Special: Kurz-Reviews November 2013

  • Im Jahr 2013 sieht man sich als eigenständiges Deutschrap-Magazin in einer wahren Dilemmasituation gefangen: Der Markt ist längst übersättigt. Tagtäglich wächst die Szene exponentiell, ein Ende ist nicht in Sicht – Rapper kommen, aber so wirklich gehen wollen sie nicht, selbst wenn sie's sagen. Comebacks an jeder Ecke. Und nachdem vor einigen Jahren noch sämtliche Plattenfirmen dicht machten, schießen neue Labels langsam wieder aus allen Böden. Vorbei die Zeiten von Aggro Berlin, BOZZ Music und Optik Records – die Ära der Freunde von Niemand, der Azzlackz, der Halunkenbanden und der Banger-Musiker hat unlängst begonnen. Bei einer solchen Vielfalt an neuen Künstlern ist es natürlich nicht ganz so einfach, den Überblick zu behalten – was ist wichtig, was könnte noch wichtig werden und was kann man getrost unter den Tisch fallen lassen? In internen Gesprächen kommen sie immer wieder auf – die Fragen, wer sich nun seine Review verdient hat, wer seinen Platz in den "Unknown Kings" kriegen sollte und wer zwar ein guter Künstler ist, aufgrund von Kapazitätenauslastung aber leider keine Plattform von uns geboten bekommt. Und das sind teilweise leider so Einige ... Was uns zur Dilemmasituation zurückführt: Allen kann man's in der heutigen Zeit unmöglich Recht machen. Es ist ein wenig wie in "300": eine Hand voll Redakteure sieht sich einer Übermacht an Rappern gegenübergestellt. Deshalb wollen wir mit diesem Special mal einen kleinen Exkurs wagen – abseits der unbekannten Könige und der sowieso schon bekannten Acts ist nämlich nach wie vor ein Haufen aufstrebender Künstler in der Szene unterwegs, die wir euch im Rahmen einiger Kurz-Reviews vorstellen möchten ...



    grim104 – grim104


    Zugezogen Maskulin stehen seit Kurzem bei Buback Tonträger unter Vertrag, weswegen das Hamburger Indie-Label die Hörerschaft im November gleich doppelt beliefert. Neben dem Re-Release von Testos "Töte deine Helden"-EP meldet sich auch die andere Hälfte des Duos zu Wort. grim104 veröffentlicht eine nach ihm benannte EP, die nicht nur die bisherigen ZM-Fans begeistern dürfte. Mit ordentlich Wut im Bauch, welche sich in fast schon geschrienen Strophen manifestiert, steigert er den omnipräsenten Kloß im Hals der Gesellschaft zu horrorfilmähnlichen Szenarien und macht überdeutlich, was ihm an der Welt nicht passt. Sphärische Beats wabern unauffällig im Hintergrund, während grim104 die kollektive Aufbruchs- und Revolutionsstimmung auf "Der kommende Aufstand" in drastischste Ausmaße wachsen lässt oder gemeinsam mit Partner Testo die Fehlentwicklungen der Rapszene hin zu Bodybuilderrap und Instagram-Pseudokultur als "Dreck Scheisse Pisse" anprangert. Zwischen den ruhigen Klavierklängen von "Ich töte Anders Breivik" und dem finsteren Sound des Anti-Hinterlands "Crystal Meth in Brandenburg" herrscht eine durchweg bedrückende Grundatmosphäre, auf der grim104 desillusionierte Ansichten mit fiktiven Gruselbildern vereint. "grim104" ist experimenteller Flow und atmosphärischer Sound als personifzierte Symbiose aus Hass und Nihilismus, verpackt in aggressiven und doch irgendwie humorvollen Texten. Definitiv mehr als hörenswert.




    Testo – Töte deine Helden


    Die zweite ZM-Veröffentlichung im November ist das Re-Release von Testos "Töte deine Helden"-EP, welche vor circa einem Jahr erstmals das Licht der Welt erblickte. Die neue Version weist eine leicht abgeänderte Tracklist auf, beschränkt sich jedoch weiterhin auf 6 Titel. Während sowohl das Feature mit grim104, "Diktatur der Gegenwart", als auch "Shawn Carter Syndrom" ersetzt wurden, erhielt "Champagner für alle" schlicht ein neues Gewand und wirkt im Vergleich zum fast schon euphorischen Sound des Originals deutlich enttäuschter und finsterer. Allgemein ist das Klangbild der EP sehr düster und dumpf, seien es nun die ruhigen, von Meeresrauschen umspielten Töne auf "Yolo" oder der wummernde Bass samt hartem Schlagzeug auf "Töte deine Helden". Mit Gesellschaftsanalyse samt ernüchternden Ergebnissen als Leitfaden bewegt sich Testo im Alleingang durch dröhnende Bässe, während er mit tiefer, kraftvoller Stimme die Anfänge seines Lebens skizziert, die destruktiven Facetten von Liebe und Eifersucht beschreibt oder sich in die durchgeknallten Gedanken eines Groupies hineinversetzt. Testo wirkt wie der ruhige, düstere Gegenpol zu grim104, bedient sich einer weniger bildhaften, metaphorischen Sprache, bleibt dabei jedoch ebenso analytisch nüchtern und verfügt zudem über einen deutlich konstanteren Flow. Durch die Unterschiede zur 2012 releaseten Version sollte die "Töte deine Helden"-EP nicht nur für ZM-Neulinge, sondern ebenfalls für Fans des Originals mehr als interessant sein.




    Zarte Lust – Zärtlich währt am längsten


    Die Federballklikke wird von jenen, die mit dem Namen überhaupt etwas anfangen können, zunächst wohl vor allem mit Persteasy und Naya Isso assoziiert. In zweiter Reihe fällt einem dann aber sicher auch dieser bärtige Typ ein, der besonders nach seinem Auftritt in der VBT-Splash!-Runde des Federball-Kollegen Persteasy gegen Akne von einer breiteren Masse wahrgenommen wurde. Nach dieser kleinen Acapella-Einlage stellte Zarte Lust dann im regulären VBT '13 im Alleingang sein Können unter Beweis, bevor er zu Gunsten eines Indonesienurlaubs vorzeitig aus dem Turnier schied. All jene, die nun mehr Lust auf Lust verspüren, können sich eine Portion Zärtlichkeit im Internet abholen und sich die vier Tracks plus Intro starke EP "Zärtlich währt am längsten" downloaden. Von Anfang an wird hier klar, dass der Rapper auch ohne Gegner eine gute Figur macht und ihm themenbasierte Texte ebenso liegen wie der Zweikampf mit anderen Künstlern. Sehr ruhige Töne, die hauptsächlich aus der Feder des Australiers Allan McConnell stammen, dominieren das Klangbild der EP und bilden eine entspannte Kulisse für Zarte Lust selbst. Die Klavierklänge von "Wolpertinger im Orbit" etwa bleiben konstant simpel, um dem Rapper den Platz zu bieten, den er benötigt, wenn er von Kindheitserinnerungen, dem Reisen durch Zeit und Raum und dem Fliegen durch Luft und Weltall erzählt. Mit ruhigem, klar verständlichen Flow schildert er uns seine Ansichten zu "Nationalstolz" und historischer Kollektivschuld, gibt eine ganze Reihe von Anekdoten rund ums runde Leder und Fußballspieler wie "Uwe Gospodarek" zum besten oder erzählt uns von Clubs und Bars in Kiel. Wer weniger Interesse an Fußball oder dem Kieler Nachtleben hat, kann sich immer noch an sanften bis energiegeladenen Beats erfreuen und dem durchweg angenehmem Flow mit der ein oder anderen Gesangshook lauschen, wodurch "Zärtlich währt am längsten" ein kleines, aber vielseitiges Schmuckstück darstellt.




    Stoney Styles – Höchstprofessionell


    Wenn mehr als ein dutzend Menschen gemeinsam Musik machen und dies dann auch noch unter dem Namen "Stoney Styles" stattfindet, liegt zunächst wohl die Vermutung nahe, dass das Endprodukt meist eher chaotisch und wirr, als wirklich professionell ausfallen dürfte. Doch genau diese Meinung wollen die Stoneys nun Lüge strafen und betiteln die neueste Mixtapeveröffentlichung sogar als "Höchstprofessionell". Dass hier von durchaus begabten Künstlern die Rede ist, wurde bereits von Leuten wie DJ Matsimum anhand einer Vielzahl von Liveauftritten und Produktionen oder durch den Einzug des Rappers Tamo-Flage ins Finale des VBTs 2011 bewiesen, sodass man dem neuen, zwölf Titel starken Werk durchaus Gehör schenken sollte. Tatsächlich stellt sich die große Mitgliederzahl, die sich neben Producern, Rappern und DJs auch aus Tontechnikern, Sängern und Rockmusikern zusammensetzt, als Vorteil heraus, denn sie ermöglicht es, in Sachen Vielfältigkeit aus dem Vollen zu schöpfen. Oldschool-Boom-bap ertönt hier neben fast schon rockigen Beats oder wird mit Klängen asiatischer Musik bereichert, während unterschiedlichste Stimmlagen, Flowarten und Gesangseinlagen ihr Übriges tun. Auch thematisch lässt sich ein breites Spektrum abstecken und man gibt Lobeshymnen an jeden "Medizinmann" dieser Welt zum Besten, nimmt den Zuhörer auf eine Reise rund um den Planeten mit oder feiert einfach eine riesige "Party" samt lallender Unterhaltung auf dem "Heimweg". Der Titeltrack stellt sich hierbei als absolutes Juwel des Tapes heraus und liefert knalligen Sound samt eingängiger Hook sowie amüsantem Textinhalt. Egal, ob das versendete Merch ein wenig streng riecht oder das Finanzamt den Status eines Brieffreundes verliehen bekommt, die Stoney Styles zeigen sich hier von ihrer "professionellsten" Seite. Auch, wenn der Name also mit einem großen Augenzwinkern zu verstehen ist, bedeutet "Höchstprofessionell" jede Menge Abwechslung und Vielseitigkeit, verpackt in großartigem Sound.



    Wobo Solagl (Daniel Fersch)

  • Stoneys muss ich mir noch geben. Die EP von Zarte fande ich richtig schlecht. "Uwe Gospodarek" hatte ein paar nette Lines, aber ansonst... Konnte weder mit dem Sound etwas anfangen und "Nationalstolz" war inhaltlich für mich absoluter Fremdscham und hatte Stammtisch-Niveau. grim gefällt mir vom Style her nicht so, auch wenn das Dingen an sich nicht schlecht ist.

  • Stoneys als einziges für mich feierbar hier wobei ich von Testo nichts kenn, da wird die Tage mal vielleicht reingehört. Was zarte da drin verloren hat ist mir schleierhaft.

    all y'all records sound the same
    I'm sick of that fake thug, R&B-rap scenario, all day on the radio
    Same scenes in the video, monotonous material

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