Beiträge von GameofMo



    01. Sexualethisch desorientiert
    02. Bleib in der Schule
    03. Falsche Band
    04. Koks auf Hawaii
    05. Russisch Tourette
    06. Poo-Tang Clan
    07. Dicks sucken
    08. Damals in der Schule
    09. Neongrüner Auswurf
    10. Die Traubenstampferin
    11. Raus aus meiner Kneipe
    12. Forgot about Tai
    13. Mensch ohne Grund
    – Vortex


    Es ist schon etwas her, dass "Crackstreet Boys 2" die Aufmerksamkeit der deutschen Rapszene auf sich zog – und anschließend die der BPjM, der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien, welche für den berühmt-berüchtigten Index verantwortlich ist. Abgesehen von ebendieser Prüfanstalt zeigte sich die große Mehrheit jedoch begeistert vom Album der Boy-Band, welches als absolut stimmiges Gesamtwerk mit vielen Lachern und Ohrwürmern aufwarten konnte. Musikalisch wie textlich war das Album hervorragend. Nachdem bis auf vier Titel sämtliche Tracks von "CSB 2" indiziert worden waren, fürchteten viele, der Nachfolger würde etwas zurückhaltender ausfallen. Warum fürchteten? Weil es gerade der böse, ungezogene Humor war, der Sudden, Alligatoah, Timi und Basti einen enormen Zuwachs an Fans bescherte. Es stellt sich also die Frage, ob diese Befürchtungen wahr geworden sind, oder ob "Crackstreet Boys 3" an seinen starken Vorgänger anknüpfen kann.


    "Endlich wird wieder mit den Fäusten gefickt/
    Denn trotz Indizierung enttäuschen wir nicht/
    Verbietet meine Songs und verbietet meine Band/
    Doch ich ziehe nach den Gigs weiter Teenies in den Van/
    "
    (Basti auf "Sexualethisch desorientiert")


    Basti liefert mit diesen ersten vier Zeilen des Albums direkt eine Teilantwort. Seine Aussage kann man durchaus unterschreiben. Rein darauf achtend, wie viel wieder jenseits der Grenze des guten Geschmacks stattfindet, steht "CSB 3" dem zweiten Teil in nichts nach. Denn statt das Angebot, eine Nase Speed zu ziehen – ja, allein das ist für die meisten von uns vermutlich nicht gewöhnlich – einfach durch ein simples "Ja" anzunehmen, antwortet man als echter Crackstreet Boy: "Kacken Bären in den Wald, ist der Papst pädophil?" (Timi auf "Sexualethisch desorientiert"). Alles dreht sich um illegale Substanzen, Sex, Gewalt, Exzesse jeglicher Art und Hemmungslosigkeit in ihrer reinsten Form. Eingewebt wird dieses Grundrezept in unterschiedlichsten Zusammenhängen. Einmal dreht sich alles nur um Stuhlgang ("Poo-Tang Clan"), mal um das Quälen des eigenen Körpers durch Überstrapazierung ("Neongrüner Auswurf") oder ein andermal um die Schulzeit ("Damals in der Schule"). Witze, die so weit unter der Gürtellinie angesiedelt sind, dass sie eine erneute Indizierung praktisch sicherstellen, sucht man auch auf "CSB 3" nicht vergebens: Tiefsinnige Fragen wie "In ihre Fotze passt 'ne ganze Flasche rein, wie könnte diese Kleine nicht erwachsen sein?" (Basti auf "Falsche Band") findet man wie Sand am Meer. Die inhaltliche Richtung, die das Album einschlägt, ist also schon einmal umrissen. Sie liegt prinzipiell nahe an der des Vorgängers. Trotzdem entfaltet dieses Release nicht die gleiche, positive Wirkung – zumindest was mich persönlich angeht. Tracks wie "Poo-Tang Clan" sind zwar ganz nett und bringen den Zuhörer sicherlich auch beim ersten Mal zum Grinsen, aber nach dem fünften, sechsten Hören wird es dann doch langweilig, unzählige aneinandergereihte Wortspiele über Stuhlgang zu hören. Was "CSB 2" so genial machte, war in meinen Augen unter anderem, dass die Jungs von Trailerpark zu ihrer Asozialität zeitgleich immer eine gewisse Finesse demonstrierten, die ich auf dieser Platte weitestgehend vermisse. Ich habe mehr das Gefühl, dass man einfach irgendeinen Kontext gesucht hat, in dem man dann wieder ein bisschen eskalieren kann, ohne dabei auf die kleinen Details zu achten, die "CSB 2" so langlebig machen. Die Texte auf "CSB 3" sind zwar zum größten Teil ebenfalls lustig, aber mehr auch nicht.


    "Was ein großes Häufchen/
    Ich und meine Gang fürchten weder Kot noch Teufel/
    "
    (Basti auf "Poo-Tang Clan")


    Eine Ausnahme stellt hierbei vor allem "Dicks sucken" dar. Auch dieser Text spielt mit Tabus und ist anstößig: "Jesus Christus hat schon damals in 'nem Swingerclub erwähnt: Wenn ein Mann dir auf die linke Backe schlägt, musst du sein' Pimmel sucken geh'n!" (Alligatoah auf "Dicks sucken"). Doch gleichzeitig ist der – zugegebenermaßen sehr spezielle – Humor der vier Künstler schön verpackt in unzählige lustige Stellen, die zusammen ein stimmiges Gesamtwerk ergeben. Was dem Track dann noch die Sahnehaube aufsetzt, ist die Alligatoah-Hook. Wer sonst schafft es, dass man sich draußen an der Bushaltestelle dabei erwischt, wie man "Lass uns doch Dicks sucken, wo ist das Problem?" vor sich hersummt? Dass es sich bei Alligatoah um einen begnadeten Rapper und Sänger handelt, ist längst kein Geheimnis mehr. Dies zeigt er auch hier, denn auf "CSB 3" glänzt er wieder mit Ohrwurm-Hooks erster Güteklasse. So zum Beispiel auf "Bleib in der Schule", welches als erste Singleauskopplung schon auf dem diesjährigen Splash!-Festival zum Besten gegeben wurde und die Massen begeisterte. Mit den Hooks sind wir schon bei der Frage angelangt, wie "CSB 3" musikalisch daherkommt. Die Mischung macht's, sagt man ja bekanntlich. Für Trailerpark heißt das: mal etwas Dubstep-lastiges, hier etwas Poppiges und dort wieder eine sehr rockige Untermalung. Das Album ist in der Hinsicht keine große Überraschung. Was jedoch fehlt, sind die Beats, die auch nach langer, langer Zeit noch im Gedächtnis der Hörerschaft bleiben werden. Auf "CSB 2" war zum Beispiel der geniale "Fledermausland"-Beat zu finden. Ein ähnliches Kaliber vermisse ich auf diesem Release leider. Somit kann die Platte auch in musikalischer Hinsicht nicht die Erwartungen erfüllen, welche sich nach dem starken Vorgänger zwangsläufig gebildet haben.


    Technisch sind alle Crew-Mitglieder absolut solide. Sie versuchen nicht, sich durch komplexe, verschachtelte sprachliche Konstruktionen zu profilieren. Dennoch können auch Rapfans, die Wert auf guten Flow legen, reinen Gewissens zu dieser Platte greifen. Sudden, Alligatoah, Timi und Basti sind allesamt erfahrene Rapper, was man ihnen auch zu jeder Zeit anmerkt. Jeder von ihnen bringt eine eigene Note in das Gesamtpaket Trailerpark mit ein. Diese Harmonie zeigt sich vor allem bei den berühmten Live-Auftritten der Band. Auch die aktuelle Veröffentlichung bietet eine super Grundlage, um die Fans live zum Kochen zu bringen und für Eskalation zu sorgen. Das ist vermutlich eine der größten Stärken des Trailerparks. "CSB 3" wird dieser sicherlich nicht im Wege stehen.


    Fazit:
    Die vier Tunichtgute tun, was sie am besten können: provozieren. Sie legen keine Scheu an den Tag, auch dieses Mal die Aufmerksamkeit der BPjM zu erregen und sich somit vermutlich ein weiteres Mal auf dem Index zu verewigen. Fans der asozialsten Boyband Deutschlands werden wieder auf ihre Kosten kommen. "Crackstreet Boys 3" leidet letztlich vor allem unter seinem Vorgänger. Der Vergleich ist nicht zu vermeiden, da beide Alben in genau dieselbe Richtung zielen. Hier finden sich leider einige Anspielstationen, die aufgrund mangelnder textlicher oder musikalischer Finesse nicht überzeugen können. Tracks wie "Bleib in der Schule" oder "Falsche Band" demonstrieren jedoch, dass die Jungs aus dem Trailerpark wissen, wie man hemmungslose – und dennoch sehr humorvolle – Texte zu tollen Rapsongs und auch Ohrwürmern macht. Und das haben sie auch hier wieder unter Beweis gestellt. Um etwaigen Fehlkäufen vorzubeugen, sei noch einmal explizit mit Alligatoahs eigenen Worten betont:


    "Wenn Du einer dieser Menschen bist/
    Der, wenn Not am Mann ist, nicht mal seine Schwester fickt/
    Und ein Pisse-Cocktail für Dich sehr befremdlich ist/
    Sind wir die falsche Band, die falsche Band für Dich/
    "
    (Alligatoah auf "Falsche Band")



    (GameofMo)

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    [azlink]Trailerpark . Crackstreet Boys 3[/azlink]



    01. Intro
    02. Vergleiche à la Boss
    03. Warum
    04. Panic
    05. Irgendwo in Vegas
    feat. Alligatoah
    06. Übertriebener Rap
    07. Kalle macht den Song
    08. Baby du riechst
    09. Behindert
    10. Piraten
    11. Aus dem Weg
    12. Jump Mutant jump!
    13. 104,481
    14. Gruppenzwang
    feat. Zwieback & T
    15. Samba
    16. Let's Sexualität
    17. Mutanten übernehmen
    18. Seid ihr dabei
    19. Videospiel
    20. Gib mal ein aus
    21. Outro


    "Da, Party, haha! 257ers, mh, was für ein Name! Oah, ist das Cover hässlich. Ey, man ey! Aber irgendwie ... muss ich kaufen!" So begrüßt uns Dennis aus Hürth in seiner charmanten Einführung auf der neuen Platte des Essener Dreiergespanns, bestehend aus Shneezin, Mike und Keule. Die drei Mutanten haben seit jeher polarisiert. Vor allem seit ihrem Signing bei Selfmade Records – womit ihre Musik einer breiten Masse zugänglich wurde – wird darüber gestritten, was vom "Abgehn!"-Konzept der Künstler zu halten ist. Wollen wir mal schauen, ob es uns wie Dennis geht und wir den "HRNSHN"-Nachfolger wirklich kaufen müssen.


    "Bis ich vernünftige Parts rappe, Arschlecken/
    Ich schreib' 'ne Zeile über ein' Marsmenschen/
    Es war einmal ein Marsmensch – geile Zeile/
    Fresh, dieser Part brennt – Feuer/
    "
    (Shneezin auf "Panic")


    Den 257ers inhaltliche Konzeptlosigkeit vorzuwerfen, ist sicherlich sinnlos, das war im Grunde noch nie anders. Es gibt sogar ein paar Tracks auf dem Album, deren inhaltliches Konzept über "Party!", "Akk!" und "Abgehn!" hinausgeht. Zumindest reicht es, um einen roten Faden in manchen Tracks erkennen zu können. So geben sich die drei MCs unter anderem als rappende "Piraten". Vom Sound her könnte man meinen, Santiano rappen jetzt. Die Idee ist ja ganz witzig, aber solch einen Track hört man ein- bis zweimal, schmunzelt ein bisschen und skippt ihn ab dann immer. Warum dieser Song auf das Album gepackt wurde, verstehe ich schlichtweg nicht. Auf einem Free-Tape – okay! Da ist es ja absolut in Ordnung, ein bisschen rumzublödeln und nicht den Anspruch zu haben, einen hervorragenden Track aufzunehmen. Wenn dann aber fast ein ganzes Album genau danach klingt, ist das in meinen Augen leider nicht okay. Auch die zunächst "klassisch 257ers" anmutenden Tracks, die sich irgendwo im altbewährten "Party, Drogen, Ausrasten"-Metier bewegen, überzeugen auf dieser Platte nicht wirklich. Das Problem ist, dass alles unglaublich gewollt-witzig klingt, als hätte man sich zusammengesetzt und beschlossen, unbedingt noch eine Stufe mehr "behindert" sein zu müssen – so wirkt das Album zumindest auf mich. Einen Vorteil hat dies natürlich: Live werden einige der Tracks auf "Boomshakkalakka" sicher die Stimmung zum Kochen bringen. Da kommen dann auch die monotonen, aber gleichzeitig eingängigen Hooks gerade richtig, beispielsweise auf "Übertriebener Rap". Aber soll ich das Album als Album an sich bewerten, gibt es leider unter anderem genau das zu kritisieren. Wer ein Album darauf trimmt, eine betrunkene Menge weiter anzuheizen, muss dafür scheinbar in Kauf nehmen, dass die Platte für den Privatgenuss ungeeignet ist.


    "Guck hier, so mach' ich immer, wenn mein Schnurrbart mich stört/
    Ey, du kannst ja gar nicht gucken, ist ja nur was zum Hör'n/
    In meinem Rosa Citroën, der zum Fuhrpark gehört/
    Scheibe runter, einmal zwinkern, keine Ursache, Girls/
    "
    (Shneezin auf "Jump Mutant jump!")


    Dies ist besonders schade in Anbetracht der Tatsache, dass es sich bei Shneezin, Mike und Keule im Grunde um begnadete Rapper handelt, die sich vor allem technisch vor kaum jemandem verstecken müssen. War es lange Zeit noch so, dass Shneezins Fähigkeiten über denen der anderen beiden gehandelt wurden, kann man das, ausgehend von diesem Release, so nicht mehr unterschreiben. Ich bin mir nur nicht sicher, ob das ein Lob für Mike und Keule oder eine Kritik an Shneezin ist. Die drei Essener geben sich nicht mehr viel, man kann sie also nicht mal mehr diesbezüglich unterscheiden. Wie dem auch sei, sie alle trumpfen mit variablen Flows auf, ihr Doubletime ist souverän und die Reimketten allererste Sahne. Vor allem letztere tragen einen großen Teil zur Eingängigkeit der Musik der Rapper bei.


    Das Soundbild lässt sich gar nicht genau definieren – neben den typischen 257ers-Beats, die für mich etwas von Epilepsie im Ohr haben, finden sich auf dieser Platte auch Beats, die an Rock ("Seid ihr dabei") oder an den Inhalt der Konzepttracks angelehnt sind. So wartet "Piraten" mit einem Seemanns-Sound auf, während "Samba" wiederum mit einem – was für eine Überraschung! – Samba-Sound unterlegt ist. Das, was so ungefähr alle Tracks teilen, ist, dass sie unglaublich laut "Spiel mich live! Spiel mich live! Da entfalte ich mein Potenzial!" zu schreien scheinen. Sie sind für größere Liveauftritte konzipiert. Mutanten finden sich schließlich nicht alleine im heimischen Wohnzimmer, Mutanten sind Rudeltiere. Ist aber eben schade, da – wie schon erwähnt – die Qualität der Platte als Studio-Album merklich unter dieser Ausrichtung gelitten hat. Genauso fehlen mir die Beats, die einem Track den gewissen Ohrwurmfaktor geben können. Bei "Warum" funktioniert das im Vergleich zum Rest der Platte noch außergewöhnlich gut, abseits davon in den seltensten Fällen. Das Einzige, was nach 21 (!) Tracks hängenbleibt, ist der sehnliche Wunsch nach Produktionen, die deutlich weniger anstrengend und vielleicht doch ein klein wenig musikalischer sind. Dass ich dank Tracks wie "Baby du riechst" das Gefühl kriege, dass Shneezin, Mike und Keule bald in den 08/15-Großraumdiskos dieses Landes und auf Mallorca gespielt werden, ist für mich alles andere als positiv zu sehen. "Der Style ist verloren gegangen" – das fasst ziemlich genau das zusammen, was hier zu großen Teilen schief läuft.


    Der einzige Track, der bei der allgemeinen Rezeption von Seiten klassischer Rapfans vielleicht etwas besser davonkommen wird, ist der "Über alle Berge"-Nachfolger "Irgendwo in Vegas", der, wie der erste Teil, mit Unterstützung von Alligatoah entstanden ist. Dieser bleibt leider hinter seinen Möglichkeiten zurück, liefert gute Zeilen und guten Gesang – geht aber nicht über "gut" hinaus. Der erste hängt den zweiten Teil um Längen ab. Was eben auch auf die Alben bezogen gilt.


    Fazit:
    Nach dem Signing bei Selfmade befürchteten viele Fans von früher, dass die Authentizität des Humors verloren gehen würde, was in meinen Augen jedoch nicht der Fall war. Auf "HRNSHN" gab es locker aufgelegte 257ers zu hören, wie man sie immer kannte. "Boomshakkalakka" hingegen stellt für mich einen deutlichen Abstieg und das schlechteste Album der Künstler bis dato dar. Wer mit dem Humor der 257ers nichts anfangen kann, darf "Boomshakkalakka" getrost ungehört liegen lassen, denn den Humor zu teilen ist Grundvoraussetzung, um es irgendwie durch die 21 Tracks starke Platte zu schaffen. Aber selbst Fans des Humors machen nichts falsch, wenn sie dieses Release auslassen und auf bessere Zeiten beziehungsweise Zeilen hoffen. Es handelt sich nicht um ein stark ausproduziertes, authentisch-lustiges Werk, sondern um eine Sammlung von Tracks, die so wenig überzeugen, dass das Ganze besser als Free-Tape hätte veröffentlicht werden sollen. Eine klasse Raptechnik ist eben nicht alles, was es braucht, um ein gelungenes Album zu produzieren. Dafür ist "Boomshakkalakka" der perfekte Beweis. Langer Rede kurzer Sinn: "257 ist der Boss"? Nein, die "Boomshakkalakka"-257ers sind nicht der Boss.



    (GameofMo)

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    [azlink]257ers - Boomshakkalakka[/azlink]



    01. Der Anfang
    02. FC Fernweh
    03. Rom & Paris
    04. SOS
    feat. Cro
    05. Hochzeit
    06. Generation Maybe
    feat. Megaloh
    07. Märchen
    08. Glücksrezepte
    09. Balance
    10. Keine Rosen
    11. Unbetitelt
    12. Danke
    13. Unendlichkeit


    Deutschraps Tendenz, sich in alle möglichen Richtungen auszubreiten, ist längst nichts Neues mehr. Sei es nun Rock, Soul oder Pop – haben wir mittlerweile alles schon einmal gehört. Und doch wird es nie langweilig, wenn sich Rapper in andere musikalische Gefilde aufmachen und uns eine – man könnte sagen – interdisziplinäre Arbeit vorlegen. Das neue Werk des bei Chimperator unter Vertrag stehenden Teesy, sein großes, offizielles Debütalbum "Glücksrezepte", gehört in diese Kategorie. "Teesy, ist das nicht der, der mit Hemd und Fliege auf der Bühne steht und mindestens so viel singt wie rappt?" Zugegeben: Viel hatte ich von ihm bisher nicht gehört, lediglich ein ganz grobes Bild von seiner musikalischen Tätigkeit herrschte in meinem Kopf. Mal einen Track hier, mal einen Part dort, aber das hatte bisher nicht gereicht, um mir wirklich eine Meinung zu bilden. Noch ein Grund mehr für mich, seinen Worten auf dieser Platte zu lauschen.


    "Das ist doch gar kein Rap mehr!", hört man oft, wenn es um Teesy geht. Das muss ja prinzipiell überhaupt nichts Schlimmes sein. Außerdem: Doch, das ist zum Teil schon noch Rap. Das zeigt sich direkt im überaus gelungenen Intro. Auch, wenn es etwas zu abrupt beendet wird, ist es ein Atmosphäre kreierender Einstieg, der mit kaum wahrzunehmenden Klängen anfängt, auf welche rhythmische Schläge folgen – und mit dem Stimmeinsatz schaltet auch der Beat noch mal einen Gang hoch. Ein Einstieg, der Lust auf mehr macht. Der erste Eindruck ist also absolut positiv. Um gleich etwas zu spoilern: "Der Anfang" ist leider nicht repräsentativ für das Album. Was vor allem rückblickend unglaublich schade ist.


    "Der Anfang, das Ende, die Glut/
    Die Sandbank, die Welle, die Flut/
    Von ganz unten nach oben geschwommen/
    Als hätte grad' in diesem Moment etwas Großes begonnen/
    "
    (Teesy auf "Der Anfang")


    Aber mal der Reihe nach: Inhaltlich ist das hier irgendwie nichts Halbes und nichts Ganzes. Vielleicht ein Drittel. Wer eine Facebook-Page mit "tiefsinnigen" Zitaten betreibt ("Ich kann nicht sagen, wo es hingeht. Alles, was ich weiß, ist, dass ich am Leben bin", Teesy auf "FC Fernweh") oder bei etwaigen Jugendmagazinen für die Beziehungstipps zuständig ist ("Und wenn sie dich gut findet, dann schnapp dir deine Chino, umarme die Welt und dann geh mit ihr ins Kino", Teesy auf "SOS"), kann sich vielleicht mehr über die Ausformulierungen der "Glücksrezepte" Teesys freuen. Auf mich wirken sie mehr wie eine hübsch aneinandergereihte Sammlung von Phrasen. Mit einer großen Prise Kitsch, nicht zu vergessen. Insofern passt der Inhalt super zu Teesys Gesang, der genauso schmalzig wirkt wie seine Texte es leider oft auch tun. Schmalzig ist gar nicht mal zwangsläufig negativ gemeint, nur auf Albumlänge dann eben doch etwas zu viel. Die meiste Zeit ist es ein Hin und Her: Oh, lässiger Rap! ... Och nö, schon wieder Singsang ... Und 'ne gewöhnungsbedürftige Hook ... Yes, wieder ein bisschen cooler Rap! – und so weiter. Besonders negativ fallen Nummern wie "Rom & Paris" auf: "Du bist grade richtig. Dem Mädchen vor dir fehlte es an Rom und Paris." Ganz abgesehen von der Frage, was genau das jetzt über das Mädchen "vor dir" aussagt: Die beständig mit Herzblut abgefeuerte Kopfstimme ist teilweise echt ... anstrengend. Das soll nicht heißen, dass Teesy kein guter Sänger ist, das will ich ihm nicht vorwerfen. Der Gesang ist einfach so markant, dass man ihn entweder liebt oder hasst. Das eigentliche Problem ist, dass er zusätzlich so tonangebend – um nicht zu sagen erdrückend – wirkt, dass alles andere nicht wirklich zur Entfaltung kommt. Was schade ist, denn die Rap-Parts des Albums sind absolut gelungen. Lässiger, entspannter Flow, für die Zwecke ausreichende Technik, Style und Atmosphäre kommen an. Wäre da nur nicht diese schmalzige Kopfstimme, die zu oft um die Ecke kommt und meinem Hörgenuss auf Dauer einen Strich durch die Rechnung macht. Die daraus entstehende Monotonie und Gleichartigkeit vieler der Anspielstationen wird für mich persönlich letztlich so erdrückend, dass auch die konstant guten bis sehr guten Produktionen nicht reichen, um diesen negativen Eindruck wettzumachen. Schade, denn worauf Teesy da musiziert, ist abwechslungsreich, durchdacht, atmosphärisch. Schön gesetzte Drums, manchmal überlagernde Klänge, manchmal ein kleines bisschen elektronischer – das passt alles wunderbar. Und so bekommt jeder R'n'B-Fan endlich einmal hochwertige Musik seines Genres, "made in Germany". Falls man die mangelnde inhaltliche Tiefe verkraftet und Teesys Stimme den persönlichen Geschmack trifft, versteht sich.


    "Haben mit 14 Sex, pubertieren noch mit 20/
    Scheißen auf Idole, studieren jedes Jahr was and'res/
    Emos, Hipster, Metro, Glitzer/
    Retro – 'Wie geht's dir?' – 'Geht so, Wichser'/
    "
    (Teesy auf "Generation Maybe")


    Dass es doch anders geht, dass Teesy es schaffen kann, seine Talente – die er zweifelslos halt – zu bündeln und umzusetzen, beweist "Generation Maybe". Wir haben einen sanften Beat, der mit viel Liebe fürs Detail produziert wurde, nicht zu aufdringlich ist und den Künstlern Freiraum lässt. Dazu noch einen langsam rappender, lässiger Teesy. Obendrauf noch einen Megaloh, welcher den Beat noch einmal deutlich mehr zu nutzen weiß und auch den hier wirklich guten Teesy abhängt. Inhaltlich wird uns ebenfalls endlich etwas geboten: In knapp fünf Minuten schaffen es die Künstler, den aktuellen Zeitgeist einzufangen und dabei nicht zu sehr in die Klischee-Phrasendrescherei abzudriften – wie es auf "Glücksrezepte" ansonsten doch eher die Regel ist. Dieser tolle Rap-Track steht aber leider alleine da, was – ich kann es nur noch einmal betonen – wirklich schade ist: Ich hätte ein Teesy-Rapalbum wahrscheinlich echt gefeiert.


    Fazit:
    Teesys Leidenschaft für Musik kaufe ich ihm absolut ab. Auch das, was er uns sagt beziehungsweise vorsingt, wirkt authentisch, ungezwungen, nicht zu verkopft. Die Soundkulisse ist konsequent umgesetzt, smooth und verbleibt ohne große Überraschungen. Das Problem: Die sehr markante Kopfstimme – die meinen Geschmack schlichtweg nicht trifft – bringt textlich nichts Atemberaubendes hervor. Zumeist Beschäftigung mit Beziehungen in freundlicher, höflicher Manier, auf die Kavaliersart. Von einem Mann der alten Schule eben. Man muss Teesy zugutehalten, dass wir dank ihm eine Platte mit vorzeigbaren R'n'B-Klängen aus Deutschland vor uns haben. Worauf ich allerdings gerne verzichtet hätte, wenn ich dafür mehr von dem bekommen hätte, was der nette, junge Mann meiner Meinung nach am besten kann: Rap.



    (GameofMo)

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    [azlink]Teesy - Gluecksrezepte[/azlink]



    01. Dreams
    02. Emma
    03. DVD Abend
    04. Du nahmst ihn zur Frau
    05. Fressen
    06. Input
    07. Scheiß auf den Ehering
    08. What blows around cums around
    09. Rapper sind schwul (Skit)
    10. ???
    feat. Jason
    11. Einer muss es ja tune
    12. Geld oder Liebe
    13. Tod
    14. Feige Welt
    15. Wolken
    16. So viele Fragen
    17. Nicht mit mir


    Lange ist es her, dass mit "Re Generation" das Debüt eines vielversprechenden Hamburger Rappers zum kostenfreien Download veröffentlicht wurde. Einige Zeit – und bekanntermaßen auch einige Battles – später ist aus 4tune ein alles andere als unbekannter Rapper mit beachtlicher Fanbase geworden. Einige Fragen stellen sich zwangsläufig beim nun nach etlichen Verzögerungen doch noch erschienenen, ersten "richtigen" Release des Künstlers. Was ist die stilistische Richtung, die eingeschlagen wird? Worauf wird der künstlerische Fokus gelegt? Wohin wird der Weg des Rappers in Zukunft wohl gehen? Hoffentlich bringt die Auseinandersetzung mit "Einer muss es ja tune" Aufschluss darüber.


    "Und es ist jedes Mal das Gleiche/
    Wir beide wollen bloß ficken, doch die Leute reden Scheiße/
    Du bist die Schlampe und ich das blöde Arschloch/
    Scheiß auf die Klischees, lass uns ficken, bis der Arzt kommt/
    "
    (4tune auf "DVD Abend")


    Wenn Battle-MCs sich daran machen, sich von den bewährten Pfaden zu entfernen und als "normale" Rapper Fuß zu fassen, ist zunächst besonders schwer vorherzusagen, was den Hörer inhaltlich erwartet. 4tune scheint zu einem Teil daran gelegen zu sein, eine Art Player-Image zu kreieren, was sich zum Beispiel im Track "DVD Abend" äußert, welcher die Lust nach Sex ohne jegliche Gefühle und Verpflichtungen thematisiert. Er ist jetzt erfolgreich, hat es geschafft und genießt sein Leben nicht selten in Form des Intimitätenaustauschs mit Frauen. Bekanntermaßen gibt es einige Rapper, bei denen es nicht viel mehr braucht, um ihr (erfolgreiches) Konzept zu beschreiben. Fährt ein Newcomer aber nun dieselbe Schiene, sollte er meines Erachtens nach etwas mitbringen, was ihn von den bereits etablierten Künstlern abhebt, sei es zum Beispiel ein außergewöhnlicher Style oder ein besonderer Humor. All das vermisse ich bei 4tune leider. Entweder liegt es daran, dass ich den Humor des Hamburgers nicht teile oder er kommt beim Hören des Albums einfach nicht bei mir an. Ein Beispiel dafür ist "Du nahmst ihn zur Frau": Sie ist der Mann in der Beziehung, "er entpuppte sich als Pussy". Ich vermute stark, dass der Track lustig und unterhaltsam wirken soll, aber dafür ist das Konzept als solches zu wenig raffiniert und die Umsetzung zu monoton. Tausende Beispiele aufzuzählen, warum er die Frau und sie der Mann ist, bringt mich einfach nicht zum Lachen, wenn die Umsetzung nicht dieses gewisse Etwas hat.


    Des Weiteren wird ein Großteil des Albums von Texten eingenommen, in welchen sich Tune kritisch mit der heutigen Gesellschaft und dem Verhalten der Menschen auseinandersetzt. Eine solche Analyse unserer Welt ist lobenswert und Rap bietet eine gute Basis dafür. Leider wirkt vieles, was uns dazu auf diesem Album präsentiert wird, aber nicht besonders komplex und tiefgehend aufbereitet. Wichtige Themen anzusprechen reicht nicht, um einen guten, deepen Rap-Track zu schaffen. Ich möchte dem Künstler keinesfalls vorwerfen, die thematisierten Probleme nicht wirklich ernsthaft behandeln zu wollen, seine Umsetzungen dieser Themen auf dem Album überzeugen mich aber einfach nicht. So auch beispielsweise, wenn er die Geschichte von "Emma" erzählt: "Hätte sie bloß nie damit angefangen, Drogen zu nehmen, denn jetzt kann sie nicht mehr ohne sie leben". Die Mischung aus "Tragische-Geschichte-Erzählen" und "Lass uns Sex haben, Bitch" ist für mich alles andere als rund. Die enthaltene Gesellschaftskritik – konzentriert in einem langgezogenen "Diese verlogene Welt" – kommt beim Hören einfach nicht durch. Gesellschaftskritischer Rap kann so tiefgehend, komplex und raffiniert sein. Hier ist er das für mich leider größtenteils nicht:


    "Wir vergessen, was es heißt, wir selbst zu sein/
    Ohne dass wir wussten, dass es heißt, ein Mensch zu sein/
    "
    (4tune auf "So viele Fragen")


    Abgesehen von der inhaltlichen Betrachtung, ist es spannend, zu beobachten, welche musikalische Richtung Künstler auf ihrem Debüt einschlagen. Eins vermisst man auf diesem Album besonders: einen roten Faden. Man mag es facettenreich nennen. Oder eben auch unstimmig. Das ist sicherlich Auslegungs- und Geschmackssache. In meinen Augen trifft es unstimmig hier besser. Da sind zum einen die Beats, welche sich aus wirklich schönen Klaviermelodien und einem dann einsetzenden 08/15-Beat zusammensetzen. Schlecht ist das nicht, aber eben auch nicht herausragend toll. Der Sound klingt austauschbar und wie schon hunderte Male gehört. Dazu gesellen sich zum anderen durchaus außergewöhnliche musikalische Untermalungen, die prinzipiell erst einmal eine wunderbare Grundlage für eine Klangkulisse bilden könnten, welche im Kopf des Hörers hängen bleibt. So ist vor allem Dollar Johns Beat zu "Geld oder Liebe" mit seiner eingängigen Klaviermelodik und der immer wieder kurz einsetzenden Orgel als auffällig kreativ und nachhallend hervorzuheben. Das Problem in meinen Augen ist aber, dass auf diesen außergewöhnlichen Beats nicht besonders innovativ, spannend oder einzigartig gerappt wird. Atmosphäre kommt nur auf, wenn sie von musikalischem Hintergrund und Rap zusammen kreiert wird. Daher können selbst die starken Beats der Platte nicht viel rausreißen – man könnte sagen, Tunes Rap kann zuweilen nicht mit seinen Beats mithalten. Dies ist jedoch nicht als Kritik an der Technik des Künstlers gemeint: Man kann 4tune keinesfalls absprechen, technisch sauber zu rappen und sich auf Augenhöhe mit etablierten Künstlern zu bewegen. Vielleicht kann die Platte gerade Technik-Fans erreichen. Vor allem seine Battles haben stets gezeigt, dass der Hamburger begabt darin ist, vieles aufeinander zu reimen und dies auch in ein ansprechendes Flow-Gewand zu verpacken. Auf mich droht dies aber auf Dauer monoton zu wirken. Es ist in den meisten Fällen eben ein typischer Tune-Flow. Ob einem dieser auf längere Zeit zusagt oder nicht, ist vermutlich reine Geschmackssache. Was Wortspiele – zum Beispiel in Form von Wie-Vergleichen – angeht, ergibt sich für mich in den meisten Fällen erneut das Problem des nicht geteilten Humors:


    "Yeah, ich hab' hier den größten Dick/
    Und das ist wie deine Mutter – schön für mich/
    "
    (4tune auf "What blows around cums around")


    Fazit:
    4tunes erstes "richtiges" Album lässt vor allem eines vermissen: ein Konzept, einen roten Faden. Dies bezieht sich auf den Inhalt und auf das Musikalische. Der Kernpunkt der Kritik bezüglich des Inhalts ist folgender: Wenn ich Macho-Rap oder gesellschaftskritischen Rap hören will, werde ich nicht zu diesem Album greifen, dafür bietet mir Tune einfach zu wenig Finesse, zu wenig Originalität und zu wenig Einzigartigkeit. Allgemein weiß man auch nach mehrmaligem Hören immer noch nicht so ganz, was einem da gerade präsentiert wurde. Wenig bleibt hängen und kein, nur 4tune auszeichnendes Merkmal ist erkannt worden. Außerdem wirkte kein Song – zumindest bei mir – besonders lange nach. Was ich da vor mir habe, ist eine Sammlung unterschiedlichster Tracks eines durchaus begabten Rappers, welche aber als Gesamtwerk nicht funktionieren. "Einer muss es ja tune" ist kein Album, das noch lange nach dem Abschalten im Gedächtnis bleibt. Auch wenn man keinem Rapper wünscht, für immer auf seine Battles reduziert zu werden: Zumindest mir geben diese deutlich mehr als das Album. Vielleicht muss Tune aber einfach noch ein wenig herumexperimentieren, um schlussendlich den Rap zu finden, in dem er vollends aufgeht.



    (GameofMo)

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    01. Kleiner Vogel
    02. Nix muss
    feat. Prezident
    03. Fallen Summer
    04. Schlüsselreize
    05. Mythos
    06. Antagonist
    07. Folie a deux
    08. Cousine des Todes
    09. Origami Flip
    feat. Prezident
    10. Grandhotel Abgrund
    11. Schneckenhaus


    Jeder kennt diese Tage, an denen alles schief zu laufen scheint, an denen einem die Welt so zusetzt, dass man tief versunken durch die Straßen läuft, im Bus sitzt und pessimistisch durchs Fenster blickt. Der Deutschrap-Fan packt die Kopfhörer aus und sucht sich die richtige Hintergrundmusik für die gerade vorherrschende Stimmung. Es sollte kein Problem sein, etwas zu finden – vor allem, wenn man über die Grenzen des mittlerweile bekannten Teils der Szene hinausblickt und sich einem vielversprechenden Geheimtipp zuwendet. Album ausgewählt, ersten Track ausgewählt, los geht's: "Kamikazes – zurück aus der Versenkung" (Mythos auf "Kleiner Vogel").


    "Kannst du mich verstehen, so nenn' ich dich bewandert/
    Am Kap der gut gemeinten Ratschläge gestrandet/
    Und ab geht der Weg zu Fuß in den Norden/
    Wir leben von Pulverträumen und Lebkuchenworten/
    "
    (Mythos auf "Kleiner Vogel")


    Wenn dieser erste Beat einsetzt, das Kopfnicken fast zeitgleich beginnt und die beiden Brüder Mythos und Antagonist loslegen, merkt der Hörer sofort, dass sich die Musik der beiden radikal von dem unterscheidet, was den aktuellen Deutschrap-Hype genießt. Man wird praktisch hineingesogen in die düstere Welt der beiden Whiskeyrap-Künstler. Die Kamikazes-Attitüde, ihre Außenseiterrolle und ihre Anti-Haltung nehmen den Hörer praktisch unmittelbar gefangen und durchziehen inhaltlich konsequent die elf Tracks starke Platte. Die beiden verzichten auf Thementracks oder Konzeptsongs, scheinen eher darauf zu setzen, ein Gesamtwerk zu schaffen, das als Ganzes funktioniert. Auf inhaltlicher Ebene gelingt ihnen dies zweifelsfrei. Jeder der Anspielpunkte steuert einen Teil bei und beleuchtet ein neues Detail der Weltsicht der Künstler, die keinen Hehl aus ihrer Haltung machen. Was genau diese denn ist oder worum es ihnen inhaltlich auf einem Track im Detail geht, verschließt sich dem Hörer manchmal noch nach längerer Auseinandersetzung mit diesem. Es ist ein Album, das Zeit bei der Rezeption braucht. Diese inhaltliche Komplexität ist jedoch keinesfalls als Schwäche zu sehen, sondern viel mehr als Demonstration der Stärke der Kamikazes. Die sprachliche Gewandtheit zusammengebracht mit tiefgehender Reflexion über alles und jeden ist eine sehr eindrucksvolle Kombination. Und wenn man in ein paar Wochen oder Monaten beim Hören des Albums plötzlich eine Passage völlig neu deutet, dürfen das die beiden Interpreten als Kompliment verstehen.


    "Antagonist, noch immer jung und stur/
    Oberalbern, du und deine dumme Kunstfigur/
    Vielleicht ist es nur 'ne Laune der Natur/
    Dass ich im Dauerrausch noch tausend Meilen weiter bin als du/
    "
    (Antagonist auf "Antagonist")


    Auch die Tatsache, dass die meisten der Produktionen durch die Kamikazes selbst entstanden sind, ist beeindruckend. Beeindruckend vor allem deshalb, weil die Beats so unglaublich ausgereift und fein durchdacht klingen, dass sie das Werk noch einmal deutlich stärker machen. Es sind diese Kopfnicker-Beats, die alle ihre eigene Note haben: Durch unterschiedliche Melodien und Tonfolgen, langgezogene atmosphärische Klänge oder variantenreiche Feinheiten bei den Drums stellen sie die größte Stärke des Albums dar. Sie entwerfen die ungemein düstere Atmosphäre, in der sich die Künstler inhaltlich bewegen, ihren kritischen Blick auf alles Mögliche richten und dann dazu ihre Meinung kundtun. Dies erfolgt so, dass man ihnen einfach abkauft, was sie sagen und keine der Zeilen für inhaltslos hält. Ohne die Beats würde dieses Konzept auf keinen Fall funktionieren, die kreierte Stimmung ist essenziell, damit die Lyrics ihre volle Wirkung entfalten. Zudem haben sie einen weiteren Vorteil. Denn grundsätzlich ist das Album aufgrund der inhaltlichen Komplexität alles andere als geeignet zum Nebenbeihören, aber dank des musikalischen Reizes, den die Beats ausüben, ergibt sich eben doch diese zweite Art, das Werk genießen zu können: einfach als Hintergrund-Musik, während man den Blick schweifen lässt, sich gar nicht auf den Text konzentriert und sich den eigenen Gedanken widmet. Auch die regelmäßig eingebauten Cuts fügen sich gut ins Klangbild ein, welches aufs Wesentliche konzentriert, zugleich jedoch nie simpel oder eintönig wirkt. Das nächste Lob verdienen sich Mythos und Antagonist damit, dass sie es schaffen, die inhaltliche Vertracktheit so zu verbauen, dass Flow und Technik allgemein nicht darunter leiden. Es ist natürlich kein auf Reimketten und Doubletime-Passagen ausgelegter Technikrap, doch die inhaltlich komplexe Struktur wurde mithilfe von durchaus anspruchsvollen technischen Mitteln umgesetzt. Der Flow ist sehr abwechslungsreich, zugeschnitten auf die Beats – vermutlich einer der Vorteile, wenn man für beides, Produktion und Rap, verantwortlich ist. So überzeugen sie bei geringerer BPM-Zahl ebenso wie auf etwas mehr nach vorne gehenden Nummern. Die geschaffene Atmosphäre wird also gekonnt unterstrichen und weiter gefestigt. Als einziger Featuregast fungiert auf diesem Album Prezident, das Oberhaupt ihrer musikalischen Heimat Whiskeyrap. Die langjährige Zusammenarbeit merkt man den Künstlern insofern an, als dass sich die Gastparts perfekt ins Gesamtbild einfügen. Es ist eben ein Whiskeyrap-typisches Release, verkopft und trotzdem musikalisch sehr ausgreift – und auf ein solches passt Prezident natürlich wunderbar. Was an dieser Stelle betont werden muss, ist, dass sich die Kamikazes in keinster Weise hinter Prezident verstecken müssen. Sie bleiben nicht hinter ihm zurück, die zusammen berappten Tracks sind Arbeiten von Künstlern auf Augenhöhe.


    "Mein gutes Kind, dein Wichsvertrag gilt hier nicht gerad als Ritterschlag/
    Mach dein' Diener und dann zisch schon ab/
    In Richtung Ruhmeshalle, in Richtung Ruhekissen/
    'Kleiner Vogel' heißt, den Wahnsinn in die gute Stube bitten/
    "
    (Antagonist auf "Origami Flip")


    Fazit:
    Mit "Kleiner Vogel" haben uns die Kamikazes etwas geliefert, das in der großen Rap-Landschaft enorm positiv hervorsticht. Das Release ist ein Gesamtkunstwerk, dessen große Stärke entgegen der Erwartung nicht nur im Lyrischen liegt, sondern auch im Musikalischen, sprich: vor allem in den Beats. Da sie sich auch in technischer Hinsicht nicht zu verstecken brauchen, kann man nicht anders, als jedem dieses Release ans Herz zu legen, der bereit ist, sich auf diese Reise einzulassen. Es bleibt natürlich eine Nische, welche die beiden besetzen, aber ein Ausflug in diese wird definitiv belohnt werden. Das Einzige, was dem Album fehlt, ist dieser eine Wow-Effekt, damit das Album auch in Jahren noch in Erinnerung behalten wird. Diesen kleinen Funken vermisse ich noch. Aber vom Hören von "Kleiner Vogel" ausgehend, halte ich es nicht für unwahrscheinlich, dass die Kamikazes irgendwann einmal mit einem solchen Album um die Ecke kommen werden.



    (GameofMo)

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    01. Farid Bumaye
    02. Lutsch
    03. King & Killa
    feat. Kollegah
    04. Killa
    05. Mütter in der Trennungsphase
    06. #Moroccogang
    feat. La Fouine
    07. Ohne Bang feat. Julian Williams
    08. Dein Weg
    09. Comet (Skit)
    10. Banger Musiker
    11. Goodfellas
    feat. Bushido
    12. Bitte Spitte Toi Lab
    13. Disco MMA
    feat. KC Rebell & Summer Cem
    14. Maskuliner feat. Majoe
    15. Zeitmaschine feat. Julian Williams


    Kaum ein anderer Rapper hat in der letzten Zeit so viel für seine Aufmerksamkeit getan wie Farid Bang. Seien es eine Vielzahl von Videoblogs oder der Beef mit Flers Label Maskulin – an dem Düsseldorfer kam man in den hiesigen Rap-Medien kaum vorbei. Nicht wenig von all dem war sicherlich Teil einer Marketing-Strategie, die sein neues Werk "Killa" noch erfolgreicher machen sollte als sein letztes Solo-Release, welches auf Platz drei der deutschen Charts einstieg. Dies ist mit Platz eins gelungen. Die Frage, die sich nun stellt: Kann Farid solo genauso überzeugen, wie mit dem Kollabo-Album "JBG 2" und seinem Kumpanen Kollegah oder scheitert er bei dem Versuch, seine Stellung als Solo-Künstler zu legitimieren?


    "Was für Haschisch deal'n, red nicht von Muskeln, Hure/
    Du drückst die 110? Vielleicht beim Bullenrufen/
    Und ich kau' dran, heute gibt es Austern/
    Du siehst meinen Rücken und hältst mich für 'nen V-Mann/
    "
    (Farid Bang auf "Lutsch")


    Die Erwartungen, die man vor allem inhaltlich im Vorfeld an dieses Album stellt, können relativ schnell umrissen werden und finden sich auch praktisch eins zu eins erfüllt wieder. Bizeps-Rap, Punchline-Rap oder "Ich stelle Dinge mit deiner Mutter an"-Rap, man mag es nennen wie man will, aber mittlerweile sollte das Image, das sich der Düsseldorfer mühevoll aufgebaut hat, bekannt sein. Hinsichtlich seines Auftretens und seiner Wortwahl finden sich keine signifikanten Änderungen auf der neuen Platte. Enorm wichtig für seinen Rap sind die Punchlines. Ohne ein paar Wortwitze, bei denen man um die Ecke denken muss, verliert Farid seinen Reiz. Er weiß das und deshalb finden sich selbstverständlich auch auf "Killa" sehr viele dieser Wortspiele. Grundsätzlich wird er diesbezüglich seiner Rolle als Unterhalter gerecht, einige der Zeilen sind jedoch weniger raffiniert konstruiert und mehr leicht verständlich als durchdacht. Sicherlich sind auch ein paar Ausnahmen zu finden, bei denen sich der Hörer ein Schmunzeln nicht verkneifen kann, doch es reicht einfach nicht etwas wie "mein Album fickt Mütter wie Stiefväter" zu bringen (Farid Bang auf "Goodfellas"). Negativ anzumerken ist ebenfalls, dass viele der Punchlines so wirken, als wären sie einfach in irgendeine beliebige Strophe eingebaut worden, weshalb einigen Tracks der schlüssige Zusammenhang innerhalb der Strophen fehlt. Was als zusätzlicher Kritikpunkt noch anfällt, ist, dass die Strophen der Tracks inhaltlich generell oft viel zu ähnlich sind und die feine Nuance, die den Imagerap hier attraktiv machen kann, fehlt.


    "Ey, sei mal ehrlich, willst du Farid oder Farid Bang?/
    Und wärst du bei mir, stehe nicht hinter dem Farid 'Bang'?/
    Ich machte Schluss mit dir in Spanien, du warst mir fremd/
    Und wärst du immer noch bei mir ohne das bare Geld?/
    "
    (Farid Bang auf "Ohne Bang")


    Die Gefahr inhaltlicher Monotonie versucht der Banger Musik-Anführer mit radikalen Einschnitten zu unterbinden. Den – sagen wir mal – "bemerkenswertesten" Versuch dieser Art stellt wohl der Konzeptsong "Killa" dar. Die Strophen wurden komplett mit Autotune bearbeitet und machen ihn absolut unhörbar. Die Idee dahinter ist, wie der leidende Hörer nach den vorhergehenden Qualen im Outro des Songs erfährt, dass Farid demonstrieren wollte, wie man rappt, "wenn man 'n 38er Bizeps hat" (Farid Bang auf "Killa"). Diese Parodie ist jedoch insofern misslungen, als dass das Konzept nicht für den Lacher am Ende sorgt, den es eigentlich hervorrufen will und muss. Andere Einschnitte sind nachdenkliche Songs, die sich zum Beispiel mit der bekannten "Will sie mich nur wegen des Fames?"-Thematik beschäftigen. Wer ein derart oft behandeltes Thema erneut aufgreift, muss dem Hörer etwas bieten, das genau diesen einen Track besonders macht, sei es eine nicht vorhergesehene inhaltliche Entwicklung, ein besonders signifikanter Beat oder sei es auf technischer Ebene. All dies findet sich hier jedoch nicht in ausreichendem Maße. Auf "Der letzte Tag deines Lebens" gab es mit "Keine Träne", auf "Banger leben kürzer" mit "Teufelskreis" ebenfalls ernste Songs, die eher im Gedächtnis blieben, als die tiefgründigen Songs auf "Killa". Denn man bekommt das Gefühl, dass die Figur Farid Bang nur in dem ihr angedachten, relativ eng gesteckten Bereich des Deutschraps wirklich funktioniert. Dort wird man schließlich gut unterhalten – wenn man den Humor teilt. Das Gesamtpaket aus Inhalt, Klangbild und vor allem auch seiner unverwechselbaren Stimme wirkt eben dann besonders stimmig, wenn er den aggressiven, asozialen Macho darstellt. Farid Bangs Herangehensweise an Rap ist nun mal eine, die den Fokus auf Ausstrahlung, Betonung und eine allgemein ins Asoziale tendierende Härte legt. Warum sich an Dingen versuchen, die einem nicht so liegen, wenn das bekannte Rezept funktioniert?


    "Straight Gee, mit Bullen hab' ich nie kooperiert/
    Du warst eine Frau, doch hast dich zu 'nem Nico operiert/
    "
    (Farid Bang auf "Bitte Spitte Toi Lab")


    Unvermeidbar bei der Besprechung des Albums ist ein Blick auf die Technik. Der Düsseldorfer ist kein Flow-Gigant, aber diese Erkenntnis ist nicht neu. Die persönliche Entwicklung des Künstlers ist jedoch in jedem Fall positiv zu bewerten. Auf diesem Album wirkt sein Rap noch einmal ein gutes Stück sicherer als auf den Vorgängern und auch die eher selten vorkommenden Doubletime-Passagen sind überraschend solide gerappt und helfen zum Beispiel dabei, die aufbrausende Härte, die repräsentiert werden soll, zu unterstreichen. Schade ist nur, dass diese Demonstrationen weder auf diesem Album noch bei seinem Rap allgemein Standard ist, bereichern würde es diesen ungemein. Eine extra Erwähnung muss hier ein bestimmtes Rap-Stilmittel erhalten, welches der Banger im deutschsprachigen Raum geprägt hat wie kein anderer: den Spit. Auch wenn es langsam schwierig wird, nachzuvollziehen, um das wievielte "Bitte Spitte" es sich mittlerweile handelt, es gehört einfach eines auf dieses Album. "Bitte Spitte Toi Lab" ist als Gesamtwerk wirklich positiv hervorzuheben und stellt den besten Track auf dieser LP dar; nicht nur wegen des Spittens, sondern auch wegen der Hook, in der Farids Stimme zu der Aggressivität aufläuft, nach der ein solcher Track verlangt. Gleichzeitig profitiert jene Hook von dem schön anzuhörenden Reimschema, welches sie noch einmal eingängiger macht. Das Spitten ist Farids Steckenpferd und es wirkt so, als fühle er sich hier auch am Wohlsten. Dass er die Betonungen beim Spitten mittlerweile sehr gelungen platziert, verwundert auf Grund seiner Erfahrung in diesem Bereich kaum.


    Eine zentrale Rolle im Konzept des Banger-Raps übernehmen die Beats. Sie unterstützen den Künstler und kreieren die enorm wichtige Atmosphäre. Diese sind auf dieser Platte so wie erwartet: Es ist der typische Banger-Sound, der hier wirklich solide ausproduziert ist. Keiner der Beats wirkt so, als sei er in Kürze entstanden – ganz im Gegenteil. Dramatische Chorgesänge im Hintergrund und ein treibender Bass in typischer Farid-Manier waren schließlich zu erwarten. Der Sound erinnert insgesamt stark an "JBG 2" – ist vielleicht noch ein kleines bisschen elektronischer und in der hier vorliegenden Form definitiv passend zur Stimmung, die verbreitet werden soll. Man bekommt den Eindruck, dass auf den aggressiven, nach vorne preschenden Tracks der Album der Sound gefunden wurde, der ideal zu dem Düsseldorfer passt. Dies fällt auch im Vergleich zu den vorherigen Solo-Releases auf: Alles wirkt ein bisschen reifer und noch mehr auf den Künstler abgestimmt. Es stellt sich jedoch ein zentrales Problem dar: Bis auf die Ausnahmen, welche die nachdenklichen Tracks darstellen, sind die hinterlegten Beats komplett austauschbar. Die daraus resultierende Monotonie hinsichtlich des Klangs schmälert den Wiedererkennungswert der Tracks merklich. Wegen eines besonders lange im Ohr bleibenden Beats wird keiner der Anspielpunkte in Erinnerung bleiben. Einzig "Maskuliner" stellt diesbezüglich eventuell eine Ausnahme dar, da der Beat hier besonders imposant und einprägsam ist.


    "Wir sind deine Peiniger/
    In meiner Welt liegt der Wert einer Frau bei 'nem Dreißiger/
    An die Clubrapper verteilen wir Schusstreffer/
    Joe Pesci und De Niro, wir sind Goodfellas/
    "
    (Farid Bang auf "Goodfellas")


    Auch die Features seien hier erwähnt: Bushido knüpft nahtlos an die Härte seines letzten Releases an, was natürlich gut in das Konzept von "Killa" passt. Die beiden Rapper harmonieren durchaus: Sie repräsentieren in ihren Tracks eine sehr ähnliche Attitüde und profitieren beide von ihren markanten Stimmen. Der Sound des Kollabo-Tracks erinnert an das erst kürzlich erschienene "Gangsta Rap Kings". Kollegah an Farids Seite zu hören ist natürlich nichts Neues mehr, doch warum soll man als bewährtes Team nicht einen Track auf dieser Solo-Platte zum Besten geben – vollkommen legitim. Leider bleibt Kollegah hinter seinen Möglichkeiten zurück. Aus der mittlerweile beachtenswert großen Menge an Tracks der beiden sticht "King & Killa" nicht heraus. Die restlichen Gastbeiträge bleiben wenig bis gar nicht in Erinnerung. Dass einige von ihnen in Form von Gesangshooks eingebaut wurden, ist auch nicht verwunderlich – das geschah schließlich bereits auf früheren Releases.


    Fazit:
    "Killa" ist keine Überraschung. Es steht Farid Bang drauf und es ist Farid Bang drin. Als Banger-Album ist es definitiv gelungen, einige der Anspielpunkte zeigen, dass sich Farid im Vergleich zu früheren Alben ein nicht unbedeutendes Stück weiterentwickelt hat: Die Gesamtatmosphäre ist stimmiger und er besinnt sich auf diesen Tracks seiner Stärken. Hier ist der Entertainment-Faktor am Höchsten und diesbezüglich steht "Killa" seinen Vorgängern in nichts nach. Diesen großen Pluspunkten für das Album steht jedoch entgegen, dass die soeben gelobten Tracks auf "Killa" nicht in der großen Mehrheit sind. Neben den starken Nummern stehen eben auch einige Songs, die wenig bis gar nicht nachwirken und sich in keiner Form besonders auszeichnen. Es sind einige Titel dabei, die in meiner Fitnessstudio-Playlist landen und ihren Zweck bestimmt erfüllen werden. Fans des Humors und Fans der Attitüde werden "Killa" wahrscheinlich mehr abgewinnen können und durchaus auf ihre Kosten kommen. Sie bekommen schließlich ihren Banger, wie sie ihn kennen. Die vermutlich großen Unterschiede bei der Rezeption des Albums liegen schlicht und ergreifend darin begründet, dass der Künstler und sein Rap seit jeher polarisieren. Die eigene Meinung hierzu wird man nach dem Hören von "Killa" vermutlich nicht ändern – es ist eben 100 Prozent Farid Bang.



    GameofMo

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    01. H.A.Z.E.
    02. Die Reise geht los
    03. Hoch
    04. Nicht verstanden
    feat. Manuellsen
    05. Alles ist gut
    06. W.Z.L.L.A.B.
    feat. KC Rebell
    07. Medina
    08. Unsere Taten
    09. Kamagra
    feat. KC Rebell & Summer Cem
    10. 1 Stunde Ruhm feat. Hamad 45
    11. Iranis feat. Fard & Mosh36
    12. Unbekannter Teilnehmer
    13. Letzte Nacht
    14. Warum
    feat. Kianush
    15. Falken 2
    16. Für immer loyal
    17. Lass los
    feat. Mehrzad Marashi
    18. Outro


    Wie bei kaum einem anderen Rapper fiel es mir bei dem Essener PA Sports immer schon schwer zu entscheiden, was ich von seiner Musik halten soll. Irgendwie war mein Bild von ihm etwas zwiegespalten. Daher bestand die Hoffnung, dass die neue Soloplatte helfen würde, mir eine differenziertere Meinung über ihn zu bilden. Besagtes Release "H.A.Z.E." ist entgegen der ersten Vermutung kein Album, das sich mit dem Konsum gewisser Substanzen beschäftigt, der Name steht vielmehr als Abkürzung für "Hoffnung. Anfang. Zerstörung. Ende." Aus diesem Titel leitet sich laut Aussagen des Künstlers auch der Aufbau des Albums ab: Das "H" und das "A" werden durch die ersten neun Tracks, "Z" und "E" dementsprechend durch die neun Titel danach repräsentiert. Es bietet sich an, diese Aufteilung als Leitfaden für eine Review zu nehmen, da sich doch gravierende Unterschiede zwischen den beiden Albumhälften zeigen.


    "Menschen sind daran gewohnt, zu hassen/
    Immer dann, wenn die anderen was Großes schaffen/
    Aber, Bruder, mittlerweile ist mein Fokus Lachen/
    Ich sitz' im Benz und ich kann über dein' Focus lachen/
    "
    (PA Sports auf "Alles ist gut")


    Die Atmosphäre, die der erste Teil vermittelt, ist geprägt von einer Stimmung zwischen Aufbruch und Zufriedenheit, zwischen Motivation und vielleicht sogar guter Laune. Eine fundamentale Rolle spielen hierbei die treibenden Beats, die durchweg elektro- und synthielastig sind. Dass es sich bei PA Sports um einen begnadeten Techniker handelt, lässt sich schon nach wenigen Minuten nicht leugnen. Ausgefeilte Reime und vor allem sein solider Flow, gepaart mit der unverkennbaren Stimme, kennzeichnen seinen Stil. Doch ab und an klingt eine in thematischer Hinsicht nachdenkliche Note durch ("Denn all das Gerede über Gerechtigkeit und Perspektive war ein Witz" – PA Sports auf "Nicht verstanden“). Die Themen Integration und kritische Gesellschaftbetrachtung werden gelungen präsentiert, denn PA beweist die Fähigkeit, seine offenbar scharfe Beobachtungsgabe auch lyrisch umzusetzen und seine Meinung authentisch zu vermitteln. Was dem Track "Nicht verstanden" einen Abbruch tut, ist die von Manuellsen eingesungene Hook, die beim ersten Hören noch einigermaßen gut ins Ohr geht, beim zweiten Mal aber schon stark an den Nerven zehrt und zumindest bei mir mittlerweile für einen Skip sorgt. Schuld daran ist, dass sie zum einen außergewöhnlich oft wiederholt wird und zum anderen Manuellsens Stimme sehr hoch eingesungen wurde und wenig melodische Vielfalt zeigt. Die Features auf "H.A.Z.E." sind generell so eine Sache. Bis auf den Gastauftritt des ebenfalls aus Essen stammenden Hamad 45 und vielleicht noch der von Kianush bleiben die Feature allesamt hinter dem Hauptkünstler zurück und schaffen es nicht, dieses Album zu bereichern. Es entsteht einfach nicht die Harmonie, die erforderlich ist, wenn eine Kollaboration auf den Hörer gelungen wirken soll. Dies liegt an dem eigentlich ja sehr positiven Fakt, dass PA Sports selbst einen technisch überdurchschnittlichen Standard setzt, den die meisten seiner Gäste aber nicht erreichen. Die beiden erwähnten Ausnahmen profitieren vor allem von ihren markanten Stimmen und der Tatsache, dass ihr Flow etwas anders, aber zugleich nicht schlechter als der von PA Sports ist. Dies sorgt dafür, dass die jeweiligen Tracks im Gesamtbild sehr stimmig wirken. Besonders negativ fällt dagegen KC Rebell auf, dessen Beiträge manchmal nichts anderes als ein Kopfschütteln bei mir verursachen können. Weder inhaltlich noch in Sachen Technik oder Unterhaltungsfaktor weiß er auf dieser Platte zu überzeugen. Positiv stechen auf der ersten Hälfte des Albums in jedem Fall "Hoch" und "W.Z.L.L.A.B." hervor – zweitgenannter Track allerdings nur bis zu KC Rebells Einsatz. Beide profitieren von enorm eingängigen Beats, die stark nach vorne gehen und es schaffen, die ausgedrückte Motivation und den Ehrgeiz musikalisch umzusetzen. Sie stellen auch insofern eine Ausnahme dar, als dass die gesungenen Hooks, die auf "H.A.Z.E." praktisch Standard sind, hier passender klingen als bei den anderen Anspielpunkten. Nicht selten wünsche ich mir eine klassisch gerappte Hook, die wahrscheinlich in den meisten Fällen die Atmosphäre besser hätte weitertragen können. Generell sind die ersten neun Tracks in technischer Hinsicht absolut solide, doch leider geht es auch nur selten über solide hinaus. Hin und wieder bringt PA zwar außergewöhnlich starke Passagen, die sind allerdings nicht die Regel. Man merkt somit zugegebenermaßen, wie viel Potenzial in ihm als Rapper steckt, doch er schafft es nicht, dieses dauerhaft zu entfalten. Er bleibt große Strecken hinter seinen eigenen Möglichkeiten zurück und es zeigt sich keine signifikante Steigerung im Vergleich zu den Vorgänger-Releases. Es entsteht zudem der Eindruck, als passe es einfach nicht so wirklich zu PA Sports, davon zu rappen, wie toll sein Leben als mittlerweile vermögender Mann ist und andauernd mit seinem Benz anzugeben, wenn man bedenkt, dass er auf früheren Releases noch davon gerappt hat, dass er nie wie die anderen Rapper sein wolle.


    "Guck, ich bring' den Sound, der meine Straße fliegen lässt/
    So viele Hunde haben sich verkauft in dem Musikgeschäft/
    Ich wollte weg von hier, doch ich bin immer noch da/
    Ich bin für immer loyal, für immer loyal/
    "
    (PA Sports auf "Für immer loyal")


    Der zweite Teil des Albums geht mit einem radikalen Bruch weg von der optimistischen, positiven Stimmung der vorherigen Tracks und ist letztlich eher das, was man von dem Essener kennt. Eingeläutet wird diese zweite Hälfte mit dem Track "Kamagra". Die Frage, die sich beim Hören stellt, ist schlicht und ergreifend: Was soll das? Es handelt sich um größtenteils stumpfes, belangloses Gerappe über erigierte Körperteile. KC Rebell schafft es erneut aus den bereits oben erwähnten Gründen, nicht zu überzeugen; auch Summer Cems Part fügt der Darbietung nichts wirklich Neues hinzu und fällt dadurch wenig bis gar nicht auf. Bis auf manche Stellen, die PA vorträgt, ist der Track einfach nicht unterhaltsam – und das ist ja eigentlich genau das, was ein Track dieser Art sein muss. Denn warum sonst sollte man sich anhören, wie mehrere Rapper ihre Glieder in den Himmel loben? Auf diesem Tiefpunkt des Albums folgt dann zum Glück das hörenswerte "1 Stunde Ruhm", auf dem mit dem Beitrag des bei Ruhrpott Illegal unter Vertrag stehenden und durch Fard bekannt gewordenen Hamad 45 das beste Feature der Platte zu finden ist. PA Sports selbst ist mindestens ebenso stark und beide harmonieren sehr gut auf dem eher zurückhaltenden, im Hintergrund agierenden Beat, der dem Rap der beiden viel Raum gibt. Besonders der Flow der Künstler weiß zu überzeugen. Man merkt wieder einmal, dass PA Sports wirklich Potenzial hat, es ihm aber auch hier nicht gelingt, das sonst konstant hohe Niveau zu halten. Zurück in altbekannten Gefilden demonstriert der Künstler dann jedoch endlich wieder seine Stärken: Natürlich kann es kein Album des Esseners ohne Tracks über Probleme mit Frauen geben. Was man ihm schon immer anrechnen musste, war, dass er es schafft, diese Art von Track nicht in schnulzigen Standard abdriften zu lassen. Das gelingt ihm auch auf diesem Release. Der Rap wirkt authentisch, Aussage und Stimmung werden gut transportiert. Eine Harmonie zwischen Rap und Atmosphäre durch Auswahl des passendsten Flows zu kreieren, ist eines seiner überzeugendsten Talente. An "Warum" zeigt sich dann aber das generelle Problem der zweiten Albumhälfte. Es ist zwar inhaltlich eher das Terrain, auf dem sich der Künstler früher heimisch fühlte, dafür ist aber die Umsetzung nicht so überzeugend. Im Gegensatz zu älteren Arbeiten gelingt es PA Sports nicht, den Hörer in seinen Bann zu ziehen und zu fesseln. Vielleicht sorgen auch gerade die hohen Erwartungen, die an einen wirklich talentierten Rapper bei seinem nunmehr vierten Solo-Album gestellt werden, dafür, dass sich stellenweise Enttäuschung breit macht. Denn: Es fehlt einfach dieser bleibende Eindruck. Es fehlt der Grund, sich das Album wieder und wieder anzuhören. Hin und wieder finden sich einzelne Perlen, doch auf "H.A.Z.E." überwiegt leider das Durchschnittliche.


    Sich von den bewährten Pfaden zu entfernen, erfordert Mut und kann sich auszahlen. In diesem Fall ist es aber so, dass mehr von PAs altem Stil dem Album gut getan hätte: Mehr von der Kämpfer-Attitüde, mehr von der "Ich wollte nie sein wie ihr"-Einstellung. Das Klangbild hat sich nicht grundlegend geändert, wieder einmal spielt Joshimixu eine entscheidende Rolle im Hintergrund. Doch das Gesamtprodukt wirkt auf der musikalischen Ebene stringenter umgesetzt und ausgefeilter produziert, das muss man "H.A.Z.E." in jedem Fall anrechnen. Die musikalische Weiterentwicklung manifestiert sich vor allem in den gesungenen Hooks, die dem Release in den meisten Fällen jedoch leider nicht gut tun. An der Raptechnik des Künstlers lässt sich grundsätzlich wenig kritisieren, auch wenn er zu mehr fähig ist, als er auf diesem Release zeigt. Dass der Flow des Esseners variationsreich ist und sich positiv vom Durchschnitt abhebt, zeigt sich regelmäßig, aber eben nicht häufig. Die geänderte Herangehensweise an das Album, nicht von einem gegebenen Thema auszugehen, sondern das Musikmachen voranzustellen, war eventuell einfach nicht die beste Wahl.


    Fazit:
    PA Sports' Fähigkeiten als Rapper haben sich auch auf diesem Album wieder einmal gezeigt und unterstreichen, warum es sich bei ihm um einen Künstler handelt, dessen Musik man schon einmal gehört haben sollte. Doch Tracks, die in all den Aspekten, die guten Rap ausmachen, überzeugen können, sind auf diesem Release leider nur in sehr limitierter Zahl zu finden. Es handelt sich ohne Frage um wirklich gut produzierten und musikalischen Rap. Und es ist immer zu bedauern, wenn man die Veränderungen, die ein Künstler in seiner Musik vornimmt – hier seien vor allem noch einmal die gesungenen Hooks erwähnt –, kritisiert und sich von ihm wünscht, zu dem zurückzukehren, was ihn eigentlich ausmacht. Aber genau das ist das, was mir nach mehrmaligem Hören von "H.A.Z.E." in den Sinn kommt. Wenige der Tracks bleiben im Kopf hängen. Man erinnert sich zwar im Nachhinein daran, dass PA Sports ein talentierter Rapper ist und ein paar wirklich schöne Beats dabei waren, aber das war es dann leider auch schon fast. Meine Meinung zum Essener ist also immer noch zweigeteilt – daran hat auch "H.A.Z.E." nichts geändert.



    (GameofMo)

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    01. Türen (Interlude)
    02. XO
    03. Flur (Interlude)
    04. Problem
    05. Treppe (Interlude)
    06. Alleinsam
    07. Dach (Interlude)
    08. Signal
    09. Kopfvilla


    Es ist äußerst beeindruckend zu sehen, wie schnell ein einziger Track die Aufmerksamkeit etablierter Künstler erregen kann. Genauso ist es dem erst 17-jährigen Sierra Kidd ergangen. Sein noch junges Alter spiegelt sich allerdings weder in Interviews noch in seiner Musik wider. Ganz im Gegenteil. Bei der Auseinandersetzung mit dieser EP hilft es, ein bisschen von Sierra Kidds Vorgeschichte zu kennen. Seine Jugend war offenbar geprägt von Konflikten mit Gleichaltrigen und einem Gefühl der Unzugehörigkeit. Solch schwere Erfahrungen müssen irgendwann aufgearbeitet werden. Als Medium hierfür wählte er die Musik und lädt nun zu einer Führung durch seine "Kopfvilla" ein. Die Struktur der EP macht sie zu einem Werk, bei dem der Shuffle-Button deaktiviert sein sollte.


    Die Führung beginnt bei den "Türen". Der Hörer erhält ein kurzes Briefing über den Konflikt zwischen dem Interpreten und einer Frau, der dann in "XO" ausgeführt wird. Vor einem musikalischen Klangteppich, der vor allem das Gedankenverlorene betont, zeigt Sierra zum ersten Mal, auf was für einen Stil sich der Hörer einzustellen hat. Auch die "normalen" Tracks der EP wirken wie eine Erzählung, lediglich mit musikalischer Untermalung. Das Problem, dass die Vortragsweise zu einem dauerhaften Eindruck von Monotonie führt, wird durch technische Finessen in Angriff genommen. So werden teilweise sehr lange Zeilen mit nur kurzer Betonung am Ende eingefügt. Leider schaffen es solche Besonderheiten nicht immer, das Dahingeplätscher der Strophen aufzulockern. "XO" zeigt definitiv, dass es sich bei Sierra Kidd um einen Rapper mit besonderen lyrischen Fähigkeiten handelt. Doch der Sprung von starken Texten zu gelungenen Songs gelingt leider nicht immer. Stattdessen entsteht mitunter ein doch etwas gewöhnungsbedürftiges Resultat. Vor allem der Anfang der EP zeigt, dass wenig Wert darauf gelegt wird, den Hörgenuss zu maximieren oder massentaugliche Musik zu produzieren. Das führt allerdings dazu, dass man sich zu manchen Texten, die konstant ein hohes Niveau halten, einfach eine lebendigere Betonung wünscht.


    "Sag zu allen Leuten: 'Fuckt mich nicht ab!'/
    Alles, weil ich so enttäuscht bin, was dich betraf/
    Und hab' ich doch ein Problem wegen dir/
    Dann erzähl' ich es einfach den ganzen Freunden, die ich nicht hab'/
    "
    (Sierra Kidd auf "XO")


    Die nächsten Schritte durch die "Kopfvilla" machen wir im "Flur". Geschildert wird das Abschotten, das Sich-Wappnen gegen weitere Eindringlinge von außen: Introvertiertheit als Schutzmechanismus. Dieses Muster durchzieht die gesamte EP: Die verschiedenen Aspekte der Vergangenheit des Emdeners, die nach und nach behandelt werden, sind sehr nachvollziehbar geschildert – wie in einer Charakterstudie, die jedem zugänglich ist und trotz ihrer teils komplizierten Ausdrucksweise jedem das vermitteln kann, was sie vermitteln soll. Die weiteren Folgen für sein alltägliches Leben schildert Sierra Kidd auf "Problem", das stark von Tua als Produzent profitiert. Der Track ist ein weiteres Puzzlestück im Gesamtbild von Sierra Kidds Innerem, das sich der Hörer langsam erschließen kann. Einige der zuvor angeführten Kritikpunkte greifen hier bereits nicht mehr. Nach und nach weicht er innerhalb der ersten Strophe vom Monotonen ab und macht den Track deshalb zu einem in sich konsequenten und vielseitigen Stück. Es finden sich Variationen im Reimschema und im Flow, die sich gut an den Beat schmiegen. Dieser ist hier eher simpel gehalten. Es braucht aber auch nicht mehr als den unaufdringlichen und vielleicht gerade deshalb sehr eingängigen Gitarrensound im Hintergrund, um eine passende Atmosphäre zu schaffen. Charakteristisch ist, dass die Gitarren nachhallen und fließend ineinander übergehen, wodurch kontinuierlich für einen Klangteppich im Hintergrund gesorgt wird.


    Auf unserer Führung haben wir mittlerweile schon die "Treppe" erreicht. Beeindruckend ist vor allem, wie sich der Künstler in den retrospektiven Betrachtungen über sich selbst erhebt, sich selbst nicht von Reflexion ausnimmt und die eigene Urteilsbildung sehr analytisch erfolgt. Genauso kann dies jedoch auch als viel zu verkopft empfunden werden. Teile von "Kopfvilla" sind alles andere als massentauglich. "Alleinsam" setzt den positiven Trend fort. Zum einen scheinen die Lyrics immer ausgefeilter zu werden ("Leben in der Wüste ist okay, ist man ein Dromedar", Sierra Kidd auf "Alleinsam"), zum anderen wird die Harmonie zwischen Text, Beat und Rap immer größer, je weiter man auf der EP kommt. Das moderne Klangbild bleibt kontinuierlich erhalten und wirkt zu keiner Zeit überladen. Denn auch bei den facettenreicheren Beats, bei denen sich verschiedene Klänge überlagern, wird dem Rap der Raum gelassen, den er braucht. Der Fokus bleibt auf den Texten und das ist auch gut so. Der charakteristische Gitarrenhall durchzieht jedoch das gesamte Werk und passt gut zu Sierras Rap, dem ohne Hall etwas fehlen würde. Die eher gesungenen Hooks passen viel besser in das Gesamtkonzept der Tracks als diejenigen, die mehr an eine Vorlesestunde erinnern. Nachdem Sierra Kidd auf dem "Dach" zu der Erkenntnis kommt, dass sein zerrüttetes Inneres ein Teil von ihm ist, der nicht ausgelöscht werden muss, sondern mit dem gelernt werden muss, umzugehen, bleiben nur noch zwei Tracks zu hören. Diese haben es jedoch in sich. Auf "Signal" entwirft er das Bild der perfekten Freundin oder Frau, auf deren Erscheinen er wartet. Es handelt sich um einen Traum, eine Wunschvorstellung, die sich bisher nicht erfüllt hat. "Signal" grenzt sich vor allem auch insofern vom vorherigen Teil der EP ab, als dass eine sehr melodische Untermalung durch RAF Camora zusammen mit dem im Vergleich etwas gängigeren Thema beste Voraussetzung für den Zugang zu einer größeren Hörerschaft bietet. Es handelt sich um einen unglaublich stimmigen Track. Die technischen Variationen wirken durchweg passend und sind gekonnt in den Rap eingepflegt, sodass sie einem vermutlich erst auffallen, wenn man bewusst darauf achtet.


    "Fühlt sich an, als würd' ich grade über Tellerminen geh'n/
    Komm, ich bustabier' dir Hass, ist ganz einfach: L-I-E-B-E/
    "
    (Sierra Kidd auf "Kopfvilla")


    Das große Finale der EP ist der gleichnamige Track "Kopfvilla". Sierra Kidd verabschiedet sich vom Einstecken, vom Zurückziehen in seine Gedanken, vom Anderen-Menschen-Ausweichen. Gleichzeitig handelt es sich um eine Zusammenfassung der vorherigen Auseinandersetzung mit sich selbst, seinen Beziehungen und seinem Blick auf Beziehungen zwischen Menschen generell. Vor ihm steht kein separates Interlude, die kurze Erzählpassage ist hier einfach an den Anfang des Tracks gesetzt. Dies wurde vielleicht deshalb so gehandhabt, weil es sich letztlich um ein in sich geschlossenes Stück handelt. Es ist sowohl das Finale der EP als auch selbst ein kleines Kunstwerk. Dass es sich meines Erachtens nach um den stärksten Anspielpunkt auf dieser EP handelt, resultiert daraus, dass hier die Kritikpunkte, die zuvor angeführt wurden, nicht oder kaum greifen und sich hier auch in lyrischer Hinsicht die stärksten Parts finden. Hinzu kommt das perfekt passende Sample von The xx's "Angels". Zusammen mit der wunderbar exerzierten technischen Finesse verwundert es nicht, dass eben gerade "Kopfvilla" die Aufmerksamkeit etablierter Deutschrap-Größen nach sich zog und Sierra Kidds Karriere beflügelte. Flow und Beat verschmelzen, Melodie und Stimme harmonieren perfekt. Ein ganz, ganz starkes Ding.


    "Ich hasse Konflikte in meiner Kopfvilla/
    Sie wirbeln den Hausstaub auf/
    Und im Grunde genommen sind alle Leute, die reden wollen/
    Nur Putzen dafür, die was aus meinem Traumhaus klau'n/
    "
    (Sierra Kidd auf "Kopfvilla")

    Fazit:
    "Kopfvilla" ist eine Charakterstudie, durchgeführt vom Betrachteten selbst. Und unausweichlich ist dies ein sehr verkopftes Werk. Vor allem diejenigen, die selbst dazu neigen, ihren inneren Konflikten in Form von Musik oder Texten Ausdruck zu verleihen, werden sich von dieser EP angesprochen fühlen. Für Hörer auf der Suche nach Hintergrundmusik für das nächste gemütliche Beisammensitzen eignet sich vermutlich nur "Signal". Aber das ist eben auch nicht der Anspruch des Künstlers. Stellenweise geht das Eingängige der Musik vielleicht etwas zu sehr verloren, manchmal ist alles vielleicht etwas "zu" verkopft. Aber das muss dem Ganzen keinen Abbruch tun. Im Laufe der EP steigert sich Sierra Kidd sukzessive von Track zu Track. Für den Hörer wirkt es so, als habe der Interpret nach und nach zu seinem eigenen Stil gefunden. Stellenweise merkt man schon, dass es ihm noch etwas an Erfahrung mangelt, dass er sicherlich auch noch etwas experimentieren muss, bis alles vollends harmoniert, doch trotzdem ist die EP für ein Debüt außergewöhnlich stark. "Kopfvilla" ist sicherlich Geschmackssache. Die Fertigkeiten, über die dieses Talent verfügt, lassen sich jedoch kaum bestreiten. Zusammen mit dem Signing bei Indipendenza, dem wir auch dieses Release verdanken, spricht alles dafür, dass wir von Sierra Kidd wohl noch einiges hören werden. Man darf gespannt sein auf das erste große Album. Die Mischung aus Vorleser und Rapper sorgt zusammen mit der atmosphärischen Klangkulisse dafür, dass diese EP trotz der recht kurzen Spielzeit einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen wird, wenn man bereit ist, sich auf die Führung durch die "Kopfvilla" einzulassen.



    (GameofMo)

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