01. Intro
02. Ganz unten feat. Hanybal
03. Hamdullah
04. Masafaka feat. Kool Savas
05. Geuner
06. Papa ist da
07. Der einzige Weg feat. Mark Forster
08. Striche zählen feat. Blut & Kasse
09. Dachboden Skit
10. Diese Mucke feat. Haze
11. Männaz mit Vaginaz feat. Estikay
12. Alkohol
13. Bljad feat. Der Russe & Estikay
14. Ja man feat. Estikay
15. Siggi Siggi Siggi
Ob man ihn nun mag oder nicht, an Sido führt im Deutschrap kein Weg vorbei, hat er doch mit seinem Solodebüt "Maske" vorübergehend die ganze Musikrichtung aus der Versenkung gezogen, mit dem "Weihnachtssong" einen Hit geliefert, der noch heute zur besinnlichen Zeit immer wieder zu hören ist und schließlich mit "Bilder im Kopf" einen großen Teil dazu beigetragen, dass Deutscher Rap auch bei den größeren Radiosendern in die Playlists gelangte. Allem, was er für Rap getan hat stellen Kritiker allerdings auch gegenüber, der Berliner würde sich zugunsten hoher Geldbeträge und Charterfolge verkaufen. Auf diesem Drahtseil balanciert Sido wie kein Zweiter: wurde er 2005 am Splash! mit Bechern beworfen, stieg er bei einem Konzert drei Jahre später ins Publikum um sich mit einem "Fan" zu prügeln, der etwas in Richtung des Rappers warf. Auf einen Song, der mit Gastbeiträgen von halb Rapdeutschland geschmückt war, folgte die Radiosingle mit Andreas Bourani und als er in der Jury einer österreichischen Castingshow seinen Platz fand, schien ihm auch der letzte Funke Streetcredibility abgesprochen, bis er in eben dieser Show nur wenige Wochen später dem schnöseligen ORF Moderator mit Föhnfrisur vor laufender Kamera ins Gesicht schlug. Man weiß eben nie so recht, was man von Sido erwarten kann und genau so steht es mit seinem neuen Release:
Guck das Haus, guck die Frau, guck das Auto, Bruder/
Geschäfte laufen, Bruder, deine laufen ausm Ruder/
Du warst auch ma' cooler, deine Gang – 'n Haufen Loser/
In euerm Video steigt ihr gangstermäßig aus der U-Bahn/
(Sido auf "Hamdullah")
Wir beginnen gleich mit dem besten: Desue Beats! Sowas will ich hören, keine Spur von astronautenhaften Einer-Dieser-Steine-Popmelodien, sondern großartige, zum Kopfnicken einladende, hochwertige Produktionen mit Oldschoolflavor durchziehen "Das goldene Album", auch wenn sich mir nicht erschließt, warum man es für nötig hielt, auf "Hamdullah" ein Sample mit KRS-One-Vorbelastung zu rererecyceln. Trotzdem bilden die Instrumentals das unangefochtene Highlight auf der Platte und Desue zeigt ein weiteres Mal, warum sein Name seit vielen Jahren immer wieder ganz oben auf den Produzentenranglisten zu finden ist. Etwas weniger motiviert und inspiriert kommt da allerdings der Protagonist der Platte selbst daher: Sido macht, was er schon auf seinen ersten Alben machte, nur eben nicht mehr mit der Lockerheit und dem Hunger, die ihn einst von allen anderen abhoben.
Guten Tag! Na, wie geht's? Sag, was macht ihr so?/
Was mich angeht: ich ess' nie wieder Haribo/
(Sido auf "Intro")
Dass dies die beste Zeile für den Einstieg in ein doch recht heiß erwartetes Album sein soll, wage ich gleich zu Beginn schon mal zu bezweifeln. Ob Sido nun auf Diät ist, ein Problem mit der Marke Haribo an sich hat, oder ihn einfach nur die Angst treibt, Hauptfigur in einem Al-Gear-Video zu werden, geht hieraus nicht hervor, aber wie sagte einst ein junger Jan Delay – der Reim ist fett (wenn's nur so wäre …). Das "Intro" bietet neben einem gelungenen Beat auch noch Anfeindungen in Richtung Kollegah (eventuell auch Fler) und Respektsbekundungen an die 187-Straßenbande und markiert zumindest soundtechnisch schon mal, wo die Platte hin will. Inhaltlich fächert Sido im weiteren Verlauf die Themenpalette auf: "Ganz unten" erzählt Geschichten aus der Deutschen Unterschicht, von politischer und religiöser Radikalisierung, über Spielsucht bis zum Drogenhandel werden alle Klischees abgehandelt, auf "Striche zählen" wurde zugunsten von Reimen ganz klar am Inhalt gespart: In drei Parts, von denen jeder auf eine durchgehende Reimkette setzt, wird das Leben eines Häftlings beschrieben, nur leider geschieht dies bei weitem nicht mit der Kreativität, die man von einem Sido sonst gewohnt ist und so verschwindet ein Lied mit großem Potential einfach in der Versenkung. 2002 skandierte er noch lauthals "Westberlin! West! West! Westberlin", bevor er sieben Jahre später für "Hey Du", sein Outing zum Ostdeutschen, den Echo bekam und jetzt anno 2016 scheint ein weiterer kultureller Imagewandel angepeilt: Sido berichtet nun nämlich von seinem Zigeuner-Lifestyle, bestehend aus allerhand Kleinkriminalität und Gepöbel. Auch wenn mit Sicherheit was dran ist an seiner Abstammung, sind Aussagen wie "Ich bin ein Sinti von Kopf bis Fuß" doch etwas fragwürdig angesichts seines Lebensstils und betrachtet man bisherige Texte des Rappers, so bleiben Hinweise auf sein Zi-Zi-Zigeuner-Dasein weitestgehend aus. Gemeinsam mit Kool Savas wird dann noch mit Fernsehsendern und Magazinen, die ohne jegliche Grundkenntnis über HipHop berichten, aufgeräumt, was in seiner Form – und nicht zuletzt aufgrund des starken Featureparts – wohl einen der komplettesten Tracks auf dem Album darstellt. Auf "Männaz mit Vaginaz" (man beachte die Schreibweise und schäme sich fremd) schießt Sido in Richtung namentlich nicht genannter, aber doch ziemlich eindeutig beschriebener Rapperkollegen und pöbelt so in Zi-Zi-Zigeunermanier noch ein bisschen weiter. Ansonsten macht Sido das, was er vor einem guten Jahrzehnt schon erfolgreich gemacht hat: Er verpackt ernste Themen in ein humorvolles Gewand ("Alkohol"), schwingt die Moralkeule ("Papa ist da"), stellt seine Fähigkeiten im Storytelling mal besser ("Der einzige Weg"), mal weniger gut ("Striche zählen") unter Beweis und beweihräuchert sich natürlich auch selbst noch ein bisschen. "Siggi Siggi Siggi" lässt das Album dann noch mit einer eher mäßigen Nummer samt Hypnotize-Referenz enden und was ich jetzt denken soll, weiß ich ehrlich gesagt noch nicht, also noch ein Durchlauf.
Ich geh' nicht ohne wenigstens einen von euch mitzunehmen/
Ich hasse Arroganz – Markus Lanz soll sich ficken gehen/
(Sido auf "Siggi Siggi Siggi")
Fazit:
Einige Stunden später: Ich sitze immer noch hier, habe "Das goldene Album" nun mehrfach gehört und krampfhaft versucht, mir eine Meinung zu bilden, doch so einfach ist das nicht. Einerseits unterhält mich das Beatgerüst aus dem Hause Desue derartig gut und einige Songkonzepte und vereinzelte treffende Punchlines Sidos machen auch wirklich Spaß, andererseits überwiegen lieblos wirkende Parts, die eher bescheiden ausfallenden Beiträge von Estikay und die Frechheit, die Der Russe sich anmaßt, Rap zu schimpfen. Das Release hat derart viele Höhen und Tiefen, dass jeder Hersteller von Achterbahnen vor Neid erblassen würde, kaum denkt man daran, die Platte auszumachen, setzt ein unfassbar guter Beat ein und wenige Minuten später enttäuscht Sido wieder mit austauschbarer Langeweile. Im Endeffekt überwiegen aber leider die Stellen, in denen Sido wirkt, als hätte er nicht wirklich Lust gehabt, ein Album zu machen und so ergibt sich ein steter Drahtseilakt zwischen gelungenem Entertainment und unmotiviertem Inspirationsvakuum.
El-Patroni (David)
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