01. Tür zu
02. 1000 Dinge
03. Drehscheibe
04. Dunkel-Hell
05. Licht aus
06. Gegenwind
07. EXIT
08. Stück für Stück
09. Charlie Brown
10. RBM feat. Jonathan Walter
11. Halbzeit
12. Off
13. Glas-Beton feat. Maxim
14. Roofer
15. Raupe feat. RAF Camora
16. Anfang des Traums
17. Tür auf
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Review von WoboSolagl:
Irgendwo an der holländischen Grenze, nicht mehr so ganz dörflich, aber auch noch keine Stadt: große Grünflächen, Bäume, eine Handvoll Gebäude. Es ist kühl, leicht verregnet, aber hier und da kommen ein paar Sonnenstrahlen durch die graue Wolkendecke. Genau hier steht ein Häuschen, irgendwo zwischen ruinenhafter Bruchbude und naturbelassener Idylle. Teile des kleinen Bauernhauses befinden sich noch mitten im Auf- oder Umbau, andere Ecken sind bereits zu kleinen, gemütlichen Rückzugspunkten geworden. So oder so ähnlich sieht es wohl aus, das neue Refugium von Chakuza, der Ort, an dem er gemeinsam mit dem Künstlerkollektiv In Vallis sein nunmehr fünftes Solo-Album schuf. Der Stilbruch, der mit "Magnolia", einem bedeutenden Wendepunkt in der Karriere wie auch im Privatleben von Peter Pangerl, begann, wird nach einem kurzen Ausflug in die auf-, ab- und durchgedrehte Welt von "Zodiak" mit RAF Camora nun fortgeführt. Und zwar genau in diesem Haus, über dessen Eingangstür vier große Buchstaben prangern: "EXIT".
"All das zwischen nicht mehr enden wollenden Tagen/
Man sitzt im rollenden Wagen mit einer Bombe im Magen/
Voller Passagen und Stories, die dann wohl keiner erfährt/
Denn nur von Sorgen zu schreiben ist diese Scheiße nicht wert/"
(Chakuza auf "1000 Dinge")
"Tür zu". Unter sanften Gitarrenklängen, dumpfen Drums und hallendem Gesang, irgendwo versteckt im Hintergrund, führt Chakuza in sein "EXIT" ein. Ein Klangbild, welches zunächst einen "XOXO"-Klon befürchten lässt, sich aber nach ein wenig Einfühlzeit als ein eigenständiges, individuelles Soundgeflecht entpuppt. Im Vergleich zum Vorgänger "Magnolia" entfernt sich die Instrumentierung noch weiter vom typischen HipHop-Beat. Durch die von In Vallis live eingespielten Töne mutet "EXIT" wesentlich analoger und näher am Hörer, aber auch an Chakuzas Stimme an. Während der Rapper "1000 Dinge" beschreibt, schmiegt sich das leise Instrumental sanft an seine kratzige, tiefe Stimme und die darin mitschwingende, oberösterreische Klangfarbe. Er scheint nicht nur gefestigter und stärker als noch zu "Magnolia"-Zeiten, auch inhaltlich zeigt sich Chak hier konkreter und endgültiger. Fast schon zornig wirken diverse Stellen auf "Drehscheibe", das von kräftigen Drums dominiert wird und besonders in der eingängigen Hook und gemeinsam mit den hellen Pianotönen sehr raumfüllend aus den Boxen dröhnt. Die beinahe versöhnliche, melodiöse Atmosphäre täuscht ein wenig über den melancholischen Inhalt hinweg, der von Wünschen und Träumen handelt, die der Realität nicht standhalten konnten und am Ende viel kleiner ausfallen, als sie es zunächst sein sollten.
Überhaupt stellen das Resignieren, das Aufgeben und das Beenden wichtige Aspekte von "EXIT" dar – egal, ob es nun eben um langjährige Träume oder Beziehungen geht, so wie es in "Dunkel-Hell" und "Off" der Fall ist. Gerade letzterer Titel beweist, dass "emotional" nicht gleich immer nach "Oh, Schwuli ist traurig" klingen muss, sondern auch enttäuschte und sehr wütende Texte ergeben kann, wenn Chakuza das Sinnbild für vergangene, aber irgendwie noch verinnerlichte Beziehungen, die Stimme aus dem "Off", aus seinem Kopf löscht. Wenngleich in solch endgültigen Trennungen natürlich viel Schmerz und Trauer mitschwingt, bedeutet das Ende jedoch auch immer einen Keim neuer Hoffnung, sodass in "EXIT" trotz der sehr melancholischen bis traurigen Grundstimmung durchaus auch positive Töne auszumachen sind.
"EXIT – und endlich heißt Frieden: 'Das passt'/
Lieblingsplatz in 'ner friedlichen Stadt/
Friedliche Stadt/
Die letzten Krieger wie Fliegen geklatscht/"
(Chakuza auf "EXIT")
Der Titeltrack deutet die zaghaften Anfänge einer solchen Stimmungsaufhellung an. Die sonst klar erkennbaren In Vallis-Instrumente verschwimmen hier zu einem dichten, leicht sphärischen Klangnebel, der besonders stark an den Sound von "Magnolia" erinnert, während Chakuza mit schleppend langsamem Flow die Flucht vor Rückschlägen und Enttäuschungen sucht. Mit einem Blick in die Vergangenheit beginnt er sein Leben zu rekapitulieren, sich Fehler einzugestehen, doch sich all die guten Dinge, die er erlebte, "Stück für Stück" zurückzuholen. Die hierbei recht häufige Wiederholung des Refrains wirkt ein wenig lückenfüllerhaft und mag auf Dauer etwas stören, fügt sich andererseits jedoch ins Gesamtbild der sehr balladesk gehaltenen Trackkonzepte. Gerade im Falle von "Glas-Beton", bei dem sich der Sänger Maxim für die Hook verantwortlich zeigt, wirkt dieses sehr sanfte Klangbild aber fast ein wenig zu weich und obwohl der Beat gerade während des Refrains an Lautstärke gewinnt und kraftvoll nach vorn kommt, mutet die rauchig, zerbrechliche Gesangsstimme beinahe kitschig an. Trotz dieses Eindrucks tut man Chakuza Unrecht, verstaut man ihn aus diesem oder anderen Gründen in der Schublade der "Kuschelrapper" und stellt seine Texte als aneinandergereihte Poesiealbensprüche für die kleine Schwester dar. Manchmal muss man einfach nur an der richtigen Stelle suchen, um hinter der recht poetischen Wortwahl tiefere Bedeutungen und Anspielungen zu entdecken. Plötzlich entpuppt sich etwa ein leichtes Augenzwinkern hinter der zugegeben doch ziemlich seicht und butterweich anmutenden Hook von "RBM", wenn der Hörer weiß, dass die "Regenbogenmaschine", von der Jonathan Walter hier trällert, auf die österreichische Trash-Soap "Saturday Night Fever" anspielt, bei der eine junge Dame eine Sprinkleranlage für eine "Regenbogenmaschine" hielt.
"Schluss mit am Arsch sein, weg von da, wo's kalt bleibt/
Endlich ins Warme wechseln, in die zweite Halbzeit/
Keine Tränen fließen, keiner wird mehr schießen/
Keiner is' in den Miesen, leise und zufrieden/"
(Chakuza auf "Halbzeit")
"Halbzeit" kommt mit kräftigen Drums, melodischen Gitarrenriffs und gesanglicher Untermalung sogar ganz ohne versteckte Hinweise als positiver Titel daher, wenn Chakuza sein bisheriges Leben als vergangen ansieht, einen Schlussstrich zieht und von nun an, in der zweiten "Halbzeit", alles besser machen will. Vor diesem Neuanfang, vor dem "Anfang des Traums", macht der FOUR Music-Künstler seinem Ärger noch ein letztes Mal Luft, alle verbliebenen negativen Eindrücke und Bilder aus der Vergangenheit werden zum Ausgang geleitet und entsprechend wütend knurrend verabschiedet: "Raus, sonst kriegst du wirklich eine drauf!" Damit ist die Aufgabe von "EXIT" erfüllt. Chakuza konnte sich zurückziehen, über sein bisheriges Leben, die Hochs und Tiefs und besonders die letzte Zeit nachdenken, Résumé ziehen, abschließen, sich noch einmal alles von der Seele schreien und nun gestärkt daraus hervorgehen. "Tür auf"!
Fazit:
Es ist zwar noch immer kühl und bewölkt, doch inzwischen brechen deutlich mehr Sonnenstrahlen durch den dicken Wolkenvorhang und scheinen auf das kleine Haus mit der "EXIT"-Aufschrift. Allmählich entschwindet das teilweise etwas enge, aber genau deshalb einheitliche, durch das Album führende, sanfte Klangbild, verblassen die mal traurigen, mal zornigen Worte, welche meist noch vom Beenden und Abschließen, stellenweise aber bereits vom Neuanfang und der Hoffnung handelten. Sowohl die einzelnen Instrumentals als auch die Texte wirken auf den ersten Blick weniger bedeutend und schwer, als sie sich letztlich für das Gesamtwerk "EXIT" entpuppten, entfalten ihre volle Größe jedoch erst, wenn man sie mit dem Menschen, von dem sie stammen, in Verbindung bringt. Denn wenngleich Chakuza das Gefühl und die Atmosphäre von "Magnolia" nach "EXIT" mitnehmen und beibehalten konnte, die Klänge somit ähnlich und vertraut bleiben, spürt man letztlich doch, dass es besonders für den Menschen hinter dem Künstler eine bedeutsame Veränderung und einen weiteren, wichtigen Wendepunkt in seinem Leben darstellt.
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Review von FreyreVer:
Wenn man versucht, etwas einzuordnen, bleiben Vergleiche mit anderen nicht aus. Unser Gehirn wäre gar nicht in der Lage, all die zahlreichen Informationen akkurat wiederzugeben, wenn es keinen Ordnungsmechanismus gäbe, den wir Kategorien nennen. Im Rap ist das nicht anders – und speziell für Chakuza ist dieser Begriff ein entscheidender. Über den Künstler (oder den Menschen) selbst ist wohl alles gesagt nach mittlerweile vier Soloalben und fast zehn Jahren im deutschen Rap. Viel interessanter ist jedoch der Weg, den der Österreicher mit "Magnolia" im vergangenen Jahr eingeschlagen hat. Waren zuvor noch Straßenattitüde und Kollaborationen mit Kollegen wie Bushido oder Bizzy Montana an der Tagesordnung, findet er sich seit 2013 stilistisch irgendwo zwischen Casper und Gerard wieder. Der von "Magnolia" geebnete Pfad soll nun weiter begangen werden. Ob sich der neueste Langspieler als logische Konsequenz und Weiterentwicklung des Vorgängers behauptet oder schlicht und ergreifend redundant und ohne jegliche Steigerung ist, kann nicht simpel beantwortet werden. Vorab sei jedoch gesagt: Wer einen Umschwung auf dem aktuellen Album "EXIT" erwartet hatte, wird enttäuscht werden.
"Ich konnte weder der Sonne, noch ein paar Sternen entgegenreiten/
Die Beine waren zu schwer wegen Herzensangelegenheiten/
Mein Platz war hier, lass sie mal alle fantasier'n/
Denn ich bin gerade hier, zwischen Straße und Fanta4/"
(Chakuza auf "Anfang des Traums")
Eine Selbsteinschätzung, die man definitiv unterschreiben kann. Denn inhaltlich hat sich nach "Magnolia" wenig getan. Chakuza selbst sprach in Interviews retrospektiv über die Zeit während des "EXIT"-Vorgängers und beschrieb sie als die schlimmste seines Lebens. Dies spiegelte sich durchaus in den Songs wieder – auf dem neuesten Werk wird vielleicht auf Tracks wie "Roofer" ein fröhliches Klangbild angedeutet und auch die ein oder andere positiv gestimmte Zeile lässt sich finden ("Bin zufrieden mit dem, was ich hab, weil fliegen nicht klappt"), doch Melancholie ist weiterhin maßgeblich für Soundbild und Inhalt. Anspielstationen wie "EXIT" oder "1000 Dinge" bilden dabei den Tiefpunkt im Strom bergab. Fraglich ist dabei nur, ob sich diese Devise als roter Faden – der ja für ein Album durchaus wünschenswert ist – oder einfach als Eintönigkeit offenbart. Dies lässt sich nicht aus der Instrumentierung ablesen, die als solide gerade so durchgeht. Man kann zwar das, was mit In Vallis in besagter Einöde entstanden ist, als musikalische Einheit und "aus einem Guss" bezeichnen und das immer gleiche Prinzip von Pianosamples und analogen Drums führt durchaus auch zu einigen Glanzstücken, wie beispielsweise auf dem Titeltrack, wo Synthiesounds der Melancholie große Musikalität verleihen, Meist jedoch verliert sich der Sound im Einheitsbrei; gespickt mit Chakuzas Stimme lassen sich viele Titel kaum voneinander unterscheiden. Doch das ist alles dem Konzept geschuldet und clever gemacht, denn schließlich sind die Texte Mittelpunkt der gesamten Arbeit und thronen somit als oberste Priorität über allen anderen Faktoren. Oder?
"Manchmal ist das Ganze dann für einen allein zu viel/
Wie 30.000 Briefe für eine Schreibmaschine/"
(Chakuza auf "Licht aus")
"Und am Ende des Kampfes ein Schlag, das Nasenbein gebrochen/
Hab' mich selber hochgejagt, als wär' ne Gasleitung offen/"
(Chakuza auf "1000 Dinge")
Natürlich kann man es als böswillig bezeichnen, sich solche Zeilen herauszusuchen. Doch gerade durch eben beschriebenen Effekt, bei dem gerade der Text durch den Minimalismus in der Musik in den Mittelpunkt gerückt wird, stechen solche Ausreißer hervor. Vergleiche müssen nicht immer mit den größten Wortspielereien verbunden sein, sie können auch passende Bilder erzeugen. Dies bleibt hier jedoch völlig aus. Dabei ist nicht zu verleugnen, dass der Interpret ein umfassendes Selbstbild zeichnet. Anscheinend, so zumindest in "Charlie Brown" beschrieben, hat er sich bunt angemalt und eine Regenbogenmaschine brauchen Jonathan Walter, seines Zeichens Songwriter und Musiker, und Chak selbst laut ebenso betiteltem Track wohl viel mehr als aufgeschobene Ziele. Wer nicht will, der hat eben schon. Zu den farbenfrohen Hobbys kommt das In-die-Luft-Sprengen von Luftschlössern namens Welt, weil sie einfach dahin gehören. Dass er dabei auf "Gegenwind" stößt, wollen wir hoffen. Dass ihm ab und an die Hände wie alte Essensreste in den Taschen festwachsen, eher weniger. Zumindest, solange er mit seinen Händen nicht vorhatte, irgendwas in die Luft zu sprengen. Doch woher all dieser Unmut, der sich anscheinend gar in Wut gewandelt hat? Eine mögliche Antwort lässt sich auf einem der inhaltsvolleren Titel finden: "Dunkel-Hell". Denn die "Hollywoodliebe" von "Magnolia" wird sich wohl verabschiedet haben. Wollte er "sein Mädchen" auf vorherigem Album noch "irgendwann mal zum Altar führen", scheint es nun doch ganz schnell vorbei zu sein. Zumindest aber bleibt es eines der wenigen Stücke mit einem inhaltlichen roten Faden – wo wir auch schon beim Hauptkritikpunkt angelangt wären. Denn neben seiner Vorliebe für das Wort "manchmal", das ganze 39 Mal Verwendung findet, erkennt man einen noch viel prägenderen Grundsatz auf "EXIT".
"Ich rede nichts Schönes, labern alle nur Brei/
Die Welt wegen denen rosa anmalen? Verdammt noch mal, nein!/
Ich mach's wieder mal allein, interessiert aber kein'/
Man sucht nur den ein', den man lieb haben könnte/
Wieder nur könnte, immer wieder nur könnte/"
(Chakuza auf "EXIT")
Die Titel sind nämlich, sieht man vom vorhin genannten "Dunkel-Hell" ab, alle konzeptlos. Das kann zwei, drei Mal angenehm und umfassend sein. Auf Albumlänge wirkt es jedoch unkoordiniert und ohne künstlerische Struktur. Theoretisch könnte man fast jede Zeile auf jedem Lied des Langspielers beliebig austauschen und es würde nahezu nichts an dem Gesamteindruck ändern. Schade vor allem auch, weil die Features sich in diese Konzeptlosigkeit, vermutlich dem Protagonisten selbst geschuldet, nahtlos einreihen. Während die Hook von Maxim einen kleinen Lichtblick darstellt, kommt Jonathan Walter mit kraftloser Stimme daher und auch RAF Camora hat schon bessere Aussagen geliefert als "Ich betäube mich mit Rauch, die Lunge brennt, bitte holt mich hier raus – Dschungelcamp" auf "Raupe". Diese Planlosigkeit ist es letztlich, die den Inhalt des Albums fast vollständig beschreibt. Musikalisch sind nur minimale Höhepunkte zu finden. Dies könnte man durchaus verzeihen, wenn man es dem Inhalt überlässt, Eindruck zu schinden – was leider auf Albumlänge völlig unterlassen wurde. Bis auf ein paar nette Zitate für meine nächsten Instagram-Posts à la "Man tritt aus Hass gegen den Ball und schießt ins eigene Tor" (Chakuza auf "Licht aus") kann ich dem Album speziell inhaltlich nichts abgewinnen und es bleibt beim Ansatz. Zugutehalten kann man dem 33-Jährigen dabei natürlich, dass manche Selbsteinschätzungen von ihm ins Schwarze treffen ... oder ins besagte eigene Tor.
"Ich seh' 'nen Mann, der viele seiner Liebsten gehen lassen musste/
Und dann darüber gesungen hat, was eh jeder wusste/"
(Chakuza auf "Drehscheibe")
[REDBEW]1622 [/REDBEW]
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[azlink]Chakuza - EXIT[/azlink]