Review: Witten Untouchable – It was Witten



  • 01. Paraskavedekatriaphobie
    02. Von Anfang an
    03. Hände hoch
    04. Untouchable Cypher
    05. Melophobie
    06. Ring the Alarm
    feat. P. Hightower
    07. Internet Fame Gangsta
    08. Falsche Welt
    09. Somniphobie
    10. Albtraum
    11. Schlechte Nachrichten
    feat. Visa Vie
    12. Ihr habt es gewollt
    13. Ausnahmetalente
    14. Easiophobie
    15. Aaaaaahhhh!
    16. Perspektiven
    17. Lass mich los
    18. Zufall oder Schicksal
    19. Back to the Streets
    20. Aeon


    Es war Mitte November, als ich das erste Mal von Witten Untouchable las. Damals wurde in unseren News das Album "It was Witten" angekündigt ... und ich dachte nur so: Fehlt da nicht irgendwo ein "r"?! Aber man kennt sich halt nicht mit allem aus. Später stolperte ich erneut über die Wittener, als ich mich bezüglich einer anderen Review mit Rooq beschäftigte. Der steuerte nämlich bereits zu FiSTs "Sturmzeit" zwei Beats bei. Richtig mein Interesse geweckt haben Witten Untouchable aber erst, als ich eine Review über ihr Werk zugewiesen bekam. Also schaute ich mir schonmal die damals vorhandenen zwei Videos von ihnen an und dachte nur so: "Aaaaaahhhh!" – warum hast du noch nie von denen gehört? Denn es ist beschämend, wenn man erst mal sieht, wer hinter dem Namen überhaupt steckt: Unter anderem Lakmann, der schon eine Art "Untergrund-Legenden-Status" genießt – allein die alten Platten von Creutzfeld&Jakob gelten als Meilensteine der deutschen Rap-Szene. Und neben ihm noch Mess & Kareem, die als Gewinner der "SAE-Jamsession 2009" auch keine unbeschriebenen Blätter sind. Einige Zeit später kam dann auch endlich die CD an und ich legte sie in mein Autoradio ein, lauschte dem ruhigen Intro und ließ mich auf die Musik ein ...


    Und siehe da, nach 50 Kilometern Fahrt war die CD dann auch schon wieder zu Ende und ich dachte so: Krass. Die bleibt gleich drin und wird nochmal angehört. "It was Witten" klingt echt nach richtig klassischem Rap und ist problemlos und ohne zu skippen hörbar. Und das bei sage und schreibe 20 Tracks. Man bekommt direkt das Gefühl: Die drei Künstler haben Ahnung von dem, was sie da machen. Wenn man die Platte hört, merkt man, was für ein eingespieltes Team sie sind und dass sie enorm viel Liebe in ihre Musik stecken. Die Jungs kicken da einfach ihre Bars, nichts Gekünsteltes, sondern einfach drauf los, gegen die moderne Welt, Majorlabels und den heutigen Deutschrap. Richtig dreckiger Battlerap auf einzigartigen, abwechslungsreichen Beats. Das Werk weiß also durchaus zu gefallen, allein die "-phobie"-Skits hindern irgendwie den Hörfluss. Denn die plötzlich einsetzenden, sehr ruhigen Melodien und der jedes Mal gleiche, eintönige Text dazu wirken beim ersten Hören des Albums doch etwas deplatziert ... Aber erstmal wieder "Von Anfang an", zweiter Durchlauf.


    "Wie man sieht, gibt's ein' Grund, was zu ändern/
    Doch ich bleib' ein Untergrund-Kämpfer/
    Meine Kids, klar, die wachsen mit der Zeit/
    Peace, ich bin raus, Untouchable for Life/
    "
    (Lakmann auf "Von Anfang an")


    Zwei, drei Mal hören braucht es nämlich schon, bis man sich erst bewusst ist, was hier für geniale Lines mit dabei sind. Das heißt nicht etwa, dass zu undeutlich gerappt wird, sondern dass stellenweise sehr scharfsinnige Wortspiele dabei sind und sich einem nicht alle sofort erschließen. Wobei man wohl ankreiden muss, dass die Drei nicht immer perfekt zu verstehen sind und man gerade bei Kareem ab und an nicht jedes Wort nachvollziehen kann. Darum heißt es: hinhören. Denn Lines, bei denen man erst kurz um die Ecke denken muss, wie: "Das Game ist dreckig wie am Bahnhofs-WC/ wenn sich alle beugen, ist das Kunststück, geradezustehen" (Kareem auf "Falsche Welt"), sind keine Seltenheit. Doch damit nicht genug, auch technisch legen die Herren aus dem Ruhrgebiet ordentlich los. Keiner gönnt dem anderen was; wenn Kareem einige Lines auf technisch einwandfreiem Niveau spittet und locker leicht über den Beat flowt, kommt Lakmann im nächsten Part und haut da nochmal eine Schippe drauf. Allein raptechnisch kann man den Wittenern also nichts vorwerfen, sie schaukeln sich da in jedem Track gegenseitig hoch. Und textmäßig? Es handelt sich bei "It was Witten" nicht um ein Konzeptalbum, bei dem verschiedene Punkte auf einer Themenliste abgehakt werden. Hauptsächlich gibt es hier, wie gesagt, feinsten Battlerap. Aber keine oberflächlichen Punchlines, sondern amüsante Begründungen, warum der deutsche Rap heutzutage nicht der "Shit", sondern aus ihrer Sicht teilweise eher Scheiße ist. Denn "Jeder Nummer-eins-Rapper fällt irgendwann runter/ doch die Chicks woll'n nur Fame, man, wen wundert's" (Lakmann auf "Untouchable Cypher"). Aber das ist bei Weitem nicht alles. Auch sonst hält man im Ruhrgebiet wohl eher wenig von der heutigen Szene. Aus Internetfame machen sie sich ebenso nichts. Warum auch, früher hat man sich schließlich auch ohne selbigen einen Namen gemacht und auf der Straße Tapes verteilt. Gegen Ende hin wird es dann auch noch etwas tiefgründiger, wenn in "Aeon" jeder nochmal das gemeinsame Werk und seinen eigenen Werdegang Revue passieren lässt. Am herausragendsten ist allerdings "Schlechte Nachrichten". Bei all der Atmosphäre, die in den verschiedenen Tracks aufgebaut wird, stehen diese trotzdem im Schatten dieses Glanzstücks. Durch Moderatorin Visa Vie und den spannungsaufbauenden Beat läuft vor dem inneren Auge des Hörers ein Film ab, in dem quer durch Deutschland die Majorlabels zerstört werden.


    "Gib mir den Beat, ich saug' ihn auf wie mit Strohhalm/
    Du hörst es und liegst darauf ausgelaugt in deim' Wohnheim (Showtime)/
    Al Kareem – wie willst du verschont bleiben/
    Ich werf' MCs in die Luft, schieß' sie ab wie Tonscheiben/
    "
    (Kareem auf "Schlechte Nachrichten")


    Was bringen allerdings die krassesten Texte ohne eine vernünftige melodische Untermalung? Nicht viel. Aber hinter "It was Witten" steckt ja glücklicherweise ein ziemlich guter Produzent. Denn als solcher zeichnet Rooq verantwortlich, der die Platte komplett produziert und jeden einzelnen Beat dazu beigesteuert hat. Dadurch ist er auch derjenige, der zwar keinen einzigen Part droppt, aber trotzdem den roten Faden durch die Tracks zieht. Zwar kreiert Rooq mit diesem Faden eine düstere Atmosphäre, aber immerhin klingt das Ganze auch völlig zeitlos und orientiert sich kein Stück am poppig, Radiohit-verdächtigen Sound, den man sonst so hört. Außerdem sind die Beats trotzdem enorm abwechslungsreich, denn es wurden unterschiedlichste Elemente verwendet: von seichten Klavierklängen über harte Drums bis hin zu Atari-ähnlichen Sounds auf "Lass mich los" – und auf "Ring the Alarm" hört man sogar Dance-ähnliche Elemente. Dadurch klingen die Tracks teils grundverschieden und trotzdem wirkt es am Ende wie aus einem Guss. Und auch die bereits erwähnten Skits haben mehr Sinn, als man anfänglich vermutet – sie schaffen einen nahtlosen Übergang zwischen den ruhigeren Titeln wie "Ausnahmetalente" und darauffolgenden, aggressiveren wie "Aaaaaahhhh!". Außerdem sorgen sie für eine gewisse Erholung, bevor es dann wieder direkt Bars in die Fresse gibt. Kurz gesagt, rundet Rooq mit seinen Beats den Sound von Witten Untouchable wunderbar ab.


    "Witten Untouchable ist Zukunftsmusik/
    Ein Meisterwerk, ein Lebenszeichen/
    Das hier bleibt für Ewigkeiten/
    Zu jeder Zeit, auch wenn es uns nicht mehr gibt/
    "
    (Mess auf "Aeon")


    Und damit bin ich dann beim gefühlten 50. Durchlauf der CD. Und der Sound taugt immer noch. Lakmann, Mess und Kareem wissen, wie man unterhält. Sie wissen, wie man über jeden Beat flowt, dass es nur so ein wahrer Genuss ist, ihnen zuzuhören. Außerdem harmonieren ihre individuellen Stile wunderbar miteinander. Während Lakmann aggressiv wirkt und die richtig harten Lines bringt, kommt Kareem mit einer relativ weichen Stimmfarbe daher und bildet somit das Gegenstück. Mit Mess, welchen man vom Stil zwischen den beiden anderen ansiedeln kann, ergibt sich damit ein Klangbild, welches äußerst gut ins Ohr geht. Gepaart mit den Beats von Rooq resultiert daraus eine sehr finstere Battlerap-Platte, welche aber mit "Ring the Alarm" oder "Internet Fame Gangsta" auch einige fröhlichere Tracks mit sich bringt. Zumal die Hooks meist richtige Ohrwürmer sind. Natürlich hätte man diese Battle-Attitüde nicht unbedingt eine komplette CD lang durchziehen müssen. Und der ein oder andere kommt vielleicht auch mit der etwas eigenen, geringfügig vom jeweiligen Akzent geprägten Aussprache der Interpreten nicht klar. Aber zumindest wirkt der leicht eintönige Inhalt gerade dadurch und durch die unterschiedliche Vortragsweise nicht zu eindimensional. Wenn man dann also von solch eher ungünstigen Lückenfüllern à la "La-lalala-la-lalala" (Witten Untouchable auf "Von Anfang an") oder dem "Ring the Alarm" von P. Hightower, welches eher nach "Indianer" klingt, absieht, ist es für mich persönlich das HipHop-Release des Jahres 2013. Auch, wenn man das aufgrund der Charthits des letzten Jahres wohl doch eher anders sehen könnte.


    Fazit:
    Ich steige also nach einigen Fahrten mit "It was Witten" im Radio aus dem Auto und kann sagen: "Wow, das' der Shit, den ihr braucht." (Witten Untouchable auf "Ihr habt es gewollt"). Es ist schwer zu beschreiben, was diese Scheibe so krass macht. Einfach gesagt: Es ist das große Comeback des echten HipHop. Da kommt nach Jahren der stille Lakmann an, droppt ein Album und danach direkt noch ein großes Kollabo-Projekt mit Al Kareem und Magic Mess. Und es ist einfach so unfassbar dope, wie es "Gottes Werk und Creutzfelds Beitrag" damals war. Es gibt so viele Releases, die HipHop 2013 der breiten Masse nahegebracht haben. Und trotzdem kommen da drei alteingesessene Rap-Größen an und geben keinen Fick darauf. Kein großer Internet-Trubel um die Platte wie bei anderen Releases. Kein Mainstream-taugliches Gedudel à la Hipster- oder Emo-Rap. Sie würden sich sicher auch in der Sparte gut einbringen, wenn sie es wollten. Aber sie haben die Platte der Musik wegen gemacht, nicht für den eigenen Hype. Und genau dieses Feeling macht die CD so unfassbar gut – der unvergleichliche Oldschool-Sound, fernab der aktuellen Szene. Witten Untouchable sind genau das, wonach sie sich benannt haben – unantastbar. Aber zumindest hören sollte sie jeder wahre HipHop-Fan.



    Lukas Päckert (FlatDieter)

    [REDBEW]1373 [/REDBEW]

    Bewerte diese CD:
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  • "HipHop wär' so geil, hätte man 2Pac nicht ermordet/ und wär' Olli Banjo anstatt Rapper Fußballer geworden"


    das war al kareem...


    album des jahres für mich, hat nur die presse anders gesehen ;)


    edit: das lied ist nichtmal aufm album!

  • Zitat

    Original von Grape



    album des jahres für mich, hat nur die presse anders gesehen ;)


    Kann man so stehen lassen.

    Sündige vor Gott, breche das Inzest-Tabu
    denn HipHop macht uns zu Brüdern - und ich ficke deine Crew"




  • Danke für den Hinweis! Da hab ich den Juice Exclusive wohl schon so oft gehört, dass er für mich mit zum Album gehörte :D

  • 5 Sterne nur? Wenn ich mir so überlege wer hier schon mit 5 1/2 odr 6 davongekommen ist, empfinde ich das als krasse Ungerechtigkeit.


    Außerdem hast du die beiden besten textstellen nicht erwähnt:


    Kann nicht mehr schlafen, der Hunger, er weckt mich
    Midnight Dinner, du darfst blasen unterm esstisch


    Deutsche rapper denken das sie hart wären, die spinn' bloß
    Alles übertreiber wie hardware, bei windows

  • Habs noch nicht gehört. Werd das jetzt aber nachholen. Aber eine Frage: Kanns sein, dass Lakmann verdammt oft über die Themen "gescheiterter Old-School-Rapper" palavert? Schon auf Weekends Album halt.

  • eindeutig DAS release 2013! Ich hörs seitdem es draussen ist rauf und runter,fast jeden tag zur arbeit und zurück.....und ich arbeite manchmal die 6 tage oder die ganze woche:D
    echt sehr empfehlenswert!!!

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