Review: Illoyal & BassDeaph – Der Tod eines Boxers



  • 01. Nissenkamm
    02. Herberge
    03. Kein Foto
    04. Wunschland
    feat. Me$$age
    05. Träume von Liebe


    Wer sich schon länger mit dem seit 2010 existenten Duo Illoyal & BassDeaph beschäftigt, hat bereits so einiges mit ihm erleben dürfen. Zu Anfang gab es "Lieder kurz vor Schluss", woraufhin alles "zu Bruch" ging und wir in einem unendlichen Krankenhaus landeten, wo wir letztlich einige "Räuberpistolen" der beiden zu hören bekamen. Seit jeher steht die MC-Producer-Kombo für BassDeaphs recht eigensinnige, teils merkwürdige Beats in Verbindung mit den recht eigensinnigen, teils merkwürdigen Texten von Illoyal und wird von jenen, welche ihre Werke zu Ohren kommen, entweder zu widerlichem Müll oder grandioser Kunst erklärt. Auch jetzt, wo ein Boxer zu Grabe getragen werden soll, lässt sich wohl schon zuvor sagen, dass die Musik, der es dabei zu lauschen gilt, alles andere als einstimmig aufgenommen werden wird ...


    "Nutte, das ist Marx – Menschen werden einander zu Sachen/
    Ich liebe dich, also deine Konturen, das Fassungsvermögen deines Rachens/
    Und den Lebensstil, in den ich mich einkaufen möchte/
    Die Doppelhaushälfte bedarf noch einiger Gliedmaßen als Bauklötze/
    "
    (Illoyal auf "Herberge")


    Als Einführung in das Begräbnis in fünf Akten gibt es einen Ausschnitt aus Helmut Dietls "Rossini – oder die mörderische Frage, wer mit wem schlief" zu hören. Die Symbiose aus verspielten Metaphern ("Du, der Riese im Land der tödlichen Leidenschaften") und schmerzhaft direkten Aussagen ("Seit ich euch kenne, bin ich verstopft. Ich will wieder scheißen können wie früher auch!") geht hervorragend mit Illoyals Texten einher, welche zwischen philosophischen Andeutungen und ekelerregenden Bildern schwanken. Auf dem fast schon disharmonisch wirkenden Geschepper von BassDeaphs Base und Drums packt der Rapper den "Nissenkamm" aus und frönt zeitgleich ästhetischem Kunstanspruch wie bitterem Fäkalhumor. Während sich im Hintergrund leise ein düsteres Surren in den Beat schleicht, wird uns beschrieben, wie das in den Brunnen gefallene Kind zu einer Art Amphibienwesen mutierte und im Anhang das bürokratische Bestreben, einen Menschen in Akten und Dokumente zu spalten, kritisiert. Schauermärchen und Gesellschaftskritik gehen Hand in Hand. Im Grunde kann der Hörer bereits hier festmachen, wie er zum gesamten Werk steht und ob er dem, was das Duo von sich gibt, etwas abgewinnen kann oder nicht. Ob er sich durch ein oberflächliches Begutachten abschrecken lässt oder seine Freude an der tieferliegenden, kreativen Ader hat. Denn trotz der ein oder anderen Variation innerhalb der Titel weichen weder Illoyal noch BassDeaph vom begonnenen Schema ab. So hört sich der Beat zu "Herberge" zunächst schon fast zu konstant und "normal" an, erhält durch Illoyals eher gesprochene Vortragsweise und verzerrte Auszüge aus alten Bushido- und WBM-Texten dann jedoch schnell die typische, groteske Note des Duos. Die zweite Hälfte des Liedes wird von einer schnellen Snare in Kombination mit einem sirenenartigen Jaulen untermalt, während textlich die Reihenhaussiedlung samt vermeintlich gesichertem, gut situiertem Leben gestürmt wird.


    "Um die Klarheit von Wasser zu bewahren, schütten wir Chlor hinein/
    Und suchen in dem von uns vergifteten Liquid nach Geborgenheit/
    Egal, wie klar das Wasser ist, wer darin das Weite sucht/
    Tief genug bersten wir alle unter seinem Druck/
    "
    (Me$$age auf "Wunschland")


    "Wunschland", welches in Zusammenarbeit mit Me$$age entstand, gibt sich vor allem beattechnisch wieder deutlich kompromissloser: Hier wird der Track mit einem scheppernden Schlagzeugsolo eröffnet und mit scheinbar rückwärtslaufenden Klängen ergänzt, um eine recht bedrückende Grundatmosphäre zu schaffen. Auch wenn sich Me$$age, der bereits auf "Räuberpistolen" zu hören war, eines ähnlich sprechlastigen Flows bedient, orientiert er sich doch deutlich eher am Beat sowie einer festen Thematik. Zwar ist auch er darauf bedacht, die Aussage seiner Zeilen leicht diffus wirken zu lassen und viel Platz für Interpretationen zu bieten, bezieht vieles aber auf den Kontext "Wasser", um einen roten Faden anzulegen. Wer ähnliche, klar ausgelegte Strophen von Illoyal selbst hören möchte, sollte sich vor allem "Kein Foto" zu Gemüte führen ... Obwohl es selbst für die hartgesottensten Hörer, die auch die widerlichsten Ekelbilder und grausigsten Metaphern sonst mit einem Grinsen quittieren, kein leichter Weg dorthin sein sollte. Zunächst tauchen wir nämlich in die Abgründe des abendlichen Fernsehprogramms, wo wir den Teilnehmerinnen einer Modelcastingshow lauschen, die uns unter görenhaftem Geschnatter erklären, welchen monetären und sozialen Wert Schuhe mit roter Sohle haben. Nachdem dies, mit leicht flauem Gefühl im Magen, überstanden ist, prangert Illoyal Oberflächlichkeit, Jugend- und Schönheitswahn sowie den aufgezwungenen Sexismus der Gesellschaft an, ohne diesmal in allzu verworrene, konstruierte Metaphern und Bilder zu verfallen. Dadurch ist "Kein Foto" der für das Kollektivverständnis wohl am leichtesten zu verdauende Text. Den Abschluss von "Der Tod eines Boxers" bildet das im Vergleich zum sonst recht wirren Klangbild fast schon melodiös anmutende "Träume von Liebe", welches uns mit Drums, Wasserplätschern und sanften Klimpereien überladen um die Ohren rauscht. Zwischen Erläuterungen Illoyals, welche Körperflüssigkeiten sich des Nachts in sein Bett ergießen, und einer kleinen Anspielung an NMZS und Danger Dan ("Ich komme aus dem Nichts, ich gehe in das Nichts und dazwischen liegen nasse Betten, nasse Betten") lässt er sich hier sogar zu einer gesungenen Hook hinreißen. Sein gesangliches Talent ist dabei jedoch, wie so ziemlich jeder andere Aspekt des Albums, Geschmackssache.


    Fazit:
    Auch wenn es für jemanden, der Gefallen an der Musik von Illoyal & BassDeaph findet, wohl einfacher zu verstehen ist, warum andere Menschen keinen Hörgenuss darin sehen, als andersherum, ist das Duo ohne Zweifel Meister seines Fachs. Kompromissloser Sound mit passend unpassendem Text, bewusst jenseits des allgemeinen Geschmacks angesetzt und doch angereichert mit künstlerischem Streben und wohldurchdachtem Inhalt. Teilweise bis zur Schmerzgrenze disharmonische, verzerrte und überladene Beats von BassDeaph dienen als Unterlage für Illoyals Sprechgesang, bei dem "Sprech-" definitiv überwiegt und der an vielen Stellen komplett ignorant gegenüber Timing oder Taktgefühl zu sein scheint. Doch genau das ist es, was die Faszination hierbei ausmacht: Die Ästhetik in ihrem Innersten bewusst verzerren und verdrehen können, dabei dennoch einem eigenen Anspruch an Kunst und Aussage gerecht zu werden. "Der Tod eines Boxers" ist sicher nicht jedermanns Sache, aber für Fans definitiv ein Goldstück.



    Wobo Solagl (Daniel Fersch)

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