. Auch abgesehen davon, was unterscheidet im Kontext Ungleichbehandlung von Frauen den neoliberalen Kapitalismus vom, sagen wir, dem Industriekapitalismus im 19. Jahrhundert, wo das alles noch krasser war? Ist die Tatsache, dass Frauen mittlerweile überhaupt auf der Arbeit toleriert werden oder der Gender Pay Gap offiziell inakzeptabel ist und über die Jahrzehnte geringer geworden ist, wirklich darauf zurückzuführen, dass "der Kapitalismus" reinere Kriterien setzt? Und wenn ja, was hat dazu geführt, dass diese Kriterien sich gewandelt haben? Bzw. wieso war es überhaupt nötig, dieses "entscheidende" Kriterium endlich geschlechtsunabhängig und universell durchzusetzen, denn das war ganz sicher keine organische Entwicklung, die Kapitalisten aus Gutmütigkeit und Selbsterkenntnis heraus herbeigeführt haben.
Naja, im 19 Jahrhundert hat der Kapitalismus die Frauen noch nicht gebraucht. Er war da schon produktiv genug bzw. konnte er seine Produktivität immer genug steigern, um am Leben zu bleiben. Das ist heute nicht mehr der Fall. Würden alle Frauen von heute auf morgen streiken, das System würde zusammenbrechen. Der Kapitalismus muss seinen Sexismus abschaffen, weil er sonst nicht weiter existieren kann.
ZitatEs ist komplizierter als das, aber gleichzeitig auch sehr einfach: Eine Frau kann innerhalb patriarchaler Strukturen in eine Führungsposition kommen, aber nicht ALS eine Frau. Stellen wir uns mal ein Szenario vor, in dem eine Frau einen Mann herumkommandiert, in welchem Kontext auch immer, was ist der Grund dafür, wenn beispielsweise der Mann als "Pussy" wahrgenommen wird oder die Frau als "Mannsweib"? Wenn Alice Weidel im Bundestag sitzt oder irgendwelche Unternehmen berät, dann nimmt sie dabei Rollen ein, die mit maskulinen Eigenschaften assoziiert werden.
Du sagst selber, die AfD ist eine frauenfeindliche Partei, damit negierst du ein eigenes Argument. Wenn eine Frau diese Ansichten selber vertreten oder es innerhalb eines frauenfeindlichen Klimas weit bringen kann, dann kann sie das erstens offensichtlich nicht als "Frau" und zweitens ändert es nichts an der Existenz von struktureller Frauenfeindlichkeit. Dass Frauen heute in Führungspositionen kommen können, sagt genauso viel aus, wie dass es Pharaoninnen im alten Ägypten gegeben hat. Der weibliche Adel stand auch nicht im "Widerspruch" zu den patriarchalen Strukturen im Mittelalter. Oder um ein noch besseres Beispiel zu geben, dass überraschend viele Schwarze Anhänger von Trump sind, ändert auch nichts am rassistischen System der USA.
Sorry aber das ist mir eine viel zu einfache Ausrede. Wenn eine Frau scheiße ist, ist sie halt keine "richtige Frau", sondern sehr maskulin aber wenn ein Mann scheiße ist, dann ist er halt typisch Mann. Das ist zwar nicht was du gesagt hast. Aber so klingt es für mich. Warum schreibst du aggressives Verhalten in der Politik Männern zu? Oder ist das nur deine Beschreibung wie es die Gesellschaft angeblich wahrnehmen würde? Weil wenn dem so ist, ergibt der Rest deines Arguments nicht so wirklich sind. Denn du siehst bestimmte Charaktereigenschaften dann offensichtlich losgelöst von Geschlecht oder Ethnie, entsprechend kann man auch als Frau mit eben jenen Eigenschaften frauenfeindlich sein. Andernfalls beschreibst du ja bestimmte Charaktereigenschaften als "männlich" und setzt damit klare Rollenbilder voraus, was ja entsprechen sexistisch wäre.
ZitatEs gibt keine "Übervorteilung" von Frauen, die nicht wieder auf denselben vorherrschenden Geschlechternormen basiert, die auch Sexismus reproduzieren. Jaja, du bist krass benachteiligt, weil du deine Freundin nicht öffentlich schlagen kannst, während es umgekehrt niemanden jucken würde. Worauf diese Verhaltensregeln gründen, wollen wir aber natürlich nicht weiter nachfragen.
Zum einen, klar basiert Bevorteilung von Frauen auf bestehenden Geschlechternormen. Der Punkt ist, dass alles was eine Benachteiligung von Männern darstellt so oft als Sexismus gegen Frauen umgedeutet wird. Beispiel Sorgerecht und Erziehung. Da sind es ja immer die armen Frauen, die immer noch in die Mutterrolle gedrängt werden und Sexismus erfahren, nicht etwa die Männer, denen soziale Kompetenzen abgesprochen oder die Möglichkeit ihre Kinder groß zu ziehen verwehrt wird. Dass es Sexismus gegen Männer gibt konnten die aller wenigsten Feministinnen, die ich bisher kennen lernen durfte zugeben. Wie sieht es mit dir aus? Um das mal an einem anderen Beispiel festzumachen: Beschneidung ist bei Männern legal, bei Frauen aber verboten? Warum? Weil das Leben von Männern schlicht nicht als gleichermaßen schützenswert angesehen wird.
ZitatDie Grünen sind aber auch nicht gerade bekannt dafür, den linksradikalen Diskurs zu repräsentieren.
Diese Aussage ist besonders interessant im Kontext dessen, dass du später von der 68er Bewegung schreibst und dass diese für die kulturellen Umschwünge verantwortlich seien. Dass die Grünen als Partei aus eben jener Bewegung hervorgegangen sind, solltest du doch eigentlich wissen. Insofern halte ich sie durchaus für repräsentativ. Meinetwegen können wir gerne noch DIE LINKE oder die brauchbaren Teile der SPD mit einbeziehen.
ZitatFeministische Linke üben keine grundlegende Kritik am Kapitalismus und das ist für dich ein Fehler, bis dahin ist alles schön und gut. Das Problem fängt da an, wo du dich aus diesem Grund von der "Idee" des Feminismus (also unabhängig von den einzelnen Individuen, die sie repräsentieren) distanzierst und eine Kapitalismuskritik ohne eine Kritik an der Geschlechterordnung haben willst. In anderen Worten, wenn du den Feminismus danach beurteilst, was Individuen - ob sie die Mehrheit stellen oder nicht ist da irrelevant - daraus machen, anstatt ihn als einen Begriff aufzunehmen, um dessen Bedeutung gekämpft werden kann.
Erstmal habe ich gegen "die Idee" des Feminismus nichts, ich habe etwas gegen viele der aktuellen Strömungen und von denen distanziere ich mich. Eben auch um damit den Begriff umzudeuten, um klar zu machen nach Außen, das ist kein Feminismus, sondern schlicht Schwachsinn. Unabhängig davon halte ich den Begriff Feminismus mittlerweile auch für verbraucht und unpassend. Sich selbst einen Egalitarist zu nennen ist aber anscheinend bei vielen Feministinnen sehr verpönt. Und da aktuell so viele Feministinnen sehr viel Wert auf die richtige Sprache und Genderung legen, sehe ich es wirklich nicht ein mich einer Bewegung anzuschließen, die sich dem Begriff nach offensichtlich an Frauen richtet und sich für Frauen einsetzt.
ZitatWir müssen Unternehmensvorstände nicht mögen, aber was sagt es über deren Strukturen aus, dass sie überwiegend männlich sind?
Vielleicht dass Frauen im Durchschnitt nicht so doof sind, einen Großteil ihres sozialen Lebens aufzugeben und was noch alles dazu kommt. Ich sehe es an meinem Vater und zum Teil an meiner Mutter, was es heißt in einer Führungsposition zu sein. Das ist kein Leben, was ich für mich wollen würde. Ich verstehe nicht mal warum, dass irgendjemand wollen würde.
ZitatIch glaube ich habe noch NIE mitbekommen, dass jemand bewusst falsch behauptet, Frauen würden für denselben Job 20% weniger Gehalt kriegen. Wenn überhaupt, dann steht mal in einem schlampigen Facebookbeitrag oder Tweet, dass Frauen immer noch sogar für denselben Job weniger bezahlt werden (wo man implizit den bereinigten GPG meint) und in einem anderen Satz, dass der GPG insgesamt bei 20% liegt oder so.
Dafür, dass sie so oft darauf hingewiesen werden, passiert das aber seltsamerweise jedes Jahr zu tausenden von offiziellen Parteiaccounts. Ich glaube kaum, dass dort irgendwas schlampig verfasst wird, sondern man sich ganz bewusst dafür entscheidet, weil es die einprägsamere Botschaft ist.
ZitatDu kannst dann zwar meinetwegen immer noch die Kritik anbringen, dass es missverständlich ist, Falschinformationen fördert diesdas, weil die genauen Statistiken nicht penibel und differenziert wiedergegeben werden, aber mindestens genauso wichtig ist es zu begreifen, dass die reaktionären Gegenargumente von wegen "ist nur so hoch, weil Frauen durchschnittlich weniger gutbezahlte Jobs haben" völlig am Punkt vorbeigehen. Wenn man den Pay Gap trotzdem als Problem wahrnimmt, weil es überhaupt keinen Grund dafür gibt, dass Frauen aus biologischen/genetischen Gründen nicht für qualifiziertere Jobs geeignet sind, dann hat sich der Hinweis darauf von selbst erledigt. Du hängst dich an Kleinigkeiten auf, anstatt auf das essentielle Problem des GPGs einzugehen.
Das essentielle Problem ist da meiner Meinung nach, dass man den Pay Gap komplett auf Sexismus reduziert von feministischer Seite und offensichtlich nicht mal auf die Idee kommt, dass auf andere Faktoren reinspielen. Wie dass vielleicht (wer weiß könnt ja sein) Frauen tendenziell schlicht weniger Interesse an bestimmten Berufen haben. Warum haben wir denn in Schweden zum Beispiel, ein Land, dass so stark wie wahrscheinlich kein anderes auf der Welt darauf achtet "Gleichberechtigung" zu erreichen, ein Verhältnis von 20 Krankenschwestern zu einem Krankenpfleger? Und warum ist es in den meisten noch wirklich patriarchalen Gesellschaften wie Iran so, dass dort deutlich mehr Frauen in MINT-Fächern studieren? Hauptsächlich weil dort selbige Berufe mit finanzieller Unabhängigkeit verbunden sind. Wenn die Leute aber nicht auf Geld derart angewiesen sind entscheiden sie sich (vielleicht) einfach für die Sachen, die sie mehr interessieren. Könnte ja sein. Aber das wird ja per se verneint und dass man den unbereinigten GPG nutzt ist halt ein Ausdruck davon. Dazu passt auch das meiner Meinung nach mittlerweile sehr gestörte Verhältnis einiger Feministinnen zu einer klassischen Familie oder Frauen, die sich bewusst für das Dasein als Hausfrau entscheiden.
ZitatDer springende Punkt ist, nicht seine eigenen Positionen anhand eines vorgegebenen Rahmens zu qualifizieren, sondern den Rahmen selber zu verändern, der die Deutungshoheit über den Begriff "links" hat. Das ist mit einer Einstellung von wegen "ich bin auf den ganzen Scheiß nicht angewiesen, ich will nur meine Meinung haben" nicht möglich.
Und jetzt erkläre mir noch, warum ich überhaupt versuchen sollte die Deutungshoheit über den Begriff links zu erlangen? Ich lege nicht viel wert auf solche Einteilungen und das Links-Rechts Verständnis von Politik ist schon längst überholt. Und "die Linke" zu retten ist meiner Meinung nach genauso unsinnig, wie der Versuch die Sozialdemokratie zu retten. Das sind alte und veraltete Denkweise, entstanden zu einer Zeit mit völlig anderen Möglichkeiten und Problemen. Meinetwegen kann "die Linke" gerne untergehen. Vielleicht entwächst daraus etwas neues und besseres. Was das sein könnte, den Diskurs führe ich gerne, auch mit einem Allgemeingültigkeitsanspruch.