu tun.


    Ich bin in der Trap, du in der Laubfalle/
    Geh mal bitte weg, ich muss was aushandeln/
    Ihr seid alle nichts und müsst den Baus fragen/
    Jeder weiß: wenn ich komm', wird es ausarten/
    Weil ich viel lieber in Geld statt in Schaum bade/
    Du findest keinen Cent in meinem Bauchladen/
    Du gibst alles zu, wenn wir dich ausfragen/
    Weil die Jungs, mit den' ich hänge, lieber drauf schlagen/

    (Haiyti auf "Mafioso")


    Fazit:
    In jedem Freundeskreis gibt es sie: Die Frau, die ihre männlichen Kollegen unter den Tisch trinkt, beim all you can eat Buffet mithält und sich meist so daneben benimmt, dass alle früher oder später ausblenden, dass sie es hier mit einer Frau zu tun haben. Neben all dem Sookeehaften Zeigefingerfeminismus, bei dem man sich als Mann fast schon genötigt fühlt, sich selbst für seinen Penis zu hassen, bildet Haiyti nicht nur die Speerspitze, sondern fast schon den halben Speer von unpeinlichem Deutschrap mit weiblicher Identität. "Montenegro Zero" zu bewerten, fällt tatsächlich etwas schwer. Die Suche nach klassischem Hörgenuss fällt, zwischen all dem Gekreische und den halligen Effekten auf der Stimme, eher erfolglos aus, dafür macht es einfach Spaß, den innovativen Soundentwürfen zu lauschen und zu versuchen, das Konzept oder einfach die Idee hinter dem Album zu verstehen, während Haiyti die Erwartungshaltung der Hörer ein ums andere Mal über den Haufen wirft.



    El-Patroni (David)


    [redbew]2333[/redbew]


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    01. Dr. Schlingensief
    02. Eine Nacht Fuer Niemand
    03. Carhartt Depression
    feat. Prezident
    04. Otaku Shore
    05. Silke Bischoff Deluxe
    06. Puaka Starlight
    07. Die Nacht Der Langen Messer
    feat. Yaesyaoh
    08. Aldi Und Das Meer
    09. Fuchur
    10. Fuchur 2
    feat. Koljah
    11. Think About Mutation
    12. Zu Kalt
    13. Strassentechno

    14. Ende


    Künstler nach Likezahlen zu beurteilen ist in der HipHop-Szene bei weitem nicht der richtige Weg. Der Umstand, dass ein Reimfetischist im Schwammkostüm ohne nennenswerte Begabung auf die halbe Million zumarschiert, während Ausnahmetalente sich häufig mit Bruchteilen dessen zufrieden geben müssen, kann sinnbildlich für die gesamte Szene genannt werden. Auch wenn ich mich an diesen Umstand längst gewöhnt habe und mein Interesse an der Thematik sich in Grenzen hält, ist und bleibt es eine einzige Katastrophe, wenn ein großartiger Rapper wie Destroy Degenhardt sein Dasein im vierstelligen Likebereich fristet und sein Schaffen demnach von viel zu wenigen wahrgenommen wird. Ein wichtiger Aspekt der Arbeit eines Musikredakteurs sollte es deshalb auch sein, den Lesern solche unbeachteten Ausnahmemusiker näher zu bringen:


    Ich will die Kratzer von Tim Burton ich will Yelawolfs Gesicht/
    Und meine erste warme Nacht mit Sierra Kidd/
    Ich will den Style von Shacke One vs die goldenen Zitronen/
    Ich will die Mädchen mit den Narben und die Jungs mit den Drogen/

    (Destroy Degenhardt auf "Dr. Schlingensief")


    Wo fangen wir am besten an? Natürlich am Anfang! "Dr. Schlingensief" eröffnet "Das Handbuch des Giftmischers" direkt mit einem der stärksten Lieder des gesamten Albums: Die ersten 35 Sekunden bestehend aus dem ruhigen, fast schon einschläfernden Instrumental und akustisch langgezogenen Betonungen des Rappers wirken wie eines von vielen profillosen Intros, die Stimmung für das kommende Album aufbauen wollen, dies aber nicht schaffen. Wer allerdings der Versuchung zu skippen widersteht, wird belohnt, denn was nach etwas mehr als einer halben Minute der Langeweile folgt und einsetzt, sobald der Beat schneller wird, ist ganz einfach großartig. Degenhardt fasst mit energiegeladenen Rapparts quasi zusammen, was den Hörer thematisch in den nächsten 50 Minuten erwartet. Genauso muss man ein Album eröffnen, um Lust auf mehr zu machen. Und diese Lust wird auf "Das Handbuch des Giftmischers" voll und ganz befriedigt. Ob nun das sanft dahinplätschernde, leicht psychedelisch anmutende "Eine Nacht für Niemand", der klassische HipHop-Beat auf "Die Nacht der langen Messer", oder das elektronisch verzerrte und bassgewaltige Beatgerüst von "Think about Mutation" und "Straßentechno"; jedes Instrumental weiß in seiner Einzigartigkeit auf ganzer Linie zu überzeugen, fügt sich aber auch im Albumkontext perfekt zu einem großen Ganzen zusammen.


    Es funktioniert nicht vor und auf der Bühne mit und ohne Bier/
    Es funktioniert nicht. So lange es nicht glänzt und explodiert/

    (Destroy Degenhardt auf "Fuchur")


    Bei all dem Schwärmen für die Beats ist und bleibt der Star auf "Das Handbuch des Giftmischers" aber immer noch Destroy Degenhardt, der mal aufbrausend auf den Takt einhämmert, nur um im nächsten Track mit schleppendem Flow langsam aber beharrlich übers Instrumental zu gleiten. Thematisch ist die Platte bei weitem keine leichte Kost: Der Protagonist erzählt von Sex, Alkohol, Drogen und den daraus resultierenden Suchtproblemen, er berichtet aus dem Leben eines gesellschaftlichen Außenseiters und Misanthropen, wobei sehr gut aufgezeigt wird, wie das eine zum anderen führte, allerdings wird bis zum Ende hin nicht wirklich ersichtlich, was von beidem nun zuerst da war. Was beim Zuhören allerdings schnell auffällt, ist die Tatsache, dass Degenhardt zu keiner Sekunde bemüht wirkt, sich selbst gut darzustellen oder in ein besseres Licht zu rücken. Vielmehr kommt er so schonungslos ehrlich wie nur sehr wenige Musiker der aktuellen Zeit und scheint sich mit all seinen Eigenarten und persönlichen Schwachpunkten gut arrangiert zu haben. So entstehen die größten Gänsehautmomente, wenn der suchtkranke, psychisch labil wirkende, menschenhassende gesellschaftliche Außenseiter eher unterschwellig beschreibt, wie er das Schöne in den kleinen Dingen des Lebens erkennt, was bei all der negativen und bedrückenden Stimmung fast schon einen Hauch von Kitsch versprüht. Degenhardts Stimme, die wie ein Hybrid aus Desinteresse, leichter Resignation und purer Verachtung anmutet, unterstreicht diese Themenpalette und verleiht dem gesamten Release erst die Stimmung, die nötig ist, um sich voll und ganz hineinzuversetzen.


    Ich hab' 'ne Mondscheinterrasse und mehr Spielzeug als früher/
    Chronisch zerkratzte Stimme. Alle Kinder sind Lügner/
    Bier trinken, Hirn ficken – alles was bleibt/
    Meine Plattensammlung wächst, mein Menschenhass steigt/

    ("Destroy Degenhardt" auf Straßentechno)


    Fazit:
    Degenhardt scheint seit seiner Kindheit in einer Außenseiterrolle zu leben, beschreibt auf dem Album, wie es sich anfühlt, lässt aber auch durchklingen, dass er mit dieser Situation mittlerweile sehr gut umgehen kann und auch seine persönlichen Vorteile daraus zieht. "Das Handbuch des Giftmischers" durchbricht die Hörgewohnheiten klassischer Rapfans ein ums andere Mal durch eigenwillige Songstruktur, unkonventionelle Reimschemata, teilweise sogar den Verzicht auf einen Reim und die gewöhnungsbedürftige Sampleauswahl. Krachende Beatelemente, akustische Ausreißer und teilweise unangenehmes Heben der Stimme reißen den Hörer immer wieder aus dem semikomatösen Zustand, in den man sich gerne beim Musikhören begibt und zwingen, bei den häufig sehr unangenehmen Lyrics zuzuhören, auch wenn es manchmal weh tut.


    Das wird dann wohl diese Kunst sein, von der immer alle reden.



    El-Patroni (David)


    [redbew]2289[/redbew]


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    01. Intro
    02. Knöcheltief
    feat. Gzuz
    03. Grauer Beton
    04. Billie Holiday
    05. Dumplin & Callaloo
    06. GottSeiDank
    feat. Bonez MC & RAF Camora
    07. Nur Noch Einen feat. Joey Bargeld & Haiyti
    08. New York
    09. Fast Forward
    feat. Marteria
    10. Geh Ran


    Manche lesen gerne austauschbare Einleitungen, die mit den Eckdaten zum Künstler vollgepackt werden. Hier bitte – für Euch: https://de.wikipedia.org/wiki/Trettmann


    Hallo! Ich heiße David und bin alles andere als ein Fan von Trettmann. Auf "Palmen aus Plastik" skippe ich den Vaporizer Song jedes einzelne Mal und in meiner letzten Review habe ich noch die Frage gestellt, warum eigentlich jeder ein Feature mit dem Typ will. Eine Ansammlung eigenartiger Zufälle führte nun aber dennoch dazu, dass mir sein neuestes Werk zugespielt wurde und ich war innerlich schon bereit, mich gehörig über den nächsten langweiligen Autotuneaffen aufzuregen, der nur dem Trend hinterherhechelt:


    "Ja geht schon klar das Album. Ich hörs morgen nochmal." So oder so ähnlich waren meine Gedanken nach dem ersten Durchgang der neuen Trettmann-Platte. An besagtem "Morgen" starte ich das Album erneut und erkenne urplötzlich, was mir hier auf die Ohren drückt: ein einziges musikalisches Wunder! Was ich beim ersten mal Hören noch als soliden Trap mit Gesangseinlagen und viel Effekt auf der Stimme abgetan hatte, ergibt nun in meinem Kopf einen ganz anderen Kontext. Hinsichtlich der Produktionen kombiniert KitschKrieg Rhythmen, die eher an ältere Jazzsongs erinnern. Allerdings werden diese Melodien mit synthbasierten Elementen und eindringlichen Drums gespielt, die man als solches sonst hauptsächlich aus dem Bereich des Trap kennt. Dies wird noch mit unglaublicher Souveränität mit der aktuellsten Interpretation von Dancehallmusik kombiniert, wodurch ein Soundkonstrukt entsteht, welches ich so noch nie gehört habe. Trotz vieler mutiger Produktionen und teils völlig neuer Wege, scheint den KitschKrieg-Verantwortlichen aber doch der Mut gefehlt zu haben #DIY komplett ohne Afrotrap-Nummer zu releasen, weshalb das Album phasenweise dann doch mehr der aktuellen Trendwelle entspricht, als es sein müsste. Nichtsdestotrotz zählt ein Großteil der Produktionen auf #DIY zu den spannendsten Dingen des bisherigen Deutschrap-Jahres und ich würde meinen linken großen Zeh darauf verwetten, dass wir spätestens im Frühjahr 2018 massenhaft schwache Abkupferungen der Platte am Markt finden werden.


    Gestern haben sie es noch belächelt/
    Heute hab'n es alle aufm Zettel/
    Neuer Tag, neues Glück, neues Level/
    Stell' mein Licht unter keinen Scheffel/

    (Trettmann auf "Knöcheltief")


    Auf lyrischer Ebene hat es erst den Anschein, Trettmann würde keine ausgiebigen Geschichten formulieren, sondern einfach nur mit einzelnen Satzteilen um sich werfen. Eigentlich tut er genau das auch, jedoch greifen diese ähnlich wie Puzzleteile ineinander, erzeugen Schritt für Schritt immer mehr inhaltliche Tiefe und ergeben bei genauem Zuhören dann ganz plötzlich Sinn. Trettmann präsentiert die in einer Mischung aus Autotune und war-das-jetzt-Autotune-oder-seine-echte-Stimme vorgetragenen Themen derart authentisch, dass sich manch ein Straßenrapper, dem niemand auch nur ein Wort glaubt, gerne mal eine Scheibe abschneidet. Ob Trettmann nun auf "Grauer Beton" die Vergangenheit revue passieren lässt oder gemeinsam mit seinen Palmen-aus-Plastik-Freunden Bonez und RAF den eigenen Erfolg feiert, sein Erzählstil weiß einfach zu überzeugen. Auch die Gastbeiträge können sich sehen lassen: Während Marteria sich dem Stil von Trettmann völlig unterordnet und zumindest versucht, durch starke Reimpattern zu überzeugen, machen Hayiti, GZUZ und die eben erwähnten Bonez und RAF ganz genau das, wofür ihre Fans sie lieben, was ihnen gelingt, ohne dabei mit dem Stil des Albums zu brechen.


    Fazit:
    In meinem Fazit möchte ich mich ähnlich kurz fassen, wie in meiner Einleitung: #DIY ist mit Sicherheit eines der spannendsten Alben 2017. Jedem wird das Autotune-geschwängerte Dancehall/Trap-Experiment bestimmt nicht zusagen, aber dass die Platte nachhaltigen Einfluss auf Deutschrap haben wird, halte ich für eine unumstößliche Tatsache. Die Idee aus den Elementen eines klassichen Trap-Beats durch neue Melodien und eigenwilliges Arrangement etwas vollkommen Eigenes zu zimmern, ist ebenso simpel wie genial und wurde hier derart gut umgesetzt, dass die Nachahmer der kommenden Monate es bestimmt verdammt schwer haben werden. Wer beim ersten Durchlauf nicht sonderlich begeistert ist, dem möchte ich abschließend aus tiefstem Herzen empfehlen, #DIY noch eine Chance zu geben, denn wenn es Liebe auf den zweiten Blick gibt, ist es bei mir auf jeden Fall diese Platte.



    El-Patroni (David)


    [redbew]2287[/redbew]


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    01. 1994
    02. Loco
    feat. Xatar
    03. Tresi feat. Luciano
    04. 38 feat. Gringo66 & Gzuz
    05. Glitz&Glamour feat. Trettmann
    06. Heimgehen feat. Bausa
    07. Lila Regen
    08. Bis um 4
    feat. Ace Tee
    09. 6Lita feat. Maxwell
    10. Kodex
    11. Canim (Skit)
    12. VVV


    Dem alten Stil treu bleiben und doch mit der Zeit gehen, die bestehenden Fans halten und gleichzeitig neue Hörer generieren, die eigene Musik weiterentwickeln, ohne dabei jedem Trend hinterher zu hecheln. Eben diese Punkte scheinen es zu sein, die dem geneigten deutschen Rapper heutzutage schlaflose Nächte bereiten, da von Anfang an klar ist: Man kann es nicht jedem recht machen. Bringt Rapper X zum fünften Mal dasselbe Album heraus, wird man ihm mangelnde Kreativität und Angst vor Veränderung vorwerfen, während jene Rapper, die ihren Stil ändern, nur zu gerne als geldgierige Kommerzschweine abgestempelt werden und man ihnen Verrat an den treuen Fans vorwirft. Jemand, dem die Stilwandlung ohne große Skandale gelang, ist AoN-Signing Kalim: Dieser inszenierte sich auf seinem Mixtape "6 Kronen" im Jahr 2014 noch als eine Art kleiner SSIO. Nicht als billige Kopie, viel mehr präsentierte er seine eigene Interpretation des Kanacken-BoomBap, die durchaus das Potential innehatte, etwas Großes zu werden. Dementsprechend prophezeiten Szenekenner dem jungen Hamburger eine rosige Zukunft. Mit "Odyssee 579" folgte im letzten Jahr nicht nur das erste richtige Album, sondern auch besagte Stiländerung: G-Funk-Einfluss und BoomBap-Flavor wichen Trapbeats und modernerem Soundbild. Dies fand bei vielen Fans Anklang und die Stimmen der Unzufriedenheit traten eher ruhig und nur vereinzelt auf. Mit "Thronfolger" steht nun ein neues Release ins Haus und man darf gespannt sein, was uns erwartet:


    Herzlich willkomm'n in der Stadt, wo ich leb'/
    Digga, dunkle Gestalten und rote Latern'n/
    Sag, was du brauchst, ich hab' Kapazität/
    A-Qualität, ich muss Kohle vermehr'n/

    (Kalim auf "Tresi")


    Inhaltlich lässt sich "Thronfolger" als guter Straßenrap zusammenfassen: Die Themenpalette behandelt in erster Linie Erfahrungsberichte vom Leben im Problembezirk, Drogengeschäften und Loyalität. Kalim verkörpert dies auf ziemlich authentische Art und schafft durch seinen Erzählstil den ein oder anderen stimmungsvollen Moment. Soundtechnisch hört man, wenn man "Thronfolger" anmacht, ein Trap-Album. Langsam wirkt es, als würde in jedem Tonstudio Deutschlands eine Trap-Album-Checkliste rumliegen, auf der die Rapper einfach nur noch abhaken. Zum Glück versucht Kalim an einigen Stellen, dieses Schema zumindest kurz aufzubrechen: Während "Tresi" durch schnellen Beat und aggressiven Flow wie auch Stimmeinsatz in die drückende Straßenrap-Richtung geht, plätschert "Glitz&Glamour" in all seiner cloudraphaften Profillosigkeit einfach nur vor sich hin und macht das Album länger, aber keineswegs besser. Anders verhält es sich da mit zwei anderen Liedern: Einerseits "Loco", der durch Drumset und Rhythmus an einen BoomBap-Song erinnert, jedoch von Trap-typischen Effekten unterlegt wie ein Hybrid der letzten beiden Kalim-Releases anmutet und auch direkt mein persönliches Highlight auf "Thronfolger" darstellt. Außerdem ist da noch "Bis um 4", ein entspannter 90er-Jahre-Beat inklusive Biggie-Referenz, Ace.Tee-Feature und dem Potential, auf Radio Los Santos zu laufen, der das Album gehörig auflockert und an der richtigen Stelle Abwechslung in den ansonsten immer weitgehend ähnlichen Trapsound bringt. Mit der Frage, warum man diesen Weg nicht weiter marschieren konnte, sondern ansonsten die uninspirierte Trapkeule schwingen musste, fühle ich mich nun leider alleine gelassen. Ich höre "Thronfolger" nochmals durch und freue mich bereits vorab auf die Anspielstationen 2 und 8. Nebenbei kämpfe ich gegen den Drang an, die musikalisch eher langweilige Mitte des Albums zu skippen, einfach weil das Einzige, das mir von den Liedern dort in Erinnerung bleibt, die namhafte Featureliste ist.


    Du würdest große Augen machen, könnten diese Wände sprechen/
    Auf dem Weg zum lila Batzen folgt 'n gelber Zettel/

    (Kalim auf "VVV")

    Fazit:

    Wie hat mir "Thronfolger" gefallen? Schwer zu sagen. Einerseits finden sich ziemlich langweilige Passagen und schablonenhafte Trapinstrumentals, die in meinen Augen keinerlei Mehrwert innehaben und das Anhören der Platte zu einem zähen Prozess werden lassen. Andererseits unterhalten mich das stimmungsvolle Intro, die gelungenen Gastbeiträge von GZUZ, Bausa und Xatar sowie die beiden musikalisch abwechslungsreicheren Songs "Loco" und "Bis um 4". Auch sonst ist "Thronfolger" ein grundsolides Trapalbum und wird jeden glücklich machen, der einfach nur ein grundsolides Trapalbum hören will und dafür bereit ist, eben den ein oder anderen Track zu skippen.


    P.S.: Bevor mir in den Kommentaren gleich alle erklären, wie falsch ich doch liege, erklärt mir lieber, warum auf gefühlt jedes zweite Album dieses Jahr ein Trettmann-Feature gepackt wird. Ich verstehe es nämlich nicht.



    El-Patroni (David)


    [redbew]2281[/redbew]


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    Es ist 2017 und die HipHop-Welt hat immer noch nicht einstimmig den besten Rapper der Welt wählen können – natürlich ist das auch gut so. Das Problem bei dem Ganzen ist nämlich, dass es kein einziges objektives Kriterium gibt, anhand dessen man den "besten" bestimmen könnte – wer der beste ist, ist hochsubjektiv, damit müssen wir uns auch in Zeiten des Silbenzählens abfinden. Daher wollen wir einen kleinen Ein- oder Überblick über die vielseitigen Facetten des Fanseins und des Raps in 2017 geben und deswegen werden einzelne Mitglieder der Redaktion ihren Lieblingsrapper vorstellen; absolut subjektiv, ohne auf Dauer angelegt zu sein und voller Fanboytum. Viel Spaß!



    Heute möchte ich Euch von einem Mann erzählen, der objektiv betrachtet bestimmt nicht der beste Rapper ist. In ihm finden wir auch weder den innovativsten Musiker noch eine Offenbarung auf lyrischer Ebene, sondern schlicht und einfach den coolsten Typ auf Gottes grüner Erde. Die Rede ist von einem der wenigen Gründe, sich mit Rap-Kanada zu befassen: Madchild! Von vielen großen Männern haben wir bisher in dieser Artikelreihe gelesen. Ihrer Zeit voraus sollen sie alle sein, musikalische Genies und kommerzielle Erfolgsgaranten; dennoch können sie in puncto Ausstrahlung oder schlicht und ergreifend Coolness nicht ansatzweise mit dem "maniacal dwarf" aus der kanadischen Hauptstadt mithalten.


    Yeah I'm tattooed up like I'm a Yakuza/
    But I'm a dope sick whiteboy from Vancouver/

    (Madchild auf "hurt that man")


    Madchild bereichert seit Ende der 90er Jahre die Rapszene als Teil der Crew Swollen Members, die auf einen beeindruckenden Katalog von zehn Alben sowie ein Greatest-Hits-Release zurückblicken kann. Neben Madchild selbst zählen auch Rob the Viking und Prevail sowie auf den ersten Alben noch Moka Only zur Crew, die als Flaggschiff ihres eigenen Labels Battle Axe Records fungiert. Zwar gelang den Swollen Members nie der große kommerzielle Durchbruch, aber bis heute werden sie auch außerhalb Kanadas oft als Geheimtipp gehandelt. Dort stach seine helle Stimme (die meinen Schwager veranlasste, zu fragen, welcher Cypress-Hill-Song das denn gerade wäre) von Beginn an heraus und rückte den Rapper, der widersprüchlichen Google-Ergebnissen nach zwischen 1,50 m und 1,68 m groß sein soll (also definitiv verdammt klein) von Anfang an gegenüber seiner Kollegen ins Rampenlicht. Madchild hat alles, was ein guter Rapper auf dem Papier braucht: Neben seinem großartigen Beatgeschmack und einer unverkennbaren Begabung, diese auch hervorragend zu berappen, wartet er mit solider Reimtechnik und natürlich reichlich Erfahrung auf. All das braucht der Kanadier wohl auch, denn sonst könnte er kaum derart selbstbewusst auftreten. Trotz seiner geringen Körpergröße scheint es im Hause Madchild nämlich kein bisschen an Selbstvertrauen zu mangeln und so präsentiert er sich auf einer Vielzahl seiner Songs als verrückter, durchtrainierter, Frauenherzen-brechender Comic-Nerd mit Drogenvergangenheit, Gesichtstattoos und zwielichtigem Freundeskreis. Wer es schafft, dieses Image zu verkörpern, dabei Jeanshemden zu tragen und dennoch zu keiner Sekunde lächerlich oder unauthentisch zu wirken, hat schlicht und ergreifend unser aller Respekt verdient.


    [YOUTUBE]FOdHSPfb4IY[/YOUTUBE]


    I leave 'em fuckin' mortified, dog, I terrorize/
    My rhymes are more than fuckin' clean – they're sterilized/
    Sometimes I lean so hard I need a kickstand/
    I wrestle alligators and I dance on quicksand/
    I call a rapper Tin Man cause he got no heart/
    Each line's an arrow dipped in poison from a blow dart/

    (Madchild auf "Grenade Launcher")


    In seinen Texten gibt er sich überraschend vielseitig: Neben der Verkörperung des White-Trash-Klischees thematisiert er auch gerne mal seine Verbindung zu Bikergangs und die eigene intensive Drogenvergangenheit, schwärmt für seine Tattoos und seinen Hund("Lola got a Gucci travelbag"), beweihräuchert sich nach feinster Rappermanier natürlich auch ausgiebigst selbst und macht auf Songs wie "Monster" seiner Abneigung gegenüber dem Hipstertum Luft. Madchild kann aber auch anders, schafft die größten Gänsehautmomente mit Erzählungen von inhaftierten Freunden und der verlorenen Ersten Liebe und selbst, wenn er ganz nüchtern ausrechnet, wie viel Geld er an seine Drogensucht verloren hat, erzeugt er unfassbar mitreißende wie stimmungsgeladene Passagen, die noch lange nach Abklingen der Lieder nachwirken. Ob er nun auf "Judgement Day" seine Vergangenheit reflektiert oder auf "Painful Skies" über verlorene Freundschaften nachdenkt, der Mann hat verstanden, wie man in solchen Liedern performen muss. Trotz solcher atmosphärisch einzigartiger Phasen leben Madchild-Alben von Madchilds Stimme, Humor und Persönlichkeit und selbst die stumpfesten Lines á la "call me a Motherfucker 'cause I fuck your mother" ("Dickhead") weiß der kleine Kanadier so zu betonen und zu platzieren, dass sie nicht im Ansatz so lächerlich und einfallslos wirken, wie sie es eigentlich sollten. All dies kombiniert mit einem vor Selbstsicherheit und Power strotzenden auftreten – wie man es 2015 auf der KOTD-Bühne bewundern durfte, als Madchild einen 30cm größeren, in Gold gekleideten, dunkelhäutigen Riesen im Battle vorführte wie einen 12-jährigen Schuljungen – ergibt ein kaum zu beschreibendes, wenn auch nicht mal 1,70m großes Monument an Ausstrahlung und Charisma. Warum muss man denn auch immer versuchen, seiner Zeit voraus zu sein, wenn man alternativ auch einfach der coolste Typ im Hier und Jetzt sein könnte?


    I got power in my cock/
    You got flowers on your sock/

    (Madchild auf "Creatures of evil")


    [YOUTUBE]2B38_6XA1rg[/YOUTUBE]


    El-Patroni (David)


    01. Neubeginn
    02. BGMB
    03. Aus dem Refugium
    04. Mehr Licht
    05. An alle Engel
    06. M zum O
    07. You Remember
    08. Momomomomosespelham
    09. Cococococostameronianakis (Skit)
    10. Meine Heimat
    11. Geheime Welt
    12. Wir sind eins (Sagt ihr)


    Ob man seine Musik nun kennt oder nicht, seinen Namen hat ausnahmslos jeder HipHop-Fan schon mal am Rande mitbekommen. Moses Pelham, Urvater des Straßenrap, Basketballtrainer von Azad, Kopf hinter Glashaus, ehemals Mitverdiener bei Xavier Naidoo … die Liste ist lang. Eventuell sogar länger als die sicherlich monströse Zahl auf dem Konto des Frankfurter Urgesteins. Moses ist schon lange dabei, so lange, dass ich beim Release seines ersten Albums etwa so alt war, wie meine eigene Tochter heute ist und ob man ihn nun als Solorapper, als Teil des "Rödelheim Hartreim Projekt", als Labelboss von 3P oder einfach als Typ, der Stefan Raab die Nase gebrochen hat, kennt, gewissen Respekt kann man dem Mann mit bald 30 Jahren Rap-Erfahrung einfach nicht verwehren. Aber auf ins Hier und Jetzt und zum aktuellen Album "Herz":


    Rödelheimer Land-, Ecke Kleemannstraße/
    Ist, wo der Shit hier begann, sollte jemand fragen/

    (Moses Pelham auf "You Remember")


    Bereits mit seiner "Geteiltes Leid"-Trilogie hatte Moses Pelham eindrucksvoll bewiesen, dass er im Stande ist, Lieder zu schreiben, die es schaffen, durch die Kombination aus Instrumental, Text und der markanten Stimme des Rappers beinahe jeden Hörer in melancholische Stimmung zu versetzen und etwas ähnliches gelingt ihm auch auf "Herz": Mag sein, dass "You Remember" eher auf den Nostalgiefaktor setzt und Leute, die zum ersten Mal ein Moses Pelham-Album hören, wohl auch nicht verstehen werden, was ich jetzt sage, aber ich feiere den Song – ich feiere ihn sogar so sehr, dass ich ihn seit Wochen jeden Tag höre. Von der ersten bis zur letzten Sekunde stimmt auf "You Remember" einfach alles, laufend finden sich Anspielungen auf ältere Tracks und Alben von Moses und bei der Zeile "Viele sahen die miesen Posen und Kleidung und hielten meine Liebe für 'ne Modeerscheinung" fühle ich mich an eine Zeit erinnert, in der Rap alles andere als in der Gesellschaft akzeptiert war, wir aufgrund unseres zugegeben eher peinlichen Kleidungsstils schon von weitem erkannt wurden und gefühlt jeder zweite behauptete "das ist doch keine Musik". Ja, ich merke beim Schreiben selbst, dass der Song mit seinem ruhigen Pianobeat bei mir mehr auf den Nostalgienerv einhämmert als sonst wo und ich ihn wohl aus denselben Gründen mag, aus denen mein Vater den Film Spartacus (1960) liebt, aber das wird mich bestimmt nicht daran hindern, ihn weiterhin fast täglich zu hören.


    Dann kommen Phrasen, so wie diese und du weißt es Mo/
    Brauch' nicht schlagen oder schießen, ich schreib' die tot/
    Der Alte bleibt beharrlich, ihr Banausen, blödes Pack, Punks/
    Ich halte von ihnen gar nichts, außer höchstens Abstand/

    (Moses Pelham auf "Neubeginn")


    Generell lässt sich sagen, dass Moses viele Dinge auf "Herz" richtig macht. Neben meinem bereits erwähnten Lieblingssong auf der Platte schlagen auch "Mehr Licht", "An alle Engel", "Meine Heimat" und "Geheime Welt" eine melancholische Richtung ein, während "Neubeginn" auf seine eigene phasenweise ruhige, aber immer höchst epische Art und Weise das Album als simpler Representertrack eröffnet. Auf dem mit einem treibenden, bassgewaltigen Beat unterlegten "BGMB" (was für "bitte gib mir bös'" steht – ja, wirklich) samt großartigem Video zeigt Moses dann auch noch in der Bridge, dass in ihm zumindest ein solider Sänger schlummert. Neben dem Gesang des Protagonisten finden sich einige musikalische Experimente, die manchmal optimale Abwechslung in die Platte bringen und ein anderes Mal einfach nur peinlich, deplatziert und gewollt wirken, wie zum Beispiel auf dem E-Gitarren-was-zum-fick "M zum O". Ich denke, exakt so klingt akustischer Hodenkrebs und ich frage mich, wie die Stimmung bei mir so schnell ins Negative kippe konnte. Ähnlich verhält es sich mit dem wohl fragwürdigsten Track auf "Herz": Gute-Laune-Gitarren und noch-bessere-Laune-Kinderchor finden mit seichten Lyrics und Gospelmelodie den Kopfschüttelhöhepunkt des Releases, bis man erkennt, dass die Nummer wohl als Seitenhieb an ganz bestimmte Entwicklungen bei Szenekollegen gedacht ist – hoffe ich zumindest, denn sollte der Song ernst gemeint sein, muss etwas im Hause Pelham gewaltig falsch gelaufen sein.


    Fazit:
    Wer hätte gedacht, dass ein Mann von fast 50 Jahren im Stande ist, ein vernünftiges Deutschrap-Album zu veröffentlichen? "Herz" lässt sich als Ansammlung stilistisch unterschiedlicher, weitestgehend gelungener Songs zusammenfassen, bietet den Hörern viel Abwechslung und findet die Höhepunkte in einigen atmosphärisch überragenden Liedern. Ob jemand, der zum ersten Mal ein Moses Pelham-Album hört, "Herz" auch gut finden wird, kann ich an dieser Stelle einfach nicht sagen, aber der stärkste Song der Platte funktioniert definitiv nur dann, wen man sich mit der Historie des Rappers ein weinig beschäftigt hat. Die Totalausfälle "M zum O" und "Momomomomosespelham" sowie das für mich persönlich zu häufige Erwähnen von Gott und allem, was dazu gehört, trüben den Hörgenuss leider doch ein ganzes Stück, aber man muss ja auch nicht jeden Song in seine Playlist aufnehmen.



    El-Patroni (David)


    [redbew]2274[/redbew]


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    01. Hype
    02. Standing
    03. Zenit
    04. Slowmotion
    05. Alles VVS
    06. Flex’n
    07. Mir gehört die Nacht
    08. Gang für immer
    feat. Remoe
    09. Coogi feat. Mortel
    10. Sollte so sein feat. Mortel
    11. Makellos
    12. Lebron
    13. On/Off Beziehung
    14. Regen
    15. Paradies
    16. Rudel

    "Epic" hatte es von vornherein schwer. Das Album gilt in den Augen der Kritikern und Fans als inoffizieller Nachfolger von "Vibe" und wird natürlich auch daran gemessen werden. "Epic" läuft 100 Meter gegen Usain Bolt und spielt danach gegen die Golden State Warriors Basketball – die Erwartungen sind immens hoch; viele wollen Fler scheitern sehen, andere wollen ein weiteres Album auf dem Niveau des Vorgängers, aber eins haben alle gemeinsam: Sie hören ganz genau hin. Und mit etwas Verspätung (sorry, war im Urlaub) machen wir dasselbe:

    Ich hab' im Deutschrap erst polarisiert und dann modernisiert
    /
    Guck, Rap etabliert, Louis-Vuittonisiert/
    (Fler auf "Makellos")


    Zu den Beats: Fler hat letztes Jahr seinen musikalischen Weg gefunden und wäre ein ziemlicher Idiot, wenn er ihn jetzt wieder verlassen würde, von daher war schon vor der ersten Single klar, in welche Richtung "Epic" gehen wird. Jeder einzelne Beat stellt ein perfekt ausproduziertes Stück Musik dar. Auf dem beschrittenen Erfolgspfad von "Vibe" marschiert das Soundbild des neuen Langspielers entlang, entwickelt sich an den richtigen Stellen geringfügig weiter und meistert dabei den Drahtseilakt zwischen "Stillstand ist der Tod" und "never change a running system" mit Bravur. Gewisser Minimalismus seitens der Produzenten um Nico Chiara kommt dem Album zugute, denn die auf wenige Elemente reduzierten Beats bieten den Rappern genug Platz zur völligen Entfaltung. Mein einziger Kritikpunkt ist jener, dass ich teilweise enttäuscht vor meinen Boxen sitze, wenn der ganze Aufbau des Songs auf eine Bassexplosion hinausläuft und diese dann für meinen Geschmack einfach nicht gewaltig genug ausfällt. Ein schönes, aber kleines Tischfeuerwerk statt einer Atombombe.


    Zum Inhalt: Ein bisschen Fashiontalk, ein bisschen Namedropping und viel Straßenhustle, aber wen juckt das? Genau, Niemanden! Wer durchkonzipierte Texte, Substantivreimketten, mehrdeutige Bildsprache oder Lyrische Gesamtkunstwerke sucht, weiß, wo er sie findet und weiß auch, dass Fler der falsche Ansprechpartner ist. "Epic" lebt so sehr von Stimmung, Attitüde, Beats und Flow (oder in einem Wort: Vibe) wie kaum ein anderes Album und dies lässt über den mäßigen Inhalt ohne Mühe hinweg sehen. Mal wird die Realnessdebatte aufgearbeitet, mal über alte Weggefährten geschimpft und teilweise einfach nur rumgepöbelt – die Themen von geopolitischer Relevanz bleiben aber selbstverständlich wie auf jedem anderen Fler-Album auch auf der Strecke (wohl auch besser so). Natürlich bleiben wie auch auf dem Vorgängeralbum einzelne Zeilen und teilweise sogar Passagen im Kopf, aber den Repeat-Button betätige ich bestimmt nicht aufgrund der Texte, sondern aus all den anderen vorhin erwähnten Gründen.


    Da war doch noch jemand: Jalil! Der Inbegriff eines Sidekicks: Wie Robin auf seinem Motorrad neben dem Batmobil herfährt, so agiert auch Jalil durchgehend am Rande. Zwar steht sein Name am Cover und er taucht auf jedem Song auf, aber allen ist klar, dass wir hier ein Fler-Album hören. In Musikvideos macht der dunkelhäutige Hüne, der aussieht, als würde er Wildschweine mit bloßen Händen erwürgen, mächtig Eindruck, aber auch als Rapper sollte man ihn besser nicht unterschätzen. Während Fler seinen Fokus ganz klar auf langsame Passagen und viele Pausen legt, bildet Jalil mit seiner beeindruckend tiefen Stimme und den abwechslungsreicheren Flows einen wunderbaren Gegenpol und lockert an den richtigen Stellen alles ein bisschen auf. Dennoch wird spätestens in den Hooks klar, wer der Star ist und im Endeffekt ist und bleibt "Epic" ein Fler-Album.


    Meinem Pack und mir eilt jeden Tag der Ruf voraus/
    Eine Ansammlung von Gangstern aus dem Jugendhaus/
    Importiert und kriminell aus den Konfliktländern/
    Und heute sind wir aus der staatlichen Sicht Gangster/

    (Jalil auf "Rudel")


    Fazit:
    Was kann ich jetzt noch sagen? Wer "Vibe" mochte, wird auch "Epic" mögen, wer "Vibe" nicht mochte, wird wohl kaum seine Meinung ändern, denn um jemanden umzustimmen, sind die beiden Releases sich zu ähnlich. Fler hat sich nochmal weiterentwickelt, gewisse Kleinigkeiten verfeinert, ein noch einheitlicheres Soundbild erzeugen lassen und zu Gunsten der Abwechslung Jalil mit auf die Platte genommen. All das funktioniert sehr gut. "Epic" ist für das, was es sein soll, perfekt gelungen und wird mit Sicherheit jene zum Schweigen bringen, die in "Vibe" einen Lucky Punch gesehen haben.

    Ein Hurensohn, wer sagt, ich hab kein' Hype Junge

    (Fler auf "Hype")



    El-Patroni (David)


    [redbew]2259[/redbew]


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    01. Roswell
    02. Aliens
    feat. Teutilla
    03. Scotty beam mich hoch
    04. El Presidente
    05. Das Geld muss weg
    06. Tauchstation
    07. Blue Marlin
    08. Cadillac
    09. Links
    10. Große Brüder
    11. Skyline mit zwei Türmen
    12. Elfenbein
    feat. Yasha & Miss Platnum


    Beim Schreiben einer jeden Review wird ein unnötig hohes Maß an Zeit investiert, um mit der perfekten Einleitung die Aufmerksamkeit der Leser zu gewinnen. Im Falle Marteria erübrigt sich dies, denn praktisch jeder, der sich im letzten Jahrzehnt einigermaßen mit deutschsprachigem Rap befasst hat, wird wohl früher oder später über den ehemaligen Profifußballer Schrägstrich Ex-Model Schrägstrich erfolgreichen Rapmusiker Schrägstrich begnadeten Angler gestolpert sein. Bereits mehrere erfolgreiche Alben, ausverkaufte Touren und ein ebenfalls recht erfolgreiches maskiertes Alter Ego mit gepitchter Stimme sowie eine Platzierung im Soundtrack der FIFA-Spiele sind die nennenswerten Eckdaten zur Person Marteria . Da man aber ohnehin nicht hierher gelangen kann, ohne bewusst auf den Link zu dieser Review zu klicken, sollte all das bekannt und jeder freiwillig hier sein und wir befassen uns direkt mit dem neuesten Album:

    Aus Area 51 wird Marteria 51/
    Aus Roswell wird Rostock/

    (Marteria auf "Roswell")

    Vorab ganz allgemein:

    "Roswell" ist ein großartig produziertes Album. Marteria präsentiert Lyrics auf gewohntem Niveau und dass er rappen kann, hat er in der Vergangenheit schon mehrfach bewiesen, was sich auch heute nicht ändert. Außerdem bedient sich "Roswell" wie auch die Vorgängeralben einer breiten Themenpalette und kein Track wiederholt sich inhaltlich. Jeder Song behandelt strikt ein Thema und dieses scheint danach abgeschlossen. Für die Produktionen wird auch auf altbewährtes zurückgegriffen und ausnahmslos jeder Beat ergibt ein hochwertiges, sauber ausproduziertes Stück Musik.

    Im Speziellen:

    Die LP wird direkt vom Titeltrack eröffnet und von "Aliens" weitergeführt: Beide Tracks inszenieren sich (Überraschung!) mit schlechten bis mittelmäßigen Alienmetaphern, leben aber hauptsächlich von den treibenden Beats. Es folgt mit "Scotty beam mich hoch" ein schneller, unterhaltsamer, lyrisch wie inhaltlich grundsolider Track, der leider von der Hook, die eher an ein nervtötendes Kinderlied als an einen seriösen Song erinnert, komplett zerstört wird. Man möge sich nun vorstellen, wie mein erzählerisches ich sich vom Leser abwendet und mit vorwurfsvollem Blick, zusammengekniffenen Augen und leichtem Kopfschütteln in Richtung Marteria blickt. Was auf "Kids" noch blendend funktioniert hat, geht diesmal einfach nur nach hinten los. Auf "Skyline mit zwei Türmen" behandelt der Rapper seine Zeit in New York und zeigt über immer wieder einsetzende klassische HipHop Drums, die genauso aus einem Mobb-Deep-Song stammen könnten, mit enormem Druck in der Stimme: Marteria kann auch immer noch guten alten Rap machen, und zwar mindestens genauso gut wie alle anderen. In einigen Songs sind die Produktionen zu sperrig, vollgepackt oder verrückt, um wirklich die breite Masse zu erreichen, die sich so gar nicht mit HipHop befasst hat, ganz kann man aber anscheinend nicht auf das Geld der Radiosender verzichten und so schielt "Das Geld muss weg"(man beachte die leichte Ironie), in all seiner popmelodischen Eingängigkeit und konstruierten Ohrwurmhaftigkeit derart gewollt in Richtung Airplay, dass man das Kopfnicken kurz zugunsten eines leicht enttäuschten Kopfschütteln unterbricht. "El Presidente" bildet für mich persönlich aufgrund des exotischen Instrumentals und der sommerhittauglichen Hook sowie der routiniert geflowten Parts eines der Highlights auf "Roswell", während "Cadillac" als laute, halbasoziale Mitgrölhymne für den 18-Jährigen im Amerika-Urlaub fungiert, der sich endlich mal so richtig cool fühlen will. Dann sind da ja auch noch die alten Kumpanen Yasha & Miss Platnum, um deren Hitgarantie Marteria spätestens seit "Lila Wolken" weiß, die natürlich auf dem Album unter keinen Umständen fehlen dürfen und genau das machen, wofür man sie kennt.


    Bin grad erst 18, beiß' jetzt in den großen Apfel/
    Teil mir die Wohnung mit ner Großstadtratte/
    Neben Donald Trump, auf der fünften Straße/
    Zwischen Rastafaris und Mexikanern/
    Eine Taxifahrt ins Glück. Vier Stunden/
    Träum von Foxy Brown, Alicia Keys gibt mir Klavierstunden/

    (Marteria auf "Skyline mit zwei Türmen")


    Wenn Du Dich jetzt von mindestens einem der erwähnten Songs angesprochen fühlst, liegt dies vermutlich daran, dass Du ein Mensch bist, denn Marteria gibt sich auf "Roswell" außerordentlich Mühe, jedem (und zwar wirklich jedem) in irgendeiner Art zu gefallen. Von potentieller Charthit bis klassischer HipHop-Track, von schneller, druckvoller Rappart bis Gesangsfeature in der Hook. Es ist wohl unmöglich, nicht mindestens einen Song auf der Platte für die nächsten Wochen in seine Playlist aufzunehmen. In Anbetracht all dieser Berechnung und des gewollten Beglückens eines jeden Hörers ungeachtet geschmacklicher Unterschiede, ist es dann doch irgendwie verwunderlich, dass er es sich doch verkneifen konnte ein Feature mit [Hier Name eines Idioten mit aktuellem Hype einsetzen] unterzumischen. Ich fühle mich an meine Schulzeit erinnert und Marteria ist der blonde junge zwei Reihen vor mir, der unbedingt Klassensprecher werden möchte.


    Hier könnte Schluss sein, aber:


    Zum Abschluss was persönliches:
    Ja, "Roswell" macht mich aggressiv. Ich hasse das Album dafür, wie sehr es versucht, niemandem auf die Füße zu treten, jeden Fan zufrieden zu stellen und bloß kein Risiko einzugehen. Ich mochte auch den vorhin erwähnten Klassensprecherkandidaten nicht und habe lieber seine Gegenkandidatin gewählt. Ja, ich mag einige Lieder; ich mag "Skyline mit zwei Türmen", ich mag "Blue Marlin", ich mag "El Presidente" sogar sehr, aber kaum ist einer der Tracks zu Ende, erinnere ich mich wieder, warum ich die Platte dann eben doch nicht mag. Es ist ein gutes Album, Toni (Name geändert) war ja auch ein netter Kerl, ich mag nur einfach keine blonden Schnösel und "Roswell" ist der blonde Schnösel unter den Deutschrapalben. Dem Erfolg des Albums wird meine Meinung allerdings mit Sicherheit keinen Abbruch tun, denn Toni wurde auch Klassensprecher.



    El-Patroni (David)


    [redbew]2250[/redbew]


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    01. Intro
    02. Sohn des Paten
    03. Ingenieur des Verbrechens
    04. Und dann stirbst Du
    05. Junge aus der City
    06. Die Farbe Lila
    07. AS Monaco
    08. 100K
    09. C4
    10. Milieu
    11. Kopf über Herz
    12. Pandora
    13. Verräter


    Sentino! Ein Name, der seit über einem Jahrzehnt wie ein Schatten über Deutschrap schwebt: Die Gerüchte, er hätte an vielen erfolgreichen Releases zu Beginn des Jahrtausends mitgeschrieben, halten sich, vor allem im Zusammenhang mit Namen wie Bushido, höchst hartnäckig. Seine eigenen Veröffentlichungen wurde allerdings nie eine ähnliche Aufmerksamkeit zuteil wie der vermeintlichen Ghostwritertätigkeit und so verschwand Sentino irgendwann von der Bildfläche, bis er 2012 mit "Stiller Westen" einen neuen Versuch startete, der in meinen Augen rigoros scheiterte. Und dann kam Fler. Gemeinsam waren die beiden Unterwegs nachts in Berlin und hatten zwar kein' Bock, ihre Waffen zu ziehen, dafür aber reichlich Erfolg und YouTube-Klicks. Sentino, Hauptverantwortlicher für die wohl bekannteste Deutschrap-Hook des Jahres 2016, schien wieder voll zurück zu sein. Mit neuem Label im Rücken und in epischen Interviews sowie einem Musikvideo medienwirksam neben Fler platziert, sah alles nach optimalen Voraussetzungen für einen späten Durchbruch aus. Doch es kam wie es bei "Maskulin"-Acts immer kommt: Trennung – widersprüchliche Aussagen – Kritik an Fler – Drama, Drama, Drama. Dem Weg seiner Vorgänger konsequent weiter folgend, wäre ein erfolgloses Album der nächste Schritt, den er mit "Sentinos Way 3 – Sohn des Paten" eventuell gehen könnte.


    Wenn ich nach Holland fahr', kann sein, dass ich dem Zoll dann sage/
    Ich hätt' ne Neun bei, doch das war nur ne Zollangabe/

    (Sentino auf "Pandora")


    Produktionstechnisch bilden moderne, teils trapinspirierte Neuinterpretationen jener Beats, auf denen Sentino schon Mitte der 2000er Jahre zu hören war und die ihre musikalischen Einflüsse klar in Übersee beziehen, das Grundgerüst. Die Produzenten scheinen mit Checklisten gearbeitet zu haben: Synthesizer – Check, HiHat-Massaker – Check, übertriebener Bass – Check, gleich kommt die Hook, also noch einen schrilleren, lauteren Synthesizer drüber legen – Check. Klingt zwar alles gut, aber hat man in den letzten Jahren auch schon oft genug gehört und beeindruckt längst schon keinen mehr. Inhaltlich findet sich neben Gedisse namentlich nicht genannter, aber durch subtile Hinweise klar ersichtlicher Personen, auch noch viel Gedisse namentlich genannter Personen und grundsätzlich wäre es wohl einfacher aufzuzählen, welcher deutsche Rapper keine Erwähnung auf "Sentinos Way 3" findet. Darüber hinaus bekommen wir allerhand Geschichten aus dem Alltag eines Kriminellen zu hören, die – im Gegensatz zu vielen Genrekollegen – auf eine Art und Weise erzählt werden, dass man Sentino wirklich glaubt, Vieles davon erlebt zu haben, oder zumindest jemanden zu kennen, der jemanden kennt, der die polnische Unterwelt beherrscht. Vor allem die gut erzählte und auch gekonnt angesungene Gangsterstory "Kopf über Herz"(ein Plot aus der andere einen abendfüllenden Spielfilm gemacht hätten) weiß hierbei in allen Punkten zu überzeugen. Parallelen zu Flers letztem Album finden sich nicht nur im Songtitel "Junge aus der City", sondern an verschiedensten Stellen: Ob Sentino nun kleinere Formulierungen übernimmt, die es identisch auch auf "Vibe" zu hören gab, oder er den Flow seines ehemaligen Labelchefs derart gekonnt kopiert, dass man in unaufmerksameren Momenten schon glauben könnte, Fler wäre ein Überraschungsgast auf "Sentinos Way 3", man hat permanent das Gefühl, er wolle nur verdeutlichen, dass er an einem der besten Alben des vergangenen Jahres sehr wohl einen großen Anteil hatte. Dann ist natürlich auch noch Platz, um seinen Unmut über die Szene im Allgemeinen mit Lines wie "Seh' Typen, die mal Street waren, mit Liebesliedern Gold gehen."("100K") deutlich zu machen. Außerdem wird Sentino nicht müde, immer wieder auf unterschiedliche Art zu erwähnen, dass er es war, der als Ghostwriter für diverse große Alben und erfolgreiche Songs verantwortlich war, am besten gelingt ihm dies auf dem Song "Die Farbe Lila" mit einem simplen Zweizeiler:


    Du würdest heute im Keller wie ein Junkie leben/
    Aber du konntest meine Handschrift lesen/

    (Sentino auf "Die Farbe Lila")


    Fazit:
    "Sentinos Way 3" ist definitiv ein Album mit Höhen und Tiefen: Geschichten aus einer kriminellen Welt, die den meisten Fans wohl auf ewig verschlossen bleibt, einige gut gewählte Beleidigungen an Szenekollegen und ehemalige Wegbegleiter, die zum Teil wirklich längst überfällig waren. Offene Klarstellungen, andere Perspektiven auf bekannte Geschehnisse der letzten Jahre und zum Teil auch einfach ganz simpler Gangstarap inklusive solider Reimtechnik. All das ist zwar nichts Weltbewegendes, Sentino macht es aber dennoch besser als viele andere. Negativ fallen vor allem einige unterirdische Wie-Vergleiche auf, die man sich an dieser Stelle auch einfach hätte sparen können. Die Beats passen in die Trapvorlage, nach der schon seit Jahren gearbeitet wird, und das merkt man den viel zu glatten und berechenbaren Produktionen ganz einfach an. Hier wird zu keiner Sekunde versucht, etwas Eigenständiges zu schaffen, sondern einfach nur hemmungslos abgekupfert. Ich erinnere mich, als ich im zarten Alter von fünf Jahren einen Delfin mit Schablone gezeichnet und nicht verstanden habe, warum meine Eltern ihre mangelnde Begeisterung nicht verbergen konnten. Mama, Papa, heute versteh ich euch.



    El-Patroni (David)


    [redbew]2237[/redbew]


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    Als ältestes Redaktionsmitglied hat man es nicht leicht. Während die jungen Redakteure ausgelassen über neue Trends sinnieren, sitzt man zuhause, eine verstaubte Stieber Twins-Platte eiert am Grammophon und man will einfach nicht verstehen, was alle mit diesem "Sheesh" meinen. Hipsterrapper, Tweef und Money Boy. Money Boy ... was soll das eigentlich schon wieder sein? Früher haben wir noch gekifft und jetzt trinken die allen Ernstes Hustensaft – den trinke ich zwar auch, aber nur, weil ich früher eben viel gekifft habe. Von den engen Hosen will ich gar nicht erst anfangen. Wie ich die gute alte Zeit vermisse. Rap war noch real und Star Wars noch kein Disney-Franchise. In den Battles nennen sie sich neuerdings "Hurensohn", das hätt's früher auch nicht gegeben, diese Kinder – sowas von respektlos. Nicht weiter drüber nachdenken, lieber ins Bett, ist ja immerhin schon halb neun und der Morgenspaziergang erledigt sich nicht von selbst. Wenn nur diese Nachbarskinder etwas leiser wären. Also Ihr Lieben, kommt ran, Opa erzählt jetzt von einer Zeit, als das Gras noch grün war und Rapper noch Rapper sein durften:



    01. Intro (Die Linke & Die Rechte Hand Gottes)
    02. Warm up
    03. Die Snaga Situation Pt. 1
    04. Das ist gutter
    05. Jetz' da
    06. Koka-Musik
    07. Niemals Angst
    feat. Oso
    08. Die Snaga Situation Pt. 2
    09. Ercan auf 180 Skit
    10. Geile Hunde
    feat. Ercandize
    11. Tear it up Remix feat. NKNA
    12. American Dream
    13. Stavros Skit
    14. Komm mit mir
    15. Wie es geht
    feat. Erc Kelly
    16. Put 'em up
    17. Die Snaga Situation Pt. 3
    18. Keiner
    19. Fick
    feat. Faust
    20. Was ich mach'
    21. DJ Eathy Skit
    22. Fick Dich bezahl mich
    feat. Illmat!c
    23. Ride mit uns
    24. Nur für euch feat. Ercandize


    Betrachtet man die bisherigen Kandidaten in dieser Kolumne, so besteht in keinem Fall Diskussionspotential: Namen wie Azad, Sido und Samy Deluxe sind – ungeachtet ihres aktuellen Schaffens – mit Legendenstatus behaftet. Bei Snaga & Pillath sieht das schon anders aus, ihre Namen sind jüngeren Semestern außerhalb des Ruhrgebiets teilweise gar kein Begriff mehr, was in erster Linie daran liegen könnte, dass der riesige Erfolg langfristig bis heute ausblieb und ihre Karrieren zwischenzeitlich sogar als beendet galten. Heute sind die beiden zwar auf Solopfaden ins Rapgeschäft zurückgekehrt, warten aber weiterhin auf den ultimativen Durchbruch. Dennoch wage ich es, das Mixtape des Duos "Die linke & die rechte Hand Gottes" aus dem Jahr 2005, zum Teil auch sinnbildlich für ihre gesamte Diskografie, als Klassiker zu bezeichnen. Was es nun genau ist, das "Die linke & die rechte Hand Gottes" so von seinen Zeitgenossen abhebt, lässt sich nur schwer beantworten. Beattechnisch mutet es heute eher an wie ein Worst-Of des Dipsetzeitalters; da wird bei Amigrößen abgekupfert, was aus heutiger Sicht in erster Linie generische Plastikbeats, auf denen kurze, eingängige Synthpassagen von drückenden lauten Drums und gewaltigen Bässen getragen werden, bedeutet. Im Jahr 2005 war genau dieses, aus heutiger Sicht doch recht unspannende Soundgerüst allerdings eine willkommene Abwechslung nach Jahren voller BoomBap und Soulsamples.


    Was ist jetzt, mein Freund? Es macht *brrap*, mein Freund/
    Das beste an dei'm Album, sind die Pausen nach den Tracks, mein Freund/
    Ich bring dich deinem Ende näher/
    Jetzt stehst du da mit deinen teuren Goldringen, doch hast leider keine Hände mehr/

    (Pillath auf "Das ist Gutter")


    Auch auf textlicher Ebene überzeugt das Duo nicht aufgrund ausgeklügelter Songkonzepte oder verschachtelter, sprachlich anspruchsvoller Textstellen, sondern viel mehr dadurch, eine neue, bis zu diesem Zeitpunkt kaum existente Art von Lyrics im Deutschrap aufzuziehen. Snaga & Pillath hatten ihren eigenen Entwurf von Punchlines parat: Als eine Art dreckiges, rohes Gegenstück zu Kollegahs zeitgleich aufkommenden, durchdachten Wortspielereien und in erster Linie auf Mehrsilbigkeit ausgelegten Substantivreimketten fuhren die beiden mit simplen, aber treffenden und pointierten Punches auf, die zu keiner Zeit erzwungen wirkten. Trotz ihrer Einfachheit erzeugten die Lyrics Bilder in den Köpfen der Hörer, wenn Snaga drohte "Ich hol dich ab und nehm' dich Toy mit zu mir/ Und ich zeig dir, wie man einen Kellerboden neu betoniert/" war auch ohne gewaltige Reimtechnik und massig Wortwitz alles klar. Die Vortragsweise der Protagonisten kam – passend zum Mixtapecharakter des kompletten Releases – derart locker und mit einer scheinbaren Selbstverständlichkeit daher, dass man als Hörer den Eindruck bekommen konnte, die beiden würden ganz genau so auch im Alltag miteinander reden. Wenn ein kahlköpfiger 130kg schwerer Pillath es allerdings wagt, sich selbst als gutaussehend zu bezeichnen, kommen berechtigte Zweifel über die Selbsteinschätzung der beiden Herren auf. Inhaltlich ist dann mit "Wir cool, Rurpott cool, du scheiße, deine Frau – geile Titten" auch schon fast alles gesagt, was uns auf den 24 Tracks geboten wird und so findet sich dann eben auch noch Platz, um Werbung für den Laden eines Freundes machen:


    OK, Alter, bevor irgendwas
    Wenn ihr in Gelsenkirchen seid, besucht meinen Mann Alper
    Besucht seinen Laden – Airline. Ihr kriegt da alles, Alter
    Egal, ob Auto, für Kind, Essen, Trinken, Waffen
    Ihr kriegt da alles, Alter, weißt, wie ich mein?!
    OK, back to Topic Alter. Let's go

    (Snaga auf "Warm Up")



    El-Patroni (David)


    Bisherige Ausgaben:


    Eins Zwo – Gefährliches Halbwissen


    Creutzfeld Jakob – Gottes Werk und Creutzfelds Beitrag


    Curse – Feuerwasser


    Samy Deluxe – Samy Deluxe


    Azad – Leben


    Sonny Black & Frank White – Carlo Cokxxx Nutten


    ASD – Wer hätte das gedacht?


    Sido– Maske


    01. Bob der Baumeister
    02. So wie Du
    03. So high 2017
    04. Wer hat das Gras weggeraucht?
    feat. Nura, Smoky, Sido, Plusmacher, Estikay
    05. Spliffpolitik
    06. Jeder pumpt es
    feat. Juju
    07. Übertreiber
    08. Einen Scheiß wert
    09. Rich Kids
    10. Auf Tour
    feat. Unoo, Viruz, Beathoavenz
    11. Mörder feat. Frauenarzt
    12. In einer Gegend
    13. Wünsche
    14. Gift

    Wer hat das Gras weggeraucht? Eine Frage die schon seit Anfang des Jahrtausends die Rapszene beschäftigen würde, hätte B-Tight sie nicht direkt im nächsten Satz schon beantwortet. 2002 sorgte "der Neger" für einen Aufschrei und die erste große Kontroverse in der Szene: Die Brothers Keepers gaben sich empört, die Fans jubelten über die ironischen Zeilen ihres Lieblingsrappers, die Eltern konnte nicht glauben, was Sohnemann da hört und Aggro Berlin rieb sich die Hände in froher Erwartung des Erfolges, den die neu erworbene Aufmerksamkeit mit sich bringen könnte. Das Label mit dem Sägeblatt holte in den darauffolgenden Jahren alles, was es zu holen gab, spaltete die Gemüter und wurde gleichermaßen als Retter wie auch als Zerstörer von deutschem HipHop betrachtet. Während Sido, Fler und Bushido die Hauptaufmerksamkeit einsackten, blieb B-Tight von der breiten Masse eher unbeachtet und brüstete sich mangels Soloerfolges lieber mit dem Titel "Meistindizierter Rapper Deutschlands". Nach dem Ende von Aggro Berlin und einem eher erfolglosen Majoralbum wurde es erst mal ruhig um ihn, bevor er sich nach seinem Auftritt in Blutzbrüdaz mit einem Crossover-Album zurück meldete. Es folgten zwei weitere eher mäßig beachtete Soloreleases, die ich – und das gebe ich hiermit offen und ehrlich zu – nie gehört habe. Heute ist es allerdings soweit: Ich halte sein neues Release "Wer hat das Gras weggeraucht?" in den Händen, erwarte aufgrund des Titels schon einmal Großes und bin gespannt.


    Komm ran, ich zeige dir mal unsere Welt/
    Zu viel Platz in den Taschen für buntes Geld/
    Der tägliche Bedarf wird auf Pump bestellt/
    Gib ihm, solange wie die Lunge hält/

    (B-Tight auf "Mörder")


    Von Beginn an ist klar, dass B-Tight sich wieder auf seine alten Qualitäten besinnt, ganz im Stil der Zeit, als Die Sekte noch aktiv den Berliner Untergrund aufmischte, ist die Themenpalette des Albums eher begrenzt. Das Thema Gras zieht sich durch das komplette Release und bleibt auf kaum einem Track unerwähnt. Dies geschieht allerdings ohne stupides verherrlichen, denn vielmehr werden neben den bewusstseinserweiternden positiven Effekten auch die Schattenseiten und die Gefahren von exzessivem Kiffen beleuchtet. Auf "Bob der Baumeister" beschäftigt der Rapper sich einen ganzen Song lang intensiv mit der Kunst des Jointdrehens, auf "Mörder" bekommen die Hörer, unterstützt von Frauenarzt, einen Representer, der in genau diesem Stil auch schon vor 15 Jahren auf einem Sekte-Release gut funktioniert hätte. Die Texte sind zwar allesamt weder lyrisch noch technisch besonders anspruchsvoll, aber großteils ziemlich unterhaltsam, an anderen Stellen kommen die Gedankenstrecken allerdings so wirr und undurchschaubar daher, dass keine Frage mehr besteht, wer das Gras weggeraucht hat. Auch in puncto Beats wird in der Vergangenheit gestochert: Sämtliche Instrumentals weisen im Charakter enorme Ähnlichkeit zu Stücken aus den frühen 2000ern auf. Glücklicherweise sind sie allerdings zeitgemäß ausproduziert, spielen klar auf einem anderen Qualitätslevel und zeigen, dass zwischen einem professionellen Tonstudio und einer Playstation doch Welten liegen.

    Es ist B-Tight, den du mit den Kumpels siehst/
    Es sind sie, wenn es irgendwo nach Gras riecht/

    (B-Tight auf "Wer hat das Gras weggeraucht?")


    Das klingt ja alles ziemlich gut, aber wo liegt das Problem? Es überrascht mich einfach zu keiner Sekunde. Ich habe B-Tight in einer Zeit kennen gelernt in der ich gegen meine spießbürgerlichen Eltern rebellieren wollte und da eignet sich wohl niemand besser, als der allen Frauen den Penis in den Bauch rammende, das ganze Gras weg rauchende, auf dessen Albumcover ein Oberkörper freier, dunkelhäutiger Muskelberg sich selbst eine goldene Faustfeuerwaffe ans Kinn hält. Ja mittlerweile verstehe ich, warum sie nur bedingt erfreut waren, wenn sie einen Blick in Sohnemanns Zimmer warfen. B-Tight bezog sämtliche Legitimation daraus, dass seine Soloalben, eins nach dem anderen indiziert wurden. Wir versuchten schnell noch irgendwie dran zu kommen, bevor Saturn die CDs wieder aus den Regalen entfernen musste und genau das machte den Mythos aus. Heute mit einigen Jahren Abstand und einem weniger gestörten Drang zur Rebellion, kommt beim Hören der neuen Platte zwar immer wieder die Erinnerung an Früher hoch, jedoch frage ich mich auch häufig, warum wir den Typ eigentlich so gut fanden. Rappen kann er und konnte er schon immer, das möchte ich hier nicht in Frage stellen, aber ansonsten hat B-Tight abgesehen von seiner Historie leider nichts mehr, das ihn wirklich von der Szene abhebt. Er wirkt wie ein alter Hund, der zwar immer noch sämtliche Tricks beherrscht, aber eben nichts Neues lernt. Er macht immer noch Sitz, Platz, und die seitliche Rolle, gibt Pfote wie eh und je und wenn er Männchen macht, sieht man ihm an, mit welcher Leidenschaft er dies tut, aber es sind die immer gleichen Tricks, mit denen er uns schon vor einer Dekade erfreuen wollte. So leid es mir auch tut, aber in einem Zeitalter, in dem die anderen Hunde Tischtennis spielen können, begeistert Sitz und Platz niemanden mehr.

    Fazit:

    "Wer hat das Gras weggeraucht?" ist alles andere als ein schlechtes Album. Jeder Beat wurde gut produziert, die Texte sind teilweise verdammt lustig und der Protagonist liefert gelungenen, klassischen Rap. Wer genau das hören will und bereit ist, sich auf eine Reise in die Zeiten von Aggro Berlin einzulassen, wird garantiert seine Freude an dem Release haben, wer allerdings etwas Neues hören, oder sich auch nur in irgendeiner Form überraschen lassen möchte, dem würde ich hiervon allerdings eher abraten. Es ist auch schwer vorstellbar, dass jüngere Semester, die B-Tight nicht zu seiner Glanzzeit erleben durften, wirklich verstehen werden, worin die Existenzberechtigung von "Wer hat das Gras weggeraucht?" liegt. Alles in allem also ein solides Deutschrap-Album, das zwar als Reise in die Vergangenheit gut funktioniert, aber sonst ohne Innovation daher kommt und so wohl eher in der Versenkung enden wird.



    El-Patroni (David)


    [redbew]2213[/redbew]


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    01. Gettin' Higher
    02. Propaganda
    03. Untouchable Workout
    04. Rette sich wer kann
    05. Handy hoch
    06. Jules Verne
    07. Aftershow
    08. Offday
    09. Erinnerungsskitze
    10. Erinnerung
    11. Undankbarer
    12. Wenn ich fall'
    13. Was hat das mit uns zu tun?!
    14. Augen offen / Blick leer
    15. Bring me down
    16. Das hier ist mein Leben


    Ich geh' raus in die Welt mit 'ner Audiodatei/
    Schrei "Untouchable Album Nummer Zwei"/
    Was ich mein', ihr braucht alle wieder Input/
    Wo ich auch hinguck': Rapper vor dem Stimmbruch/

    (Lakmann auf "Aftershow")


    Kaum jemand scheint es mitbekommen zu haben, die meisten Magazine haben (zumindest bis zum jetzigen Zeitpunkt) vermieden, großartig darüber zu berichten und doch ist es da: Album Nummer zwei aus dem Hause Witten Untouchable. Natürlich beherrscht das Trio die Promomaschinerie keineswegs so gut wie viele Kollegen, was auch gar nicht ihr Anspruch zu sein scheint, aber dennoch hätten sie zumindest nach dem sensationellen "It was Witten" – das im Dezember 2013 erschienen ist und damit schon über drei Jahre in der Vergangenheit liegt – etwas mehr Aufmerksamkeit von der Szene erwarten können. Meiner Ansicht nach kommt es nämlich einer Frechheit gleich, nicht zu würdigen, was Creutzfeld-Jakob-Urgestein Lakmann, seine Partner Mess und Al Kareem sowie Produzent Rooq auf "Republic of Untouchable" veranstalten: In Zeiten von Autotunemassaker und Dancehall-Alben, in denen gefühlt jeder Zweite einfach nur versucht, auf Biegen und Brechen anders zu sein oder einen bereits erfolgreichen Amerikaner oder Franzosen kopiert – was leider viel zu selten auch wirklich brauchbare Musik zur Folge hat –, ist ein Release wie "Republic of Untouchable", auf dem einfach nur über klassische HipHop-Beats gerappt wird, erstaunlicherweise beinahe schon eine willkommene Abwechslung. Auf der Platte finden sich keine Versuche, neue musikalische Wege zu beschreiten, keine veränderten Songstrukturen, nur um der veränderten Songstrukturen willen, und genau das ist es, was dem Wittener Gespann am besten steht. Abwechslung kommt dennoch nicht zu kurz, denn neben den unterschiedlichsten Flows, die die drei Rapper auf beinahe jedem Song switchen, ähnelt auch kein Beat dem anderen. Ob nun klassische Oldschooldrumsets, orientalisch anmutende Streichersounds kombiniert mit synthetischem Klimpern, sich überlappende Samplepassagen oder wie auf "Offday" ruhige langsame Melodien mit genial gesetzten Cuts; was Rooq anfasst, klingt einfach nur verdammt dope.


    Hass die ander'n, geb' Untouchable props/
    Raus in die Welt aus Annen, das ist der Job/

    (Mess auf "Jules Verne")


    Inhaltlich konzentrieren die drei Rapper sich auch auf die Basics und streuen neben vielen Battle- und Representertracks sowie einigen gesellschaftskritischeren Passagen immer wieder vereinzelt private Leidensgeschichten ein, was sie stets glaubhaft und nachvollziehbar erzählen. Nebenbei machen sie auch noch ihrem Ärger über die aktuelle Szene Luft und erzählen witzige Storys vom Tourleben. Der ein oder andere eher suboptimal platzierte und mehr gewollt als gekonnt wirkende Wie-Vergleich, der meist auf das Konto von Mess geht, zum Beispiel "Mess am Mic, macht dich kalt wie Gletschereis" ("Untouchable Workout") trübt zwar die Stimmung, was allerdings in der Gesamtheit des Albums auch nicht weiter auffällt. Auch für Fans guter Reimtechnik finden sich große Momente und an dieser Stelle gilt es dann, Mess auch positiv zu erwähnen, der seine stets soliden Reimketten fast schon über komplette Parts erstreckt, ohne dabei am Inhalt zu kratzen, was auf diesem Niveau nicht vielen gelingt. Der wirkliche Flavour der Platte kommt erst in in den Hooks voll zur Geltung: Wenn die Stimmen von Lakmann, Kareem und Mess gemeinsam einsetzen und voller Elan die Zeilen rappen, entstehen stets kraftvolle, energiegeladene und unglaublich stimmungsvolle Passagen, die so auf kaum einem anderen Album zu finden sind.


    Heut sind alle V.I.P. auf hohem Rang der Hierarchie/
    Ausgezeichnet mit Awards für ihre mangelnden Verdienste/

    (Al Kareem auf "Propaganda")


    Fazit:
    Wer "It was Witten" mochte, wird das neue Release aus dem Hause "Witten Untouchable" lieben, wer nichts mit dieser Art von Musik anfangen kann, dem kann ich leider auch nicht helfen, aber irgendwo veröffentlicht bestimmt bald der neueste MHD-Klon seine Free-EP für solche Menschen. Auf "Republic of Untouchable" treffen stark produzierte und kaum experimentelle HipHop-Beats auf ehrliche, stimmungsvolle und energiegeladen vorgetragene Lyrics, was in diesem Fall schon mehr als genug ist, um ein großartiges Album entstehen zu lassen. Auch wenn manch ein armer Unwissender vielleicht behauptet, Acts im Stil von Witten Untouchable würden im Jahr 2017 keinen mehr jucken, ist "Republic of Untouchable" wohl der Beweis, wie schön klassischer Deutscher Rap ohne Effekthascherei, Gesangseinlagen oder dem schlechten Kopieren von Trends aus den USA und Frankreich sein kann, und ich für meinen Teil hoffe nur, dass Lakmann sich durch seinen nahenden Vierzigsten nicht vom Rappen abbringen lässt.



    El-Patroni (David)


    [redbew]2204[/redbew]


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    also kommt scheinbar kein Vom Bordstein bis zur Skyline? :(
    schade


    in letzter Zeit finde ich deine Reviews ganz cool, die aber nicht so, scheint so, als ob du damals das Album nicht so cool fandest


    Ich fand das Album eigentlich ziemlich gut damals :suspekt:


    Wegen vbbzs gibts ja Probleme mit der indizurung usw. für genaueres frag mal beim chef nach

    Als ältestes Redaktionsmitglied hat man es nicht leicht. Während die jungen Redakteure ausgelassen über neue Trends sinnieren, sitzt man zuhause, eine verstaubte Stieber Twins-Platte eiert am Grammophon und man will einfach nicht verstehen, was alle mit diesem "Sheesh" meinen. Hipsterrapper, Tweef und Money Boy. Money Boy ... was soll das eigentlich schon wieder sein? Früher haben wir noch gekifft und jetzt trinken die allen Ernstes Hustensaft – den trinke ich zwar auch, aber nur, weil ich früher eben viel gekifft habe. Von den engen Hosen will ich gar nicht erst anfangen. Wie ich die gute alte Zeit vermisse. Rap war noch real und Star Wars noch kein Disney-Franchise. In den Battles nennen sie sich neuerdings "Hurensohn", das hätt's früher auch nicht gegeben, diese Kinder – sowas von respektlos. Nicht weiter drüber nachdenken, lieber ins Bett, ist ja immerhin schon halb neun und der Morgenspaziergang erledigt sich nicht von selbst. Wenn nur diese Nachbarskinder etwas leiser wären. Also Ihr Lieben, kommt ran, Opa erzählt jetzt von einer Zeit, als das Gras noch grün war und Rapper noch Rapper sein durften:


    01. Interview
    02. Ausm Weg
    03. Steig ein!
    04. Mein Block
    05. Maske
    06. Mama ist stolz
    07. Sido und die Drogen
    08. Endlich Wochenende
    (indiziert)
    09. 3 Leben feat. Tony D, Mesut
    10. Knast feat. MOK
    11. Taxi feat. Olli Banjo
    12. Fuffies im Club
    13. Was hat er?
    feat. Olli Banjo
    14. Glas hoch! feat. Harris
    15. Die Sekte feat. B-Tight, Tony D, Mesut, Fuhrmann, Bendt
    16. Ghettoloch
    17. Sido aus’m Block
    18. Arschficksong RMX
    (nur auf Maske X)
    19. G mein Weg (nur auf Maske X)



    Sido! Ein Name den im Jahr 2017 ausnahmslos jeder kennen sollte, sah man den Ost-(ehemals West-)Berliner und seit kurzem auch stolzen Zi-Zi-Zigeuner in den letzten Jahren nicht nur im Jurystuhl diverser Castingshows, sondern auch unterstützt von Hitgaranten wie Andreas Bourani und Mark Forster in den Playlists aller Radiosender. Von seinem regelmäßigen Anbiedern im Mainstream kann man halten, was man möchte und ähnlich verhält es sich mit immer wiederkehrenden Versuchen, zu beweisen, dass er doch noch immer der Junge von der Straße ist. Ein Zwiespalt, in dem Sido selbst gefangen zu sein scheint und der eher mäßige Releases wie zuletzt "das goldene Album" zur Folge hat. Begeben wir uns allerdings zurück ins Jahr 2004 und befassen uns mit dem Solodebüt eines jungen Sido, dessen Gesicht zu diesem Zeitpunkt kaum jemand kannte.

    Erschreck dich nicht, Sido ist schrecklich frisch/
    Ich hab dir schon auf dem ersten Tape gesagt, dass du zu hässlich bist/

    (Sido auf "Maske")


    Gleich im Intro wird in Form eines fiktiven Interviews mit "Frank Furz vom Mittelfinger Gymnasium am Karl-Marx-Platz" (naja …) der Protagonist vorgestellt. Sido berichtet, mit wem wir es zu tun haben, erklärt, seit wann und warum er rappt, wo er herkommt und macht klar, dass es ihm in erster Linie um Geld und Drogen geht. Damit wäre dann eigentlich auch schon die Themenpalette, an der sich "Maske" bedient, beinahe in ihrer ganzen Breite abgearbeitet. Von "Glas hoch" über "Endlich Wochenende" bis zum partytauglichen "Fuffies im Club" sind in erster Linie Rauschmittel und nackte Frauen Thema, was auf dem Titelsong in der Zeile "Geld, Sex, Gewalt und Drogen/ Ich bin geboren für das Leben ganz oben/" zusammengefasst wird. Auch die zur Unterstützung beinahe vollzählig angereiste Sekte konzentriert sich im gleichnamigen Track neben klassischen Battlephrasen sehr stark auf Drogen. Gedisst wird in Aggro Berlin Manier auch zur Genüge und aus heutiger Sicht fällt auf, dass Seitenhiebe in Richtung Markus Staiger in den letzten 13 Jahren nichts an Unterhaltungswert eingebüßt haben. "Steig ein", die Erfolgssingle "Mein Block" oder das von Tony D und Mesut unterstützte "3 Leben" beschäftigen sich mit dem Dasein in Berlins Problembezirken: Teilweise wird Kriminalität und Armut übertrieben, ein anderes Mal stark romantisiert dargestellt.


    Wir hier im Viertel kommen klar mit diesem Leben/
    Ich hab' alle meine Freunde aus dieser Gegend/
    Hab' doch keine Angst vor dem Typ mit dem Schlagring/
    Er ist zwar ein bisschen verrückt, doch ich mag ihn/
    Ich kann verstehen, dass du dich hier nicht so wohl fühlst/
    Dass du viel lieber zuhause im Kohl wühlst/
    Du sitzt lieber an 'nem gut gedeckten Tisch/
    Dann merkst du schnell, Berlin is nichts für dich/

    (Sido auf "Steig ein")


    "Taxi" mit Gastrapper Olli Banjo erzählt die Geschichte eines Banküberfalls und eines Taxifahrers, der durch Zufall in die Sache reingezogen und zum Fluchtwagenfahrer wird. Laut eigener Aussage handelt es sich dabei um die einzige nicht autobiografische Nummer und um einen Geheimtipp auf der Platte. Der zweite Auftritt Olli Banjos in der Groupielovestory "Was hat er?" weiß leider wesentlich weniger zu überzeugen: Während Sido gewohnt ironisch über einen zu anhänglichen weiblichen Fan erzählt, muss der Featuregast sich mit dem Singen der ziemlich peinlichen Hook abfinden und sorgt so für einen der großen Fremdschammomente der früheren Deutschrapgeschichte. Bei all diesen Thematiken ist es doch erschreckend, dass "Maske" ausgerechnet wegen "Endlich Wochenende", genau der Nummer, die auch die Schattenseite von Party und Drogenexzessen beleuchtet, indiziert wurde. Aggro Berlin wäre allerdings nicht Aggro Berlin, hätten sie das Album nicht als "Maske X" neu aufgelegt und "Endlich Wochenende" durch den allem Anschein nach wesentlich kinderfreundlicheren "Arschficksong" ersetzt. Anale Entjungferung von Teenagermädchen mittels Sexspielzeug und die Vergewaltigung aufmüpfiger Rapperkollegen scheinen der BPJM weniger ein Dorn im Auge zu sein als eine durchgefeierte Nacht mit Schlägereien, Drogen und "den Homies Egon und Manfred" – ja, das ergibt Sinn. Das Produzentengespann leistete ebenfalls ganze Arbeit: Die Beathoavenz wissen durch bassgewaltige, atmosphärisch starke Stücke zu überzeugen, Roe Beardie – seines Zeichens für einen Großteil der Beats verantwortlich – erzeugt sowohl Clubsounds als auch düstere, ghettoeske, langsame Melodien, die perfekt auf das Album passen. Sidos eigene Produktionen "Ausm Weg", "Maske", "Mama ist Stolz" und "Knast" beeindrucken vor allem deshalb, weil sie trotz billigster Mittel und nicht sonderlich aufwändiger Struktur einfach durch einen gewissen Flavour überzeugen.

    Ich mein', wie lange gibt es Weihnachten/
    Und wie viele Rapper vor mir, die nicht dran dachten/
    Ein Weihnachtslied zu machen, ihr könnt mich ruhig hassen/
    Doch alle Jahre wieder klingeln bei mir jetzt die Kassen/

    (Sido auf "Ghettoloch")


    Ob man den massentauglichen, ruhigeren Sido von heute mag oder nicht, ob man sich 2005 schon zu den Becherwerfen am Splash! zählte oder ob man generell nie wirklich was mit ihm anfangen konnte, den Einfluss von "Maske" zu leugnen, ist schlicht nicht möglich. Selbst Menschen, die zum Release der Platte noch nicht geboren waren, kennen "Mein Block" und den "Arschficksong" und kaum jemand Mitte 20 kann heute von sich behaupten, nicht Teile der Lieder, oder vielleicht sogar das gesamte Album, auswendig mitgerappt zu haben.

    Ich bin der Arschfickmann das ist der Arschficksong und der geht/
    Dadadada daaaa daaa Dadadada daaaa daaa/

    (Sido auf "Arschficksong")



    El-Patroni (David)



    Bisherige Ausgaben:


    Eins Zwo – Gefährliches Halbwissen


    Creutzfeld Jakob – Gottes Werk und Creutzfelds Beitrag


    Curse – Feuerwasser


    Samy Deluxe – Samy Deluxe


    Azad – Leben


    Sonny Black & Frank White – Carlo Cokxxx Nutten


    ASD – Wer hätte das gedacht?

    Als ältestes Redaktionsmitglied hat man es nicht leicht. Während die jungen Redakteure ausgelassen über neue Trends sinnieren, sitzt man zuhause, eine verstaubte Stieber Twins-Platte eiert am Grammophon und man will einfach nicht verstehen, was alle mit diesem "Sheesh" meinen. Hipsterrapper, Tweef und Money Boy. Money Boy ... was soll das eigentlich schon wieder sein? Früher haben wir noch gekifft und jetzt trinken die allen Ernstes Hustensaft – den trinke ich zwar auch, aber nur, weil ich früher eben viel gekifft habe. Von den engen Hosen will ich gar nicht erst anfangen. Wie ich die gute alte Zeit vermisse. Rap war noch real und Star Wars noch kein Disney-Franchise. In den Battles nennen sie sich neuerdings "Hurensohn", das hätt's früher auch nicht gegeben, diese Kinder – sowas von respektlos. Nicht weiter drüber nachdenken, lieber ins Bett, ist ja immerhin schon halb neun und der Morgenspaziergang erledigt sich nicht von selbst. Wenn nur diese Nachbarskinder etwas leiser wären. Also Ihr Lieben, kommt ran, Opa erzählt jetzt von einer Zeit, als das Gras noch grün war und Rapper noch Rapper sein durften:



    01. Intro
    02. Sneak Preview
    03. Sandman
    04. Wer hätte das gedacht?
    05. ASD
    06. Is' wie's is'
    feat. Dean Dawson
    07. Im Grunde genommen
    08. Big Boys
    feat. Brooke Russell
    09. Yagayaa
    10. African Riddim
    11. Dance With Me
    feat. Tracey Moore
    12. Hey du (nimm dir Zeit)
    13. Interlude
    14. Weißt du wo die Party ist?
    15. Sag mir wo die Party ist!
    16. Vaterlos
    feat. D-Flame
    17. Frage / Antwort
    18. Komm schon
    19. Ich & er
    20. Outro
    feat. Brooke Russell


    Nachdem wir uns vor einem Monat ausführlich mit dem ersten Teil der CCN-Reihe befasst haben, folgt nun ein weiteres Kollaboalbum. Während Sonny Black und Frank White im Jahre 2002 noch recht unbeschriebene Blätter waren, fanden ein Jahr später mit Afrob und Samy Deluxe zwei Rapper zueinander, die durch Solo-Releases und Gastparts auf erfolgreichen Alben sowie gute Chartplatzierungen bereits ein gewisses Standing in der Szene vorweisen konnten. Umso gespannter blickte Rapdeutschland im März 2003 also auf deren gemeinsame Platte.


    Bounce zu dem Riddim, bounce, bounce zu dem Beat/
    Kauf die LP mit dem Sound, den ihr liebt/

    (Afrob und Samy Deluxe auf "African Riddim")


    Von der ersten Sekunde an war klar, dass für die Produktion von "Wer hätte das gedacht?" hohe Geldbeträge investiert wurden. Keine Spur von billigen Beats oder minderwertiger Soundqualität, vielmehr finden sich unter den Produzenten international bekannte Namen aus Übersee wie J Dilla, Wajeed und die New Yorker Legende Diamond D. Aus heimischen Gefilden sorgte der Name DJ Desue für Aufsehen und der kroatische Producer Baby Duke vollendete diese Beat-technische Weltreise. Trotz vieler verschiedener Produzenten weist "Wer hätte das gedacht?" ein einheitlich strenges und zugleich hochwertiges Soundkonzept auf: Jeder Beat passt zum anderen, alle sind gleichermaßen energiegeladene, treibende und bassgewaltige Stücke, die eher dem damaligen Zeitgeist der USA als dem von Deutschrap entsprachen. Gekrönt wurde all das von einem für Deutschrap-Verhältnisse überwältigenden Video zu "Sneak Preview": Während die Konkurrenz in teils schlechter Auflösung vor der eigenen Haustür oder bestenfalls 20 Kilometer weiter in einem Wald drehte, bretterten Afrob und Samy im weißen Geländewagen durch die Wüste. Auch wenn es heute eher lächerlich anmutet, zu sehen, wie die beiden in übergroßen Jogginganzügen vor einem brennenden Baum zum Takt nicken und wild gestikulieren, so trat dieses Video damals der gesamten Szene in den Arsch und hob die Messlatte für die kommenden Jahre ein ganzes Stück an.


    Brachte mir bei zu reimen und ordentlich zu rappen/
    Machte es mir möglich, Menschen an vielen Orten zu treffen/
    Preise zu gewinnen, sogar ein paar Rekorde zu brechen/
    Und für viele von den Kids hier als ein Vorbild zu sprechen/

    (Samy Deluxe auf "Wer hätte das gedacht?")


    Die beiden Rapper passten ihre Flows den unterschiedlichen Beats perfekt an, wirkten in keiner Sekunde unbeholfen und versprühten eine unerreichte Routine – man hört ihnen den Spaß und die Motivation an diesem Projekt bis heute in den meisten Tracks an. Sie variieren in den Themen, weisen beide eine solide (wenn auch nicht auffallende) Reimtechnik auf, klatschen immer wieder untereinander ab und brechen auch mit der klassischen 16er/Hook/16er/Hook-Songstruktur. Die meisten Songs auf "Wer hätte das gedacht?" sind Ohrwürmer und eine enorme Live-Tauglichkeit ist bei Stücken wie "Sneak Preview", "Sandman", "ASD" und "African Riddim" bis heute nicht von der Hand zu weisen. Auch wenn Samy Deluxe in punkto Rapskill seinem Kumpanen leicht überlegen scheint, so macht auch dieser zu keiner Zeit eine schlechte Figur und hat seinen Platz auf dem Album durchaus verdient.


    Wär' mein Scheiß kompliziert, versnobbt, ein bisschen tanzbar/
    Hieß ich Afrob, erster schwarzer Bundeskanzler/
    Rede euch gut zu. Sag, dass ich euch gut tu'/
    Zieh' euch in den Bann, denn ich hab etwas von Voodoo/

    (Afrob auf "Sneak Preview")


    "Wer hätte das gedacht?" erfand keinen neuen Stil, fügte Deutschrap keine bisher nicht vorhandenen Elemente hinzu und blieb auch nicht aufgrund von beeindruckender Reimtechnik, lyrischer Finesse oder besonderer Songkonzepte in Erinnerung. Das Album zeigte lediglich, was möglich ist, wenn talentierte deutsche Rapper und deren Labels bereit sind, Geld, Energie und Zeit in hochwertige Produktionen, gutes Mixing und Mastering sowie anständige Videos zu investieren. Das Ergebnis ist ein Release, welches bis heute noch hochwertig und gut klingt, dem man die Liebe zum Detail sowie die großen Namen, die daran arbeiteten, einfach anmerkt und das, obwohl sich ein kommerzielles Schielen auf Charterfolge nicht verleugnen lässt, trotzdem mehr ist als nur irgendein Rapalbum.



    El-Patroni (David)



    Bisherige Ausgaben:


    Eins Zwo – Gefährliches Halbwissen


    Creutzfeld Jakob – Gottes Werk und Creutzfelds Beitrag


    Curse – Feuerwasser


    Samy Deluxe – Samy Deluxe


    Azad – Leben


    Sonny Black & Frank White – Carlo Cokxxx Nutten


    01. Intro
    02. Ganz unten
    feat. Hanybal
    03. Hamdullah
    04. Masafaka
    feat. Kool Savas
    05. Geuner
    06. Papa ist da
    07. Der einzige Weg
    feat. Mark Forster
    08. Striche zählen feat. Blut & Kasse
    09. Dachboden Skit
    10. Diese Mucke
    feat. Haze
    11. Männaz mit Vaginaz feat. Estikay
    12. Alkohol
    13. Bljad
    feat. Der Russe & Estikay
    14. Ja man feat. Estikay
    15. Siggi Siggi Siggi


    Ob man ihn nun mag oder nicht, an Sido führt im Deutschrap kein Weg vorbei, hat er doch mit seinem Solodebüt "Maske" vorübergehend die ganze Musikrichtung aus der Versenkung gezogen, mit dem "Weihnachtssong" einen Hit geliefert, der noch heute zur besinnlichen Zeit immer wieder zu hören ist und schließlich mit "Bilder im Kopf" einen großen Teil dazu beigetragen, dass Deutscher Rap auch bei den größeren Radiosendern in die Playlists gelangte. Allem, was er für Rap getan hat stellen Kritiker allerdings auch gegenüber, der Berliner würde sich zugunsten hoher Geldbeträge und Charterfolge verkaufen. Auf diesem Drahtseil balanciert Sido wie kein Zweiter: wurde er 2005 am Splash! mit Bechern beworfen, stieg er bei einem Konzert drei Jahre später ins Publikum um sich mit einem "Fan" zu prügeln, der etwas in Richtung des Rappers warf. Auf einen Song, der mit Gastbeiträgen von halb Rapdeutschland geschmückt war, folgte die Radiosingle mit Andreas Bourani und als er in der Jury einer österreichischen Castingshow seinen Platz fand, schien ihm auch der letzte Funke Streetcredibility abgesprochen, bis er in eben dieser Show nur wenige Wochen später dem schnöseligen ORF Moderator mit Föhnfrisur vor laufender Kamera ins Gesicht schlug. Man weiß eben nie so recht, was man von Sido erwarten kann und genau so steht es mit seinem neuen Release:


    Guck das Haus, guck die Frau, guck das Auto, Bruder/
    Geschäfte laufen, Bruder, deine laufen ausm Ruder/
    Du warst auch ma' cooler, deine Gang – 'n Haufen Loser/
    In euerm Video steigt ihr gangstermäßig aus der U-Bahn/

    (Sido auf "Hamdullah")


    Wir beginnen gleich mit dem besten: Desue Beats! Sowas will ich hören, keine Spur von astronautenhaften Einer-Dieser-Steine-Popmelodien, sondern großartige, zum Kopfnicken einladende, hochwertige Produktionen mit Oldschoolflavor durchziehen "Das goldene Album", auch wenn sich mir nicht erschließt, warum man es für nötig hielt, auf "Hamdullah" ein Sample mit KRS-One-Vorbelastung zu rererecyceln. Trotzdem bilden die Instrumentals das unangefochtene Highlight auf der Platte und Desue zeigt ein weiteres Mal, warum sein Name seit vielen Jahren immer wieder ganz oben auf den Produzentenranglisten zu finden ist. Etwas weniger motiviert und inspiriert kommt da allerdings der Protagonist der Platte selbst daher: Sido macht, was er schon auf seinen ersten Alben machte, nur eben nicht mehr mit der Lockerheit und dem Hunger, die ihn einst von allen anderen abhoben.

    Guten Tag! Na, wie geht's? Sag, was macht ihr so?/
    Was mich angeht: ich ess' nie wieder Haribo/

    (Sido auf "Intro")


    Dass dies die beste Zeile für den Einstieg in ein doch recht heiß erwartetes Album sein soll, wage ich gleich zu Beginn schon mal zu bezweifeln. Ob Sido nun auf Diät ist, ein Problem mit der Marke Haribo an sich hat, oder ihn einfach nur die Angst treibt, Hauptfigur in einem Al-Gear-Video zu werden, geht hieraus nicht hervor, aber wie sagte einst ein junger Jan Delay – der Reim ist fett (wenn's nur so wäre …). Das "Intro" bietet neben einem gelungenen Beat auch noch Anfeindungen in Richtung Kollegah (eventuell auch Fler) und Respektsbekundungen an die 187-Straßenbande und markiert zumindest soundtechnisch schon mal, wo die Platte hin will. Inhaltlich fächert Sido im weiteren Verlauf die Themenpalette auf: "Ganz unten" erzählt Geschichten aus der Deutschen Unterschicht, von politischer und religiöser Radikalisierung, über Spielsucht bis zum Drogenhandel werden alle Klischees abgehandelt, auf "Striche zählen" wurde zugunsten von Reimen ganz klar am Inhalt gespart: In drei Parts, von denen jeder auf eine durchgehende Reimkette setzt, wird das Leben eines Häftlings beschrieben, nur leider geschieht dies bei weitem nicht mit der Kreativität, die man von einem Sido sonst gewohnt ist und so verschwindet ein Lied mit großem Potential einfach in der Versenkung. 2002 skandierte er noch lauthals "Westberlin! West! West! Westberlin", bevor er sieben Jahre später für "Hey Du", sein Outing zum Ostdeutschen, den Echo bekam und jetzt anno 2016 scheint ein weiterer kultureller Imagewandel angepeilt: Sido berichtet nun nämlich von seinem Zigeuner-Lifestyle, bestehend aus allerhand Kleinkriminalität und Gepöbel. Auch wenn mit Sicherheit was dran ist an seiner Abstammung, sind Aussagen wie "Ich bin ein Sinti von Kopf bis Fuß" doch etwas fragwürdig angesichts seines Lebensstils und betrachtet man bisherige Texte des Rappers, so bleiben Hinweise auf sein Zi-Zi-Zigeuner-Dasein weitestgehend aus. Gemeinsam mit Kool Savas wird dann noch mit Fernsehsendern und Magazinen, die ohne jegliche Grundkenntnis über HipHop berichten, aufgeräumt, was in seiner Form – und nicht zuletzt aufgrund des starken Featureparts – wohl einen der komplettesten Tracks auf dem Album darstellt. Auf "Männaz mit Vaginaz" (man beachte die Schreibweise und schäme sich fremd) schießt Sido in Richtung namentlich nicht genannter, aber doch ziemlich eindeutig beschriebener Rapperkollegen und pöbelt so in Zi-Zi-Zigeunermanier noch ein bisschen weiter. Ansonsten macht Sido das, was er vor einem guten Jahrzehnt schon erfolgreich gemacht hat: Er verpackt ernste Themen in ein humorvolles Gewand ("Alkohol"), schwingt die Moralkeule ("Papa ist da"), stellt seine Fähigkeiten im Storytelling mal besser ("Der einzige Weg"), mal weniger gut ("Striche zählen") unter Beweis und beweihräuchert sich natürlich auch selbst noch ein bisschen. "Siggi Siggi Siggi" lässt das Album dann noch mit einer eher mäßigen Nummer samt Hypnotize-Referenz enden und was ich jetzt denken soll, weiß ich ehrlich gesagt noch nicht, also noch ein Durchlauf.

    Ich geh' nicht ohne wenigstens einen von euch mitzunehmen/
    Ich hasse Arroganz – Markus Lanz soll sich ficken gehen/

    (Sido auf "Siggi Siggi Siggi")


    Fazit:
    Einige Stunden später: Ich sitze immer noch hier, habe "Das goldene Album" nun mehrfach gehört und krampfhaft versucht, mir eine Meinung zu bilden, doch so einfach ist das nicht. Einerseits unterhält mich das Beatgerüst aus dem Hause Desue derartig gut und einige Songkonzepte und vereinzelte treffende Punchlines Sidos machen auch wirklich Spaß, andererseits überwiegen lieblos wirkende Parts, die eher bescheiden ausfallenden Beiträge von Estikay und die Frechheit, die Der Russe sich anmaßt, Rap zu schimpfen. Das Release hat derart viele Höhen und Tiefen, dass jeder Hersteller von Achterbahnen vor Neid erblassen würde, kaum denkt man daran, die Platte auszumachen, setzt ein unfassbar guter Beat ein und wenige Minuten später enttäuscht Sido wieder mit austauschbarer Langeweile. Im Endeffekt überwiegen aber leider die Stellen, in denen Sido wirkt, als hätte er nicht wirklich Lust gehabt, ein Album zu machen und so ergibt sich ein steter Drahtseilakt zwischen gelungenem Entertainment und unmotiviertem Inspirationsvakuum.



    El-Patroni (David)


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