unknown Kings: August 2014

  • Wer kennt sie nicht? Die Werbung, mit der gefühlte 13 Millionen Amateurrapper in Form von Privatnachrichten in hiesigen Internetforen, Profilkommentaren auf Facebook oder Massenmails im Instant Messenger täglich unschuldige Konsumenten befeuern: "Hey, ich habe mein Album fertiggestellt! Es ist vielseitig, individuell und hebt sich von allen anderen ab." Es wäre schön, wenn jedes Release qualitativ so hochwertig wäre, wie angekündigt, aber bei der Masse an Rappern, die seit Beginn des Internetzeitalters rumgeistern, ist das nahezu unmöglich. Die Folge: Der enttäuschte Raphörer bleibt bei Altbewährtem – da kann er ja (meistens) nichts falsch machen – während viele Releases, die bei weitem mehr Aufmerksamkeit verdienen, in der Masse untergehen. Mit dieser Rubrik haben wir uns das Ziel gesetzt, Releases an die Öffentlichkeit zu bringen, die unserer Meinung nach (!) mehr Aufmerksamkeit verdienen. Hier werden weder die Releases überhypter Internetgrößen zu finden sein noch Marketingspezialisten, die nach ihrem zweiten geschriebenen Text schon ein eigenes Label, eine Webseite mitsamt Promoteam und ein von Papi im Hinterhof gefilmtes Musikvideo besitzen. Es geht ausschließlich um die Qualität der Musik, um das Produkt.



    Antist & FairS – Unterton EP


    Wikipedia definiert "Unterton" in erster Linie akustisch, als Synonym für Subharmonie. Was Normalbürger und Nicht-Musiker darunter verstehen, dürfte jedoch klarer gesetzt sein. Eine unterschwellige Botschaft, meist ausgesendet unter ganz anderen Vorzeichen, aber immer ehrlicher, als das, was man wirklich sagt. Was man vielleicht nicht auf den ersten Blick erkennen kann, ist, was man sich nun darunter vorzustellen hat, wenn Antist und FairS ihrer neusten EP diesen Titel geben. Der Produzent gibt zumindest schon einmal Aufschluss über das Soundbild, denn kein Geringerer als JAW hat die Beats beigesteuert. Und genauso düster, wie man es von ihm gewohnt ist, klingt die "Unterton EP" auch. Mysteriöse Klänge von Zupfinstrumenten in orchestraler Aufmachung treffen auf harte Drums. Also alles, was man vom Sound her einem jeden Untergrund-Release zuordnen würde. Was sich lyrisch auf der EP abspielt, hat dafür einen umso unerwarteteren doppelten Boden. Denn was Antist und FairS da vortragen, spielt sich in jeder Zeile mit genau dieser Mischung aus bitterböser Ironie und schamloser Ehrlichkeit im Unterton ab. Jedes Wort ist passend gewählt und wirft wahrscheinlich eine zweite Frage hinter dem eigentlich zu verstehenden Kontext auf. Auf "Kreide" geht es beispielsweise um die Vereinbarung von Systemarbeit und einer gesunden Antihaltung, die die beiden einfach mal gekonnt mit Aussagen wie "Im Falle eines Vergehens genießt auch Schäubles Rollstuhl Immunität" brechen. Vor allen Dingen dem Glauben an die Massenmedien und der Volksverdummung will man auf "Ubahnfenster" Einhalt gebieten, wenn man lautstark dazu auffordert, "den Pazifisten Dynamit zu geben, um die Zukunft zu ändern". Die "Unterton EP" bietet paradoxerweise genau das, was man beim Titel erwarten sollte: einen düsteren Sound, der gefüllt ist mit harten Phrasen und treffenden Ehrlichkeiten, die, wenn man etwas genauer hinhört, vielleicht immer noch einen zweiten Sinn ergeben könnten.


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    Czes & Smut – Bis zum Horizont


    Harter Straßenrap aus dem Ruhrpott – etwas, was seit Snaga und Pillath gefehlt hat? Gut, dass das Duo Czes & Smut da nun Ersatz bieten will. Mit "Bis zum Horizont" liefern die beiden den harten Sound, den man von solch einer Ankündigung auch erwarten sollte. Dabei formen sie eine clevere Synergie aus untergrundlastigen Lyrics von zwei MCs, die zu gut sind für die (noch) kleine Masse an Publikum die sie bedienen ("Keine Gimmicks"), und schallenden Synthies, die perfekt zum Straßensound der Platte passen ("Keiner hält uns auf"). Bei letztgenanntem Track werden die beiden in ihrer Bekundung, dass keiner mit ihnen mithalten könnte, noch von Zyan in der Hook unterstützt, der das Ganze auch musikalisch durch die eingesungenen Zeilen ansprechend gestaltet. Ähnliches macht Seltza bei "Verloren", der durch die englischsprachige Hook-Line dem Track einen fast Reggae-artigen Klang verleiht. Einen lockeren Touch geben die Features einem Release, welches häufig auch die Schattenseiten beleuchtet. So erzählen uns die beiden einen Wink aus ihrem Leben auf "Kämpfernatur" und zeigen so die Prise Ehrlichkeit, die der Musik ihren Ausdruck verleiht. Auch ohne zusätzlichen Act können die beiden aber auch andere Töne anschlagen. So ist "Feier das" ein Track, der so auch bei jeder Party laufen könnte. Die rauen Stimmen der Rapper sind perfekt mit dem nach vorne gehenden, schnellen Beat kombiniert. "Bis zum Horizont" ist der Versuch, knallende Beats mit Street-Attitüde und Szenekritik zu vereinen, ohne dabei die eigenen Ansprüche an Musik zu verlieren. Ein Erfolg, den Czes und Smut da verbuchen können.


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    Aufjeden Derbe – Lachs mit Senf

    Ob nun Beginner, Fettes Brot oder FSD: Der Norden hatte für deutschen HipHop schon immer gute Rap-Formationen parat. Und wenn das Intro der neusten, nordischen Gruppe Aufjeden Derbe schon "LMS" heißt, dann kann man wohl erahnen, welche Musikrichtung die drei Jungs aus Greifswald in ihrer Vergangenheit geprägt hat. Auch wenn das Kürzel in diesem Fall wohl kaum die althergebracht Bedeutung behielt, wenn die neuste Veröffentlichung der Nordlichter "Lachs mit Senf" heißt. Warum der Titel? Laut eigener Aussage: "Weil zu wenige Leute den Geschmack zu würdigen wissen." Na, zumindest das Release schmeckt ausgezeichnet, auch wenn ich das vom Fisch nicht unbedingt behaupten würde. Auf klassischen Oldschoolbeats – gebaut von den Crewmitgliedern Fied'n und Mazel Toph –, die den typischen Kopfnicker-Flair versprühen, rappt Brigant erfrischend neue Zeilen, die man meist so noch nicht gehört hat. Man merkt, wie jung und unverbraucht die Künstler noch klingen – da mischt sich lyrisch teilweise die alte Schule mit Jugendslang. In den Hooks wird dann auf altbewährte Cuts gesetzt, wenn man sie nicht gerade mit popkulturellen Zitaten füllt ("Im Westen nichts Neues"). "Ich packe jede Zeile mit der gleichen Leidenschaft an" ("Jeden Tag") – und das bemerkt man eben, auch wenn es mal ein wenig tiefer greifenden Kost serviert wird. Auf "Wer oder was" wird die Frage gestellt, an wen oder was man sich wenden kann, wenn man einfach kein Vertrauen mehr aufbringen kann vor lauter Enttäuschungen. Dies bildet allerdings die Ausnahme. Technisch solide und vom Sound her fresh und locker – so präsentiert sich Aufjeden Derbe auf "Lachs mit Senf". So kann das doch weitergehen mit dem nordischen Rap!


    "Lachs mit Senf" bei soundcloud herunterladen


    Du kennst jemanden (oder bist gar selbst der Meinung, dass du jemand bist), der dem Titel "Unknown King" gerecht werden kann? Diese Person hat erst vor Kurzem einen Tonträger oder Freedownload veröffentlicht, der eine Erwähnung in diesem Artikel wert ist? Schick eine Bewerbung mit dem Betreff "Kings – *Künstlername*" an [email protected]. Bitte beachtet aber, dass wir nicht auf jede Anfrage persönlich antworten können. Ihr werdet sehen, ob das Release dann letztendlich seinen Platz in dieser Sammlung findet. Viel Erfolg!



    (Sven Aumiller)

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