Erst vor wenigen Wochen wagten Benny und Kraatz, besser bekannt unter dem gemeinsamen Namen Herr von Grau, den "Freiflug": Sie veröffentlichten eine gleichnamige neue Platte, die wie gewohnt in kompletter Eigenregie entstand. Bei den Fans fand das Album abermals Anklang – der im Oktober startenden Deutschland-Tour wird in den Reihen der Herr von Grau-Anhängern schon eifrig entgegengefiebert. Wir trafen das Berliner Rapduo in der Hauptstadt und plauderten ein wenig über ihren "Freiflug", Themen wie Selbstfindung oder Beziehungskrisen in ihrer platonischen Partnerschaft und ließen Benny und Kraatz ihr eigenes Wunsch-Dinner durchplanen.
rappers.in: Ihr habt vor Kurzem euer neues Album "Freiflug" veröffentlicht. Könnt ihr uns zu Beginn des Interviews etwas über euer Release sagen, das man nicht ergoogeln kann und das ihr einfach loswerden wollt?
Kraatz: Wäre ganz toll, wenn es Leute gibt, die das ...
Benny: (unterbricht) ... kaufen ...
Kraatz: ... wertschätzen, was wir gemacht haben. Und es wäre toll, wenn das einige Leute sehen ...
Benny: ... weil wir das alles nämlich ohne Unterstützung und komplett alleine machen. Ich hatte tatsächlich das erste Mal das Gefühl, mit einer Platte fertig zu sein.
rappers.in: Lasst uns mal inhaltlich ein paar eurer Tracks durchgehen. Ihr pöbelt auf "Freiflug" ja gerne ein wenig in Richtung eurer Heimatstadt Berlin. "Er läuft" klingt beispielsweise nach einem Diss gegen Berlin-Mitte, aber nicht gegen den Rest Berlins. Ist das so?
Benny: Ich dachte erst, du meinst "Menschenhass". Weil das geht wirklich gegen Berlin-Mitte. "Er läuft" geht eher gegen Kreuzberg, wo das alles ja aber auch mittlerweile losgeht.
rappers.in: Was taugt euch denn im Gegenzug an dieser Stadt?
Benny: Fast alles. Sonst würde ich hier nicht wohnen.
rappers.in: ... bis auf die Autofahrer?
Benny: Bis auf die Autofahrer! Genau! Ich bin Fahrradfahrer und werde ganz oft fast totgefahren. Das ist so das Negative. Ansonsten fühle ich mich hier pudelwohl. Ich hab' hier alle Möglichkeiten, mir dann die Kultur zu geben, auf die ich gerade Bock habe. Da fällt mir nicht viel Negatives ein.
Kraatz: Ich finde es super, dass man sich immer alles besorgen kann, was man braucht. Egal, um welche Uhrzeit. Da, wo ich eigentlich herkomme, gab es keine Spätis und die Tanke hat um elf Uhr nachts zugemacht. Wenn ich jetzt mal eine Cola brauche oder was zu essen, gehe ich einfach raus. Ein Späti neben dem anderen. Die Restaurants haben fast durchgehend geöffnet. Das ist schon ein Vorteil, weil man nie Pause machen muss. Man kann auch nachts arbeiten.
rappers.in: Kann man denn noch Pause machen?
Kraatz: Es ist eine sehr lebendige Stadt. Man wird gezwungen, aktiv zu bleiben. Einfach so abzuhängen ist bestimmt schwer.
Benny: Wobei ich genau das gemacht habe die ersten sechs Jahre. Da habe ich durchgefeiert und weiß davon gar nicht mehr viel.
Kraatz: Aber feiern ...
Benny: ... ist ja auch 'ne Beschäftigung. Stimmt.
Kraatz: Also, wenn hier nachts der Krach losgeht mit den Touris und so, kann ich hier nicht chillen. Immer am Machen, zwangsweise Musik.
rappers.in: Also, ins Bett legen, 20 Minuten rumliegen, runterkommen und einschlafen ist nicht drin?
Kraatz: Nein, das geht auch.
Benny: Bei mir nicht. Ich fall' um. Ich bin kein guter Chiller. Das ist ein bisschen mein Problem. Ich steh' immer unter Strom. Vorher 'ne halbe Stunde runterkommen ... Da komme ich gar nicht drauf klar.
rappers.in: Jetzt mal weiter bei den Tracks von "Freiflug": Ihr benutzt in euren Texten unter anderem Musik als Anker und erzählt von Selbstfindung. Findet man sich selbst irgendwann auch mal und hört dieser Prozess dann auf?
Benny: Nö, das ganze Leben ist ein Prozess. Ich glaube, sobald man ein "fertiger" Mensch ist, fängt es an, langweilig zu werden. Sich ständig neu zu finden ist eine tolle Sache.
rappers.in: Kann man nicht gleich bleiben und sich trotzdem entwickeln?
Benny: Weiß ich nicht. Bei mir hat das nicht funktioniert. Natürlich habe ich viele Eigenschaften von früher beibehalten. Dieses ständige unter Strom stehen zum Beispiel. Aber ansonsten bin ich schon ständig im Wandel.
rappers.in: Gibt es denn ein Ideal von dir selbst, das du siehst?
Kraatz: Ich sehe das von ihm.
Benny: Alles ein bisschen geregelter angehen, auch mal chillen und viel weniger Sachen konsumieren.
rappers.in: (an Kraatz gerichtet) Entspricht das auch dem Ideal, dass du von ihm hast?
Kraatz: Tja, seinen Partner möchte man ja immer ein bisschen anders haben. Niemand ist in einer Beziehung, bei der man zu 100 Prozent zufrieden ist. Und da wir so etwas wie eine Beziehung führen, seit über sechs Jahren ...
Benny: (wirft ein) ... platonisch ...
Kraatz: Natürlich platonisch. Klar hat man da immer so ein paar Sachen, bei denen man sagt: Wäre cool, wenn die Eigenschaft nicht da wäre.
Benny: Er hätte mich sicher gern ein bisschen weniger chaotisch.
Kraatz: Nee, das gar nicht. Das Chaotische macht dich ja aus. Und das ergänzt uns ja so gut, wenn ich das Chaos in eine reine Form bringe. Es sind halt manchmal so Kleinigkeiten. Wie auf der Bühne nach dem zehnten Song mal lieber nach dem Wasser als dem Jägermeister greifen solltest, weil das Konzert ja noch nicht mal halb gespielt ist.
Benny: Tatsächlich ist das mein Vorhaben. Ich will wirklich mal ein Konzert nüchtern spielen.
Kraatz: Beziehungsweise mit der richtigen Dosis?
Benny: Na ja, ich neige halt zum Exzess.
rappers.in: Und umgekehrt?
Benny: Er könnte öfter mal weniger jähzornig sein und ein bisschen netter. Er neigt dazu, unter Druck sehr ernst zu sein.
Kraatz: Professionelle Ernsthaftigkeit ...
Benny: ... die dann manchmal in so komischem Rumgehitler mündet.
rappers.in: Aber fühlst du dich selbst deinem Ideal nahe?
Kraatz: Nee. Ich versuche mich auch gerade zu ändern. Ich möchte erwachsen werden.
rappers.in: Wie sieht "erwachsen" denn aus?
Kraatz: Ich mache viel Sport – versuche ich zumindest ... Da fängt es doch schon wieder an! Nur ein wenig gesünder leben, an die Zukunft denken. Das sind so Sachen, die man bis 30 ein bisschen zur Seite schiebt, weil man sein Leben so wegknallt, wie es kommt, weil "man ja nur einmal jung ist". Solche Sprüche kann ich nicht mehr hören. Und ich kann auch keine Besäufnisse mit Scheiße laberndem Pack haben. Ich versuche, einige Dinge auf die richtige Bahn zu bekommen.
rappers.in: Habt ihr generell einen Masterplan? Auf ein oder zwei Jahre?
Kraatz: Träume habe ich. Aber Masterplan?
Benny: Weiter Mucke machen. Ich will mir auf jeden Fall mein Kind in mir erhalten. Das ist mir extrem wichtig. Ansonsten? Ich will auch noch andere Musik produzieren. Mit neuem Kram auf Tour gehen. Ich plane nie so lang.
Kraatz: Mach doch was du willst, Alter.
rappers.in: Ihr habt schon was von Statler und Waldorf ...
Benny: Das wurde uns schon öfter gesagt. Ein altes Ehepärchen. Wir hängen jetzt seit sechs Jahren zusammen rum, da entwickelt sich das so.
rappers.in: Mal zurück zum Album. Auf dem Track "Gedichte und Genozide" heißt es: "Es steckt in allem Guten etwas Negatives". Funktioniert der Umkehrschluss auch?
Benny: Der Umkehrschluss hätte der Düsternis des Beats widersprochen. Ich bin eher pessimistisch, also ein ziemlicher Miesepeter. Ich schreibe Songs eher, wenn es mir kacke geht, als wenn es mir total toll geht. Der Song ist eine ziemlich düstere Nummer. Tatsächlich habe ich in dem Moment auch alles negativ gesehen.
rappers.in: Also, du machst das Mögliche aus dem Moment und bist Pessimist?
Benny: Ich arbeite daran, keiner mehr zu sein. Herr von Grau: pessimistisch, jähzornig ...
Kraatz: ... hasst die Jugend. Eigentlich wollte ich vorhin noch was dazu sagen, aber da warst du schon wieder abgedriftet.
Benny: Dann sag jetzt.
Kraatz: Stichwort: Das innere Kind bewahren. Ich rede nicht davon, alles zu ändern, sondern in Maßen das Leben zu verschleudern und mehr zu genießen. Jetzt nicht auf das Spießerleben wechseln. "Man ist erst erwachsen, wenn man sich traut, kindisch zu sein", ist ein ganz toller Spruch.
Benny: Wow, das ist eine Postkarte.
Kraatz: Das ist Erich Kästner, du Pfeife. (lacht) Jetzt können wir weitermachen. Wo waren wir?
Benny: Beim Pessimismus. Bei meinem Pessimismus. Könnte auch meinem Lebenswandel entsprungen sein. Ich erwische mich im Moment dabei, immer optimistischer zu werden.
rappers.in: Das ist aber nicht Jahreszeiten-bedingt?
Benny: Hmm ... scheiße. Dazu kommt, dass ich die meisten Lieder im Winter schreibe.
Kraatz: Dazu kommt, dass er zu Hause keine Heizung hat. Wir haben ja durch einen Spanienaufenthalt versucht, das aufzuhellen, das hat aber auch nicht geklappt.
Benny: Ich mag ja düster.
rappers.in: Melancholie ist super, aber Depressivität ... ?
Benny: So wirklich depressiv ist da ja nichts. Wobei "Gedichte und Genozide" wahrscheinlich schon in die Richtung geht.
rappers.in: Mal zum Thema "Früher war alles besser". Das kam bei eurem Track ...
Benny: ... "Brot, Obst und Klopapier"!
rappers.in: Ist das denn nun so? War früher alles besser?
Benny: Nö, das ist ja auch ironisch gemeint. Manche Sachen sind heute auch besser als früher.
rappers.in: Was war denn früher besser?
Benny: Michael Jackson, da war der noch am Leben.
Kraatz: Das Ding mit der Pünktlichkeit. Du kennst das ja auch noch, die Zeit ohne Handy. Da hat man aufs Festnetz angerufen, sich verabredet und konnte auch nicht mehr absagen. Das ist alles mittlerweile sehr kurzlebig. "Hast du meine WhatsApp-Nachricht nicht gelesen? Meinen Facebook-Status? Warum likest du das nicht?" ... Früher hätte ich vielleicht ein Mal die Woche ins Internet geschaut.
Benny: Deswegen habe ich kein Internet. Ich hatte mal für eineinhalb Jahre Internet, aber das ist nicht meine Welt.
rappers.in: Wollt ihr über Wahlen reden oder nicht?
Kraatz: (überlegt) ... Wale sind schön?
Benny: Wahlheimat Berlin! Ich bin extrem politikverdrossen und gehöre zu den Menschen, die nicht mehr wirklich daran glauben.
rappers.in: Du bist also verdrossen aus Überzeugung und nicht, weil es dich nicht interessiert?
Benny: Nee nee, ich bin relativ politikinteressiert und deswegen habe ich auch so exzessiv im Internet nachgeforscht. Inzwischen ist das, was hier gespielt wird, meiner Meinung nach keine Demokratie mehr. Großkonzerne und Politik sind derart verflochten. Ich bin extrem politikverdrossen, gehe aber trotzdem wählen.
rappers.in: Um den größten Schaden abzuwenden und nicht, weil irgendwas toll ist?
Benny: Mir fällt nichts ein, was ich ohne Vorbehalte ganz toll finden würde. Dass ich kein CDU/FDP-Fan bin, das geht sicherlich aus der Musik hervor. SPD/Grüne sind auch so krass in Kriegslügen-Scheiß verwickelt. Da komme ich mir blöde bei vor. Von links kommen meiner Meinung nach ganz gute Ideen. Aber es gibt da so einen Satz: "Es gibt 'ne Sache, die ich gar nicht peil' – wie kann man Hitler scheiße finden, aber Stalin geil?" ... Keine Ahnung. Ich kann mich mit nichts wirklich anfreunden. Vor allem, wenn Politiker anfangen zu reden und man ausschließlich das Bemühen mitbekommt, so zu sprechen, dass es die anderen nicht verstehen. Eine Riesensalve Worthülsen abzufeuern, die kein Mensch verstehen soll ... Ich fühle mich von der Politik verarscht.
rappers.in: "Viel reden, nichts sagen" ist für dich also schlimmer als Polemik?
Benny: Ein Hauch Polemik kann Wunder wirken, ändert aber nichts daran, dass ich komplett politikverdrossen bin.
rappers.in: Wenn die ganzen Wahlplakate da hängen, dann bekommst du da auch direkt ...
Benny: ... 'nen richtigen Hals! Klar. Wenn die FDP mit "mehr Freiheit, mehr Mut, mehr Markt" ankommt: natürlich. Am Geilsten war das NPD-Plakat mit "Gas geben".
Kraatz: Das erste, das ich bei den ganzen Plakaten gedacht habe, war: Geile Sache, können wir Promo mit machen. Jetzt darf man ja so Plakate aufhängen.
Benny: Wir sollten eine Grau-Partei gründen.
rappers.in: Kommen wir mal zur letzten Frage. Euer perfektes Dinner mit vier Gästen – ob tot oder lebendig. Wer ist da und was gibt es zu essen?
Kraatz: Komplett Nirvana und ...
Benny: ... Jim Morrison! Der lässt was übrig. Also, wen haben wir jetzt? Kurt Cobain, Dave Grohl und Jim Morrison.
Kraatz: Der Bassist ist egal.
Benny: Wir brauchen noch wen zum Mobben. Stalin oder Hitler?
Kraatz: Hitler wäre lustig.
rappers.in: Der war Vegetarier.
Benny: Ach, das ist okay, ich habe sogar mal ein halbes Jahr vegan gelebt.
Kraatz: Den würde ich mit Essen beschmeißen.
rappers.in: Fleischbällchen?
Benny: "Du hast da in deinem hässlichen Schnurrbart hässliche Essensreste."
Kraatz: "Mett! Hier hast du dein Mettbrötchen."
rappers.in: Dann dazu jetzt noch die Gänge zum perfekten Dinner ...
Kraatz: Erster Gang: Salat mit Mettbrötchen.
Benny: Zweiter Gang: auf jeden Fall ein Süppchen. Eine Suppe aus den Tränen schöner Mädchen.
rappers.in: Das Parfum.
Benny: Yeah! Stimmt! Daher ist das. (lacht)
Kraatz: David Hasselhoff wäre aber auch gut.
Benny: Wir ersetzen Hitler durch David Hasselhoff.
Kraatz: Dann gibt es tolle Burger. Und als Nachspeise ...
Benny: Wir sind dann schon im vierten Gang. Das geht nicht.
Kraatz: Dann machen wir Suppe und Mettsalat zu einem. Letzter Gang: Götterspeise. Gestapelt. Alle drei Farben!
(Jasmin N. Weidner)