Dieser Text war zuerst ein zusätzlicher Absatz, dann verworfen. Dann eine ganze negative Review, dann verworfen, dann ein Kommentar, dann wieder verworfen. Jetzt ist er das hier.
Eine Ideologiekritik
Das neue Album von Cro ist ein Paukenschlag. Ein musikalisches Wagnis, eine klangliche Experimentierfreude und eine ästhetische Versiertheit wie diese hat Deutschrap nur selten gesehen. Auch wir haben bereits darüber gesprochen, es gelobt, es bewundert. Zurecht: "tru." hält nicht nur mit HipHop-Standards spielerisch mit, sondern bewegt sich plötzlich mühelos auf den Standards internationaler Pop- und Indieproduktionen.
Ich habe es nicht genossen. Zumindest nicht uneingeschränkt. Meine ersten Notizen wurden nicht unabfällig in der Review als Randnotiz vom Chefredakteur als "Tumblr-Hysterie" abgetan. Das ist okay. Aber ich bleibe dabei: Inhaltlich zeichnet "tru." ein symptomatisches Bild einer gesamtgesellschaftlichen Krankheit. Eine vielleicht ungewollte Darstellung der tiefer greifenden Auswirkungen einer Gesellschaft im kapitalisiert aufgewachsenen Zeitalter des Konsums, des Materialismus und des Wegwerfens. Cro macht fundamentale Problemfelder des modernen Zusammenlebens sichtbar, ohne direkt darauf zu zeigen. Sein Gedankengang geht hier schlicht nicht weit genug.
Am Ende des Eskapismus
Um diese Spannungen nachvollziehen zu können, muss man sich zunächst auf die grundlegende Narrative des Albums einlassen. Über die 90 Minuten Spielzeit findet sich hier eine Erzählung über die Suche nach Unendlichkeit, die nach dem Erreichen eines popkulturellen Utopias einsetzt: Das erste Drittel des Langspieler zeichnet ein Bild des Es-Geschafft-Habens. Cro hat alles: Reichtum, Frauen, Berühmtheit, Sex. Er hat den Gipfel der Popkultur erreicht, "was soll ich sagen, diggi, Leben perfekt". Doch während dieser Abschnitt inhaltlich eine ekstatische Zelebration des Erfolgs zeigen will, schwingen zunehmend melancholische Untertöne in der Produktion mit: Samples zwischen Shoegaze, Dream-Pop und Ambient-Gefilden mit vereinzelten Vocal-Samples schaffen Texturen, die ihre Leere mit Reeverb und Delay auffüllen. Ein Symbolbild:
Der vielleicht wichtigste Wendepunkt des Albums setzt direkt auf dieser Achse ein. Denn auf "Baum" wendet die Stimmung sich schlagartig. Der Song selbst beschreibt eine Todesfantasie, allerdings keinen Fatalismus, sondern vielmehr eine Manifestation des Konflikts, der im ersten Drittel mehr latent verdrängt als verstummt formuliert war. Der Gipfel des Erfolgs bringt keine Erfüllung, sondern Leere. Die Fantasien, denen Cro sich im illustrierten Werdegang so selbstverständlich hingegeben hat, entpuppen sich in der Realität angekommen als Banalitäten. Auf einmal windet Cro sich zwischen Nostalgie und Langeweile ("was früher so normal war, ist heute von Bedeutung") und brüllt vor dem metaphorischen Tod eine Liste seiner Erfolge wie eine apostolische Dogmatik in den Nachthimmel. Die Desillusionierung der idealisierten Träume wirft ihn in die transzendentale Obdachlosigkeit zurück, das Utopia des Erfolgs birgt die versprochene Unendlichkeit nicht.
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[/YOUTUBE]"Es wird nach einem happy end/ im Film jewöhnlich abjeblendt", dichtete Tucholsky einst dazu. "tru." inszeniert einen Cro nach dem Happy End. Nach dem Karrierehöhepunkt könnte der Tod kommen, was bleibt übrig? Der menschliche Antrieb fordert eine neuen Ambition, eine Ambition, die über jenes Utopia hinausgeht, das Popkultur sein ganzes Leben lang hinter seinen nächsten Horizont stilisieren konnte. Denn all die Geschichten von Aufstiegen und Durchbrüchen stehen ab dem erreichten Happy-End still, die Unendlichkeit wird in der kompletten Freiheit von Konsum und Sexualität stilisiert. Cro erreicht diesen Zustand, den kapitalistischen Himmel und findet dort nichts. "Unendlichkeit" trägt diesen Wendepunkt darauf weiter: Worin sucht er seine Unendlichkeit nun?
Die Epiphänomenologie der Liebe
"Liebe", dieser gewaltige Begriff, stellt in unserer rationalen, kapitalistischen Welt die letzte Bastion der unhinterfragten Metaphysik dar, einer der wenigen Topoi, der über die genormte und rationale Gesellschaft hinauszugehen verspricht. Ein neuer Eskapismus für den Protagonisten, in den er seine Sehnsucht nach Unendlichkeit projizieren kann.
Dieser Gedanke entwickelt sich im zweiten und längsten Abschnitt des Albums. "computiful", der vielleicht herausragendste Titel, der unorthodoxeste Moment gestaltet sich als eine melancholische Meditation auf sein Beziehungsleben, in dem Frauen zu reinen Konsumobjekten degradiert werden. "Ich habe auf Tinder keinen Bock", verheißt der Gedankengang, eine Gegenreaktion gegen die schnelllebigen und oberflächlichen Begegnungen, die sein Leben schon seit seinen ersten Erfahrungen zu säumen scheinen und die durch die Berühmtheit nur noch extremer ablaufen. Doch hier beginnt das grundlegende Problem des Albums: Cros Vorstellung von Liebe ist eine Sehnsucht von Vollkommenheit und Perfektion, die er wahllos mal moralisch, mal sexuell und mal emotional auslegt. Doch seine zunehmend offensichtlich werdende Anspruchshaltung an die Frauen in seinem Leben suggeriert nie einen Dialog, nie zeigt sich eine Bereitschaft oder auch nur ein Wille, sich auf die gegenläufige Vorstellung seiner Partnerin einzulassen. Eine Ungleichheit der beiden Partner, die das Gefühl von Belanglosigkeit und Ersetzbarkeit erklären könnte.
Doch statt eine Haltung des Zugehens zu entwickeln, verschärft sich Cros Haltung gegenüber Frauen über die Laufzeit dieser Episode nur noch mehr in Richtung von schnelllebigem Konsum und Wegwerfmentalität. Die Inszenierungen und Beschreibungen der Frauen über Tracks wie "paperdream" oder "fake you." entwickeln sich zunehmend zu einem enttäuschten Zynismus. Die Bewertungen der Frauen basieren dabei auf zweifelhaften, beinahe chauvinistischen moralischen Standards ("auf einmal war Maria eine Slut, – löschen") oder einem unerfüllbaren Perfektionsanspruch: Insbesondere der Track "no. 105" stellt hier einen herausragenden Moment dar, denn hier wird geradezu Lampshading mit der Problematik betrieben.
Cro gibt hier den Topos des gottgleichen Schöpfers, der sich in artistischer Ekstase seine Traumfrau am Reißbrett zu zeichnen versucht. Das Ergebnis: Sie ist zu perfekt. "Die Chemie stimmt einfach nicht", resümiert er, schaltet die Androidin ab und versucht sich am nächsten Modell. Swipe nach links. Wie einfach es wäre, ihm hier eine subversive Selbstreflektion zu attestieren, zu sagen, er wäre sich ja aller Probleme von seiner Seite komplett bewusst und das gesamte Album würde dadurch zu einer subjektiven Wirklichkeit seines emotionalen Zustandes wandeln. Doch Track für Track, jedes mal sucht er die Schuld am Scheitern der Beziehung in seinem Gegenüber. Unreflektiert, ungeduldig, starrsinnig. Selbst Ace Tees Verse aus der weiblichen Perspektive geht nicht über die Sexualität hinaus, die Sicht einer Frau auf die Begegnungen kommt nicht zu Wort und scheint auch nicht von Bedeutung zu sein. Cro suhlt sich zu gerne in seiner selbtverschuldeten Wehleidigkeit.
Heimkehr
Am Ende von "tru." findet sich für ihn eine Lösung in der Heimkehr. Statt einer Reflektion, eines Lernprozesses über Zwischenmenschlichkeit und Beziehung akzeptiert er den Status Quo mit den Frauen als universelle, unabwendbare Ungerechtigkeit und macht es sich in der Rolle des missverstandenen, kaltherzigen Herzensbrechers bequem. Ein männlicher Archetyp, wie er toxischer nicht sein könnte; aber eben gut genug, um im selben Moment seine Abkehr von der Existenzkrise durch eine Rückkehr zur konservativen Normalität und zum Hedonismus zu zelebrieren.
Dies wird besonders durch die Parallele der Songs "todas." und "2kx" deutlich: Nostalgisch inspiriert teilen die beiden Songs nicht nur die Gospel-Einflüsse, sondern auch die wohl schattenloseste Positivität. "Man lebt, bis der letzte einen vergisst", auf dem effektiven Schlusstrack befindet sich der Protagonist auf dem Niveau des Einstiegs. Der Konflikt wird geschnitten, aber statt Auseinandersetzung gab es nur ein kurzes Aufflammen von Selbstmitleid und Wehleidigkeit, am Ende gibt er sich mit seinem selbstgeschaffenem und eigentlich auch bereits dekonstruiertem Utopia zufrieden, indem er es mit seiner Heimat kontrastiert.
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[/YOUTUBE]Hier offenbart sich Cro als der schwäbische Durchschnittstyp, der er insgeheim auch all die Zeit gewesen ist. Daheim lässt sich die transzendentale Obdachlosigkeit wieder durch ekstatischen Eskapismus und Hedonismus verdrängen. "Irgendwie langweilig": Denn hier traut es Cro sich nicht zu, den einen letzten Schritt zu gehen, die immer wieder implizierten Spannungen zu Maskulinität und Liebe wirklich zu verhandeln und damit eine wirklich revolutionäre Grenze einzureißen (all die subtilen Hinweise auf seine Eigenverantwortung, gerade auf Tracks wie "no. 105" wirken dadurch noch zynischer und feiger: Dieser Konflikt wird immer wieder aufgegriffen und angedeutet, aber dabei auf gesunder Distanz gehalten). Sprich: Ganz kurz vor dem ganz großen Wurf knickt er doch ein. Und so fühlt sich dieses eigentlich so großartige Album an, als würde eine rekordverdächtige Olympiakür vor der letzten Figur in sich zusammenbrechen. Eine Verschwendung auf den letzten Metern.
Schade.
(Yannik Gölz)