Beiträge von lupa


    4tune. Ein Name, der vor allem für die heutige HipHop-Jugend kein Fremdwort mehr darstellt. Mehrfache, erfolgreiche Teilnahmen an Online-Battle-Turnieren sorgten für einen regelrechten Hype um den Hobbyzauberer mit Pandahass und führten neben Festivaleröffnungen und weiteren zahlreichen Auftritten zu einem Bekanntheitsgrad, der nicht mehr nur auf das Internet beschränkt sein sollte. Passend zur Veröffentlichung seines Albums "Einer muss es ja tune" trafen wir uns mit dem Hamburger Rapper und sprachen über Themen wie sein Debüt, die aktuelle Labelsituation und seine Battle-Vergangenheit.


    rappers.in: Über deinen Albumtitel wurde in den letzten Wochen viel diskutiert. Die Platte sollte zuerst "Der fantastische 4" heißen, wurde dann aber in "Einer muss es ja tune" umbenannt. Wir finden, dass dieser Titel generell viel besser zu dir passt und sich dieser Satz auch schon über lange Zeit etabliert hat – wieso hast du dein Album nicht von Anfang an so genannt?


    4tune: Ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich diesen Spruch jetzt seit zwei Jahren auf dem T-Shirt habe und man muss natürlich damit leben, dass einem diese Worte bei jeder Gelegenheit um die Ohren geknallt werden. Nach zwei Jahren konnte ich das einfach nicht mehr hören. (lacht) Darum habe ich mir überlegt, dass etwas Neues her muss. Als dann die Situation so war wie sie war, habe ich mir gedacht, dass ich das Album jetzt "Einer muss es ja tune" nenne, weil es zu dieser Situation passt, so nach dem Motto: "jetzt erst recht".


    rappers.in: Hast du bei der ursprünglichen Namensgebung gar nicht daran gedacht, dass daraus ein Rechtsstreit mit den Fantas losbrechen könnte?


    4tune: Doch, wir haben das natürlich in Erwägung gezogen. Allerdings gibt es ja auch über Marvel die "Fantastischen 4" als Superhelden, deshalb dachten wir, dass das als nicht so schlimm erachtet wird. Ein Plagiatsvorwurf ist ja auch irgendwie ... Ich mein', die haben den Namen ja auch nicht erfunden. Ich fand's ein bisschen kleinkariert, aber man weiß ja auch nicht, ob das von denen aus ging oder von deren Anwälten.


    rappers.in: Und die haben gesagt, dass du zahlen musst, wenn du den Titel nicht änderst?


    4tune: Ich musste eine Unterlassungserklärung unterschreiben. Ich habe mit der Anwältin telefoniert, die aber, muss ich sagen, sehr nett zu mir war. Dann wurde mir gesagt, dass ich das Ganze zu dem und dem Zeitpunkt unterschrieben haben muss und wenn das nicht passiert, könnte es Ärger geben. Ich bin froh, dass wir das Release im Nachhinein verschoben haben, denn wenn das Album schon in den Läden gewesen wäre, wär' das ja der Supergau geworden. Dann hätte ich jede einzelne Einheit zurücknehmen und praktisch auch bezahlen oder dafür gerade stehen müssen, und das wäre nicht tragbar gewesen.


    rappers.in: Warst du früher eigentlich Fanta4-Fan?


    4tune: Ich hab' mir damals die "MFG"-Maxi gekauft. (grinst) Ich weiß gar nicht mehr, wie das Album hieß, aber die hatten diesen einen Track "Gladiatoren" und das Album dazu fand ich sogar ganz cool. Ich find' den Smudo gut, der ist sehr verrückt. Aber ansonsten kenne ich auch nicht alles von denen, außer halt die ersten Sachen.


    rappers.in: Mit dem Song "Dann doch lieber Cola" hast du jedenfalls mit ihnen abgerechnet. Böse Zungen würden das Ganze vielleicht auch als Promomove abtun – was hat dich persönlich dazu bewegt, den Song ins Netz zu stellen?


    4tune: Natürlich ist es auch Promo, da muss man ja nicht um den heißen Brei herumreden. Wir wollten diese Situation, wenn sie sich schon so ergibt, auch für uns nutzen. Wenn ich dann schon die Arbeit habe, alles ändere und sage, dass ich keinen Stress möchte, dann muss ich auf meine Art und Weise auch Stellung dazu beziehen können. Wenn man den Track hört und das Video sieht, dann erkennt man ja auch, dass das mit einem Augenzwinkern gemacht wurde. Deswegen sage ich ja auch: Bitte nicht verklagen, bloß keinen Streit. Ich habe das natürlich extra so gewählt, damit sie nicht zu sauer werden.


    rappers.in: Eigentlich ist es ja relativ gut, wenn man aus so einer negativen Situation für sich selbst noch etwas Positives herausziehen kann ...


    4tune: Das war halt ein schmaler Grat zwischen Noch-mehr-Verärgern und meinem Nicht-die-Schnauze-halten-Können, weil ich wusste, dass die Leute etwas über das Thema wissen wollen. Es wurde darüber berichtet und natürlich ist das Ganze dann auch Promo für uns.


    rappers.in: Gab es auf den Track eigentlich auch eine Reaktion von den Fantas?


    4tune: Es gab schon einen ziemlichen Shitstorm auf deren Facebook-Seite und ich habe den Leuten auch gesagt, dass sie nicht auf deren Pinnwand rumflamen und beleidigen sollen. Das ist ja auch nicht Sinn und Zweck der Sache. Aber das Einzige, das sie gemacht haben, war, dass sie ihre Postings zwei Mal gelöscht haben, weil die wahrscheinlich so vollgeshitstormt wurden. Wahrscheinlich haben sie sich gedacht, dass das keine gute Promo für sie ist. Das war die einzige Reaktion. Aber die wären ja auch blöd, wenn sie einem kleinen Licht wie mir so viel Aufmerksamkeit geben würden.


    rappers.in: Eigentlich haben sie das aber schon ...


    4tune: Joah, aber eine persönliche Stellungnahme ist natürlich noch einmal was ganz anderes als wenn man sagt, man solle den mal machen lassen. Ich bin mit meinem Debütalbum ja auch nicht auf deren Stufe, da muss man den Ball ein bisschen flach halten, sag' ich mal.



    rappers.in: Das hast du, glaube ich, auch im Track gesagt. Dass du der kleine Tune bist und jetzt die Großen ankommen und ob sie sich dabei nicht ein bisschen lächerlich finden.


    4tune: Wobei man auch wieder sagen muss, dass man nicht weiß, ob das auf deren Mist gewachsen ist oder ob das die Rechtsanwälte waren. Es ist aber klar, dass ich das dann auf die Art und Weise mache und sage: Die alten, reichen Männer und ich kleiner Armer ... und mich natürlich auch ein bisschen in die Opferrolle stecke. Wenn ich mich dahinstelle und sage, dass ich bei ihnen vorbeikomme und ihnen die Köpfe abschlage, würde mir das erstens niemand abkaufen und zweitens wäre das auch peinlich. Darum ist der Track auch mit einem Augenzwinkern zu verstehen.


    rappers.in: Hast du dein Album eigentlich auch deiner Familie geschenkt?


    4tune: Meine Familie ist natürlich losgegangen und hat sich das Album gekauft, so wie man das eben als unterstützende Familie macht! (grinst)


    rappers.in: Waren sie stolz? Haben sie zum Beispiel auch noch angerufen und gesagt, dass sie gerade im Laden stehen und die Platte sehen?


    4tune: Mein Vater hat die ganze Sache nie ernst genommen – bis zu dem Zeitpunkt, als er mit mir beim Steuerberater sitzen musste. Dann ist es natürlich schön zu sehen, wenn die Familie bemerkt, dass da etwas dahintersteckt und das nicht nur verschwendete Zeit im Kinderzimmer war.


    rappers.in: Waren sie mal auf einem Konzert von dir?


    4tune: Mein Vater hat sich mal was angesehen, aber das muss auch nicht sein. (grinst) Es sei denn, ich mach' so ein Unplugged, bei dem ich nur deepe Songs spiele.


    rappers.in: Wie steht es denn um deine aktuelle Labelsituation? "Einer muss es ja tune" erschien über Baba Saad, aber nicht über die Halunkenbande – was genau hat das zu bedeuten und wie kam es dazu?


    4tune: Saad habe ich über Jimmy, also MC Twist, kennengelernt. Er ist inzwischen auch ein guter Freund. Im Dezember habe ich einmal den Supportact für die Jungs gemacht und so ist man eben ins Gespräch gekommen. Wir wollten, dass das Produkt im Vordergrund steht, nicht ein Signing. Ich wollte aber auch schauen, wie viel ich reißen kann. Deshalb haben wir uns für diesen Weg entschieden und das macht die ganze Sache natürlich auch interessant, weil man sich fragt, warum ich nicht dort gesignt bin, sondern nur der Vertrieb übernommen wird. Wir haben auch lange keine Stellung dazu genommen. Man muss halt gucken, wie es läuft und wie man dann weitermacht. Wir verstehen uns auch alle gut.


    rappers.in: Du hast auch wieder am diesjährigen JBB teilgenommen. Ist die Teilnahme an diesen ganzen Online-Battle-Turnieren inzwischen zu einer Art von Sucht geworden?


    4tune: Ja. Und Promo bringt das Ganze natürlich auch. Ich war aber auch ein bisschen hungrig, denn ich habe ein Jahr lang nicht gebattlet ... Man kann davon halten, was man möchte, da scheiden sich ja bekanntlich die Geister. Aber viele Leute schauen sich das an und mir war wichtig, dass das eine große Aufmerksamkeitsspanne bekommt.


    rappers.in: Du bist aber auch jemand, der sich nie in die Reihe derer eingeordnet hat, die gesagt haben, dass sie da mal mitgemacht haben, aber damit nicht mehr in Verbindung gebracht werden und lieber "richtige Musik" machen wollen. Du bist also niemand, der es schlimm findet, mit diesen Turnieren in Verbindung gebracht zu werden, oder?


    4tune: Nee. Gerade weil man dann ja zugeben würde, dass man eine Sache gemacht hat, zu der man selbst nie gestanden hat. Sowas ist doch bescheuert. Das gucken so viele Leute – man wäre blöd, wenn man das nicht nutzen würde. Bei so vielen Zuschauern gibt es natürlich auch welche, die das Ganze haten, aber das ist ja klar. Das Ding ist: Das VBT haben auch viele Leute gesehen, die vorher noch keinen Rap kannten. Und dann kann ich verstehen, dass alteingesessene Hörer davon genervt sind und denken, dass da die ganzen Kinder rumlaufen und Fragen stellen, die man nicht stellen sollte. Deshalb haben diese Online-Battles vielleicht auch einen so negativen Beigeschmack, aber ansonsten ... Hate ist ja auch immer Anerkennung.


    rappers.in: Es bringt den Leuten aber auch Rap näher, wenn es über diese Battleschiene herangetragen wird.


    4tune: Ja klar, man beschwert sich immer. Aber wenn die kommenden Generationen es nicht weitertragen, dann sitzen wir hier irgendwann ganz alleine und keiner kommt mehr zum Splash!, was ja auch nicht sein darf.


    rappers.in: Haben diese Turniere denn nicht auch so etwas wie einen Suchtfaktor? Wenn man an so einem Turnier teilnimmt, dann investiert man ja auch viel Zeit. Fehlt einem da nicht etwas, wenn das alles zu Ende ist?


    4tune: Es gibt ja mehrere Punkte, die einen dabei motivieren. Umso weiter man kommt, umso hungriger wird man, das Turnier zu gewinnen. Und wenn man sieht, dass die Leute sich das anschauen, macht alles noch mehr Spaß. Da will man es sich selbst und auch den anderen beweisen. Ich muss sagen, Musik ist das einzige, wozu ich mich nicht zwingen muss. Ich mache auch gerne Sport, aber selbst da denke ich mir irgendwann: Toll, jetzt musst du da wieder hin. Musik ist das einzige, bei dem ich sage: Jetzt mache ich noch eine Stunde und dann hör' ich auf ... und letztendlich sind es dann drei. (lacht) Bei allem anderen sage ich mir, dass ich das noch eine Stunde mache und höre nach 30 Minuten auf.



    rappers.in: Viele wenden sich mit dem Release ihres eigentlichen Albums und dem erfolgreichen Charteinstieg eher von solchen Turnieren ab, weil sie nicht mehr damit identifiziert werden wollen. Wie ist deine Einstellung zu diesem Thema? Kannst du das nachvollziehen beziehungsweise hast auch selbst mal darüber nachgedacht oder ist dir das Battlen zu wichtig, um es aufzugeben?


    4tune: Ich möchte mich nicht einschränken. Früher habe ich schon viel Battlezeug geschrieben, aber auch Themensongs gemacht. Für mich war wichtig, dass die Leute beides kennen – genau deshalb ist das Album auch so strukturiert, dass es Battlesongs, zwischenmenschliche Sachen und Themen-Tracks gibt. Wenn man sich das gut anhört, dann merkt man auch, wie was gemeint ist. Deshalb werde ich mich von dem Battlerapding nie distanzieren. Weil mir das auch zu viel Spaß macht – da ist man im Schreiben am Freiesten. Man kann sagen, was man will. Bei Themensongs hast du ein ganz anderes Vokabular.


    rappers.in: Wie findest du es, wenn andere diese Online-Battle-Herkunft leugnen?


    4tune: Ich finde es ein bisschen widersprüchlich. Viele ehemalige VBT-Rapper haben ihren Bekanntheitsgrad ja zum Großteil auch dem VBT zu verdanken, sonst würde die ja keine Sau kennen. Man braucht einfach eine Plattform, sonst geht das nicht. Man kann sich davon dann gar nicht distanzieren – es wird immer ein Teil der eigenen Vergangenheit bleiben.


    rappers.in: Wie steht es denn aktuell um die Reimebude? Arbeitet ihr zurzeit an einem gemeinsamen Projekt oder konzentriert ihr euch mehr auf eure Solosachen?


    4tune: Das Ding ist, dass für Beckmann und John Musik mehr ein Hobby ist, als dass sie ihr Leben darauf ausrichten. Ich habe immer gesagt, dass ich am liebsten nur davon leben will und nur das machen möchte. Die beiden arbeiten deshalb auch ganz anders – Beckmann macht nur Musik wenn er Bock hat ... Also, ich mache natürlich auch nur Musik, wenn ich darauf Bock habe, aber Beckmann ist da zum Beispiel anders. Die haben irgendwie auch seit zwei Jahren ihre "Müllsik"-EP aufm Rechner, aber es kommt einfach nicht raus, weil die nicht zu Potte kommen – ganz einfach. (lacht) Ist ein bisschen schade, denn wir hatten eine gute Basis und wenn wir ein Album-Release gut platziert und alles klug gemacht hätten, dann hätte natürlich noch mehr gehen können. Aber dieser Anspruch war nicht da.


    rappers.in: Das heißt, es ist auch nicht geplant, dass ihr weiterhin als Crew zusammen Musik macht?


    4tune: Wir werden immer zusammen Musik machen. Diese Konstellation wird sich, glaube ich, auch nie auflösen. Beckmann, John und Tune, das ist einfach die Reimebude und das bleibt auch so.


    rappers.in: Vielleicht liegt das aber auch daran, weil man miteinander gewachsen ist. Das ist natürlich was anderes, als wenn man sich mit Mitte 20 neue Rappartner sucht.


    4tune: Ja, klar. Es ist einfach wunderschön, dass wir das zusammen so erleben durften. Wir durften ohne Album-Release auf dem Splash! spielen, das HipHop Open eröffnen und waren auf Tour. Das ist voll krank, darf aber gerne so weitergehen. Da werd' ich ganz sentimental. (grinst)


    rappers.in: Dein "Kollege" Cro hat in diesem Jahr sein neues Album "Melodie" veröffentlicht und ist damit direkt wieder Gold gegangen und auf der eins gelandet. Hast du denn mal in die Platte reingehört? Kannst du inzwischen vielleicht sogar etwas mehr mit Cro anfangen?


    4tune: Wer ist das?


    rappers.in: Hättest du denn Interesse daran, Cro kennenzulernen oder hast du ihn vielleicht sogar schon mal getroffen? Was würdest du ihm sagen?


    4tune: Vielleicht habe ich ihn ja mal persönlich getroffen und weiß es gar nicht. Ich würde ihn fragen, was das mit den Hosen soll! Ich kann nicht verstehen, warum Männer so eine Skinny Jeans tragen. Da kriege ich das Kotzen – das wird für mich nie etwas mit HipHop zu tun haben. Wenn ich dann die ganzen kleinen Vögel sehe, die mit ihren bunten Jeans rumlaufen ...


    rappers.in: Findest du denn, dass es typische HipHop-Klamotten gibt?


    4tune: Vielleicht bin ich da irgendwie noch zu alteingesessen, wenn man das mit 26 überhaupt sagen kann, aber für mich sind's weite Hosen. Also, nicht jeder, der weite Hosen trägt, ist ein HipHopper, aber wenn etwas HipHop ist, dann eher das als enge Hosen. Warum tragen Männer solche Hosen?! Jetzt mal ganz ehrlich: Ich versteh' es nicht.


    rappers.in: Du musst es ja auch nicht attraktiv finden ...


    4tune: Das stimmt, aber ich habe schon zweimal oder so gedacht, dass das eine Frau wäre und habe dann einem Typen auf den Arsch geguckt!


    rappers.in: Wie hast du dich dann gefühlt?


    4tune: Ein bisschen schwul. (lacht) Vielleicht war es auch irgendwas Unterbewusstes und ich suche mir extra die Männerärsche aus – man weiß es nicht.


    rappers.in: Zu guter Letzt: Wenn du dir eine Zeit im Deutschrap aussuchen könntest, in der du gerne aufgewachsen wärst: Welche wäre das und warum?


    4tune: Ich mag mein Leben sehr gerne, deshalb: diese Zeit. Ich würde aber mal gerne in der Zeit zurückreisen und mir ein altes Rhymin Simon-Konzert ansehen und gucken, wie der Flavour da ist. Aber ansonsten wirklich das Hier und Jetzt. Ich habe früher viel Savas gehört und das war genau richtig so. So ganz ganz früher, zu der "Die da"-Zeit, möchte ich auch nicht gelebt haben – das ist mir dann irgendwie zu low. Ich bin schon froh, dass Rap so technisch geworden ist, es viele Möglichkeiten gibt und es auch niemanden stört, wenn man jetzt was auf Volksmusik- oder Rock-Beats macht. Früher hast du jemandem, der Techno gehört hat, als Rapper nicht mal die Hand gegeben. Da standen die hier und die anderen standen da. Das hat sich alles schön vermischt.



    (Florence Bader & Kristina Scheuner)


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    Pimf ist anders. Als er vor einigen Jahren seine VBT-Qualifikation einreichte, war er zwar noch besonders jung, aber schon auffallend gut. Er dümpelte nicht, wie so manch anderer, jahrelang in der VBT-Landschaft vor sich hin – nein, für ihn ging es kurz nach seinen ersten VBT-Runden schnell bergauf: VBT Splash-Edition 2013, next level shit, sozusagen. Doch auch da hielt es ihn dann nicht ewig, obwohl er von so manchem mit der Favoritenrolle bedacht wurde. Nein, er stieg ziemlich schnell wieder aus. Nächste Single? JUICE-Premiere. Und dann? Nichts. Keine Singles, keine Videos, keine EP – und erst recht kein Album. Dafür Liveauftritte en masse – mittlerweile auch solo, ohne Kumpel und Dauermitstreiter Kico – und ab und an ein Acapella-Video. Da uns zwischenzeitlich jedoch ein Vögelchen gezwitschert hat, dass es um das so lang erwartete Album aber gar nicht so schlecht steht und wir uns freuen durften, dass Pimf auch ohne Release vom Splash! 2014 mit einem Donnerstag-Abend-Slot bedacht wurde, haben wir es uns kürzlich nicht nehmen lassen, ihn zum Interview zu bitten. Und auch hier ist er Pimf-mäßig nach 40 Minuten Interview so erfrischend anders: "Warum ist das denn schon eure letzte Frage? ... Interviews mit euch sind immer voll angenehm. So ohne Kamera, da muss ich nie gucken, ob ich noch gut aussehe."


    rappers.in: Deine letzte Single "Alt & Jung" ist inzwischen über ein Jahr alt. Viele haben zum Zeitpunkt der Veröffentlichung sicher mit einem bald folgenden Album gerechnet – warum hast du diesen Track nicht dafür aufgespart?


    Pimf: Ich hab' mir dabei eigentlich gar nichts gedacht ... Manchmal macht man einen Song und merkt: Das ist jetzt ein Hit. Bei dem war es aber so, dass wir uns einfach das Sample genommen, eine Kick und eine Snare drunter gesetzt haben. Freitagabends hatte ich Langeweile und hab' irgendwas drauf geschrieben. Eine Woche später sind wir spontan nach Sardinien geflogen und haben uns gedacht, dass wir da ein Video drehen könnten. Und als das fertig war, dachten wir: Joah, dann lass uns das halt raushauen.


    rappers.in: Der Song ist damals ja sehr gut angekommen ...


    Pimf: Das hört sich dumm an, aber ich hab' das alles nicht bedacht. Ich wollte nach dem VBT einfach irgendwas raushauen. Wenn man sich das Video genauer anschaut, sieht man auch an einigen Stellen, dass das gar nicht passt – ich hampel' zu einem verhältnismäßig ruhigen Song vor einem Fisheye-Objektiv rum. Voll blödsinnig ... Wir waren mit ein paar Bier auf Sardinien und fanden das einfach cool. (lacht)

    rappers.in: Wird der Track irgendwann auf einem Album zu finden sein?


    Pimf: Nee. Der liegt ja auch echt schon lang zurück. Das Sample kann man sich, glaube ich, auch nicht so leicht klären. Ich muss jetzt nicht irgendwas verkaufen, das die Leute eh schon alle kennen – es soll also keine Album-Single sein.


    rappers.in: Warum hast du eigentlich nicht direkt nach dem VBT etwas Größeres releast? Das haben ja einige der großen VBTler so gemacht.


    Pimf: Ich glaube einfach, dass sich gute Musik auf Dauer durchsetzt. Ich wollte nicht unter Zeitdruck irgendetwas Halbgares machen und musste mich und mein musikalisches Umfeld erst einmal finden. Der Hype entsteht bei VBT-Künstlern ja nur, weil die Leute geil auf diese Battles sind. Die waren nicht geil auf mich, sondern auf den Gladiatorenkampf zwischen mir und Person X. Sowas verfliegt ganz schnell und wenn ich dann 'ne Platte mache, juckt das die Leute nur, weil ich gerade mit diesem Hype mitfliege und nicht, weil die Platte gut ist. Da denk' ich einfach ein bisschen nachhaltiger.

    rappers.in: Die Leute wollen in dem Fall wahrscheinlich auch eher eine Battle-Platte, aber du machst ja etwas komplett anderes.


    Pimf: Definitiv. Ich glaube schon, dass ich auch mit der Musik, die ich jetzt fabriziert habe, zum Zeitpunkt des Hypes eine Menge hätte verkaufen können und jetzt vielleicht ein bisschen weniger verkaufen werde, da einfach viel Zeit verstrichen ist. Aber ich glaube, damit wird alles langfristiger stattfinden ... das erhoffe ich mir zumindest ein bisschen.


    rappers.in: Reden wir konkret über deine kommende Platte: Wie viel steht bereits und was muss noch getan werden?


    Pimf: Musikalisch bin ich schon relativ weit. Ich kann das Album hoffentlich zwischen anstehenden Festivals in den nächsten Monaten fertigstellen. Ansonsten müssen wir mal schauen, wie alles Weitere läuft. Deswegen kann ich zeitmäßig nicht so viel dazu sagen, weil ich keine Ahnung hab', wie lange das dauert, wenn man daraus ein Business macht – ich hab' noch nie eine richtige CD verkauft. Die letzte war eine selbstgebrannte für fünf Euro an der Schule, aus dem Rucksack raus, mit einem Cover aus dem Copyshop.

    rappers.in: Bist du vor diesem Schritt nervös und hast Bedenken darüber, wie die Platte ankommen wird?


    Pimf: Angst hab' ich nicht, aber ich mach' mir schon Sorgen. Ich vertraue der Musik, die wir gemacht haben. Es ist oft so, dass ich Songs mache und sie nach einer Woche kacke finde, aber die neuen sind alles Tracks geworden, die ich immer noch cool finde. Natürlich hab' ich auch 'ne Menge Hoffnung, aber für mich bricht keine Welt zusammen, wenn ich nur drei CDs verkaufe. Dann hatte ich halt 'ne CD bei Saturn stehen – ist doch geil! Man probiert natürlich immer, die Erwartungen relativ niedrig zu halten, aber erhofft sich insgeheim doch ein bisschen mehr. Mal schauen, wo es hingeht – ich bin einfach voller Vorfreude und gespannt, wie alles läuft.


    rappers.in: Du hast bisher nur ein Mixtape veröffentlicht, beim VBT mitgemacht und danach außer diesem einen Track und ein paar Acapellas nichts mehr rausgebracht ...


    Pimf: Ich bin ein krasses One-Hit-Wonder, ne? (lacht)


    rappers.in: Was glaubst du, woran das liegt? Hast du das Gefühl, dass du für manche eine Art Hoffnungsträger bist? Du bist in diesem Jahr beispielsweise ohne Release auf dem Splash! aufgetreten.


    Pimf: Das ist schon dreist, oder? Ist mir auch schon ein Stück weit unangenehm. (lacht) Aber da hab' ich noch nie drüber nachgedacht. Liegt vielleicht einfach daran, dass die richtigen Leute mal meine Musik gehört haben und cool fanden.


    rappers.in: Dazu kommt, dass du auch nicht als VBT-Act gesehen wirst, sondern als eigenständiger Künstler.


    Pimf: Vielleicht liegt das auch an der Zeitspanne, die jetzt vergangen ist. Ich hab' ein Jahr lang so gut wie nichts von mir hören lassen und war nur viel unterwegs auf Touren, Jams und Festivals. Da erspielt man sich, wenn man's nicht ganz doof macht, auch ein paar Leute und bleibt im Gespräch. Mittlerweile hab' ich den Eindruck, dass mich viele Leute von Live-Shows kennen. Das bekomm' ich immer öfter mal mit, wenn ich mit Leuten nach der Show rede und die mir erzählen: "Hey, ich hab' dich schon mal da und da gesehen und das war voll geil, deswegen bin ich heute wieder gekommen." Das ist eine Sache, die oftmals unterschätzt wird – gerade, wenn man aus dem Internet kommt. Dass man live unfassbar viel transportieren kann. Das macht auch einfach Spaß und ich genieß' das.

    rappers.in: Kommen wir mal zu einer weiteren Business-Komponente, die deine Platte betrifft: Während dein KWU-Kollege Kico im letzten Jahr bei Made Music unter Vertrag genommen wurde, stehst du aktuell noch labellos dar. Hast du bereits Aussichten auf einen Deal?


    Pimf versteckt seinen Kopf in seinem T-Shirt und weicht der Frage aus.


    rappers.in: Die Frage wurde dir in den letzten Wochen schon oft gestellt, oder?


    Pimf: Letztes Jahr ganz oft, aber dieses Jahr noch nicht! (lacht) Ich hab' mich wirklich nur um das Musikalische gekümmert und diese ganzen grauenhaften Businessgeschichten so lange wie möglich vor mir hergeschoben. Ich bin Management-technisch jetzt sehr gut aufgestellt und kann da ganz viel von mir weglenken, womit ich nichts zu tun haben will. Mit Summen, Gagen, Verhandlungen und allem Pipapo – das hält mich auch, wenn ich Musik machen will, einfach ein bisschen auf. Deswegen: Ich hab' was in Aussicht, aber ...

    rappers.in: ... du darfst es nicht sagen.


    Pimf: Nein, um Gottes Willen! (lacht) Es ist noch nichts unter Dach und Fach, aber man darf gespannt sein.


    rappers.in: Soweit wir wissen, bist du jemand, der sich viel mit Rapklassikern auseinandersetzt, obwohl du noch recht jung bist. Hast du das Gefühl, dass du über die gesamte Geschichte von deutschem Rap Bescheid wissen musst und probierst, etwas aufzuholen?


    Pimf: Ich finde, dass man beim Musikkonsumieren gar nichts muss. Ich mach' das einfach aus Interesse – ich fand's halt geil und konnte mich gut in die Zeit zurückversetzen, in der das entstanden ist, wenn ich alte Beatfabrik- oder MOR-Sachen gehört habe. Das war ein cooler Kontrast, so von wegen: "Jetzt gibt's was cooles Neues, aber ich kann auch noch was cooles Altes entdecken." Ich kann mich in alle Richtungen noch ein bisschen erweitern und das ist auch immer noch der Fall. Von diesen ganz krassen Oldschoolern hab' ich ehrlich gesagt keinen Plan oder nur bedingt. Ich hab' mich nur mit dem auseinandergesetzt, was mich schon immer fasziniert hat – zum Beispiel mit '90er-Discomucke.

    rappers.in: Gerade im Deutschrap werden immer wieder Bezüge zu älteren Sachen hergestellt, zum Beispiel durch Samples oder Anlehnungen an andere Hooks. Ist das nicht cool, wenn man da Bescheid weiß?


    Pimf: Auf jeden Fall. Ich hab' das oft, dass ich mir denke: "Fuck, das kennst du irgendwoher", aber weiß dann nicht, woher. Bei einigen Hommagen ist das schon sehr geil und die anderen versteht man nicht und findet sie deshalb eben nicht so cool. Dann hört man sie sich halt nicht so oft an ...

    rappers.in: Was ist denn für dich die beste Deutschrapplatte aller Zeiten?


    Pimf: Ist natürlich schwierig, sich jetzt für eine zu entscheiden, weil es da einfach sehr viele gibt. (überlegt) Curse' "Feuerwasser" auf jeden Fall. Und Jintanino – das ist ein Rapper aus Kassel, den wahrscheinlich kein Mensch kennt. Er hat damals ein Album rausgebracht, das "Vom Mittelmaß der Dinge" hieß. Das war 2008 oder so. Der rappt mittlerweile auch nicht mehr. Er war mein Lehrer in der Oberstufe und der krasseste Lyricist der ganzen Welt. Für den hat sich keiner interessiert, aber diese Platte hat mich auf jeden Fall krass geprägt.

    rappers.in: Und welches Album hast du wirklich totgehört?


    Pimf: Es gibt aktuell eine Platte, die ich, seit sie herausgekommen ist, nonstop höre: "Dreams and Nightmares" von Meek Mill. Vielleicht hat sie von der Playanzahl keine Alben von 2006 aufgeholt, aber das wird, glaube ich, das Album sein, das ich in meinem Leben am meisten hören werde.

    rappers.in: Apropos Rapklassiker: Hast du dir eigentlich das "Deutsche Demotape" von Credibil angehört? Was sagst du dazu, wenn sich junge Künstler daran wagen, echte Klassiker neu zu interpretieren?


    Pimf: Man muss natürlich aufpassen, aber er hat's einfach gut gemacht. Neben diesen Zeilen, die 1:1 übernommen wurden, hat er auch Zeilen genommen und sie komplett umgedreht und auf den Kopf gestellt. Das ist auch 'ne Kunst für sich. Wahrscheinlich gibt es viele Hörer, die das von Credibil zum ersten Mal gehört haben und die Klassiker noch nicht kannten, dann aber auf sie aufmerksam geworden sind. Auch ein positiver Nebeneffekt ... Ich glaube, somit ist das sowohl etwas für die Leute, die die Klassiker vorher kannten, als auch für die, die sie noch nicht kannten. Wenn's gut gemacht ist, ist es Bombe – super Idee.

    rappers.in: Während du letztes Jahr noch auf dem Splash! gespielt hast, weil Kico einen Slot gewinnen konnte, wurdest du dieses Jahr ganz normal gebucht. Hast du das Gefühl, dass sich in den letzten Monaten alles nochmal gesteigert hat, obwohl du seit einem Jahr kaum was releast hast?


    Pimf: Ja, ich hab' schon das Gefühl, dass sich alles gesteigert hat ... einfach, weil wir uns auch gesteigert haben. Und auch die Anzahl der Leute, die letztes Jahr vor der Bühne standen, als wir noch VBT-Runden gerappt haben, und die in diesem Jahr ohne VBT-Sachen – das ist ein Schritt, den man gemacht hat und der nicht in die Hose gegangen ist. Es gibt ja viele VBT-Künstler, die mal vor 'ner Menge Leute aufgetreten sind, das aber nicht nochmal haben werden. Wir hatten das jetzt noch einmal und deswegen glaube ich schon, dass sich alles gesteigert hat. Wenn ich den Eindruck habe, dass das stagniert, probier' ich entweder, alles daran zu setzen, das wieder zu steigern oder ich lass' es.

    rappers.in: Im Rahmen deiner Auftritte in den vergangenen Wochen hast du erstmals neue Songs vor Publikum zum Besten gegeben. Kannst du uns eine Einschätzung geben, wie die Tracks bei den Hörern angekommen sind? Konntest du von der Bühne aus Reaktionen wahrnehmen?


    Pimf: Man kriegt meistens nur dieses positive Feedback mit. Es kommt nur ganz selten vor, dass nach der Show jemand auf dich zukommt und sagt, dass er dies und das scheiße fand. Die, die es scheiße fanden, gehen weg und behalten das für sich. Deshalb ist es schwierig, das zu beurteilen. Aber ich bin generell jemand, der auf der Bühne steht und dann viel Augenkontakt zu den Leuten hat – und ich hab' mich schon herzlich willkommen gefühlt. Ich hatte den Eindruck, dass die Leute Spaß dabei hatten und wenn man nach zwei, drei Tracks merkt, dass jetzt langsam alle warm werden und mitmachen, ist das das Schönste. Dass du Leute neu von dir überzeugen kannst. Da hatte ich schon einen relativ positiven Eindruck. Ich hab' zwei, drei Songs, die ich schon etwas länger spiele – zum Beispiel auch auf der Gerard-Tour im letzten Jahr –, die da aber noch nicht fertig waren. Die haben wir jetzt fertig gemacht und darum spiel' ich sie jetzt auch so. Sie werden nicht mehr verändert und das wird mit den anderen Tracks, die schon fertig sind, auch nicht mehr passieren. Also: Die Tracks, die fertig sind, spiel' ich und die bleiben auch so.

    rappers.in: Lässt du dir generell viel in Tracks reinreden, während sie entstehen?


    Pimf: Ich zeig' das vielleicht zehn ganz, ganz unterschiedlichen Leuten, seien es jetzt meine Jungs vom Handball, die gar keine Ahnung davon haben, oder der krasseste HipHop-Head, der seit 30 Jahren nur Rapmusik konsumiert. Ich setze mich schon mit den Reaktionen auseinander, aber meistens ist es für mich dann schon zu spät, noch etwas zu ändern. Ich hab' das öfters, dass mir die Leute sagen: "Da und da hättest du vielleicht noch das anders machen können." Und dann denkt man sich: Ja, stimmt, ist eigentlich so, aber irgendwie ... nö. Das hab' ich so gemacht, das ist 'ne Momentaufnahme, das bleibt so stehen, Punkt. Vielleicht kann ich das dann bei einem späteren Track bedenken. Man sollte sich immer weiterentwickeln, aber ich glaube, ich lass' das Feedback dann eher in zukünftige Tracks einfließen.


    rappers.in: Du hast im vergangenen Jahr vermehrt an deiner musikalischen Karriere gearbeitet, viele Leute kennengelernt und zahlreiche Auftritte absolviert. Was war dein persönlicher Deutschrapmoment der letzten Monate?


    Pimf: Boah, da gab's viele ... Ich bin immer darauf bedacht, das ganz nüchtern zu sehen und nicht in so einer Euphorie, wie man sie zum Beispiel vor oder nach dem Splash!-Auftritt hat. Ich probier' dann erstmal, mich zurückzuziehen und das zu verarbeiten und mich auch ein bisschen zurück auf den Boden zu holen. Aber dann hast du wiederum Momente, in denen du Leute wie Curse kennenlernst und die dich geil finden – solche Jugendhelden. Das ist dann schon Wahnsinn. Wenn so einer zu dir kommt und sagt: "Ey, das ist cool", und du stehst nur da und stotterst. Das sind Highlights. Auch, dass ich mit Gerard auf Tour war ... Ey, ich war auf Tour, das ist 'ne völlig neue Erfahrung. Mit Damion Davis war ich unterwegs, das ist ähnlich wie bei Curse – das sind Künstler, die ich früher gehört habe und geil fand und mittlerweile beruht das ein bisschen auf Gegenseitigkeit. Ich bin auf der neuen Umse-Platte, das ist der Wahnsinn! Das sind Momente, die einen schon irgendwie stolz machen.

    rappers.in: Zu guter Letzt: Wenn du dir eine Zeit im Deutschrap aussuchen könntest, in der du gerne aufgewachsen wärst: Welche wäre das und warum?


    Pimf: Ganz wirklich: jetzt. Weil ich finde, dass sich Deutschrap einfach so gesund und gut entwickelt und breitgefächert ist ... das macht super Spaß. Gerade aktuell die ganzen musikalischen Einflüsse. Ich bin auch ein Typ, der open minded ist und find' das super. Momentan ist einfach die Blütezeit für deutschen HipHop. Das merkt man auch durch die Medienpräsenz in den Nicht-HipHop-Medien. Es findet statt – irgendwelche Leute, die vorher keinen Peil von Rapmusik hatten, nehmen das wahr. Und dadurch, dass ich keine andere Zeit miterlebt habe oder miterleben werde, hab' ich auch keinen zeitnahen Vergleich. Ich kenn' die Jahre um 2000 von RoyalBunker-DVDs, aber da hast du keinen genauen Einblick. Ich find' es so, wie es jetzt ist, schon ganz geil.


    rappers.in: Wenn du noch etwas loswerden willst: Die letzten Worte gehören dir!


    Pimf: Dann sag' ich: Danke an meine Eltern, dass sie mich in die jetzige Zeit geboren haben. Ihr habt alles richtig gemacht!


    (Florence Bader & Kristina Scheuner)


    Ende 2013 fiel dem aufmerksamen Deutschrap-Fan ein Release vor die Füße, das einerseits von einem sehr jungen, sehr hungrigen, sehr neuen MC ans Tageslicht gebracht wurde und andererseits nicht nur von ihm, seinem Umfeld und seinem Leben handelt, sondern auch eine offensichtliche Beziehung zu absoluten Deutschrap-Legenden hat. Es dreht sich hierbei um ein Mixtape, bei dem Kennern der letzten Deutschrap-Jahrzehnte warm ums Herz wird, werden hier doch Klassiker wie Kool Savas' "Der Beweis", Beginners' "Füchse" oder Olli Banjos "Deine Sprache" auf eben altbekannten Beats und mit oftmals ähnlichen Textpassagen gelungen neu interpretiert. Zusätzlich durfte besagter MC auf herausragenden Support aus seinem Umfeld bauen und brachte so mit Hilfe seiner Freunde von der "Famefabrik" auffallend gute Videos zum Release an den Start. Das "Deutsche Demotape" war also der Startschuss eines interessanten neuen Rappers namens Credibil, "ein kurzes Hallo in die Runde", wie er selbst so schön sagt – ein Anklopfen an die Türen dieser Szene. Wir hatten kürzlich die Gelegenheit an einem der wenigen schönen Sommertage in diesem Jahr mit dem Fast-Frankfurter in geselliger Runde zu sitzen und ihm ein bisschen auf den Zahn zu fühlen.


    rappers.in: Ende letzten Jahres wurde dein "Deutsches Demotape" veröffentlicht, das ein einzigartiges Konzept hatte: Du hast auf bekannten Deutschrap-Instrumentals gerappt und die Tracks textlich neu interpretiert. Gerade, weil du noch sehr jung bist: Waren alle Original-Songs auch Tracks, die du in deiner Jugend gefeiert hast?


    Credibil: Es war auf jeden Fall Voraussetzung, dass ich die Songs kannte und irgendetwas daran gefeiert habe. Zum Beispiel bei "Füchse": Ich bin erst durch Sentino und "Ich bin deutscher HipHop" darauf gekommen. Dazu gibt es auch ein Video. Das heißt: HipHop ist gerade durch das Internet sehr leicht nachzuholen. Ich musste nicht aus der Zeit stammen, um das zu fühlen. Aber ich musste es dann fühlen, als ich es gefunden habe.


    rappers.in: Hast du denn das Bedürfnis, deutsche Rap-Vergangeheit aufzuholen?


    Credibil: Ja ...


    rappers.in: Bist du auch ein Sammler?


    Credibil: (überlegt und guckt Mikis (Anm. d. Red.: Famefabrik, Mentor v. Credibil) an) Bin ich ein Sammler?


    Mikis: Er mag einfach Nostalgie, glaube ich. Zum Geburtstag hat er mir die ersten Songs auf einer CD geschenkt, die er mit neun aufgenommen hat. Er hat diese CD und ich hab' diese CD. Das hat einen großen emotionalen Wert für ihn.


    Credibil: Ja. Niemand sonst hat das. Ich glaube, wenn man die Chance hat, sich zu verewigen – seinen Fußabdruck auf diese Welt zu setzen –, dann sollte man das tun. Wir haben nur ein Leben und das müssen wir nutzen. Und solange ich diese CD habe, bin ich neun. Ich bleibe für immer neun auf dieser CD. (grinst) Ich werde mir das anhören und mich erinnern, wie es damals war. Und ich glaube, auch deswegen ist das "Deutsche Demotape" entstanden. Weil ich dann sage: Wenn ich sowas irgendwann mal machen will, dann mache ich es am Anfang meiner Karriere. Ich komm' erstmal mit einem respektvollen "Hallo" in die Runde und es hat geklappt. Und währenddessen hat es mich auch gefreut, diese Nostalgie nachzuholen. Dieses "Wie habe ich damals gefühlt?"


    rappers.in: Du hast mit neun schon gerappt ...


    Credibil: Haus auf Maus. Das war kein richtiger Rap-Rap, aber man hat sich Mühe gegeben. Und meine ersten Beats kamen von rappers.in ... (grinst) Ich habe damit angefangen, Songs zu nehmen und so zu tun, als ob ich das bin. Auf Klassenfahrt. Die Leute haben dann gesagt: "Heute Abend wieder Konzert!" und haben Absperrband vor einen Türrahmen gemacht. Ich stand im Türrahmen, vor mir das Band und hinter mir, immer wenn die Tür aufging, kamen Backstage Leute rein: "Ich bin aus Versehen auf der Bühne!" (alle lachen) Dann habe ich gerappt – ich kann bis heute kein Wort Englisch und dachte, ich bin Eminem. Ich hab' "8 Mile" gerappt, Kapuze hochgemacht: "Ja, nanana, nanana, nanana." Dann kamen die deutschen Songs, ich hab' Eko und Savas nachgemacht. Da war ich dann etwas älter, elf oder so.


    Mikis: (grinst) Älter, ja?


    Credibil: Älter als neun, man! Irgendwann saß ich mal im Bus und ich erinnere mich, dass ich mich gefragt habe: Was gab es wohl als erstes – den Text oder den Beat? Manche Tracks hatten am Ende Instrumental-Stellen, ich hab' dann vor- und zurückgespult und versucht, darauf zu schreiben. Irgendwann hat dann jemand zu mir gesagt: "Das heißt Instrumental und da gibt es Seiten für" – und dann ist man sehr schnell auf rappers.in gelandet und hat sich da die besten Beats rausgesucht. Ganz verrückt.


    rappers.in: Hast du als Kind auch statt englischer Texte immer Fantasie-Texte mitgesungen?


    Credibil: Jaaa. Genau das! (grinst)


    Mikis: Kauderwelsch! Wie, wenn man Flows nachmacht. Wie Scatman John.


    Credibil: Darüber könnten wir Bücher schreiben.


    rappers.in: Da ihr beide gerade so schön zusammensitzt, würde ich gerne darauf zu sprechen kommen, wie ihr euch eigentlich gefunden habt. Soweit ich weiß, war Mikis' erster Künstler Philo. Irgendwann kamt ihr dann gemeinsam auf die Bildfläche. Auf mich wirkt das sehr großer-Bruder-ähnlich ...


    Credibil: Wenn ich diese Geschichte erzähle, werden ihn hundert Leute anschreiben. Ich habe, als ich elf Jahre alt war, MySpace gehabt. Da hab' ich meine Freestyles und ein paar Songs hochgeladen. Damals wohnte ich noch in Marburg. Es war die Tiefphase von HipHop zu dem Zeitpunkt und er hatte damals angefangen, Videos zu drehen. Ich wollte irgendwas mit HipHop machen und anfangen, Geld zu verdienen, weil ich meinen Weg schon recht früh finden musste. Ich hab' ihn angeschrieben: "Ich würde auch gerne was mit HipHop machen, was machst'n du da so?" Dann hat er geschrieben: "Ich mach' so Art Director-Zeug." – "Ja, cool, wie komm' ich denn da hin?" – "Hmm, ich hab' es so gemacht, probier mal, Mediengestaltung zu lernen." – "Ok, wir seh'n uns!" Dann hat er erstmal nichts mehr von mir gehört. Mit 16 hab' ich ihm dann wieder geschrieben: "Ey, meine Schule ist bald vorbei, was mach' ich denn jetzt?" Und er war so: "Wer bist du nochmal?" – "Ja, ich hab' dich vor vier Jahren angeschrieben, erinnerst du dich?" Ich glaube, er wusste es wirklich noch, oder er hat es einfach so gesagt.


    Mikis: Nee, ich hab' mich wirklich erinnert. Weil ich das so krass fand. Ich hab' einmal geschrieben, was er machen kann, er sagt "Ciao" und kommt vier Jahre später, um zu fragen: "Und was mach' ich jetzt?"


    Credibil: (lacht) Währenddessen hab' ich immer noch gerappt. Ich hab' gesagt: "Ey, meine Schule ist bald vorbei und ich will Fachabi machen. In welche Richtung ...? Ach, übrigens: hier, ein Song." Da hatte ich gerade "Fremde" gemacht. Und er hat es erstmal nicht angehört. Er hat mir gesagt, auf welche Schule ich gehen soll: "Ok, aber hör mal den Song!" – "Ja, ich tu's bald." – "Hast du den Song gehört?" – "Ja, ich tu's bald." – "Hast du den Song gehört?" – "Digga, ruf mich an! Hier, meine Nummer." Dann haben wir uns miteinander in Kontakt gesetzt und ich hab' ihm gesagt, ich rappe, weil ich einfach Bock darauf habe.


    Mikis: Es hat einfach keinen Sinn ergeben. Er schickt mir diesen Song. "Das kann nicht sein. Schick mir keinen Song von deinem großen Bruder – schick mir einen von dir!" – "Nee, der ist von mir." Es hat für mich keinen Sinn ergeben, dass man sich mit 16 so 'nen Kopf machen kann.


    Credibil: Das war zur Sarrazin-Debatte. Und der Rest ist History. (grinst)


    rappers.in: Du hast eben erwähnt, dass du ursprünglich gar nicht aus Frankfurt stammst.


    Credibil: Nein, ich wurde in Marburg geboren und bin erst mit 14 nach Frankfurt gekommen. Meine Mutter hat meinen Stiefvater irgendwann kennengelernt, er ist aus dem Bahnhofsviertel. Dann bin ich da mit 13 immer wieder aufgetaucht. Seitdem bin ich da aufgewachsen.



    rappers.in: Kommen wir nochmal auf das "Deutsche Demotape" zurück: Gab es Momente beim Entstehungsprozess des Tapes, in denen du dir selbst bezüglich des Konzepts unsicher geworden bist?


    Credibil: Vielleicht wegen den Rechten. Da haben wir ein bisschen Paranoia gehabt. Irgendwann wurde es ernst – wir investieren so viel Zeit und Geld in die Sache, dass es sich auch irgendwie lohnen muss. Was machen wir, wenn alles gesperrt wird? Dann haben wir uns einen Vimeo-Account angeschafft, den wir bis heute nicht richtig nutzen. (grinst)


    rappers.in: Du hast ja offenbar die Kurve gekriegt, dass selbst die Künstler, deren Songs du neu interpretiert hast, gesagt haben, dass es gut ist. Das hätte auch anders ausgehen können. Kam nie Kritik von einem der besagten Künstler?


    Credibil: Nein. Die haben das wirklich verstanden. Ich habe da keinen Profit daran gehabt und aus keiner Idee und keinem Beat Geld geschöpft. Ich bin mit Respekt an die Sache gegangen und der ist auch zurückgekommen von den Leuten, von denen ich es erwartet hab'. Die einzigen, die sich nicht gemeldet haben, sind Samy und Bushido.


    Mikis: Das ist eben auch dieses "freundliche Hallo". Da sitzen die ganzen alten HipHop-Nasen an einem Tisch und dann kommt ein junger Kerl rein und sagt: "Ey, du bist geil wegen ... und du bist geil wegen ..." Wer wären sie, wenn sie sagen würden: "Verpiss dich"?!


    Credibil: Ja, das hätte keinen Sinn gemacht. Es wäre natürlich blöd, würde ich das jetzt nicht zugeben und sagen: "Das ist meins und ich hab' das alles selber so und so gemacht" – nein, ich hab' das "Deutsche Demotape" gemacht, weil ich es so gefühlt hab'. Und die Songs fühl' ich immer noch. Selbst, wenn irgendeiner dieser Rapper irgendwas gesagt hätte, von wegen: "Ey, das ist voll der Mongo, lasst das sperren, damit will ich nichts zu tun haben" ... So, wie ich neun auf der CD bin, die Mikis hat, so sind diese Rapper immer das, was auf dieser CD ist. Egal, ob sie mich abfucken würden oder nicht.


    rappers.in: Habt ihr das Tape denn den Künstlern der interpretierten Tracks zugeschickt?


    Credibil: Nur Moses. Da brauchten wir den Beat. Wir haben ganz normal angefragt und er hat gesagt: "Ja, klar – aber ich find' den Beat leider nicht." Dann hab' ich gesagt, ich meld' mich, wenn der Song fertig ist. "Hallo, hier ist der Song. Hör mal rein."


    Mikis: Du hast den Beat dann geloopt, ne?


    Credibil: Genau, genau. (lacht) Mit HipHop Magix 2. Demoversion. Ohne das Eingeben. Immer weiterdrücken, kennst du's? Und dann wollen sie irgendwann wirklich was haben und dann löschst du es einfach und installierst es neu. (alle lachen) Auf jeden Fall habe ich wirklich versucht, von jedem das Ok zu bekommen. Aber wie zum Teufel soll ich einen Bushido fragen, ob es okay ist?! Das hat nicht geklappt. Obwohl der Congo im Bushido-Forum gesagt hat: "Ich möchte auf dem nächsten Bushido-Album gerne Credibil haben".


    rappers.in: Hast du auf dem Tape denn eigentlich einen Lieblingstrack?


    Credibil: Ich glaub' "Will lieber". "Der beste Tag" war der Ursprung, bei dem ich gesehen habe, dass das ganz gut funktioniert hat. Und "Will lieber" war so: "Wir haben jetzt zehn Monate nichts gemacht – klappt das jetzt wirklich? Oder sagen die Leute: 'Das ist der von Savas, der hat mal irgendwann ein Video rausgebracht, das war schwarz-weiß und er hat gegrinst, das war ganz süß ... lass mal jetzt!'" Aber es hat doch hingehaun.


    rappers.in: Dein Track "Meine Sprache" war lyrisch, aber auch videotechnisch auf einem sehr hohen Niveau. Schwebte dir die Umsetzung des Liedes mit dem Inhalt des Videos denn die ganze Zeit vor? Gerade die Einschübe mit der Gebärdensprache treffen sehr gut auf die Hook zu.


    Credibil: Meine beste Freundin, die auch in dem Video mitspielt, muss wirklich Gebärdensprache sprechen, weil ihre Eltern taub-stumm sind. (an Mikis gerichtet) Weißt du noch, als wir Shisha rauchen waren? Wir saßen draußen auf der Schaukel und ich hab' gesagt: "Ey Bruder, wie sieht's aus, 'Meine Sprache', so ist der Song und ich hab' mir vorgestellt, ..." Und du hast gesagt: "Ja, machen wir so und so, und dann soll sie wirklich mit den Händen ..."? Mir ist es während des Schreibens gekommen. Es ist mehr als nur: Wir reden jetzt miteinander und sie versteht nicht, was ich gerade von ihr will. Wir konnten es dann eben auch visuell darstellen ...


    rappers.in: Kommen wir doch mal auf die Zukunft zu sprechen. Entweder kannte ich nicht alle Tracks, die du auf dem Splash! gespielt hast, oder es waren neue dabei ...


    Credibil: (grinst) Es waren neue dabei.


    rappers.in: Woran arbeitest du denn aktuell? Oder bist du gerade fröhlich, absolvierst deine Auftritte und das war's?


    Credibil: Beides. Es kommt ein Stück Musik auf Deutschland zu. Es heißt "Molokopf" und ich arbeite daran, einen eigenen Sound zu haben. Das Problem an einem "Deutschen Demotape" ist, dass man natürlich diese Karte nutzt, wie man am liebsten klingen würde. Aber es ist nicht mein eigenes Ich, von dem ich sage: Das will ich darstellen. Das ist auch schwer – was ist man schon, woher kommt der Einfluss, was nimmt man mit?


    rappers.in: Bist du denn nun auch an den Produktionen beteiligt?


    Credibil: Ja. Ich hab' mich mit The Cratez zusammengeschlossen, zwei super Produzenten ... Ich bin ein riesen Kendrick Lamar-Fan. Mikis hat immer gesagt: "Wenn du so ein Album machen willst, dann schließ Dich mit einem Produzenten zusammen, setz euch hin und macht ein Stück Musik." Man sieht die Handschrift, wo jemand sein Pünktchen oder seinen Strich setzt und wo nicht. Und deswegen habe ich mich mit den beiden zusammengeschlossen und gesagt: "Lasst uns neue Musik machen". Und dann sitze ich da und sage schon: "Das ist nicht cool und mach die Trompeten rein." Ich liebe Trompeten ... So ist dann der erste Track entstanden. Der hieß "Molokopf" und daraufhin hab' ich gesagt: "Ich möchte diese EP so nennen". Zu meinem Team gehört aber nicht nur ein Musiker und die Produzenten, sondern auch ein Videomann und ein Manager. Selbst meine Mutter hat Mitspracherecht.


    rappers.in: Hast du Bedenken in Bezug auf die Reaktion der Leute, wenn du irgendwann mit einem ganz eigenen Sound um die Ecke kommst?


    Credibil: Jetzt nicht mehr – denn ich habe gestern gespielt und sie haben's gefeiert. (lacht)


    rappers.in: Ich denke mal, du hast die alten Sachen auch so eigen neu interpretiert, dass es ja doch ein großes Stück von dir war, das du mit dem Tape veröffentlicht hast.


    Credibil: Eben. Und was bin ich schon ...? Ich bin ein Rapper, ich hab' meine Stimme und meinen Inhalt. Wenn ich das beibehalte, darf ich in der Musik tun und lassen, was ich will. Wenn ich wirklich kredibil bin, kann ich klingen, wie ich will. Ich wollte nur nicht den typischen Straßensound mit Geige und Piano machen, weil andere schon so klingen. Es bringt mir nichts, etwas anderes zu sagen, aber gleich zu klingen.



    rappers.in: Du hast ja eben schon erzählt, dass du bereits mit neun Jahren auf Deutschrap gestoßen bist. Wer hat dich denn so früh darauf gebracht?


    Credibil: Meine Mutter. Sie hat Missy Elliot gehört. Sie ist mit 17 nach Deutschland gekommen und es ist wirklich so, dass Frauen, die alleine in ein neues Land kommen, sehr emanzipiert sind. Sie stehen für sich selber, haben ihre Familien in der Heimat gelassen, haben hier einen Mann geheiratet, müssen die Sprache lernen, Klo putzen, Führerschein machen und nebenbei eine Ausbildung. Meine Mutter ist genau so eine Frau. Und Rap ist einfach Selbstbewusstsein in seiner Form. Zu sagen: Ich bin etwas. Und sie hat diese schwarze Frau gesehen, wie sie in den Videos rappt und selbstbewusst ist und meine Mutter hat gesagt: "Killer!" Ich weiß noch, als sie zum Berufsinformationszentrum gefahren ist und ihre Friseurlehre angefangen hat. Ich saß im Auto und hab' Missy Elliot gehört. Und dann kamen wir zu Eminem. Dann ging ich auf die Straßen und da gab es auch zwei, drei HipHop-Heads. Und dann bin ich ... Rapper geworden. (lacht)


    rappers.in: Und was sagt sie zum "Deutschen Demotape"?


    Credibil: (überlegt) Sie ist, was deutschen Rap angeht, sehr informiert, weil ihr Junge halt Deutschrap-Fan ist. Als Sido und Bushido das Album gemacht haben, saß sie vor mir und hat gesagt: "Warum machen die das Album zusammen? Die haben doch gestritten!" (alle lachen) Sie weiß das! Das ist doch verrückt! Meine Mutter hat auch einen anderen Standpunkt als andere Raphörer. Wenn Savas mich sieht, dann ist das erste, was er fragt: "Wie geht’s deiner Mutter?" Und meine Mutter sagt: "Jaja, grüß den mal! Der kommt keinen Tee trinken, aber grüß den mal!" Auf ironische Art und Weise. Sie kriegt das alles mit und ist sehr, sehr stolz. Vor allem, dass ich daran glaube. Ich bin 20 Jahre alt. Ich verdiene nicht die Million. Jeder Song, den ich mache, könnte der erste Schritt Erfolg sein – oder der letzte. Und sie glaubt so sehr daran, wie die Leute, die mit mir sind, dass wir dieses Risiko eingehen.


    Mikis: (grinst) Mama ist Team Credibil.


    rappers.in: Du hast ja als Kind auch viele Musikvideos deutscher Rapper auf MTV und Viva angesehen. Hattest du zu diesem Zeitpunkt den einen Rapper, der dein absolutes Vorbild war?


    Credibil: Bushido.


    Mikis: Azad?


    Credibil: Azad auch. Aber Bushido lief halt mehr im Fernsehen. Bei Azad war es immer so: Oah, Hessen, der kommt aus unserer Ecke. Aber den hat man nur sehr selten im Fernsehen gesehen. Es gab zwei, drei Songs, die hat man immer mal wieder gespielt. Aber Bushido war durchgehend da. Der hat alle acht Monate ein Album rausgebracht und war durchgehend im Fernsehen. Ich weiß noch, wie durchgehend "Nie ein Rapper" lief. Und ich wollte genauso sein. Ich wollte auch so ein Video haben und habe meiner Mutter gesagt: "Schneid mir auch solche Haare!"


    rappers.in: Dabei ging es dann aber weniger um den Rap, als um das ganze Drumherum.


    Credibil: Guck mal, ich komme aus einem armen Umfeld. Ich bin kein reicher Kerl. Meine Mutter kam mit 17 hierher, mein Vater hat seine Ausbildung als Maurer abgeschlossen und ging danach arbeiten in der Kabelfabrik. Ich bin leider kein Kind, dem es egal sein kann, ob er die neuen Hot Wheels bekommt oder nicht. Jetzt ist da jemand im Fernsehen, der hat die gleiche Fresse wie ich und sieht aus wie mein scheiß Onkel. Er hat dieselbe Haarfarbe und dieselbe Haut. Er erzählt von denselben Problemen, die ich auch habe. Wenn die Kinder nicht zu mir nach Hause kommen wollten, wo ich gesagt habe: "Kommt doch alle zu mir nach Hause!" – "Nee, lass mal." Und deswegen war der Identifikationsfaktor mit diesen Personen so hoch. "Wie, er zündet in dem Video sein scheiß Auto an?! Warum fährt er so ein schönes Auto? Ihm geht's gut, er hat Nike-Pullover! Ich möchte das auch." Und genau deshalb ist es so wichtig, dass es solche Leute gibt. Egal, was die da rappen. Wenn man Bushido gehört hat, dann hat man einen Vibe bekommen. Er ist mit der Grund, warum man sich gut fühlt am Tag. Gerade als Jugendlicher, weil HipHop immer noch eine Jugendkultur ist.


    rappers.in: Wir würden gerne kurz über deine beiden Trist & Grau-Kollegen Frustration und Belabil sprechen. Was sind denn die besonderen Alleinstellungsmerkmale der beiden, die sie für dich auszeichnen?


    Credibil: Das geht schnell. Frustration ist der Erfinder von Trist & Grau. Er ist wirklich derjenige, der den Film als allererstes gefahren ist. Ich hab' den erst teilweise mit 14 aufgenommen. Diesen ehrlichen, poetischen Straßenrap. Trist ist die Liebe zur Melancholie und Grau ist der perfekte Ausgleich zwischen schwarz und weiß. Es ist die Mitte. Er hatte schon immer krasse Lines, selbst Vega hat ihn zitiert. Frustration ist immernoch kein großer Rapper, aber er wird irgendwann hoffentlich größer sein als ich. Er schreibt Sachen wie: "Ich will ein Leben ohne Zaun. In meiner Gegend ist der Regenbogen grau." Das ist dasselbe, wie wenn ich sage: "In meiner Gegend ist die Hoffnung verloren. Aber deutsche Dichter werden in Betonblocks geboren." Du kommst von unten, aber wir sind mehr als nur das. Dieses Gefühl habe ich in mir gefunden, als ich ihn gehört habe. Und bei Belabil ist es so, dass er den Sound dafür kreiert hat. Er ist der Beatproduzent unter uns. Aber er ist auch einfach ein krass ambitionierter Rapper, der vielfältiger, als wir beide es je sein könnten, ist. Er rappt auf Trap-Sachen: Es klingt kredibil. Er rappt auf Nie-ein-Rapper-Snare und Geige und Piano: Es klingt kredibil. Es klingt immer echt. Und das ist so verrückt an den beiden. Egal, wie lange es dauert, ich werde die mit hochziehen, so gut ich kann. Deshalb hab' ich auch bei "Paradox" am Ende des Videos Bela mit reingepackt. Manche haben es gar nicht gefeiert, andere haben es totgefeiert. Es war ein riskanter Schritt für mich. Als jemand, der gar kein Standing hat, jemanden noch hinten ranzupacken – hätten wir nicht machen müssen. Aber wir haben das Team und das steht zusammen. Wir haben alle zusammen Bock auf echten, schönen Rap.


    rappers.in: Loyalität scheint bei dem Ganzen ja auch eine große Rolle zu spielen.


    Credibil: Ich bin halt auch Fan ... (überlegt) Mein bester Freund ... er ist kein Rapper. Aber wir haben ein Feature – wir haben "Nie ein Rapper" zusammen gemacht. Das habe ich aus Loyalität gemacht, weil ich Bock darauf hatte, diesen Song mit ihm zu machen. Wenn er aber morgen sagt: "Ey, ich hab' keinen Bock darauf, mehr weiter zu rappen, sondern möchte nur noch Backstage mit dir rumhängen und Wodka trinken", dann tue ich das mit ihm, weil ich Bock darauf habe. Aber: Ich bin Fan von Belabil und ich bin Fan von Frustration. Und ich war derjenige, der rausgerannt ist im Regen mit einer CD in der Hand, und hab' sie Vega gegeben und gesagt: "Hör ihn dir an, er will aufhören zu rappen. Ruf den mal bitte an und sag ihm, er darf nicht aufhören." Und Vega hat's getan. Deshalb hat Frustration nicht aufgehört zu rappen. Ich bin stundenlang als Kind mit Kopfhörern in der Nordi rumgerannt und hab' Azad gesehen, der kannte mich noch gar nicht. Ich hab' gesagt: "Hier, Bruder, hör mal!" Und warum? Weil ich Fan dieser Musik bin. Das ist mehr als Loyalität.


    rappers.in: Kommen wir zum Abschluss noch zu unserer Lieblingsfrage ... Wenn du dir eine Zeit im Deutschrap aussuchen könntest, in der du gerne aufgewachsen wärst: Welche wäre das und warum?


    Credibil: Genau jetzt. Weil ich jetzt selber Rapper sein darf. Genau deswegen will ich jetzt und hier alles, was ich erlebt habe. Genauso, wie es jetzt ist, ist es perfekt.



    (Florence Bader & Kristina Scheuner)
    (Fotos von Mikis Fontagnier)


    Einmal im Jahr taucht es wortwörtlich aus dem Nichts auf: das Sommerloch. Ein Zeitabschnitt, in dem augenscheinlich nicht viel los ist – könnte man zumindest meinen. Doch Eypro-Mitglied Sorgenkind hat sich mit dem Phänomen "Sommerloch" mal etwas genauer auseinandergesetzt und ihm eine komplette EP gewidmet, die seit Juli erhältlich ist. Nachdem wir ihn gemeinsam mit seinen Crewkollegen Djin und Clayne bereits im Frühjahr auf der Tapefabrik trafen, setzten wir uns mit dem Düsseldorfer nun, einige Monate später, noch einmal in einem Einzelgespräch zusammen, um ausführlich über die EP, das nach wie vor anstehende Punkrockalbum und weitere musikalische Themen zu sprechen.


    rappers.in: Du hast kürzlich deine neue EP "Sommerloch" veröffentlicht. Kannst du uns zu Beginn erzählen, woher der Titel kommt und warum du im "Sommerloch" überhaupt eine EP veröffentlichst?


    Sorgenkind: Eigentlich fing alles mit dem Titel-Track "Sommerloch" an. Ich hatte die Idee, dass es eine Phase im Jahr gibt, in der Meldungen wie Krieg komplett verschwiegen werden und es plötzlich nur noch einen Problembären Bruno, eine Killerschildkröte oder Paul, die Krake, gibt. Und ich frage mich: Was passiert da eigentlich, wenn keine Nachrichten darüber geschrieben werden? Einerseits steckt da die Kritik dahinter, dass man darauf achten soll, was sonst so in der Welt passiert, andererseits aber auch etwas Selbstkritik, da ich ja auch im Sommerloch versinke. Als ich den Track geschrieben habe, wurde mir selbst bewusst, dass ich jedes Jahr in diesem Sommerloch gefangen bin. Wenn Splash! ist, interessiert mich zum Beispiel überhaupt nicht, was sonst in der Welt passiert.


    rappers.in: Was glaubst du, warum das so ist? Das konnte man ja auch bei der WM beobachten, als in der Halbzeit dann beiläufig erwähnt wurde, was in Israel passiert ...


    Sorgenkind: Genau! "Deutschland führt 5:0, in Israel ist Krieg und morgen spielt Holland gegen Argentinien". Ich glaube, das passiert, weil der Mensch sich halt gut fühlen und sich nicht mit Dingen belasten will, an denen er indirekt Schuld hat. Das Problem ist auch, dass da kein Statement von deutschen Politikern kommt, weil die in der Zeit auch Urlaub haben oder selbst auf der Tribüne beim Endspiel sitzen. Wenn sich die Medien mehr mit den Themen befassen würden, würde man auch ein krasseres Statement von der Politik erwarten, aber das passiert zu dem Zeitpunkt einfach nicht. Sondern erst, wenn das Sommerloch wieder geschlossen ist.


    rappers.in: Und wenn wir das Sommerloch auf dich beziehen: Hast du das Gefühl, dass du im Sommer auch fauler oder unkreativer bist, was Musik betrifft?


    Sorgenkind: Dieses Sommerloch auf jeden Fall nicht, denn jetzt kam ja die EP raus. (lacht)


    rappers.in: Aber die ist ja nicht im Sommer entstanden.


    Sorgenkind: Nee, das stimmt. Ich hab' im Sommer immer das Gefühl, dass ich jetzt richtig Bock hab', irgendwas rauszubringen. Dann fängt meistens auch im Sommer der Schaffensprozess an. Im Herbst und Winter hab' ich immer so eine kleine Flaute, aber im Frühjahr steigt das wieder an. Ich glaube, das Wetter hat eine große Wirkung auf meine Kreativität und Laune. Es geht ja auch um die Ideen, die man hat. Wenn man im Sommer viel draußen ist und erlebt, sammelt man viele Eindrücke und kann darüber ein Lied schreiben. Wenn man aber im Winter nur zuhause sitzt, fliegen einem keine Ideen durchs geschlossene Fenster zu.


    rappers.in: Ihr habt mit dem Plot ja auch einen Track namens "Präsidentenstrand" gemacht. Ist der im Sommer entstanden oder mehr eine Erinnerung?


    Sorgenkind: Wir sind seit zwei Jahren regelmäßig an diesem Sandstrand in Düsseldorf. Drei Jahre hab' ich da gewohnt und wusste im ersten nicht einmal, dass wir sowas haben, bis mir davon erzählt wurde. Und da dachte ich mir so: Hallo?! Wir haben 'nen Sandstrand, lass' da mal hingehen! Und irgendwann, als wir auf dem Weg dorthin waren, kam uns so ein reicher Typ entgegen, der den Elias kannte. Der meinte zu uns: "Ihr müsst da hinten in die zweite Bucht gehen, die ist cooler." Da dachten wir uns: Warum? Sitzen da nur reiche Menschen herum? ... Und dann führte eins zum anderen. Das war dann eben der Präsidentenstrand.


    rappers.in: Ihr hattet vor einigen Jahren ja auch so ein Lagerfeuer-Video zu "Ruderboot" ... ist das da entstanden?


    Sorgenkind: Das war am Rhein, aber nicht an der Sandstrandseite, sondern an der Steinseite. Zu dem Zeitpunkt wusste ich auch noch nichts von dem Sandstrand, sonst hätte ich gefragt, warum wir uns denn auf die Steine setzen, wenn auf der anderen Seite Sand ist. (lacht)


    rappers.in: Aber der ist nicht natürlich da, sondern angelegt, oder?


    Sorgenkind: Doch! Es gibt sogar mehrere Sandstrände in Düsseldorf, genau wie in Köln oder Hamburg.



    rappers.in: Kommen wir noch mal auf das Sommerloch zu sprechen: Wie befreist du dich daraus? Möchtest du da überhaupt raus oder gefällt dir der aktuelle Zustand?


    Sorgenkind: Ich möchte auf jeden Fall wissen, dass ich gerade im Sommerloch bin, und nicht denken, dass alles normal ist. Ich will mir darüber bewusst sein, dass irgendwo anders auf der Welt gerade etwas passiert und das nicht ignorieren, sondern nachfragen können. Aber klar, ich versinke auch selbst im Sommerloch – ich seh' kein fern, ich hab' auf Facebook N24 abonniert und bekomm' da meine Nachrichten. Aber N24 steigt ja auch immer voll in dieses Sommerloch mit ein.


    rappers.in: Sprechen wir mal konkret über die EP: Warum hast du kein Album daraus gemacht beziehungsweise die Tracks dafür gesammelt?


    Sorgenkind: Das war von Anfang an als EP gedacht, weil ich im letzten Jahr ja auch ein Quarterback40-Album, also ein Punkrock-Album, gemacht habe. Direkt danach ein ganzes Rapalbum zu machen, wäre am Ende irgendwie hingeklatscht gewesen und darum hab' ich mich dann lieber auf sechs Tracks fokussiert, die Albumqualität haben. Es sollte halt eher ein halbes Album werden ... "EP" ist immer so eine kleine Degradierung. Das klingt so nach: "Ich hab' einen Track gemacht und den Rest bau' ich jetzt drumherum, aber im Prinzip ist das alles Müll und ich will grade nur ein bisschen Geld haben". Ich wollte auf jeden Fall was bringen und hatte eigentlich auch vor, die Songs auf der "Nur wegen Bier hier"-Tour mit 3Plusss zu spielen, aber ... Dann wär' es wirklich hingeklatscht gewesen.


    rappers.in: Wir haben in unserem letzten Eypro-Interview vom Februar darüber gesprochen, dass ihr einen gemeinsamen Sampler machen wollt. Wie ist da denn der Status? Ist der noch in Arbeit oder wurde die Idee inzwischen verworfen?


    Sorgenkind: Nee nee, verworfen wird das nie! (lacht) Wir haben uns zwischenzeitlich auch echt ein paar Mal zusammengesetzt und Gedanken darüber gemacht, aber jetzt hab' ich zum Beispiel eben diese EP gemacht. Und die hatte bei mir oberste Priorität. Patrick (Anm. d. Red.: Djin) arbeitet nebenbei auch noch an seinem Album. Aber sobald wir uns alle gezielt treffen, gucken wir, dass wir einen Track oder eine Idee ausarbeiten. Ein paar Sachen haben wir schon gemacht, aber momentan ist noch nicht die Zeit, in der man einem Eypro-Sampler die oberste Priorität gibt.


    rappers.in: Habt ihr vielleicht auch den Gedanken im Kopf, Musik irgendwann wieder mehr in diesem Crewrahmen zu machen? Momentan macht ja jeder seine eigenen Sachen und entwickelt sich vor allem als Solokünstler.


    Sorgenkind: Eypro ist einfach eine Herzensangelegenheit, aber es prallen zu viele Interessen und verschiedene Umstände aufeinander. Clayne hat einen Vollzeitjob und verdient da sein Geld, Denis (Anm. d. Red.: 3Plusss) ist selbst schon eine Zeit lang vorher durchgestartet – als "Boah ey" draußen war, konntest du den auch nicht mehr aufhalten. Es ist ja auch kein Problem, dass er jetzt aus Eypro draußen ist, er gehört ja immer noch zum Freundeskreis. Aber es ist halt schwierig, all diese Interessen miteinander zu kombinieren. Und wenn man für sich selbst etwas verfolgt, weiß man, wann man etwas macht. Erstmal die Mannschaft zusammentrommeln, ist schwer, weil meistens jeder schon irgendwas anderes vorhat oder arbeiten muss.


    rappers.in: Du hast gerade gesagt, dass Clayne beispielsweise einen Vollzeitjob hat. Was machst du eigentlich beruflich? Als wir uns vor einigen Jahren das letzte Mal darüber unterhalten haben, warst du noch Student ...


    Sorgenkind: Genau. Ich bin auch immer noch Student und werd' immer Student bleiben. (lacht) Das klingt jetzt voll komisch, aber ich mach' gerade nur Musik.


    rappers.in: ... und du kannst davon leben?


    Sorgenkind: Ich kann davon überleben ... Ich möchte das, also wird das jetzt auch gemacht. Es gibt ja auch immer solche Motivationsetappen. Irgendwann kam die Bookinganfrage und ich dachte: Krass, was passiert als Nächstes?! Dann wollte jemand mein Manager werden und ich dachte: Krass, ich werde jetzt gemanagt, dann lass' ich mir jetzt natürlich in den Arsch treten. Denis kümmert sich auch wie ein großer Bruder um mich, obwohl er drei oder vier Jahre jünger ist. (lacht) Der sagt dann immer: "Niko, jetzt wird aber mal gemacht hier, keine Faxen!" Ich hab' auf jeden Fall genügend Motivationspfeiler von allen Seiten, die mir in den Arsch treten und dank denen ich merke, dass da was passiert. Das ist ein Traum. Als ich mich früher in der RBA als Nug angemeldet habe, dachte ich nicht, dass da sowas draus wird.



    rappers.in: Wenn wir gerade schon über dein Management reden, würden wir auch gerne mal über deine aktuelle Labelsituation sprechen. "Sommerloch" ist unseres Wissens nach über kein Label veröffentlicht worden – kannst du uns etwas zu deiner aktuellen Situation sagen?


    Sorgenkind: Aktuell ist es so, dass ich bei keinem Label bin. Das Release jetzt wird über einen Shop vertrieben, die ganze Hintergrundarbeit hat vor allem mein Management gemacht ... und ein bisschen ich. (lacht) So läuft das gerade. Alles andere warte ich mal ab.


    rappers.in: Hast du vor, irgendwann über ein Label zu releasen, wenn du ein Angebot bekommst? Oder findest du, dass es so, wie es momentan läuft, perfekt für dich ist?


    Sorgenkind: Das hängt vom Angebot ab. Wenn ich eines bekomme, bei dem ich merke, dass das wieder ein Schritt nach vorne für mich ist, hätte ich da auf jeden Fall Bock drauf. Aber ich gehe nicht zu irgendeinem Label, nur um zu sagen, dass ich jetzt über ein Label release. Ich finde das auch ein bisschen überbewertet. Entweder bekommst du halt ein cooles Angebot oder nicht, aber ich muss mich jetzt nicht verbiegen.


    rappers.in: Du hast gerade auch erwähnt, dass du vor "Sommerloch" mit Quarterback40 ein Punkrock-Album gemacht hast. Hast du parallel an beiden Projekten gearbeitet oder musste das strikt getrennt werden?


    Sorgenkind: Das Punkrock-Album ist fertig gemastert, zwei Videos und das WM-Lied kamen ja schon heraus – aber da bin ich auch nicht der Chef. Da sind Elias und Dom die Macher und die überlegen gerade, in was für einem Rahmen man das bringen könnte. Die Arbeiten daran haben sich aber eher mit dem vorherigen Album überschnitten als mit "Sommerloch". Generell kann ich aber nicht zwei Releases gleichzeitig machen, sondern nur nacheinander.


    rappers.in: Ist der Übergang vom Rap zum Punkrock nicht etwas schwierig?


    Sorgenkind: Nee. Punkrock ist für mich einfach was Neues, aber auf jeden Fall gesangsmäßig schwieriger. Bei der HipHop-Geschichte kannst du schon ein wenig die simpleren Melodien nehmen, aber wenn du ein ganzes Album singen musst, musst du schon gucken, dass du nicht die ganze Zeit deine Standard-Harmonien runterträllerst. Aber so klang das am Anfang halt bei mir. Irgendwann kam dann Elias und meinte zu mir: "Das machst du jetzt alles nochmal neu, weil so klingt das kacke." Dafür ist es aber umso einfacher, die Texte zu schreiben. In HipHop-Sprache hat jeder Part so um die vier bis acht Zeilen, da bist du halt schnell fertig.


    rappers.in: Aber du hast ja auch viel weniger Zeilen, um etwas zu erklären. Im Rap hast du beispielsweise allen Platz der Welt, um den Himmel zu erklären, und jeder weiß danach genau, wie er aussieht.


    Sorgenkind: Ja, aber das Problem ist: Wenn du in zwei Zeilen den Himmel erklären kannst, musst du überlegen, was du in den anderen 14 Zeilen schreibst. Das kann sowohl vor- als auch nachteilhaft sein. Ich finde, dass dieses Punkrockding textlich viel leichter ist. Dazu kommt, dass ich ja auch noch Elias und Dom dabei habe. Und Dom ist so ein richtig kranker Kopf, der hat Ideen, das glaubst du nicht. Der ist richtig bekloppt, der kam jeden Tag mit 20 neuen Liederideen. Von den Grundideen her haben die beiden auf jeden Fall mitgeholfen.


    rappers.in: Und was macht dir grundsätzlich mehr Spaß?


    Sorgenkind: Ja ... Rap auf jeden Fall.


    rappers.in: Warum?


    Sorgenkind: Da kann ich eben Rap und Gesang kombinieren. Ich will halt auch beides machen.


    rappers.in: Welche Art von Musik hörst du denn, wenn du in einem solchen Kreativprozess steckst?


    Sorgenkind: Ich hör' eigentlich alles. Aber wenn ich jetzt gezielt Ideen haben will, höre ich nur Beats. Irgendwelche atmosphärischen Sachen, die mich inspirieren. Aber ich verkrampf' mich da nicht auf bestimmte Einflüsse oder sonst was, wo ich mir irgendetwas abkupfern möchte. Ich hör' einfach die Musik, auf die ich Bock habe. Es ist jetzt auch nicht so, dass man bei mir Einflüsse von Releases erkennt, die ich gerade höre. Die Einflüsse sind immer die gleichen gewesen – da bin ich nicht so stimmungsschwankungsgefährdet.


    rappers.in: Zu guter Letzt: Wenn du dir eine Zeit im Deutschrap aussuchen könntest, in der du gerne aufgewachsen wärst: Welche wäre das und warum?


    Sorgenkind: Ich fand die ganze Zeit mit Samy und den Hamburgern schon ganz richtig so. Es ist schön, wenn man ein paar Jahre später wieder Parallelen zu der Zeit, in der man aufgewachsen ist, schließen kann. Ich glaube, ich habe da echt Glück gehabt, in der Zeit aufgewachsen zu sein, mit den alten, noch guten Samy-Sachen und den Beginnern. Es gab zwischendrin halt mal so eine Flaute, da wäre ich ungerne aufgewachsen. Aber die mittleren bis späten '90er waren schon ganz cool.



    (Florence Bader & Kristina Scheuner)


    Es war gegen Ende des Jahres 2011, als man zum ersten Mal wirklich etwas von Ahzumjot mitbekam. Sein komplett in Eigenregie veröffentlichtes Album "Monty" verkaufte sich öfter als vom Rapper selbst erwartet. Von da an ging es für den Hamburger jedoch erst richtig los: Mit dem Signing bei Universal Music stiegen die Interview-Anfragen, mit Touren und Festivalauftritten erlangte er neben Bühnenerfahrung auch weitere Bekanntheit. Ende August dieses Jahres erscheint sein neues Album "Nix mehr egal", das, gefolgt von einer großen Tour im Herbst, einen weiteren Karriereschritt markieren soll. Auf dem diesjährigen Splash!-Festival trafen wir Ahzumjot und sprachen mit ihm über den Einfluss seiner neuen Wahlheimat Berlin, den Entstehungsprozess seines kommenden Releases sowie über Persönliches, das dahinter steckt. Und natürlich wollten wir auch wissen, was ihm denn nun wirklich alles egal ist ...


    rappers.in: Laut dem Titel deines kommenden Albums ist dir "nix mehr egal". Warum das denn? Und was war dir denn bisher alles so egal?


    Ahzumjot: Eigentlich ist das gar nicht so gemeint, dass mir selbst nichts mehr egal ist, sondern eher, dass nichts mehr egal sein sollte. Und dieses Album soll das, blöd gesagt, ein bisschen einleiten. Ich will jetzt nicht die Welt verändern, das kann man auch nicht ... Aber tatsächlich hab' ich das Gefühl, dass der Umwelt sehr viel egal ist. Auch, wenn man sich aktuelle Popmusik anhört. Da gibt es ja nur noch Themen wie "Party", "Alles geil" und "Lass uns mal saufen und den Tag vergessen". Und bei mir geht's halt um das genaue Gegenteil. Darum, etwas aus seinem Leben zu machen. Was man aus seinem Leben macht, kann natürlich jeder selbst entscheiden, aber es handelt davon, seinen "Tag eins" zu finden. Darum geht es beispielsweise auch im letzten Song auf der Platte. Dass man ab heute sein Leben in die Hand nimmt und, wie's auch mal vorkommt, für die Ewigkeit lebt. Blöd gesagt: seine eigene Geschichte zu schreiben. Ich will eine Geschichte schreiben, aber nicht zwingend für die Geschichtsbücher. Das sollte auch kein Anspruch sein. (lacht) Eher etwas für die eigenen Geschichtsbücher. Ich denke auch viel darüber nach, was man später mal seinen Kindern sagen könnte, und ich will denen nicht sagen: "Ich bin nach Berlin gezogen, hab' da Party gemacht und dann bist du entstanden." (lacht)


    rappers.in: Und wenn wir das mal etwas ummünzen: Was ist dir in Bezug auf deine Musik denn vollkommen egal? Zum Beispiel YouTube-Kommentare ...


    Ahzumjot: Oh ja, die sind mir absolut egal. Das sollte einem als Künstler aber auch komplett egal sein.


    rappers.in: Es gibt mit Sicherheit viele Künstler, die sich hinsetzen und solche Kommentare durchlesen. Gerade zu Beginn einer Karriere.


    Ahzumjot: Es ist tatsächlich so, dass mich YouTube-Kommentare zu Anfang mehr gestört haben. Als meine ersten Videos zu "Monty" rauskamen, gab es schon Momente, in denen ich dachte: "Fuck, der findet mich kacke", "Wieso findet der mich scheiße?!", "Aber ich kann doch eigentlich voll gut rappen" ... Mittlerweile hab' ich aber eingesehen, dass man es sowieso nicht allen recht machen kann und darum finde ich, dass man das komplett ausblenden sollte. Insofern ist es mir tatsächlich egal, wie Leute mich wahrnehmen. Ich muss niemandem mehr beweisen, dass ich rappen kann – das hab' ich schon fünf Jahre lang gemacht, bevor ich "Monty" rausgebracht habe. Ich hab' damals auch Battlerap gemacht und weiß durchaus, wie man reimt. (grinst) Ich kann auch doubletime rappen, wenn ich will – brauch' ich aber niemandem beweisen. Ich kann Reimketten schreiben – brauch' ich auch niemandem beweisen. Ich will auch niemandem beweisen, dass ich Dinge kann, außer mir selbst. Aber mir selbst zu beweisen, dass ich fett reimen kann, ist nicht mein Anspruch.


    rappers.in: Ist es nicht ein weiter Weg von "Ich sage, dass es mir egal ist, weil ich weiß, dass es so sein sollte" bis hin zu dem Punkt, an dem es einem tatsächlich egal ist?


    Ahzumjot: Klar. Aber ich glaube, dass ich das relativ schnell gelernt habe – ich lerne generell immer sehr schnell ... was jetzt gar nicht großkotzig klingen soll. (lacht) Aber so wurde ich erzogen und meine Mutter war auch immer stolz darauf, dass ich schnell aus Fehlern gelernt habe. Deswegen ist das eine Sache, die ich schnell erkannt habe. Ich bin ein Typ, der sich immer viele Gedanken macht, und daher rührt es auch, dass ich das sehr schnell verarbeitet habe. Wenn ich sehe, dass in den Kommentaren nur Scheiße steht, frage ich mich: "Warum steht da nur Scheiße?" Dann setz' ich mich damit auseinander, wie das bei anderen Künstlern ist, und sehe, dass bei denen auch nur Scheiße steht. Und dann findet man sich auch ganz schnell damit ab, dass da immer Scheiße stehen wird, egal, was für ein Künstler du bist. Und je größer du wirst, desto mehr Scheiße steht da dann einfach. Es gibt ganz wenige Künstler, bei denen wenig Scheiße steht. Marteria ist so einer – bei dem steht relativ wenig Scheiße, weil der so ein bisschen "Everybody's Darling" ist.


    rappers.in: Marteria polarisiert in meinen Augen aber auch nicht so krass, weil er nicht so viele Ecken und Kanten hat wie manch anderer Künstler ...


    Ahzumjot: Ja, stimmt. Marten hat 'ne absolut radiotaugliche Platte gemacht, da jagt ein Hit den anderen. "Welt der Wunder" zum Beispiel. Als ich den letztes Jahr auf dem Splash! gehört habe, dachte ich mir: Das kann ja im Radio rauf- und runterlaufen. Tut's ja auch irgendwo. Marteria hört man im Radio mehr als Casper.



    rappers.in: Du hörst Radio?


    Ahzumjot: Ja, aus Interesse. Ich steh' morgens immer schön auf, mach' mir 'nen Kaffee, frühstücke und hör' das dabei. Beim Duschen auch. Aber wirklich mehr aus Interesse, um zu wissen, was alles läuft. Sonst könnte ich auch keine solche Musik machen und reflektieren, wie die Szene funktioniert, um überhaupt ein Album machen zu können. Ich hab' das Album einerseits wegen meinem Umzug nach Berlin gemacht, wo ich gesehen habe, dass allen alles egal ist. Und andererseits, weil ich viel Radio höre, um mich darüber aufzuregen, was alles Erfolg hat.


    rappers.in: Apropos Berlin: Glaubst du, dass du dich durch die Stadt menschlich und musikalisch verändert hast? Dein letztes Album ist ja noch in Hamburg entstanden ...


    Ahzumjot: Auf jeden Fall. Ich glaube, ich bin etwas abgestumpft im Sinne von: Der Zauber der Musikwelt ist ein wenig verloren gegangen, weil man diverse Menschen kennengelernt hat, von denen man früher mal Fan war. Und dann denkt man sich manchmal: "Boah, was bist du eigentlich für ein Spacken?!" Aber was heißt verändert ... Ich war nie ein oberflächlicher Typ, auch wenn ich mich sehr um mein Äußeres kümmer' und darauf achte, wie ich angezogen bin. Ich fand Oberflächlichkeit schon immer schlimm. Einer meiner Kumpels aus Berlin hat beispielsweise immer nur riesen Basketball-Jerseys, fette Baggys oder Camoshorts an, trägt Jordans und weiß auch immer genau, welche. Ich sag' mal, der ist so ein bisschen in den frühen 2000ern. Aber er ist einfach ein super Typ. Und wenn der dann mal bei einer meiner Shows mit im Backstage abhängt und die Leute anfangen, zu gucken, was der da macht, und darüber urteilen ... Das find' ich so furchtbar. Und das passiert in Berlin einfach sauoft. Das ist auch etwas, das mich darin bestätigt hat, dass Oberflächlichkeit eine scheiß Sache ist. Klar, das ist wahrscheinlich in allen hippen Metropolen so und in London bestimmt nicht anders. Aber in Berlin fällt das im deutschlandweiten Vergleich auf. Dieses "Gesehen und gesehen werden" ist in Berlin einfach omnipräsent verbreitet.


    rappers.in: Was glaubst du, woran das liegt?


    Ahzumjot: Ich glaube, das liegt daran, dass sehr viele Leute mit einem falschen Bild von Berlin in die Stadt ziehen. Da gibt's die Fashion-Week, alle sind auf Partys, Gästeliste hier, Gästeliste da ... Ich bin, glaube ich, einer der wenigen, die sich noch Tickets für Konzerte kaufen, auf die sie gehen wollen. Ich weiß noch, als ich 2012 bei Rick Ross auf einem Konzert war. Ich stand im Publikum und meinte nur: "Fuck, was für ein scheiß Konzert, und dafür hab' ich auch noch 50 Euro gezahlt". Und dann kam einer zu mir und hat mich gefragt: "Was, du hast wirklich dafür bezahlt?! Warum bist du denn nicht auf der Gästeliste?" ... Ja, weil ich halt Musik wirklich geil finde und dann kauf' ich mir eben auch das Ticket. Auch gar nicht aus dem Support-Gedanken heraus, der Typ ist ja eh Multimillionär. Aber ich schäm' mich auch, nach Gästelistenplätzen zu fragen, wenn ich denjenigen gar nicht kenne. Wenn Casper in Berlin spielt, frag' ich den klar, ob ich vorbeikommen kann – wir sind auch in derselben Bookingagentur und im gleichen Management. Das ist ja eine ganz andere Sache. Aber sich auf eine Gästeliste setzen zu lassen, nur um drauf zu sein ... Nee. Es gibt ja diesen wunderschönen Spruch: "Gästeliste, aber keinen Bock." Und dann ist das immer so: "Ich stehe ganz hinten, gucke kritisch, werde nie meinen Arm heben und trinke meinen Gin Tonic aus der Backstagebar". Das ist nicht geil.


    rappers.in: Reden wir in Bezug auf Berlin mal über den Sound deiner neuen Platte. Hast du das Gefühl, dass dich die Stadt inspiriert hat? Hast du das Album denn überhaupt in Berlin geschrieben?


    Ahzumjot: Der komplette Musikprozess, also das Produzieren mit Nikolai und Levon Supreme zusammen, hat in Berlin stattgefunden. Ich hatte auch schon ein paar Beats zuhause gemacht, die wir im Studio dann ausproduziert haben. Wir haben uns einfach in diesem Studio eingenerdet, in dem es keine Fenster gibt, und darum sowieso nichts von der Stadt mitbekommen. (lacht) Da saßen wir dann ein, zwei, drei Wochen ... ein halbes Jahr ... und haben Mucke gemacht. Geschrieben hab' ich das Album allerdings tatsächlich außerhalb von Berlin. Ich bin zum Schreiben zum Beispiel manchmal nach Hamburg zurückgefahren, dann aber auch zwei Mal nach Husum – einmal mit Max Leßmann zusammen, dem Frontmann von Vierkanttretlager. Dann bin ich einmal alleine an die Ostsee gefahren, an den verschneiten Strand ... In Berlin konnte ich nur ganz wenige Sachen schreiben. Da hab' ich Texte ausgearbeitet. Nur eine Nummer hab' ich auf jeden Fall in Berlin geschrieben, weil da das Umfeld wichtig war – und zwar "4 Minuten". Der Song handelt von meiner Familie. Ich hab' während des Albumprozesses von meinem Vater erfahren, dass meine Eltern damals, als sie nach Deutschland gezogen sind, als allererstes in Berlin gelandet sind. Genauer gesagt in Schöneberg. Das war zufällig genau das Haus gegenüber von der Wohnung, in der ich jetzt wohne. Diese Parallele war für mich einfach krass. Vor allem, weil mein Vater mir dann noch erzählt hat, dass er damals auch ein Träumer war und dachte, dass er die Welt von Berlin aus erobern könnte. Dieses Gespräch war ein so einschneidendes Erlebnis. Mittlerweile steht gegenüber ein Hotel und da hab' ich mir gedacht: Okay, diesen Song kann ich nur in diesem Hotel schreiben. Und das hab' ich auch gemacht. Das war für mich das Wichtigste: diesen Song da zu schreiben. Das war so ein magischer Moment. Ich bin da angekommen, hab' mehrere Flaschen Wein getrunken, bin das Treppenhaus hoch- und runtergelaufen, weil meine Eltern dasselbe Treppenhaus benutzt haben, bin auf den Balkon gegangen und hab' mir einfach eingebildet, dass es derselbe Balkon wie bei meinen Eltern war. Ich weiß nicht mal, ob es da damals überhaupt einen Balkon gab ... Das ist natürlich irgendwo auch eine absurde Geschichte und viele werden sie mir vielleicht gar nicht glauben, aber es war tatsächlich so. Es ist genau so, wie ich in dem Song sage: "Ich steh' vielleicht auf demselben Balkon, atme dieselbe Luft, habe dieselbe Vision". Das mit derselben Vision stimmt – mein Vater und ich hatten dieselbe. Er wollte zwar kein Musiker werden, aber auf andere Art und Weise Geschichte schreiben. Aber auf jeden Fall haben wir dieselbe Luft geatmet. Und vielleicht standen wir auf demselben Balkon – ich weiß halt nicht, welcher Stock das war. Aber diese Geschichte hat erst dafür gesorgt, dass der Song entstehen konnte und deshalb musste er in Berlin geschrieben werden. Das ging nicht anders.


    rappers.in: Du hast eben erwähnt, dass ihr euch zu dritt im Studio verbarrikadiert habt. Warst du somit an jeder Produktion beteiligt? Habt ihr alles zusammengemacht?


    Ahzumjot: Wie gesagt, ein paar Sachen waren vorher da. "Für immer" hatte ich zum Beispiel schon zuhause produziert und mit ins Studio genommen. Wir haben den dann nur noch größer gemacht, Streicher einspielen lassen et cetera. Aber das meiste ist zu dritt entstanden. Nikolai war der komplett ausführende Produzent der Platte, Levon und ich haben mehr an der Musik rumgeschraubt und sie mitkomponiert. Als ich bei "Schlaraffenland" zum Beispiel da saß und Nikolai die Melodie in seinen Bass eingespielt hat, hatte ich genau das Bild von den Drums vor Augen. Also hab' ich mich an die Drummachine gesetzt und die Drums eingespielt. Und dann hatte Lev die Idee für ein Piano, weil er halt voll das geile Gespür für Melodien hat ... So ist das Album entstanden. Nikolai ist ein Profi – der macht das seit 20 Jahren, hatte aber trotzdem Bock drauf, mit diesen Grünschnäbeln zusammen ein Album zu machen. Das war wirklich ein schönes, familiäres Zusammenarbeiten und ich hab' danach auch zu ihm gesagt, dass ich nie wieder 'ne Platte mit einem anderen Produzenten machen will. Ich will nur noch Musik mit diesen zwei Leuten machen.



    rappers.in: Das klingt alles sehr harmonisch ... Aber wie sieht es aus, wenn Kritik aufkommt? Lässt du dir da dann reinreden oder nicht?


    Ahzumjot: Ja. Und das nicht nur, wenn Nikolai das mit seinen 20 Jahren Erfahrung sagt, sondern auch, wenn Lev was mit seiner fast gar nicht vorhanden Erfahrung sagt. (lacht) Ohne Kritik würde das nicht gehen. Wenn wir alle im Studio sitzen und jeder auf seine Meinung pocht, kommt dabei ein Album raus, das auch genau so klingt. Deshalb singe ich sogar ab und an auf dem Album. Das kommt daher, dass ich irgendwann da saß und meinte: "Ey, ich singe zwar manchmal gerne ein bisschen, aber ich kann's nicht". Und Nikolai meinte nur: "Du kannst es vollkommen, mach es einfach". Dann hab' ich's versucht und wir fanden es alle geil. Und wenn Nikolai irgendwann mal Drums einspielt und ich ihm sage: "Die klingen scheiße, aber ich hab' 'ne Idee", dann sagt er nur: "Klar, mach's besser".


    rappers.in: Wie sieht das bei Fankritik aus? Wenn dir ein jahrelanger Fan sagt, was er auf "Monty" besser fand – würdest du eine Diskussion eingehen oder bei der nächsten Produktion darüber nachdenken?


    Ahzumjot: Natürlich beeinflusst es einen viel mehr, wenn die Fans was dazu sagen. Aber da muss ich ganz ehrlich sagen – so blöd das auch klingt –, dass mir meine Fans vertrauen sollen, was für Musik ich mache. Und wenn sie nicht damit klar kommen, dass ich etwas mache, das nicht ihren Erwartungen entspricht, müssen sie die Platte ja auch nicht hören. Am Ende des Tages geht es mir darum, ein Album zu machen, hinter dem ich komplett stehen kann und das ich total abfeier'. Wenn das dann ein Album wird, das alle Fans total scheiße finden, ist es halt leider so. Aber ich will's eigentlich auch niemandem recht machen. Es ist mein Werk und ich würde mich, glaube ich, sonst auch selber verraten. Auf der Platte predige ich auch davon: von allen möglichen Leuten, die einem sagen, man soll es so und so machen. Das fängt auch genau damit an: "Meine ersten Worte waren genau die, die man von mir hören wollte", also "Mama" und "Papa". Klar, das sind die Eltern. Aber auf andere zu hören, sollte man irgendwann komplett abstellen. Du darfst natürlich auf Kritik eingehen – und das mach' ich auch immer wieder und wenn ein Fan konstruktive Kritik übt, scheiß' ich da auch nicht drauf –, aber es ist schon so, dass ich mich selbst entwickeln will.


    rappers.in: Du hast uns einmal gesagt, dass es dein Traum sei, als Produzent genauso anerkannt zu werden wie als Rapper. Hast du das Gefühl, dass das heute schon so ist? Oder hast du dich inzwischen doch mehr auf Rap fokussiert?


    Ahzumjot: Ich sag' mal so: Ich seh' mich als 40-Jähriger definitiv nicht mehr auf der Bühne, aber immer noch als Musiker. Mein Traum ist es durchaus, irgendwann nur noch zu produzieren – ob im HipHop-Bereich oder außerhalb ist mir relativ egal, ich hab' Bock auf alles. Aber auch jetzt, als meine ganzen Sachen fertig waren, hab' ich zuhause wieder Beats gebaut und die allen möglichen Leuten gezeigt, zum Beispiel der Cosmo Gang oder FiST. Ich produzier' immer noch saugerne – auch Lance hab' ich Beats vorgespielt. Aber momentan ist der Fokus schon auf meine eigene Karriere als Künstler gerichtet. Nur: Irgendwann werde ich definitiv nur noch produzieren, so viel steht fest. Aber das ist die Zukunft und noch lange hin – es sind noch 15 Jahre, bis ich 40 bin.


    rappers.in: In unserem letzten Interview Ende 2011 durftest du dich größenwahnsinnig zwischen verschiedenen Künstlern einordnen, in deren Reihe du dich 2015 am liebsten sehen würdest. Damals hast du unsere Frage mit Kanye West beantwortet. Spielen wir das Ganze drei Jahre später wieder: Du darfst dich heute zwischen Künstler einreihen, was Kreativität, Musikstil, Style und Einfluss angeht – für das Jahr 2020. Zu wem würdest du dich da gerne gesellen


    Ahzumjot: Kanye West. (alle lachen) Ja, wirklich. Daran hat sich nichts geändert, das ist mein Ziel. Nur jetzt nicht von der Wahnsinnigkeit her ...


    rappers.in: Willst du auch deine eigene Religion gründen?


    Ahzumjot: Nee. Also, man kann von ihm als Person ja halten was man will. Einige Sachen, die er in Interviews sagt, seh' ich genau so, andere sind ein bisschen übertrieben. Aber er ist definitiv ein polarisierender Charakter und das macht ihn so interessant. Das fehlt auch immer noch in Deutschland: ein Charakter, der auch außerhalb der Musik polarisiert.


    rappers.in: Zu guter Letzt: Wenn du dir eine Zeit im Deutschrap aussuchen könntest, in der du gerne aufgewachsen wärst: Welche wäre das und warum?


    Ahzumjot: Ich finde die Zeit, in der ich aufgewachsen bin, tatsächlich absolut richtig, so blöd das jetzt auch klingt. Ich find's eigentlich gar nicht mal so schlecht, dass die erste HipHop-Platte, die ich mir gekauft habe, die "Marshall Mathers LP" von Eminem war. Klar, davor kamen die ganzen Klassiker, die auch dazu geführt haben, dass Eminem so eine Platte machen konnte, aber genau dann reingehen, wenn alles schon ein bisschen gereift und nicht mehr ganz so roh ist und mehr Konzept hat, find' ich gar nicht mal so verkehrt. Aber "Illmatic" hätte ich gerne mitbekommen, als es rausgekommen ist. Weil es damals alles umgekrempelt hat und wir nur die Nachwirkungen miterlebt haben. Natürlich hab' ich mir die Platte angehört und bin ein riesen Fan, aber ich hätte die Zeit, in der sie rausgekommen ist, gerne miterlebt. Damals war das etwas Weltbewegendes und solche Momente haben wir generell nicht mehr in der Musik, weil alles so schnelllebig geworden ist. Diese Schnelllebigkeit kam ja schon ein bisschen in dieser "Marshall Mathers LP"-Zeit durch, aber auch damals hat man sich 'ne CD gekauft, über 25 Songs gefreut und nicht wie heute gesagt: "Das ist mir zu viel".



    (Florence Bader & Kristina Scheuner)

    Witzig, dass Ihr bei mir mehrfach die PM Veröffentlichung meldet. Klar ist es behindert, sowas zu veröffentlichen, aber noch behinderter ist es, anderen Leuten mit sowas auf den Sack zu gehen...


    Cheers.


    Bereits zum Jahresanfang 2014 veröffentlichte Miasma – ein in unseren Augen vielversprechender Newcomer – seine Free-Download-EP "Urbane Liebe". Nun, rund vier Monate später, erstrahlt Miasmas "urbane Liebe" noch einmal im neuen Gewand: Exklusiv auf rappers.in veröffentlicht der Künstler heute ein Re-Release des Miniwerks, das zusätzliche drei Bonus-Titel umfasst. Hier könnt Ihr Euch die EP in der "The Final Cut"-Edition herunterladen:


    Download starten.


    Um Euch vorab einen Einblick in das, was Euch auf "Urbane Liebe" erwartet, zu gewähren, könnt Ihr auf unserem YouTube-Channel in den Song "Herz" reinhören. Dabei handelt es sich um eine der drei besagten Bonusnummern, die nur auf dem rappers.in-exklusiven Re-Release aufzufinden sind. Hier der Stream:


    [youtube]uOc8kMRMKG8[/youtube]


    Tracklist:
    01. Skyline
    02. Urbane Liebe
    03. Outta space / Taxi driver
    04. HSWO MMXIV
    05. Rudeltiere
    06. Wie im Film
    07. Comfy Zone / Fast motion
    08. Katharsis
    09. Herz



    (Florence Bader)

    Zitat

    Original von AWESOMENESS
    ihr habt jetzt einen grund, also sperrt diesen kobold BITTE endlich mal.


    ot: was ist denn bei euch so der bewerbungsstandard bzw. was sind die mindestanforderungen?


    hatte in der grundschule immer eine 1 im diktat


    Dass wir von Euch eine Bewerbung erhalten, in der Ihr beschreibt, warum Ihr das gerne machen würdet und Euch dafür als geeignet seht, ohne dass einem 100 Rechtschreib-/Grammatikfehler ins Gesicht springen. :)


    Zitat

    Original von Sins.odium


    Ach du Scheiße...


    weil ...?


    Zitat

    Original von William Wood


    Ach man kann auch gesperrt werden, wenn man hier arbeitet? :D


    Ja.


    Zitat

    Original von koboldmaki
    das ist eine antwort mit der ich absolut leben und vorallem entscheiden kann ob es für mich das richtige ist(es ist eine ehrliche jedoch sachliche antwort).... nennt mein verhalten kleinkariert oder sonst was aber ich lege dies bei jedem potenziellen arbeitgeber zutage den ich ernst nehme ...das rappers.in team kann das natürlich nicht unbedingt nachvollziehen (ihr kennt ja meine arbeitgeber nicht) aber das ich meine zeit aufwende in diesem fall zu kritisieren und zu hinterfragen ist mehr als kompliment zu sehen als als angriff... ja ich bilde mir etwas auf mich als arbeitskraft ein (was man hier bestimmt als getrolle oder sinnlose arroganz auffast) aber jeder der alles gibt für seinen job wird das verstehen und akzeptieren.......


    Wieso, was hast Du denn für einen Job?

    Ach, ich seh das gar nicht so wild, wie es hier gerade wieder hochstilisiert wird. Es war nicht böse gemeint, was ich als Abschluss geschrieben hab - ich hab Anfang des Jahres selber so eine Liste erstellt, wie Reyny es getan hat, und saß eine gefühlte Ewigkeit dran, weshalb die Aufgabe mittlerweile wer anderes übernommen hat. Das zum Thema "Du scheinst wohl nichts zu tun zu haben". Da steckte jetzt keine böse Absicht dahinter.


    Es ist halt MEGA anstrengend, und das ist ein anderes Thema, spielt aber bei mir mit rein, wie viel nicht gerade wohlwollende Kritik wird einstecken müssen. Unter den Reviews, per Nachrichten und und und. Es ist nicht so, als würde das spurlos an einem vorbeigehen und jeder, der mich kennt, weiß, dass ich mir um jeden Satz nen Kopf mache. Ist von Natur aus einfach so. Ist vielleicht ne blöde Eigenschaft, aber so empfinde ich das und mache mir Gedanken. Ich weiß, dass wir dieses Jahr verhältnismäßig viele, positive Reviews geschrieben haben und beobachte das. Ich diktiere den Leuten aber nicht, welche Wertungen sie geben sollen.
    Darüber hinaus möchte ich anmerken, dass wir das einzige "größere" Deutschrap-Mag sind, dass das Ganze nur aus Spaß und Liebe zur Musik macht und dafür finde ich persönlich das Ganze schon ordentlich. Das sage ich nicht, weil hier irgendwer Lob anbringen soll, aber weil Vergleiche gezogen und wir so behandelt werden, als hätten wir sonst nichts zu tun und wären auf den Kopf gefallen ... auch dieses "da haben sie WOCHENLANG drüber nachgedacht, hihi" ist halt einfach unfair und frech. Ja, wir haben uns mit jedem Album lange auseinandergesetzt, Punkt. Macht es in Euren Augen vielleicht nicht besser, aber es stecken von mir einfach zig Wochenstunden in diesem Projekt rappers.in, die es mir nicht ermöglich, jede Kritik abzunicken und jede böswilligen Worte einfach spurlos an mir vorbeigehen zu lassen.


    Das wars von meiner Seite.


    Ach, und Ferkix: Du weisst.

    Zu 1. Wir reviewen auch in den UKs und Kurzreviews unbekannte Rapper, das hast Du leider außen vor gelassen.


    Zu 2. Nein, sind keine Tabus. Aber natürlich "verschenkt" man diese Höchstwertungen nicht einfach. Sei Dir sicher, dass wir uns gemeinsam bei jeder Review tatsächlich wochenlang Gedanken machen.


    Zu 3. Nein, sehen wir nicht so und reden gerade in der Redaktionssitzung darüber. Es bekommen weder Fanboys eine Review, noch Leute, die etwas von vorneherein zu Tode hassen.


    Zu 4. Was nichts mit der Wertung an sich zu tun hat, sondern mit dem Ton. Kritisiert wird, denke ich, genug.


    Schöne Grüße - scheinst wohl nichts zu tun zu haben :)


    L

    Zitat

    Original von Puncherfaust
    Lupa freut sich da immer sehr drüber.


    Mach halt Tracks, lad die hier hoch oder lade dein Album/deine EP hier in der Releaseecke hoch. Denn dann bekommst du die Aufmerksamkeit schon und wenn das ganze gut ist kommst du vielleicht auch in diese Rubriken rein.


    Schick das bloß nicht Lupa.


    Als wäre ich der Teufel :D

    Zitat

    Original von LeRoy
    wenn man eine Review macht, dann ist das ja eine persönliche Meinung
    ich würde deswegen Aussagen wie "das beste Lied des Albums" umändern, sodass zu sehen ist, dass es sich um eine persönliche Meinung handelt


    hast du recht, korrigiere ich ziemlich oft auch rein. :thumbup: