Beiträge von Philipp_



    01. Träume feat. Sefo
    02. Erinner dich
    03. Solange mein Herz schlägt
    feat. Sefo
    04. Dein Herz explodiert
    05. Höher als der Rest der Welt
    feat. Manuellsen
    06. Entweder – oder
    07. Wir sind keine Engel
    feat. Jelisa
    08. Du nennst dich Bruder?
    09. Hassan vs. Teufel
    10. Solange mein Herz schlägt Pt. 2
    feat. CJ Taylor
    11. Bei Nacht ist Disko
    12. Wir vermissen dich
    13. Al Massiva Beutejagd
    feat. Beirut & Granit
    14. The Diamond Boy 2012
    15. Setz deine Sonnenbrille auf Bro
    feat. Granit


    Wir leben in Krisenzeiten. Nach der "Dotcom-Blase" Ende der 90er schockte Anfang des neuen Jahrtausends der globale Terror die Welt. Nach einer kurzen Erholung folgte erst die Hypotheken-, dann die Banken- und zuletzt die Staatsschuldenkrise. Das soziale Gefüge der meisten Industrieländer gerät immer stärker unter Druck und die Arbeitslosenstatistiken zeigen, dass gerade junge Menschen zu den Verlierern dieser Krisen gehören. Es kommt zur richtigen Zeit, wenn Massiv anstelle von Geld und Statussymbolen ein Herz auf das Cover von "Solange mein Herz schlägt" packt und die alten Heroen der Menschlichkeit und Gerechtigkeit beschwört. Mandela, King, Gandhi – sie inspirierten Menschen in Krisenzeiten und handelten nach eigenen Idealen, frei von Käuflichkeit und Opportunismus. An diesen Werten setzt Massiv an, mit einem klaren Bekenntnis und einer deutlichen Botschaft: "Hier geht's nicht um Geld/ hier geht's um dich und dein Leben/ bau dir deine Welt" heißt es auf "Entweder – oder". Hier geht es um die große Botschaft in schwierigen Zeiten. Bereits der erste Track "Träume" gibt die konzeptionelle Richtung des Albums vor:


    "Nein, du kannst hier nichts verlangen, ohne dass du etwas gibst/
    Reichtum ist vergänglich, lieb das Geld nicht, weil es dich nicht schützt/
    Es bleibt die Angst, die dich nicht so träumen lässt wie mich/
    Wenn du nicht loslässt, wirst du niemals fliegen so wie ich/
    "
    (Massiv auf "Träume")


    Der Großteil der Songs auf "Solange mein Herz schlägt" ist auf inhaltliche Deepness zugeschnitten. Auf "Dein Herz explodiert" geht es um den Verfall von Werten und die Verlogenheit, welche menschliche Beziehungen charakterisiert: "Wer erkennt den Wert des Menschen heutzutage ohne Geld?", fragt Massiv. Das erinnert sehr an die ebenso richtige Feststellung von Samy Deluxe auf "Stumm": "Und sag mir, warum Geld hier das Einzige zu sein scheint, woran man heutzutage Erfolg misst". Wirklich politisch wird Massiv allerdings an fast keiner Stelle der Platte. Angelehnt an das Autobiografie-Projekt gleichen Namens geht es mehr um den persönlichen Werdegang. Die beiden "Solange mein Herz schlägt"-Teile handeln lose vom eigenen Lebensweg und künstlerischen Entwicklungspfad. Auf "Erinner dich" wird es härter, wenn Massiv den Respekt dafür einfordert, als Trendsetter viele Wege für nachfolgende Künstler aus dem arabischen Raum geebnet zu haben. Bei "Höher als der Rest der Welt", mit einer exzellenten Hook von Manuellsen, wird auf dieser Message aufgebaut: Massiv auf dem Weg nach oben, inspiriert von den ganz großen Freiheitskämpfern. Zuletzt wird es auf den beiden Storytellern "Hassan vs. Teufel" und "Wir vermissen dich" nochmal stiller. Beide Tracks sind emotional konzipiert, aber glücklicherweise nüchtern genug geworden, um nicht in Gefühlskitsch abzurutschen. Insbesondere "Wir vermissen dich" hat seine bemerkenswerten Momente:


    "24 Stunden trug er das Kind auf dem Arm/
    Bis zu dem Tag als der Sanitäter nachts kam/
    Und er erklären musste, dass es nichts zu retten gab/
    Wie versteinert lag sie ohne Blut zum Herzschlag/
    In einem Bett, das er nur für sie geschnitzt hat/
    "


    Die anderen Tracks des Albums bieten dann Altbekanntes. Besondere Erwähnung verdient die gelungene Sportlerhymne "The Diamond Boy 2012" für Manuel Charr, welche sehr stimmungsvoll und durchdacht geworden ist. Auf "Al Massiva Beutejagd" mit Beirut und Granit wird dann wieder representet, "Bei Nacht ist Disko" liefert eine neue Episode aus dem Ghettolife und zum Abschluss gibt es mit "Setz deine Sonnenbrille auf Bro" noch einen kurzen Sommertrack. Das alles ist so solide wie vorhersehbar geraten, aber auch nicht qualitativ minderwertig. Gleiches gilt für die Gesangsfeatures, die mit Ausnahme des bereits erwähnten Manuellsen eher unspektakulär ausfallen. Mit Jelisa gibt es zumindest eine weibliche Ergänzung auf "Wir sind keine Engel", die Massivs dunkle Stimme vielseitig ergänzt. Aus Produzentensicht gibt es weder Revolution noch Risiko: Abaz, Jumpa und Liuha Mo zeichnen für den Großteil der Songs verantwortlich und unterlegen Massivs Texte mit eingängigen, fett produzierten Streicherbeats. Auf "Al Massiva Beutejagd" wird es elektronischer, der Abschlusstrack wird thematisch konsequent auf arabisch anmutenden Gitarrenklängen arrangiert. Bis auf fehlende Abwechslung gibt es an den Beats nichts zu bemängeln.


    Das Gesamtpaket stimmt bei "Solange mein Herz schlägt" zweifellos. Das grundsätzliche Problem des Albums ist, dass Massiv bei allen Verbesserungen weder ein packender Storyteller noch ein komplexer Lyriker ist. Mit Bildern der großen Freiheitskämpfer im Booklet sind die Texte besonders auffällig in ihrer Simplizität. Politische und gesellschaftliche Realitäten verarbeiten, die Lebensgeschichten der Vorbilder inhaltlich durchdenken und durch komplexe Texte zum Nachdenken anregen – all das sind Potenziale des Konzepts, die Massiv nicht nutzen kann. So bleibt der Großteil des Albums eher ein Mixtape mit "Kopf hoch"-Botschaft als eine konzeptionelle thematische Auseinandersetzung auf Basis eigenständiger Tracks. Das ist aber eher Makel als wirkliche Schwäche. R.E.M. schrieben damals "Everybody Hurts" mit besonders eingängigen Lyrics, um die Zielgruppe suizidgefährdeter Teenager anzusprechen. Michael Stipe sang klarer als gewohnt, trotzdem war der Song keineswegs weniger künstlerisch wertvoll als die vielen, komplexen Werke der Band. Gerade in diesem Punkt ist Massivs Botschaft sehr ähnlich und es ist nur fair, die Einfachheit und Klarheit als geeigneten Weg zu werten, um eine motivierende und positive Botschaft zu kommunizieren. Gerade in Krisenzeiten ist das so wichtig.



    (Philipp)







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    01. Schweinegrippe
    02. Intro
    03. Alles stimmt
    04. Lemminge
    05. Junkytown
    06. Hier steh ich nun
    07. Dr. M
    08. Selbstzerstörungsmodus
    09. Topfpflanze
    10. Sperrt mich ein 2
    11. Legendär
    feat. Taktloss
    12. Brauch ich das
    13. Wie Brüder
    14. Auch schöne Frauen
    15. Melanie
    16. Dis is der Lifestyle
    17. Nicht von dieser Welt
    18. Topfpflanze (Remix)


    Es ist in der Musikbranche keineswegs so, dass lange Entstehungsprozesse automatisch zu epochalen Alben führen. Dazu müssen nicht einmal Dr. Dres Opus Magnum "Detox" beziehungsweise dessen bisherige Singles herangezogen werden. Niemand würde bestreiten, dass "Appetite for Destruction" das bessere Guns N' Roses-Album war als das über 14 Jahre entstandene "Chinese Democracy". Die Beatles releasten ihre Meilensteine generell im jährlichen Turnus. Wenn Mach Ones neues Album "Meisterstück Vol. 2: Rock'n'Roll" außer dem Subtitel nichts mit genannten Interpreten gemeinsam hat, so teilt es eine Gesetzmäßigkeit der Musikbranche mit ihnen: Lange Entstehungszeiten fördern nicht automatisch die Qualität, aber erhöhen beinahe immer die Erwartungshaltung. Mit insgesamt sieben Jahren seit dem ersten "Meisterstück" war die Zeit dazu reichlich bemessen und die eigene Bewertung des zweiten Teils hängt in besonderer Weise von der vorher aufgebauten Erwartungshaltung ab.


    Der Grundverdienst dieses Albums ist, dass es sich nicht wie die musikalische Sammlung jahrelanger Aufnahmesessions anhört. Das komplette Werk klingt so kohärent und leichtfüßig, als wäre es in einer einzigen Nachtsession aufgenommen worden. Kein Stückwerk, sondern konsequent durchgehaltene künstlerische Linie. Die Grundstimmung kann mit der berühmten 2Pac-Line "I ain't a killer but don't push me" aus "Hail Mary" beschrieben werden: Es geht nicht um die Inszenierung von psychischem Wahnsinn. Stattdessen wird ein Charakter aufgebaut, der nach außen hin rational und beherrscht wirkt, aber jederzeit zerstörerisch werden kann, wenn die entscheidenden Impulse auftauchen und die Balance zwischen Fassade und Wahnsinn aufheben. Mach One inszeniert damit ein Album zwischen seriöser Deepness ("Hier steh ich nun"), kontrolliertem (Drogen-)Wahnsinn ("Junkytown") und uneingeschränktem "Selbstzerstörungsmodus". Der Anspruch wird klar kommuniziert: "Ich mach' Tracks für die Psychos" ("Intro"). Das Interessante dabei ist aber, dass diese Spannung zwischen realen Tracks und Amokattitüde nie unreflektiert ist. Im starken Track "Brauch ich das" wird dies erstmals ausführlicher angesprochen.


    "Über die favorisierten Themen soll ich nicht mehr reden/
    Aber Geld, Frauen und Drogen bestimmen mein Leben/
    Jeden Tag zieht die Sonne über unser'n Planeten/
    Und lässt mich abends mit geficktem Kopf zurück/
    "
    (Mach One auf "Brauch ich das")


    Am Ende umfasst die thematische Spannweite wesentlich mehr als Geld, Frauen und Drogen. Die zynischen Storyteller des Albums, "Dr. M" und "Melanie", liefern mehr als nur unterhaltsame Geschichten. Das Virtuose: Der zweitgenannte Track spielt einige Jahre nach dem Therapiegespräch aus "Dr. M" und schildert auf einem Westcoast-Beat den blutigen Weg eines gemobbten Mädchens bis zur endgültigen Abrechnung mit allen Peinigern. Die anderen Tracks mit unterschwelliger Wahnsinnsthematik wie "Lemminge", "Selbstzerstörungsmodus" und (mit Einschränkungen) "Topfpflanze" funktionieren ebenfalls durch diese Verquickung von Humor, Zynismus und inszenierter Unzurechnungsfähigkeit. Ergänzt wird das alles durch die entertainmentlastigen Tracks "Wie Brüder" und "Dis is der Lifestyle". In letzterem geht es um den Kreuzberger (Party-)Lifestyle. Zusammen mit dem Remix von "Topfpflanze" ist es der partytauglichste Track auf dem Album. Als einziges Feature liefert Taktloss in "Legendär" auf einem sehr abwechslungsreichen Beat von Kev Beats eine gelungene Vorstellung ab. Die restlichen Lieder widmen sich realen Themen. Auf dem eindrücklichen "Hier steh ich nun" verarbeitet Mach One einen auf ihn durchgeführten Messerangriff:


    "Sie sagen, ich hätte schlecht über sie geredet/
    (Nein!) Nicht, bevor sie mich gestochen haben, im Gegenteil/
    Wie auch immer, jetzt ist mein Leben gefickt/
    Denn seitdem vermut' ich Gegner hinter jedem Gesicht/
    Und hier in der Gegend leben ist nicht leichter geworden/
    Doch ich geh' nicht weg, scheiße, ich wär' beinah gestorben/
    "
    (Mach One auf "Hier steh ich nun")


    Mit "Meisterstück Vol. 2" wird Mach One wenig neue Fans gewinnen, aber auch keine alteingesessenen Anhänger enttäuschen. Das ganze Album ist vielseitig geworden und bietet von Storytellern bis hin zu Underground- und elektronischen Partytracks eine breite Palette an Stilen und Variationen. Inhaltlich gibt es keinen roten Faden, aber die einheitliche Atmosphäre und Stilistik hält das gesamte Album zusammen. Wenn es doch auf ein zentrales Thema heruntergebrochen werden soll, dann ist es Mach One persönlich mitsamt seiner Selbstinszenierung zwischen Drogen, Wahnsinn, Selbstbehauptung und Kreuzberger Lifestyle. Wer Mach One feiert und sich auf diesen Stil einlassen kann, wird nicht enttäuscht. Wer Conscious-Rap oder klassischen Battlerap braucht, um ein Album nicht nach fünf Minuten durchzuskippen, wird dieses Album sehr schnell weglegen. Alles steht und fällt mit dem Charakter Mach One. Insgesamt gilt daher, dass "Meisterstück Vol. 2" weder Revolution noch Kopie des Vorgängers ist. Zu keiner Zeit besitzt das Album diesen Anspruch und dafür ist es auch im Grunde weder innovativ noch feinfühlig genug. Die Beats von Mach One und Kev Beats schaffen eine simple, aber effektive musikalische Grundlage für ein insgesamt unterhaltsames Gemisch aus Zynismus, Realitätsschau und wahnwitziger Selbstdarstellung. Musikalisch und inhaltlich ist alles fein abgestimmt: epische Arrangements für deepere Tracks ("Nicht von dieser Welt"), straighte Underground-Beats ohne Spielereien ("Dr. M", "Lemminge") und an einigen partytauglichen Stellen Elektrosound ("Topfpflanze (Remix)"). Alle Beats sind eingängig, klischee- und – in der Überzahl auch – überraschungsfrei. Das gilt ebenfalls für einen Teil der Hooks, die mehr einfallslos als ohrwurmtauglich ausgefallen sind ("Junkytown", "Dis is der Lifestyle"). Auch die deepen Tracks sind nur eingeschränkt emotional und erschweren den ohnehin nicht einfachen Zugang zu "Meisterstück Vol. 2". Aber das sind weniger klare Defizite als unterschwellige, wenn auch relevante Einschränkungen eines im Ganzen gelungenen Konzepts und würdigen Nachfolgers des ersten Teils. Es muss nach sieben Jahren ja auch gar nicht alles gleich epochal sein.



    (Philipp_)




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    Wenn das Ganze dazu führt, dass Kollegah nochmals was auf dem Level von "Ein schöner Tag zum Sterben" und "Fanpost" rausbringt, dann hätte diese ganze Kindergartensache doch was Gutes. Ich fand Kollegah-Disstracks bisher immer großes Entertainment.

    Zitat

    Original von Iliasbender
    Schockt vom sampler her. sänger von der hook beim massivtrack singt echt hammer aber die hook habbich schon nich mehr im kopf...schade.


    Urbanize kenn ich. hab ich schon gehört als die meisten rapper den Gangsta-Baretta-Drogen-Massaka Film gefahrn ham, ihr meint das teil ne?


    [YOUTUBE]TAdG_u4sg0Y[/YOUTUBE]



    01. Uppercut
    02. Irgendwo dazwischen
    03. Daywalker
    04. Ok, Ok
    05. 24000 Karat
    feat. Amar
    06. Keine Zeit
    07. Sie maskieren sich
    08. Nexus
    09. Bring it on
    feat. Kool Savas
    10. Drei
    11. Der Morgen danach


    Es gibt Alben, deren Qualität wesentlich von der individuellen Auffassung des Musikgenres abhängig ist. Das neue Streetalbum des ehemaligen Optik-Mitglieds Ercandize ist ein klassischer Fall exakt dieser Sorte. Es basiert größtenteils auf einer minimalistischen Definition von Rap: ein MC, ein Beat, drei Sechzehner und inhaltlich ausschließlich punchlinebasierter Representerrap. Was Ercandize schon während der Optik-Ära als Erkennungsmerkmal gepflegt hat, wird konsequent fortgeführt. Keine Conscious-Attitüde, kein Mitteilungsdrang, kein Image:


    "Ich bin ein Rapper, nicht mehr und nicht weniger, ich mach' Songs für die Kids/
    Ich bin kein Lehrer und Prediger und kein Don und im Gesicht/
    Mit 'nem Turban im Dunkeln so wie der Sensemann/
    Ich hol' tief Luft und spuck' den Verse und Gangster rennen im Entengang/
    "
    ("Sie maskieren sich")


    In diesem Stil verbleibt mit wenigen Ausnahmen der Rest des Albums. Manchmal wird es vom Stil futuristischer ("Nexus"), oft wird mit den implizierten Boxmetaphern gespielt ("Uppercut"). Ein Feature mit Ex-Optik-Rapper Amar ("24000 Karat") sowie eines mit dem selbsternannten King of Rap, Kool Savas ("Bring it on"), sollen für Abwechslung sorgen. Gerade letzterem Song merkt man bezeichnenderweise nicht an, dass er zwei Jahre alt ist. Das ist kurz gefasst das Grunddilemma des ganzen Werks: Es ist im negativen Sinne zeitlos. Weder ein erkennbarer technischer und inhaltlicher Fortschritt zur Optikzeit, noch eine klare Perspektive für zukünftige Weiterentwicklung manifestieren sich. Von einer sehr eng gefassten Rap-Definition erfüllt "Uppercut" alle Anforderungen an ein ordentliches Streetalbum. Sobald der Fokus auf Entertainment, Originalität und Vielfalt verschoben wird, wirkt das ganze Werk sehr schnell monoton. Die Begrenzung auf einen sehr engen Spielraum einer vielfältig gewordenen Musiksparte funktioniert nur, wenn Attitüde oder Technik so stark sind, dass sie ein Album alleine tragen. Beides trifft auf Ercandize nicht zu und in der Post-Aggro-Ära wirkt das Ganze ohnehin zu brav, um besonders aufregend zu sein. Zumindest einmal gibt es etwas Variation, auf dem deepen Track "Drei". Dort sind auch die kritischsten und reflektiertesten Lyrics von "Uppercut" enthalten:


    "Ich meine, schau dich doch bitte um/
    Seh' Blaulicht und Witterung, traurige Blicke und/
    Verfaulte Gesellschaft, schau was das Geld macht/
    Nein, schau, was der Mensch macht/
    Tote Zeiten, Arbeit ein Leben lang/
    Die Pforten sind geschlossen und die Wahrheit ist nebenan/
    Irgendwann stehst du da mit 60, gebrechlich/
    Kein Geld auf der Bank, krank, das Drecksleben rächt sich/
    "
    ("Drei")


    Die stimmungsvolle Produktion dazu haben die Beathoavenz geliefert. Generell hat Ercandize auf "Uppercut" eine Riege fähiger Producer beauftragt, die durchweg hochwertige Qualität abliefern. Ob Gee Futuristics "Sie maskieren sich"-, Monroes "Daywalker"- Beat, die kraftvolle Instrumentierung von Dirty Dasmo & Jamil auf “Uppercut" und "Irgendwo dazwischen" oder die stimmungsvollen Beats von Drumkidz auf "Ok, Ok" und "Der Morgen danach": Die Produktionen sind gelungen und als Instrumental spielt "Uppercut" in der ersten Liga. Gerade der letzte Song besticht nochmal durch eine ganz gut gelungene Symbiose aus Aufbruchstimmung, Trotzattitüde und musikalischer Feinproduktion:


    "An mich muss keiner glauben, nein, ich glaube an mich selbst/
    Nur Gott weiß, wer ich bin, mir muss egal sein, was du von mir hältst/
    Mir muss egal sein, was die Leute denken/
    Und all die Zweifel von gestern muss ich heute beenden/
    "
    ("Der Morgen danach")


    Als Bonus gibt es ein 50-minütiges Mixtape mit einer Mischung von neuen und alten Songs, die nicht viel besser oder schlechter klingen als das musikalische Hauptprodukt selbst. Nichts davon ist misslungen, aber ebenso selten sind packende Momente und überzeugende inhaltliche Passagen. Es ist straighter Representerrap, dem die notwendige Originalität und Klasse fehlt, um wirklich durchgehend zu unterhalten. Am Ende von "Uppercut" bleibt ein flaues Gefühl in der Magengegend, das aber weniger aus durchschlagenden Punchlines und mehr aus konzeptioneller Ermüdung hervorgeht. Dabei ist Ercandize ein Rapper, der das notwendige Potenzial besitzt. Die ABS-Ära und durchaus auch das "Sie nannten ihn Mücke"-Tape haben das unter Beweis gestellt. Rap-Minimalisten wird das Album durch seine klare Konzeption zusagen. Für alle anderen wird es auf Dauer zu monoton sein. Ein neues, richtiges Album muss einen deutlichen qualitativen Schub beinhalten, um mehr zu sein als eine routinierte Punchlinesammlung auf erstklassigen Beats.



    (Philipp)



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    Das hat schon Potential. Savas hat sich mit "Aura" schon stilistisch auf eine Ebene begeben, die mit Naidoo musikalisch harmoniert. Ich denke mal, dass er sehr tiefgründige Parts abliefern wird und das ganze Album sehr persönlich wird. Das kann er ja durchaus auf einem hohen Level, man erinnere an die Parts auf "Was hab ich Dir angetan" und "Problem". Bei Naidoo hoffe ich auf so Texte aus den frühen Jahren ohne die spätere moraltriefende Attitüde, dier er manchmal hat. Derzeit schwer zu prognostizieren, ob das ganze Konzepf aufgeht, aber künstlerisch interessant ist es auf jeden Fall.

    Zitat

    Original von Zair


    Dann entschuldige ich mich.. Ich war der meinung ich habe es mehrmals anders gelesen.. Und auch im Gespräch mit dem Herrn wohl falsch verstanden..


    Dazu gibt es keinen Grund. Wir meinen im Grunde das Gleiche, nur mit anderen Nuancen. Es ist nachvollziehbar, dass er nicht alle seine Favoriten nehmen konnte, weil ja nicht garantiert ist, dass so eine Transformation klappt, nur weil er den Song mag. Auf der anderen Seite werden das aber alles Songs sein, zu denen man als Künstler einen Zugang hat und die einen ansprechen. Aus dieser Grundgesamtheit funktionieren dann ein paar Songs --> Album. Alles hängt zusammen.

    Zitat

    Original von Zair
    "Es sind ausdrücklich nicht die Lieblingstracks von Aphroe, sondern eine Auswahl von Songs, die funktionierten." diese stelle würde ich dir so nicht unterschreiben - da es einfach songs waren die Aphroe selbst geprägt haben... Ansonsten find ich die Review ganz nett ist gut geschrieben - aber ich gebe der Platte (ja ich habs als Vinyl :D :D) 10punkte - weils für mich einfach ein meisterwerk ist :D


    Die Stelle ist ein indirektes Zitat von Äußerungen Aphroes bei BackspinTV und anderen Videointerviews.



    01. Experten (Original: Excursions – A Tribe Called Quest)
    02. Zeit ist knapp feat. DJ Mirko Machine (Original: Time's up – O.C.)
    03. Denkzettel (Original: Next level DJ Premier-Remix – Showbiz & AG)
    04. Wer hält das Wort? feat. DJ Stylewarz (Original: The world is yours – Nas)
    05. Kompletter MC (Original: Don't sweat the technique – Eric B & Rakim)
    06. Rap Pestilenz (Original: Dead presidents – Jay-Z)
    07. T.R.E.U. (Original: T.R.O.Y. – Pete Rock & CL Smooth)
    08. Der Beste wird gehen feat. DJ Mirko Machine (Original: The ? remains – Gang Starr)
    09. Suchtkrank (Original: Shook Ones Part 2 – Mobb Deep)
    10. Steh auf und handel (Original: Straight out the jungle – Jungle Brothers)


    Mit großer Wahrscheinlichkeit wird das unter Journalisten meistzitierte Rapalbum in diesem Jahr Aphroes "90" werden. Der Grund dafür ist schlicht: Es gab noch nichts Vergleichbares in der deutschen Rapmusik. Das Grundkonzept ist die Transformation von etablierten US-Rapsongs mit musikhistorischer Relevanz aus den 90ern in die deutsche Sprache. Nicht mithilfe von simplen Übersetzungen, sondern durch einen kreativ-schöpferischen Ansatz, der unter weitgehender Beibehaltung von Intonation und Phonetik eine sprachliche Neufassung versucht. Das liest sich alles sehr akademisch, aber ist nicht unbedingt neu – jedenfalls in der Rockmusik. Das bekannteste Beispiel in den 80ern war die Neufassung des The Kinks-Klassikers "Lola" von 1970. Heinz Rudolf Kunze war es damals, der die Transvestiten-Geschichte des Originals humorvoll nach Dortmund Nord verlagerte und einen passablen Single-Hit landete. Was bei einer Schenkelklopfer-Hymne aus der späten Beatles-Ära durchaus machbar scheint, ist gerade bei einem so sprachzentrierten Genre wie Rap ein komplexes Unterfangen. Nicht nur deshalb ist "90" ein innovatives und riskantes Projekt. Es beginnt mit A Tribe Called Quest und dem folgenden Einstieg:


    "Schwer zu verstehen, wenn man das nie erlebt hat/
    Bevor es Kassetten-Rekorder mit CDs gab/
    Suchten ein paar Experten Sinn und schrieben HipHop/
    Die Komplexität einfacher Dinge wie Steve Jobs/
    "
    (Aphroe auf "Experten")


    Im Original lauten Q-Tips Verse wie folgt:


    "Back in the days when I was a teenager/
    Before I had status and before I had a pager/
    You could find the abstract listening to hip hop/
    My pops used to say it reminded him of be-bop/
    "
    (A Tribe Called Quest auf "Excursions")


    Im Grunde ist, wie dieses Beispiel zeigt, nach 20 Sekunden bereits klar, nach welchem Prinzip "90" funktioniert. Die Basisschematik samt Betonungen wird zu 95% beibehalten. Inhaltlich und im sprachlichen Ausdruck geht Aphroe dagegen eigene Wege und nutzt die technische Restriktion durch die Vorlage als Gerüst für eigene Lyrics. Musikalisch ist es ebenfalls ein 95%-Prinzip – nämlich das Nachbauen des Originalbeats unter vorsichtiger Aufpolierung der Klangstruktur. Dafür verantwortlich zeichnen PH7, Mirko Machine, DJ Stylewarz sowie Mr. Wiz. Es gibt keine Remixe, keine Band, keine grundlegenden Änderungen. Ob ein solches Projekt scheitert oder nicht: "Es liegt am MC" ("Kompletter MC"). Es scheitert nicht, wie schon die beiden Singles "Die Zeit ist knapp" und "Wer hält das Wort?" vermittelten. Das liegt in erster Linie daran, dass Aphroe technisch dem sehr komplexen Konzept gewachsen ist. Er rappt sich sprachlich souverän und unverkrampft durch alle großen Vorlagen, sei es das Guru-Tribute "The ? remains", den Nas-Klassiker "The world is yours" oder das für die 90er Jahre sehr avantgardistische "Straight out the jungle". Inhaltlich kann das durch die formale Eingeschränktheit des Konzepts nicht wie ein reguläres Deutschrap-Album funktionieren. Die Faszination liegt im Zusammenspiel aus Skills und Sprachgefühl.


    "Einfach nur Bock auf den Filmriss, bedien dich hinterrücks/
    Am Hörnerschnaps, auf kurzem Dienstweg fördert das/
    Den Absturz, den Kickgang vorwärts/
    Nie mehr von allein fernbedient, sich erhofft, dass es hilft
    "
    (Aphroe auf "Suchtkrank")


    Im Original von Mobb Deep klingt es folgendermaßen:


    "I got you stuck off the realness, we be the infamous/
    You heard of us. Official Queensbridge murderers/
    The Mobb comes equipped with warfare/
    Beware of my crime family who got nuff shots to share/
    "
    (Prodigy auf "Shook Ones Part 2")


    Aber nicht alle Songs bedienen die technische Schiene in diesem Ausmaß. Neben dem düster-emotionalen "Rap Pestilenz" ist der Schlusstrack "Steh auf und handel" mit seiner latent-politischen Botschaft der tendenziell ausgeprägteste Thementrack auf "90", aber deswegen nicht weniger sprachverliebt.


    "Geh ma' mit dem Handel, handel mit der GEMA/
    Menschen, die du kennst: Handelsvertreter/
    Intelligenz ist kein guter Handelspartner/
    Das Beste wird sein, wir füll'n die Waffenkammer/
    "
    (Aphroe auf "Steh auf und handel")


    Eine umfassende Bewertung von "90" ist insofern schwierig, als dass es ein komplexes, detailverliebtes Album mit singulärem Konzept ist – zumindest im deutschsprachigen Raum. Die offensichtliche Inspiration "Elmatic" von Elzhi dürfte nur wenigen Insidern außerhalb Amerikas ein Begriff sein. Schlussendlich ist "90" ein Album für Experten, Linguisten und Rap-Nostalgiker. Es ist im guten Sinne auch ein Album für Kritiker. Aber nichts für den breiten Mainstream. Dabei hätte das in Maßen durchaus aufgehen können. Wo "90" insgesamt ein Konzept besitzt, das funktioniert, ist die Songauswahl einer Mischung aus Impuls und Spontaneität geschuldet. Es sind ausdrücklich nicht die Lieblingstracks von Aphroe, sondern eine Auswahl von Songs, die funktionierten.


    Im Gesamtpaket geht diese Rechnung auf. Das Feeling bewegt sich immer zwischen Oldschool und modernem Remake, ohne deswegen übertrieben nostalgisch noch plagiatorisch zu sein. Eine schwierige Gratwanderung und ein hoher künstlerischer Verdienst von Seiten Aphroes und der Produzenten. Trotzdem gibt es auf Albumlänge eine Tendenz zur Monotonie, eben durch die sehr strukturelle Prägung. Ist der Mix aus Consciousness und Gangsterattitüde ausgewogen, so wäre es auch ein Mix aus Oldschool und populäreren Styles gewesen. KRS One, Xzibit oder Cypress Hill sind nur einige Namen, deren Bearbeitung spannend gewesen wäre. Das wäre eine musikalischere Auflockerung gewesen und es hätte gleichzeitig eine weitere Facette der Vielfalt in den 90ern abgebildet. Das Album fängt nur einen sehr kleinen Teil des weitreichenden Repertoires des Jahrzehnts ein, das es programmatisch im Titel repräsentieren möchte. Musikalisch, inhaltlich und stilistisch beschränkt sich Aphroe zu sehr dort, wo er aus dem Vollen schöpfen könnte. Und so bleibt "90" mit seinem sehr prononzierten Oldschool-Einschlag reduzierter, als es müsste. Viele Möglichkeiten für einen zweiten Teil also! Denn: Dieses Projekt kann nach zehn Songs nicht als abgeschlossen gelten.



    (Philipp)

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