01. Übertreib nicht deine Rolle feat. Fatoni, Edgar Wasser & Jilet Ayse
02. JuseJu ist tight
03. CSN feat. Fatoni
04. Schachbrett skit
05. Traumstadt feat. Maxi Häcke
06. Ketamin
07. Oh Boy feat. Ebow
08. Slackline
09. Bewerbung
10. Motherfuckin' Grinch
11. Vielleicht
Im Grunde besteht die gesamte Deutschrapszene aus verschiedensten Rollen. Mal in Form einer Maske oder eines speziellen Images, mal handelt es sich nur um die Orientierung an einem gewissen Genre, Thema oder Stil. Egal, ob zwischen Rolle und Privatperson nun extreme Unterschiede liegen oder Kunstfigur und der Mensch dahinter relativ identisch sind, die authentische Einhaltung einer Rolle sorgt für Wiedererkennungswert und eine positive Erwartungshaltung der Fans gegenüber neuen Releases. So erhoffte sich wohl auch "Don't let the label label you"-Host JuseJu für sein neues Album eine positive Resonanz, wenn er nur genügend unterschiedliche Rollen in Form von Featuregästen darauf versammeln könnte. Geradezu peinlich waren dabei seine meist erfolglosen Versuche, die "schlauen, aber roughen Dudes" von Zugezogen Maskulin, die Antilopen Gang als "Erfinder des Deutsch-Punkraps" und den "manchmal etwas schwierigen" Edgar Wasser auf seine Featureliste zu schleimen, zu heucheln und zu kaufen. Ob derartige Fremdschamaktionen auf Selbstüberschätzung oder schlichte Verzweiflung zurückzuführen sind, bleibt ungewiss, doch in jedem Fall möchte man nur den Kopf schütteln und JuseJu klarmachen: Junge, "übertreib nicht deine Rolle"!
"Sei einfach du selbst, es sei denn, du bist uncool/
Dann wär's besser, wenn du dich die Zeit immer verstellst/
Ich bin unsicher und schnell wirke ich dann arrogant/
Aber das bin ich überhaupt nicht – sprich mal mit der Hand/"
(JuseJu auf "Übertreib nicht deine Rolle")
Doch im Ernst, nachdem es raptechnisch in der letzten Zeit etwas ruhiger um Juse war, sorgte die Ankündigung eines neuen Releases in Verbindung mit den extrem witzigen Promo-Videos über die zuvor erwähnte "Feature-Bettelei" natürlich für jede Menge Vorfreude. Um dem Ganzen bereits etwas vorzugreifen: Die dadurch entstandene Rolle in Form der hohen Erwartungen seiner Fans hat der Rapper dabei keineswegs übertrieben, sondern perfekt ausgefüllt. Die Klänge einer Spieluhr kombiniert mit sanftem Boom bap leiten den Titeltrack ein und geben die musikalische Richtung des Albums vor, das zwar von einem facettenreichen Soundbild geprägt ist, dabei jedoch immer verhalten und ruhig bleibt. Der Fokus liegt klar auf den Aussagen, die er und im Fall des ersten Tracks auch die Featuregäste Edgar Wasser und Fatoni treffen. So stellt sich JuseJu etwa die Frage, warum jemand sich als "Veggie" bezeichnet, wenn er doch aus Fleisch besteht oder woher Prinz Pi die ganzen Teens mit den engen Jeans aus seinen Videos hat. Zeitgleich sind Edgar und Fatoni einfach "im Haus wie die innere Klinke der Türe" und blättern in ihrem Blackbook nach geeigneten Reimen, um Oldschooler, Hipster und Gangsterrapper samt ihrer klischeelastigen Rollen auf die Schippe zu nehmen. Die Hook dazu kommt von der Komikerin Idil Baydar beziehungsweise ihrer Figur Jilet Ayse und ist ebenso eingängig und amüsant wie nervig. Mindestens genauso nervig ist für Fatoni und Juse übrigens die Überwachung durch die NSA. Darum echauffieren sie sich auf "CSN" darüber genauso wie über Homophobie im deutschen Rap, während sie die Femen-Bewegung aufgrund der Nacktproteste unterstützen. Untermalt werden diese mehr oder minder politisch gehaltvollen Aussagen von einem Samplebeat mit jazzigen Bigband-Einflüssen, den der Berliner V.Raeter ebenso produzierte wie den düsteren Sound von "Motherfuckin' Grinch". JuseJu schlüpft hierbei mit geradezu hektischem Flow in die Rolle des Vorzeige-Pessimisten mit dem Talent, selbst in positiven Situationen das Schlechte zu entdecken. Andersherum gelingt es dem Rapper aber auch, hinter den Vorurteilen, die er gegenüber der "Traumstadt" Berlin hatte, ihre tatsächlichen, positiven Seiten zu erspähen. Geschickt stellt er die Rolle der Berlin-Gegner und der Klischeeberliner den tatsächlichen Hauptstädtern gegenüber und beschreibt, wie er selbst aus der einen in die andere Perspektive hineinwächst. Zwar hat Produzent The Gunna bereits hier einen sehr eingängigen, vielschichtigen Beat geschaffen, doch bastelte er gerade für den Track "Ketamin" definitiv ein Highlight des Albums.
"Eine Rock'n'Roll-Braut aß mein Herz einfach auf/
Und kotzte es aus – keine Grenzen kennt das Weib/
Es ist uns're Schuld, alle Schwänze ticken gleich/
Deutsche Frauen sind enttäuscht – deutsche Männer sind zu weich/"
(JuseJu auf "Ketamin")
Aus einem Sample des Liedes "Punish me" der Amerikanerin Margie Joseph, einigen Streichinstrumenten und kräftigen Drums entsteht ein mitreißender Beat, der die leicht gedrückte Stimmung des Tracks großartig trägt, in der Hook jedoch die nötige Energie aufbaut, um dem Ganzen jede Menge Power zu geben. Mit Blick auf das Ende einer Beziehung analysiert Juse die Rolle des Mannes in Deutschland und wie sich diese im Laufe der Zeit in immer widersprüchlichere Forderungen und Erwartungen verrennt. Der sonst eher lockere, spontane Flow des Rappers bringt hier das perfekte Maß an Enttäuschung und Melancholie mit, welches der Inhalt verlangt und zeigt, dass Juse mehr als immer nur lustig kann. Dass auch mit Frauen nicht alles immer so schief gehen muss, wie in "Ketamin" beschrieben, beweist Juse mit "Oh Boy" und der Münchnerin Ebow als Unterstützung. Der Beat, von KL52 produziert, ist recht drumlastig und minimalistisch gehalten und wird von der Rapperin problemlos dominiert. Ihr Part ist mindestens so energiegeladen und gelungen wie die Hook, die sich mit fiesen, langgestreckten Endreimen in den Gehörgang klebt, während Juse selbst fast etwas zurückhaltend wirkt, so als wolle er Ebow genug Platz für ihre ganz eigene Show bieten. Immerhin hat der in Japan und Stuttgart aufgewachsene Rapper noch mehr als genug Chancen, um sich etwa durch ein als "Bewerbung" getarntes Major-Label Pamphlet und seinen kritischen Balanceakt auf der "Slackline" zu beweisen. Hier beschwert er sich nicht nur darüber, dass mittlerweile zu viele Rapper aussähen wie Max Herre (und nennt als Beispiel hierfür Max Herre), sondern auch über die fragwürdige Einstellung vieler Jugendlicher, Politik im Allgemeinen als Lug und Trug abzustempeln, zeitgleich aber gerne jede noch so absurde Verschwörungstheorie zu glauben. So kommt zwar der Humor nie zu kurz, doch driftet kein Track in komplett inhaltslose Witzfeuerwerke ohne jegliche Aussage ab. Das Instrumental von "Slackline" wurde ebenso wie der sehr entspannte Beat zu "Vielleicht" vom Sichtexoten Figub Brazlevic komponiert und spiegelt die thematische Stimmung in beiden Fällen bestens wieder. Damit kann Juse auch die nötige Ernsthaftigkeit einfordern, wenn er sich zum Abschluss noch den eigenen Rollen widmet und hinterfragt, ob er seine eigenen Rollen nicht auch übertreibt.
Fazit:
Das Konzept, diverse Rollen, die uns tagtäglich und vor allem auch in der Musik begegnen, zu beleuchten und zu hinterfragen, bietet JuseJu nicht nur genügend Inhalt, sondern auch die Möglichkeit, mal mehr und mal weniger witzig zu sein. Neben vielen humorvollen, lustigen Sprüchen formuliert das Popbiz Enemy-Mitglied auch immer wieder ernstgemeinte, kritische Gedanken und lässt beides so geschickt ineinander übergehen, dass sich ein sowohl unterhaltsames als auch gehaltvolles Gesamtbild ergibt. Die zurückhaltenden Beats des Albums reihen sich gekonnt hinter der Stimme des Rappers ein, ohne jedoch ganz zu verschwinden und bleiben so ein nicht zu vernachlässigender Bestandteil der Tracks. Thematisch blitzt hin und wieder zwar durchaus ein wenig Redundanz hervor und der ein oder andere Kritikpunkt findet mehrfach Verwendung, doch im Großen und Ganzen bietet Juse genug Inhalt, um "Übertreib nicht deine Rolle" zu keinem Zeitpunkt langweilig und stattdessen absolut gelungen klingen zu lassen.
Wobo Solagl (Daniel Fersch)
[REDBEW]1527 [/REDBEW]
Bewerte diese CD:
[reframe]reviewthread.php?reviewid=1527 [/reframe]
[azlink]JuseJu+%96+%DCbertreib+nicht+deine+Rolle [/azlink]