Beiträge von Antagonist


    01. Backpacker
    02. Über Den Wolken
    03. Der See
    04. Pij
    05. Wie Sie Sind
    06. Geschlossene Gesellschaft
    07. Interlude
    08. Paradajz Lost
    09. Kreislauf
    10. Per Anhalter


    Mit der Moop Mama Marschkapelle konnte sich Keno in den vergangen Jahren besonders einem großen Live-Publikum vorstellen, sodass kaum ein Festivalplakat nicht vom Schriftzug der Münchner geziert wurde. Wer viel spielt, kommt naturgemäß viel rum – eine Erfahrung, die der ehemalige Creme Fresh-MC im Vorfeld seines ersten Solo-Langspielers noch intensivierte. Besonders auf den Bosporus verschlug es den Tausendsassa, wohl wissend, dass ein gebührender räumlicher Abstand den Blick auf das Betrachtete schärfen kann. Das zeigt sich auch in "Paradajz Lost" welches zwischen realistisch-pessimistischer Gegenwartsbeschreibung und dystopischen Überlegungen schwankt. Auch dem Soundbild merkt man die Beeinflussungen von orientalischen Klängen an, der Anadolu-Rock der 60er dient als Sample-Grundlage für sämtliche Tracks, was einen einheitlichen Klang verleihen soll. Ob dies die Stimmigkeit fördert oder zur Monotonie führt wird ebenso wie die inhaltliche Kohärenz im Mittelpunkt der Betrachtung stehen.


    "Nix planen keine Drecks Doodles/
    Mal wieder nach dem Weg fragen, keine maps googeln/
    Kein gewünschter Gesprächspartner, keine Netzsuche/
    Echtes Vogelgezwitscher keine digitalen Weckrufe/
    "
    (Keno auf "Backpacker")


    Schon die Playlist erregt wegen ihres spärlichen Umfangs Aufmerksamkeit, unter den zehn Anspielstationen sind sogar noch ein Zwischenspiel und ein Skit. Direkt rein ins Geschehen geht es mit dem "Backpacker", der sich nach Saiteninstrument-Zupfen energisch präsentiert: Der Beat klingt nach Studioband und findet mit Keno einen Veredler. In diesem Intro erläutert er die Gründe seiner Rucksack-Tour, ein Entfliehen aus dem digitalen Hamsterrad, welches die Wahrnehmung getrübt hat und die damit verbundene Selbstfindung. In "Über den Wolken" betrachtet der MC die Szenerie aus der Vogelperspektive und erblickt Straßen und quadratisch angeordnete Felder. Die Entstehung dieser Plangesellschaft resümiert der Weltreisende in seiner individuellen Interpretation der Schöpfungstage und geht noch einen Schritt weiter, indem er den seiner Meinung nach unvermeidlichen Tag des Jüngsten Gerichts vorhersagt.


    Deutlich ruhiger wird es in dem Track "Der See", in dessen erstem Part Keno einen Locus amoenus berappt, untermalt von Wellenklängen, welche die Idylle noch bestärken. Doch auch diese scheinbar friedlich daliegende Wasserfläche hat mit Seeschlachten in der Vergangenheit und Umweltzerstörung immer wieder unter menschlichen Gräueltaten leiden müssen und so zeigt der kritische Geist im zweiten Part die Kehrseite der Medaille. In "Wie sie sind" verlässt der Rapper seinen Deckmantel der Allegorie und widmet sich der eigenen Wahrnehmung, die des Öfteren lediglich durch ein Zwischenmedium stattfinden. "Als müssten wir Beweise sammeln, dass uns Dinge passieren", so beschreibt der Weltbürger die Sucht, Ereignisse durch eine Linse zu betrachten und um des Konservierens Willen zu konservieren.


    "Digitale Freunde analoger Käse/
    Felder und Weiden voll wandelnder Pasta Bolognese/
    Der Hunger ist uns ein Unbekannter/
    Homo Sapiens Sapiens ein Schnäppchenjäger und Punktesammler/
    "
    (Keno auf "Paradajz Lost")


    Mit "Geschlossene Gesellschaft" legt Keno einen weiteren Storyteller nach, in dem er den Personalausweis als eine Art Goldenes Ticket in die Schokoladenfabrik beschreibt, während weniger Glückliche von Barrieren eingekreist sind. Auch der Lebenslauf, der ohne Lücken zu sein hat, wird kritisch unter die Lupe genommen. Das Bild der tanzende Einkaufstüte, welches Keno im Titeltrack "Paradajz Lost" zeichnet, erinnert an den Sam-Mendes-Film American Beauty, in dem die von Wes Bentley gespielte Rolle den gleichen Gegenstand ästhetisiert. Der Rapper geht hier über eine beschreibende Ebene hinaus und schafft den Bogen zur fundierten Kritik an der Wegwerfgesellschaft. Dieser Aufbau vom Kleinen ins Große und der Fakt, dass man mit Lyrics über 16 Bars gebannt der Geschichte einer Plastiktüte lauscht, sprechen für die erzählerische Extraklasse des Interpreten.


    Fazit:
    Es gibt eigentlich nichts Gravierendes an "Paradajz Lost" auszusetzen, das nicht nur durch eine Produktion wie aus einem Guss, sondern auch durch inhaltliche Stringenz besticht. Dass es sich bei dem Tonträger um ein Erstlingswerk handelt, ist keineswegs zu hören. Zwar kommt der Selbstfindung ein Bärenanteil zu, doch musikalisch scheint Keno eine klare Vision gehabt zu haben. Was mir persönlich am besten gefällt, ist die angemessene Spielzeit der Platte, die ein kompaktes Gesamtbild zur Folge hat. Kein Song, den man als Füllmaterial erkennen kann, kein semi-motivierter Feature-Gast, der das Niveau verwässert oder sich nicht stimmig einfügt. "Paradajz Lost" ist ein Album, das nicht nur durch die interessante Instrumentierung, dem Anadolu-Pop, sondern auf textlicher Ebene unkonventionelle Wege geht. Über Gemeinschauplätze hinaus übt der herausragende Geschichtenerzähler Kritik an Gesellschaftsstrukturen und Zeitgeist. Eine Platte wie gemacht für Genre-Hörer, die sich bisweilen ärgern, dass politische Rap-Tracks häufig an der Oberfläche kratzen und eine naive Kopf-Hoch-Mentalität predigen.



    (Lennart Gerhardt)


    [redbew]1956[/redbew]


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    01. Breiter als zwei Türsteher
    02. Non plus Ultra
    03. Fallschirm
    feat. Phillippe Heithier
    04. Utopischer Körperbau
    05. Die ich immer haben wollte
    06. Prototyp Banger 2
    07. Mr. Majoe
    08. Mondschein
    09. Eins im Land
    10. Täglich grüßt das Murmeltier [ Skit ]
    11. Fresh
    12. Jungs von der Straße
    feat. Jasko
    13. Dreams
    14. Hip Hop
    feat. Farid Bang & KC Rebell
    15. Jedes deiner Worte feat. Phillippe Heithier
    16. Cruise im Benz feat. Summer Cem
    17. Eine Bewegung


    Platz 1 mit dem ersten Solorelease, dazu millionenfach geklickte YouTube-Hits durch Kooperationen mit Kollegah, 2014 hätte für den Newcomer aus Duisburg nicht besser verlaufen können. Den Hype aus dem Vorjahr wollte der Rapper mit sri-lankischen Wurzeln anscheinend konservieren, denn schon etwa 400 Tage nach der letzten Veröffentlichung steht "Breiter als zwei Türsteher" in den Regalen, dessen Titel sich von dem Vorgänger nur durch die eingeschobene Numerale unterscheidet – ganz im "Fast and Furious" Stil. Promophasen sind das Steckenpferd des Banger-Clans und so bombardierte der Muskelprotz das YouTube-Publikum mit Vlogs und Challenges, wie das inzwischen schöne Tradition ist. Auch mit den Vorab-Singles präsentierte sich der Bang-Scherge nicht gerade sparsam und stattete sieben Auskopplungen mit einem Video aus, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Entgegen der Aussagen Majoes, der in Interviews betonte, dass das Album einen einheitlichen Klang habe, gerieten die Veröffentlichungen sehr gegensätzlich: Neben Representern wie "Utopischer Körperbau" dominierten etwa bei "Jedem deiner Worte" ruhigere Klänge, während man mit "Ich wurde zurückgehalten damals" (lediglich ein Bonus-Track) einen Party-Schlager anbringt. Es wird sich also zeigen, inwiefern es gelungen ist, aus diesen verschiedenen Versatzstücken ein homogenes Werk zu stricken und inwieweit die künstlerische Profilierung, die Majoe nach eigener Aussage anstrebt, vorangetrieben werden konnte.


    "Ich habe die Tiger-Gene/
    Und du nur Biber-Zähne/
    "
    (Majoe auf "Breiter als zwei Türsteher")


    Schon nach einem Hördurchgang ist klar, dass hier überhaupt nichts zusammen passt: Exemplarisch lässt sich das an dem Übergang von "Jedes deiner Worte" zu "Cruise im Benz" herausgreifen. Während der erstgenannte eine schmalzige Kitsch-Kanone ist, fährt Majoe auf dem zweiten mit Autotune und Summer Cem durch die City. Die Titel hätte man ohnehin in jeder Reihenfolge anordnen können, sogar dem Intro fehlt etwas atmosphärisch Einführendes. Ganze Zeilen könnte man zwischen den einzelnen Selbstbeweihräucherungs-Tracks austauschen, die einzelnen Sechzehner sind derart inkohärent, dass das nicht ins Gewicht fallen würde. Wie-Vergleiche soweit die Augen reichen, mit schwankender Qualität von passabel bis Fremdscham-erregend, einige Perlen: "Ich bin ständig auf der Jagd nach Mäusen so wie Turmfalken" ("Nonplusultra"), "Hungrig wie Jagdhunde" und "Ich lass mich nicht verbiegen, wie ein Eisberg in Sibirien" (beide "Jungs von der Straße"). Auf dem zweitgenannten Track erhält der Duisburger Unterstützung von seinem Spießgesellen Jasko, der es zumindest schafft, seine Zeilen mit so etwas wie Inhalt zu füllen, womit er allein auf weiter Flur steht.


    "Angespannte Arme wie in Burkina Faso", "große Klappe wie ein Pelikan" – Majoe bedient sich des Öfteren an der Resterampe seiner Ziehväter Farid Bang und Kollegah, als deren fader Abklatsch man ihn definieren kann. Einen absoluten Tiefpunkt liefert hier etwa der Skit "Täglich grüßt das Murmeltier"; hier bin ich mir nicht sicher, ob es sich um Selbstsatire handelt, denn den hölzernen "Pinocchio-Flow" des Interpreten hätte Smudo in '95 himmelweit übertroffen. Dazu die Line: "Wir sind eine Bewegung wie laufen oder springen", die schon jetzt die Goldene Himbeere für den wacksten Vers sicher haben sollte. Der für mich stärkste Titel ist "Mr. Majoe", dem das passende Biggie-Sample sehr zu Gute kommt – als Representer-Track kann man ihn durchaus durchwinken, auch wenn man seine herausragende Qualität mit dem Bild des höchsten Bergs der Niederlande vergleichen könnte.


    Auf "Fallschirm" und "Jedes deiner Worte" steuert Phillippe Heithier zwei wahre Schmachtfetzen von Hooks bei, die der "Fake-Forster" möglicherweise leisten musste, da er Automatenschulden in einer der Rebell-Lounges hat. Anders lässt sich die Mitarbeit an diesem Machwerk nicht erklären, denn Heithier droht bei weiteren derartigen Verfehlungen der Ausschluss aus der Gilde der Schmuse-Barden. "Jedes deiner Worte" ruft Assoziationen an den Bushido-Titel "Wärst du immer noch hier" hervor, wobei "inspiriert" den thematischen wie strukturellen Überschneidungen nicht gerecht wird – da hat der Akademiker Majoe wohl die Fußnoten vergessen. Auf dem Kräftemessen mit den Label-Größen "Hip Hop" holpert der Bizeps-Rapper wieder beispiellos über den Beat, den Kampf um den größten Unterhaltungsfaktor gewinnen weder Farid Bang oder die Rap-Part des Rebells, sondern die Adlips KCs. Die Vorstellung, wie er im Studio sein Mikrofon anknurrt und grunzt, lässt mich das erste Mal seit knapp fünfzig Minuten lächeln.


    "Würdest du bei mir bleiben, wenn wir keinen Luxus haben?/
    Würde ich mit dir sogar gemeinsam unter Brücken schlafen/
    Wenn ich mal pleite geh, würdest du noch an meiner Seite stehen?/
    Oder würdest du dann weg gucken und weiter gehen?/
    "
    (Majoe auf "Jedes deiner Worte")


    Fazit:
    Majoe ist ein Interpret, der anscheinend absolut nichts zu erzählen hat, neben klassischen Representern, die im Vergleich zu einem passablen MC das umgekehrte Verhältnis von brauchbaren zu Füll-Lines aufweisen, bieten stereotype Schmalz-Arien das wacklige Fundament der Platte. Dabei wirkt alles wie schlecht recycelt, wie das aufgewärmte Essen vom Vortag, das eigentlich schon da nicht wirklich geschmeckt hat. Kein Konzept, kein Gedanke, keine Line weist in irgendeiner Weise Innovation oder eine künstlerische Eigenheit auf. Kann man seinen Label-Kollegen bei aller berechtigter Kritik noch irgendeine Qualität zugestehen, KC die markante rauchige Stimme und Farid Bang den primitiven Humor, fehlt derartiges bei Majoe komplett. Die Platte unterhält weder, denn in 2015 ganze Sechzehner nur mit bestenfalls mäßigen Vergleichen zu füllen, ist einfach zu wenig, noch lösen die "nachdenklichen" Titel irgendeine Emotion aus. Das Machwerk wirkt von vorne bis hinten durchkonstruiert, ist ein Schnellschuss, der um den bestehenden Höhenflug mitzunehmen, so schnell wie eben möglich erscheinen musste. Zu dem inhaltlichen Nichts gesellen sich eine lieblose Beatauswahl, die komplett ohne Höhepunkte auskommt sowie die raptechnischen (Un)fertigkeiten des Kraftprotzes, der über die Instrumentals eher stolpert als flext. Was von "Breiter als zwei Türsteher" bleiben wird, ist der peinliche berührte Moment, den der jetzt 14-jährige Banger-Fan erlebt, wenn er in zehn Jahren seine alten Platten durchstöbert und diese Scheibe in seinen Händen halten wird.



    Lennart Gerhardt


    [redbew]1953[/redbew]


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    01. Intro
    02. OK
    03. Der Kaiser von China
    04. Morgens
    05. 2 Joints
    feat. Sapient & Skinny Shef
    06. Genau wie Du 2015
    07. Alles beim Alten
    feat. Das W
    08. Schlaflos in Guantanamo feat. Alligatoah
    09. I Just Killed Two Cops Today
    10. Gang
    feat. Meister Elch, Basti DNP & Karate Andi
    11. Misanthrop feat. Sapient
    12. Main Bitch
    13. Lost In Bat Country
    feat. Sapient & Das W
    14. Hunderttausend Meilen

    Als Vince Gilligan nach dem Ende der Erfolgsserie Breaking Bad das Prequel "Better call Saul" ankündigte, welches die Vorgeschichte des umtriebigen Anwalts Saul Goodman beleuchten sollte, waren die Kritiker skeptisch. Zwar unterhielten die Szenen mit dem von Bob Odenkirk gespielten Advokaten stets prächtig, doch als alleiniges Zugpferd, ohne die Stars Bryan Cranston und Aaron Paul, stand der Erfolg der Serie zunächst in den Sternen. Das Projekt glückte, sowohl Kritiker als auch Zuschauer erkannten die Eigenständigkeit des neuen Formates an und inzwischen ist die zweite Staffel in der Pipeline. In einer ähnlichen Situation befindet sich Timi Hendrix, der als Mitglied der Formation Trailerpark in den letzten Jahren zahlreiche Charterfolge verbuchen konnte, auf Solopfaden jedoch noch ein recht unbeschriebenes Blatt ist. Auch vor seiner Zeit in der Wohnwagengang war der Pimpulsiv-MC selten allein unterwegs, sodass Tim Weitkamp trotz etlichen Jahren im Business mit "2 Zimmer, Küche, Bong" sein Debütrelease ankündigte. Doch kann dieses Projekt auf Albumlänge funktionieren oder fehlt Hendrix ohne Crew-Kollegen notwendige Abwechslung, um den recht fordernden Vortrag des Bielefelders über 45 Minuten ertragen können?


    "Manchmal kack ich mir in meine Hand, schmiere mir das dann in mein Gesicht, rufe meine Ex an und schreie 'Tim, Timey'", das sind die Zeilen, mit welchen der Crackstreet Boy seine Hörer im Intro begrüßt. Kann man so machen. Zumindest gibt dieser Auszug eine ungefährer Ko(s)tprobe des angepeilten Humorniveaus, das sich als fäkal-feucht-fröhlich klassifizieren lässt. Das konnte man bei einer Trailerpark Produktion allerdings genauso erwarten, ebenso wie das Drogen-Namedropping, das in sämtlichen Titeln durchgezogen wird. Tim präsentiert sich hier als Vertreter des Mischkonsums, alles von Amphetaminen bis Zombiedroge Cloud Nine wird querbeet geschnupft, geschluckt, gespritzt oder geraucht. Auch die Textstruktur passt Deutschraps Pete Doherty an diesen exzessiven Lebensstil an: Gewollt zusammenhanglos, ohne irgendeinen thematischen Überbau, lispelt er vielsilbige Reime auf 14 Anspielstationen.


    "Die Schlampe vom Jugendamt kann ruhig mit dem Richter drohen/
    Fick dich, Hoe, mein dritter Sohn wird Hitlers Klon/
    Ich hab die GoPro am Schwanz, fahr auf Drogen durch's Land/
    Und halte Bitches von der Schule fern, wie Boko Haram
    /"
    (Timi Hendrix auf "Morgens")


    Stellvertretend für die ersten vier Titel, die ohne irgendeinen Gehalt auskommen, sondern lediglich eine Versuchsfläche bieten, den Konsum wie vieler Rauschmittel man in 16 Zeilen beschreiben kann, steht der Track "Morgens". Auf einem ziemlich unspektakulären Beat schießt Timi gegen alles, was durch die Branche kreucht und fleucht: Lance Butters, Majoe oder DJs, die an Tagen wie diesen "An Tagen wie diesen" spielen (genrefremd), bekommen ihr Fett weg. Nach so viel Feindseligkeit bringen Sapient und Skinny Shef, die in Kifferhymne "2 Joints" assistieren, etwas Entspannung. Während Hendrix den Ikonen des gepflegten Cannabis-Konsums huldigt, übertrumpft ihn sein ehemaliger Pimpulsiv-Gefährte mit seinem Part, welcher sich der Legalisierung von Gras widmet. Da sich auch die englische Sapient Hook gut ins Klangbild einfügt, entsteht ein runder Track, der zum kollektiven Nicken einlädt.


    Die Erholungspause währt allerdings nur kurze Zeit, denn mit "Genau wie du 2015" steht ein Titel in der Pipeline, für den mir kein anderes Attribut einfällt als "stressig". Die Pitch-Effekte, die in der Hook dargeboten werden und in mehreren Titeln Einsatz finden, kommen direkt aus der Hölle. Umso angenehmer ragt dadurch der Das W-Refrain in "Alles beim Alten" heraus. Mit seiner tiefen Stimme bildet er einen Kontrast zum schrillen Timi und hat damit entscheidenden Anteil daran, dass die Kollaboration der beiden "Unverbesserlichen" zu den besten Tracks des Albums zählt. Wie eine Mischung aus Schlager und Kinderlied und deshalb als Groteske zu verstehen, mutet "Schlaflos in Guantanamo" an. Die Zusammenarbeit mit Trailerpark-Kollegen Alligatoah wird durch die vereinnahmende Art des Reptiloiden zu dessen Song – Timi gerät also zum Nebendarsteller auf seinem eigenen Album.


    "Ich habe die Nächte durchgemacht und Whiskey pur getrunken/
    Hab' dich überall gesucht, hab' dich nirgendwo gefunden/
    Alle Fenster dunkel hier, jeder Tag ist regnerisch/
    Erschieß' mal den Regisseur, mir gefällt das Drehbuch nich'/
    "
    (Timi Hendrix auf "Hunderttausend Meilen")


    Reggae-Elemente importiert Timi Hendrix im Track "I just killed two cops today", der schon im Titel einen Bob Marley-Bezug erkennen lässt. Auch hier liefert der Bielefelder in den Parts wieder gut ab, um den guten Eindruck mit Gelalle in der Hook wieder zu ruinieren. Ruiniert werden außerdem in dem Posse-Track sämtliche Moralgrenzen: Meister Elch, Basti DNP und Karate Andi unterbieten sich in Niveaulosigkeiten: Pädophilie, Inzest, Massenvergewaltigung – es gibt kein Thema, über das man nicht lachen kann. Eine andere, ungleich sanftere Seite offenbart Timi auf "Hunderttausend Meilen". Zwar wird in der Hook und den ersten vier Zeilen wieder unkontrolliert an den Reglern gedreht, dennoch schafft es der Rapper, eine nachdenkliche Atmosphäre zu erzeugen. Dem thematisierten Tod einer geliebten Person wird ein würdiger Rahmen verliehen und es gelingt, einen ungewöhnlichen und auch deshalb gelungen Albumabschluss zu bilden.


    Fazit:
    Mit dem ersten Schritt auf Solopfaden gelingt dem Bielefelder zwar weder der große Wurf noch liefert er eine absolute Enttäuschung. Zunächst präsentiert man ein Konzept der Konzeptlosigkeit, was einer Fortführung der Albumpromo entspricht – Timi als unzurechnungsfähiger Junkie. Das wirkt allerdings so wahnsinnig durchkonstruiert und verschleißt sich durch den identischen Aufbau der ersten Anspielstationen derart schnell, dass man sich freut, als einige Feature-Acts auf den Plan treten. Random-Line an Random-Line wird aneinander gereiht, davon mag die ein oder andere ziemlich unterhaltsam sein, doch ohne dasTrailerpark-Kollektiv fehlt irgendwie der Fundament, auf welchem er seinen Humor zelebrieren kann. Ich bemühe noch einen Serienvergleich: Ken Jeong, bekannt als Mr. Chow (Hangover) und Ben Chang (Community) hat jetzt seine erste Serienhauptrolle (Dr. Ken) – das läuft nicht und das liegt nicht daran, dass Ärzteserien voll 00er sind, sondern dass ein so spezieller Charakter nur als Sidekick funktionieren kann. Meine Prognose für das Timi Hendrix Album war da im Vorfeld optimistischer, durch seinen markanten Rapstil und durch die zu Pimpulsiv-Zeiten beobachtbare politische Ebene versprach er ein gewisses Profil. Umso ärgerlicher zu sehen, dass dieses Potenzial bei der monothematischen Beschränkung auf den Drogenkonsum unbeachtet bleibt, vom Sound wird etwa mit Reggae-Elementen durchaus etwas gewagt, obwohl zu bemerken ist, dass besonders die Featuregäste zur Musikalität der Platte beitragen.



    Lennart Gerhardt


    [redbew]1948[/redbew]


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    Azad hat die lange Pause nicht geschadet, eher im Gegenteil. Album muss nach seinen Ansagen eigentlich überragend werden – bin optimistisch, dass er die Erwartungen erfüllen kann.


    01. Intro / Ich mach Realtalk
    02. Schon von klein auf
    03. Rap wieder hart
    04. Ich häng auf den Straßen ab
    05. Zur selben Zeit
    feat. Jalil
    06. So wie Frank
    07. Straßenstaub
    08. CCN Kinder
    09. HRSN Gesellschaft
    feat. PA Sports
    10. Weil die Straße nicht vergisst
    11. Basstuning/Bordsteinfressen
    12. Alles was ich kenne
    13. Bild im Zement
    feat. Kurdo
    14. Mit dem BMW Part 2 feat. Shindy
    15. Pallas
    16. Pablo Escobar
    feat. Jalil


    Flers Albumpromotion erinnert an den Wahlkampf amerikanischer Präsidentschaftskandidaten: ganzjährig, kostenintensiv und mit medialer Dauerpräsenz ausgestattet. Und kaum ist das Release erschienen, die Wahl entschieden, steht schon die nächste Kampagne vor der Tür. Würde man den Berliner mit einem Bewerber für das Weiße Haus vergleichen, wäre die passende Wahl dafür Donald Trump. Ähnlich selbstherrlich präsentiert sich der Selfmade-Mann in seinen inzwischen legendären Interviews: Laut polternd, nicht darauf bedacht, sich durch besonders diplomatisches Verhalten Freunde zu machen und mit Ressentiments gegenüber fremden Einflüssen, so kennt man die Patriarchen. Der eine möchte Rap wieder hart machen, der andere die USA wieder groß und beide sind sie Männer der Tat, die ihre Projekte am liebsten komplett alleine schultern und gerne auf fremde Hilfe verzichten.


    Nach Rückschlägen in der Vergangenheit sorgte die jüngste Platte "Keiner kommt klar mit mir" für die erste Nummer Eins in der bewegten Karriere des Rappers. Dieser enorme Zuspruch sowie die bisherigen Vor-Veröffentlichungen (gefühlt das halbe Album) lassen nicht erwarten, dass sich am Stil, der an seine ersten Erfolge erinnert, entscheidende Änderungen vorgenommen wurden. Auch der Name auf dem Cover ist der gleiche wie zu CCN-Zeiten, als Frank White heißt uns das Maskulin-Oberhaupt auf "Weil die Straße nicht vergisst" willkommen.


    "Was das Thema meiner Texte? Ignoranz/
    Deutscher Rap hängt an meinem dicken Schwanz/"

    (Frank White auf "So wie Frank")


    Auf einem von Streicherklängen und Klavierspiel untermalten Intro verschwendet Fler keine Zeit, um die Pomeranze einzukreiden, sondern schießt mit dem Queue direkt in die Vollen. "Ich mach Realtalk", damit ist er nach eigener Aussage in einer Szene, die aus "Clowns in Karnevalskostümen" besteht, ein absolutes Unikum. Die aggressive, fast bedrohliche Atmosphäre, die auch von der Instrumentierung ausgeht, funktioniert als Einführung exzellent und macht Lust auf 15 weitere Anspielstationen, die in Sachen Kompromisslosigkeit hoffentlich nichts einbüßen. In "Schon von klein auf" verteilt er lyrische Stiche gegen Studenten und alle weiteren "Einsen-Schreiber", zu denen er auch seine ehemaligen Crew-Mitglieder Animus und Silla zählt. Zeilen wie: "Ich trink Schampus und schieße auf dein Campus/ ihr Scheiß Veganer, eure Sneaker sind aus Bambus" bringen den Autor dieser Zeilen, der sich in seinen Birkenstock-Sandaletten nicht angesprochen fühlt, herzhaft zum Lachen. Garniert mit einer Hook, die zu den Stärksten des Albums zählt, liefert Frank White ein erstes Highlight, um allerdings kurz darauf mit "Ich häng auf den Straßen ab" einen absoluten Tiefpunkt darzubieten. Penetranter als der klingelnde Wecker im Song-Intro ist die dauerhafte Repetition des Track-Titels an jedem Zeilenende. Das kann Frank White gerne als Innovation aus Übersee betiteln, meiner Meinung nach bleibt es absolut unhörbar und Nerven raubend.


    "Nenn mich El Negro Pablo, Bruder, braungebrannter Macho/
    Bin der ignoranteste Schwarze, in der Szene, hier, seit Taktloss/
    Ess' Carpaccio jeden Tag und lass Soldaten auf dein Arsch los/
    Machst im Internet auf Banger, Face to face bist du dann sprachlos/
    "
    (Jalil auf "Pablo Escobar")


    Mit Jalil gesellt sich auf "Zur selben Zeit" der erste Feature-Partner zum Zampano in die Manege und der Maskulin-Rapper enttäuscht seinen Labelboss nicht. Der reflektiert wirkende Hüne sinniert mit tiefer Bassstimme über seinen bisherigen Künstlerweg und bildet einen Gegenentwurf zu "Hitzkopf" Fler, der sich in seiner Strophe deutlich weniger diplomatisch gibt. Thema in Franks Part ist wie so oft der ihm nicht zugestandene Pionierstatus in Sachen Gangsterrap, der seinen Höhepunkt in "CCN Kinder" findet. Trap-Spezialist C-Wash zimmert dem tobenden Teutonen hier ein Brett zusammen, auf dem er mit "Messer statt Selfiestick" Mütter, Schwester und Lebensläufe nach allen Regeln der Kunst hart rannimmt. Dass hierbei die ein oder andere Zeile: "Doch bleibe Straße wie ein Fahrplan" Rap-Meme-Charakter hat, muss als Kollateralschaden der stimmungsvollen Wut-Arie gewertet werden. "HRSN-Gesellschaft" orientiert sich hingegen wieder mehr am Soundbild des früheren Frank White, ohne hingegen die aufgebaute Intensität abzuschwächen. PA Sports, der als "Eiskalter Engel" "das Abendland bedroht", reiht sich in die Liste der hervorragenden Gastbeiträge ein, deren dosierter Einsatz eine besondere Qualität der Platte ist. Sowohl die Ruhrpottler PA und Kurdo als auch Jalil verleihen dem Album durch ihre sehr unterschiedlichen Stile eigene Facetten, ohne allerdings das Haupt-Spotlight zu sehr von Fler selbst zu nehmen. Die bedauerliche Ausnahme bildet hier Shindy, dessen recycelte Hook auf "Mit dem BMW Pt. 2" durch die dutzendfache Wiederholung der Zeile "Sex im BMW" wahnsinnig anstrengend ist. Die Kollaboration dient einzig und allein dem Zweck, dass Fler mit dem erstguterjunge-Interpret noch einen prominenten Namen auf das Cover packen konnte.

    "Scheiß mal auf die Punchline, scheiß mal auf dein Doubletime/
    Dein Logo ist ein Boxhandschuh? Mein Logo ist ein Butterfly/
    Hurensohn, sei leise - Gewinnerambition/
    Komme von der Straße, mach aus nichts ein paar Millionen/
    "
    (Frank White auf "HRSN Gesellschaft")


    Fazit:
    Themenvielfalt gleich Null, Lines mit Fremdschamfaktor – durchaus vorhanden, ein stumpfes Einprügeln auf Genre-Fans und Vertreter, für viele Rapper käme dieses Urteil einem Verriss gleich. Seine zweifellos vorhandenen Schwächen, die er von seinen Kritikern regelmäßig aufgezeigt bekommt, lässt er jedoch durch herausragende Qualitäten in anderen Bereichen nichtig erscheinen. Hier wäre zum einen die traumwandlerische Sicherheit zu nennen, mit der Frank White die richtigen Beats auswählt. Dieses Gespür lässt sich exemplarisch an "Basstuning/Bordsteinfressen" (produziert von Iad Aslan und Cris Balloo) und "Pablo Escobar" (C-Wash), zwei der stärksten Album Titel, nachweisen. Ersterer ist ein Banger in bester Carlo Cokxxx Nutten-Tradition, während der Abschlusstrack einer der stärksten Trap-Tracks in Flers Oeuvre ist. Dass der Berliner nach der Kritik an den Elementen diese nicht in die Gifttonne gepackt hat, sondern überlegter einsetzt, erweist sich als kluger Schachzug, da die inhaltliche Monotonie durch abwechslungsreiche Untermalung aufgewertet wird. Trotz berechtigter Kritik ist auch textlich nicht alles schlecht: Der Schöneberger ist brutal unterhaltsam, seinen Humor, der ohne Pointen auskommt, bläst er seinem Gegenüber straßenstaubtrocken ins Gesicht und auch die Stringenz seines Vortrags mit zuvor in Interviews getroffenen Aussagen ist bemerkenswert. Dass der ehemalige Aggro-Act sein Herz auf der Zunge trägt, kommt seiner Authentizität logischerweise sehr zugute. Unterhalten fühle ich mich durch "Weil die Straße nicht vergisst" fabelhaft und das sollte bei einem Frank White-Album das Wichtigste sein. Fler muss keine komplexen Sachverhalte haarklein analysieren oder diplomatisch argumentieren, er ist immerhin kein Präsidentschaftskandidat, sondern ein sympathischer Rap-Proll.



    (Lennart Gerhardt)


    [redbew]1936[/redbew]


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    01. Intro
    02. Für ewig

    03. Löwenzahn feat. Olexesh
    04. Vom Frust der Reichen
    05. Astronaut
    feat. Andreas Bourani
    06. Ackan feat. Dillon Cooper
    07. Zu wahr
    08. Knochen und Fleisch
    09. Gürtel am Arm
    10. Zuhause ist die Welt noch in Ordnung
    feat. Adel Tawil
    11. Selfie
    12. So war das
    13. Entspannt
    feat. Tony D
    14. Zu Straße
    15. Eier
    feat. Estikay
    16. Kreuzreim Skit
    17. BumBidiByeBye
    feat. Adesse


    Es ist ja schon fast ein Running-Gag, dass Sido durch wenig innovative Albem-Namen auffällt und als er mit "VI" sein – Ihr werdet es erraten haben – sechsten Langspieler ankündigte, bewies er damit nach Titel wie "Maske", "Ich" und "Ich und meine Maske" Konsequenz. Auch mit seiner Auswahl der Feature-Gäste demonstrierte der Universal-Künstler sein unnachahmliches Talent, Interpreten zusammenzutrommeln, die man in einer ähnlichen Auflistung wohl nie wieder auf einem Cover finden wird. Damit ragt er angenehm aus dem Deutschrap-Inzest-Feature-Sumpf hervor und sorgt für neues Erbmaterial im Genpool. Was kann man also von einem Sido-Album im Jahre 2015 erwarten, beziehungsweise sich erhoffen? Eingängige Hooks, auf gut produzierten Beats mit einer gehörigen Brise Pop-Appeal. Dazu ein routinierter Altmeister, der mit solidem Flow seinen hauseigenen Humor zelebriert und den ein oder anderen Kalenderspruch aus dem Zauselbart zaubert.


    Tedros Teclebrhan, mehr Zumutung als Name, erbt von Kurt Krömer die Rolle als Ringsprecher. Sein Auftritt zum Glück kurz genug, um nicht zu stören, überlässt nach wenigen Sekunden dem ersten Track "Für Ewig" das Rampenlicht. Auf einem klassischen Intro, das von schmetterndem BoomBap untermalt wird, nennt der Maskenmann Orte und Stimmungen, die einladen, seiner Musik zu lauschen. Der Schulterschluss mit der eigenen Hörerschaft gelingt, inhaltlich reißt man gewiss keine Bäume aus, aber der primäre Wusch, das Anheizen, gelingt. Die "Löwenzahn"-Metapher aus dem Kurs Kreatives Schreiben I fördert keine erhellenden Erkenntnisse zu Tage. Die schwierige Jugend, ein Dauerbrenner im Themenfundus des Rappers, erhält lediglich durch den Gastbeitrag von Olexesh etwas Würze und mit "Das Leben ist nicht lustig und nicht weich wie Beton" haben wir zumindest den Januar im Tageplaner besetzt. Eine Bürde stellt hier vermutlich die musikalische Untermalung des pfeifenden Synthesizers dar, dessen episches Arrangement nach Größerem dürstet. "Vom Frust der Reichen" ist in meinen Augen einer der schwächsten Albumtitel: First-World-Problems auf höchsten Niveau sind hier das Thema, aber drei Parts konstruierte Belastungssituation aufzuzählen, ist für mich zu stumpf, um als fundierte Kritik wahrgenommen zu werden.


    "Denn Sie würden gerne im Geld baden und dabei Pelz tragen/
    Am Wochenende Löwen in der dritten Welt jagen/
    Sie wollen Golfen gehen mit Michael und Gabi/
    Doch die Schläger passen nicht in den Ferrari/
    "
    (Sido auf "Vom Frust der Reichen")


    "Astronaut", im Radio inzwischen totgespielt und der bisher größte Charterfolg des 35-Jährigen, erfüllt im Alleingang den Anspruch nach veritablen Hits. Es ist unmöglich, sich dem Andreas Bourani-Refrain komplett zu entziehen. Der Text mag zwar so seicht sein, dass er für Binnenschifffahrt gesperrt ist, doch die Komposition ist derartig eingängig, dass man hier von einem Prototyp für Mainstream-Rap sprechen kann. Alles andere als ein Wohlfühl-Song ist hingegen "Zu wahr", hier prangert Sido die Schattenseite unseres kapitalistischen Systems an, durchaus angebracht, besonders für einen Mann mit seiner Reichweite. Dass er sich allerdings in der Hook mit der Zeile "Alle kehren es unter den Teppich, doch ich trau mich" als Speerspitze des Widerstands, als Erfinder des kritischen Wortes und politischen Raps inszeniert, stößt mir etwas übel auf.


    Der Track "Gürtel am Arm" wirft einige Fragen auf: Steht es nicht inzwischen unter Strafe, seinen lyrischen Sprecher Kevin zu nennen oder wäre es nicht hipper, wenn er beispielsweise von Meth abhängig wäre, statt von dem gar nicht mehr so glänzenden Golden Brown? Die Produktion von Marek Pompetzki, Paul NZA und Cecil Remmler, die sich für einen Großteil der Beats verantwortlich zeigen, ist in dem Heroin-Drama derartig dicht, dass man über die textliche Belanglosigkeiten hinsehen kann. Stimmlich holt Sido hier alles aus sich raus und liefert eine Hook, bei welcher sich der Rezipient fragt, ob es okay ist, einen Text über Drogenmissbrauch derart euphorisch mitzurappen. Durch die Zusammenarbeit mit Tony D versucht sich Sido als Quentin Tarantino: Mit einer ungewöhnlichen Besetzung bringt er die tote Karriere eines ehemals namhaften Akteurs und Weggefährten wieder in Schwung. Die Groteske "Entspannt", in welcher der Damager mit gewohnt wohlklingender Stimme zum Harmonisieren aufruft, gelingt, da der Kontrast zum ruhigeren Albuminterpreten durchaus überzeugt. Der eigene Part von Tony D ist allerdings überflüssig, der ewige Stichwortgeber und Pausenunterhalter schafft es nicht, dem Thema eine weitere Facette zu verleihen. Die minimalistische Instrumentierung ergänzt hier allerdings exzellent den Text, in dem kleinen und größeren Problemen mit Lethargie geantwortet wird.


    "Ich hab erst gestern die S-Bahn verpasst/
    Zweimal zu spät, mein Chef mahnt mich ab/
    Läuft nicht, 'n bisschen Aufbau-Sex bräucht ich jetzt/
    Doch ich komm nach Hause und die Frau ist weg/
    "
    (Sido auf "Entspannt")


    Am besten ist und war Sido schon immer als Storyteller. Seine Paradedisziplin sind hier nicht tiefschürfende Erzählungen, welche die Weltformel zu entschlüsseln versuchen, sondern triviale, kurzweilige Geschichten, bei welchen er mit seinem Humor punkten kann. Ein solcher Track ist "Selfie", in dem er überspitzt die Probleme eines Prominenten mit aufdringlichen Fans aufgreift. Doch nicht nur der penetrante Souvenirjäger bekommt hier sein Fett weg, der Berliner beweist hier wie gewohnt Selbstironie und mimt den arroganten Star selbst. Der Track "Bilder im Kopf" wirft das Kino mal wieder an: Man sieht einen 35-jährigen, haarigen Mann, der mit einem Fotoalbum auf dem Boden sitzt und versucht, Kindheitserinnerungen in 32 Zeilen zu verpacken. Ach? Der Track heißt "So war das"? Der andere war irgendwie eingängiger.


    Fazit:
    Etwas überkritisch wirken die vorangegangen Zeilen vielleicht schon, doch einen Sido mit seinem eigenen Selbstverständnis und künstlerischem Anspruch muss man etwas härter anpacken als irgendwelche 0815-Interpreten. An seinen Ambitionen verhebt sich der Berliner gehörig: Um als weltpolitischer Sprecher der Deutschrap-Szene wahrgenommen zu werden, fehlt der Tiefgang hinter seinen Aussagen fast gänzlich. Ihm gelingt es also nicht, neue Erkenntnisse zu vermelden, sondern er handelt nur allgemein verträgliche Schauplätze ab. Man kann den Aussagen kopfnickend zustimmen. Probleme von Reichen sind weniger gravierend als von Armen. Es gibt viel Ungerechtigkeit auf der Welt, doch innovativ ist das nicht. Von den ständigen Rückblicken in seine früheren Tage ist man inzwischen regelrecht genervt, sind doch Titel wie "Selfie", die sich mit der aktuellen Realität auseinandersetzen, deutlich interessanter. Soundtechnisch kann man der Platte hingegen überhaupt nichts vorwerfen: Abwechslungsreich genug, um sich nach einigen Durchläufen nicht komplett abgenutzt zu haben, ohne wirklichen Skip-Track. Zwar fehlen neben "Astronaut" Tracks mit großem Chartpotenzial, doch jeder Titel ist mehr als solide produziert.



    (Lennart Gerhardt)


    [redbew]1928[/redbew]


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    Über eine Platzierung in den Top 10 der deutschen Album-Charts kann sich in dieser Woche Chefket freuen. Der sympathische Schwabe, der vor zwei Jahren mit seiner "Identitäter EP" für Furore sorgte, landet mit "Nachtmensch" auf der "9" – der erste Charterfolg des Heidenheimers. Wem es nach aktuellem Content bezüglich Chefket dürstet, kann man die aktuelle Review von unserem Mitarbeiter Felixxxl, sowie ein Textinterview von Nic-O ans Herzen legen. Das rappers.in-Team gratuliert Chefket zu seinem mehr als verdienten Charteinstieg.


    Quelle


    [azlink]B010CGPR8G[/azlink]


    [pushit]16069[/pushit]



    Der Trophäenschrank des Berliners ist ja ohnehin reichlich gefüllt, mit seiner neuen Single Astronaut schafft Sido allerdings ein persönliches Novum. Der Vorbote zum Album "VI", für den er Andreas Bourani gewinnen konnte, beschert dem 34-Jährigen die Spitzenpostion in den Single-Charts. Die bisherige Top-Platzierungen liegt drei Jahre zurück, "Einer dieser Steine" und "Bilder im Kopf" landeten damals auf Vier, beziehungsweise Fünf.


    Quelle


    [azlink]B0115C8OUY[/azlink]


    [pushit]16053[/pushit]



    Auch die 33. Kalenderwoche hält wieder ein herausragendes Abschneiden für einen Deutschrap-Interpreten bereit. Das Release von V.A.Z.H. (Vom Alk zum Hulk) steigt auf den 5. Platz im offiziellen Ranking und beschert Silla sein bisher bestes Ergebnis im Album-Ranking
    Mit seinem inzwischen achten Studioalbum stößt der Berliner Rapper erstmalig in die Top 10 vor. Vom Alk zum Hulk, das über das Label Major Moves veröffentlicht wurde, ist die erste Platte seit dem Zerwürfnis mit Maskulin-Oberhaupt Fler. Silla, der sich thematisch besonders seinem Fitness-Lifestyle verschrieben hat, wird mit dem Erfolg für die Entscheidung belohnt eigene Wege zu gehen. Das rappers.in-Team gratuliert Silla und allen Beteiligten zum Charteinstieg.


    Quelle


    [azlink]B00U1WETCM[/azlink]


    [pushit]16052[/pushit]



    Um auf das kommende Album von Blut & Kasse einzustimmen, welches am 09.10. erscheint, lässt er nun den gleichnamigen Freetrack "Machermodus" von der Leine. Zuvor lies Blut & Kasse in Zusammenarbeit mit Pedaz zu ihrem Kollaboalbum "100% Macher" von sich hören.


    Wir wünschen Euch Viel Spaß mit dem neuen Video:


    [youtube]FOeYGpoVHto[/youtube]


    Facebook: Blut & Kasse


    Quelle


    [azlink]B013FBLUTU[/azlink]


    [pushit]16034[/pushit]


    01. Die Partei
    02. Blockbasta
    03. Mittelfinga hoch
    04. Deadline
    feat. Max Herre
    05. Bruda
    06. Überall is Krieg
    07. Tortellini Augen
    08. Legendär / Populär
    09. Ausrasta
    10. Airhorn
    11. Antihaltung
    12. Mensch gegen Maschine
    13. Non
    14. Großes Finale
    15. Ich seh was
    feat. Nena


    Ich komme etwas spät, meine Jacke ist wegen der darunter befindlichen Chipstüte und den beiden Bierdosen in den Ärmeln ziemlich ausgebeult, doch nach kurzem Suchen finde ich einen freien Sessel, mittig in der vorletzten Reihe. Zwei Altmeister sitzen wieder zusammen auf dem Regiestuhl, zwölf Jahre nachdem sie mit der Buddy-Komödie "Wer hätte das gedacht?" einen veritablen Genre-Klassiker lieferten, haben sie sich endlich für ein Comeback zusammengefunden. In der Zwischenzeit hatten sich die Karrieren des Duos in höchst unterschiedliche Richtungen entwickelt, während dem einen keine wirklichen Kassenschlager mehr gelangen, vergrämte der andere durch einen Ausflug in Arthouse-Gefilde seine Stammzuschauer, konnte sich allerdings zumindest kommerziell durch die letzte Veröffentlichung wieder aufrappeln. Die Trailer, die ich vor meinem Kinobesuch gesehen hatte, lösten direkt nostalgische Gefühle in mir aus , es fühlte sich an wie 2003, doch ein Grundmistrauen blieb, zu oft bin ich schon von Sequels enttäuscht worden. Ich ziehe meinen Kugelschreiber aus der Tasche und formuliere für meine Review auf filmmakers.in eine Leitfrage: Gelingt ASD mit "Blockbasta" die Rückkehr auf den Olymp oder scheitern Samy Stallone und Afrob Schwarzenegger beim Versuch, an die Erfolge eines vergangenen Jahrzehnts anzuknüpfen und landen im Direct-to-DVD-Segment?


    "Scherz, ich mein das bloß ernst/
    Ich werd ins Fettnäpfchen treten und 'nen Scheiß daraus lern'/
    Ich bin ein Rebell, der Scheine zählt, mach hier nicht auf Heile Welt/
    Und schreib so schnell, dass man für mich Bäume fällt/
    "
    (Samy Deluxe auf "Blockbasta")


    Vorhang auf, Film ab! Die ersten drei Szenen wirken wie die klassische Einleitungssequenz eines guten Actionfilms: Viele Schnitte, hohes Tempo. Die zwei Hauptcharaktere werden ausführlich eingeführt, hier überzeugen besonders die Dialogwechsel der beiden Protagonisten, denen exakt der gleiche Sprechanteil zugestanden wird. Die Chemie ist also immer noch vorhanden, die Ablösung gelingt scheinbar intuitiv, und bereits nach wenigen Sekunden bemerkt der kritische Redakteur, dass sein Kopf rhythmisch zu nicken beginnt. In der titelgebenden Szene "Blockbasta" überzeugt besonders Samy Deluxe, der seinen Partner hier fast an die Wand spielt, seine Darstellung war seit langem nicht mehr derart facettenreich, er wirkt zehn Jahre jünger – zurück in der Rolle seines Lebens. "Mittelfinga hoch", welches ich schon aus dem Teaser kenne, bringt die Energie des bisher Gesehenen auf einen vorläufigen Höhepunkt, instrumentiert durch eine Deluxe-Eigenkomposition, verspricht er besonders live auf einer großen Leinwand zu überzeugen.


    Mit der Einführung des Nebendarstellers Max Herre wird der Fuß etwas vom Gaspedal gelegt, das Tempo wird gedrosselt, die folgenden Szenen dienen vor allem der Charakterzeichnung und sind um mehr Substanz bemüht. Das Zusammenspiel mit Herre hat sich in der Vergangenheit bewährt und auch hier enttäuscht er nicht, das nachdenkliche Sinnieren über die eigene und daran geknüpft die künstlerische Vergänglichkeit verleiht dem Werk deutlich mehr Tiefe und rührt meine zartbesaitete Sitznachbarin zu Tränen. Der folgende Schnitt ist mir allerdings zu radikal, das klassische Thema der Männerfreundschaft wird in "Bruda" ohne die nötige Innovation behandelt und bleibt besonders durch die schlecht gemachten GCI-Effekte (Autotune) negativ im Gedächtnis. Nach "Überall ist Krieg" und "Tortellini Augen" wird ein weiteres Problem deutlich: Es wirkt, als hätten die Drehbuchautoren, um sich nicht mangelnden Inhalt vorwerfen lassen zu müssen, versucht, so viele Themenkomplexe wie möglich im Mittelteil abzuhandeln, denen sie jedoch nicht die nötige Aufmerksamkeit widmen können. So verkommt die erstgenannte Szene zur stumpfen Systemkritik, die in den schwächsten Momenten an Stammtischparolen erinnert, zweitgenannte behandelt ein tausendfach aufgegriffenes und schon deutlich kreativer umgesetztes Bild, das zum Weiterspulen einlädt.


    "Mit 30 lern ich zweifeln, war alles bloß 'ne Masche?/
    Lüg mir doch weiter in die Hosentasche/
    Mit 35 die Einsicht, dass nichts für immer bleibt/
    Kenn die Endlichkeit, auf einmal rennt die Zeit/
    "
    (Max Herre auf "Deadline")


    Nach dem zwischenzeitlichen Durchhänger besinnen sich ASD auf ihre Kernkompetenzen und so wird die Frequenz in Hinsicht auf das große Finale deutlich angezogen. Für ihren "Ausrasta" (mit Doubletime-Einlage) müssen sich die Darsteller zwar Over-Acting Vorwürfe gefallen lassen, allerdings finde ich dieses Element hier durchaus adäquat eingesetzt, es heizt die Stimmung vor dem kommenden Showdown an und ist auch handwerklich solide inszeniert. Die folgenden Stationen lassen sich wohl als retardierendes Moment zusammenfassen, qualitativ bewegt man sich auf durchschnittlichem Niveau, etwas unterhalb des guten Beginns. Herauszuheben ist lediglich "Mensch gegen Maschine", das durch die musikalische Untermalung von Derek von Krogh einen treibenden Charakter erhält, auf der die stimmlichen Stärken der Protagonisten zur vollen Entfaltung kommen. SPOILER. "Großes Finale" hält durchaus einen interessanten Twist bereit, sehr reflektiert resümieren ASD ihr eigenes Werk, diese weitere Facette schärft das Profil der Akteure ungemein und weitere Metaebenen und Interpretationsspielräume scheinen sich aufzutun. Für die Gestaltung des Abspanns hat Nena einen Gastbeitrag eingebracht, dieser rundet das Gesamtprodukt trotz vorheriger Skepsis gekonnt ab und hallt auch noch etwas nach, als der Vorhang längst wieder zugezogen ist.


    Fazit:
    Afrob und Samy Deluxe liefern wie schon der Albumtitel verspricht einen Blockbuster, der zwar mit beeindruckenden Effekten auffahren kann, jedoch auf der inhaltlichen Ebene nicht vollends überzeugt. Da es den Regisseuren lediglich gelingt, eine Stimmung gebührend umzusetzen, fehlt der Wiederanschauungswert und die Disc bleibt schon nach wenigen Durchläufen häufig im Regal stehen. Ohnehin ist "Blockbasta" ein Projekt, das die volle Qualität nur in bestimmter Atmosphäre und mit dem nötigem Equipment entfaltet; möglichst mit einem Dolby Surround System als Unterstützung zum Eisen Stemmen oder beim Autofahren. Für den ruhigen DVD-Abend zum Rendezvous eignet sich das Werk, wie Samy Deluxe in "Großes Finale" ausführt, ebenso wenig wie fürs Philosophieren im Ohrensessel mit einem Glas Rotwein in der Hand. "Blockbasta" ist auf Zelluloid gebanntes Dosenbier, zuhause nimmt man es nicht wirklich zu sich, doch vor der Festivalbühne oder wie ich in meinem Kinosessel, geht es runter wie Öl. Genre-Fans, die sich an mangelnder Themenvielfalt nicht stören, kann man den neuesten Streich von ASD guten Gewissens ans Herz legen, denn über die Qualität des gemeinen B-Movie ist die Four Music-Produktion schon durch den routinierten Vortrag der Altmeistern einzuordnen.


    Lennart Gerhardt


    [redbew]1899[/redbew]


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    01. David gegen Goliath
    02. Mathematik
    03. Wie ein Dealer
    04. Trip
    05. Wut

    06. Hype feat. Elmo
    07. Fan feat. Samy Deluxe
    08. Kaltes Wasser feat. Sido
    09. Lauf der Zeit feat. Azad & Manuellsen
    10. Mama feat. Haftbefehl
    11. Malcolm mittendrin
    12. Wenn die Sonne tief steht
    13. Selbstlos

    14. So wie du bist feat. Lary
    15. Bevor ich geh
    16. Gegenwart


    Etwas mehr als drei Jahre musste die die Hörerschaft auf die Fortsetzung von MoTrips Debüterfolg Embryo warten, eine in diesem schnelllebigem Geschäft durchaus ungewöhnliche Zeitspanne. Funfact: Fler hat seit dem Erscheinen des letzten MoTrip-Albums vier Platten veröffentlicht. Dass der Aachener trotz dieses geringen Solo-Outputs nicht völlig außerhalb des Radars geriet, konnte er seinem umtriebigen Wirken als Feature-Artist zuschreiben, so zierte er die Tracklisten etlicher Veröffentlichungen, beispielsweise von Fabian Römer und Ali As. Seine gute Vernetzung ermöglichte es wiederum, dass Trip für seinen zweiten Langspieler einen bunten Reigen der potentesten Genrevertreter um sich versammeln konnte. Gewidmet hat der sympathische Rapper "Mama" seiner eigenen Mutter, die ihrem selbstkritischen Sohn im langwierigen Schaffensprozess zur Seite stand und somit einen wesentlichen Anteil an der Fertigstellung des Werkes hatte.


    Vorneweg: Trips Stimme ist sein größtes Kapital, rauchiger als ein Schwarzwälder Schinken würde sie auch die Vertonung eines Strafzettels zum Ereignis machen. Gepaart mit einem außergewöhnliche präzisem Flow sind die Handwerksmittel für ein herausragendes Album durchaus gegeben. Die Struktur von Mama erinnert an ein (Achtung! Wortspiel) Triptychon. Den ersten Abschnitt nutzt MoTrip, um sich erstmal ausgiebig einzuführen und seine Person in den Kontrast zum derzeitigen Gebaren in der deutschen Raplandschaft zu setzen. Der Mittelteil ist inhaltlich weniger kohärent und wird sinnhaft dadurch zusammengehalten, dass sich auf sämtlichen Anspielstationen ein Feature-Partner befindet. Mit dem abschließendem Kapitel, das vom Titeltrack "Mama" (mit Haftbefehl) eingeleitet wird, zeigt MoTrip seine nachdenkliche Seite und offenbart in den Hooks sogar Gesangsfertigkeiten.

    Sieh immer zu, dass du den guten Shit vom Fake-Stuff trennst/
    Heutzutage ist angeblich alles Haze, was glänzt/
    Jeder Kiffer auf der Straße macht auf Dealer aus der Bronx/
    Doch die Ziffern auf der Waage sagen mir, woher du kommst/

    (MoTrip auf "Wie ein Dealer")

    16 Tracks, satte 56 Minuten Spielzeit, weder Intro noch irgendwelche Skits, MoTrip hat anscheinend einiges zu erzählen. "Mathematik", das besonders durch den lyrisch verpackten Countdown innerhalb jeder Strophe im Gedächtnis bleibt, ist ebenso wie "Wie ein Dealer", ein kreativer Representer. Hier entwickelt Trip eine stimmige Allegorie, die Rappertum und Drogengeschäft geschickt in Verbindung setzt (klingt nach einer Katalogwerbung, ist aber tatsächlich hörenswert), für mich nicht zuletzt dank des atmosphärischen Beats von David x Eli, der im positivsten Sinne oldschoolig klingt, einer der absoluten Höhepunkte der LP. Selbiges gilt für "Wut", einen Track, in welchem der Universal-Künstler ein jedem Rapfan wohlbekanntes Phänomen, nämlich die Verdrängung von Musik durch irgendwelche Gossip-Themen zum Ausdruck bringt. Sein Appell wirkt hier genauso beherzt wie bei "Hype", gemeinsam mit Elmo, auf dem er sich dem ewigen Unwort des Jahres annimmt und den Zusammenhang von Verkaufserfolg und musikalischer Qualität in Frage stellt.

    Sein Durchbruch ermöglicht es MoTrip, auch mit seinen eigenen Idolen zusammenzuarbeiten, ein Thema, das auch auf dem gemeinsamen Track mit Samy Deluxe "Fan" angesprochen wird. Wirklich überzeugen kann mich der ASD-Rapper hierbei ebenso wenig wie Sido, der auf "Kaltes Wasser" einen seiner traditionell mäßigen Gastbeiträge zum Besten gibt. "Lauf der Zeit", der mit Azad und Manuellsen gar mit einer doppelten Verstärkung auffährt, gerät zu einem der schwächsten Albumtitel, was auch an dem vergleichsweise nichtssagendem Instrumental liegt. Dass MoTrip Haftbefehl anbot, den Refrain und einen Part zu seinem Titeltrack "Mama" beizusteuern, spricht für die hohe Meinung gegenüber dem Offenbacher und dieser zahlt es mit barer Münze zurück. Der Kontrast vom besonnenen Trip und dem impulsivem Azzlack-Oberhaupt beschert die beste Kollaboration des Albums.

    Wir schaffen's kaum, Potential zu entfalten/
    Wir brauchen Raum, um den Traum auch real zu gestalten/
    Wir sind die Sorte, die verborgen liegt im toten Winkel/
    Wir haben Segel, doch kein Wind auf dieser Tropeninsel/

    (MoTrip auf "Malcolm Mittendrin")

    Den Durchhänger im Mittelfeld überwindet der Künstler mit nachdenklichen und ernsteren Titeln, die qualitativ wieder an die ersten Anspielstationen anknüpfen. "Malcolm Mittendrin" greift die Dramatik, welche die Serienfigur umgibt, auf, ist also eine Hymne für den unscheinbaren Außenseiter, der trotz oder gerade wegen seiner Intelligenz keinen einfachen Stand in der Welt hat. Das Eintreten für Individualismus liegt MoTrip am Herzen, wie auch bei "So wie du bist", auf dem er Unterstützung von Lary erhält, unter Beweis stellt. Das Zusammenspiel der unterschiedlichen Stimmfarben, die Sängerin wird in der Hook vom Rapper im Background unterstützt, klingt sehr harmonisch und sorgt für einen der einprägsamsten Refrains der Platte.

    Fazit:
    Nach dem gefeierten Embryo und der vergleichsweise langen Zeit zwischen den Releases waren die Erwartungen an "Mama" natürlich gigantisch. Diese erfüllt der Aachener jedoch scheinbar spielerisch und übertrifft sein Debüt recht deutlich. Die ohnehin exzellente Reimtechnik kommt in den kreativen Trackideen besonders zum Tragen und wirkt weniger erzwungen als bei so manchen anderen Genrevertretern. Zudem ist es bemerkenswert, dass es Trip gelingt, die gesamte Gefühlspalette zu bedienen, ohne dabei an Glaubwürdigkeit einzubüßen. Man kann die Wut ebenso nachvollziehen wie einen angedeuteten Minderwertigkeitskomplex in der ersten Strophe von "So wie du bist", einem der stärksten Titel des Albums. Seine Aussagen wirken wie ein tatsächliches Bedürfnis, nicht hundertprozentig durchkalkuliert, was in meinen Augen die größte Qualität der Platte ist. Darauf bezogen fallen die die zahlreichen, größtenteils durchschnittlichen Features besonders negativ ins Gewicht. Die Zusammenarbeiten mit Sido, Samy Deluxe und Azad wirken wie die nachvollziehbare Erfüllung eines Jugendtraumes, sind für das stimmige Gesamtbild der Platte allerdings wenig zuträglich. Dieser Kritikpunkt kann den positiven Gesamteindruck allerdings nicht nachhaltig dämpfen, Mama bleibt ein sowohl musikalisches als auch textlich facettenreiches Gesamtwerk, das Fans des Künstlers mehr als zufriedenstellen dürfte.


    Lennart Gerhardt


    [redbew]1876[/redbew]


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    1. Intro
    2. Bisschen mehr
    3. I love Haters
    4. Hände hoch
    5. Flasche mit Licht (Ich feier mich)
    6. Farben

    7. Prototyp Frauenschwarm feat. Serk
    8. Herz feat. Serk
    9. Bombe platziert feat. Serk
    10. Kein zurück mehr feat. Poprockz
    11. Der Party Maker
    12. Bad Girlz Feat. Harris
    13. Ride on feat. Kaiserbase



    Ein vermeintliches Albumcover, das Bass Sultan Hengzt am Anfang des Jahres auf seiner Facebook-Seite teilte, entfachte einen gewaltigen Wirbel und bescherte dem Rapper zahlreiche Schlagzeilen in nationaler und sogar internationaler Presse. Das Bild zweier sich küssender Männer, das der Berliner in diesem Fall verwendete, sorgte für Entrüstungsstürme breiter Teile seiner Hörerschaft und löste eine erneute Diskussion über Homophobie im HipHop aus. B.S.H. suchte die Flucht nach vorne und verwendete das Skandal-Cover tatsächlich für die Premium-Edition seines inzwischen siebten Studioalbums "Musik wegen Weibaz". Nachdem Hengzt auf der letzten Veröffentlichung mit seiner Battle-Attitude brach und in Interviews deutlich machte, dass er zurzeit nicht über genügend Hass für diese Art von Rap verfüge, erwartet man eine Fortführung von "Endlich Erwachsen". Der Hörer erhofft sich also ein gut produziertes Pop-Rap-Album, das durch die markante Stimme des Deutsch-Italieners und seinen unverwechselbaren Humor eine notwendige Eigenständigkeit erhält.


    In der ersten Singleauskopplung "I love Haters", in der er den "Aufzählerstyle" entmumifiziert, konfrontiert B.S.H. den Hörer in den Strophen mit einzelnen Begriffen aus dem Internet-Slang, die teilweise doch recht wahllos aneinander gebastelt werden. Eine tiefergehende Message gibt es in dem Song schlichtweg nicht, die Wortketten in den Parts kooperieren nicht mit dem Refrain, warum er seine Hater liebt, bleibt absolut schleierhaft. Wenn man dem Album, das sich vom Sound sehr variabel präsentiert, man könnte auch sagen, ohne ein durchgängiges Konzept, einen roten Faden attestieren würde, dann sind es die durchweg katastrophalen Texte – beispielhaft ist hier "Hände hoch" zu nennen. Eine Instrumentierung, die teilweise an ein Boss-Hoss-Album erinnert, wird von Zeilen garniert, die aus Kalendersprüchen und ulkigen Facebook-Profilsprüchen von geradeso Teenagern zusammengeschustert scheinen. "Wenn das Leben dir Zitrone gibt, dann nimm es zum Tequila", ruft unangenehme Assoziationen an Sonya Kraus hervor und vertonte Kalauer wie "Investier in Alkohol, da kriegst du 40 Prozent" waren vermutlich das letzte Mal im Schützengraben ein flotter Spruch – im Ersten Weltkrieg wohlgemerkt.


    "O-M-G, Smiley, L-O-L, haha/
    Freundin, Passwort geknackt – Karma/
    Religion, Rebellion, Arschloch, Politik/
    Cybermobbing, aussichtslos, Suizid/
    "
    (Bass Sultan Hengzt auf "I love Haters")


    Absolut unterirdisch wird es immer dann, wenn Hengzt den Partylöwen mimt, etwa auf "Flasche mit Licht" oder "Der PartyMaker". Der Gehalt der Lyrics, die auf penetranten Beats vorgetragen werden, befindet sich ganz unten auf der Atzen-Skala. Natürlich sind Partytracks in den seltensten Fällen mit den durchdachtesten Texten gesegnet, doch hier inszeniert sich ein Mann als Feierbiest, der nur wenige Anspielsstationen zuvor das fast kitschige "Farben" präsentiert hat, ein Lied mit absolut konträrem Inhalt. Dies führt zu einer inneren Inkohärenz, die sich auch in der musikalischen Gestaltung bemerkbar macht. Serk, der sich wie schon auf "Endlich Erwachsen" für die meisten Beats und Arrangements verantwortlich zeigt, bedient sich bei Rock, Pop, Country und diversen elektronischen Spielarten, ohne sich allerdings Gedanken zu machen, wie das ganze zusammenpassen soll. Es entsteht ein Flickenteppich, der zwar Experimentierfreude und den Mut, auch andere Stile für sich zu erschließen, beweist, jedoch keineswegs den Eindruck eines stimmigen Gesamtkonzepts vermittelt – dass das Album laut Amazon-Klappentext "in Rekordzeit entstanden" sein soll, passt da durchaus ins Bild.


    Einer der musikalisch ansprechenderen Titel ist die bereits erwähnte Single "Farben". Harmonisch eingespielt, entsteht hier mit einer eingängigen Serk-Hook und angenehmem Flow ein wirklich radiotaugliches Lied. Textlich bewegt man sich hier auf einem annehmbaren Niveau. Eine gewisse Seichtigkeit kann man verzeihen, denn das Gesamtprodukt wirkt wie bei "Bisschen mehr" sehr rund. Wie man auch in den Studio-Versionen, die B.S.H. bei Youtube veröffentlicht hatte, sehen kann, handelt es sich hier allerdings mehr um Singer-Songwriter-Material als straighten Rap.


    "Das Herz auf Eis trifft irgendwann auf eins aus Stahl/
    Egal wie reich man ist, irgendwer kann mehr bezahlen/
    Wie die Kugel, die den Pfeil überholt hat/
    Trotz Zufriedenheit geil auf mehr Wohlstand/
    "
    (Bass Sultan Hengzt auf "Bisschen mehr")


    Man sollte Zeitreisen alleine schon aus dem Grund entwickeln, um dem Hengzt zu "Rap braucht kein Abitur"-Zeiten mit seinem jüngsten Werk zu konfrontieren. Mit dem Bild möchte ich natürlich nicht jede Art von Veränderung verteufeln, eine konsequente Neuorientierung wäre bei dem inzwischen 32-Jährigem durchaus altersgerecht und mit einem natürlichen Reifeprozess zu erklären. Die Reduzierung von Fäkalsprache etwa ist ein nachvollziehbarer Schritt, allerdings kann man nicht wirklich von einem Reifeprozess sprechen, wenn sich die Texte auf einem derart flachen und teilweise gar infantilen Niveau bewegen. Schon der Album-Titel macht stutzig: "Musik wegen Weibaz" soll nach "Endlich Erwachsen" eine weitere Entwicklung sein – ich weiß ja nicht. Das neueste Release als Soloalbum zu bezeichnen, ist eigentlich nicht gerechtfertigt, da Bass Sultan Hengzt auf lediglich drei (!) der zwölf Tracks ohne fremde Unterstützung auskommt. Besonders Serk, der als Feature-Gast auf mehr als der Hälfte der Tracks in Erscheinung tritt (auf der offiziellen Playlist aus kosmetischen Gründen unterschlagen), wirkt deutlich überrepräsentiert. Zwar ist dieser wahrlich kein schlechter Musiker und seine Refrains zu "Farben" und "Bisschen mehr" sind durchaus gelungen, ein dosierter Einsatz hätte der Platte allerdings deutlich besser getan.


    Fazit:
    "Meine Texte haben Sinn und der Beat ist geil", preist sich Hengzt in Anlehnung auf ihn selbst, eine Einschätzung, die ich nicht wirklich teilen kann. Es sind insgesamt kaum Lines vorhanden, die über das Hören hinaus (positiv) im Gedächtnis bleiben, dabei war doch gerade das Finden von markanten Schlagworten und zitierfähigem Material eine der größten Stärken der ehemaligen Berliner Schnauze. Die Neuorientierung ist noch nicht abgeschlossen, "Musik wegen Weibaz" wirkt nach "Endlich Erwachsen" wie ein Treten auf der Stelle und es gilt weiterhin zu beweisen, dass Bass Sultan auch außerhalb der Domäne Battle-und Straßenrap funktionieren kann. So bleibt schlussendlich ein sehr schwaches Album, mit den eklatanten Kritikpunkten wie Textqualität und musikalischer Konzeptlosigkeit zurück, das lediglich von Hengzts markanter Stimme und seinem Flow vor einer kompletten Katastrophe gerettet wird. Einen Titel, der komplett ohne Kritikpunkte auskommt, gibt es in meinen Augen nicht, Tracks mit passablem Hörgenuss werden durch nichtige Lyrics soweit heruntergezogen, dass die Repeat-Taste unangetastet bleibt. Die Halbwertzeit von "Musik wegen Weibaz" ist also gleich null und so bleibt ein uninspiriertes Machwerk zurück, das zweifelsohne die schwächste Veröffentlichung aus der Feder Hengzts darstellt.



    (Lennart Gerhardt)


    [redbew]1858[/redbew]


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    Wieso wollen so viele eigentlich Medizin studieren? Die Hürde dafür ist doch schon Abschreckung genug, besonders wenn man dann auch noch einen schlechten Schnitt hat.


    Der Arztberuf genießt gesellschaftlich das wohl höchste Ansehen. Er wird gut, wenn auch nicht überragend bezahlt. Dazu kommt der fromme Wunsch Menschen zu helfen.