Kollegah und Farid Bang droht, vom diesjährigen ECHO ausgeschlossen zu werden. Grund dafür ist unter anderem die Zeile "Mein Körper definierter als von Ausschwitzinsassen", gerappt auf dem Track "08/15", der Teil ihres Erfolgsalbums "JBG 3" ist. Mutmaßlich 200.000 Kopien sollen davon bislang über die Ladentheke gegangen sein. Damit wären sie beim Echo, dessen Sieger immer noch primär durch Verkaufszahlen ermittelt werden, in der Kategorie "Album des Jahres national" nominiert.
Doch zwei Wochen vor der Preisverleihung hat sich nun der Ethikbeirat des Musikpreises eingeschaltet. Vor vier Jahren gegründet, soll dieser bei problematischen Inhalten insistieren und kann eine Nominierung nachträglich aberkennen – bislang betraf das meist mutmaßlich rechtes Gedankengut á la Freiwild. Dass es irgendwann auch einmal um HipHop gehen würde, war nur eine Frage der Zeit.
Nun könnte man natürlich ausführlich darüber diskutieren, ob besagte Zeile noch in die Kategorie "Künstlerische Freiheit" fällt oder gesellschaftlich nicht mehr hinnehmbar ist. Und ja, szeneintern wird diese Diskussion seit Jahren tatsächlich geführt; meist mit dem Konsens, dass Battle-Rap erst einmal alles darf. Doch die kommerzielle Bühne des Echos bietet diese Inhalte nun einem Publikum feil, dass deutlich sensibler reagiert. Mittlerweile zieht das Thema wieder einmal Kreise in der Medienlandschaft, allen voran in der BILD, auf deren Hinweis der Ethikrat auch erst seine Ermittlungen aufnahm. "Und für solche Textzeilen soll es wohlmöglich [sic] einen Echo geben?", heißt es dort in einem Artikel.
Kollegah hat mittlerweile in mehreren Facebook-Posts und einem ausführlichen YouTube-Video Stellung zu dem Ganzen bezogen. Jovial bekundet der Düsseldorfer in seiner ersten Äußerung, dass ihn das Ganze nicht weiter interessiere, während im selben Satz bereits Schlagworte rund um Weltverschwörungen und Systemkritik fallen.
"Während die deutschen Mainstreammedien eine regelrechte Hetzjagd auf Banger und Boss starten, plagen Letzteren derweil ganz andere Probleme. Der bekennende NWO-Gegner, Systemkritiker und Philanthrop hat so seine eigenen Sorgen."
In dem am selben Abend folgenden Video wird der Ton dann plötzlich rauer, expliziter und allem voran fragwürdiger. Die "ANSAGE AN BILD, RTL und co." trieft nur so vor Pathos, eine zwischen Stockfotos und Facebookcartoons changierende Bildercollage, die an die schlechteren Focus-Online-Clips erinnert, wird mit Engelschören und Drumrolls unterlegt. In einer martialisch anmutenden Rede wendet sich Kollegah an seine Fans und die Medien, kritisiert die institutionelle "Hetzkampagne" gegen ihn.
Und hier offenbart sich das große Problem der Diskussion. "Die Medien" gibt es nicht. Allein diese Aussage ist Populismus in Reinform und impliziert eine Verschwörung, die gefährliches Potenzial entfalten kann. Kollegah baut ein Gefälle auf – Wir gegen Die. In diffusen Verallgemeinerungen fragt er sein Publikum, wer sich denn gegen die "Mainstream-Medien" stelle außer ihm und seinem Crewpartner Farid Bang. "Was hier versucht wird, ist Volksverarsche. Versuchte Zensur, Einschränkung der Künstlerfreiheit. Jeder Hörer wird als Volltrottel dargestellt, als potenzieller Amokläufer." Wir erinnern uns: Es geht um einen potenziellen Ausschluss vom ECHO. Nicht darum, Meinungen zu verbieten, sondern der Prüfung eines vermeintlichen Angriffs gegen Ethnien und Minoritäten.
[youtube]JThzjkByzfg[/youtube]
Das alles ist natürlich Wasser auf die Mühlen der Lügenpresse-Rufer und Verschwörungstheoretiker. Ein beliebter Kommentar auf Facebook lautet: "Lügenpresse auf die Fresse! Wegen einen paar Raplines machen sie sone Welle, aber mit den Sachen die draußen in der Welt passieren, werden entweder komplett vertuscht oder nur die Hälfte und davon falsch gezeigt.!! Traurig!!!". Teile davon könnten Eins zu Eins aus einer PEGIDA-Kommentarspalte stammen.
Es ist einfach, gegen "die Medien" zu schießen. Doch Kollegah meint nicht "die Medien", sondern BILD, RTL & Co., Boulevard und Yellow Press, deren Geschäftsmodell auf der Generierung maximaler Aufmerksamkeit beruht. Das greift zu kurz. Denn 2017, als schon einmal Antisemitismus-Vorwürfe gegen Kollegah aufflammten, gab es sehr wohl eine differenzierte Auseinandersetzung in der Presse. Der Spiegel setzte sich ausführlich mit seinen Texten und der Dokumentation seines Palästina-Besuchs auseinander, jetzt.de, das Jugendportal der Süddeutschen Zeitung, lobte Kollegahs Bereitschaft zu einer Diskussionsrunde mit Shahak Shapira und Kat Kaufmann und der Ausstrahlung über den eigenen YouTube-Kanal. Von allgemeiner Stimmungsmache gegen den Rapper kann keine Rede sein. Am lautesten ist vor allem, naja, die BILD-Zeitung.
Irgendwann verliert sich Kollegahs Videoansage in Redundanzen, fadenscheinigen Argumenten ("Ist doch nur auf der Bonus EP") und Whataboutism. Plötzlich geht es darum, wer mehr Karrieren ermöglicht hat, RTL oder er. Spätestens hier geht die Diskussion vollkommen an der Sache vorbei, denn die Unterscheidung zwischen Entertainment-Show und Journalismus ist an dieser Stelle essenziell.
HipHop in den Mainstream-Medien, ich erlaube mir an dieser Stelle, das ebenfalls so sträflich zusammenzufassen, war schon immer ein heikles Thema. Aber natürlich ist es trotzdem wichtig, über solche Zeilen zu sprechen. "Ist doch nur Rap" darf keine allgemeingültige Rechtfertigung sein, auch wenn sie bei vielen Vorwürfen einfach gilt.
Kollegah fehlt in dieser Angelegenheit diesmal das Feingefühl. Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema wäre gerade jetzt, wenn der WDR eine ausführliche Dokumentation über Antisemitismus im Rap gesendet hat, wichtiger denn je. Und mit der oben genannten Gesprächsrunde aus dem letzten Jahr hat er gezeigt, dass er dazu durchaus bereit ist – umso verwunderlicher, dass er sich dem Diskurs dieses Mal so radikal verweigert und seine Fans zum Gegenangriff aufstachelt, zusammenschweißender Hashtag inklusive. Seinen Fans nahezulegen, sich eine eigene Meinung zu bilden, und im selben Atemzug aufzufordern, Kommentarspalten zu stürmen, hat schon etwas sehr Bigottes.
Populismus mit Populismus zu begegnen ist definitiv der falsche Ansatz. So verschärfen sich nur die Fronten und verhindern jeden zielführenden Diskurs. Diese Herangehensweise ist damit nicht nur "Snake Oil", sondern weitaus schlimmer.
Ein wenig Contenance täte allen Beteiligten gut.
(Friedrich Stf.)