01. Garmisch-Partenkirchen
02. Malibu Beach
03. Die alte Ruine
04. Sieben
05. Hölle, Hölle
06. Wir lassen uns nicht fallen
07. Blinder Passagier
08. Eine eigene Geschichte
09. Wachturm
10. Knutsch nicht mit dem Disko-Muso
11. Alles sofort
12. All Eyes on you
Ich mag Stracciatella. Nur kam mir der Begriff abseits vom Eiskauf beim Italiener noch nicht besonders oft unter. Schon gar nicht, wenn es um ein Deutschrap-Release geht. Der Heidelberger Rapper Muso kommt nun einfach daher und nennt sein Debüt-Album "Stracciatella Now". Klingt komisch, ist es aber hoffentlich nicht. Zuvor veröffentlichte der Newcomer, nachdem er 2012 als neues Signing beim Stuttgarter Erfolgslabel Chimperator vorgestellt wurde, die "Malibu Beach EP". Nun also das große erste Album. Ich bin gespannt, was sich hinter dem doch sehr unkonventionellen Titel verbirgt. Wenn es so gut wie Stracciatella-Eis ist, kann eigentlich nichts schief gehen.
"Langsam wird das Trinkwasser knapp/
In diesem Knast, der so verdammt viele Insassen hat/
Zapf es ab, füll' es in Trinkflaschen ab/
Verteil' es unter den Armen und dann sind alle satt/"
(Muso auf "Garmisch-Patenkirchen")
Schon der erste Track "Garmisch-Patenkirchen" will reichlich zum Nachdenken anregen. Muso spielt hierbei ziemlich eindrucksvoll mit der Sprache: So wird fast durchgehend mit Sprichwörtern, Begriffen und Floskeln gespielt und diese in alle möglichen Richtungen verdreht, sodass ein völlig neuer Sinn entsteht. Beeindruckenderweise ist dies oftmals noch zusätzlich in langen Reimketten verpackt. Neben der kunstvollen Sprache klingt auch Musos Stimme alles andere als konventionell. Die fast krächzende Stimme und die teils eigenartigen Betonungen klingen zumeist etwas unpassend und zu sehr gewollt, aber tragen noch zusätzlich zur sehr eigenen Soundkulisse bei. Diese wird übrigens auch zu großen Teilen vom Beat getragen. Dieser klingt experimentell und düster, aber dennoch harmonisch und steigert sich zum Ende immer mehr, indem das Soundspektrum breiter wird.
Auch "Malibu Beach" zeichnet sich durch einen sehr rund und elektronisch klingenden Beat aus. Thematisch geht der Track in die Storytelling-Richtung. Muso rappt über ein schwermütiges Mädchen mit verkorkstem Leben, das den Drogen verfällt. Besonders emotional mitnehmen wollte mich das Thema allerdings nicht, denn hier wird Musos sprachliche Virtuosität eher zum Hindernis als zum Vorteil. Der Text wirkt durch die ganze Wortspielerei und die gewollten Reime zu sperrig, ein etwas direkterer Zugang hätte wohl mehr Emotion vermittelt.
"Um ihren Trost zu finden, sieben sie braunes Wasser/
Die Wunde schließt sich nie – 'n raues Pflaster/
Ich geb' dir Brief und sieben Siegel, im Spiegel spiegelt sich dein wahres Ich/
wenn er zerbricht – sieben Jahre Pech/"
(Muso auf "Sieben")
Diese Sperrigkeit ist das allgemeine Problem von "Stracciatella Now". Die meisten Tracks haben eine Grundidee und dann scheint es so, als habe man versucht, darum eine möglichst kunstvolle Fassade zu bauen, die aber letztendlich eher die Sicht darauf versperrt, was eigentlich ausgesagt werden soll. Sicher kann man auch in all diese sprachlichen Mittel so einiges hinein interpretieren, doch nur weil die Worte groß klingen, heißt es nicht, dass sie auch große Gefühle vermitteln. So geht es zum Beispiel im Track "Sieben", wie der Titel es vermuten lässt, um die Zahl Sieben. Und so werden das ganze Lied über Sprichwörter und Ausdrücke, die eben jene Zahl enthalten, aneinandergereiht und variiert. Auch "Wir lassen uns nicht fallen" kommt als ähnlich schwere Kost daher. Hier wird ebenfalls nur in Bildern, Metaphern und Wortspielen gesprochen, sodass es sehr anstrengend ist, etwas aus dem Song mitzunehmen, außer das Gefühl, gerade wohl etwas sehr Gebildetes gehört zu haben. So haben die meisten Lieder zumeist einen ziemlich kryptischen Charakter inne, der es verhindert, sich wirklich auf die Lyrics einzulassen.
In diesem Irrgarten aus Sprache und Poesie schafft es Muso dennoch, stimmige Tracks zu machen. "Blinder Passagier" zum Beispiel, welchen ich wohl am ehesten als "Liebeslied" bezeichnen würde. Natürlich nicht im klassischen Sinne. Bei Muso geschieht nichts im klassischen Sinne. Auf einem fast schon orchestral anmutendem Instrumental schafft es der Heidelberger, eine wirklich schöne Atmosphäre aufzubauen. Allgemein sind die Beats besonders hervorzuheben. Sie klingen durchweg so gar nicht nach Standard-Rapbeats, und das macht sie nicht nur besonders und eigen, sondern sie klingen auch allesamt passend zu den jeweiligen Tracks und überaus atmosphärisch.
"Dir steht und geht es ausgesprochen gut/
Mir geht es ausgesprochen gut, wir haben uns ausgesprochen – gut/
Ein vertrautes Rendezvous - ganz intim/
Nach vier Stunden haben wir Schürfwunden – an den Knien/"
(Muso auf "Blinder Passagier")
Fazit:
Was verbirgt sich nun hinter dem Albumtitel "Stracciatella Now"? So richtig habe ich es nicht ausmachen können. Dasselbe gilt für einen großen Teil des Albums selbst. Muso tauscht zu oft Authentizität gegen Poetizität ein. Die Texte sind technisch auf einem sehr hohen Niveau aber die greifbare Aussage bleibt auf der Strecke. "Stracciatella Now" klingt, aufgrund von zu viel Verlangen nach Kunst, eher künstlich, statt kunstvoll. Man hat teilweise sogar das Gefühl, einen Poetry-Slam zu hören statt Rapmusik. Dafür bekommt man aber ein wunderschön produziertes Album mit sehr guten Beats, abseits vom Standard und einem ambitioniertem Rapper, der sein Handwerk versteht.
Florian Peking (Florginal)
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