Beiträge von KDePa


    01. Eine aufs Maul
    02. Mein Heroin
    03. Die Grundvoraussetzung
    04. Drei gegen einen
    feat. Koljah & Danger Dan
    05. Sand in die Augen
    06. Wir lachen uns tot
    07. Seit du gesagt hast
    08. Mingvase
    09. Die Prinzentragödie
    feat. Sebastian Krumbiegel
    10. Piss in den Käfig
    11. Private Altersvorsorge 2
    12. Die Verwandlung


    Knappe anderthalb Jahre ist es her, dass das letzte Antilopen Gang-Album "Anarchie und Alltag" auf Anhieb Platz Eins der deutschen Album-Charts erreichte. Damit ist die dreiköpfige Rap-Combo wohl endgültig in der ersten Riege der deutschen HipHop-Artists angelangt ist, wo sie auf den großen Festivalbühnen ebenso präsent sind wie in diversen Mainstream-Medien. Dabei wissen wohl viele neu dazugewonnene Hörer gar nicht mehr, dass die Antilopen ursprünglich mal ein relativ loser Zusammenschluss von Solokünstlern gewesen sind, die zwar oft kollaboriert, aber jeweils auch eigene musikalische Projekte verfolgt haben. So dürften sich vor allem viele ältere Fans gefreut haben, als Danger Dan ein solches Projekt für seinen 35. Geburtstag ankündigte – sein erstes richtiges Soloalbum, um genau zu sein. Dass die Platte ernster und nachdenklicher werden wird als die letzten Alben, die zusammen mit den anderen Antilopen, Koljah und Panik Panzer entstanden sind, suggeriert nicht nur der Name der Scheibe, welcher an den Untertitel von Theodor W. Adornos "Minima Moralia" angelehnt ist, sondern ebenso eine kleine im Cover-Artwork versteckte Ölsardinenbüchse, die auf Dangers letzte Solo-EP "Dinkelbrot und Ölsardinen" aus dem Jahr 2012 verweist.


    Mit Kenntnis der Entstehungsgeschichte von "Reflexionen aus dem beschönigten Leben" erhärtet sich jener Verdacht noch einmal. Daniel Pongratz, so Dangers bürgerlicher Name, hatte sich im vorigen Jahr in eine Psychotherapie begeben und musste zum Zwecke einer Anamese seine wichtigsten biographischen Eckdaten zusammentragen. Beim Kramen in der eigenen Vergangenheit stieß er dann auf den Track "Private Altersvorsorge", das Outro seines Solodebuts von 2008 namens "Coming Out EP". Dieser war an den zukünftigen, zehn Jahre älteren Danger Dan adressiert gewesen und wurde nicht bloß Anlass dazu, ein musikalisches Antwortschreiben zu verfassen, sondern gleich auch die Initialzündung für ein ganzes Album.
    Der Track "Private Altersvorsorge 2", die Antwort an den zehn Jahre jüngeren Daniel ist sicherlich gleichzeitig eines der Highlights der musikalischen Selbstsuche. Er funktioniert trotz textlichen Anspielungen und einem ähnlichen Beat allerdings auch ganz ohne den Vorläufersong, da zu Beginn sowohl die fingierte Schreibsituation als auch die Situation des jüngeren Ichs wiedergegeben wird. Chronologisch werden dann die inzwischen vergangene Zeit bis hin zum aktuellen Lebenszustand resümiert, bevor der dritte Part schließlich den wiederum zehn Jahre älteren Daniel dazu auffordert, bitte ja keinen erneuten Antwortsong zu schreiben. Ebenfalls sehr intim ist der Opener "Eine aufs Maul". Zu Pianobegleitung und Streichern sowie mit dezentem Autotune-Einsatz phantasiert der Rapper über die Abrechnung mit seinem inneren Schweinehund, der ihn schon so oft voller Lethargie oder Hedonismus die ein oder andere Chance im Leben verpassen ließ. Erneut biographisch, aber dieses Mal nun vielmehr heiter und humorvoll, ist ein Song darüber, wie sich Danger Dan bei früheren Gelegenheitsjobs vor der Arbeit drückte und auf diese Weise lange sein Erwerbsleben bestritt. Zu entspannten Blues-Gitarren nennt er süffisant als "Grundvoraussetzung" für solch ein Leben als arbeitsscheuer Taugenichts so cool zu sein wie er selbst, wobei trotz aller Leichtigkeit des Songs auch die Kritik an Leistungsgesellschaft, Lohnarbeit und Entfremdung im Produktionsprozess stets durchscheint.


    Er hat all meine Chancen verkackt/
    Nur durch Zufälle hat es dann trotzdem geklappt/
    Es ist ihm doch egal, wann ich wach werden muss/
    Er bestellt noch ein Glas und verpasst meinen Bus/
    Und erzählt einem Penner, der gar nichts versteht/
    Eine Lügengeschichte, wie es ihm geht/

    (Danger Dan auf "Eine aufs Maul")


    Doch der biographische Teil der "Reflexionen aus dem beschönigten Leben" ist ein nur einer von mehreren inhaltlichen Schwerpunkten der Platte, die sich thematisch gar nicht festlegen möchte. So greift "Sand in die Augen" nicht nur aktuelle Debatten wie #MeToo oder jene um die Gender Pay Gap auf, sondern birgt auch die persönliche Perspektive, welche Danger Dan als Vater einer kleinen Tochter auf geschlechtsspezifische Erziehung besitzt. Dabei spricht er schließlich auch jenes ambivalente Frauenbild vieler Deutschrapper an, für die Frauen entweder Heilige oder Huren sind: "Eure gut gemeinten Liebeslieder sind das hinterletzte/ Ich hab' keine Zeit für so 'ne Scheiße, ich muss Windeln wechseln". Gegen die deutsche HipHop-Landschaft geht es auch im Song "Drei gegen einen", für den Danger Dan seine beiden Crew-Kollegen Koljah und Panik Panzer doch wieder an Bord holte und so einen Battle-Track schuf, wie ihn die drei auf sämtlichen Bandalben noch nicht abgeliefert haben. Danger macht sich über die "epischen Interviews" und den Fitnesswahn vieler Rap-Kollegen lustig, der überragend flowende Panik vergleicht beefende Deutschrapper mit "Kinder[n] in 'nem Sandkasten" und Koljah spricht deutlich regressive Tendenzen in HipHop-Deutschland an und lässt den Ideologiekritiker raushängen – eine erfrischende Attitüde, die man bei aller Ironie, welche die Antilopen sonst an den Tag legen, manchmal etwas vermisst. Um Ironie geht es auch auf "Wir lachen uns tot", wo eine ironische Grundhaltung als Flucht vor der traurigen Wirklichkeit und gleichzeitig als Selbstschutz vor den Auswirkungen dieser Realität auf sich selbst berappt und besungen wird.


    Deutsche Rapper haben jetzt preußische Tugenden und Ehrbegriff/
    Aber sie waren schon als Jugendliche sehr bekifft/
    Sie sagen ständig, dass ein jeder hier es schaffen kann/
    Und meinen damit sozialen Aufstieg, aber nicht den Klassenkampf/
    HipHop war niemals ein Sprachrohr für Subversion/
    Diskriminierung ist behindert, du Hurensohn/

    (Danger Dan auf "Drei gegen einen")


    Eher aggressiv und gleichsam düster klingt "Piss in den Käfig", eine destruktive Gewaltphantasie zu kraftvollem Orgel-Sound, die vor dem Hintergrund von Dangers Psychotherapie aber vor allem an die beklemmende Situation des Individuums und seiner Ängste in einer ihn einengenden Gesellschaft denken lässt. Von eigenen Ängsten, besonders der "Angst so zu sein, wie du warst", handelt auch "Die Verwandlung", die nicht nur im Titel an Erzählung Franz Kafkas angelehnt ist und mit einem langsam abklingenden Beat das Album atmosphärisch enden lässt.
    Ein Alleinstellungsmerkmal besitzt schließlich "Die Prinzentragödie", für welche Danger Dan den Prinzen-Frontmann Sebastian Krumbiegel als Feature-Gast gewinnen konnte. Diesen hatte er als Teenager noch angehimmelt, doch nun wollte er lieber einen Disstrack gegen seinen Kindheitshelden rappen, in den der Gedisste allerdings munter einsteigt und sich gleichsam über die eigene Person lustig macht. Musikalisch ist der Track mit A Capella dabei klar an den Stil der Kultband angelehnt. Eher rockig mit viel Gitarreneinsatz kommt hingegen "Mingvase" daher und beschreibt ein surreales Szenario, in dem der sprichwörtliche Elefant tatsächlich in einen Porzellanladen versetzt wird.
    Hier deutet sich schon an, wie vielfältig auch der Sound der Platte ist, welcher sich offener für andere Stile zeigt als jener auf den Antilopen-Platten. Dabei ist nicht selten das Klavierspiel dominant, doch auch andere Instrumente hat der Multiinstrumentalist Danger Dan selbst eingespielt. Auch die melancholischen Streicher oder die atmosphärischen Samples arrangierte er selbst, bevor sein Co-Produzent und Bruder Panik Panzer den Instrumentals den letzten Feinschliff verpasste. So abwechslungsreich wie der Klang sind jedoch schließlich auch die Themen und Formen der zwölf Songs. Ein roter Faden lässt sich vergeblich suchen. Das einende Element ist, dass sich alle Songs irgendwo unter dem Sammelbegriff der Reflexionen des Rappers fassen lassen, wobei dieser entweder tiefe Einblicke in intime Gedanken zulässt, gesellschaftliche Themen aus seiner ganz eigenen Perspektive betrachtet oder aber einen Schwank aus seiner Jugend lustig, aber niemals unkritisch verpackt. Dabei sind vor allem die anspruchsvollen Texte mit einer großen Portion Sprachwitz hervorzuheben, denen die technische Simplizität des Raps keinerlei Abbruch tut, sowie die Gesangspassagen, die seit jeher zu den Stärken Danger Dans gehören.


    Danger Dan, du hast ja recht, wie ist es nur so weit gekommen?/
    Scheinbar habe ich das Popstarleben völlig unterschätzt/
    Denn ich hab' "Du musst ein Schwein sein" aus Versehen wörtlich genommen/
    Hab' es missverstanden und dann eben optisch umgesetzt/

    (Sebastian Krumbiegel auf "Die Prinzentragödie")


    Fazit:
    Die "Reflexionen aus dem beschönigten Leben" legen nicht wirklich offen, inwiefern das Leben ein beschönigtes ist, da es an vielen Stellen doch eher um Widersprüche, innere Zerissenheit und Ängste geht. Kritische Themen werden ebenfalls angesprochen, der drohende Zeigefinger weicht jedoch Metaphorik und Humor. Doch ein einheitliches Konzept will das Album letztlich gar nicht besitzen. Bildgewaltig, mit rhetorischem Geschick und viel musikalischem Gespür geht es vom einen Thema zum anderen. Es ist schließlich auch das Unperfekte, das Rapper und Album sympathisch macht und was der fast gänzlich selbstgebastelte abwechslungsreiche Soundteppich perfekt unterlegt. Es handelt sich eben um die eigene Standortbestimmung, die wohl mit diesem Werk noch nicht abgeschlossen sein dürfte. Wenn Danger Dan zwischen den Aktivitäten seiner Band also wieder Zeit und Muße für einige Solosachen findet, wären wir Rap-Fans wohl nicht verdrossen, wenn er erneut ein bisschen aus seinem beschönigten Leben reflektiert.



    Maximilian Lippert


    [redbew]2371[/redbew]


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    01. Kirchheim Horizont
    02. 7Eleven
    feat. Fatoni & Edgar Wasser
    03. Propaganda
    feat. Danger Dan
    04. Fake It 'Till You Make It
    05. Lovesongs
    06. Justus BWL
    07. Bordertown
    08. Knete teilen
    09. Pain Is Love
    10. Milka Tender
    feat. Luko
    11. Shibuya Crossing
    12. Cloudrap


    Juse Ju rappt bereits seit einer gefühlten Ewigkeit. Er fing schon als Jugendlicher an, seine ersten Texte zu schreiben, gab später seine Skills auf Freestyle-Jams und Battle-Turnieren zum Besten und veröffentlichte 2005 sein erstes Solo-Release. Mittlerweile ist er nicht nur DLTLLY-Host und moderiert eine wöchentliche HipHop-Show beim Radiosender Fritz, sondern dringt auch mit seiner eigenen Musik zu immer mehr Rap-Hörern im ganzen Land durch. Nach seinem letzten Album "Angst & Armor" aus dem Jahr 2015, das bei Fans und Kritikern sehr gut aufgenommen wurde, ließ der MC aus dem Süden sich nicht nur einige Zeit, um an seinem neuen Projekt zu feilen. Er verriet außerdem, dass er bei diesem zum ersten Mal auch beruflich seinen Fokus hauptsächlich auf die Musik legte. Passend dazu ist "Shibuya Crossing", Juses Neuling, der nach der berühmten Straßenkreuzung in Tokio benannt ist, auch das erste Release des Rappers, welches nicht kostenlos als Download zur Verfügung steht. Ob sich jene Umstände auf den Klang der Platte auswirken und ob diese sich qualitativ von den drei Vorgängeralben abhebt, bleibt an dieser Stelle abzuwarten.


    Das Cover-Artwork des Albums, welches wie die der beiden letzten Juse Ju-Alben von Wischnik stammt, zeigt eben jenen berühmten Platz in Tokio, darauf einen jungen Mann, vermutlich Juse selbst, der zwischen hin- und hereilenden Menschenmassen ruhig dasteht und nostalgisch in die kunterbunten Hochhausschluchten blickt, welche von lauter Rückblenden an prägende Erlebnisse aus seiner Jugend flankiert sind: die Shōnen Jump, ein berühmtes Manga-Magazin aus Japan, das Skateboarden, Rap-Battles oder auch ein sich überschlagendes Auto auf der Straße einer Wüstenstadt. Dies sind die Erinnerungen eines jungen Mannes, der bereits früh auf drei Kontinenten gelebt hat. Geboren im schwäbischen Kirchheim unter Teck, verlebte Justus Hütter, so der bürgerliche Name des Rappers, fünf Jahre seiner Kindheit in Tokio, bevor es für ihn wieder zurück nach Süddeutschland, dann für zwei Jahre nach El Paso in Texas an der Grenze zu Mexiko und schließlich wieder zurück in die schwäbische Provinz ging. Dass "Shibuya Crossing" also zumindest einige autobiographische Züge aufweisen wird, scheint hiermit schon gesichert zu sein und gleich der Opener soll dies auch bestätigen.
    "Kirchheim Horizont" handelt von Juses persönlichem Kirchturmhorizont: betrunken Moped fahren, mit Kumpels auf der Wiese chillen, schwäbischer Dialekt und Vetternwirtschaft innerhalb der Dorfgemeinschaft. Neben den Heimatklischees sorgen aber auch jugendliche Minderwertigkeitskomplexe und das ambivalente Heimatgefühl, welches den Rapper in Kirchheim beschleicht, dafür, dass der Song thematisch keineswegs abgenutzt und vielmehr authentisch wirkt. In der Mitte der Scheibe greift dann der gelungene Storyteller "Bordertown" Juses Erlebnisse in El Paso Ende der 90er Jahre auf. Detailverliebt und mit unmittelbarer Bildlichkeit schildert er das Leben als Jugendlicher in der Grenzstadt und den tragischen Unfall seines Freundes, welcher den Song mit Nüchternheit und Betroffenheit enden lässt. Schließlich trifft der Hörer mit der vorletzten Anspielstation auf den Titeltrack des Albums. Die Kreuzung in Shibuya fungiert in der Hook desselben als immer wiederkehrender Sehnsuchtsort des Rappers, während darum herum die Eindrücke eines kleinen Jungen in der größten Stadt der Welt, geprägt von Unsicherheit, Angst, aber auch Aufbruchsstimmung und Mut, sowie die Beziehung zu seinem großen Bruder berappt werden. Wie schon die beiden anderen autobiographischen Tracks ist "Shibuya Crossing" von einer klimatischen Struktur sowie einem ruhigen Beat und nachdenklichem Flow geprägt.


    Und ich laufe diese Straßen wie auf Silber/
    Und die Blüten da im Park sehen aus wie Schnee/
    […]
    Überqueren diese Kreuzung in Shibuya/
    Über uns da leuchten tausend LEDs/
    Und mein Bruder legt die Hand auf meine Schulter/
    Er sagt: "Komm, lass uns geh'n/

    (Juse Ju auch "Shibuya Crossing")


    Diese persönliche Seite ist eine, die man von Juse Ju nicht unbedingt gewohnt gewesen ist. Auf "Lovesongs" geht er ebenfalls mit sich selbst hart ins Gericht, kritisiert nicht nur sexistisches Rappergehabe, sondern auch die eigene Emotionslosigkeit und Beziehungsunfähigkeit. Und ebenso "Milka Tender" mit Gastsängerin Luko in der Hook scheint zwar erst von der Katerstimmung nach einer durchzechten Nacht zu handeln, entpuppt sich am Ende jedoch als Kritik am eigenen Umgang mit einer Trennung.
    Doch auch die Battle-Attitude, eine bereits hinlänglich bekannte Stärke des Rappers, kommt auf der Scheibe nicht zu kurz. "7Eleven" ist der obligatorische Track mit den Kumpels Fatoni und Edgar Wasser. Dass die drei die "beste Kombination" sind und super zusammen harmonieren, stellen sie mit haufenweise Representer-Punchlines, Wortwitz und Sarkasmus gelungen unter Beweis. Selbiges gelingt Juse auch solo auf "Justus BWL". Mit Skits und Scratches von DJ Flashcat sowie unterhaltsamen Adlips teilt der MC gegen die hiesige Rap-Szene aus und nimmt sich genauso selbst auf die Schippe. Nicht weniger humorvoll ist die Herangehensweise auf "Propaganda", wenn auch das Thema ein politisches ist und dazu viel aktuellen Zeitgeist in sich trägt. Auf derbem Trap-Beat karikiert Juse überspitzt und zynisch den modernen Medienkritiker, der dabei doch selbst gänzlich unreflektiert Russia Today konsumiert, ernsten Debatten aus dem Weg geht und obendrein meint, er habe das große verschwörerische weltpolitische System erkannt und könne sich deshalb geistig über dieses sowie alle vermeintlich Systemhörigen erheben. Seine perfekte Ergänzung findet das ganze durch eine poppige Hook von Danger Dan, der sich dort ebenfalls anmaßt, "das große Spiel zu durchschauen".


    Meine Freundin fragt mich: "Schatz, wie war dein Tag?" (hallo!)/
    Ich sag: "Gut, ich hab' MCs gefickt mit harten Parts!" (yüah!)/
    Sie sagt: "Was, Denise gefickt? Du blöder Arsch!" (du Arsch!)/
    Ich sag: "Nein, MCs sind Rapper, was man halt so sagt."/
    Das ist das Schwere am Erwachsenwerden (was denn?)/
    Es fällt immer schwerer Quatsch zu reden/
    Ohne dabei wie ein dummer Spast zu wirken (huh!)/

    (Juse Ju auf "Justus BWL")


    Weniger stark fallen andere Songs wie "Fake It 'Till You Make It" oder "Knete teilen" auf, die sich humoristisch mit Juse Jus Standing in der deutschen HipHop-Szene auseinandersetzen, oder auch "Cloudrap", der eben diese Szene karikieren und abwatschen will. Letzteres Songkonzept kann zwar unterhaltsam sein, ist aber keinesfalls innovativ. Zudem entsteht der Anschein, dass der Weltenbummler Juse, der außerdem auch klare politische Ansichten vertritt und es versteht, diese mit jeder Menge Witz zu vermitteln, in gesellschaftlich nicht gerade ruhigen Zeiten wie diesen lieber noch das ein oder andere Thema mit mehr inhaltlicher Schwere hätte aufgreifen können.
    Die Beats auf "Shibuya Crossing" entstammen einer ganzen Liste von unterschiedlichen namhaften Produzenten, darunter Torky Tork, Dexter, Provo oder Yourz, und dementsprechend abwechslungsreich sind sie auch gehalten. Ob langgezogene Synthies, hartes Trap-Brett, klassischer BoomBap oder Auto-Tune – hier geben sich verschiedene Styles, welche an verschiedene Zeiten und Subgenres des HipHops erinnern, die Klinke in die Hand und ergeben nichtdestotrotz ein stimmiges Gesamtklangbild. Dabei passt der Sound stets zu den jeweils vermittelten Emotionen. Und auch Juse selbst versteht freilich ebenfalls sein Handwerk, rappt routiniert, unverkrampft und locker, ab und an auch stakkatisch oder druckvoll, wobei doch niemals Einbußen in Sachen Verständlichkeit hingenommen werden müssen.


    Fazit:
    "Shibuya Crossing" lässt sich natürlich nicht als das erste richtige Album von Juse Ju bezeichnen, dennoch ist ein qualitativer Unterschied zu seinen bisherigen Releases hörbar. Dieser liegt vor allem in der persönlichen, autobiographischen Seite, die man vorher vom Künstler noch nicht gewohnt gewesen ist und die sein musikalisches Schaffen damit um eine neue Facette bereichert. Bissige Ironie, Humor und Battle-Attitüde werden deshalb jedoch keineswegs über Bord geworfen. Insgesamt ist die Platte also weniger verspielt und ernster als ihre Vorgängerinnen, besticht zwar durch ein breites Themenspektrum, verliert aber manchmal auch ihren roten Faden und weist zudem kein einheitliches Niveau der Songs auf. Angesichts der wunderbar bebilderten Erzählungen hätte man sich vielleicht mehr Festhalten am Konzept gewünscht, welches das Album mit Titel und Aufmachung suggeriert. Doch am Ende mag man gespannt sein, ob Juses Entwicklung hier weitergeht und seine kommenden Projekte vielleicht noch persönlicher werden. "Shibuya Crossing" verspricht in dieser Hinsicht auf jeden Fall bereits einiges.



    Maximilian Lippert


    [redbew]2367[/redbew]


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    01. König in der Disko
    02. Gift
    03. Der Pastor
    04. Maskenball
    05. Gute Nachrichten


    Als Kaas im Sommer 2016 zusammen mit dem Produzentenduo Jugglerz seine Jamaica-EP veröffentlichte, waren rund fünf Jahre vergangen gewesen, als der Paradiesvogel der ohnehin schon bunten Orsons seine Fans mit einem ebenso experimentellen wie ausgereiften Mix aus Reggae, Dancehall und HipHop überraschte. Nun sind es hingegen gerade einmal anderthalb Jahre und mit "Zucker" steht bereits die nächste Veröffentlichung des Hooligan of Love bereit, wobei es sich auch hier erneut um eine EP mit verhältnismäßig kurzer Spielzeit handelt. Auf fünf Songs verlässt Kaas nicht nur thematisch die sonnigen Strände und staubigen Straßen der Karibikinsel, sondern möchte auch musikalisch in neue Gefilde aufbrechen.


    Wie es der Name der EP suggeriert, geht es um die süßen Versuchungen des Lebens. Dabei zeigt sich der Reutlinger Rapper, der in der Vergangenheit oft mit klamaukiger Attitüde auffiel, von einer ungewohnt ernsten und persönlichen Seite. Der Eingang in die Platte erfolgt mit "König in der Disko", einer Cover-Version des Songs "Sukkel Voor De Liefde" der niederländischen HipHop-Combo The Opposites, die sich textlich nahe an der Vorlage orientiert und mit melancholischen Gitarrensounds beginnt. Zu diesen zeichnet Kaas das Bild eines Nachhausewegs nach einer langen durchtanzten und durchzechten Nacht, auf dem die zuvor unterdrückten und betäubten Gefühle wieder durchbrechen. Zu rockigen Riffs besingt der "Verlierer in der Liebe" sowie "König in der Diskothek" das Schwanken zwischen wechselnden kurzlebigen Frauenbekanntschaften und der Trauer um die verflossene Ex-Freundin. Motivisch knüpft der Folgesong "Gift" unmittelbar an den Opener an und thematisiert das Glücksstreben der Menschen. Jeder suche sich im Alltag sein persönliches Gift, etwa die Flucht in Bücher, das Zocken mit Bitcoins oder etwa eigenes Kunstschaffen. Zentral ist auf dem Track jedoch die toxische, weil sinnbetäubende und berauschende Liebe.


    Das schwarze Loch in meiner Seele lässt mich leer sein/
    Deswegen tauch' ich nachts in das Partymeer ein/
    Voller Stolz, mit stolzer Brust/
    Ich vermiss dich nicht, miss dich nicht, miss dich nicht/
    Mit jedem Schritt, den ich geh, denke ich an dich/
    Doch du blickst es nicht, blickst es nicht

    (Kaas auf "König in der Disko")


    In der Mitte der Platte steht der längste, sperrigste und sicherlich auch interessanteste Song auf "Zucker". Schummrig-dunkle Synthies bauen zu Beginn von "Der Pastor" eine bedrohliche Atmosphäre auf, woraufhin sich in zwei Parts eine nicht gänzlich durchschaubare Dreieckskonstellation zwischen dem sprechenden Ich, einem angesprochenen Du sowie der dubiosen Figur eben jenes Pastors entfaltet, deren Zusammenhang mit Bridge, Hook und Outro sich erneut nicht ganz eindeutig zu erschließen vermag. Im Ganzen geht es um das "Verderben" als allgegenwärtige Bedrohung sowie als Folge von Sünde und Hochmut. Hierbei bedient sich der Rapper nicht nur einiger theologischer aufgeladener Motive, sondern wechselt zwischen Gesang und hysterischem Schreien sowie zwischen lakonischer und pathetischer Stimmlage hin und her. Wie schon im Opener der Platte setzt sich Kaas im Kontext von Sündhaftigkeit auch mit den Gefahren und Schattenseiten des Künstlerdaseins auseinander.
    "Maskenball", eine Werbung um eine begehrte Frau, welche sich trotz Maskierung vom Rest der berappten Tanzgesellschaft abhebt, ist wiederum etwas weniger kryptisch, kommt Trap-lastig daher und überzeugt mit starkem Stimmeinsatz, der an einzelne Songs der Jamaica-EP erinnert. Und schließlich endet die musikalische Süßigkeit mit einem gewohnten Kaas-Song voller positiver Vibes und heiterer Stimmung, in dem er einem angesprochenen Du fröhlich-erleichtert "nur noch gute Nachrichten, nur noch gutes Karma" wünscht. Auch der Sound von "Gute Nachrichten" kommt dementsprechend lockerer daher und unterhält mit klanglichen 80er-Referenzen.


    Die harten Zeiten sind vorbei, die dunkelste Phase ist die vor'm Sonnenaufgang/
    Ein Hunderttausend-Kilo-Stein fällt dir vom Herzen direkt in den Ozean rein/
    Alles wirkt hier immer leicht, die Herzen sind den Kindern gleich/
    Wenn man in der Mitte teilt, wie Zugvögel folgen wir dem goldenen Schein

    (Kaas auf "Gute Nachrichten")


    Die Platte kommt mit wie schon die Vorgänger-EP mit einem eigenen Soundteppich daher und versteht sich sicherlich erneut als kurzes Experiment, auch wenn hier der Wiedererkennungs- sowie Eigenständigkeitswert nicht mehr ganz so groß ist. Thematisch sowie musikalisch zieht sich ein roter Faden durch die fünf Tracks. Die Beats sind eher elektronisch gehalten. Geprägt von kühlen Synthies, Drums und vielerlei Sound-Effekten, kommen sie zwar verspielt daher, doch treten an keiner Stelle in den Vordergrund. Den also eher ruhig gehaltenen Instrumentals, für die sich vor allem Produzent TrueLyes verantwortlich zeigt, begegnet Kaas mit passionierten Rap sowie viel melodischem und verzerrtem Gesang. Dabei schlagen seine Kreativität und die Vielfalt der Einflüsse aber stellenweise in ein überladenes Gesamtpaket um, das in manchen Momenten anstrengend und etwas wirr scheint. Lyrisch kann er mit einer bildreichen Sprache überzeugen, die jedoch manchmal auch Gefahr läuft, ins Kitschige oder in Phrasendrescherei abzurutschen.


    Fazit:
    Auch "Zucker" ist wieder einmal eine Absage des quirligen Rappers an Konventionalität, die sich dieses Mal weniger im Überschreiten von Genregrenzen manifestiert und vielmehr zum Ausprobieren neuer stilistischer Elemente führt. So ist der zumindest bis zum letzten Song durchgehaltene melancholisch und düster gehaltene Grundtenor für Kaas ebenso ungewohnt, wie er dennoch authentisch wirkt. Der Mix aus nachdenklichen Inhalten und synthetisch-poppigen Beats klingt eigen, doch durchaus interessant. Dabei ist vor allem die Balance zwischen alltäglichen und abstrakten Themen gelungen, auch wenn die Grenze zum Kitsch stellenweise überschritten wird. Das Konzept der kurzen EPs mit jeweiligen Stilausflügen birgt zumindest großen Unterhaltungswert und darf gerne mit einem in naher Zukunft erscheinenden Release fortgesetzt werden.



    Maximilian Lippert


    [redbew]2337[/redbew]


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    01. Superlativ
    02. Liebeslied
    03. Gesten
    04. Teenitus
    05. Weltmusik
    06. Silvester
    07. Untertitel
    08. XXX
    09. Everybody’s Darling
    10. Farid Bang
    feat. Weekend
    11. Elitepartner
    12. Hip Hop
    feat. Zarte Lust
    13. Du weißt es
    14. Harald J.
    15. Kinderaugen
    feat. Lea
    16. Gute Zeit


    Da ist es nun, das Debutalbum von Steasy. Den meisten von uns ist der Kieler Rapper wohl seit seinem Sieg in der Splash-Edition des 2013er VBT oder aber auch durch seine starke Performance bei der normalen Version des Battle-Turniers im Vorjahr bekannt. Andere mögen sich noch an ältere RBA-Runden oder seinen Feature-Part auf Hollywood Hanks mittlerweile schon Kultstatus besitzenden Soloalbum "Soziopath" erinnern. Doch obwohl er schon während des VBT-Hypes 2013 und dann ein weiteres Mal im Jahr 2015 ein Album ankündigte, veröffentlichte Steasy in den letzten viereinhalb Jahren erst einmal zwei EPs sowie diverse, lose ausgekoppelte Songs und Videos. Alle Label-Angebote hatte er dankend abgelehnt und konnte so mit großer Selbstbestimmtheit an seinem Album feilen. Doch was wird den Hörer erwarten? Arrogant-lässigen Poser-Rap, der quasi zum Markenzeichen des Künstlers geworden ist? Oder macht es dieser anderen ehemaligen Turnier-Rappern gleich und wendet dem alten Stil auf dem Debutalbum den Rücken zu?


    Der Einstig in das Album zeigt einen Steasy, wie man ihn kennt, mit "motherfucking arrogante[m] Sound" und falls jemand die Selbstüberhöhung des Künstlers doch kritisch sieht, wird er mittels rhetorischer Fragen à la "Was denn, ja, ja, ja was denn?" in die Schranken gewiesen. Der Rapper sei der "Superlativ", eine "Steigerung nicht möglich". Auch "Gesten" geht inhaltlich in dieselbe Richtung und zelebriert zu einem treibenden Beat den Egozentrismus. Steasy baut also auf jene stilistischen Zutaten, die bereits seinen Battle-Rap so beliebt machten, rappt über sich selbst, gegen ein lyrisches Du oder Ihr und verwendet für ihn typisches Vokabular wie die immer wiederkehrende Anrede "Motherfucker", bewusst gesetzte Betonungen und lang gezogene Silben am Versende. Ebenso dürfen Anspielungen an die Leidenschaft Sport oder die Heimatstadt Kiel nicht fehlen. Und wer beim "Liebeslied" der Platte liebreiche, romantische Worte an die Angebetete erwartet, muss wohl enttäuscht werden, da es auch hier ganz selbstgefällig um die Eigenliebe des Rappers geht. Doch trotz aller arroganter Attitüde wirkt der Künstler nicht unsympathisch. So ist die Überheblichkeit doch stets humoristisch vorgetragen, die Selbstherrlichkeit oft so übertrieben, dass sie nur mit einem Augenzwinkern gedacht werden kann, und auch an Wortwitz mangelt es jenen ansonsten ohne tiefere Message oder komplexeres Konzept ausgestatteten Songs durchaus nicht.


    Keiner, der so styletechnisch perfekt/
    Mit einer Line hier ganz allein die Szene komplett scheiße aussehen lässt/

    (Steasy auf "Superlativ")


    Mein Style und der Sound sind letztendlich/
    So aufreizend lässig, das braucht keine Message/

    (Steasy auf "Liebeslied")


    Ich bin zwar nicht Silbermond, doch ich versprech' dir nicht zu viel jetzt/
    Wenn ich dir sage, ich bin das Beste, was dir je passiert ist/

    (Steasy auf "Teenitus")


    Doch die Platte bietet keineswegs Poser-Rap auf 16 Songs, sondern ist wesentlich facettenreicher und persönlicher. Auf "Untertitel" wird der intensive Arbeitsprozess während der Entstehung des Albums beschrieben und damit einen gefährlichen Vorgang, bei welchem die Kunst langsam von der Person des Künstlers Besitz ergreift, diesen von seinen Nebenmenschen entfernt und geistig isoliert. Herausstechend ist auch der Track "Silvester", den es bereits zum letzten Jahresübergang für genau 24 Stunden frei verfügbar zu hören gegeben hat und welcher erfrischend selbstkritisch daherkommt. Steasy bereut zu leisen, doch dynamischen Gitarrenriffs vergangene Antriebs- oder Mutlosigkeit sowie die daraus hervorgegangenen verpassten Chancen, ein bekanntes Muster, das jährlich an Silvester sein Ende finden soll, diesen Vorsatz allerdings nur in den wenigsten Fällen wirklich einhält. Der Song ist gleichzeitig eine Kampfansage an Durchschnitt und Alltagstrott, denn "Veränderung bleibt auch nur Stillstand, wenn man sich im Kreis bewegt".
    Nachdem auch das berauscht-melancholisch klingende "Harald J.", ein Lied auf Lebensgenuss, Muße, Leichtlebigkeit und Sonnenuntergänge an der "coast of life", ruhigere Töne anschlägt, klingt das Ende des Albums hingegen eher poppig. Steasy blickt hier einmal durch "Kinderaugen" auf seine ersten Lebensjahre und sein Dasein als wilder Raufbold zurück, der seinen Träumen nachhängt und die Grenzen austestet. Gastmusikerin Lea steuert von Piano und Trompeten begleitet die passende Gesangs-Hook dazu bei, bevor "Gute Zeit" die Platte abrundet und den Künstler abschließend noch einmal bodenständig zeigt. An mehreren Stellen erteilt er hier der fast schon genreüblichen Fixierung auf materielle Güter und soziale Anerkennung eine Absage. Sein Style, sein Sound, eben seine Musik ist das, was Steasy als sein persönliches "Statussymbol" begreift.


    Keine verbindlichen Abmachungen, keine Anpassung, kein Bausparen/
    Wollte raus da, meine Faust ballen, bis auch der letzte weiß, was ich drauf hab'/
    Jedem den Fickfinger zeigen, Widerstand leisten, doch saß dann nur komplett/
    wie so 'ne Pussy mit 'nem beschissenen Kaffee und immer verschlafen dumm rum in der Uni/

    (Steasy auf "Silvester")


    Als ein dritter auf dem Album befindlicher Block an Tracks kann ein solcher der Themen- und Konzeptsongs angenommen werden, der zwar einerseits für thematische Breite sorgt, jedoch leider ebenso viel Austauschbares in sich birgt. So kann ein Song über "Hip Hop", bei dem die Erwartungshaltung mancher Teile der Szene, jenem noch so alten Stereotyp zu entsprechen, ironisch auf die Schippe genommen wird, zwar durchaus unterhaltsam sein, ist jedoch bei weitem keine neue Idee. Ähnliches gilt für "Elitepartner", in dem es um die ideale Partnerin geht, oder "XXX", wo die Musik des Rappers mit "Sex in den Ohr'n" verglichen wird. Auch "Weltmusik" ist ein solide ausgearbeiteter Track, auf dem der Künstler die Qualität seiner Musik berappt und dessen Schwäche gerade in diesem Konzept begründet liegt, wo Gegenstand und Medium eins sind. Hier könne schließlich besser der Rap für sich sprechen und den Hörer auf diese Weise überzeugen, anstatt sich in ausufernden Ankündigungen zu verlieren.
    Außer Lea haben es noch die beiden ebenfalls aus dem VBT bekannten Rapper Weekend und Zarte Lust, seines Zeichens ebenso Mitglied der Federballklikke, auf die Feature-Liste geschafft und fügen sich gut in die jeweiligen Tracks ein, indem sie Steasys Humor passend ergänzen, ersterer mit seiner Lakonie, letzterer mit simplen, doch unterhaltsamen Wortspielen. Die Beats wurden zu großen Teilen vom Berliner Twen-T4svn, der eigentlich eher in Richtung Filmmusik produziert, sowie weiterhin von Donkong, Snew und Peet beigesteuert und bewegen sich zwischen düster-elektronischen und fröhlich-poppigen Sounds, wobei die vielen eher HipHop-untypischen Instrumentale oftmals von einem epischen Unterton beherrscht werden. Für Cuts und Scratches zeigt sich DJ Cuebic verantwortlich, während Steasy wie gewohnt stark flowt, Tempo und Rhythmus variiert und mit Intonationen spielt. Sowie er sich allerdings thematisch in neue Gefilde begibt, muss er auch gelegentlich seine Stimme den nachdenklicheren Stimmungen entsprechend anpassen, was ihm wiederum ebenfalls gekonnt gelingt.


    Eh ich lebe für Hip Hop – viva la Vida/
    Als echter real keeper wie Iker Casillas/
    Und ich sterbe für Hip Hop wie 2Pac Shakur/
    Ich weiß mehr über die Elemente als Mutter Natur/

    (Zarte Lust auf "Hip Hop")


    Fazit:
    Auch das Debutalbum ist durch und durch Steasy, der zwar neue Wege erkundet, ohne sich dafür jedoch verstellen zu müssen. Vor allem erlaubt er dem Hörer Einblicke in sein Seelenleben, welche es so zuvor noch nicht von ihm zu hören gab. Es ist in weiten Teilen immer noch der bekannte Poser-Rap, der durch seinen unverkennbaren, jedoch nicht aufdringlichen Humor überzeugt und dessen arrogante Attitüde unterhaltsam ist, ohne abgehoben zu wirken. Dies gelingt auch immer wieder durch kleine persönliche Einwürfe. Dabei ist der Kieler stilistisch für alles offen und überzeugt auch bei den persönlicheren Tracks. Gerade wegen seiner humoristischen Art verwundert es, dass er nicht mal eine pointierte Geschichte erzählt, anstatt nur allzu oft berappte Songkonzepte von neuem zu bearbeiten. So lässt sich vor allem in dieser Hinsicht nur auf einen Nachfolger hoffen, der gerne auch früher als in vier Jahren erscheinen darf.



    Maximilian Lippert


    [redbew]2309[/redbew]


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    01. Reload
    02. Skit
    03. Maulkorb
    04. Original
    feat. PA Sports & Mosh36
    05. Gnx
    06. Krimina
    l feat. Moe Phoenix
    07. Sins
    08. So wie ich
    09. Chill mal dein Leben
    feat. Moe Phoenix
    10. Hütte im Wald feat. PA Sports
    11. 7 Jahre
    12. Zwölf
    feat. KC Rebell
    13. Smith n Wesson feat. OG Tipecial, Cedric & Niekan
    14. Diamant feat. Cedric
    15. Impuls


    Als Kianush 2014 als erstes Signing von PA Sports' Label Life is Pain sowie dann als dessen Kollabo-Partner und Desperado auf der Bildfläche des Deutschraps auftauchte und gleich einer größeren Hörerschaft bekannt wurde, konnte man dies durchaus einen gelungenen Auftakt nennen. Vor einem guten Jahr feierte er daraufhin auch mit dem Album "Szenario" sein Solodebut, welches allgemein als solide Straßenrap-Platte aufgenommen wurde. Nun ist der Münsteraner Rapper mit dem Nachfolger "Instinkt" zurück und arbeitet weiterhin daran, zu zeigen, dass er auch ohne seinen Förderer und Labelboss solo erfolgreich ist und sich einen eigenen Platz auf der deutschen Straßenrap-Karte sichern kann. Dabei ist in diesen Tagen bei aller Dichte von guten Rappern auf jener Karte eine gewisse Innovation jedoch sicherlich hilfreich. Erweist sich Kianushs Instinkt hierbei als sein Geheimrezept oder ruft er doch eher einen unüberlegten Schnellschuss hervor?


    Leise Gitarrenriffs bauen Atmosphäre auf, die Drums setzen ein, Kianush lädt nach. Auf dem Opener "Reload" läst der Künstler stimmungsvoll seinen musikalischen Werdegang Revue passieren. Seine raue, markante Stimme, die er mit einem versierten, progressivem Flow auch gekonnt in Szene zu setzen vermag, ist das, was Kianushs Musik auszeichnet. So geschieht dies ebenso auf den folgenden Songs, ob er dabei anderen Rappern einen "Maulkorb" verpassen will oder auf "Smith n Wesson" zusammen mit OG Tipecial sowie dem Rap-Duo aus Münster Cedric und Niekan über das Instrumental hinwegbrettert.
    Auch das Outro "Impuls", auf dem der MC sehr atmosphärisch auftritt, seine Herkunft, seine Werte und Ziele berappt sowie mit seinen Eltern in Dialog tritt, überzeugt ebenfalls mit einem variierenden Stimmeinsatz. Nennenswert sind darüber hinaus die Songs "Hütte im Wald", auf dem zu einem atmosphärischen Beat zusammen mit Partner PA Sports das Rückzugs- und Weltfurchtsmotiv gepaart mit Stress und Frustration im Alltag behandelt werden, und "Chill mal dein Leben", der einzige clubtaugliche Song der Platte mit tanzbarem Beat und einer dazu passenden Gesangshook von Featuregast Moe Phoenix.


    Was du hörst, ist das Feuer meiner Seele/
    Matrix – Menschen werden gesteuert wie Geräte/
    Willkomm’n in meinem Atelier/
    Jeder Song ist wie ein Kunstwerk – ich bin ein Künstler im Grundkern/

    (Kianush auf "So wie ich bin")


    Die Instrumentals auf "Instinkt" wurden von Niza, Zinobeatz, KD-Beatz und zahlreichen weiteren Produzenten solide ausproduziert und geben der Hörerschaft viele tiefe, treibende Bässe auf die Ohren, fallen jedoch im Großen und Ganzen nicht sehr auf. Kianushs Flow ist gut und die Rhymes sind sauber auf die Beats gesetzt. Er rappt gekonnt, kann melodisch singen und hat dabei den vielen Autotune-Einsatz gar nicht einmal nötig.
    Schließlich fehlt der Platte allerdings auf einem immer noch anwachsenden Straßenrap-Markt das Alleinstellungsmerkmal. Innovation wurde zugunsten vieler Klischees vernachlässigt, wirkliche Highlights gibt es kaum. So rappt Kianush auf "Kriminal" gegen Justiz und Staatsgewalt sowie in fast schon romantischer Art über das Knastleben. Dabei wird unterstellt, dass Jugendliche aus sozial schwächeren Kontexten quasi in die Kriminalität gedrängt werden. Dasselbe suggeriert ebenso "7 Jahre", die vielleicht etwas autobiographische Geschichte eines Jungen, der Geld verdienen wollte, doch auf der schiefen Bahn und dann schließlich im Gefängnis landete. Auf dreieinhalb Minuten Spiellänge wird dabei erstaunlich wenig Inhalt transportiert. Der Lovesong des Albums, "Diamant", welcher natürlich nicht fehlen durfte, lässt hingegen eher wenig Romantik aufkommen, handelt er doch eher von Besitzdenken und der Objektivierung der Partnerin.


    Ich saß wegen Raub und er wegen Einbruch und Koks, ah/
    Bruder, Bruder, ja, ja, google du ma'/
    Während du dir grade Puder ballerst, wa-llāh, blutet Mutter/
    Über hunderttausend Leute, die da gerade drin sind/
    Folg deinem Instinkt/

    (Kianush auf "Kriminal")


    Fazit:
    "Instinkt" ist ein technisch gut hörbares Straßenrap-Album und knüpft inhaltlich an seinen Vorgänger "Szenario" an, wobei es sich jedoch weniger reflektiert zeigt und am Ende eine thematische Variation vermissen lässt. Viele Songs und vor allem auch einzelne Lines wirken dabei leider inhaltlich austauschbar und reproduzieren lauter Klischees. Während der richtige Banger unter den Representern der Platte fehlt, überzeugt Kianush dann, wenn er eher nachdenkliche Thematiken behandelt. Musikalisch bewegt er sich mit einem starken Flow und sauberen Gesangseinsätzen auf einem hohen Level, lässt allerdings zuweilen die eigenen Stärken zugunsten des Spiels mit Autotune zurücktreten. Hier wurde an einigen Ecken Potential verschenkt, was aber auch ein natürlicher Schritt auf dem Weg eines jungen Künstlers bei der Findung des eigenen Stils bedeuten kann.



    Maximilian Lippert


    [redbew]2230[/redbew]


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    01. Geld
    02. Die Rache der Tiere
    03. Ballast
    04. Sterben
    05. VIP-Lounge
    06. Wolfsburg
    07. Highlander
    08. Reinsteigerchampionsleague
    feat. Marten McFly
    09. Dazugehirn feat. Nazz
    10. MMV
    11. Montagphobie
    12. Batterie
    13. Sonne
    feat. FairS
    14. Aksel


    Lemur, vielen vermutlich auch unter dem Namen Benny als Rapper des Duos Herr von Grau bekannt, geht seit der Trennung von seinem ehemaligen Partner DJ Kraatz seit 2014 nun eigene Wege als rappender Feuchtnasenaffe. Mit "Geräusche" erschien bereits ein erstes Soloalbum, welches sich etwas leichter zugänglich und weniger sperrig gab als die zahlreichen Projekte mit Herr von Grau, ohne dass dabei jedoch Bennys charakteristische Elemente beim Songwriting, etwa das Gesellschaftskritische oder sein cleverer Humor, auf der Strecke geblieben wären. Der Name seines aktuellen Langspielers "Die Rache der Tiere" – die Verbindung zu seinem neu gewählten Künstlernamen und damit gleichsam zu Lemurs subervisem Profil ist offensichtlich – klingt erst einmal wild und progressiv oder lässt utopische Visionen erahnen. Lemurs Alben funktionierten zumeist als in sich konsistente musikalische Gebilde, die gleichzeitig jedoch auch einer gewissen Vielseitigkeit nicht entbehrten. Checken wir aus, was sich sich hinter diesem Albumtitel, welcher auch als Slogan einer PETA-Kampagne vorstellbar wäre und jede Menge Assoziationen weckt, verbergen mag!
    Der Beginn weist erst einmal kein dominierendes thematisches Konzept auf. Im Opener "Geld" dreht sich – wie bei Lemur schon zu erwarten war – eben nicht alles um eine monetäre Ideologie oder eigene finanzielle Interessen. Was auf dem verträumten Beat vor allem einprägsam ist, ist vielmehr die Haltung eines MCs zur Musik, die das bestimmende Moment seiner Lebenswelt ist, welches er um keinen Preis tauschen möchte, auch wenn dann die ein oder anderen Geldsorgen sogar einmal ausbleiben würden. "Denn das Einzige, was zählt, sind super gut getimte Reime auf ‘ner Scheibe, die sich dreht." Der Titeltrack "Die Rache der Tiere" führt uns daraufhin in eine fantastische Utopie, in der die Tierwelt das Ruder übernimmt. Gleichzeitig ist es jedoch auch die Geburtsstunde seiner rappenden Identität, die Verwandlung in einen Affen, die offensichtlich für Benny einen Ausbruch aus sozialen Zwängen bedeutet, denn er hatte "schon so lange keine Lust mehr auf Menschsein". Auf der nächsten Anspielstation, "Sterben", erinnert Lemur uns dann daran, dass der Tod allgegenwärtig ist, ob beim Drachensteigen nahe einer Hochspannungsleitung, beim Stolpern am Diskoeingang oder durch den Campingkocher bei Zelten, und dass man doch deshalb den Moment genießen solle. Dies eigentlich eher bedrückendes Thema, bringt er hier zu einem BoomBap-Beat gelungen auf eine seine leichte und humorvolle Art inklusive "Schubidu" und Pfeifen herüber.


    Weg hier, denen ist mein Leben nicht viel wert/
    Scheiße man, mitten im Weg steht ein Nilpferd/
    Ich boxe mich durch Doggen und Robben/
    Hau diesem Maulwurf aufs Maul und verkloppe die Motten/

    (Lemur auf "Die Rache der Tiere")


    Ein Themenblock, welcher auf der allerdings Platte natürlich nicht ausgespart bleiben darf und mit einigen Songs vertreten ist, ist jener der Gesellschaftskritik und des Aufbegehrens, ein traditionelles Métier Lemurs. Am deutlichsten ausformuliert tritt dabei wohl die "VIP-Lounge" hervor, mit der er die deutschen Parlamente gleichsetzt, während er das Politikgeschehen "hinter diesen edlen Fassaden" verbal angreift, an dem einfache Bürger am Ende doch nicht partizipieren können und teilnahmslos bleiben müssen. Auf einem rhetorisch hohen Level werden Intransparenz, leere Worthülsen und das Ausgehen der Entscheidungsgewalt schließlich nicht vom Volk, sondern einer kleinen elitären Klasse, kritisiert. Die klaren Worte gehen jedoch zuweilen in Übertreibungen oder auch schlicht nicht ganz stichhaltige sowie übergeneralisierende Anschuldigungen an eine zum Feindbild stilisierte Personengruppe über, wo doch eine Kritik am System selbst eigentlich fruchtbarer wäre.
    "Dazugehirn" handelt dann von der eigenen Exklusion, vom Rückzug aus einer Gesellschaft voller Verwertungslogik und Leistungsdruck, in welcher Benny kein "Rädchen, das langsam verschleißt", sein möchte. Düstere Synthies, die sich um eine peitschende Snare winden und die charakteristische Stimme von Featuregast Nazz kreieren ein passendes klangliches Ambiente. Wenn das Gefühl der eigenen Entfremdung von seiner Umwelt weiter anwächst, können schließlich auch Wut und Menschenhass Vernichtungsphantasien hervorrufen – so auf "MMV" zu hören.
    Schließlich greift "Highlander" das bereits 2013 auf dem Track "Pommes" bearbeitete Thema der Religionskritik erneut auf und fragt danach, warum Glaube immer wieder zu Abgrenzungs- und Teilungspraktiken sowie Gewalt und Krieg führe.


    Marionetten, die mich eiskalt belügen/
    Worthülsenkrieg um den Geist zu ermüden/
    Versteinerte Typen/
    Treten die Gleichheit mit Füßen/
    Und ich soll mich dem einfach so fügen/

    (Lemur auf "VIP-Lounge")


    Doch auch besser gelaunte Töne fehlen nicht auf "Die Rache der Tiere". Nachdem einiger "Ballast" abgeworfen wurde, Geist und Seele befreit worden sind, kann nun auch die "Batterie" wieder einmal aufgeladen werden, um in Anlehnung an Ton Steine Scherben allen destruktiven Kräften entgegenzuwirken und den eigenen Aufbruch- oder eher das Aufraffen zu berappen. Doch auch hier klingt letztlich doch wieder der Kampf des Individuums mit seiner Umwelt zwischen einigen Zeilen mit.
    Unterhaltsamer wird es dann, wenn Lemur sich ein Thema herauspickt und eine seine großen Stärken darauf anwendet, indem er sich selbst und äußere Umstände präzise reflektiert und mit lauter spitzem Humor gewaffnet schildert. Ob es lediglich um seine leidige "Montagphobie" geht oder einen nostalgischen Rückblick auf seine Jugendzeit in "Wolfsburg", ob zusammen mit Marten McFly darum gekämpft wird, wer den Titel der "Reinsteigerchampionsleague" mit nach Hause nimmt oder aber mit FlairS über Facebook-Kommentare, die jegliche Intelligenz und eigenständiges Denken vermissen lassen sowie dumpfe YouTuberInnen im Internet hergezogen wird, ein Schmunzeln kann sich der geneigte Rap-Fan zuweilen nicht verkneifen.

    Meine Timeline schreit nach mehr Drive-bys/
    Kleingeister live aus der Steinzeit beim Like-fight (Klick)/
    Sie entblößen ihre Kommentare/
    Sonderbare Spezies mit Größenwahn wie Bonaparte/
    Gedankliches Outback, Faustrecht am Mousepad/
    Hanseln die schlau sind wie Bauchspeck/

    (Lemur auf "Sonne")


    Die Featuregäste sorgen mit ihren Auftritten für eine Bereicherung, treten allerdings nicht so sehr hervor, um Lemur irgendwo die Show stehlen zu können. Das Album bleibt also auch in dieser Hinsicht ein thematisch eher persönliches. Die Beats stehen dabei nicht im Fokus. Hauptsächlich geht es bei ihnen darum, die jeweilige atmosphärische Grundfarbe der Songs darzustellen, welche von hoffnungsvollem Hellgrün bis zu frustriert-aggressivem Dunkelrot oder pessimistisch-düsterem Schwarz reicht. Die hauptsächlich in Eigenarbeit entstandenen, teilweise etwas stur anmutenden und meist minimalistisch produzierten Synthie- und Drum-Beats bilden ein kohärentes Klanggerüst für die Platte und stellen Bennys raffinierte Lyrik ins Zentrum. Die Platte klingt so eingänglich und atmosphärisch und kommt auch deshalb weniger sperrig daher, da die Songs letztlich doch thematisch ineinandergreifen, ohne jedoch ein sehr konkretes Konzept zu vertreten oder Vielseitigkeit vermissen lassen.
    Wo die thematische Ausgewogenheit geboten ist, kann allerdings eben gerade der Sound manchem Hörer stellenweise nicht abwechlungsreich genug erscheinen. Es handelt sich um sehr textlastige Rap-Musik, eine solche, die aufmerksames Zuhören verlangt oder, falls dieses ausbleibt, eben auch nicht immer hängen bleibt. Ein wildes Kopfnicken vermag sich deshalb eher selten einzustellen.


    Fazit:
    Lemur versteht es, die Reime sauber auf den Takt zu setzen und befindet sich durchweg auf einem technisch sehr hohen Niveau. Während er seine gesellschaftskritische Note beibehält, lässt uns der rappende Affe an der emotionalen Kurve seines Alltags teilhaben. "Die Rache der Tiere" ist am Ende das Zurückschlagen eines rappenden Affen gegen die Menschenwelt mit ihren korrupten Politikern, nervigen Internetphänomenen und elendigen Montagen. Lemur klingt auf manchen Tracks wütender, als man es von ihm gewohnt gewesen ist, aber zugleich auch direkter, gradliniger und damit auch leichter zugänglich. Gegenüber dem Vorgängeralbum "Geräusche" fallen vor allem auch emotional positivere Töne auf.
    Hier erfindet sich kein Künstler neu, aber entwickelt seine Stärken weiter und liefert ein Album, das textlich und atmosphärisch durchaus gelungen ist, bei dem jedoch einige Songs leistungsmäßig etwas abfallen und das jedoch gerade wegen der Fokussierung auf den Text gegenüber der Musikalität zur Kurzlebigkeit neigt. Das wäre allerdings auch wiederum nur halb so schlimm, wenn wir schon bald Neues vom Feuchtnasenaffen und seinem animalischen HipHop-Kosmos auf die Ohren bekämen.



    Maximilian Lippert


    [redbew]2216[/redbew]


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    Ich denke da an ganz alte Koljah-Songs, wo er expliziten und - so könnte man sagen - stereotypischen linken Politrap gemacht hat, woraufhin die Gang aber sich irgendwann dagegen entschieden hat, poltischen Rap zu machen (Querverweis: Koljah - Politischer Rap). Das fehlt mir etwas bei diesem Zurückgreifen in die Bandhistorie, da hier auch gewisse Bezugsfolien, die bei einer solchen Herangehensweise der Betrachtung nutzbar gewesen wären, vorhanden sind.


    01. Bengalo
    02. Motto Falling Down
    (feat. Refpolk)
    03. Heldentaten
    04. Hi
    05. Bleckkarton
    06. Zona Rosa
    07. 9000 KM
    (feat. Marie Curry)
    08. Morla trägt Gold
    09. Bruchpilot
    10. Flaschenpost
    11. Fußgängerzone


    Für Pyro One steht eines fest: Musikmagazine, die nicht über ihn berichten, sind nicht seriös und scheiße. Deshalb wollen wir heute einmal die Unseriosität über Bord werfen und versuchen, ernst zu nehmende Kritik zu betreiben, wozu wir uns das neue Release des Zeckenrappers vornehmen. "Dazwischen" umfasst elf Anspielstationen und ist Pyros mittlerweile viertes Studioalbum und die erste Platte, die über sein neues Label Birds Avenue Music erscheint. Ob sich damit musikalisch oder inhaltlich beim Berliner etwas geändert hat oder ob sich bestehende Entwicklungen fortsetzen, soll uns ein Höreindruck der Platte mitteilen.


    Der Einstieg in die Platte, "Bengalo" beginnt aggressiv, fast schon düster, und referiert gewissermaßen auf Pyros musikalisch-inhaltliches Grundprogramm. Er kann nicht still sein, ist unruhig, hoffnungsvoll, ist aufbäumend, stets auf der Suche und mag das Bunte, das Aufregende. Der hektische, kryptisch-elektronische Beat baut langsam Atmosphäre sowie Spannung auf die folgenden Tracks auf, denn "es ist nur einen Funken weit bis zur Zündschnur" des musikalischen bengalischen Feuers.
    Das Soundbild der restlichen Platte unterscheidet sich im Folgenden jedoch vom ersten Track. Drums sorgen einerseits für organischen Klang und Wärme, anderseits aber auch für Funk und BoomBap. Auf "Hi" stellt sich der Musiker, begleitet von sanften Gitarrenriffs, uns Hörern vor, thematisiert dabei auch Vorurteile und Fragen, die gegenüber seiner Person aufkommen können. Dabei verweigert er vehement jedwede Zuordnung zu konstruierten Schubladen und fordert schließlich alle Hörer auf: "Hi […], lass mal hier stören." "Morla trägt Gold" hingegen ist ein unbeschwerter Representer, Rap über Rap, über sich selbst und eine Forderung nach thematisch schwergewichtiger, tiefgründiger HipHop-Musik.
    Bei "Motto Falling Down" bekommt Pyro One in der Hook Verstärkung durch Refpolk, seinem Kollabopartner der gemeinsamen EP "Aufstand der Rucksäcke". Auf einem technisch hohen Level werden zusammen lauter Ansagen gekickt. Doch auch eine andere TickTickBoom-Kollegin ist mit von der Partie. Pyro und Marie Curry nehmen uns mit auf eine "9000 KM" lange Reise. Letztere kontrastiert den Ostberliner MC stimmlich einerseits, fügt sich aber genauso gut in das durchgängig musikalische Klangbild der Platte ein und passt in ihrem gesamten Auftritt perfekt zur Symbiose aus Fernweh- und Wandermotivik.


    9000 Kilometer und ich finde mich/
    Pause im Kopf, Pelikan im Wind/
    Berausche mich an Stille und Nichts/
    Bauer schlägt König und Land in Sicht/

    (Pyro One auf "9000 KM")


    Doch es geht auch politischer, so wie wir es von Pyro gewohnt sind. Zum einen stellt dieser die auf einem minimalistischen Instrumental traurige Diagnose der "Heldentaten" im Deutschland dieser Tage, ausgeführt von Attentätern oder Schreibtischtätern, die gleichsam Hass verbreiten und gegen Ausländer hetzen, oder aber begünstigt durch bürokratisch-politische Strukturen, die eben doch nicht die bestehenden Probleme angehen, welche in Ausländerfeindlichkeit münden beziehungsweise aus diesen resultieren. Oder aber er betrachtet in seinem "Blechkarton" unsere Gesellschaft aus der Vogelperspektive und wundert sich über alle diese letztendlich irrationalen Denk- und Verhaltensmuster, die den status quo prägen. Pyro One hat kein Verständnis für Nationalstolz, Religion, Engstirnigkeit, beklemmenden Ordnungs- und Normalisierungsdruck, hat seine Probleme mit determinierenden Geschlechterrollen, der Werbe- und den Ausläufern der postmodernen Kulturindustrie. Darauf reagiert er mit Abneigung, der eigenen Exklusion und Rückzug, während sich der musikalische Background, welcher anfangs noch an Fahrstuhlmusik erinnert und so den Text in den Vordergrund gestellt hat, langsam zu einem futuristisch anmutenden Klangbild aufbaut, der den Gegenentwurf zur starren, kurzsichtigen Gesellschaft bildet und Pyros Forderung nach "ernstgemeinte[m] Andersdenken" und der Befreiung aus jenen Einschränkungen untermalt.
    Auch "Bruchpilot" thematisiert Anpassungsdruck und Zwänge. Für unseren "Piloten ohne Kompass" gibt es mehr als nur Work Life und monetaristisches Denken. Er will sich nicht anpassen, will ausprobieren, auf die Schnauze fliegen, wieder aufstehen und daraus lernen. Was stets bleibt, sind offene Fragen sowie die Angst: "erst tobst du rum und dann wirst du brav".


    Die Konzepte vermengend denkend, deckeln nur ihren Hang zum Bremsen/
    Enden in den ärgsten Zwängen, Lippen wollen sehnlichst schmecken/
    Ihre Hände tasten irgendwo in engen Gängen/
    Irgendwo hängen sie und denken, Engel würden lenken/

    (Pyro One auf "Blechkarton")


    Für die gewisse Melancholie sorgen nun die Tracks "Flaschenpost", auf welchem Pyro zu ruhigem Beat über Hoffnungslosigkeit, Antriebslosigkeit und Oberflächlichkeit sinniert, sowie "Zona Rosa", eigentlich das Ausgeh- und Vergnügungsviertel von Mexiko-Stadt, hier der nächtliche Exzess in urbanen Gefilden generell. "Die Stadt verschluckt dich", doch nach dem zeitlich begrenzten Rausch, dieser Periode des Vergessens, "spuck[s]t [sie] dich morgens aus". Der ebenfalls ruhige Synthie-Beat verkehrt sich am Ende mit wilden Scratches ins Psychodelische.
    Das Klangbild auf "Dazwischen" ist also vielfältig, so hat Pyro One schließlich noch nie Berührungsängste mit anderen Genres gezeigt. Dass er diesmal viel und eng mit unterschiedlichen Produzenten, darunter jedoch vor allem Majus Beats, zusammengearbeitet hat, macht sich bemerkbar. Im Vergleich zu älteren Releases sind die die elektronischen Sounds jedoch eher organischen Produktionen gewichen. Der Sound wirkt gesetzter und reifer als auf früheren Platten. Die lyrische Ausgestaltung der Platte reiht sich nahtlos in die gewohnte Entwicklung Pyros ein. Dieser drückt sich oft gewunden auf, wählt eine metaphorische Ausdrucksweise und fügt die Bilder zu textlichen Mosaiken zusammen. Die Lyrics sollen nicht immer beim ersten Hören verständlich, nicht zum Nebenbeihören geeignet sein und Atmosphäre kreieren.
    Zum Ende entlässt uns "Fußgängerzone", hält uns noch einmal den grundsätzlichen Standpunkt des Künstlers klar vor Augen und greift dafür musikalisch auf das Repertoire des Intros zu. Angestachelt von einem penetranten, synthielastigen Beat nimmt Pyro deutsch-bürgerliche Borniertheit auf die Schippe und rappt gegen jede Form von Patriotismus.


    Gute Rapper sind niemals Patrioten/
    Patrioten sind niemals gute Rapper/
    Sie klatschen schief während der Strophen/
    Rotz auf sie in Fußgängerzonen/

    (Pyro One auf "Fußgängerzone")


    Fazit:
    Pyro gibt sich auf "Dazwischen", wie man ihn kennt. Der unbedingte Idealismus ist ungebrochen, die Liebe zum Detail in seinen Songs und seine pittoreske Sprache nach wie vor bestimmendes Element seiner Lieder. Thematisch bleibt er vielseitig, geht es ihm um konsequentes Andersdenken und Freisein. Das Klangbild kehrt den plastischen, oftmals aufbrausenden Sounds früherer Releases jedoch den Rücken und fällt eher klassisch aus und begnügt sich oft mit weniger Effekten, womit dem Textlichen mehr Aufmerksamkeit zugeteilt wird. Das Gesamtprodukt wirkt so reifer, ohne an der typischen Spritzigkeit verloren zu haben. Auf jeden Fall steht diese Entwicklung Pyro One gut zu Gesicht und lässt Lust auf neue Werke des MCs aufkommen



    Maximilian Lippert


    [redbew]2140[/redbew]


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    01. Paff Paff Pass
    02. Shake that
    feat. Brandon Beal
    03. Lookalikes
    04. Der Junge von damals
    05. Herr Reichert
    06. Lederjacke
    07. Das Öl wurde zu Blut
    feat. Michelle Mendes
    08. Believe feat. Faydee
    09. Baller feat. Manuellsen
    10. Beverly Hills feat. Michelle Mendes
    11. Irgendwann feat. Michelle Mendes
    12. Mile High Club
    13. Unsterblich
    feat. Philippe Heithier
    14. GTA
    15. Eingetauscht
    feat. Michelle Mendes
    16. One Day (feat. Faydee)
    17. Dagobert Duck
    18. Denkmal
    feat. Michelle Mendes


    Der Sommer neigt sich langsam dem Ende, die meisten Côte-d’Azur-Partys sind ausgefeiert und Belvedere-Flaschen geleert. Zeit für Kay One, aus dem Champagnerkoma aufzuwachen und ein neues Album zu releasen. Das letzte Werk "Jung genug um drauf zu scheißen" sollte weg vom Mainstream und poppigem Sound hin zu harten Flows führen, doch konnte dies nicht wirklich einhalten. Und auch noch 2016 verbinden die meisten Rapfans Kay eher mit mäßig erfolgreichen Casting-Shows im Privatfernsehen, medial ausgetragenen Rosenschlachten mit alten Freunden oder gesperrten Disstracks. Unter "Der Junge von damals" ließe sich nun also verstehen, dass vom Bodensee stammende Rapper wirklich einen erneuten Anlauf starten möchte, um uns wieder frech-witzigen Battle-Rap mit komplexen Flowvariationen zu servieren. Doch hören wir uns lieber an, wie viel "Junge von damals" Kay One heute noch zu sein vermag.

    Zunächst ist doch alles wie gewohnt. Im Intro "Paff Paff Pass", in dem der Titel und ein Teil der Hook sich auf den jungen Kay zu Schulzeiten beziehen, geht es dann doch hauptsächlich nur um Klamotten, Geld, alkoholische Getränks, Geld, Frauen und Geld. Es wird "krass Cash" gemacht und danach "wie ein Reicher" gefeiert. Auch "Lederjacke", wo Kay One mit seinem Benz in Richtung Solarium braust oder sich mit Models trifft, schlägt in dieselbe Kerbe. Die meiste Zeit prahlt er nur so herum, vergleicht sich mit "Dagobert Duck", wobei keine Designermarke, kein Statussymbol ungenannt bleiben darf. Ein bisschen abwechslungsreicher gelingt ihm das auf "Herr Reichert", einer musikalischen Retourkutsche an den wohlhabenden Vater und einer Ex-Freundin aus Zeiten, als Kay noch nicht exorbitant verdiente und als Rapper erfolgreich, sondern ein mittelloser Junge vom Dorf war – alles nach dem Motto: "Wie du mir, so ich dir."
    Wo das Album punkten kann, sind die Songs, die mit bass- und synthielastigen Beats überzeugen können. Dies ist, was Kay One schon früh als eines seiner Markenzeichen etablierte und was ihm liegt: clubtaugliche Banger mit prolliger Attitüde und bodenloser Arroganz schreiben. "Lookalikes" und "Miles High Club" drehen sich wieder rund um Partys, Luxus und "Bitches", die Kay allesamt zu Füßen liegen. Kays Eingeständnis, er wisse "selber nicht, was die erste Strophe mit der Hook zu tun hat", kann man hier – immerhin ist es wahrscheinlich nicht einfach, sich gute Songkonzepte auszudenken, wenn man zeitgleich in einer Flugzeugkabine in über einer nautischen Meile über der Erde fliegend Geschlechtsverkehr genießt – noch einmal durchgehen lassen. Das gilt leider nicht uneingeschränkt für den Rest der Platte. "Shake that" sollte wohl auch etwas tanzbarer angelegt sein, doch kommt der Ami-Flavour mitsamt RnB-Hook von "Brandon Beal" etwas gezwungen und der Zeit hinterher rüber.

    Reich und schön, Digga, ich bleib' ein Prototyp für diesen Lifestyle/
    Jette nach Bangkok ins beste Hotel und den Nutten geb' ich im Jacuzzi ein' Highfive/
    Du willst dabei sein? Kein Problem! Jede der Bitches ist eine 10/
    In meinem Auto sitzt mein Emblem, so viel' Diamanten, die Zeit bleibt stehen/
    (Kay One auf "Miles High Club")

    Mama, du musst dir nie wieder Sorgen machen/
    Schwarze Regenjacke an mit einem Porschewappen/
    Kann es nicht in Worte fassen, Gott hat mich gesegnet/
    Ohne mein Talent säß' ich wie ein Opfer heut im REWE/
    (Kay One auf "Paff Paff Pass")

    Auch ansonsten scheint die Feature-Wahl nicht so ganz gelungen zu sein. Allein Michelle Mendes, nach Philippe Heithier und Emory nun Hook-Sängerin No. 1, trällert gleich fünfmal eine solche ein. Bevorzugt handelt es sich dabei um die "deepen Hits" der Platte, die bei Kay-One-Alben niemals unterrepräsentiert sein dürfen und zumeist prototypisch mit melancholischem Piano eingeläutet werden. Was bis zu einem gewissen Grade an unter dem Label "Abwechslungsreichtum" durchgeht und auch bei Kay schon mal besser funktioniert hat, nimmt hier teilweise schizophrene Züge an. Natürlich bringt ein Leben mit vielen Affären gewisse Sehnsüchte nach verflossenen Beziehungen mit sich, die dann sporadisch durchblitzen können ("Irgendwann", "Eingetauscht") und freilich kann es auch vorkommen, dass man bei einem Leben voller Reichtum schließlich ab und an doch die alten Tage vermisst, an denen man noch für einen Nike-Pulli sparen muss, und "gern die Zeit zurückdrehen" ("Der Junge von damals") würde. Doch dass nach fünf Tracks voller materialistischer und empathieloser Phrasendrescherei auf "Das Öl wurde zu Blut" Machtgier, die für Kriege und Krisen auf der Welt verantwortlich gemacht werden, soziale Ungleichheit und Ignoranz angeprangert wird, wirkt einfach zu widersprüchlich, um nicht zu sagen heuchlerisch. Die Moralkeule verfehlt ihr Ziel und könnte dabei lieber dem Schwinger selbst auf den Fuß fallen. In dem Song wird so ziemlich jeder Krisenherd und alles Verderbliche abgeackert, sodass die Lines am Ende doch etwas zusammengewürfelt wirken. Denn es muss ja schließlich Platz geschaffen werden, um sich wieder Themen wie "Beverly Hills" zuwenden zu können, wo Michelle zu einem poppigen Instrumental die nächste Hook liefern darf.

    Abgelenkt durch die Werbespots, Instagram, Snapchat/
    Gehirnwäsche durch die Medien, das Internet lässt/
    Uns keine Zeit zum Schlafen, wir sind nur beschäftigt mit dem Müll/
    Während die Mächtigen nur Waffen bau'n und Frau'n und Kinder kill'n/
    (Kay One auf "Das Öl wurde zu Blut")

    Ein Highlight der Platte ist "Baller" mit Manuellsen. Dieser kontrastiert Kay hinsichtlich Flow und Stimmfarbe, sodass beide zusammen ein gelungenes Duo auf einem Beat, der an BMW-Zeiten erinnert, bilden. Kay spuckt zu einem progressiven Instrumental rotzige Punchlines ins Mic und bekommt mal wieder das Gefühl, stilechten, schnörkellosen Rap zu hören. Dass Kay Potential hat, zeigt er nicht nur in den Passagen, wo seine technischen Skills voll zur Entfaltung kommen können. Auch die poppige Schiene kann der gebürtige Friedrichshafener fahren und kreiert auf "Believe" zusammen mit gelungenen Gesangparts von Faydee und sauber ausproduziertem Beat ein Justin-Bieber-ähnliches Soundbild.
    Doch zu oft kommen einfach wenig durchdachte Lines, kitschige, uninnovative, platte oder viel zu protzige Zeilen vor, die dafür Humor oder besonderes Charisma vermissen lassen. Schließlich macht sich auch nicht beliebter, wer REWE-Kassierer als "Opfer" bezeichnet.

    Fazit:
    "Der Junge von damals" ist ein Kay-One-Album, wie man es gewohnt ist. Neben Party-Tracks, welche wie immer eine tragende Rolle spielen, kommt der obligatorische Kopf-Hoch-Song, Songs an die Ex, an den verstorbenen Freund – und das alles nicht wirklich in neuen Gewändern. Für sich genommen können sogar viele der Songs überzeugen, nicht zuletzt, weil Kay an vielen Stellen zeigt, dass er raptechnisch auf allerhöchstem Niveau mitspielen kann. Doch dennoch bleibt da dieses Gefühl, dass auch mehr drin gewesen wäre: ein bisschen mehr Innovation, humorvolle Battle-Elemente oder Storytelling, dafür weniger Kitsch, undurchdachtes Aufzählen von Kleidermarken und von monetärem Denken durchtränktes Geprotze. Vielleicht müssen es beim nächsten Album auch nicht wieder achtzehn Anspielstationen sein und Kay One kehrt etwas mehr den Jungen von damals raus. Denn der wusste, wie man neue innovative Bars ins Rapspiel einbringt.



    Maximilian Lippert



    [redbew]2118[/redbew]


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    01. Einz, Einz, Zwei
    02. Die Nacht

    03. Das schwarze Schaf
    04. Ausgebombte Herzen
    05. Insel im Paradies
    06. Irgendwann
    07. Perfekte Imperfektion
    08. Der falsche Song
    09. Rauchhaussong
    10. Morgenland feat. Dag (SDP)
    11. Gangster vom Asylheim
    12. Pogo
    13. Kopf der Gertraud Bräuer
    feat. Shocky & Der Hofkomponistin


    "In diesen Zeiten kann man einfach keine belanglose Musik machen!" So wird Swiss im Pressetext zu seinem neuen Album zitiert. Weiterhin wird postuliert, "dass sich Politik und Musik nicht trennen lassen". Das Programm, das sich Swiss & Die Andern seit 2014, als sie in einem Musikvideo eine Deutschlandflagge abbrannten und daraufhin wegen Volksverhetzung angeklagt wurden, auf die Fahnen schreiben, soll also noch einmal intensiviert werden und lautet: Politisierung. Inhaltlich soll es demnach auf dem zweiten Album der Hamburger Formation konsequenter in Richtung punkiges Rebellentum gehen. Es bleibt abzuwarten, ob die musikalische Gestaltung sich hier typischerweise anpasst oder ob Swiss seinen Wurzeln insofern verhaftet bleibt, dass er weiter an seinem ganz eigenen Stil feilt, der Punk- und HipHop-Elemente vielseitig miteinander verbindet.


    Mit "Einz, Einz, Zwei" ist auch der Einstieg in die Platte ein wilder, eine Warnung an alle, die leichte Kost erwartet haben. Denn wie bereits angekündigt: "Der Scheiß ist politisch!" Der Rapper aus dem Schanzenviertel fordert "Paläste, die brennen" und singt munter gegen das unter dem Deckmantel der Bürgerlichkeit versteckte nationalistische Potential unserer Gesellschaft, gegen etablierte Medien und Homophobie an. Auch die verstärkte Präsenz von Gitarren, wie beispielsweise beim Solo, deuten einen punkigeren Stil als bisher an.
    Auch das Ton-Steine-Scherben-Cover "Rauchhaussong", welches vom besetzten Georg-von-Rauch-Haus in Berlin-Kreuzberg handelt und "Gangster vom Asylheim" sind ernste und zum Nachdenken anregende Songs. Letzterer zeichnet sich nicht nur durch seine Aktualität, sondern vor allem durch seine künstlerische Gestaltung aus. Während Swiss das deutschnationalistische Prekariat mit seiner Angst vor dem Flüchtlingszustrom karikiert, ziehen sein Spiel mit der Stimmlage sowie kreischende Gitarrensounds die Argumente jener Bevölkerungsgruppe ins Lächerliche. Ein humoristischer Seitenhieb gegen die BILD und RTL darf am Ende schließlich auch nicht fehlen.
    Ein dominantes Motiv der Scheibe ist die ausgerufene und oft besungene "Antikultur", die Swiss & Die Andern musikalisch verkörpern wollen. Passenderweise ist auch "Das schwarze Schaf" gegen den "deutschen Schäferhund" und die Ausbeutung durch den Schäfer, der die Wolle einheimst und veräußert. Die fröhlich-ausgelassen vorgetragene Hook täuscht aber nicht über die Kritik an der Politikverdrossenheit der anderen, der weißen und somit normalen Schafe hinweg.


    Denn die machen mir Angst, o ja, die klauen/
    Unsere nicht vorhandenen Jobs und unsere Frauen/
    Diese Muslimisten, sie wollen schmarotzen/
    Die wollen an unser Hartz IV, ich sag's dir, ich könnt' kotzen/
    Und wenn die doch so schlau sind, wieso tun die kein deutsch könn'/
    Und die ham alle Handys und bestimmt auch noch die neuesten/

    (Swiss auf "Gangster vom Asylheim")


    Obwohl im Vergleich zum Vorläufer Große Freiheit die persönlichen Songs den politischen insgesamt etwas weichen mussten, finden sich auch auf "Missglückte Welt" gelungene autobiographische und Liebeslieder wieder. Die rockig daher kommende Anspielstation "Irgendwann" handelt von Selbstzweifel als Teil der eigenen Persönlichkeit und der Sehnsucht nach Ausgeglichenheit und der Liebe zu sich selbst. Die ständigen Wiederholungen und musikalischen Tempowechsel sorgen hier für die nötige Dramatik. "Perfekte Imperfektion" hingegen ist die wohl ruhigste und gefühlvollste Nummer der Platte und imponiert durch einen sehr melodischen und emotionalen Gesang, gerichtet an ein lyrisches Du, in dem Swiss das Schöne im Hässlichen, das Vollkommene im Gebrochenen, den Sieg in der Niederlage findet. Der Sieg ist letztlich im Zusammenhalt gegen den Rest der Welt begründet. Selbige Thematik behandelt auch das ähnlich klingende "Ausgebombte Herzen", auf dem mit kratziger, hoher Stimme, die manchmal gar zu versagen droht, die Bonny-und-Clyde-Thematik aufgegriffen wird. Dabei läuft Swiss allerdings Gefahr, stellenweise nicht in Kitsch abzudriften.
    Eine weitere Stärker des Hamburger Texters ist unbestreitbar sein Humor, den er auf "Insel im Paradies" unter Beweis stellt. Aus der Sicht eines deutschen Pauschaltouristen, der weiße Tennissocken in Sandalen trägt und Liegen am Pool reserviert, wird der Kontrast zwischen dem ausgelassenem Sommerurlaub, in dem man sich ruhig auch mal gehen lässt, und dem tristen Arbeitsalltag, in dem man buckelt und gehorchen muss, ironisch dargestellt. Passenderweise erinnert die fröhliche Melodie der Hook in ironischer Manier auch ein klein wenig an einen typischen Ballermann-Schlager.


    Bevor du kamst, war ich allein, verletzt und auf Tabletten/
    Du holtest mich zurück auf diese Welt, das werd' ich nie vergessen/
    Wir sind Verlierer, weil's für mehr vielleicht nicht reicht/
    Doch auch in der Niederlage schlagen uns're Herzen gleich/

    (Swiss auf "Perfekte Imperfektion")


    Als Featuregäste auf "Missglückte Welt" wartet einerseits Dag vom Berliner-Duo SDP auf. Mit ihm gemeinsam lässt sich Swiss über die Ablenkungen durch die alltäglichen Banalitäten in der Konsum- sowie über die kapitalistische Neidgesellschaft im Allgemeinen aus. Als Gegenmodell fungiert die utopische Vision vom "Morgenland", welche jedoch noch in weiter Ferne zu liegen scheint – nicht zuletzt deswegen, weil dort St. Pauli jedes Jahr die Champions League gewinnt. Andererseits sind auch Labelkollege Shocky sowie Der Hofkomponistin auf dem letzten Song "Kopf der Gertrud Bräuer", welcher aus dem Theaterstück Honka stammt, das sich mit den Verbrechen des gleichnamigen Hamburger Serienmörders beschäftigt und sich dabei in vielerlei Hinsicht vom Rest der Scheibe abhebt.
    Ob Swiss & Die Andern nun zum scheppernden "Pogo" laden oder sanftere Töne anstimmen, in jeden Fall ist die Symbiose aus Deutschrap und Punkrock ein Stück weit mehr zusammengewachsen. Die durchdachten Arrangements sind abwechslungsreich gestaltet, überzeugen mit Vor-, Zwischen- und Nachspielen, Soli sowie stetigen Tempowechseln, die immer wieder Spannung in den Songs auf- und abbauen. Dennoch wirkt es an einigen seltenen Stellen immer noch ein wenig einfallslos, wenn sich lediglich Rap mit einfacher Schlagzeugbegleitung paart. Schließlich kann man an der Arbeit von Produzent Sleepwalker jedoch in keinem Fall etwas aussetzen.


    Wann hast du genug von Plastik und PVC?/
    Wann trinkst du deinen letzten Kapselkaffee?/
    Wann hast du genug gewichst vorm Computer/
    Und zerschlägst deinen Router?/
    […]
    Wann hast du genug Fotos und Likes?/
    Greif dein Handy, reiß dein Fenster auf und dann schmeiß!/

    (Dag (SDP) auf "Morgenland")


    Fazit:
    Die Missglückte Welt erhält sich ihre Attribuierung anscheinend nur durch die Normen setzende Fremdbewertung der gesellschaftlichen Mitte, die nach der Meinung der Hamburger Rap-Punk-Combo Swiss & Die Andern allerdings in der eigentlich missglückten Welt leben, diese sogar erschaffen haben und aufrecht erhalten. Dagegen, gegen "das Reich der Perversion", kämpfen die Hanseaten mit 13 rotzigen Songs an, die sich ganz am Puls der Zeit befinden und dabei klar Stellung beziehen. Mit der Politik der Band wird sich sicherlich nicht jeder identifizieren können, doch es lässt sich nicht leugnen, dass die musikalischen Angriffe gegen bürgerliche Borniertheit und stumpfe Deutschtümelei abwechslungsreich und durchdacht umgesetzt worden sind. Die Stärken offenbaren sich in den anspruchsvollen Textpassagen, die den simpel pöbelnden durchweg den Rang ablaufen können, der starken Präsenz des Sängers und den Punk-Elementen, die auch auf kommenden Releases gerne weiter ausgebaut werden dürfen.



    Maximilian Lippert


    [redbew]2094[/redbew]


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    01. Light Tunnels feat. Mike Slap
    02. Downtown feat. Eric Nally, Melle Mel, Kool Moe Dee & Grandmaster Caz
    03. Brad Pitt's Cousin feat. Xperience
    04. Buckshot feat. DJ Premier & KRS-One
    05. Growing up feat. Ed Sheeran
    06. Kevin feat. Leon Bridges
    07. St. Ides
    08. Need to know feat. Chance the Rapper
    09. Dance off feat. Idris Elba & Anderson .Paak
    10. Let's eat feat. Xperience
    11. Bolo Tie feat. YG
    12. The Train feat. Carla Morrison
    13. White Privilege II feat. Jamila Woods


    Macklemore & Ryan Lewis konnten bereits mit ihrem Debütalbum als Duo, "The Heist", weltweit sowohl die Charts und Dance Floors von Großraumdiskotheken als auch die Playlists eingefleischter HipHop-Heads erobern. Die von Erfolg gekrönte Platte wurde schließlich 2014 mit dem Grammy für das Best Rap Album ausgezeichnet. Schließlich begab sich das Gespann, das für elektrisierende Live-Shows, innovative, extravagante Videos und Benn Haggertys ausgefeilte Rap-Skills bekannt ist, aufs Neue ins Studio, um an einem Nachfolger zu feilen. Und wie schon beim Vorläufer geben die Musiker, die ihre Platten lieber im Eigenvertrieb an die Hörer bringen, statt mit großen Labels zu kooperieren, neben aller Partyambitionen auch ihren didaktischen Impetus und ihre politischen Statements nicht auf. Doch kann eine solche Symbiose mit ansteigender globaler Beliebtheit im Mainstream auch auf Albumlänge noch authentisch wirken?


    Actually looked at myself, actually got involved?/
    If I'm aware of my privilege and do nothing at all, I don't know/
    HipHop has always been political, yes/
    It's the reason why this music connects/
    So what the fuck has happened to my voice if I stay silent when black people are dying/
    Then I'm trying to be politically correct?/
    […]
    If I'm only in this for my own self-interest, not the culture that gave me a voice to begin with/
    Then this isn't authentic, it is just a gimmick/

    (Macklemore auf "White Privilege II")


    Bereits im Vorfeld sorgte der letzte Song auf "This Unrully Mess I've Made" und Fortsetzung eines Macklemore-Solo-Songs aus dem Jahre 2005 ("White Privilege II") für Aufsehen und rückte im Kontext der Debatte um Polizeigewalt gegenüber afroamerikanischen Bürgern in die mediale Öffentlichkeit. Auf fast neun Minuten Spielzeit inklusive einiger integrierter Interviewpassagen prangern Macklemore und Featuregast Jamila Woods gemeinsam mit vielen anderen Aktivisten rassistische Gewalt in sämtlichen Ausprägungen an. Der Interpret sieht sich und seinen Erfolg am Ende selbst als Ergebnis jener gesellschaftlichen Missstände und stellt zudem offen die Frage, inwieweit er als hellhäutiger Musiker in die HipHop-Kultur eingreifen und diese mitgestalten darf. Leider verursachen diese selbstkritischen Gedanken eher Trennungsmechanismen als auf Vielfalt und Gemeinschaft im HipHop hinzuweisen. Dennoch entstand hier ein gewaltiger Track, den man nicht zuletzt wegen seines Umfangs immer wieder hören und überdenken kann.
    Ebenfalls eher überdurchschnittlich in der Spieldauer und ebenso nachdenklich-kritisch ist der Opener-Song des Albums. "Light Tunnels" erzählt einen Trip zu einer Award-Verleihung, wahrscheinlich jener Grammy-Nacht, in der Mack und Ryan anstatt Kendrick Lamar die Trophäe sowie gleichzeitig viele Zweifel aufgrund des Erfolgs mit nach Hause nahmen. Es geht um die Schattenseiten des Ruhms, Heuchelei und Mechanismen der Musikindustrie. Das Publikum, Goldschmuck tragend und mit riesigem Ego, wird stets nur "they" genannt und lässt Macklemore seine Musikerfreunde, die leider nicht zu derlei Events eingeladen werden, vermissen. Am Ende steht er auf der Bühne und muss "this unruly mess I've made" rechtfertigen. Doch zu diesem mulmigen Gefühl mischt sich zunehmend aufkeimender Narzissmus, ein erneuter Ansatz der Selbstkritik und Selbstreflexion. Dazu baut der von Ryan Lewis kreierte Beat im Hintergrund immer wieder Spannung auf und ab und erzeugt zusammen mit Mike Slaps daherstampfender und konstrastiver Gesangs-Hook einen atmosphärischen Hintergrund zu Mackelmores Gedankengängen.
    Auch "Need to know", auf dem Chance the Rapper einen Part abliefert, prangert gesellschaftliche Umstände an. Viele Menschen führen ein Leben zwischen Leistungsdruck, Konsumzwang, Oberflächlich- und Bedeutungslosigkeit sowie Drogen, die man benötige, denn "the truth would be too much".


    Got a Louis duffel bag, I got my girl a purse/
    I'm tryna find God through a purchase, I'm not tryna go to church/
    Amen, Satan, told me not to serve, I only think about myself, I only think about my work/
    I only think about my come-up, capitalism/

    (Macklemore auf "Need to know")


    Aber das Album ist – wie bereits angedeutet – sowohl thematisch als auch musikalisch wesentlich vielseitiger. Für die Party-Fraktion gibt es wieder mehrere Dance-Nummern: Zum einen sticht "Downtown" als ehrwürdiger Nachfolger des Ohrwurm-Hits "Thrift Shop" hervor und kann mit jeder Menge Groove und funky-fröhlichen Tunes überzeugen. Titel und Gesangspassagen sind dabei eine Hommage an den Hit "Petula Clarks" aus den 60ern. Eric Nally, Sänger der amerikanischen Rockband Foxy Shazam, sowie die Rap-Veteranen Melle Mel, Kool Moe Dee und Grandmaster Caz, welche Haggerty und Lewis hier versammeln konnten, steuern ihre Parts bei und bringen bei Zuhörern die Finger zum Schnippen, die Hüften zum Schwingen und müde Beine zum Tanzen. "Dance off" hingegen ist basslastiger, clubtauglicher und eine musikalische Herausforderung zum Tanzduell an alles und jeden. Idris Elba fordert den Hörer auf: "Get on the floor, do it/ Come on and get down the floor, go!"; wer kann da noch stillstehen? Dennoch könnte der Fokus noch mehr auf dem Instrumental liegen und mit einer Reduzierung des Liedtextumfangs einhergehen.
    Ein humoristischer Höhepunkt ist sicherlich "Brad Pitt's Cousin". Auf einem sehr verspielten und detailliert ausgearbeiteten Beat liefert Mack, der tatsächliche gewisse Ähnlichkeiten mit dem US-Schauspieler aufweisen kann, mit Unterstützung von Xperience einige gute Flows, klopft Sprüche und handlet dabei souverän das anspruchsvolle Instrumental: "I treat the beat just like a pussy/ And I eat it up and beat it up and leave it fucked." Mit selbigem Partner in der Hook ist dann auch "Let's eat" eine gelungene Anspielstation, die mit Augenzwinkern von den guten Vorsätzen zum Erreichen der Sommerfigur, die Qualen von Sport und Diät und schlussendlich über das Nachgeben hinsichtlich der fettig-süßen Versuchung erzählt. Kool-Aid, Käse-Tacos und Kuchen seien eben doch zu köstlich.


    I ate all night, Kool-Aid on ice/
    I woke up and I felt like shit/
    And I said: 'You know what, man fuck it/
    I should probably start on Monday instead'/
    Motherfucker let's eat/

    (Macklemore auf "Let's eat")


    Doch auch die tiefsinnig-melancholischen Songs dürfen auf "This Unruly Mess I've Made" nicht fehlen. Etwas weniger catchy, da ohne offensichtlichen autobiographischen Bezug, aber dennoch nicht weniger mitreißend und emotional fährt "The Train" davon, hinter dessen Glasscheibe Haggerty, den Kopf auf seinem zusammengequetschten Sweatshirt ruhend, nachdenklich und langsam rappend von der Liebsten und seinen Nächsten Abschied nimmt. Das ruhige Piano-Instrumental liefert die perfekte Stimmung für die Trennungs-und-Aufbruch-Thematik, welcher durch die gefühlvolle spanische Hook von Carla Morrison der letzte Feinschliff verliehen wird. Ein genauso ruhiger Beat, welchem allerdings Drums und groovige Gitarrenklänge Leben einhauchen, findet der Hörer auf "St. Ides", das Themen wie Selbstfindung, Freundschaft und Familie sowie Freude an den einfachen Dingen des Lebens behandelt und einfach zum Entspannen einlädt.
    Ein weiteres Mal stellt vor allem Ryan Lewis seine Fertigkeiten auf "Kevin" zur Schau. Zu einem Beat, der ständig seine Bausteine, Tempo und Dynamik, schließlich sein ganzes Wesen verändert, berappt Mack ein weiteres Mal die schlimmen Folgen ungehinderten Drogenkonsums. Seine Stimme wechselt ebenso häufig wie der Beat ihre Stimmung von Wut zu Trauer zu Bedacht. Im Track geht es um den Tod durch Überdosis seines Freundes im Jahre 2010. Der Rapper selbst litt einst an einer Oxycotin-Sucht. Gänsehaut ist garantiert.
    Doch vor allem der seiner neu geborenen Tochter Sloan gewidmete Song "Growing Up", welcher noch zur Schwangerschaftszeit von Macklemores Ehefrau entstanden ist, vermittelt persönliche Gefühle wie kein anderer auf der Platte. Neben den Hoffnungen und Ängsten eines jungen Mannes, der bald Vater werden wird, bietet der Track Ratschläge an das zukünftige Kind und strotzt nur so voller Vorfreude auf das baldige Vaterglück. Die von Ed Sheeran eingesungene Hook komplettiert das ernsthaft-sanfte Stimmungsbild perfekt.


    I'll be patient, one more month/
    You'll wrap your fingers round my thumb/
    Times are changing, I know/
    But who am I if I'm the person you become/
    If I'm still growing up […]/

    (Ed Sheeran auf "Growing Up")


    Fazit:
    Radio- reiht sich neben Club-Song, auf Partystimmung folgt politischer Aufruf und daraufhin eine emotionale Ballade an die Tochter. Man bekommt teilweise den Eindruck, als ob Macklemore & Ryan Lewis einfach kein Themenfeld auslassen wollten, neben Gesangskünstlern unbedingt auch Rap-Legenden wie DJ Premier oder KRS-One auf die Platte bringen mussten, um dennoch genug "HipHop zu sein". Neben Ansätzen zu klassischen Representer-Tracks nimmt man dann aber den eigenen Anspruch, eine große Rolle im Game oder gar im Genre zu spielen, wieder bescheiden zurück. Alles in allem wirkt das Konzept des Albums unsicher.
    Doch ist diese Unsicherheit keinesfalls auf mangelnde Motivation oder Visionen zurückzuführen, sondern lässt vielmehr auf nachdenkliche und sympathische Künstler hinter den Beats und Rhymes schließen. Das Duo aus Seattle scheint sich immer noch in einer Selbstfindungsphase zu befinden, musste auch in den letzten Jahren jede Menge neuen Input erst einmal verarbeiten. Das von Ryan Lewis produzierte musikalische Gerüst wirkt in jedem Fall ausgereifter und vielfältiger als noch auf "The Heist". Wenn er diese Innovativität und Eigenartigkeit beibehält und Macklemore weiterhin seine persönliche Gedanken und Erlebnisse so authentisch und unterhaltsam auf die Beats zu packen vermag und dabei seine kritische, reflektierende Haltung nicht verliert, steht weiteren gelungenen Releases nichts im Wege, egal welche Richtungen inhaltlich und musikalisch in Zukunft eingeschlagen werden.



    Maximilian Lippert


    [redbew]2045[/redbew]


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    01. Gib mir mehr
    02. Die Eins
    03. Ich würde gern raus
    04. Stalker
    05. Wenn keiner dich versteht
    feat. Ozan
    06. Lappen
    07. Passbild
    08. Am Rande von Berlin
    09. Fick Dich
    10. Drachen fliegen
    11. Du
    12. Bitches
    13. 100 Bars
    14. Unmöglich
    15. Es hat alles seinen Sinn
    16. Picknick
    17. Jedes Wort
    18. Nie soweit

    Lumaraa ist back! Vier Jahre nach ihrem letzten Album "Mädchensache" meldet sich die mittlerweile in Leipzig wohnhafte Bayerin mit ihrem Zweitlingswerk "Gib mir mehr" zurück, um dem Female Rap in Deutschland weiterhin lautstark ihre Stimme zu leihen. Ja, Female Rap. Immer wieder kokettierte die Rapperin in der Vergangenheit mit diesem Attribut und versuchte, sich so einen Platz im Deutschrap-Kosmos zu schaffen. Nachdem sich Lu mittlerweile auch die Möglichkeit, ein großes Publikum außerhalb ihrer treuen Fanbase zu erreichen, verschafft hat, bleibt abzuwarten, ob nun versucht wird, möglichst viele dieser verschiedenen Geschmäcker zu bedienen. Wird vielleicht doch wieder die typische Weiblichkeit direkt oder implizit Leitmotiv auf der neuen Platte sein wird oder schlägt sie gar gänzlich neue Wege ein? Finden wir es heraus!


    Der Einstiegs- und gleichzeitig Titeltrack "Gib mir mehr" ist eine poppige Post-Beziehungs-Nummer: Fröhlich, aber ebenso gekonnt, flowt und singt Lumaraa zu einem Bubblegum-Beat und schafft es so, mit ihrer guten Laune und ihrem nach vorne gerichteten Blick anzustecken. Mit "Passbild" und "Fick Dich" gibt es gleich zwei weitere Songs über den Ex-Freund, beide in ruhiger Spielart und in letzterem Fall durchgängig gesungen; in Kombination mit dem wieder recht poppigen Piano-Instrumental kann dabei leicht der Vergleich mit Acts aus den 90ern wie Tic Tac Toe aufkommen. Das trifft allerdings auch auf der Textebene zu, wo Lumaraa immer wieder schön klingende Reime und Formulierungen findet, aber Komplexität und Tiefe vergeblich nach sich suchen lasse. Und manchmal fragt man sich auch, ob Lines wie "Du bist im Studio, doch dir fällt keine History ein/ Das größte, was du bis jetzt hattest, steckte zwischen dein' Bein'" hinsichtlich Message und Reimtechnik unbedingt nötig gewesen sind.
    Weitere Typen, die nicht bei der Rapperin landen können, sind "Stalker" und "Lappen". Besonders neue und innovative Songideen sind das mit großer Wahrscheinlichkeit nicht, doch kann Lu bei der Umsetzung immer wieder mit kreativen Ansätzen punkten und bringt auch durch den Gebrauch multiperspektivischer Darstellung etwas Abwechslung und Witz in ihre Texte. Auch hier wird erneut und gerne provokant die Girly-Rolle angenommen, nicht zuletzt, um breiten Teilen des HipHop-Mainstreams herausfordernd entgegenzutreten, wobei leider auch diskriminierende Geschlechterstereotype reproduziert werden. Noch ärgerlicher jedoch ist das slutshaming auf "Bitches" inklusive sexistischer Vergleiche – ein inhaltlicher Totalabsturz.


    Wer tanzt auf jeder Hochzeit? Ich, ich, ich!/
    Wenn der Pfarrer fragt, dann sag' ich: "Mach es nicht, nicht, nicht!"/
    Mein neuer Status ist 'n Smiley mit 'nem Grinsen/
    Denn ich muss nie wieder mit dir simsen (woah, woah, woah)/

    (Lumaraa auf "Gib mir mehr")


    Auch die weiteren Songkonzepte scheinen allesamt schon öfters gehört zu sein: Kopf-Hoch- und Gute-Laune-Songs, solche über die Liebe zur Musik sowie den harten Karriereweg und das ebenfalls oft besungene Raus-aus-dieser-tristen-Welt-Motiv. Das lindert natürlich nicht im Geringsten die musikalische Umsetzung: Lumaraas Stimme klingt angenehm, sie ist stets on point, variiert auch mal Tempo und Reimschemata. Schließlich vermag sie auch das, was sie berappt, glaubwürdig und interessant herüberzubringen.
    Dennoch gibt es einige inhaltliche Highlights auf "Gib mir mehr". "Wenn keiner dich versteht" kann mit Gitarrensounds im Background und einer dazu passenden Gesangshook vom einzigen Featuregast der Platte Ozan überzeugen. Gerade in Songs wie diesem, in dem Lumaraa ein lyrisches Du anspricht, gelingt es ihr, ihre Stärken im Songwriting auszuspielen. Die sympathische, authentische Rapperin, die die eine oder andere Message für ihre Hörer hat oder Geschichten aus ihrem Leben erzählt, passt auch einfach viel besser zu Lu als ein Cheerleader-Outfit samt pinkem Skateboard wie im Video zum Titeltrack. Zumal sie schließlich auch keine 18 mehr ist. "100 Bars" kann als Nachfolger von den "60 Bars" des letzten Albums gelten und ist ein klassischer Representer, nur eben in Lumaraa-Manier. Neben den typischen Girly-Lines ("L zu dem A, ich bin süßer als ein Pfannkuchen") und -Vergleichen ("Heute laufen sie mir nach wie der Faden beim Stricken"), werden auch ernste Inhalte an- sowie Battle-Ansagen ausgesprochen. Und es sei ihr auch durchaus zugestanden, damit zu prahlen, "besser als die meisten Typen [zu] flow[en]". Zuletzt ist noch die Anspielstation "Drachen fliegen" erwähnenswert. Zum enormen Hitpotential trägt vor allem der Beat bei. Während den Parts baut sich atmosphärisch aus Gitarren-Riffs und dann erklingenden hölzernen Bläser-Sounds ein mitreißendes Brett zum Kopfnicken auf, zu dem Lu mit treibendem Stimmeinsatz eine Hymne über Ausgeglichenheit und Glücklichsein abliefert.


    Und es ist logisch, zu Beginn sind die Gefühle fremd/
    Wenn all die Sterne funkeln nur für dich am Firmament/
    Nach all den Tiefschlägen wieder zu den Spielregeln/
    Alles auf Null, wird schon schiefgehen/

    (Lumaraa auf "Drachen fliegen")


    Fazit:
    Die bekennende Female Rapperin bleibt ihrer Sache also treu. Thematisch gibt es keine großen Neuerungen im Vergleich zur letzten Platte und auch musikalisch bewegt sich Lumaraa nach wie vor ein wenig in Richtung Pop und bedient sich dabei mehr oder weniger intensiv Gesangselementen in ihren Songs. Leider droht sie dabei jedoch, auch dank simpler Hooks, ins Easy Listening sowie an manchen Stellen auch in Kitsch abzurutschen.
    Dabei birgt die Rapperin auf der anderen Seite so viel Potential, welches sie dann auch in super Flows oder unauffälligen, aber sauber abgestimmten Reimen hervorblitzen lässt. Vielleicht sind die 18 Songs auch zu viele, um dem konstruierten Schlagwort Female Rap eine eindeutige Richtung zu geben. Stattdessen hätte man lieber auf die ein oder andere schon zigmal besungene Blaupause verzichten können.
    Letzten Endes merkt man der Musikerin jedoch an, wie viel Spaß sie an ihrem Schaffen hat. Vielleicht wagt sie es auch beim nächsten Album, einen Schritt in eine neue oder einfach ausdifferenzierte Richtung zu gehen.



    Maximilian Lippert


    [redbew]2033[/redbew]


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    01. Intro
    02. Dreh ab
    03. T-Rex
    04. Brenn

    05. RAP feat. Motrip
    06. 187 feat. Gzuz und Bonez MC
    07. Werte feat. Jeyz
    08. Blind feat. Blut &Kasse
    09. Narben & Tränen
    10. Phoenix II
    11. Veritas (Skit)
    12. Nicht wie ihr
    feat. Schatten und Helden
    13. Kaiserrap
    14. Manifest
    15. Weltbild
    16. Who the Bozz?


    Einige Fans hatten schon gar nicht mehr daran geglaubt, AZADs seit einer gefühlten Ewigkeit immer wieder angekündigtes, zwischenzeitlich auch "Nebel" getauftes Album werde eines Tages doch noch einmal in den Plattenläden des Landes zu finden sein. Nach einigen Durchhalteparolen und Entschuldigungen seitens des Künstlers, kurz bevor es zum deutschen Pendant zu Dr. Dres "Detox" zu werden schien, hieß es dann im letzten Jahr schließlich doch, das Album werde definitiv erscheinen. Und nun, fünf Jahre nach seinem letzten Release und mit fünfzehn Jahren Abstand zum nominellen Vorgängerwerk steht AZAD mit "Leben II" wieder mitten im Fokus der Deutschraphörerschaft – wenn auch einigen jüngeren Hörern gar nicht mal mehr so bekannt – und sieht sich einem Sturm gemischter Erwartungen ausgesetzt.
    Kann er auch im Jahre 2016 als Oldie der Szene noch überzeugen? Wird die Platte im Schatten des Klassikerstatus des Erstlingswerkes verkümmern oder hat sich die lange Wartezeit der Fans auf Neues vom Bozz gelohnt?


    Schon das "Intro" ist eine klare Ansage: Vor Selbstüberzeugung nur so strotzend vergleicht es den Entstehungsprozess des Albums mit Geburt und Heranwachsen eines Neugeborenen. Gleichzeitig verdeutlicht diese Analogiebildung aber auch, wie viel "Herz", "Blut", "Schmerz" und "Liebe" der Rapper in diese Platte gesteckt hat und erklärt somit auch die lange Dauer bis zur Fertigstellung.
    Voller Neugier geht es in die ersten Songs auf "Leben II". Hier spielt die "Faust des Nordwestens" ihree erste Trumpfkarte "Härteste Härte" aus und fährt die gnadenlose Battle-Schiene. Auf "Dreh ab" wird zum Rundumschlag ausgeholt. Mit treibenden, druckvollen Stimmeinsatz geht AZAD keine Kompromisse ein und teilt ordentlich aus. "T-Rex" und "Brenn" schlagen in die gleiche Kerbe, wobei Wortwahl und Attitüde den Anschein erwecken, als ob der 42-jährige Frankfurter tatsächlich auf den Großteil vom Rest der Szene, welcher von ihm immer wieder so schön als Picos, Schmock oder Khabas bezeichnet wird, herabschauen kann und es wirklich nicht nötig hat, sich über Chartplatzierungen oder YouTube-Klicks Gedanken zu machen. Keine Phrasen, keine Übertreibungen, dafür ein detailliert ausgefeiltes Soundbild und Atmosphäre, an denen die von DJ Rafik und AZAD selbst gesetzten Cuts keinen geringen Anteil haben. Der Bozz will sich nicht nur durch den reinen Ausspruch vom gemeinen Durchschnittsrapper absetzen, sondern versucht, seinen Worten auch Taten in Form brachialer Produktionen, für die sich m3, X-Plosive, Brisk Fingaz oder Gee Futuristic & Hookbeats verantwortlich zeigen, sowie lyrische Qualität vom Feinsten folgen zu lassen.


    "Der Typ, von dem dein Leben mit 'nem Vers hier zerfickt wird/
    Ist A-Z-A-D – ich werd's dir diktieren/
    Das ist der Typ, aus dessen Scheiße sie entsprungen sind/
    Ist immer noch der Typ, der sie mit Zeilen jetzt umbringt/
    Der Typ zeigt euch, wie ein Großmeister der Kunst klingt/
    Und ihr seid die Typen, die dann leider gebumst sind/
    "
    (AZAD auf "T-Rex")


    Auch die Auswahl der Gastauftritte scheint sehr klug gewählt. MoTrip, einer, der wie kaum jemand anderes das Rappen über Rap versteht, ergänzt AZAD perfekt, wenn dieser auf "RAP" eine Ode an die genannte Musikrichtung liefert, erzählt, wie er ihr begegnete, und dabei seinen US-amerikanischen Jugendidolen Tribut zollt. Man merkt spätestens hier, dass für Bizzo HipHop immer noch bedeutsam ist, nicht nur als Kunst, an der er immer wieder feilen und tüfteln muss, und Ausdrucksform innerer Zustände, sondern als Sinn stiftende Lebenseinstellung und sich ständig ausdifferenzierendes Lebensgefühl. Zusammen mit den beiden Durchstartern des Vorjahres, Gzuz und Bonez MC von der 187 Straßenbande, zeigt AZAD dann auf der Anspielstation "187", dass Straße auch 2016 noch auf innovative und authentische Art und Weise in deutschen Rap stattfinden kann. Zu einem düsterem Beat wird hier am wohl deftigsten auf "Leben II" rumgepöbelt, bevor es die Hörerschaft dann in eine Art zweite Phase der Tracklist führt, auf der der Frankfurter seinen nächsten und wahrscheinlich noch größeren Trumpf aufspielt: "Deepeste Deepness".
    Auf "Werte" und "Blind" gibt es feinsten Conscious Rap auf die Ohren. Unterstützt von Kollege Jeyz sowie Blut & Kasse, die beide jeweils eine gelungene Hook beisteuern, klagt AZAD Kälte, Härte und Empathielosigkeit in der Gesellschaft an. Mit typisch ruhiger, markanter Stimme wird auf sanften Instrumentals auf die prekäre Situation deutscher Renner und Arbeitsloser, auf Armut in Entwicklungsländern oder Krieg in weiteren Teilen der Welt aufmerksam gemacht. Seine "Narben & Tränen" wirken nicht nur deshalb statt pseudo-melancholisch eher grundehrlich, da es auch um aktuelle Katastrophen in seinem kurdischen Herkunftsgebiet geht, sondern weil sich AZAD einfach als mitfühlender, reifer Mensch mit großem Gerechtigkeitssinn zeigt, ohne sich dabei konkreten politischen oder religiösen Lagern zuzuschreiben. Dabei schafft er es, seine Forderungen nicht naiv, vielmehr konkret und mitreißend klingen zu lassen. Den Abschluss dieser Reihe von thematisch ähnlichen, jedoch nicht langweilenden Songs bildet "Weltbild", auf dem das stimmgewaltige Feature Schatten und Helden, ein Duo, das vor allem durch Cover-Versionen von Deutschrap-Songs auf YouTube auf sich aufmerksam gemacht hat, für die einzigen Gesangsmomente auf dem Album sorgt.


    "Egoismus und Missgunst/
    Nur geradeaus ist die Richtung/
    Alles dreht sich nur um Geld im Krieg/
    Es ist 'ne Lügenstaffelei, auf der das Weltbild liegt/
    "
    (AZAD auf "Weltbild")


    Schließlich will uns der Künstler auch noch seine technischen Fertigkeiten aufzeigen und flext auf "Kaiserrap" mit perfektem Flow und Stimmeinsatz über einen schnellen, virtuosen Beat hinweg. Und bevor man aus dem Album entlassen wird, gibt es zum Abscheid auch noch eine ordentliche Portion Humor und Wortwitz auf "Who the Bozz?" serviert. Neben einigen Spits wie "Die Leute fragen sich, ob Toxik Wikinger ist/ Die Leute sagen sich bei mir: 'Wuh, wie King er ist!'/" sorgen auch lustige Vergleiche à la "Der Name steht für Bozz, jeder kennt mich/ Deiner steht für Würstchen, wie 'mein Auto' auf Englisch/" für das ein oder andere Schmunzeln.
    Aufgrund der kontrastierenden Themenblöcke auf dem Album ließe sich eventuell dem Künstler Inkonsequenz vorwerfen oder ein roter Faden vermissen, doch da dieser gerade für dafür steht, dass Musik genau wie die Menschen, die sie produzieren, manchmal mehrere Gesichter haben kann, und dies auch offen thematisiert, verbuchen wir AZADs Facettenreichtum doch einfach positiv auch als ein solches."Leben II" zeigt uns einen Deutschrap-Veteranen, der über die Jahre seine Fertigkeiten in sämtlichen Facetten dieses Musikgenres ausgefeilt hat, ohne sich dabei durch Endlos-Reimketten oder Geprotze über Money und Bitches zu profilieren. Im Gegenteil: auf "Nicht wie ihr" verurteilt AZAD sogar sexistische Raptexte. Mir persönlich würde es noch besser gefallen, wenn er auf dem nächsten Album in fünf weiteren Jahren auch noch weniger hypermaskuline und keine homophoben Textelemente zur Identitätsbildung und Abgrenzung verwendet. Aber das ist Meckern auf hohem, im Kontext Deutschrap eher utopischem Niveau.


    "Ich hab' vor Frauen Respekt und schreib' nicht sexistische Texte/
    Sohn einer Frauenrechtlerin, erzogen mit diesem Denken/
    […]
    Und ich hab' Respekt vor jeder Religion, mir ist egal, wie sie heißt/
    Bin kein Antisemit, ich bin Frieden und mein Name ist frei/
    […]
    Bin nicht so wie ihr, guck, ich trag' Werte in mir/
    Brauch' kein Geld, um mich zu profilieren, denn ich hab' mehr in mei'm Hirn/
    "
    (AZAD auf "Nicht wie ihr")


    Fazit:
    "Leben II" war die lange Wartezeit wert. AZAD erfindet sich nicht neu. Was er auf der Platte auffährt, ist der gewohnte Facettenreichtum, welcher bereits vorherige Releases auszeichnet. Ob brachiale Härte oder Melancholie, alles wirkt echt und authentisch, dabei perfekt ausgearbeitet und -produziert. Die 16 Tracks starke Scheibe überzeugt durch enorme Kompaktheit, wobei je nach Geschmack einzelne Highlights auftauchen können, das Niveau jedoch an keiner Stelle merklich abflacht. Zudem fügen sich die Features sowohl inhaltlich als auch atmosphärisch gelungen in das Gesamtpaket ein. Es gibt auf "Leben II" nichts Überflüssiges oder Überschwinglichkeiten, keinen falschen Pathos oder unreifes Dissen, dafür bekommt man echte Leidenschaft und Herzblut zu hören. Es ist das Album eines erwachsenen Mannes, der es nicht nötig hat, fragwürdige Konsumentenbedürfnisse zu befriedigen. Dieser wollte uns nicht zeigen, dass er der "beste Rapper", sondern lediglich ein "anderer Mensch" als die meisten anderen Protagonisten der deutschen HipHop-Landschaft ist. Letzteres ist ihm gelungen und in den Ohren vieler vielleicht doch auch Ersteres.



    Maximilian Lippert


    [redbew]2009[/redbew]


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    01. ]Mach dich mal locker
    02. Frei
    03. Champ
    04. Art
    feat. Prinz Pi
    05. Ab und zu
    06. Bosslife
    feat. Kollegah & DJ Arow
    07. Ich bin frei
    08. Spiel des Lebens
    feat. Flaze
    09. Fühlt ihr noch was feat. Lucas Broich & Anni
    10. Irgendetwas feat. Flaze
    11. Karma
    12. Schlusswort


    Koree ist zurzeit nicht nur einer der erfolgreichsten deutschen HipHop-Produzenten, Besitzer der Homeboy Studios und Labelbetreiber, sondern mittlerweile auch der Live-Backup von Zuhälterrapper Kollegah und, wie viele vielleicht nicht wissen, eigenständiger MC mit schon jahrelanger Erfahrung. Nachdem er bereits 2007 ein erstes Soloalbum veröffentlicht hat, will er es jetzt nun auch als Rap-Artist richtig wissen und legt nur ein Jahr nach seinem ersten öffentlichkeitswirksamen Album UDED ("Unter Druck entstehen Diamanten") mit der Nachfolgeplatte Frei nach. Dabei soll nicht an den eher schnelleren und teils protzenden Stil des Vorgängers angeknüpft werden, sondern gemäß dem Titel, frei von allen Erwartungen und Klischees ein sehr eigenständiges, unverkrampftes Album entstehen, dessen Tracklist uns bereits zeigt, dass es weniger um die großen Namen der Gastmusiker, dafür mehr um Koree selbst gehen soll.


    Der Düsseldorfer gibt bereits mit dem Einstiegstrack thematische die Richtung des Albums vor. Auf "Mach dich mal locker" nimmt Koree sich selbst und seinen Rap nicht ganz ernst, macht sich aber vor allem auch über dümmliche Straßenrapper, Diskursivierungen stumpfer Gewalt und die in der Szene angeblich obligatorische übertriebene Verkrampftheit lustig. Das Ganze wird von einem simplen Beat mit Piano begleitet. Auch auf dem Titeltrack "Frei" geht es um ausgelassenes Feiern sowie darum, optimistisch den Strapazen des Lebens entgegenzutreten, während "Ab und zu" noch mehr in die Partykerbe schlägt, wobei Drogen und Alkohol eine Abwechslung zum Alltag als Familienvater bieten, die zwar nicht mehr allzu oft vorkommt, aber eben manchmal doch nötig für den gewissen Ausgleich ist. Denn Koree weiß eben genau, "die Zeit verfliegt, wenn man liebt, was man macht".
    Die Instrumentals, bei denen auch Alexis Troy, Kingsize und Loggarizm, den Koree bereits aus der gemeinsamen Zeit bei "Der neue Westen" kennt, mitwirkten, sind zumeist ruhig gehalten und erinnern an ältere Deutschrapzeiten, distanzieren sich dabei mit RnB- und Soul-Anleihen vom aktuellen Zeitgeist und US-amerikanischen Einflüssen. Mag es monoton oder streckenweise auch schlichtweg etwas simpel klingen, so entstand doch definitiv ein homogenes, durchdachtes Klangkonzept. Der Fokus liegt hier auf dem Feeling und den Texten. Auf "Ich bin frei" kreiert Koree mit Bläsersamples eine Blaxploitation-Stimmung und gibt uns dabei den klassischen teacher, der ganz nach dem kant'schen Aufklärungsbegriff dazu aufruft, Schullehrer, Medien und andere meinungsbildende Instanzen zu hinterfragen, dafür lieber ein freies und selbstbestimmtes Leben zu führen. Der nächste nachdenkliche, mehr noch gesellschaftskritische Song der Scheibe ist "Fühlt ihr noch was", auf dem der Gedanke an die Menschheitsfamilie vermisst und über den im Fortschritt begriffenen Empathieverlust sowie allgemeine Herzenskälte geklagt wird. Abgerundet wird der Track von einer melodischen Gesangshook von Lucas Broich und Anni und bildet so ein kleines Highlight der Platte.


    "Wie kann man nur so wenig Mitgefühl empfinden/
    Ich seh' tote Kinderleiber, wie sie vor den Küsten schwimmen/
    Kriegt das irgendwer noch mit oder ist das scheißegal?/
    Oder kriegt alles einen Preis und der wird dann bezahlt?/
    "
    (Koree auf "Fühlt ihr was")


    Typische Representer sind gar nicht auf "Frei" vertreten, dafür einige Thementracks wie "Art", auf dem Koree zusammen mit Prinz Pi eloquent den perfekten Mitmenschen berappt, oder "Bosslife", wo es mit Freund und Musikpartner Kollegah in der Laidback-Haltung eines Platinproduzenten und -rappers um das gemeinsame Tourleben, die Kombination aus Erfolg und Stress, ein "Leben zwischen Luxus und Zugabe" geht. Neben den Cuts von DJ Arow wissen hier auch einige komplexe Reimkombinationen zu überzeugen. Doch das immer wiederkehrende Hauptmotiv in den Songs sind die persönlichen Empfindungen des Künstlers, ob es um tiefsinnige Lebensfragen wie auf "Spiel des Lebens" mit Korees altem Bekannten und Crewpartner Flaze oder mit demselben im Song "Irgendwas" um autobiographische Details aus der Jugendzeit geht. Da die Subthematik aber bewusst in alltäglich anmutende Geschichten und Themen verpackt ist, leidet gerade darunter schließlich auch wiederum der Unterhaltungswert, vor allem auf Dauer. Man fühlt sich zwischendurch wie ein rezeptiver Teilnehmer einer Unterhaltung, die für den Moment anregend, aber dennoch nicht weltbewegend ist und deswegen vielleicht übermorgen wieder vergessen sein kann.
    Am Ende des Albums wird es dann noch einmal sehr ernst, wenn Koree auf "Karma" mit dem HipHop-Markt abrechnet und seine Leidenschaft für die Musik gegen die Plastizität vieler Musikproduktionen und rein monetäre Interessen der kalkulierenden Industrie setzt. Ebenso wettert er gegen den negativen Einfluss prekärer Raptexte für die Generation der heranwachsenden Hörer und spricht sich für ein Verantwortungsbewusstsein der Künstler aus. Das "Schlusswort" hebt dann noch einmal die Bodenständigkeit des Düsseldorfers hervor und lässt das letzte Jahr, die zunehmende Zusammenarbeit mit Kollegah und die neu angekurbelte eigene Rapkarriere Revue passieren.


    "Ey, ich fuck mich nicht ab, wenn ich mal 'ne Pechsträhne hab'/
    Ich hab' einfach Bock auf das, was ich aus diesem Leben mach'/
    Ich geh' nach draußen, bring' die Scheiße an's Laufen/
    Und alles, was ich brauch', ist mein Glaube und mein Traum/
    "
    (Koree auf "Frei")


    Fazit:
    Koree will sich auf "Frei" kein einziges Mal mehr verstellen oder in Rollen schlüpfen. Man merkt durchgängig, dass ihm das Album eine Herzensangelegenheit ist. Die ruhigen, teils simplen Beats in Kombination mit raffinierten Texten erinnern oft an deutschen Rap der 90er Jahre und machen die Platte geradezu geeignet für laue Sommerabende, entspanntes Abhängen oder nächtliche Autofahrten. Dem Künstler ist dabei durchaus bewusst, dass dieser Style nicht jedem gefallen wird, eventuell vor allem jüngeres Publikum, dass aufgeblähtere Unterhaltung bevorzugt, nicht auf seine Kosten kommen wird. Auf bestaunungswürdige raptechnische Kunststücke oder um fünf Ecken gedachte Punchlines kann man lange warten. Hier präsentiert sich ein Rapper persönlich und intim. Ob der Hörer mit diesem Charakter auf einer Wellenlänge liegt und die zur Schau gestellte Bodenständigkeit zur langfristig zu begeistern weiß, muss sich dann erst noch zeigen. "Frei" präsentiert sich in jeden Fall seines Namens würdig, in völlig ungezwungen Klangkostüm mit authentischen Lyrics, ganz nach dem Motto: "Ikke is' frei. […] Ikke jibt kein Fick."



    Maximilian Lippert


    [redbew]1992[/redbew]


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    01. Intro
    02. Molotov
    03. Bombe mein Namen
    04. Mr.F
    05. Spring
    feat. Said
    06. Volle Kanne feat. Afrob
    07. Den alten Achti
    08. Kneipentresen
    feat. PTK
    09. 100 Bars
    10. Steuersünder
    11. Randale
    feat. Crackaveli
    12. Schwarzes Buch
    13. 2 Assis trumpfen auf
    feat. Hasuna
    14. Thomas Drach feat. Veli
    15. Selber merken
    16. Wir zwei


    Das ehemalige 187 Straßenbande-Mitglied AchtVier steht bereits ein gutes Jahr nach der Beendigung seiner Albumtrilogie, bestehend aus den Scheiben "Abstand", "Aufstand" und "Wohlstand", mit seinem nunmehr vierten Soloalbum "Molotov" – das zweite ohne Crew im Rücken – in den Startlöchern. Der Hamburger zeigt sich hoch motiviert und nimmt sich vor, mit einer geballten Ladung Sprengstoff, bestehend aus 16 Songs, die Ohren der geneigten HipHop-Hörer zu bombardieren. Große Experimente soll es nicht geben, sondern lediglich das, was er am besten kann: ehrlichen, derben Straßenrap. Fraglich nur, ob es ausreicht, um mit mehr Feuer als je zuvor in der Szene einzuschlagen und solche wie mich, die bis dato noch nie wirklich mit Fizzy in Berührung gekommen sind, zu überzeugen oder ob er nur vereinzelte Treffer bei bereits altem Publikum landen kann.


    Der Einstieg in die Platte geschieht ruhig, doch bilden dabei gerade eben nur die allerersten Sekunden eine Ausnahme auf dem Album, denn AchtVier macht bereits im "Intro" klar, in welche Richtung der Style von "Molotov" gehen soll: OldSchool-Attitüde, Kopfnickerbeats, Straßenthematiken und jede Menge Phrasen, von humoristisch-asozial bis prollig-aggressiv. Dabei geht es auf dem ersten Song um seine Liebe zu Rap, verbunden mit dem Anspruch auf Realness. Es gilt: "HipHop ist mehr als bisschen Tralala", woraufhin der Titelsong dann bereits kurzen Prozess macht. Zu einem kühlen Beat geht der Hamburger zum Angriff über – "anzünden, anvisieren, schmeißen und dann wegrennen" – und rappt gegen jegliche seiner Feindbilder: den Staat, die Polizei, Spießer und Hater, solange, "bis hier alles in die Luft geht".
    Das Album repräsentiert ein homogenes Konzept, wobei auch das Soundbild, für das sich hauptsächlich die Produzenten Jambeatz und Aco Beatz, die bereits früher mit AchtVier zusammengearbeitet haben, verantwortlich zeigen, zwar zwischen düsteren Klängen und progressivem OldSchool-Sound variieren kann, aus diesem gewissen Rahmen, der eben typisch für Straßenrap ist, jedoch nicht herausfällt. Selbst als auf "Mr. F" zunächst ein gefühlvolles Instrumental einsetzt und ein gesprochenes Intro daraufhin einen Lovesong ankündigt, wird diese Stimmung schnell vom eigentlichen Beat abgelöst und es wird doch über den Sexappeal AchtViers, sein Marihuana und den Lifestyle auf der Straße gerappt. Fizzle serviert uns dabei durchgängig solide Flows, rappt stets direkt nach vorne und haut zumeist zwei schnelle Parts auf den deshalb kurzen, aber knackigen Anspielstationen raus. Die längste bilden dabei die "100 Bars", welche ebenfalls gnadenlos durchgezogen werden, wobei jede Line sauber im Takt liegt.
    Inhaltlich dreht sich "Molotov" rund um Straßenthemen wie das Sprayen von Grafittis ("Bombe meinen Namen") oder die Perspektivlosigkeit der Jugend ("Selber merken"), vollgepumpt mit derbem Vokabular, provozierenden Sprüchen und vorgeblicher Credibility.


    "Ihr wollt den alten Achti? Ihr kriegt den alten Achti/
    Ich hab' keine Zeit für Scheiße, kleiner Spasti/
    Ihr wollt harten Rap, macht auf Thug Life/
    Ich mach' 'n Mic-Check, meißel dir ein' Grabstein/
    "
    (AchtVier auf "Den alten Achti")


    Auch die von AchtVier konsultierten Featuregäste passen perfekt zum Konzept des Albums. Auf "Volle Kanne" ist mit Afrob ein verhältnismäßig alter Hase mit von der Partie, welcher dem Song nebenbei seinen ganz persönlichen Stempel aufdrücken und somit für etwas Abwechslung auf der Platte sorgen kann. Tourkollege Said weiß sich ebenfalls mit freshen Lines auf "Spring" gut einzubringen und so schaffen die beiden mit ihrem Track über Frauen, Drinks und Pogen einen richtigen Live-Hit. Zu einem eher ruhigen Instrumental bleibt Fizzy auf "Kneipentresen" zwar bei den gewohnten Themen, doch der Berliner PTK tastet sich im zweiten Part dann immer öfter in politische Gefilde vor, was vor allem durch Bezug zur aktuellen Debatte rund um die Migrationspolitik für einen sonst nicht immer vorhandenen Effekt des Hängenbleibens und nebenbei gar ein kleines Highlight der Platte sorgt. Der Titel "Randale" mit Crackaveli macht schließlich seinem Namen alle Ehre und kann ebenso wie "2 Assis trumpfen auf" mit dem ehemaligen Mitglied der 187 Straßenbande Hasuna durch explosivem Rap auftrumpfen und will alles im Weg Stehende wegbomben. Mal wieder dreht sich hier alles ausschließlich um Drogen, Waffen und Kriminalität.
    Und so passiert es: In der zweiten Hälfte der Platte fühlt man sich dann doch etwas übersättigt von den immer wiederkehrenden Vokabeln, der mangelnden Themenvielfalt sowie der schließlich deutlich überzogenen Straßenschiene und bekommt plötzlich das komische Bedürfnis, einen Sozialarbeiter zu kontaktieren oder mit dem Einschalten des allabendlichen ARD-Seniorenprogramms einen Stimmungsausgleich zu schaffen. Spätestens wenn sich dann AchtVier und der Hamburger Veli mit "Thomas Drach" einen Schwerkriminellen zum Vorbild nehmen, lässt dies gar moralische Zweifel am textlichen Inhalt der Platte aufkommen.
    Und schließlich endet "Molotov" dann mit "Wir zwei" doch noch mit einem Song über die "erste große Liebe", welche sich dann allerdings nach den ersten Lines sehr schnell als Marihuana entpuppt. Mit einer zur Thematik passenden Stimme murmelt AchtVier die Hook geradezu vor sich hin und lässt somit auch hier keinen wirklichen Ausbruch aus dem Gesamtkonzept der Scheibe zu.


    "Wir sind anders als ihr, wir kommen in deine Wohnung nachts/
    Wir nehmen dich mit so wie Thomas Drach/
    Was für Einzelkampf? Du Lutscher hast nichts drauf/
    Hol das Haschisch aus dein'm Haus, ej, der Achti kommt jetzt rauf/
    "
    (Veli und AchtVier auf "Thomas Drach")


    Fazit:
    Wer auf harte Sounds, derbe Texte und Storys von der Straße steht, wird definitiv Gefallen an "Molotov" finden und den Großteil der Songs, welche allesamt einwandfrei auf schön ausproduzierten Beats gerappt wurden, sicherlich mögen. AchtViers Flow lässt keine Zweifel aufkommen und wird dem Albumtitel mit seiner Sprengkraft gerecht. Die sauber ausgewählten Featuregäste sorgen immer wieder für frischen Wind in Sachen Stil und ein kleines bisschen Abwechslung, die leider gerade thematisch auf der Platte nicht zu finden ist. Denn für diejenigen unter uns, die sich mit erpresserischen Entführungen, anderer Art von Kriminalität oder ungezähmter Gewalt nicht so sehr identifizieren können, führt die Thematisierung dieser Dinge früher oder später sicherlich doch zu einer gewissen Übersättigung. Der Anspruch auf Realness und ein eher niedriges Maß an Humor tragen schließlich noch ihren Teil dazu bei.



    Maximilian Lippert


    [redbew]1980[/redbew]


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    01. Moin Moin
    02. Immer noch MC
    feat. Sido & MoTrip
    03. Wayne
    04. Drecksjob
    05. 24/7
    feat. Lenny Morris
    06. Einmal um die Welt feat. Megaloh
    07. Geschenk feat. Flo Mega
    08. Augenzeuge
    09. Himmelspforte
    10. Pechtag Pt. 2
    11. Polaroid
    12. Freundeskreis
    feat. Sebastian Hämer
    13. Gestern Nacht hab ich wohl geträumt feat. MoTrip
    14. Leb' wohl
    15. Nostalgie
    feat. Nyasha Mudo


    Richtig still geworden ist es um den Bremer Rapper JokA, den man nicht zu Unrecht als alten Hasen im Game bezeichnen kann, auch in den letzten Jahren nie so richtig. Immer mal wieder tauchte er als Featuregast bei diversen namhaften Rappern in der Trackliste auf oder stand auf der ein oder anderen deutschen Bühne. Nun, nach vollzogenem Wechsel vom Berliner Label I Luv Money hin zu distri, fünf Jahre nach seinem letzten Release "JokAmusic" und ganze sieben Jahre nach "Gehirnwäsche", steht der MC jedoch auch endlich wieder mit einem neuen, seinem dritten, Soloalbum "Augenzeuge" in den Startlöchern und erfüllt damit nicht wenigen HipHop-Fans einen lange ersehnten Wunsch. Ob der angehende Deutschlehrer sein lyrisches Potential auch auf Albumlänge nicht verloren hat und wie der mittlerweile 30-jährige JokA sich 2015 anhört, gilt es nun zu entdecken.


    "Moin Moin", der Einstieg in die Platte, kommt frech und voller Elan daher. JokA marschiert über einen druckvollen Beat von Hauptproduzent Sinch, auf dem er sich auch jenen Hörern vorstellt, welche bis dahin noch nicht allzu vertraut mit dem Bremer MC gewesen sind, und dazu so enthusiastisch wie selbstbewusst die gesamte HipHop-Szene grüßt, die er mit "Augenzeuge" gleichsam auf ein Neues entern und für sich gewinnen möchte. Dass er "Immer noch MC" ist und nichts an früherer Energie eingebüßt hat, stellt JokA gleich auf dem nächsten Track klar. Zusammen mit MoTrip und Sido entstand hier ein typischer, solide gerappter Representer, auf dem auch die Featuregäste, beide ihre individuellen Stärken ausspielend, zu überzeugen wissen. Und zuletzt erinnert sich der Künstler auch auf dem letzten Song der Platte namens "Nostalgie" seiner Beziehung zur Rapmusik und HipHop-Kultur, reflektiert seinen musikalischen Werdegang sowie jenen als Rapfan und die große Bedeutung, welche HipHop für sein Leben besitzt. Nyasha Mudo rundet das Ganze mit einer Adaption von Neil Youngs "My My, Hey Hey" in der Hook ab und sorgt für viel Ohrwurmpotential.


    "Es ging los, ich fuhr mit mein' Jungs damals zu jeder Show/
    Und konnte von den Großen so viel lernen auf meinem Weg hier hoch/
    Mach dich frei, denk zurück und sag mir, was du siehst/
    Ich mach das alles nur im Namen der Musik (im Namen der Musik)/
    "
    (JokA auf "Nostalgie")


    So viel zum "Rap über Rap", doch die großen Stärken des Bremers liegen sicherlich im Storytelling. Und wie er auch auf dem Titeltrack ankündigt, seien diese Storys real. Denn wenn sich JokA auf "Augenzeuge" zu kühlem, düsteren Sound damit brüstet, er brauche "keine Geschichten zu erfinden", dann steht das sicherlich für die Lebensnähe seiner Tracks, dafür, dass jeder Hörer irgendwo sich, seine Wünsche oder Sehnsüchte wiederfinden wird. Das Leben im Allgemeinen ist hier der "Tatort", denn freilich haben die meisten Songs auf "Augenzeuge" keinen direkten autobiographischen Hintergrund. Ob er diese Ansprüche zur Gänze erfüllt, ist auf Albumlänge besehen allerdings fragwürdig. Auffallend ist in jedem Fall der Titel "Leb' wohl" – sicherlich ein Highlight des Albums –, auf dem die ergreifende Geschichte eines Krebskranken erzählt wird, die den Hörer immer wieder direkt anspricht sowie in die schweren Entscheidungen des Kranken und gleichzeitig auch wahrhaft Liebenden einbindet und schlussendlich voller Rührung und Trauer zurücklässt. Schmal an der Grenze zum Kitsch, schafft JokA hier ein Stück Musik, welches derart ergreifend ist, wie es in deutschem Rap zwar oft versucht, aber leider eher selten gekonnt umgesetzt wird. "24/7" hingegen verfährt nach einem ähnlichen Muster wie schon MoTrips "Mathematik", während sowohl von JokA als auch von Featurepartner Lenny Morris jeweils eine kleine Geschichte erzählt wird, wobei die Lyrics jedoch an vielen Stellen aufgrund der ganzen untergebrachten Zahlen etwas konstruiert wirken und darüber hinaus inhaltlich auch nicht sonderlich innovativ überzeugen können, worunter die Qualität des Songs, mit dessen Konzept gerade JokA sicher mehr hätte anstellen können, insgesamt etwas leidet. Interessanter ist dagegen schon "Himmelspforte", ein Dialog zwischen dem heiligen Petrus und jeweils drei eben frisch gestorbenen Männern auf ruhigem Instrumental, welcher nach dem ersten Part eine stereotypische Pointe erwarten lässt, die dann zwar auch aufwartet, allerdings daraufhin noch um einen weiteren Strang der Erzählung erweitert wird.


    "[...] Sie hätte nachts mit mir geweint/
    Hätte gesagt, dass meine Haare wieder wachsen und gedeihen/
    Doch ich kann das nicht mit ansehen, ihre Tränen, ihren Schmerz/
    Und wäre sie nicht glücklich, wäre auch mein Leben nichts mehr wert/
    Sie hat bis heute nicht versucht jemanden kennenzulernen/
    Wie hättest du entschieden, wenn du an meiner Stelle wärst?/
    "
    (JokA auf "Leb' wohl")


    Dass er nicht nur inhaltlich sondern auch musikalisch vielseitig ist und verschiedene Stile bedienen kann, beweist JokA auf Augenzeuge zu guter Letzt ebenfalls, was unter Umständen dazu führen mag, dass nicht immer alle Geschmäcker hierbei konstant bedient werden. Der elektronisch-progressive Track "Wayne" überzeugt statt mit doper Lyrik eher mit einer clubtauglichen Hook, während der darauffolgende Titel "Drecksjob" vielmehr rockig daherkommt und auch die Musikalität des Bremers unter Beweis stellt. Auf "Geschenk" hat JokA den Soulsänger Flo Mega zu sich ins Boot geholt, woraufhin die beiden zu einem schnellen, flippigen Beat sofort gnadenlos losflowen und jene, durch die eigentlich beste Freundin, hervorgerufenen Schmetterlinge im Bauch berappen beziehungsweise besingen, die vielleicht so mancher Hörer ebenfalls bereits hatte erfahren dürfen. Und wenn man sich nicht gerade an eine ähnliche aufregende Situation erinnert fühlt, ist zumindest dennoch der Drang zum Tanzen vorprogrammiert. Die nächste ruhige, vielleicht jedoch etwas zu glatt-poppige, Gesangshook auf Augenzeuge liefert Sebastian Hämer, wenn es in "Freundeskreis" um den Halt, die Treue und die gemeinsamen Erinnerungen, die JokA mit seinen Nächsten teilt, geht. Auf "Gestern Nacht hab ich geträumt" erhält dann schließlich MoTrip seinen zweiten Gastauftritt, denn die beiden können einfach miteinander rappen. Stimmen, Flow und Atmosphärie der aufeinander eingespielten MCs wechseln sich fortwährend ab, ergänzen sich harmonisch und präsentieren so einen runden, gelungenen Track über die Träume vom Vergangenen, Vorgenommenen und Unmöglichen, "weil man Dinge, die man am liebsten tut, in seinen Träumen sieht".


    "Lass uns jetzt bloß nicht auf die anderen hören/
    Komm, lass uns verschwören, wir haben nichts zu verlieren/
    Dieser eine Moment ist wie ein Geschenk/
    Komm, wir lassen es passieren/
    "
    (Flo Mega auf "Geschenk")


    Fazit:
    Als Konzeptalbum kann man "Augenzeuge" trotz der Andeutungen auf dem Titeltrack und dem Titelcover, welches JokA in 70er-Jahre-Detektivoutfit zeigt, nicht verstehen. Dennoch liegt der Fokus hier zweifelsohne auf Geschichten, die eben das Leben schreibt, ob es um Liebe, Träume, die Arbeit oder doch einfach HipHop geht. Der Sound ist in den meisten Songs nicht sehr auffällig, aber stets liebevoll ausproduziert und bietet zwischen funky, düster-kalt oder energisch-treibend reichlich Vielfalt auf. Neben einigen Songs, die eher weniger auffällig sind und sicher nicht allzu oft auf den Repeat-Button verweisen, muss sich noch zeigen, ob JokAs Storys auch nach einem längeren Zeitraum ebenso unterhalten wie beim ersten Hören. Doch sollte bereits feststehen, dass dieser mit seinem Release den Schritt auf neue, für ihn richtige, Wege eingeschlagen hat, ohne dabei alte Qualitäten vergessen oder eingebüßt zu haben. Hoffen wir, dass wir auf das nächste Album nicht erneut allzu lange warten müssen.



    Maximilian Lippert


    [redbew]1938[/redbew]


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    01. Intro
    02. Small City
    feat. Umse
    03. Auf Achse
    04. Irgendwo halt nicht
    05. Papierflieger
    06. Schlaflos
    feat. Mortis
    07. Philadelphia
    08. Silus & Jamal
    09. Fata Morgana
    10. Schöne Grüße
    11. Horizont
    12. Zeitlupe
    feat. Damion Davis
    13. Erinnerungsfoto


    Wer oder was war nochmal ein Pimf? Nein, die Rede ist wohl kaum von einem Burschen aus dem Jungvolk oder einem kleinen Jungen, der mit Halstuch und Cappy pfeifend durch die Nachbarschaft läuft. Achja, es geht um diesen Rapper, dessen Battles im VBT ich damals so gefeiert habe, woraufhin er irgendwie aus meinem Fokus verschwand. Dieser Pimf aus Hofgeismar bei Kassel steht nun mit seiner neuen LP Memo im Gepäck in den Starlöchern seiner Rapkarriere außerhalb vom ganzen Battlegeschäft. Genug Zeit gelassen hat er sich ja mit über zwei Jahren, in denen er quer durchs Land gereist ist, um auf diversen Bühnen zu performen und Inspirationen zu sammeln. Ob die lange Zeitspanne dazu diente, ein Album mit ausgereiften Konzept, dessen Message auch mit dem Altern des Künstlers nicht an Relevanz verliert, auf die Beine zu stellen? Schließlich durfte der Youtube-Hit "Alt & Jung" nicht auf die Platte, da er laut Pimf eher eine vergängliche und deshalb nicht albumreife Momentaufnahme darstellte. Doch ist nicht genau das eine Memo? Eine denkwürdige Notiz, die einen Gedanken, einen Moment festhalten soll? Was nun im Memorandum, lateinisch für das zu Erinnernde, des Künstlers, das er mit seiner Hörerschaft teilt, alles drinstecken wird, werde ich schließlich doch nur durchs Hören erfahren.


    "If you ain’t gotta dream, you ain’t got nothing" und das "Intro" der Scheibe beginnt mit melodischem Beat. Pimf stellt sich vor als Jonas, der Junge aus der Kleinstadt, der gerne mal Lampenfieber vor Auftritten verspürt, verliebt in Rapmusik ist und uns seinen ganz eigenen Stil, der mehr als ordinär-beleidigend oder kitschig-depressiv ist, sondern eben ganz authentisch und real. Die "Small City", aus der er kommt und der er sehr verbunden ist, bietet nicht immer Platz für die großen Träume eines jungen Erwachsenen und so geht es auch für Jonas ab und an auf Reise. Er ist ständig "Auf Achse", lebt ein schnelles, rastloses Leben, ist immer irgendwo anzutreffen und "Irgendwo halt nicht". Die Synthesizer des ruhigen Beats fließen so dahin, während Pimf über seine Lebensgewohnheiten und -ziele, eigene Überzeugungen und seinen Selbstfindungsprozess sinniert. Man kauft dem äußerst reif wirkenden 21-jährigen seine Worte ab. Hier rappt kein Mittdreißiger über Abibälle und die erste große Liebe, sondern Jonas darüber, was ihm letztens durch den Kopf gegangen und ihn immer noch nicht losgelassen hat.


    "Mich zieht es häufig in die Welt, aber hier sind meine Kumpels und die Freundin, die mich hält/
    Wie? Du hast jetzt 'nen Studienplatz? Wie cool ist denn das?/
    Und auf einmal ist die Crew nicht mehr das, was sie war/
    und sie wird es nicht mehr sein. Fuck, vielleicht, bin ich auch irgendwie allein/
    "
    (Pimf auf "Irgendwo halt nicht")


    Die Coming-of-Age-Thematik wird auch bis zum Ende von "Memo" durchgehalten. Bei all dem Tatendrang kann man seine Nächte auch mal "Schlaflos" verbringen, NBA-Spiele gucken oder Rap-Parts schreiben. Im Schlaf kann man seine Träume schließlich nicht verwirklichen. Umtriebigkeit bedeutet Leben, "Stillstand ist der Tod". Auf "Schöne Grüße" schickt Pimf einen imaginären Brief an sein späteres Ego und fragt sich, wo es für ihn hingehen soll, wo er wohnen, was er machen, wen er lieben wird. Doch dann geht es für ihn auch schon wieder los "Richtung Horizont, volle Kraft voraus", durch Windböen und bis ans Ende der Welt, zum Glück immer mit Rettungsboot dabei und ungewiss, wo er seinen Anker lichten wird. Vielleicht ja in "Philadelphia". Dieser Track imponiert wie auch schon "Alt & Jung" durch einen atmosphärisch-elektronischen Beat mit Hintergrundgesang. Die Arbeit des Produzenten Marq Figuli erlaubt es dem Hörer ein weiteres Mal, sich einfach fallen zu lassen und auf den Wogen des sanften, melodischen, aber keineswegs poppig oder plastischen Soundmeers treiben zu lassen und sich ganz auf die Lyrik einzulassen. Musik und Sprechgesang harmonieren perfekt.


    "Volle Kraft voraus, das Fernglas zur Hand/
    Überwinde Turbulenzen, um zu lernen, was ich kann/
    Die Kollision vermeiden, aber nicht nach euren Regeln leben/
    Keiner kann mir jetzt den Wind aus meinen Segeln nehmen/
    "
    (Pimf auf "Horizont")


    Weniger ansprechend ist hingegen die Geschichte um "Silus & Jamal" gestaltet, zwei HipHop-Fans, die Graffitis sprayen und Gras rauchen, also laut Pimf "HipHop leben". Für solch verkopftes Realkeepertum bietet die Platte eigentlich thematisch und auch, was den bisherigen Geisteshorizont betrifft, keinen wirklichen Raum. Auch der "Papierflieger", der aus seinem Abschlusszeugnis gefaltet worden ist, will nicht so wirklich bei mir ankommen. Kontrastiv zu seinem Tatendrang postuliert Pimf, dass er sich jedoch seine Aktivitäten, sein Leben, nicht vorschreiben lassen möchte, dass man aber andere, die mit großer Freude und Muße ein Studium absolvieren, diskreditieren muss, verstehe ich nicht ganz. Doch tut das der inhaltlichen und sowieso sound- und raptechnischen Qualität der Platte keinen Abbruch. Hier stimmt das Gesamtkonzept, das einheitliche Klangbild und auch die gut ausgewählten Featuregäste Umse, Mortis und Damion Davis bringen an den passenden Stellen ihre persönlichen Noten und neue Akzente mit ein, stellen den Protagonisten dabei keineswegs in den Schatten. Und so schließt das Memo mit einem "Erinnerungsfoto", auf dem noch einmal programmatisch festgehalten wird, dass der Selbstfindungsprozess des Rappers Pimf noch lange nicht am Ziel angekommen ist: "Ich hab keinen Plan, wo es hingeht, doch eines Tages weiß ich es genau."


    "Der kleine Fuchs Jonas macht es nicht wie andere Menschen/
    Er schreibt sich ein Praktikumszeugnis und lässt es anerkennen/
    Die haben mir die Scheiße wirklich abgekauft/
    Lach mir in die Faust, hab den Hauptpreis abgestaubt/
    "
    (Pimf auf "Papierflieger")


    Fazit:
    Nachdenklichkeit, Unsicherheit, Selbstreflexion und viele Alltagsfragen eines jungen Erwachsenen, der nicht nur an der Schwelle zu seiner Fahrt aufnehmenden Rapkarriere steht, sind die Themen auf Memo. Der rote Faden zieht sich von Anfang bis Ende durch die Tracklist, was nicht bedeutet, dass auch mal andere Themen angesprochen werden. Wer dennoch damit nichts anfangen kann, dem sei die Platte nicht angeraten. Wer krass zur Schau gestellte Technik, Flowkünststücke oder irre Gags bevorzugt, wird vielleicht auch nicht ganz warm mit Pimfs Albumerstling werden. Obwohl die Themen alle nicht neu sind, glänzen die Songs vor allem durch die Vortragsweise. Pimf ist authentisch, sympathisch und weiß, wie er sein Inneres ansprechend in Liedern nach außen krempelt und gut verpackt. Ihm gelingt, die Balance zwischen Ernst und frechen Elementen zu bewahren. Memo ist Musik, die sich dem Hörer nicht aufdrängt, sondern die von ihm gefunden werden will.



    Maximilian Lippert



    [redbew]1902[/redbew]


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    01. Intro
    02. Klopf Klopf
    03. Ich will noch nicht nach Haus!
    feat. Trailerpark
    04. Die Wahrheit in schön
    05. CYB3R CR!M3
    06. Gewalt
    07. Restaurant Skit
    08. Deine Freundin
    09. Keine Ahnung warum
    10. Kurz für immer bleiben
    11. Männer und Frauen
    12. Vincent und Dag forever!
    13. F.I.C.K.D.I.C.H.
    feat. Frauenarzt
    14. Ich will nur dass du weißt
    15. Erstmal ein Selfie
    feat. Mad Maks
    16. Ganze Galaxien
    17. Zurück in die Zukunft


    Wir schreiben das Sternzeitalter 2.015,5. Die Bunte Rapublik Deutschpunk ist Geschichte und nun steht sogar das Universum kurz vor seiner endgültigen Vernichtung durch die schlechte Musik. Die Lage scheint ausweglos – zumindest fast. Alle Hoffnungen zur Rettung des Universums ruhen auf zwei Berliner Jungs von SDP, die ausziehen, eben jenes und die musikalische Vielfalt noch zu retten. Der Kampf "zwischen guter und schlechter Musik" soll endgültig entschieden, die finale intergalaktische Schlacht dabei in den Stereoanlagen unserer Wohnzimmer ausgetragen werden. Gelingt Vincent und Dag die Rettung des Universums der guten Musik und mit welchen Waffen werden die beiden Helden streiten? Das und vieles mehr soll uns "Zurück in die Zukunst" verraten.


    Die indessen gar nicht mehr so unbekannte bekannteste unbekannte Band der Welt ist wieder da, um in gewohnter Manier auf ihrem mittlerweile siebten Studioalbum mit energiegeladenem Sound jenseits strenger Genre-Schubladen loszulegen und deutschen Sprechgesang mit Pop-Melodien, rockigem Gitarrensound und elektronischen oder sogar Reggae-Klängen zu mischen. Hauptsache, es wird nie langweilig und eine hohe Ohrwurmdichte bleibt Programm. Trotz allem Humor und aller Ironie, weisen viele Tracks dennoch eine gewisse Tiefe und in jeden Fall viel Aktualität auf. "Die Wahrheit in schön" weist mit seinen aneinandergereihten Beschönigungen defizitärer Zustände auf eine heuchlerische Gesellschaft hin, während "CYB3R CR!M3" die leicht zugängliche Möglichkeiten zu Internetkriminalität thematisiert und "Erstmal ein Selfie!" das narzisstische Verhalten der meisten Smartphone- und Instagram-User aufs Korn nimmt. Dabei könnte allerdings die Lyrik an manchen Stellen gerne noch etwas ausgearbeiteter sein.


    "Ich hab' deine Freundin nicht geküsst, ich hab' sie wiederbelebt/
    Und das ist nicht gelogen, ich hab's dir bloß nie erzählt/
    Und die Beule in deinem Auto, ej, ich war's nicht verdammt/
    Mein Wagen hat von ganz alleine dein Fahrzeug gerammt/
    "
    (Vincent auf "Die Wahrheit in schön")


    Die Anspielstationen "Klopf Klopf" und "Ich will noch nicht nach Haus!", auf der sich das Duo Verstärkung von den vier Rappern aus dem Trailerpark holt, die es auch hier noch einmal schaffen, frischen Wind zu bringen, lassen auch die Partystimmung auf "Zurück in die Zukunst" nicht zu kurz kommen. Bei Mitgröl-Hooks, Pogo-Rhytmen und obendrein lustigen Lines, vermag die Stonedeafproduction ihre ganzen Stärken ausspielen. Gegen Mitte der Scheibe taucht dann plötzlich eine Polka-Melodie auf, die kurz aufhorchen lässt, dann stoßen auch noch ein paar provokante, sexgeladene Liedzeilen dazu und schließlich entpuppt sich der Song "Deine Freundin" als der Schlager-Hit der Platte mit zwar nicht besonders ausgeklügeltem, aber nichtsdestotrotz unterhaltsamem Humor. Und ebenso, wenn Dag auf seinem Solo "Vincent und Dag forever!" über seinen Bandkollegen ablästert, sind Schmunzler garantiert. Ob diese recht simple, zumal sich oft wiederholende Art von Humor auch noch mehrmaligem Hören noch anzukommen weiß, darf jedoch ruhig skeptisch gesehen werden.


    "Abra Kadabra, seit Donnerstag am Start/
    Potte weg, Klamotten dreckig, alles wunderbar/
    Ich müsste mal nach Haus', wenn ich noch wüsste, wo das war/
    Ich find' hier niemals raus, Mann, ich find' nicht mal die Bar/
    "
    (Dag auf "Klopf Klopf")


    Zu einem ruhigen Beat rappen die Berliner auf "F.I.C.K.D.I.C.H." über eine lockere Einstellung zu den Schwierigkeiten, die das Leben bereit hält und fronten dabei selbstverliebte Besserwisser. Der eher nach reinem Rap klingende Featuregast Frauenarzt sorgt dabei für etwas gelungene Abwechslung. Mit "Ich will nur dass du weißt" liefert das Album auch einen würdigen Nachfolger für Songs wie "Wie konntest du das nur zerstören" oder "Ich muss immer an dich denken" und lässt auch das Thema Liebe nicht unbesungen stehen. Und das Vincent gefühlvolle Hooks singen kann, hat er ja schließlich bereits mehrfach unter Beweis gestellt. Abgerundet wird "Zurück in die Zukunst" vom gleichnamigen Track, der halb Song, halb Hörbuch ist – eine Konzeption, die man auch schon von älteren Alben kennt. Das Ende des Unternehmens bleibt offen, die schlechte Musik ist noch nicht gänzlich aus unserem Universum verbannt, weshalb Dag und Vincent vorhaben, mit einer mächtigen Ohrwurmflotte zurückzukehren, um endgültig den Sieg davonzutragen.


    "Ich will nur, dass du weißt, wie oft ich Briefe an dich schreib'/
    Und sie wieder zerreiß, und dass ich dich liebe und so'n Scheiß/
    Ich will nur, dass du weißt, wie oft ich Lieder für dich schreib'/
    Und sie niemandem zeig', weil ich will, dass niemand davon weiß/
    "
    (Vincent auf "Ich will nur dass du weißt")


    Fazit:
    Der Kampf, den SDP zur Rettung der Galaxis und des guten Musikgeschmacks geführt hat, konnte sich sehen beziehungsweise hören lassen. Gekämpft wurde mit Emotionalität, Wortwitz und Kreativität. Genrezwänge und Langeweile sind dabei sicherlich auf dem Schlachtfeld geblieben. Wer schon die letzten Veröffentlichungen mochte, wird auch mit "Zurück in die Zukunst" mehr als zufrieden sein. Das Duo bleibt sich treu, arbeitet seine Stärken weiter aus und sucht sich trotzdem immer wieder neue Themen oder streut neue musikalische Elemente ein. Bei einem durchweg hohen Niveau verzeichnet die Scheibe keine Ausreißer nach unten, doch auch die absoluten Gassenhauer mag sicherlich nicht jeder finden. Wie die nächste Episode der SDP-Geschichte sich anhören wird und ob die beiden jemals die schlechte Musik vollständig besiegen können, bleibt also noch abzuwarten.



    (Maximilian Lippert)


    [redbew]1877[/redbew]


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    01. What's Goes?
    02. Papa Willi und der Zeitgeist
    03. Lass uns chillen
    feat. Maxim
    04. Ventilator
    05. Sunrise 5:55am
    06. Schwung in die Kiste
    07. Grün
    08. Tornadowarnung
    09. Feuerrot
    10. Leicht
    11. Seitdem
    12. Das Klo
    13. Wasserburgen
    feat. Mine
    14. Oben vom Heu
    15. Abschiedsparty
    16. SalamiFunghiZwiebelPartypizza
    17. Das Öl


    Die Hooligans of Love sind wieder am Start! Die vier Chaoten aus Baden-Württemberg haben sich zum vierten Mal zusammengefunden, um eine neue gemeinsame Platte aufzunehmen. Tua, der Misantroph, der lustige Bartek, Kaas, der alles und jeden gern hat, und der nachdenkliche Maeckes werfen alle ihre verschiedenen Eigenschaften und Raps in einen Topf und daraus soll wieder einmal der typische Orsons-Sound entstehen. Man wollte dabei alles, was bereits auf dem letzten Album gerockt hatte, behalten und die dem Major Label geschuldeten Einflüsse über Bord werfen. Wie sich das auf "What's Goes" anhört, werden wir nun erfahren.


    Was sich nach dem Hören der ersten Tracks sofort als ein Schwerpunkt des Albums herauskristallisiert, sind die avangardistischen Beats von Tua, der die komplette Scheibe produzierte und für ein einheitliches Klangbild sorgte. Der Titeltrack ist ein typischer Representer, auf dem bereits eines klargestellt wird: die Jungs können rappen. Das zu einem hochgepitchten Sample verarbeitete Denglisch des EU-Komissars Oettinger ("Everybody does as he pleases") bildet Intro und Hook des Titeltracks, Die Orsons flowen auf einem plastischen, minmalistischen Beat munter ab und liefern haufenweise lustige Lines. Auch auf "Papa Willi und der Zeitgeist" wird eine englische Line des Rappers Jay-Z ("Pop a wheelie on the zeitgeist") gesamplet und gnadenlos per Nachahmung des ersten Höreindrucks ins Deutsche übertragen. Am Ende entwickelt sich der Song zu einem richtigen Abrisstrack. Auf "Ventilator" und "Schwung in die Kiste" gehen zu Anfang befremdlich anmutende Vocal Samples mit nicht weniger neuartigen und wilden Beats eine Symbiose ein, zu der die Spontaneität, der Wortwitz und die Energie der vier Jungs passen wie die Faust aufs Auge.


    "Rapper komm', fragen, ob sie mit mei'm Smartphone ihre Ma anrufen könn'/
    Ich sag: 'Klar, da, drück einfach Wahlwiederholung.' (Was?)/
    Wovon handelt dieser Song? Weiß nicht/
    Aber seid ihr schon mal nackt auf einem Trampolin gesprung'?/
    "
    (Maeckes auf "Schwung in die Kiste")


    Auch "Tornadowarnung" schlägt in die gleiche Kerbe wie die meisten Songs zu Beginn der Platte. Wir werden gewarnt in Deckung gehen, denn Die Orsons schleudern eine tighte Line nach der anderen auf uns. Der basslastige Beat mach den Track zu einen der vielen auf der Platte, welche enormes Live-Potential bergen und einfach ausgelassene Stimmung aufkommen lassen. Doch "What’s Goes" ist noch wesentlich facettenreicher. die ruhigeren Tracks punkten durch Tuas innovative Beatgestaltung. Der einheitliche Sound ist auf der ganzen Platte stimmig, bietet jedoch immer wieder aufs Neue Überraschungen. Ernste Themen wie der Tod auf "SalamiFunghiZwiebelPartypizza" oder die Unwiderbringlichkeit der Kindheit auf "Grün" bleiben den Orsons ebenfalls nicht verschlossen. Clevere Lyrics und gesungene Hooks lassen aber die Lockerheit und den Humor von "What's Goes" nie in den Hintergrund treten. Auf dem introvertierten Stück "Seitdem" erzählt uns Tua von einer vergangenen Beziehung und mit "Sunrise 5:55am" singt uns Kaas einen richtigen Sommerhit vor. Dabei spielt er mit an Kitsch grenzenden Pop-Melodien und einem überzogenen Friede-Freude-Text – ein Song, der sicherlich polarisiert.


    Ich steig' aus dem Bett und plan' den Tag/
    Mach' mir ne Liste, was ich heut' erreichen mag/
    Ich werde trainier'n, viel mehr Rücksicht zu nehmen/
    Auf die Umwelt und die Menschen in mei'm Leben/

    (Kaas auf "Sunrise 5:55am")


    Ob eine "Abschiedsparty" besungen oder wie auf "Oben vom Heu" eine Ode an den Kannabiskonsum geboten wird, "What's Goes" lässt keine Langeweile aufkommen. Uptempo-Nummern und Balladen finden in Style und Atmosphäre ihren gemeinsamen Nenner. Da die einzelnen Crewmitglieder zumeist selbst nur einen Part rappen, sind viele Tracks aus mehreren nebeneinander stehenden Anekdoten aufgebaut. Große Pointen, auf die von Anfang an hingearbeitet wird, entfallen so, doch dafür greifen die Rap-Parts perfekt ineinander. Keiner stiehlt den anderen die Show, keiner tritt in den Hintergrund. Und gerade wenn man nach einer eher ruhigeren Albummitte irren Humor für das Album schon fast abgehakt hatte, kommt mit "Das Klo" ein Aufruf zur Badezimmerhygiene daher, der in seiner Vortragsweise einfach nur schmunzeln macht. Am Ende entlässt uns die Jumpstylenummer "Das Öl" – man könnte meinen, es ginge darum, ja keine Stylevariation für die Beatproduktion auszulassen – in die Stille nach dem Album. Zuerst herrscht nun wohl eine ganze Portion Irritation. Man will die Platte noch mal hören und immer wieder hören. Die Detailversessenheit der Orsons wird einen auch sicherlich immer wieder Neues entdecken lassen.


    Hinterlass das Klo bitte so, wie du's selber vorfinden magst!/
    Soll ich's jetzt renovier'n oder wie, oder wo, oder was, was, was?/
    Soll ich's jetzt renovier'n oder wie, oder wo, oder was, was, was?/

    (Kaas & Tua auf "Das Klo")


    Fazit:
    "What's Goes" bietet jede Menge Innovation, Tanzbarkeit, Humor, Entspannung, Wortwitz, fette Flows und eingängige Hooks. Der rote Faden bei der Vielfalt an Styles und Themen bleibt das Soundbild. Und für dieses konsterniert Bartek passend: "Eure Beats haben Bass, uns're Beats haben besser." Für manche mag die Platte zu wild daherkommen, doch wer sich auf ein neues Rap-Erlebnis einlassen möchte, wird bestimmt nicht enttäuscht werden. Der ein oder andere Hit kann allerdings nicht immer ganz auf dem sonst sehr hohen Niveau der Platte mithalten. Auf jeden Fall scheinen Die Orsons sich als Musikgruppe gefunden zu haben und können auch gerne dort weiter machen.



    (Maximilian Lippert)


    [redbew]1857[/redbew]


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