Beiträge von Antagonist


    01. Rebell ohne Grund (Kompass Reprise)
    02. 21:04 / Schwarzer Lack
    03. Weiße Tapete / Minimum
    04. 1,40 m
    feat. Philipp Dittberner
    05. Werte
    06. Kartenhaus
    07. Im Jetzt ist das Chaos (Funkeln)
    08. Familienalbum Seite 19
    09. Die Füllung vom Kissen
    10. Ballade für Jojo
    11. Schwermetall
    12. Wasser zu Wein
    13. Schornsteine
    14. Im Westen nix Neues / Tochter
    15. Strahlen von Gold / Sohn
    16. Lösung / Gepäck


    Vor genau einer Dekade brachte Prinz Pi mit "!donnerwetteR!" sein kommerziell bisher erfolgreichstes Album in die Läden, das von Fans der ersten Stunde ebenso wie von Kritikern gefeiert wurde und sich zu einem veritablen Genre-Klassiker aufschwang. Pi orientierte sich anschließend dogmatisch am Sound der Platte, schöpfte und erschöpfte sich in Selbstzitaten und präsentiert seiner erlesenen Hörerschaft, passend zum zehnjährigen Geburtstag, die inzwischen vierte Neuauflage der Erfolgsscheibe, die folgerichtig "Donnerwetter V" getauft wurde. Wäre das eine bessere Realität? In der unsrigen durchlief der Rapper, der sich einst Porno nannte, eine stetige künstlerische Entwicklung, durch welche der Berliner ein deutlich breiteres und auch jüngeres Publikum ansprach und sich zudem in Richtung Pop orientierte. Sein neues Nummer-Eins-Album "Im Westen nix Neues" (wohlgemerkt das dritte in Folge) steht nun in den Regalen und der Rezensent fragt sich, ob man einen Künstler, der inzwischen ebenso für volle Festivalshows wie für feuchte Höschen seiner noch halbwüchsigen HörerInnen sorgt, überhaupt objektiv kritisieren kann oder man sich viel mehr als nachtragender Ex-Partner zeigt, welcher mit einer Weiterentwicklung nicht Schritt halten konnte. Diesen Parforceritt werde ich im Folgenden angehen und erörtern, ob die neue Platte den recht dürftigen Vorgänger "Kompass ohne Norden" übertrifft und ich im Idealfall wieder Frieden mit einem meiner einstigen Lieblingsrapper schließen kann.


    "Meine Freunde raten: Alter, mach' aus deinen Strophen die Hooks!/
    Mit bisschen Zucker wird die Pille von den Doofen geschluckt/
    Meine Freunde raten: sag's nicht so hochkompliziert/
    Doch ich verbieg' mich nicht einen Millimeter ab hier/
    "
    (Prinz Pi auf "Werte")


    Was bleibt denn beim Alten?


    Neben Prinz Pis unübersehbarer Schwäche, das eigene Antlitz auf dem Plattencover zu präsentieren, schaut er hier dem Titel entsprechend skeptisch in die Linse und greift auch bei der Alben-Benennung auf eine bekannte Formel zurück. Ein Bezug zu einer literarischen Vorlage, diesmal unzweifelhaft dem Klassiker von Erich-Maria Remarque, weckt eine gewisse Erwartungshaltung, wie zuvor etwa bei dem James Dean inspirierten "Rebell ohne Grund" geschehen. Inhaltlich knüpft besonders der Track "Schornsteine" an die Kriegstragödie an; hier widmet sich der Interpret mit "Waffen" einem der größten deutschen Exportschlager. Zweifellos ein brennendes Thema, das hier durch Pi in für ihn charakteristischer Weise aufgegriffen wird: Von einem Einzelschicksal, hier ist es wohl ein führender Mitarbeiter einer Munitionsfabrik, wird in den späteren Parts auf die Maschinerie dahinter eingegangen und der Bogen zum Weltgeschehen gezogen. Textlich eine klare Position beziehend und deshalb überzeugend, gerät der Vortrag durch die Instrumentierung deutlich zu gehetzt und sorgt damit für ein gespaltenes Urteil. "Alle zwei Jahre werden neue Lieder gedroppt/ Und bei deinem Tätowierer explodieren die Jobs" ("Weiße Tapete / Minimum"). Dass seine Zeilen sich als Hautverzierung wieder finden, schmeichelt offensichtlich der Künstlerseele; ständig spürbar ist der Wille, eine besonders griffige Zeilen zu formulieren, ein Balanceakt, bei welchem der Rapper als zittriger Seiltänzer des Öfteren ins Facebook-Weisheiten-Fangnetz fällt und mit Aussagen wie "Die besten Sachen im Leben sind keine Sachen" ("Werte") oder "Du bist Gift, doch gegen dich weiß ich kein Mittel" ("1,40") ins Phrasenhafte abrutscht. Altbewährt beim einstmals notorischen Ich-Erzähler, der zur besseren Kollektivierung inzwischen auch gerne zur 2. Person Singular sowie 1. Person Plural greift, sind stets Romanzen, im besten Fall mit dramatischem Ausgang. Neben "Ballade für Jojo" und dem passablen "Die Füllung vom Kissen" (starker Titel) wirkt die Schmonzette "1,40" mit Behilfs-Bendzko Phillip Dittberner wie die Vertonung eines Einrichtungshauskataloges mit identischer inhaltlicher Tiefe.


    "Die meisten, die du triffst, werden lügen, mein Schatz/
    Menschen könn’ das nicht von selbst, darum üben wir das/
    Aber wenn wir einfach ehrlich sind, dann fühlen wir uns nackt/
    Ohne elegantes Make-Up aus Lügen ertappt/
    "
    (Prinz Pi auf "Die Füllung vom Kissen")


    Gibt es denn doch Neues?


    Schon beim Studieren der CD-Rückseite fällt auf, dass es dem Prinz scheinbar nicht genügt, lediglich einen Titel für seine Anspielstationen zu wählen, sondern dass er gerne auf Doppelnamen zurückgreift. Dieses aufgedrängte Aufzeigen von verschiedenen Lesarten wirkt reichlich albern bemüht und einem Track ein "Reprise" nachzustellen, erscheint einfach nur affektiert. Etwas unerwartet und deshalb umso erfreulicher ist wiederum das Comeback der Zusammenarbeit mit dem ehemaligen Stammproduzenten Biztram, der hinter den Reglern als Solist verantwortlich ist, was zuletzt bei "Neopunk" der Fall war. Die Experimentierfreudigkeit des Beatbastlers war bei früheren Zusammenarbeiten eine der größten Stärken der Kooperation, hier wirkt es phasenweise, als wäre er von Pi an einer etwas kürzeren Leine gehalten worden. Dem Großteil der Produktionen ist eine Orientierung an dem Vorgänger-Werk anzumerken, ohne allerdings den zündenden Gedanken, die eingängigste Melodie gefunden zu haben. Herausragende Instrumentals der Platte sind hingegen das epische "Im Westen nix Neues/Tochter", das ich mir auch durchaus als Intro hätte vorstellen können, sowie "Werte", das durch ein rockiges Gitarrenriff überzeugt. Eine zeitweise Renaissance erlebt zudem mit "Weiße Tapete / Minimum" der Representer, einstmals das Steckenpferd des Prinzen, dem jedoch auf "Kompass ohne Norden" kaum Beachtung zukam. Diese größere Variation der verschiedenen Track-Spielarten kommt der Laufzeit der Platte auf jeden Fall zu Gute, sodass ich die ausgeprägte Vielseitigkeit als zentrale Neuerung auffassen würde.


    Fazit:
    Mit "Im Westen nix Neues" bleibt Prinz Pi dem Weg, den er mit "Rebell ohne Grund" eingeschlagen hat, weitestgehend treu, orientiert sich allerdings auch hier und da an früheren Werken. Positiv bemerken muss man im Vergleich zum Vorgänger, dessen Kosmos sich doch sehr der Jugendzeit verschrieben hatte, eine größere thematische Vielfalt, die auch abwechslungsreich instrumentiert wird. Trotz der Bandbreite fehlen einigen Produktion jedoch die Kanten, sodass auch nach zahlreichen Durchläufen einige Tracks komplett unter dem Radar fliegen und dementsprechend auch keine größere Erwähnung in der Rezeption finden. Nach wie vor stellt die Altersdifferenz zwischen dem Berliner und seiner anvisierten Hörerschaft für mich eine der offensichtlichsten Schwächen seines künstlerischen Schaffens dar. War frühe Authentizität die erste Maxime des Wirkens ist heute der Unterschied zwischen lyrischem Sprecher und der Person Friedrich Kautz deutlich greifbar. Textlich überzeugen demnach etwas distanzierte Titel, in welchen der Berliner die Rolle eines Berichterstatters einnimmt, um zeit-aktuelle Themen zu analysieren. So bleibt am Ende ein gespaltenes Bild für ein Release, aus dem sich Anhänger aus fast zwei Jahrzehnten Musik ihre jeweiligen Rosinen picken können.



    Lennart Gerhardt


    [redbew]2021[/redbew]


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    01. Nullkommaneun
    02. Halb Mensch, halb Nase
    03. Mit Herz
    04. Ich fibicke jeden
    05. Pibissstrahlen auf 808 Bässe
    feat. Haftbefehl
    06. Hör dir nicht dieses Lied an
    07. Nur Schimpfen
    08. Kein Bock
    feat. Kalim
    09. GoPro
    10. Lockige Brusthaare
    11. SIM-Karte
    12. Don & Fuß
    feat. Xatar & Samy
    13 Bitte keine Anzeige machen feat. Schwesta Ewa
    14 Nullkommaeins


    Seit 2013 mussten sich Fans des Bonner Rappers SSIO schon wegen eines Nachfolgers des Erfolgsalbums "BB.U.M.SS.N" gedulden, eine für Genreverhältnisse fast biblisch anmutende Zeitspanne. Doch nicht nur die ausgedehnte Arbeitsdauer unterscheidet das neue Release "0,9" schon im Vorfeld von denen der durchschnittlichen Deutschrap-Massenhaltungs-Legehenne, hier ist alles SSI"Bio" (Entschuldigung an dieser Stelle): Genau fünf Videos finden sich im Vorfeld der Albumveröffentlichung auf dem YouTube-Channel des Labels AllesoderNix; statt Promo-Dauerbestrahlung setzt man im Camp auf Qualitätsware. Xatar, Labelboss und Brand-Manger inszenierte hierfür inzwischen drei Musikvideos, die dem Künstler auf den Leib geschneidert sind, vor Kreativität strotzen und damit in Deutschland wohl fast ein Alleinstellungsmerkmal darstellen. Auch der Blick auf die Tracklist lässt die Hoffnungen, die sich nach drei Jahren naturgemäß aufgestaut haben, weiter wachsen – denn statt die neu geschaffene Reichweite zu nutzen, um das Werk mit prominenten Feature-Gästen zuzukleistern, beschränkt sich SSIO, mit Haftbefehl auf eine einzige Zusammenarbeit außerhalb seines Labels. Zudem kann man sich auf den Ausnahmeproduzenten Reaf freuen, der federführend in Sachen Instrumentierung für jede Produktion auf der Platte verantwortlich war. Eine Fülle von solch verheißungsvollen Informationen und Vorgeschmäckern weckt natürlich eine gewisse Erwartungshaltung; kann der Bonner dieser gerecht werden und liefert einen würdigen Nachfolger seines starken Debüt-Releases oder waren die Vorab-Informationen Blendwerk, die eine mäßige Platte verschleiern sollten?


    "Nutte, ich bin der erste Rapper mit Inhalt und Message/
    Es geht um Drogen, Huren und immer um Mecces/
    Rapper machen Ansagen und Absagen/
    Mit Tracks, die klingen, wie schwanzblasende Balladen/
    "
    (SSIO auf "Nullkommaneun")


    Den Rahmen des Albums deutet SSIO schon im Opener "Nullkommaneun" an und eine weitere Bandbreite muss der Vollbluthedonist auch nicht auffahren, um von seiner Kunstfertigkeit überzeugen zu können. Ungehobelt und unnachahmlich unterhaltsam versucht sich der Misanthrop auf 14 Tracks von Menschen und Dingen zu distanzieren, die ihm in irgendeiner Weise auf die Nerven gehen. Ein Herzstück der Platte ist deshalb zweifellos der Titel "Nur schimpfen", auf dem von "Papaya-Sprossen"-Konsumenten bis zum Rapper, der "Migrationssongs und Liebestracks" macht, jeder (der es verdient) sein Fett weg bekommt. Schüsse gegen die Szene sind hier keine Einzelheit, sondern kommen im Vergleich zum Vorgänger in noch höherer Dichte vor, allerdings ohne in ein nerviges Namedropping überzugehen. Entledigen muss sich der Lebemann auch von diversen Liebschaften, die ihm, nach Erfüllung ihrer Plicht, auch postkoital noch zur Last fallen. Dieser Nähe entzieht er sich durch ein Arsenal von Ausreden ("Nach Sex krieg ich Heimweh" – GoPro), Wechseln der "SIM-Karte" und durch das Schaffen zahlreicher Alter Egos. Um sich etwa vor der Polizei, seiner zweiten Nemesis, in Deckung zu bringen, nutzt SSIO gemeinsam mit seinem Bruder im Geiste Xatar die Bonner "Bi-Sprache". Ein Sketch in dieser Lingua bildet den Rahmen ihrer Kooperation "Don und Fuß", wo auch der fast vergessene Samy für Harmonie und Miami-Vice-Flavour sorgt. Zu dieser lässigen Crocket&Tubbs-Atmosphäre bietet Reaf im zweiten Teil der Platte den perfekten Soundtrack: "Lockige Brusthaare" hüpfen zu Golden-Era-Klängen aus dem großzügig aufgeknöpften Hemd und spätestens als die laszive Frauenstimme in "GoPro" erklingt, schwingt der Kopf unaufhaltsam wie eine Abrissbirne.


    "Stopp ma’, logische Frage:/
    Warum wär' gern jeder deutsche Rapper Tony Montana?/
    Scarface endet doch als Toter, oder?/
    "
    Längst überfällig! (Anmerkung des Autors)
    (Haftbefehl auf "Pibissstrahlen auf 808 Bässe")


    Den Warnhinweis "Bitte nur mit Halskrause anhören" hat Deutschraps-"Supernase" nicht ohne Grund anbringen müssen, da die Beats auf Dauer schleudertraumaähnliche Zustände zur Folge haben können. Besonders der Titel "Mit Herz" erzeugt hier Unwucht in der Nackengegend, denn der Flow, welchen SSIO an den Tag legt, lässt mich sogar die Trinkwasserproblematik in der Dritten Welt vergessen, sodass sich das Haupt ohne jeden Ballast rhythmisch neigt. Ohnehin ist "0,9", was die zerstreuende Wirkung angeht, das wohl beste Album, das ich je in den Händen gehalten habe: Skits, sonst häufig auf Ulk-Niveau eines "Sat.1.-Fun-Freitag" sind hier so organisch in die Tracks verwebt und gut dosiert eingesetzt, dass man sich daran kaum satt hören kann. Seinem Ruf als Possenmacher und Sprücheklopfer wird der Bonner in voller Gänze gerecht, absurde Reimketten gepaart mit ausgeprägten Machismo und einer Portion Augenzwinkern – der Bonner weiß, wie er seine Fans an der frisch polierten Stange hält … no homo. Denn eine Neuausrichtung ist bei dem Zweitling sicher nicht zu erkennen, es ist vielmehr ein Abschleifen alles Überflüssigen. Diese Verfeinerung des eigenen Stils, das Herausstellen der Essenz ist es, was dagegen spricht, dass hier lediglich ein Aufguss des Vorgänger-Albums vorliegt, sondern SSIO vielmehr seine bisherige Perfektion gefunden hat. Dass er Mister 100 Prozent ist, beweist der passionierte Puffgänger nicht zuletzt mit dem abschließenden Track "Nullkommaeins", der als irreales Gedankenspiel ("Was wäre wenn ...") die eigene Großartigkeit in den Reaf-Beat wie eine Marmorplastik meißelt.


    "Was wär’, wenn der Avalon nicht wär’?/
    Würd’ ich immer noch klingen wie ein afghanischer Bär?/
    Eh, Nuttensohn, wärst du ohne deine Homo-Texte/
    Vielleicht ein Rapper, mit dem man gern ein Foto hätte/
    "
    (SSIO auf "Nullkommaeins")


    Fazit:
    Ein absoluter Paukenschlag gleich zu Beginn des Jahres; dem AON-Kreis gehört nach dem ebenfalls sehr guten Plusmacher-Release definitiv die Frühphase des Jahres. Doch "0,9" kann und will mehr als das: Ein von Reaf gezimmertes Beat-Fundament erweist sich als ebenso abwechslungsreich wie stimmig und sorgt dafür, dass die Platte auch noch in etlichen Monaten in den Plattenspielern der Republik rotieren wird. Die aufgrund der Vorab-Tracks geschürte Erwartungshaltung sowie den exzellenten Vorgänger übertrifft SSIO mit seinem zweiten Solo-Album hier spielend: Im direkten Vergleich kommen dem aktuellen Release hier besonders die Straffung der Tracklist sowie die Reduzierung auf einen Produzenten zu Gute. Wahnsinnig unterhaltsam, selbstironisch (ohne ins Lächerliche abzudriften), raptechnische Versiertheit und ein extrem hoher Wiedererkennungswert sind Eigenschaften, die der Bonner in dieser Kombination wohl nahezu exklusiv haben sollte. Außerhalb des Azzlack-Camps ist es wohl auch niemanden gelungen, dass derartig viele Ausdrücke direkt mit dem Künstler assoziiert werden. Mit fast unerhörter Kreativität sorgt der selbstbetitelte "afghanische Bär" für eine Messlatte, an der sich die kommenden Veröffentlichungen des Jahres messen müssen und für eine Spitzenposition in sämtlichen kommenden Jahresrückblicken.


    "SS ist der King of Rap/
    Was für King? Nenn' mich "King Kong", du Nuttensohn/
    "
    (SSIO auf "Ich fibicke jeden")



    Lennart Gerhardt


    [redbew]2005[/redbew]


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    01. Schatzmeister
    02. Vollzeit Gangsta
    feat. Botanikker
    03. Taschenrechner
    04. Schuhkarton
    05. Brusthaare
    06. Hasselbachplatz
    07. Raubkatzen
    feat. Momo der Afrikaner aus dem Block
    08. Kingimkiez
    09. Arrestlokal
    feat. XATAR
    10. Jobcenter Gangsta
    11. Ernte
    12. Mit Senf
    feat. Karate Andi
    13. Popelbremse
    14. Miezentreiberflow
    feat. Nico Nuevo
    15. Harzmaniküre
    16. Privatact
    17. Zahnstocher
    18. Wir sind Gees
    feat. Botanikker


    Hugo Almeida ist zurück in der Bundesliga und trifft beim Debüt, Plusmacher steigt erfolgreich in die Charts ein; der Januar verläuft für Freunde des gepflegten Oberlippenhaares mehr als erfreulich. Bisweilen passiert es allerdings, dass ein Gimmick größer wird als der Künstler selbst, ein Symbol die Bewegung übertrifft. Kann sich "Plusi", wie ihn Freunde nennen, also beweisen – schafft es der "Cypher-Selleck" seinem imposanten Markenzeichen gerecht zu werden? Denn die Hoffnungen in den aus Magdeburg stammenden Rapper, welchen Xatar als Zugpferd seines "D-League-Labels" Kopfticker Records auserkoren hat, sind gewaltig. Eine knackige Promophase mit einigen Videoveröffentlichungen versprach, trotz des künstlerischen Umzugs nach Bonn, eine Fortführung der bisherigen Linie, garniert mit den BoomBap-Beats aus der Kopfnicker-Schmiede.


    "Meine Videos im Netz sind kein Beweis für euch Nuttensöhne/
    Hab' beim Goldräuber gesignet für gute Erträge/
    Der Kush-Puffer ist am Blüten verkaufen/
    Macht's wie Traffic und kommt niemals mit Minus nach Hause/
    "
    (Plusmacher auf "Taschenrechner")


    Den ersten Durchgang beschließe ich, mir beim Laufen zu gönnen; ein Plan, den ich schon nach wenigen Schritten verwerfe, da mein Gang immer federnder wird und mein Kopf in bester Wackeldackel-Manier durch die Luft wedelt. Damit wird auch schon eine zentrale Qualität des Albums offensichtlich, denn die Platte benötigt nur wenige Sekunden, um sich im Gehörgang einzunisten und den Rhythmus der Bewegungen zu diktieren. Förderlich für diesen Effekt ist zweifelsohne, dass es sich bei dem ersten Track "Schatzmeister" keineswegs um ein klassisches Intro handelt, sondern viel mehr um einen für das Album exemplarischen Titel, der auch an jeder anderen Position zu finden sein könnte. Ohnehin wirken die einzelnen Anspielstationen auch losgelöst von ihrem Umfeld, was nicht heißt, dass es keinen durchgängigen Vibe geben würde, der hauptsächlich durch die stimmigen Produktionen von etwa Pierre Sonality, Reaf oder Brudiloops entsteht.


    Die Themenfelder, welche von dem Schrebergärtner beackert werden, lassen sich auf einem Bierdeckel aufschreiben und umfassen Drogenhandel, Frauengeschichten und Lokalpatriotismus; so weit, so unspektakulär. Wichtiger als das Gesagte ist bei dem Berliner allerdings seine Attitüde, mit der er Zeilen wie "Du hast CDs, ich hab Mercedes", die man bei anderen Rappern als "Bad Bars" bezeichnen würde, derartig lässig auf den Beat rotzt, dass man über diese vermeintlichen Schwächen ohne weiteres hinwegsehen kann. In der Vergangenheit ließ sich immer wieder beobachten, dass Ausdrücke beispielsweise aus dem Azzlack-Camp sich auf die gesamte Szene übertrugen. Eine ähnlich sprachgenerierende Fähigkeit stellt auch der Plusmacher eindrucksvoll unter Beweis, der auf "Die Ernte" sein eigenes Vokabular etabliert. Die Fokussierung auf wenige Themen und die einheitliche Instrumentierung, die bisweilen fast zu einem Klangkorsett werden, weist nach einigen Hördurchgängen Abnutzungserscheinungen auf. Zwar ist ausnahmslos jede Produktion solide, doch die Spitzen, die wirklich herausragenden Nummern, gehen teilweise etwas abhanden. Nachhaltig ins Gedächtnis bringt sich etwa der Titeltrack "Ernte" in welchem MecsTreem die BpM-Zahl etwas erhöht und den Plusmacher zwingt, seine Komfortzone zu verlassen und etwas aufs Gaspedal zu treten. Daneben haut der Mann mit der Schenkelbürste einen Poesiealbum-würdigen Spruch nach dem anderen raus und sorgt für eine wahnsinnig eingängige Hook. Auf "Zahnstocher", dessen Beat mit mehr Glöckchen als Santa Claus' Weihnachtsschlitten auffährt, zelebriert Plusmacher seinen "Seerobbenflow" und sorgt damit für meine persönliche Metapher des noch jungen Rap-Jahres. Auch die Features tragen zum Gelingen des Gesamtprojektes bei, da hier weniger auf Namen als auf musikalische Stimmigkeit geachtet wurde, wirkt niemand wie ein Fremdkörper, wobei Karate Andi zweifellos die Galionsfigur der Gastbeiträge darstellt. "Mit Senf" fügt den Mustard zum Vorgänger "Bockwurst" und beweist erneut, dass sich die asozialen Auren der Trinkhallen-Gefährten ähnlich gut ergänzen wie Mario und Luigi. Auch die Storyteller, die sich allerdings im schon bekannten Themenkomplex bewegen, stechen hier heraus: "Raubkatzen", ein Track, der eine problematische Drogenübergabe schildert oder "Jobcenter Gangsta", auf dem Plusmacher das Ausnutzen des Arbeitsamtes glorifiziert, wissen hier besonders zu gefallen.


    "Teich voller Kois, der Rubel rollt/
    Kopfticker-Übernahme, Gee-Rap auf Deutsch/
    Was für Fitness, Fotze? Mein Speck macht mich breit/
    Ich fick' dich dadaistisch, besser Finger weg vom Mic
    /"
    (Plusmacher auf "Ernte")


    Fazit:
    Xatar bewies schon auf seinem Label "Alles oder nix" ein untrügliches Gespür dafür, welcher Künstler mit einem gewissen Push in deutlich höhere Sphären gelangen könnte und wählte seinen Hofstaat mit Maß und Bedacht. Auch bei seinem neuen Projekt scheint Deutschraps König Midas wieder ein goldenes Händchen zu beweisen, denn Plusmacher liefert einen überzeugenden Label-Erstling ab. Natürlich ist "Die Ernte" kein Werk, das sich durch einen hohen Anteil von tiefschürfender Gesellschaftskritik und substanziellen Texten auszeichnet, doch den eigenen Anspruch, unterhaltende Musik zu schaffen, erreicht man mit Bravour. Die Platte ist ein extrem kurzweiliges Hörvergnügen, dem man die 18 Tracks kaum anmerkt und die auch nach diversen Durchgängen noch keine gravierenden Verschleißerscheinungen aufweist. Bei einer Instrumentierung wie aus einem Guss geht hier lediglich die Vielfalt abhanden, nicht nur textlich fehlt es hier an Innovation im bekannten Umfeld, auch musikalisch ragt kaum eine Produktion aus der blauen Masse heraus. Der ein oder anderen Thementrack, natürlich im Rahmen des plusmacher'schen Mikrokosmos sowie etwas variablere Song-Strukturen hätten der sonst fast tadellosen Platte sicherlich gut getan.



    Lennart Gerhardt


    [redbew]2003[/redbew]


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    01. Das Buch HABAKUK
    02. KVS together
    03. Pauke
    04. Das Leben ist schön
    05. ‪#‎Mels‬‬
    06. Antenne
    feat. Fleur Earth Experiment
    07. Kiosk feat. Veedel Kaztro
    08. Armlänge
    09. Ich bin ein ...
    10. Lattenzaun
    11. Homeland
    12. Knoten
    feat. Quichotte
    13. Shitstorm
    14. Belgische Verhältnisse
    15. Gefällt mir
    feat. Projekt Gummizelle & Whzky Frngz
    16. Keine Berührung
    17. Habakuk


    Mit seinem Debüt-Album "Habakuk" schickt sich der Grembranx-Repräsentant TAMI an, auch über die Grenzen seiner Heimatstadt Köln einen gewissen Bekanntheitsgrad zu erlangen. Denn trotz seines vermeintlichen Newcomer-Status ist der Rapper in der Untergrund-Szene der Rheinmetropole seit einiger Zeit ein Begriff. In der Vergangenheit veröffentlichte er beispielsweise die EP "Zurück in die Zukunft", die als T-Shirt erschien (auf dem Shirt befand sich ein Download-Code) und das Free-Mixtape "Klassische Musik". Für sein erstes Release, das man sich auch ins Regal stellen kann, schien sich der Kölner einiges vorgenommen zu haben, denn die nicht nur exzellent bebilderten, sondern auch inhaltlich enorm interessanten Vorboten "Ich bin ein…" und "Habakuk" schafften es, das Interesse an dem Langspieler zu wecken.


    "Ich bin nicht blind und glaub nur das, was ich seh'/
    All die Machthaber stehen für den Hass, den ich heg'/
    Und sie morden in deinem Namen, um die Ordnung zu bewahr'n/
    Wir sehen uns morgen dann im Pardies, bei Orgien im Park
    /"
    (TAMI auf "Das Buch Habakuk")


    Mit dem an den Albumtitel angelehnten Track "Das Buch Habakuk" schickt der Rapper den wohl kontroversesten Titel der Platte als Intro vorweg. Eine durchaus bemerkenswerte Anordnung, denn statt mit einem unverfänglichen Representer zu starten, provoziert der Song, in dem TAMI Religionen als Wurzel allen Übels erkennt und verurteilt. Weniger Uneinigkeit herrscht hier bei der Bewertung der musikalischen Qualität; der von Dufsen produzierte Beat ist wahnsinnig atmosphärisch und wird durch Tamis angenehm zurückgenommenen, aber dennoch emotionalen Vortrag veredelt. Dass der Kölner sich nicht nur mit Trivialthemen wie Religion auseinandersetzen kann, beweist er mit "Pauke", in dem er sich den Irrungen und Wirrungen im Deutschrap-Moloch beschäftigt. Mit gezückten Zeigefinger prangert er die Marketingmaschinerie bei gleichzeitiger Ideenlosigkeit an und trifft damit zielsicher ins Schwarze, auch wenn diese Art von Szenekritik zugegebenermaßen nicht unbedingt von Kreativität strotzt. Das Herausheben der eigenen "Trueness" sowie der Sachverhalt, dass sich der Künstler von HipHop-Medien übergangen fühlt, werden allerdings bisweilen überstrapaziert und laden zum Untergrundrapper-Bullshit-Bingo ein.


    Eindeutig ausgenommen von dieser Kritik ist der Track "Ich bin ein …", der zwar sich zwar auch mit Rap-Rollenklischees und zweifelhafter Authentizität auseinandersetzt, allerdings auf eine kreative Art und Weise. Der Song ist Parodie wie Persiflage und analysiert Phrasen und Wirkungsmechanismen eines klassischen (Gangsta-)Raptracks, in dem TAMI bewusst doppelbödig aus der Perspektive eines Genrevertreters agiert. Mit bemerkenswertem Detailreichtum und sonorer Stimme, die auf dem Spexo-Instrumental voll zur Geltung kommt, liefert der Kölner hier wohl seinen stärksten Beitrag. Dass "Habakuk" genau am Zeitgeist ist, der Künstler gar prophetische Züge zu besitzen scheint, beweist die Benennung des Titels "Armlänge". Der Battletrack mit direkter Aufforderung zur Konfrontation gerät zwar nicht in den Verdacht, dass es sich um irgendein politisches Statement handeln könnte, doch das bisherige Unwort des Jahres ist gerade im Zusammenhang mit TAMIs Herkunft eine unterhaltsame Randnotiz. Persönliche Töne spart der Rapper nicht aus, ohne dass dies allerdings eine große Stärke des Künstlers darstellt: Exemplarisch lässt sich das an dem Titel "Homeland" zeigen, dessen Namen und Inhalt an das vergangene Casper-Album erinnern. Anders als dem Bielefelder gelingt es dem Rheinländer hier allerdings, die persönlichen Erlebnisse in der Tristesse Facetten hinzuzufügen sowie eine Identifikation mit dem Gehörten zu erreichen.


    "Wer Kontakte verkauft, fickt mein HipHop von innen/
    Ich häng ab in der Cloud, jeder Klick ein Gewinn/
    [...]
    Ist die Juice ein Magazin oder ein Branchenblatt/
    Hab eine Review verdient, doch bekomm nichts ab/
    "
    (TAMI auf "Armlänge")

    Fazit:

    Sämtliche Kritikpunkte sind hier Jammern auf einem wirklichen ausgesprochen hohen Niveau, denn TAMI liefert mit "Habakuk" einen mehr als bemerkenswerten Erstling. Dass die markante Stimme, die man gewiss als künstlerisches Kapital des Rheinstädters bezeichnen kann, derart gut in Szene gesetzt wird, kann man gewiss den durchweg guten Produktionen zuzuschreiben. Dufsen, YOURZ und Spexo, um nur einige Mehrfachtäter zu nennen, haben dem Kölner die Beats auf den Leib gezimmert. Soundtechnisch zeichnet sich das Bild durch ein recht oldschooliges Gewand aus, das Nicken wünscht und fördert. Inhaltlich kann der Rapper nicht vollends überzeugen; die beachtliche Spieldauer von 17 Tracks sorgt dafür, dass sich der ein oder andere Lückenfüller auf der Platte findet. Meinem Eindruck nach ist TAMI textlich ein besserer Analytiker als Erzähler: Während Meta-Tracks durch eine gute Beobachtungsgabe und sinnvoll gezogene Schlussfolgerungen auffallen, sind die persönlichen Titel oft zu beliebig und werden nach einigen Durchläufen zu Skip-Kandidaten. Stärker sind wiederum Battle-Passagen, die ausgenommen von Rap-Medien kein Namedropping betreiben, sondern durch die eine oder andere launige Punchline zu Gefallen wissen.



    Lennart Gerhardt


    [redbew]1998[/redbew]


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    01. Intro
    02. Empire Business
    03. Blutdiamanten
    04. Kool & The Gang
    05. John Gotti
    06. Schusswaffengeräusche
    07. Bye Bye Mr. President
    08. Hoodtales IV
    09. Kalter Krieg
    10. V.I.P.I.M.P.
    11. Wall Street
    12. Nebel
    13. Tropische Tierpelze
    14. Pitbulls & AKs
    15. Carpe Diem
    16. Mörder
    17. Weißer Testarossa
    18. Winter
    19. Angeberprollrap Infinity (Outro)

    Mit großem Erfolg kommen auch immer mehr Kritiker aus den Löchern; diese Erfahrung musste der selbstinthronisierte King im vergangen Jahr machen. Der Widerstand begründete sich hierbei nicht nur auf der musikalischen Entwicklung, sondern besonders die Geschäftsgebaren des Selfmade-Interpreten wurden bisweilen als zweifelhaft bewertet, neben einer nie dagewesenen Albumpromotion, welche die Produktionsphase zeitlich übertraf, erntete hier besonders das Fitnessprogramm "Bosstransformation" kritische Resonanz. Als Kollegah im Laufe des Jahres die Fortführung seiner Zuhältertape-Reihe ankündigte, war die Reaktion dementsprechend eher verhalten. Viele vermuteten dahinter eine weitere Businessentscheidung, um durch die Vermarktung der populären Serie der Anhängerschaft weiteres Geld aus den Taschen zu ziehen, ohne jedoch musikalisch an die früheren Werke anzuknüpfen zu können. Betreibt der Düsseldorfer hier also Etikettenschwindel und serviert ein austauschbares Werk in der Bugwelle seiner Tape-Reihe oder fügt sich die Veröffentlichung in die ZHT-Saga ein und ergänzt es im besten Fall um neue Elemente?


    Schon die Tracklist lässt das Herz des geneigten Kollegah-Hörers höherschlagen, denn mit "Hoodtales IV" und "Angeberprollrap Infinity" finden sich offensichtlich Fortsetzungen einiger Klassiker auf der Platte. Besonders "Winter", die Komplementierung der Jahreszeitenzyklus-Tracks, und "Nebel", welcher eine Weiterführung von "Rauch" ist und für den der ehemalige kongeniale Partner Rizbo gewonnen werden konnte, wecken hier das Interesse. Neben dem außergewöhnlichen Umfang, 64 Minuten Spielzeit verteilen sich auf 19 Anspielstationen, fällt auf, dass der Platininterpret komplett auf Featuregäste verzichtet hat, auch für ZHT-Veteranen wie Casper und Favorite wurde keine Ausnahme gemacht.


    "Impulse meiner total kühlen Koka-Psyche/
    Gelangen über hochaktive Synapsen/
    Und Neuronen an meine Großhirndrüse/
    "
    (Kollegah auf "John Gotti")

    Kollegah bewies schon seit jeher ein Gespür für stimmige Anordnungen und so schaltet er nach dem verhältnismäßig unspektakulären Intro in den höchsten Gang. Der Titel "Blutdimanten", dessen Hook an frühere Refrains angelehnt ist und mit dieser Selbstreferenz exemplarisch für das Album steht, überzeugt durch einen absolut kompromisslosen Text und erinnert damit an den direkten Vorgänger in der Zuhältertape-Reihe. Deutlich entspannter wirkt da "Kool & The Gang", das sich den Golden-Era-Beats von Kollegahs Debüt angleicht und mit dem lässigen Vortrag und trockenen Humor einen ersten Höhepunkt darstellt. Epischer präsentiert sich das Instrumental von "John Gotti", das von AON-Haus-und-Hof-Produzent Reaf beigesteuert wurde. Auf choralen Klängen demonstriert der Reimarchitekt sein schier unendliches Repertoire an Wortspielen und Vergleichen und zeigt einmal mehr seine Ausnamestellung in dieser Hinsicht. Pure Arroganz ist ein weiteres Erkennungsmerkmal, das im Track "Schusswaffengeräusche" kultiviert wird, in dem der Interpret das Abfeuern von "Guns" als Feauturegast vorstellt. Auch der Sexismus, mit dem der Boss häufig kokettiert, findet hier einen zwischenzeitlichen Höhepunkt und wird mit einem Augenzwinkern zelebriert: "Feministen hören mein Tape und staunen nicht schlecht, denn Kollegah ist ein Businessman, der nur Frauen beschäftigt."


    "Es gibt heute keinen Cock für deine Sister/
    Weil die Fotze 'nen Kanisterkopf hat wie Batista/
    Ich brech' deiner Mom den Kiefer vorteilhafterweise/
    Reicht dazu, wenn ich 'nen Schwanz aufs Bordsteinpflaster zeichne/
    "
    (Kollegah auf "Schusswaffengeräusche")


    Im Mittelteil finden sich nach diesem überragenden Start auch immer wieder Lückenfüller, Titel wie "Carpe diem" und "Bye Bye Mr.President" rangieren etwa lediglich unter ferner liefen. Aus den Anspielstationen, die stringent dem Zuhälter-Film untergeordnet sind, ragt der Titel "Nebel", in dem Kollegah ehemaligen Weggefährten für ihre Unterstützung dankt, besonders hervor. Den Synthesizer-Beat, den man in dieser Form genauso auf "Boss der Bosse" hätte vermuten können, zeigt, wenn auch im Image, zum ersten Mal Emotionen. Eine ähnliche Wirkung erreicht der Titel "Winter", mit dem Toni Vivaldi seinen Jahreszeitenzyklus vollendet. Vergänglichkeit, Vergangenheit und die Unumkehrbarkeit des eigenen Handelns sind Themen, die auf dem angemessen düsteren Instrumental behandelt werden. Damit die Melancholie nicht allgegenwärtig wird, schießt Kollegah nach diesen besinnlichen Titeln danach umso härter. In Sachen Kompromisslosigkeit ragt hier "Mörder" heraus, das durch einen extrem atmosphärischen Alexis Troy-Beat und Lines wie, "Das nächste Mal, wenn dich deine Eltern sprechen wollen, benutzen sie ein Hexenbrett", zu einem absolutem Dauerbrenner wird. Sämtliche Punchlines und Reimketten, die im Vorfeld noch keine Verwendung fanden, ballert der Düsseldorfer in bewährter Tradition auf dem Outro "Angeberprollrap Infinity" heraus. Ein mehr als würdiger Abschluss, der eine unfassbare Reimkette beinhaltet und sich nicht vor den Outros der Vorgänger-Tapes, die stets zu den Highlights zählten, verstecken muss.


    "Ey, ich zieh' gereizt um mich schießend durch Eimsbuschgebiete/
    Kid, ich hatte die Glock schon in der Einschulungstüte/
    Um dich lautlos zu killen, brauch' ich kein’ Schalldämpfer, Kid/
    Sondern drück dir die Kugel einfach mit reiner Gewalt ins Genick/
    "
    (Kollegah auf "Mörder")


    Fazit:
    Desert Eagle Guns, Dobermänner, Kokainmissbrauch – das "Zuhältertape Volume 4 " wirkt wie eine Zeitreise durch die bewegte Vergangenheit des "Drogenpapstes" und zeigt etwa durch den Gebrauch von allseits beliebten Addlips die Orientierung an den Vorgängerplatten. Unkenrufen zum Trotz bildet das Mixtape eine exzellente Fortführung, die absolut im Geiste der Vorgänger steht. Die Platte nach inhaltlicher Tragweite zu bewerten und mangelnde Themenvielfalt kritisch zu betrachten, wäre unangemessen, da man dies unter dem Label "Zuhältertape" ohnehin nicht erwarten sollte. Kollegah befindet sich auf dem Gipfel seiner Qualitäten als Texter. Die charakteristischen Reimketten sind gewohnt eindrucksvoll und auch in seiner Hauptkompetenz – komplexe Vergleiche kann der Düsseldorfer wieder auftrumpfen. Zum Unterhaltungswert tragen auch die zahlreichen Selbstzitate bei, die in einigen Fällen auch abgewandelt werden. Nicht zuletzt muss auch der trockene Humor, der durchaus für das ein oder andere Schmunzeln sorgt, hervorgehoben werden. Soundtechnisch ließ sich Alexis Troy, dem der Großteil der Produktionen zugerechnet werden kann, vom Sound sämtlicher Vorgänger-Tapes inspirieren. Es gelang dem Selfmade-Stammproduzenten dennoch, ein stimmiges Gesamtprodukt zu schustern, das auch nach einigen Durchläufen nicht langweilig wird. Besondere Highlights sind zudem zweifellos die Beats von Reaf; auch das musikalische Lebenszeichen von Rizbo fügt sich gut ins Gesamtgeschehen ein. So bleibt das "Zuhältertape Volume 4" ein Gesamtprodukt ohne gravierende Schwächen, das durch die enorme Laufzeit naturgemäß einige weniger starke Tracks beinhaltet, die allerdings nicht unmittelbar geskippt werden müssen. Wer sich davor für kein Werk von Kollegah erwärmen konnte, sollte auch um diese Veröffentlichungen einen Bogen machen, während sich jeder andere zumindest einige Rosinen aus dem Kuchen picken können wird.


    Lennart Gerhardt


    [redbew]1986[/redbew]


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    01. Comeback des Jahres (Intro)
    02. Denk an die Kinder
    03. Vor Gericht
    04. Lass liegen
    05. Teamgeist
    06. Mama kannst Du mich abholen 1
    07. Hab ich Recht
    08. Gute Bekannte
    09. Das bedeutet Krieg
    feat. Morlockk Dilemma
    10. Mama kannst Du mich abholen 2
    11. Du bist schön
    12. Doktor spielen
    13. Comeback des Jahres
    14. Mama kannst Du mich abholen 3
    15. Musik ist keine Lösung


    Radiodauergast, Goldinterpret und Festival-Headliner – seinen Lebenslauf konnte der Pionier des Subgenres "Schauspielrap" durch sein Erfolgsalbum "Triebwerke" gehörig aufpolieren. Spätestens seit dem vom Feuilleton ebenso wie von Rap-Hörern gleichermaßen gefeierten Werk muss man den Mann, der sich jahrelang als Geheimtipp im Untergrund seine Sporen verdiente, niemandem mehr vorstellen. Auch die Wartezeit zwischen den Solo-Releases nutzte der Rapper produktiv und brachte mit seinem Männergesangsverein Trailerpark den dritten Teil der Crackstreet-Boys-Saga in die Läden. Doch auch ein Ausnahmekünstler wie der Berliner scheint vor Abnutzungserscheinungen nicht gefeit: Die Rückmeldung auf die bisherigen Videoveröffentlichungen blieb vergleichsweise verhalten, besonders an den gesungenen Refrains schien sich das Publikum satt gehört zu haben und so verlief die Promotionsphase für "Musik ist keine Lösung" deutlich ruhiger als beim Vorgänger. Zwar waren die Texte weiterhin auf gewohnt hohem Niveau, doch die künstlerische Innovation blieb abseits der grandiosen Videos etwas auf der Strecke. Stagniert Alligatoah also zum ersten Mal in seiner Laufbahn, wenn auch auf einem hohen Niveau und serviert hier in Wahrheit "Triebwerke 2.0" oder sind noch einige Perlen im Dickicht versteckt?


    Wohlbekannt dürften dem geneigten Hörer die ersten drei Anspielstationen sein, denn hierbei handelt es sich um die Vorab-Tracks. Zwar fährt der Sprachvirtuose hier mit gewohnter Wortspieldichte auf, doch der Funke springt besonders bei der etwas zu offensichtlichen Wegwerfgesellschaftskritik (100 Punkte bei Scrabble) "Lass liegen" nicht über. Als Ein-Mann-Band-Aid-Kapelle liefert Alligatoah in "Denk an die Kinder" schon eine deutlich stärkere Leistung ab: Die clevere Struktur des Thementracks, der sich im Refrain mit Mount Blanc Füllfederhalter den Absolutionsschein für die eigene Schamlosigkeit unterschreibt, läuft zielgenau auf das Finale furioso zu, welches zu orchestralen Klängen ein Parodienfestival darbietet. Das aufgefahrene Staraufgebot erinnert nicht zufällig an die allweihnachtlichen Charity-Projekte und kritisiert das soziale Engagement zum Selbstzweck.


    "Schon Cäsar hatte Hunde, laut der Legende/
    Wir sind quasi seine Erben, wir sind Herrchenmenschen/
    […]
    Krankheiten bekommst du, wenn du Birnen verspeist/
    Birnen verlieren, wenn du Äpfel mit Birnen vergleichst/
    […]
    Bei der Hutverbrennung ruft der Büttenredner/
    Wir sind nur besorgte Mützenträger/"

    (Alligatoah auf "Teamgeist")


    Wie schon in den vorhergegangenen Titeln liegt dem Beat von "Teamgeist" eine Kombination aus akustischer und E-Gitarre, die das Multitalent höchst selbst eingespielt hat, zu Grunde. Neben diesem Instrumental ist es vor allem die Hook, die mit dem Wechsel von gerappten und gesungen Sequenzen den Song als ersten Höhepunkt kennzeichnet. Das willkürliche Zusammenrotten in Kollektive, um von eigenen Unzulänglichkeiten abzulenken und sich im Verbund über Andere zu stellen, wird hier anhand von plastischen Beispielen geschickt vorgeführt. Hierbei greift Alligatoah auch das Vokabular der realen Gruppen auf und persifliert diese, was gleichermaßen zeit-aktuell wie gesellschaftskritisch ist und auf einer Landkarte zeigt, in welche Richtung sich das Album entwickeln kann. Auflockerung nach diesem ernsten Thema verspricht der erste Streich des dreiteiligen Skit-Songs "Mama kannst du mich abholen" – ein Element, das mit "Münchhausen" auch auf dem Vorgänger Verwendung fand. Der Episoden-Track befasst sich mit Konsequenzen, die man sich durch das eigene Handeln eingebrockt hat, für die man jedoch nicht einstehen möchte und einen leichten Ausweg sucht.


    Unter anderem untermalt von Mundharmonikaklängen wütet die Kunstfigur Kaliba völlig unreflektiert in "Hab ich recht" und karikiert damit den dauerhaft empörten Bürger und "Triple"-Moralisten – "Ich bin eigentlich ein friedlicher Mensch, aber Mörder sollten alle einen qualvollen Tod sterben ". "Das bedeutet Krieg" fällt nicht nur wegen des einzigen Feauturegastes Morlockk Dilemma aus dem Raster: Chipmunk-Stimme in der Hook, inhaltlich absoluter Nonsens, zusammengehalten lediglich durch eine unfassbare Reimkette. Ähnlich gehaltlos zeigt sich "Doktor spielen", das wummernde Bässe mit dem üblichen Gitarrenzupfen verbindet und sich damit akustisch von den meisten Produktionen absetzt. "Du bist schön" ist so derartig eingängig, dass der Refrain selbst nach Unterlassungsklage zu 100 Metern Abstand den Weg zurück in den Gehörgang fände. Es fühlt sich an, als würde Alligatoah mit der Zungenspitze sanft das Ohr liebkosen und statt angewidert mit den Worten "Geht's noch?!" aufzuspringen, bittet man nur um mehr. Die bittere Süße, die dem Anprangern der Oberflächlichkeit innewohnt, ist exemplarisch dafür, wie es "Herrn Gatoah" gelingt, ernste Themen in ein harmonisches Klanggewand einzukleiden.


    "Du machst ein Lied gegen die gemeine Welt/
    Und in China hat gerade jemand Reis bestellt/
    Dann kommt der Krieg wieder – dann begreifst du schnell/
    Musik ist keine Lösung
    /"
    (Alligatoah auf "Musik ist keine Lösung")


    Einen eigenen Absatz verdient sich der Titeltrack "Musik ist keine Lösung", den der "Weltverbesserer" mit Piano und Schlagzeug unterlegt und der mit den Erwartungen des Hörers an einen abschließenden Song bricht. Statt eine Conclusio aus der geäußerten Kritik zu formulieren, verhandelt der Rapper vor Gericht auch gegen sich selbst. Dabei werden Fragen an die eigene Person formuliert: Profitiert nicht auch er als Betroffenheitslyriker von den Katastrophen auf der Welt? Gegen was demonstriert man eigentlich, wenn alle Probleme gelöst sind? So balanciert Kaliba 69 zwischen Resignation und "Jetzt erst recht Attitüde", die man durchaus aus dem Song interpretieren kann, und überlässt dem Hörer die Entscheidung der Einordnung hier selbst.


    Fazit:
    Wer sich den Alligatoah von "In Gottes Namen" zurückwünschte, da ihm "Triebwerke" zu seicht und apolitisch geriet, kommt hier wieder voll auf seine Kosten, denn der Berliner bleibt ein Künstler, der seinen Werken einen thematischen Überbau verpasst. Nach Religionen und zwischenmenschlichen Beziehungen sind es hier eben Probleme des gesellschaftlichen Lebens, die teilweise direkt und manchmal auf einer Metaebene angesprochen werden. Neben der charakteristischen Ironie, welcher der Interpret mit dem gewohnten Wortwitz garniert, zeigt sich der Millionensassa auf "Musik ist keine Lösung" entwaffnend ehrlich. Man merkt, dass die behandelten Themen den Interpreten tatsächlich tangieren und nicht nur deswegen aufgegriffen werden, da es zurzeit en vogue ist, einer Platte den politischen Anstrich zu verpassen. Man kann den Berliner für die ironische Herangehensweise, die immer eine Art doppelten Boden bietet, zwar kritisieren, doch an der Gesamtaussage des Manifestes gegen Gleichgültigkeit, Intoleranz und Dummheit ist absolut nichts auszusetzen. Auch musikalisch überzeugt der Rapper durch den gewohnten Ideenreichtum und verwendet sämtliche Instrumente, über die er im Studio gestolpert ist, für die Untermalung. Auch die Befürchtung der Standard-Gesangshook bewahrheitet sich nicht, denn der Musikus scheint sein Arsenal an eingängigen Refrain-Varianten noch lange nicht geleert zu haben und so bietet Alligatoah nach etwas gemächlichem Start ein überaus rundes Album.



    Lennart Gerhardt


    [redbew]1968[/redbew]


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