Special: Kurz-Reviews Dezember 2013

  • Im Jahr 2013 sieht man sich als eigenständiges Deutschrap-Magazin in einer wahren Dilemmasituation gefangen: Der Markt ist längst übersättigt. Tagtäglich wächst die Szene exponentiell, ein Ende ist nicht in Sicht – Rapper kommen, aber so wirklich gehen wollen sie nicht, selbst wenn sie's sagen. Comebacks an jeder Ecke. Und nachdem vor einigen Jahren noch sämtliche Plattenfirmen dicht machten, schießen neue Labels langsam wieder aus allen Böden. Vorbei die Zeiten von Aggro Berlin, BOZZ Music und Optik Records – die Ära der Freunde von Niemand, der Azzlackz, der Halunkenbanden und der Banger-Musiker hat unlängst begonnen. Bei einer solchen Vielfalt an neuen Künstlern ist es natürlich nicht ganz so einfach, den Überblick zu behalten – was ist wichtig, was könnte noch wichtig werden und was kann man getrost unter den Tisch fallen lassen? In internen Gesprächen kommen sie immer wieder auf – die Fragen, wer sich nun seine Review verdient hat, wer seinen Platz in den "Unknown Kings" kriegen sollte und wer zwar ein guter Künstler ist, aufgrund von Kapazitätenauslastung aber leider keine Plattform von uns geboten bekommt. Und das sind teilweise leider so Einige ... Was uns zur Dilemmasituation zurückführt: Allen kann man's in der heutigen Zeit unmöglich Recht machen. Es ist ein wenig wie in "300": eine Hand voll Redakteure sieht sich einer Übermacht an Rappern gegenübergestellt. Deshalb wollen wir mit diesem Special mal einen kleinen Exkurs wagen – abseits der unbekannten Könige und der sowieso schon bekannten Acts ist nämlich nach wie vor ein Haufen aufstrebender Künstler in der Szene unterwegs, die wir euch im Rahmen einiger Kurz-Reviews vorstellen möchten ...



    Bavarian Blast – Jumptime EP


    Während andernorts rund um den Azzlackrap ein ganz eigener kleiner Sprachkosmos floriert und "Babo" gar zum Jugendwort des Jahres gekürt wird, finden traditionsreichere, teilweise sogar als "altbacken" abgetane Dialekte wesentlich schwerer Einzug in dem Deutschrap zugeneigte Ohren. Nichtsdestotrotz schießen hin und wieder auch kleine Gewächse dieser Art aus dem Boden, wobei Teekanne (Echorausch), Weeh 78 (EMF/Feinkost Paranoia), Grämsn, Spliff (beide Teil der Crew "Doppel D") sowie die L’egojazzer Franz Spencer und Sam Irl alles andere als Jungpflanzen sind und als "Bavarian Blast" jede Menge HipHop-Erfahrung vereinen. Die Gruppe, die nach eigenen Angaben geradezu natürlich zusammenwuchs und den Zusammenschluss dann letztlich mit dem gemeinsamen Auftritt auf einem Festival besiegelte, ist hauptsächlich in und um München beheimatet. Das erklärt nicht nur den Namen des Kollektivs, sondern deutet auch die sprachliche Orientierung an: Auf den vier Titeln der "Jumptime EP" wird bayrisch gerappt und sich beattechnisch vor allem im Oldschool-Bereich bewegt. Plattenknacken und Rauschen, dreckiger Boom bap und ein Hauch von Nostalgie beherrschen das Klangbild, wobei schon auf "Oide Radl", das dem Sprichwort "man lerne auf alten Rädern das Fahren" gewidmet ist, betont wird, dass man selbst nicht "wieder", sondern "immer noch" Freund des Oldschoolsounds sei. Der Titeltrack "Jumptime" besitzt eine jazzige Note und einen deutlichen Cypher-Charakter und kann (sofern das Publikum mitspielt) vor allem durch die Hook wohl auch problemlos live überzeugen. "Phunkdowerbrenna" und "Spiritus Rector" befassen sich zum Schluss hauptsächlich mit Kritik an oberflächlichen Yolo-, SWAG- und Hashtagtrends und einer Szene, die den Schein dem Sein vorzieht oder sich durch Technikbessenheit und Gangster-Attitüde am Inhalt vorbeischummelt. Als Bonus gibt es die vier Instrumentals obendrauf, die auch eigenständig funktionieren und zum Mitnicken einladen.




    Pyro One – Ausgezogen aus Nimmerland


    Pyro One macht Zeckenrap. Auch wenn der Berliner, wie die meisten anderen Künstler auch, lieber einen Bogen um einschränkende Schubladen macht, beugte man sich dem Versuch der Medien, Pyros Musik zu kategorisieren oder findet sich zumindest mit einer möglichst treffenden, wenn auch durchaus kontroversen Bezeichnung ab. In jedem Fall ist das, was er tut – egal ob allein oder beispielsweise als Teil des TickTickBoom-Kollektivs – politisch orientiert. So ist nach den Soloalben "Tränen eines Harlekins" und "Irrlicht" auch das neue Werk "Ausgezogen aus Nimmerland" deutlich von derartigen Aussagen geprägt, gibt sich vor allem musikalisch jedoch deutlich vielfältiger als seine Vorgänger. Hauptthematik des Werks ist die Kindheit beziehungsweise der Wandel vom Kind zum Erwachsenen, der nach Pyros Ansicht teilweise viel zu früh und schnell vonstatten geht oder gar von der Gesellschaft erzwungen wird. Auf "P. Pan" und dem Titeltrack "Ausgezogen aus Nimmerland" nutzt er die "verlorenen Kinder" Nimmerlands aus der Geschichte von Peter Pan als Metapher, um sich spielerisch mit der Problematik auseinanderzusetzen und das, was er sagt, in kindliche Bahnen zu leiten. Andererseits beweist er aber auf "Fensterplatz" und "Endhaltestelle", dass er ebenso die harte Realität von alten Damen, die wegen Eigenbedarf des Vermieters aus ihrer Wohnung geworfen werden oder einer von unkontrollierter Wut und Sinnkrisen zerfressenen Jugend widerspiegeln kann. Musikalisch ist das Ganze breitgefächert untermalt, sodass das Klangbild von sphärischen Synthiesounds über dubstepartige Elemente bis hin zu harten Punkrocktönen reicht, während Pyros stimmlicher Einsatz mit erzählerischem, aber auch technisch versiertem Flow und sogar gelungenen Gesangseinlagen überzeugt. Egal, ob man das Ganze nun als "Zeckenrap", frei von jeglichen Kategorien oder sonstwie bezeichnen möchte, hörenswert ist das sehr vielseitige Album "Ausgezogen aus Nimmerland" allemal.




    Captain Gips – 20.000 Meilen unter dem Yeah


    Kapitän wird man nicht von heute auf morgen und so kann auch Captain Gips, mit dem wir uns tief hinab zu einem Ort "20.000 Meilen unter dem Yeah" begeben, auf einige Jahre an HipHop-Erfahrungen zurückblicken. Diese Erfahrungen beinhalten unter anderem ein indiziertes Album und einen Vertrag beim Hamburger Indie-Label Audiolith. Doch auch, wenn man den Hamburger zuhause kennt, sein Name an die ein oder andere Wand des Gängeviertels getaggt wurde und er sowohl Solo als auch unter anderem mit der Gruppe "Neonschwarz" diverse Platten veröffentlichte, blieb die ganz große Aufmerksamkeit bisher aus. Ob Abtauchen da nun Abhilfe schaffen könnte, ist mehr als fraglich, doch zumindest der Soundtrack dieses Tauchgangs kann sich hören lassen. Das Album ist klanglich ausgefeilt, jazzige Elemente fließen in Boom bap- und Sample-Beats, die melodiösen Klänge von "Gutes Gewissen" unterscheiden sich deutlich von "Fernweh"s wummerndem Sound, bleiben letztlich aber auf einer Wellenlänge. Sein Können als Rapper beweist der Captain bereits auf "Faust in der Tasche" und zeigt, dass man nahezu perfekt angepasst auf einem Beat rappen kann, ohne dass das Ganze ge- oder erzwungen wirkt und leistet sich auch auf dem restlichen Album so gut wie keine flowtechnischen Fehltritte. Inhaltlich ist das Werk ebenfalls vielseitig, auch wenn die ein oder andere Thematik mittlerweile doch etwas sehr ausgelutscht wirkt. Widmungen an Freunde wie "Ohne Euch" oder den eigenen Sohn, den "Lil' Captain", gab es so oder so ähnlich teilweise einfach schon zu oft, wobei der Vergleich des Gangsterraps und seiner Klischees mit den Erlebnissen auf einem Spielplatz als "Sandkastenbusiness" durchaus amüsant ist. So ist der kreative Wortwitz eine der großen Stärken von Gips, egal ob es ihm "zu deutsch in Kaltland" ist und er ein Sammelsurium von Problemen in Land und Gesellschaft erstellt oder er statt des Klick-Klack-Gangstatums des "Thug Life" lieber dem Friede-Freude-Hippietum des "Hug Life" frönt. Neben einer ganzen Reihe witziger Wortspiele ist ebenfalls für eine ordentliche Portion politischer und gesellschaftskritischer Aussagen Platz, welche durch grandiose Highlights wie die Neuauflage von "Dance in the Rain" mit Ira Atari abgerundet werden. Wenn der Captain den Anker lichtet, sollte man also durchaus mal an Deck kommen, um ihm zu lauschen.



    Wobo Solagl (Daniel Fersch)

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