Review: Hubert Daviz & Retrogott – Kokain Airlines



  • 01. Intro
    02. Klebeband aus Porzellan
    03. Immer dasselbe
    04. Pappkelche
    05. Was machst du
    06. Kokain Airlines (Ego auf Reisen)
    07. Kunstunterricht
    08. Klassiker
    09. Anführungszeichen
    10. Ah oui oui


    Hulk Hodn und der Retrogott dürften als Duo den Meisten auch über die Grenzen des Oldschoolraps hinaus bekannt sein. Der Name Hubert Daviz stößt dagegen vermutlich, ein paar Szenekundige ausgenommen, auf taube Ohren. Als Produzent der "Zitate"-EP arbeitete Hubert Daviz schon 2009 mit dem bei Entourage gesignten Retrogott zusammen. Außerdem war das UpMyAlley-Mitglied unter anderem an der Produktion von Morlockk Dilemmas "Der Eiserne Besen" beteiligt. Eine interessante Kombination also, die uns ihre neue, gemeinsame EP "Kokain Airlines" da bietet und bei der sich eine genauere Betrachtung durchaus lohnt.


    Bereits im "Intro" fällt auf, dass Hubert Daviz und Retrogotts eigentlicher Weggefährte Hulk Hodn beattechnisch aus demselben Stall kommen; immerhin haben beide in der Vergangenheit bereits zusammengearbeitet. Spätestens ab der Hälfte des Tapes ist klar, dass die beiden auch durchaus in einer Liga spielen. Jazz- und Funksamples ergänzen sich mit knochentrockenen Drumspuren zu Instrumentals, die die Herzen von Oldschoolfans höher schlagen lassen. Genau wie Kollege Hulk Hodn praktiziert Hubert Daviz Sampling auf höchstem Niveau und kreiert damit einen authentischen Oldschoolsound, der trotzdem nicht altbacken wirkt. In dieser Hinsicht keine Überraschung für eine Retrogott-Veröffentlichung. Doch wie sieht es mit dem Rap aus? Auch auf "Kokain Airlines" bedient sich Retrogott aka Kurt Hustle der für ihn typischen bildhaften Sprache à la "Meine philosophische Idylle Ist ein Glas Wasser und 'ne Abtreibungspille für Eva"("Retrogott" auf "Ein$Note"). Dabei treibt der Kölner sein Markenzeichen diesmal teilweise auf Kosten des Reims auf die Spitze. Damit erinnert Retrogott das ein oder andere Mal an Audio88 – der gesellschaftskritische Aspekt bleibt hier allerdings eher aus, dafür sind die Assoziationsketten aber nicht weniger genial. "Kokain Airlines (Ego auf Reisen)" kann hier als Extrem herangezogen werden, weist der Titel doch stellenweise avantgardistische Züge auf. Neben der bildhaften Sprache schreit Kurt Hustle ab und an einfach ins Mikrofon, verfällt einen Moment später in einen Singsang und kommuniziert mit den Vocal-Samples. Der Name ist hier also Programm. Denn der Track ist zwar gewöhnungsbedürftig, doch kann in Hinblick auf einen Egotrip im Koksrausch – das Gesamtkonzept des Tracks – als durchaus gelungene Umsetzung angesehen werden. Was hier durchgeknallt und gestümpert wirkt, ist in Wahrheit wahrscheinlich ein durchkonzipiertes Stück Musik.


    "Ich sitze im Steinhaus und werfe Gläser an die Wand/
    Mir geht der Wein aus, aber nicht die Argumente/
    Dass alles ein Ende hat, ist eine Lüge/
    Die ich mir gerne auftischen ließe, wäre der Wein nicht ausgegangen/
    "
    (Retrogott auf "Kokain Airlines")


    Wer sich mit dem Rapper bereits auseinandergesetzt hat, der kennt die zentralen Themen seiner Texte. Und auch auf "Kokain Airlines" lassen diese nicht lange auf sich warten. So wird der Sellout kritisiert, WackMCs werden auseinandergenommen und Realkeeping praktiziert. Alles unter Verwendung starker Bildhaftigkeit, wodurch thematisch eigentlich stumpfe Battletracks zu lyrischen Perlen avancieren. Was auf früheren Veröffentlichungen bereits großartig war, hat auf "Kokain Airlines" nichts an Qualität eingebüßt. Souverän rappt Kurt Hustle über die vielseitigen Beats, teilt kräftig aus und bietet dabei selbst wenig Angriffsfläche. Auch durch einen ganz eigenen Flow mit teilweise ungewöhnlicher Betonung hebt sich der Retrogott von seiner Konkurrenz ab. So räumt er beispielsweise auf "Ah oui oui" auf seine ganze eigene Art und Weise mit der Szene auf.


    "Angepasste Idioten, die angeblich hart sind/
    Brüsten sich damit, dass sie in den Charts sind//
    Untergrund? Inszenierte Farce/
    Kussmund für den etablierten Arsch//
    "
    (Retrogott auf "Ah oui oui")


    Zwar sind die Reime oft nicht sonderlich aufwendig oder fehlen ganz, trotzdem schafft Retrogott das Kunststück, dabei im Flow zu bleiben. Allerdings ist es für den Hörer teilweise anstrengend, dem Text ohne Endreime zu folgen. Zudem wird man dadurch eher von den großartigen Instrumentals abgelenkt. Unter diesem Aspekt gehen die anspruchsvollen Lyrics teilweise doch etwas auf den Hörgenuss. Gab Retrogott auf vergangenen Veröffentlichungen in der Gesamtheit eher dem Reim den Vorzug, entstanden dort wesentlich "rundere" Tracks durch die Symbiose von Beat und Rap als auf "Kokain Airlines". Dementsprechend sind Tracks wie "Was machst du", "Anführungszeichen" und "Ah oui oui" hervorzuheben, die trotz konstanter Endreime nur wenig an der lyrischen Raffinesse einbüßen. "Kunstunterricht" hingegen entspricht genau dem beschriebenen Phänomen.


    "Sondereinsätze von Sondereinsatzkommandos/
    Die dazu dienen, aus meinen Texten die belanglosen Sätze auszusondern/
    Um sie dir dann in den Mund zu legen/
    Ich rede mir in Selbstgesprächen den Mund fusselig//
    "
    (Retrogott auf "Kunstunterricht")



    Fazit:
    Hubert Daviz und Retrogott veröffentlichen mit "Kokain Airlines" eine EP, die neben gewohnt starken Retrogott-Raps und großartigen Instrumentals einige experimentelle Stellen aufweist, in denen das Markenzeichen des Kölners bis zum Äußersten ausgereizt wird. Was einerseits als lyrische Meisterleistung angesehen werden kann, schränkt auf der anderen Seite teilweise den Hörgenuss ein. Im Großen und Ganzen bekommen Retrogott-Fans aber ein zufriedenstellendes Tape präsentiert.



    (Claude Gable)




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  • Zitat

    Gab Retrogott auf vergangenen Veröffentlichungen in der Gesamtheit eher dem Reim den Vorzug, entstanden dort wesentlich "rundere" Tracks durch die Symbiose von Beat und Rap als auf "Kokain Airlines"


    Meinst du damit, dass er in den älteren Veröffentlichungen mehr wert auf die Reimtechnik gelegt hat? Oder dass sich einfach nur alles irgendwie gereimt hat? Ersterem würde ich nämlich nicht zustimmen. Sehe es so, dass Kurt noch nie viel Wert auf Reimtechnik gelegt hat.


    Dennoch muss ich sagen, dass ich mir die Platte wohl nicht kaufen werde. War beim Releasekonzert, wo so ziemlich die ganze Platte gespielt wurde, und es hat mir irgendwie nicht gefallen. Kann auch nicht sagen wieso, aber irgendwie hats einfach nicht so gepasst wie bei seinen anderen Sachen.

    Don’t give yourselves to these unnatural men - machine men with machine minds and machine hearts! You are not machines! You are not cattle! You are men!
    You have the love of humanity in your hearts! You don’t hate! Only the unloved hate - the unloved and the unnatural!

  • Zitat

    Original von Nic-O


    Meinst du damit, dass er in den älteren Veröffentlichungen mehr wert auf die Reimtechnik gelegt hat? Oder dass sich einfach nur alles irgendwie gereimt hat? Ersterem würde ich nämlich nicht zustimmen. Sehe es so, dass Kurt noch nie viel Wert auf Reimtechnik gelegt hat.


    Dennoch muss ich sagen, dass ich mir die Platte wohl nicht kaufen werde. War beim Releasekonzert, wo so ziemlich die ganze Platte gespielt wurde, und es hat mir irgendwie nicht gefallen. Kann auch nicht sagen wieso, aber irgendwie hats einfach nicht so gepasst wie bei seinen anderen Sachen.


    letzteres, ja!

  • Dann sind wir ja doch einer Meinung.


    Auch gut zu lesen die Review übrigens

    Don’t give yourselves to these unnatural men - machine men with machine minds and machine hearts! You are not machines! You are not cattle! You are men!
    You have the love of humanity in your hearts! You don’t hate! Only the unloved hate - the unloved and the unnatural!

  • Zitat

    Original von Frank den Geilem
    ohne endreime zu flown is leichter als mit; der reim is doch ne zusätzliche struktur die beim flow beruecksichtigt werden muesste. vergleich mal lovesong und mondfinsternis.


    Das mag ja sein. Aber für den Hörer ist es viel schwieriger ohne Endreime zuzuhören.

  • Zitat

    Original von Claude Gable


    Das mag ja sein. Aber für den Hörer ist es viel schwieriger ohne Endreime zuzuhören.


    Nee, voll nicht. Wenn Rapper krass reimen, bin ich immer zu sehr damit beschäftigt, die Silben zu zählen.

  • Zitat

    Original von Frank den Geilem
    ohne endreime zu flown is leichter als mit; der reim is doch ne zusätzliche struktur die beim flow beruecksichtigt werden muesste. vergleich mal lovesong und mondfinsternis.


    Und der Mensch kommt mit strukturlosen Dingen natürlich viel besser klar. Ich schreibe jetzt auch ohne Leerzeichen, Punkt und Komma, weil das für mich eine zusätzliche Struktur ist, die ich beim Schreiben berücksichtigen muss


    Selten so einen Schwachsinn gelesen

  • hm, das release finde ich eigentlich (noch?) ganz gut. das album mit kutmasta kurt muss ich mir noch ganz anhören, ich habe aber jetzt nicht so den eindruck, dass er irgendwie krass nachlässt.

  • Zitat

    Original von suexf


    Und der Mensch kommt mit strukturlosen Dingen natürlich viel besser klar. Ich schreibe jetzt auch ohne Leerzeichen, Punkt und Komma, weil das für mich eine zusätzliche Struktur ist, die ich beim Schreiben berücksichtigen muss


    Selten so einen Schwachsinn gelesen


    Was ist denn komplizierter, Konditionierung hin oder her:
    "meineflowssindcooldennichuebeviel" oder "Meine Flows sind cool, denn ich uebe viel." ?

  • isso. find das ding auch ziemlich rund und tatsächlich fast besser als z.b. "fresh und umbenannt"...sich beim anhören 'n bisschen konzentrieren zu müssen, anstatt unterschicht-slang zu googlen, bekommt dem durchschnittlichen rap-hörer vermutlich auch mal ganz gut. jazz hören muss man halt auch erstmal "üben", bis man gefallen daran findet.

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