01. Der Misserfolg gibt mir Unrecht
02. Tilt!
03. Gettin' Jiggy With It
04. Marie-Byrd-Land feat. Tristan Brusch
05. Urlaubsfotograf
06. Wie alle Kippenstummel zwischen den Bahngleisen zusammen
07. Atomkraftwerke am Strand
08. Die Alpen
09. Kreuz
10. Inneres / Äußeres
11. Kino feat. Josef Hader
12. Irgendniemand feat. Tristan Brusch
13. Loser
14. In deiner Stadt feat. Tristan Brusch
Der Pressetext von "†il†" kündigt eine Abrechnung mit Gewesenem und einen Aufbruch nach vorne an. Wird also aus dem ehemaligen Freestyle-Rapper nun endgültig ein Indiepop-Künstler á la Tristan Brusch? Die Singer-Songwriter-Qualitäten sind bekanntermaßen vorhanden. Was wohl auch der Grund dafür war, dass Reviews zu Maeckes-Alben in der Vergangenheit immer ein großes Unterfangen waren. Zu inhaltslastig und dadurch undurchdringbar waren seine letzten Releases, sowohl Solo als auch als Teil der Orsons – wenn es einmal "Maeckes-esk" wurde. Hat man einmal das Geniale hinter dem abstrakten Gemälde mit vielen gegensätzlichen Farben erfasst, so erwartet einen stets etwas Wunderschönes, das aber nichts für jeden und zu jeder Zeit ist. Wenn er also beschließt, mit Tristan Brusch und Äh, Dings ein Album, das für die meisten etwas musikalischer und somit zugänglicher ist, zu machen, dann spricht da eigentlich nichts gegen – ganz im Gegenteil!
Maeckes, von einem simplen Gitarrenriff begleitet, kämpft sich gleich zu Beginn durch seine eigene depressive Gedankenwelt, nur um letztlich mit der Frage "Herr Ober, spucken sie mir nochmal eine Suppe?" aufzugeben und es unter schallenden Schlagzeug-Becken herauszuschreien. Schon hier zeigt sich wieder: Der Typ schreibt und denkt anders. Das kann einerseits befremdlich wirken, andererseits passt es auch gut und klingt irgendwie nachvollziehbar. "Wenn zum Beispiel der Pfarrer von der Liebe predigt, lernen die Menschen nicht das Lieben, sondern das Predigen." Er fügt die scheinbar verrücktesten Überlegungen – wie ein glitzernder, aber trister und wertloser Müllberg; Augen, die einem Schließmuskel ähneln und ein Rücken in der Form einer Rutsche – zu einer sonderbaren, fremden und doch bedrückend schönen Welt zusammen. Es ist eine Achterbahn der Gefühle: Ernst, zuweilen auch sehr traurig. Gleichzeitig aber wunderschön, streckenweise gar komisch und Halt gebend. Und doch sind es genau diese Gegensätze, die einen Track über den eigenen Vater ("Urlaubsfotograf"), das Gefühl von Sehnsucht ("Wie alle Kippenstummel auf den Bahngleisen zusammen"), die innere Leere ("Die Alpen") und das Selbstwertgefühl ("In der Stadt") so besonders machen, da er mit diesen Themen anders umgeht und somit mit vorgefertigten Wahrnehmungen und Gedanken bricht. Am Ende wünscht man sich fast schon, selbst ein "Irgendniemand“ oder "Loser" zu sein. Dass der gebürtige Österreicher es auch etwas kohärenter kann, zeigen ein melancholischer Song über das unerwiderte Lieben ("Marie-Byrd-Land") und "Kreuz" – ein simpler, aber dramatischer Storyteller über einen Jungen und seine erste Liebe, so geschrieben, dass ihn jeder auf Anhieb versteht und sich identifizieren kann. Und wenn es einmal zu viel und zu verstrickt wird ("Inneres / Äußeres", "Kino"), dann haben wir zum Glück noch den klar geschriebenen Refrain, an dem wir uns orientieren können. So sehr die Strophen einen Spielraum für Interpretationen bieten, in der Hook wird alles auf den Punkt gebracht.
Kommen wir zum Sound: Hier werden die Einflüsse von Tristan Brusch und Äh, Dings zum alles bestimmenden Moment. Der schon längst über Bord geworfene Status Quo eines Rap-Albums wird auf "Tilt" noch einmal aus dem Wasser gefischt und erneut in die Tiefen der Weltmeere gestoßen. Es wird in die Tasten gehauen, Glocken geklingelt, Gitarren gezupft, getrommelt und natürlich gesungen und geschrien – im ganzen Gestus dieses so lauten wie leisen Werkes. Gut, dass die drei trotz der Percussions, Gitarren, Bläser und anderen Tönen, die fast über das gesamte Album gewittern und gleiten, die kopfnickenden Rap-Fans nicht vergessen. Gerade auf dem lässigeren "Tilt!" und "Gettin' Jiggy with it" hört man am deutlichsten heraus, dass in ihm ein echter MC steckt. "Alpen" ist mit seinem Piano im Sample-Kostüm noch viel mehr Rap als der gespielte Bass auf "Atomkraftwerke am Strand", der an die programmierte knarzig-treibende Bassline von "Ich rolle mit meim Besten" erinnert. Trotzdem ist der musikalische rote Faden organisch, live-tauglich und vor allem Rap-untpyischer als auf vorherigen Maeckes-Releases. Harmonie wird hier großgeschrieben. Groß, aber in Kleinbuchstaben: Der gezielte Einsatz von einzelnen Elementen und die stellenweise skizzenartigen Arrangements fügen sich nahtlos zusammen. Hier stört nichts, überrascht einen oder sticht heraus. Nichts grundlegend Neues, aber definitiv auch nicht verkehrt. Adrenalin-Junkies würden es wohl "plätschern" oder "belanglos" nennen. Keine bretternden Beats aus krachenden Drums und aggressiven Synthies – die gewohnte Power und Energie, die entsteht, wenn man die Fruity-Loops-Datenbank plündert, ist hier nicht vorhanden, sondern viel subtiler.
Fazit:
"†il†" ist ein Album ohne objektive Schwachpunkte, bei dem man schnell merkt, ob es einem gefällt oder nicht. Es ist Maeckes' am schärfsten gezeichnetes Album und der nächste logische Schritt nach seinen vorherigen Releases in Richtung Open-Minded-Musiker. Das Gefühl von Hilflosigkeit, Resignation und daraus resultierender Losgelöstheit zieht sich durch das gesamte Werk. Aus der entsprechenden Perspektive kann man seine helle Freude haben und sich aufgrund der individuellen und charismatischen Texte richtig hineinfressen. Wem das Deutschrap-Korsett noch nicht zu eng geworden ist, dem wird das Ganze wohl eher nicht zusagen.
Gilbert Nagel
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