01. Eine aufs Maul
02. Mein Heroin
03. Die Grundvoraussetzung
04. Drei gegen einen feat. Koljah & Danger Dan
05. Sand in die Augen
06. Wir lachen uns tot
07. Seit du gesagt hast
08. Mingvase
09. Die Prinzentragödie feat. Sebastian Krumbiegel
10. Piss in den Käfig
11. Private Altersvorsorge 2
12. Die Verwandlung
Knappe anderthalb Jahre ist es her, dass das letzte Antilopen Gang-Album "Anarchie und Alltag" auf Anhieb Platz Eins der deutschen Album-Charts erreichte. Damit ist die dreiköpfige Rap-Combo wohl endgültig in der ersten Riege der deutschen HipHop-Artists angelangt ist, wo sie auf den großen Festivalbühnen ebenso präsent sind wie in diversen Mainstream-Medien. Dabei wissen wohl viele neu dazugewonnene Hörer gar nicht mehr, dass die Antilopen ursprünglich mal ein relativ loser Zusammenschluss von Solokünstlern gewesen sind, die zwar oft kollaboriert, aber jeweils auch eigene musikalische Projekte verfolgt haben. So dürften sich vor allem viele ältere Fans gefreut haben, als Danger Dan ein solches Projekt für seinen 35. Geburtstag ankündigte – sein erstes richtiges Soloalbum, um genau zu sein. Dass die Platte ernster und nachdenklicher werden wird als die letzten Alben, die zusammen mit den anderen Antilopen, Koljah und Panik Panzer entstanden sind, suggeriert nicht nur der Name der Scheibe, welcher an den Untertitel von Theodor W. Adornos "Minima Moralia" angelehnt ist, sondern ebenso eine kleine im Cover-Artwork versteckte Ölsardinenbüchse, die auf Dangers letzte Solo-EP "Dinkelbrot und Ölsardinen" aus dem Jahr 2012 verweist.
Mit Kenntnis der Entstehungsgeschichte von "Reflexionen aus dem beschönigten Leben" erhärtet sich jener Verdacht noch einmal. Daniel Pongratz, so Dangers bürgerlicher Name, hatte sich im vorigen Jahr in eine Psychotherapie begeben und musste zum Zwecke einer Anamese seine wichtigsten biographischen Eckdaten zusammentragen. Beim Kramen in der eigenen Vergangenheit stieß er dann auf den Track "Private Altersvorsorge", das Outro seines Solodebuts von 2008 namens "Coming Out EP". Dieser war an den zukünftigen, zehn Jahre älteren Danger Dan adressiert gewesen und wurde nicht bloß Anlass dazu, ein musikalisches Antwortschreiben zu verfassen, sondern gleich auch die Initialzündung für ein ganzes Album.
Der Track "Private Altersvorsorge 2", die Antwort an den zehn Jahre jüngeren Daniel ist sicherlich gleichzeitig eines der Highlights der musikalischen Selbstsuche. Er funktioniert trotz textlichen Anspielungen und einem ähnlichen Beat allerdings auch ganz ohne den Vorläufersong, da zu Beginn sowohl die fingierte Schreibsituation als auch die Situation des jüngeren Ichs wiedergegeben wird. Chronologisch werden dann die inzwischen vergangene Zeit bis hin zum aktuellen Lebenszustand resümiert, bevor der dritte Part schließlich den wiederum zehn Jahre älteren Daniel dazu auffordert, bitte ja keinen erneuten Antwortsong zu schreiben. Ebenfalls sehr intim ist der Opener "Eine aufs Maul". Zu Pianobegleitung und Streichern sowie mit dezentem Autotune-Einsatz phantasiert der Rapper über die Abrechnung mit seinem inneren Schweinehund, der ihn schon so oft voller Lethargie oder Hedonismus die ein oder andere Chance im Leben verpassen ließ. Erneut biographisch, aber dieses Mal nun vielmehr heiter und humorvoll, ist ein Song darüber, wie sich Danger Dan bei früheren Gelegenheitsjobs vor der Arbeit drückte und auf diese Weise lange sein Erwerbsleben bestritt. Zu entspannten Blues-Gitarren nennt er süffisant als "Grundvoraussetzung" für solch ein Leben als arbeitsscheuer Taugenichts so cool zu sein wie er selbst, wobei trotz aller Leichtigkeit des Songs auch die Kritik an Leistungsgesellschaft, Lohnarbeit und Entfremdung im Produktionsprozess stets durchscheint.
Er hat all meine Chancen verkackt/
Nur durch Zufälle hat es dann trotzdem geklappt/
Es ist ihm doch egal, wann ich wach werden muss/
Er bestellt noch ein Glas und verpasst meinen Bus/
Und erzählt einem Penner, der gar nichts versteht/
Eine Lügengeschichte, wie es ihm geht/
(Danger Dan auf "Eine aufs Maul")
Doch der biographische Teil der "Reflexionen aus dem beschönigten Leben" ist ein nur einer von mehreren inhaltlichen Schwerpunkten der Platte, die sich thematisch gar nicht festlegen möchte. So greift "Sand in die Augen" nicht nur aktuelle Debatten wie #MeToo oder jene um die Gender Pay Gap auf, sondern birgt auch die persönliche Perspektive, welche Danger Dan als Vater einer kleinen Tochter auf geschlechtsspezifische Erziehung besitzt. Dabei spricht er schließlich auch jenes ambivalente Frauenbild vieler Deutschrapper an, für die Frauen entweder Heilige oder Huren sind: "Eure gut gemeinten Liebeslieder sind das hinterletzte/ Ich hab' keine Zeit für so 'ne Scheiße, ich muss Windeln wechseln". Gegen die deutsche HipHop-Landschaft geht es auch im Song "Drei gegen einen", für den Danger Dan seine beiden Crew-Kollegen Koljah und Panik Panzer doch wieder an Bord holte und so einen Battle-Track schuf, wie ihn die drei auf sämtlichen Bandalben noch nicht abgeliefert haben. Danger macht sich über die "epischen Interviews" und den Fitnesswahn vieler Rap-Kollegen lustig, der überragend flowende Panik vergleicht beefende Deutschrapper mit "Kinder[n] in 'nem Sandkasten" und Koljah spricht deutlich regressive Tendenzen in HipHop-Deutschland an und lässt den Ideologiekritiker raushängen – eine erfrischende Attitüde, die man bei aller Ironie, welche die Antilopen sonst an den Tag legen, manchmal etwas vermisst. Um Ironie geht es auch auf "Wir lachen uns tot", wo eine ironische Grundhaltung als Flucht vor der traurigen Wirklichkeit und gleichzeitig als Selbstschutz vor den Auswirkungen dieser Realität auf sich selbst berappt und besungen wird.
Deutsche Rapper haben jetzt preußische Tugenden und Ehrbegriff/
Aber sie waren schon als Jugendliche sehr bekifft/
Sie sagen ständig, dass ein jeder hier es schaffen kann/
Und meinen damit sozialen Aufstieg, aber nicht den Klassenkampf/
HipHop war niemals ein Sprachrohr für Subversion/
Diskriminierung ist behindert, du Hurensohn/
(Danger Dan auf "Drei gegen einen")
Eher aggressiv und gleichsam düster klingt "Piss in den Käfig", eine destruktive Gewaltphantasie zu kraftvollem Orgel-Sound, die vor dem Hintergrund von Dangers Psychotherapie aber vor allem an die beklemmende Situation des Individuums und seiner Ängste in einer ihn einengenden Gesellschaft denken lässt. Von eigenen Ängsten, besonders der "Angst so zu sein, wie du warst", handelt auch "Die Verwandlung", die nicht nur im Titel an Erzählung Franz Kafkas angelehnt ist und mit einem langsam abklingenden Beat das Album atmosphärisch enden lässt.
Ein Alleinstellungsmerkmal besitzt schließlich "Die Prinzentragödie", für welche Danger Dan den Prinzen-Frontmann Sebastian Krumbiegel als Feature-Gast gewinnen konnte. Diesen hatte er als Teenager noch angehimmelt, doch nun wollte er lieber einen Disstrack gegen seinen Kindheitshelden rappen, in den der Gedisste allerdings munter einsteigt und sich gleichsam über die eigene Person lustig macht. Musikalisch ist der Track mit A Capella dabei klar an den Stil der Kultband angelehnt. Eher rockig mit viel Gitarreneinsatz kommt hingegen "Mingvase" daher und beschreibt ein surreales Szenario, in dem der sprichwörtliche Elefant tatsächlich in einen Porzellanladen versetzt wird.
Hier deutet sich schon an, wie vielfältig auch der Sound der Platte ist, welcher sich offener für andere Stile zeigt als jener auf den Antilopen-Platten. Dabei ist nicht selten das Klavierspiel dominant, doch auch andere Instrumente hat der Multiinstrumentalist Danger Dan selbst eingespielt. Auch die melancholischen Streicher oder die atmosphärischen Samples arrangierte er selbst, bevor sein Co-Produzent und Bruder Panik Panzer den Instrumentals den letzten Feinschliff verpasste. So abwechslungsreich wie der Klang sind jedoch schließlich auch die Themen und Formen der zwölf Songs. Ein roter Faden lässt sich vergeblich suchen. Das einende Element ist, dass sich alle Songs irgendwo unter dem Sammelbegriff der Reflexionen des Rappers fassen lassen, wobei dieser entweder tiefe Einblicke in intime Gedanken zulässt, gesellschaftliche Themen aus seiner ganz eigenen Perspektive betrachtet oder aber einen Schwank aus seiner Jugend lustig, aber niemals unkritisch verpackt. Dabei sind vor allem die anspruchsvollen Texte mit einer großen Portion Sprachwitz hervorzuheben, denen die technische Simplizität des Raps keinerlei Abbruch tut, sowie die Gesangspassagen, die seit jeher zu den Stärken Danger Dans gehören.
Danger Dan, du hast ja recht, wie ist es nur so weit gekommen?/
Scheinbar habe ich das Popstarleben völlig unterschätzt/
Denn ich hab' "Du musst ein Schwein sein" aus Versehen wörtlich genommen/
Hab' es missverstanden und dann eben optisch umgesetzt/
(Sebastian Krumbiegel auf "Die Prinzentragödie")
Fazit:
Die "Reflexionen aus dem beschönigten Leben" legen nicht wirklich offen, inwiefern das Leben ein beschönigtes ist, da es an vielen Stellen doch eher um Widersprüche, innere Zerissenheit und Ängste geht. Kritische Themen werden ebenfalls angesprochen, der drohende Zeigefinger weicht jedoch Metaphorik und Humor. Doch ein einheitliches Konzept will das Album letztlich gar nicht besitzen. Bildgewaltig, mit rhetorischem Geschick und viel musikalischem Gespür geht es vom einen Thema zum anderen. Es ist schließlich auch das Unperfekte, das Rapper und Album sympathisch macht und was der fast gänzlich selbstgebastelte abwechslungsreiche Soundteppich perfekt unterlegt. Es handelt sich eben um die eigene Standortbestimmung, die wohl mit diesem Werk noch nicht abgeschlossen sein dürfte. Wenn Danger Dan zwischen den Aktivitäten seiner Band also wieder Zeit und Muße für einige Solosachen findet, wären wir Rap-Fans wohl nicht verdrossen, wenn er erneut ein bisschen aus seinem beschönigten Leben reflektiert.
Maximilian Lippert
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