01. Anthrazit
02. Vienna
03. Alles probiert feat. Bonez MC
04. Bye Bye
05. Primo
06. Roots feat. Gentleman
07. Donna Imma
08. Niemals feat. Kontra K
09. Andere Liga
10. Luft
11. Money feat. Ufo 361
12. Teflon
13. Augenblick feat. Bonez MC
14. Entertainment feat. KC Rebell
15. Was jetzt
16. In meiner Wolke
17. Kontrollieren feat. Bonez MC, Gzuz, Maxwell
Es fällt gar nicht so einfach, RAF im Deutschrap-Kosmos einzuordnen. Spätestens seit dem beispiellosen Hype um das "Palmen aus Plastik"-Kollaboalbum mit Bonez MC kann man ihm die Sonderrolle in der Szene definitiv nicht absprechen und auch schon davor stellte er einen der wenigen Musiker des Landes dar, der gewissermaßen der Kurve voraus ist. Früh hat er begonnen, seine Dancehall-Sozialisierung in seine Musik zu integrieren und damit nun einen perfekten Zeitraum abgepasst: In den Staaten explodieren Tropical House- und Dancehall-Einflüsse im Mainstream, Acts wie Drake, Rihanna, aber auch Kygo, Diplo und Konsorten etablieren die Sparte, in der sich Camora schon seit 2010 wohlfühlt. Gewissermaßen zur richtigen Zeit am richtigen Ort war er dann, um den 187-Hype mit musikalisch solidem Crossover-Sound anzureichern, wie er zeitgleich in den Staaten en vogue war. Monströser Erfolg war also geradezu vorprogrammiert, es entstand allerdings auch keine einfache Situation, um etwas darauf anzuschließen; "Anthrazit" titelt nun ein Jahr später sein neues Album.
Die Tochter vom Schuldirektor wurde backstage vom ganzen Team sodomisiert/
Ich sponsorisiert/
Ein Rabe im Rücken, der alles um mich kontrolliert/
Es hat funktioniert/
Es hat funktioniert, jaa, es hat funktioniert/
(RAF Camora auf "Alles probiert")
Das dominante Motto auf der Platte ist dabei fürs erste More of the same: Die Einflüsse verschmelzen aus der bekannten Sozialisierung zwischen Frankreich (natürlich vor allem MHD), Westafrika und Jamaica und sorgen dabei für einen in Deutschland unüblich authentischen Song, stoßen aber auch recht schnell auf Camoras Grenzen an zwei Fronten: die musikalische Aufgeblasenheit und die völlige textliche Willkür. Fangen wir mit der weniger offensichtlichen Schwäche an, denn diese fängt genau da an, wo die große Stärke aufhört. Obwohl die Produktion aus der Feder von Beataura und RAF selbst einen guten Job macht, sich den Flair des Genres anzueignen und so einiges an Exotik-Punkten in einer deutschen Szene gewinnt, die sonst etwa den Spice-Faktor Mayonnaise aufweist, fühlt der Sound sich recht schnell wie ein One-Trick-Pony an. Eine Hauptmelodie (entweder ein sonnengetränktes Sample oder Synths zwischen Trance- oder House-Sounds) wird auf einen klassischen Dancehall-Drumbeat gezimmert und dann in einer ganze Menge Trap-Geräuschkullisse ertränkt.
Das Problem könnte man Maximalismus nennen, jedes Element im Mix wird so laut gedreht, wie es irgendwie geht, alles trieft vor Effekten – allen voran natürlich RAFs Stimme – ständig brummt und wuscht und zischt und scheppert es an allen Ecken und Enden. Gewissermaßen konstruiert sich hier ein Album, das Achterbahn, Strandbar, Geisterbahn, Actionfilm und Rotlichtviertel in einem tropischen Sonnenuntergang gleichzeitig sein will.
Mir wachsen Flügel aus Money (Money)/
Je echter die Uhr, umso faker die Welt/
Was für Probleme, man regelt sie schnell mit bisschen/
Money, guck in den Lauf, denn er will nur dein Money/
(RAF Camora auf "Money")
Dieses Kuddelmuddel spiegelt sich noch ärger in Camoras Lyrics wider, der viel offensichtlicheren Schwäche: Kann eigentlich irgendjemand sinnvoll zusammenfassen, was der Kerl darstellen will? Ich kann mir vorstellen, dass man eine Persona wie ihn herausbekommen würde, wenn man in einer Erstsemester-Klasse für Drehbuchautoren jeden Studenten in fünf Minuten eine spezifische Charaktereigenschaft ausdenken lässt und ohne Absprache alles auf die selbe Person projiziert. RAF ist ein krasser Fashionista-Player, der kein Problem hat, mit vielen Frauen zu schlafen. RAF ist ein mystischer Raben-Mann, den die Legende geschickt hat. RAF ist ein HipHop-Realkeeper, der die musikalischen Strömungen seiner Heimat repräsentiert. RAF respektiert Frauen. RAF respektiert Frauen nicht. Man könnte das Gefühl bekommen, dass er manchmal Game of Thrones und manchmal Sopranos schaut, aber während beider Serien immer mal wieder am selben Text weiterschreibt. Dass er selbst im Grunde überhaupt keinen Tiefgang mitbringt, macht die Dinge nicht besser. Er ist eine charakterliche Non-Präsenz, die sich wahllos irgendwelche Charakterzüge überstülpt, die gerade cool geklungen haben. Die Performance von RAF ergibt textlich zumeist weder groß Sinn noch macht sie wirklichen Spaß. Am ehesten funktioniert es, wenn er bei retrospektiven Karriererückblicken mal einigermaßen kohärent bleibt ("Alles probiert").
2016 zerfetzt/
Erst ein Ghøst, jetzt erkennt mich dein Dad/
Herz anthrazit, Oberfläche, die glänzt/
Dieses Album mein bestes bis jetzt/
(RAF Camora auf "Anthrazit")
Fazit
Man möchte RAF nicht unterstellen, keinen Durchblick über sein Genre und seine Einflüsse zu haben. Er denkt nur nicht weit genug zu Ende, was er eigentlich realisieren will, was dann dazu führt, dass er komplett ungefiltert Ideen in seine Musik einfließen lässt, die im Detail einfach nicht zusammenkommen wollen. Zu viel passiert gleichzeitig, was am Ende einen zähen, schleppenden und monotonen Sound entstehen lässt, der auf massiven siebzehn Anspielstationen auch recht schnell an Reiz verliert. Schaut man über die Exotik eines handwerklich soliden Dancehall-Klangs hinweg, entpuppt sich "Anthrazit" als halbherzig zusammengeflickter Musik-Frankenstein, das beim Versuch, alles gleichzeitig zu sein, gar nichts mehr so wirklich ist. Natürlich wird er sich damit kommerziell für den Moment gut schlagen und auch eine Menge Patte einfahren (nach all dem Struggle sei ihm das auch von Herzen gegönnt!), um aber in der Branche auch mit dem Aufkommen des nächsten Genrehypes noch bestehen zu können, müsste langsam eine musikalische Entwicklung her.
(Cuttack)
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