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Unternehmensinteressen und moralische Erpressung
Offene Grenzen haben kein öffentliches Mandat, trotzdem finden Einwanderungspolitiken, die die Kosten ihrer Durchsetzung auf die Arbeitgeber und nicht auf Migranten abwälzen, überwältigende Unterstützung. Laut einer Umfrage der Washington Post und ABC News ist die Unterstützung für die Verpflichtung zur Nutzung des Bundesarbeitsüberprüfungssystems (E-Verify), das die Ausbeutung illegaler Arbeitskräfte verhindern würde, mit fast 80 Prozent mehr als doppelt so hoch wie die Unterstützung für den Bau einer Mauer an der mexikanischen Grenze.[11]
Warum also drehen sich Präsidentschaftskampagnen um den Bau einer riesigen Grenzmauer? Warum drehen sich die aktuellen Migrationsdebatten um umstrittene Taktiken der Behörden, Migranten ins Visier zu nehmen – vor allem, wenn die humanere und populärere Methode, nämlich die Arbeitgeber zu zwingen, legale Arbeitskräfte einzustellen, auch noch die effektivste ist?[12] Die Antwort ist, dass Wirtschaftslobbys seit Jahrzehnten Bemühungen wie E-Verify blockieren, während die No-Border-Linke jede ernsthafte Diskussion über diese Themen aufgegeben hat.
Vor kurzem blockierten Arbeitgeberorganisationen wie die Western Growers Association und die California Farm Bureau Federation einen Gesetzentwurf, der E-Verify zur Pflicht gemacht hätte.[13] Die Demokraten schienen in dieser Debatte völlig abwesend zu sein. Infolgedessen werden Arbeitnehmer aus von der US-Agrarindustrie verwüsteten Volkswirtschaften weiterhin mit dem Versprechen auf Arbeit eingeladen, um illegal ausgebeutet zu werden. Da diesen Nichtbürgern die vollen gesetzlichen Rechte fehlen, ist auch deren gewerkschaftliche Einbindung unmöglich.
Inzwischen ist es allgemeiner Konsens unter Befürwortern offener Grenzen und Mainstream-Kommentatoren, dass es keine Migrantenkrise gäbe. Aber ob es ihnen gefällt oder nicht – die Gesellschaften radikal verändernde Massenmigration ist auf der ganzen Welt bei der Mehrheit der Menschen unbeliebt. Und die Menschen, bei denen sie unbeliebt ist, haben ein Wahlrecht. So stellt die Migration zunehmend eine für die Demokratie grundlegende Krise dar. Jede politische Partei, die regieren will, muss entweder den Willen des Volkes akzeptieren, oder sie muss den Dissens unterdrücken, um die Agenda der offenen Grenzen durchzusetzen.
Viele Mitglieder der libertären Linken gehören zu den aggressivsten Befürwortern der letzteren Methode. Die Migrationsexpansionisten haben so zwei Schlüsselwaffen. Eine davon sind die großen Geschäfts- und Finanzinteressen. Die andere, die von den linksgerichteten Einwanderungsbefürwortern fachkundig eingesetzte moralische Erpressung und öffentliche Scham. Zwar haben diese Recht, wenn sie die Misshandlung von Migranten moralisch kritisieren. Viele Menschen sind besorgt über zunehmenden Rassismus, der oft mit der migrationskritischen Stimmung einhergeht. Doch die Position der offenen Grenzen entspricht nicht einmal ihrem eigenen erklärten Moralkodex.
Es gibt viele wirtschaftliche Vor- und Nachteile einer hohen Einwanderung. Aber es ist wahrscheinlicher, dass sie sich negativ für geringqualifizierte und niedrigbezahlte einheimische Arbeitskräfte auswirkt und gleichzeitig wohlhabendere einheimische Arbeitskräfte und den Unternehmenssektor begünstigt. Laut George J. Borjas fungiert sie als eine Art Umverteilung des Vermögens von unten nach oben.[14] Eine Studie der National Academy of Sciences mit dem Titel „The Economic and Fiscal Consequences of Immigration“ aus dem Jahr 2017 kam zu dem Ergebnis, dass die aktuelle Einwanderungspolitik unverhältnismäßig negative Auswirkungen auf Arme und Minderheiten in den USA hat.
„Ich glaube, wenn wir Millionen hart arbeitender Einwanderer haben, die zu unserer Wirtschaft beitragen, wäre es selbstzerstörerisch und unmenschlich, sie rauszuwerfen“, sagte Hillary Clinton in einer öffentlichen Rede.[15] In einer durchgesickerten Privatrede vor lateinamerikanischen Bankiers ging sie weiter: „Mein Traum ist ein hemisphärischer gemeinsamer Markt, mit offenem Handel und offenen Grenzen, irgendwann in der Zukunft mit Energie, die so grün und nachhaltig wie möglich ist.“[16] Obwohl sie später behauptete, dass sie nur offene Grenzen für Energie meinte, erzürnte diese Aussage natürlich die immigrationsfeindliche Rechte aus dem Trump-Lager.
Doch vielleicht sind die Übereinstimmungen zwischen der No-Border-Linken und der „respektablen“ geschäftsfreundlichen Rechten, wie sie durch Clintons Bemerkungen verkörpert wird, aufschlussreicher. In Antwort auf Trumps „Nationalismus“ schrieb Jay Cost jüngst in der National Review: „Um die Dinge unverblümt auszudrücken, müssen wir uns nicht gegenseitig mögen, solange wir weiterhin Geld mit einander verdienen. Das ist es, was uns zusammenhält.“ In diesem monströsen Sub-Thatcherismus klingen die Buckleyaner (Anm. d. R.: nach dem konservativen Journalist und Autor William F. Buckley Jr.) genau wie die liberalen „Kosmopoliten“ – nur ohne den Glamour oder das Flair der moralischen Selbsttäuschung.
Als Kind von Migranten und jemand, der den größten Teil seines Lebens in einem Land mit anhaltend hoher Auswanderung – Irland – verbracht hat, habe ich die Migrationsfrage immer anders gesehen als meine wohlmeinenden Freundejenseits des Atlantiks. Als Irland Austerität und Arbeitslosigkeit heimsuchten – nachdem 2008 Milliarden öffentlicher Gelder zur Rettung des Finanzsektors verwendet wurden –, beobachtete ich, wie meine gesamte Peergroup wegging und nie wieder zurückkehrte. Das ist nicht nur eine technische Angelegenheit. Es berührt das Herz und die Seele einer Nation – wie ein Krieg. Es bedeutet das ständige Ausbluten einer Generation, die normalerweise eine Gesellschaft neu gestaltet.
In Irland gab es, wie in jedem Land mit hohem Migrationsgrad, immer wieder Anti-Emigrationskampagnen und -bewegungen, angeführt von der Linken, die in Zeiten der Rezession Vollbeschäftigung forderten. Selten aber sind sie stark genug, um den Kräften des globalen Marktes standzuhalten. Unterdessen sind die verantwortlichen und nervösen Eliten, die in einer Zeit der Wut walten, nur allzu glücklich darüber, dass eine potenziell radikale Generation über die ganze Welt verstreut ist.
Ich bin immer wieder erstaunt über die Arroganz und die seltsam imperiale Mentalität jener britischen und amerikanischen Progressiven, die offene Grenzen befürworten. Sie glauben, dass sie einen Akt der aufgeklärten Nächstenliebe vollbringen, wenn sie Doktoranden aus Osteuropa oder Mittelamerika „begrüßen“, die sie dann herumfahren, um ihnen Essen servieren zu dürfen. In den wohlhabendsten Nationen scheint die Befürwortung offener Grenzen als fanatischer Kult unter wahren Gläubigen zu funktionieren.
So wird ein Produkt des Big Business und der Lobbyarbeit für den freien Markt von einer größeren Gruppe der urbanen Kreativ-, Technologie-, Medien- und Wissenswirtschaftsklasse mitgetragen. Sie dient dabei ihren eigenen objektiven Klasseninteressen, indem sie ihren kurzlebigen Lebensstil billig und ihre Karriere intakt hält, während sie die institutionalisierte Ideologie ihrer Industrien nachahmen. Doch die Wahrheit ist, dass es sich bei der Massenmigration um eine Tragödie handelt. Und deren Moralisierung durch die obere Mittelschicht ist eine Farce.
Vielleicht können es sich die Superreichen leisten, abgeschottet in der grenzenlosen Welt zu leben, für die sie sich so aggressiv einsetzen. Aber die meisten Menschen brauchen und wollen ein kohärentes, souveränes politisches Organ, um ihre Rechte als Bürger zu verteidigen.
Immigranten verteidigen, systemischer Ausbeutung entgegenwirken
Wenn offene Grenzen „ein Vorschlag der Koch-Brüder“ sind, wie könnte dann eine authentische linke Position zur Einwanderung aussehen? Anstatt Milton Friedman den Weg zu bahnen, sollte sich die Linke an ihren eigenen langen Traditionen orientieren. Die Progressiven müssten die systemische Ausbeutung als Wurzel der Massenmigration angehen, anstatt sich auf einen flachen Moralismus zurückzuziehen, der diese ausbeuterischen Kräfte legitimiert.
Das bedeutet nicht, dass Linke Ungerechtigkeiten gegenüber Einwanderern ignorieren sollten. Sie sollten Migranten energisch gegen unmenschliche Behandlung verteidigen. Gleichzeitig muss jede aufrichtige Linke eine harte Linie gegen die Unternehmens-, Finanz- und anderen Akteure einschlagen, die die verzweifelten Umstände der Massenmigration schaffen (und die wiederum die populistische Reaktionen gegen sie hervorruft).
Nur eine starke nationale Linke in den kleinen und sich entwickelnden Nationen – die gemeinsam mit einer Linken handelt, die sich für die Beendigung der Finanzialisierung und der globalen Ausbeutung von Arbeitskräften in den größeren Volkswirtschaften einsetzt – könnte Hoffnung auf eine Lösung dieser Probleme haben.
Zunächst einmal muss die Linke aufhören, die jüngste Propaganda des Cato-Instituts zu zitieren, um die Auswirkungen der Einwanderung auf den inländischen Arbeitsmarkt ignorieren zu können. Denn insbesondere die prekär Beschäftigten werden überproportional unter der Erweiterung des Arbeitskräftepotenzials leiden. Die Einwanderungspolitik sollte so konzipiert sein, dass die Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer nicht erheblich beeinträchtigt wird. Dies gilt insbesondere in Zeiten von Lohnstagnation, schwachen Gewerkschaften und massiver Ungleichheit.
In Bezug auf die illegale Einwanderung sollte die Linke die Bemühungen unterstützen, E-Verify verbindlich vorzuschreiben und auf strenge Sanktionen für Arbeitgeber zu drängen, die sich nicht daran halten.
Letztendlich wird die Motivation für die Massenmigration so lange bestehen bleiben, wie die ihr zugrunde liegenden strukturellen Probleme bestehen. Um die Spannungen abzubauen, müssen die Perspektiven der Armen in der Welt verbessert werden. Massenmigration selbst wird dies nicht erreichen: Sie schafft einen Wettlauf nach unten für Arbeitnehmer in reichen Ländern und einen Braindrain in armen Ländern. Die einzige wirkliche Lösung besteht darin, die Ungleichgewichte in der Weltwirtschaft zu korrigieren und das Globalisierungssystem radikal umzugestalten.
Dazu gehören zunächst strukturelle Veränderungen der Handelspolitik, die bisher eine notwendige, staatlich gesteuerte Entwicklung in den Schwellenländern verhindert. Auch arbeitnehmerfeindliche Handelsabkommen wie Nafta müssen bekämpft werden. Ebenso wichtig ist es, ein Finanzsystem zu überwinden, das das Kapital von den Entwicklungsländern hin zu Vermögensblasen in reichen Ländern transferiert.
Schließlich – obwohl die rücksichtslose Außenpolitik der letzten Bush-Regierung diskreditiert ist – scheint die Versuchung, sich an militärischen Kreuzzügen zu beteiligen, weiter zu leben. Auch dem muss entgegengewirkt werden. US-geführte ausländische Invasionen haben Millionen im Nahen Osten getötet, Millionen von Flüchtlingen und Migranten geschaffen und grundlegende Infrastrukturen in der Region zerstört.
Marx‘ Argument, dass die englische Arbeiterklasse die irische Nationalität als potenziellen Komplizen ihres Kampfes und nicht als Bedrohung ihrer Identität betrachten sollte, sollte heute, da wir den Aufstieg verschiedener Identitätsbewegungen auf der ganzen Welt erleben, wieder Beachtung finden. Der tröstende Wahn, dass Einwanderer kommen, weil sie Amerika lieben, ist unglaublich naiv. Die meisten Migranten wandern aus wirtschaftlicher Not aus – und die überwiegende Mehrheit würde es vorziehen, zu Hause bessere Möglichkeiten zu haben, unter der eigenen Familie und Freunden. Aber diese Chance wird durch die heutige Form der Globalisierung zunichte gemacht.
Genau wie die Situation, die Marx in England seiner Zeit beschrieben hat, sammeln Politiker wie Trump ihre Basis, indem sie die Stimmung gegen die Einwanderer schüren, aber sie wenden sich selten, wenn überhaupt, der strukturellen Ausbeutung zu – ob im In- oder Ausland –, die die Ursache der Massenmigration ist. Oftmals verschärfen sie diese Probleme, indem sie die Macht der Arbeitgeber und des Kapitals gegen die Arbeitnehmer erweitern und gleichzeitig die Wut ihrer Unterstützer – oft die Opfer dieser Kräfte – gegen andere Opfer, die Einwanderer, wenden.
In der Zwischenzeit können die linken Verfechter einer Welt ohne Grenzen versuchen, sich selbst davon zu überzeugen, wie radikal sie sind. In der Praxis aber ersetzen sie nur das Streben nach wirtschaftlicher Gleichheit durch eine Politik des Großkapitals, das sich als virtuoser Identitarismus ausgibt.
Amerika, immer noch eines der reichsten Länder der Welt, sollte in der Lage sein, nicht nur Vollbeschäftigung, sondern auch einen existenzsichernden Lohn für alle seine Menschen zu bieten, auch für Arbeitsplätze, von denen die Befürworter der offenen Grenzen behaupten, „Amerikaner werden sie nicht machen“. Arbeitgeber, die Migranten illegal als billige Arbeitskräfte ausbeuten – unter großem Risiko für die Migranten selbst – sollten zur Rechenschaft gezogen werden, nicht die Migranten, die einfach das tun, was die Menschen bei wirtschaftlichen Schwierigkeiten immer getan haben.
Indem sie die Geschäftsinteressen der herrschenden Elite stützt, riskiert die Linke eine schwere existenzielle Krise und treibt immer mehr gewöhnliche Menschen in die Arme rechtsextremer Parteien. In diesem Moment der Krise ist der Einsatz zu hoch, um erneut zu versagen.
Quellenverzeichnis:
[1] Ezra Klein, “Bernie Sanders: The Vox Conversation,” Vox, 28. Juli, 2015.
[2] Jeffrey Miron, “Forget the Wall Already, It’s Time for the U.S. to Have Open Borders,” USA Today, 31. Juli, 2018.
[3] Sam Bowman, “Immigration Restrictions Make Us Poorer,” Adam Smith Institute, 13. April, 2011.
[4] Grover G. Norquist, “Samuel Gompers versus Reagan,” American Spectator, 25. September, 2013.
[5] Bhaskar Sunkara, “What’s Your Solution to Fighting Sexism and Racism? Mine Is: Unions,” Guardian, 1. September, 2018.
[6] David L. Wilson, “Marx on Immigration,” Monthly Review, 1. Februar, 2017.
[7] David Bacon, “Globalization and nafta Caused Migration from Mexico,” People’s World, 15. Oktober, 2014.
[8] Gustavo López, Kristen Bialik, and Jynnah Radford, “Key Findings about U.S. Immigrants,” Pew Research Center, 14. September, 2018.
[9] Kate Tulenko, “Countries without Doctors?,” Foreign Policy, 11. Juni, 2010.
[10] Jason Hickel, “Aid in Reverse: How Poor Countries Develop Rich Countries,” Guardian, 14. Januar, 2017.
[11] “Immigration, DACA, Congress, and Compromise,” Washington Post, 20. Oktober, 2017.
[12] Pia M. Orrenius and Madeline Zavodny, “Do State Work Eligibility Verification Laws Reduce Unauthorized Immigration?,” IZA Journal of Migration 5, no. 5 (Dezember 2016).[13] Dan Wheat, “Ag Groups Split over Latest House Labor Bill,” Capital Press, 17. Juli, 2018.
[14] George Borjas, “Yes, Immigration Hurts American Workers,” Politico, September/Oktober 2016.
[15] Borjas.
[16] Chris Matthews, “What’s Important about the Clinton Campaign’s Leaked Emails on Free Trade,” Fortune, 11. Oktober, 2016.