Beiträge von disdi



    Vor kurzem berichteten wir bereits über das neue Video des Kölners Dr. Knarf und zeigten euch den Teaser zu "8 Takte". Ab jetzt steht euch der gesamte, außergewöhnliche Clip auf Youtube oder auch ein paar Centimeter weiter unten zur Verfügung...


    Der Song stammt von der kürzlich erschienenen "Wie Ich Flieg"-EP, die in unserem Magazin auch ausführlich besprochen wurde. Wir wünschen Euch viel Spaß!


    [YOUTUBE]NJi20Hop0AY[/YOUTUBE]


    Quelle


    [pushit]1665 [/pushit]



    01. Intro
    02. König ohne Krone
    03. Winter
    04. Inferno
    05. Ich bin
    06. Praline feat. Face
    07. Die Jungs von der Bushalte
    08. Achthundertzwanzig
    09. Goldene Flügel
    10. Für immer Pt. I
    11. Welt
    12. Als der Rest der Welt schlief
    13. Abturn feat. Kool Savas, Ercandize & Moe Mitchell
    14. 2 Sekunden
    15. Für immer Pt. II
    16. Als der Teufel mich rief
    17. Wenn der Junge kommt
    18. Momente


    Mit dem Warten ist es so eine Sache. Überall wird gewartet: auf den Bus, auf die große Liebe, auf den Messias oder eben auf die neue Platte des präferierten Musikinterpreten. Die Amis warten auf "Detox" und viele Deutsche werden auf Vegas Debüt "Lieber bleib ich broke" gewartet haben. Zu diesen Leuten zähle auch ich mich, denn ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, dass ich die Vega-Parts auf "Deutsche Probleme" und die "Adlerjunge EP" nicht fehlerfrei wiedergeben könnte. Aber mit der Wartezeit steigen auch die an das Werk gestellten Erwartungen und für nicht wenige Veröffentlichungen der letzten Zeit lag die Messlatte einfach zu hoch. Ob "Lieber bleib ich broke" diesem Trend Widerstand leistet, soll folgende Rezension zeigen.
    Der Tonträger startet mit einem epischen Intro, in dem Vega gelungen darstellt, was den Rezipienten erwartet, denn Zeilen wie "Ich bin Straße, ohne Drogengeld und Stiche im Rücken" oder "Ich bin Rap, und ich bleibe es auch" bringen auf den Punkt, worum es dem frankfurter Youngblood geht: um Ehre, Stolz und Authentizität. Dass dieser Stolz auch seiner Heimatstadt gilt, zeigt der Rapper auf dem an Nessbeals "Roi sans couronne" angelehnten Stück "König ohne Krone".
    Mit "Winter" folgt ein Song, welcher sowohl aufgrund der stimmungsvollen Vortragsweise als auch des passenden Instrumentals an Intensität kaum zu übertreffen ist und welchem der Spagat zwischen Deep- und Roughness lehrbuchgerecht gelingt:


    "Adler auf der Schulter und ich schwör' dir, Mann, ich lass' ihn schrei'n/
    Hass am Mic – was soll sein? Das ist Butterfly/
    Gegen den Staat, Leben ist hart/
    Fünf gebrochene Menschen bilden ein Label aus Stahl/"

    Eben dieser Spagat ist bezeichnend für den gesamten Tonträger, denn Vega schafft es wie kein Zweiter, deep zu sein, ohne aber deep zu klingen. So beschreibt er auf dem grandiosen " Die Jungs von der Bushalte" das Leben zwischen Straße, Stolz und Freundschaft. Wieder gelingt es ihm, nicht ins Unglaubwürdige abzudriften und damit einer kaputten deutschen Jugend endlich eine realistische Identifikationsplattform zu bieten: weg von Schusswaffen, hin zur blanken Faust, raus aus utopisch teuren Autos, rein in Bushaltestellenhäuschen und Jugendclubs.


    "Das ist ein' Döner zu kaufen und von allen Jungs als Letzter zu essen/
    Das ist Kleingeld in Jeanstaschen/
    – manchmal kein Geld in Jeanstaschen/
    Rausgehen und weiterhin Weed hustlen/
    Kein Gangster, das ist ehrlicher Sound/"


    Kreatives Konzeptpotenzial beweist V auf den Tracks "Für immer Pt. I" und "II", auf denen er verschiedene Sichtweisen einer vergangenen Beziehung darstellt. Auf Teil I erwartet den Hörer eine reife Reflexion der Beziehung, in der er die Fehler bei sich sucht – und findet – und in der er, untermalt von einem Piano-Streicher-Instrumental, seiner Sehnsucht Luft macht. Teil II hingegen ist geprägt von Wut und Unverständnis und zielt ganz darauf ab, den Schuldigen in der Partnerin zu sehen:


    "Du warst mehr als meine große Liebe – du warst mein bester Freund/
    Und wenn etwas ist – denk an mich, ich helfe euch/"
    ("Für immer Part I")


    "Du warst mehr als meine große Liebe – du warst mein bester Freund/
    Es ist vorbei, Girl, ich hoffe, du verreckst noch heut'/"
    ("Für immer Part II")


    Diese ambivalente Darstellung wirkt keinesfalls unreflektiert. Ganz im Gegenteil. Erst durch eine solche gelingt, was bisher nur Curse vermochte – nämlich, das überwältigende Gefühl "Liebe" greifbar zu machen und auch die Kehrseite der Medaille glaubhaft darzustellen.
    Dass Vega nicht nur die Großen des Geschäfts im Rücken hat, sondern auch battlemäßig vorne mitspielen kann, beweist er in "Abturn", in dem er von Kool Savas, Ercandize und Moe Mitchell unterstützt wird und wo er mit Sprüchen wie "Guck, ihr schlaft noch mit Ollen, ich fick' Mädels in' Bauch" zu überzeugen weiß. Darüber hinaus findet sich nur der Butterfly Music-Künstler Face auf der Platte, während die restlichen Tracks von Vega allein bestritten werden. Hierbei wächst V technisch nicht über sich hinaus, kann jedoch problemlos mit den aktuellen Standards mithalten, wobei das Augenmerk bei "Lieber bleib ich broke" weniger auf der technischen Seite zu liegen hat. Denn Vega schafft es ohne verbale Umwege, Werte und Wahrheiten in unsere Gehörgänge zu prügeln, ohne dabei stumpf zu wirken: Wenn Reden Silber ist und Schweigen Gold, dann scheint On-point Brillant zu sein.


    Die Instrumentals, welche größtenteils von Emonex poduziert wurden, tragen mit donnernden Brettern sowie mit ruhigeren Nummern maßgeblich zum düsteren, beinahe endzeitlichen Klangbild bei, über dem es dem Frankfurter gelingt, das Straßenleben derart schnörkellos zu beschreiben. Seine Texte scheinen frei von jedem "Cocaine Cowboys"- oder "Scarface"-geschwängerten Gangsterkitsch, frei von schwülstig-verklärten Ghettoreports, frei von Straßenpathos und bekannten Raphyperbeln. Ebensowenig sind sie von wirtschaftlicher Profitgier beschnitten oder zeigen Anzeichen von Zurückhaltung, sodass die Frage, welcher Rapper in Deutschland denn eigentlich "real" sei, ein für alle Mal geklärt sein dürfte. Mit "Lieber bleib ich broke" fertigt der Adlerjunge den ersten Spiegel an, in dem sich viele Jugendliche zum ersten Mal unverzerrt sehen könnten.



    disdi (Christian Weins)

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    01. Intro
    02. Bum Bum
    03. 5 Sterne Himmel feat. Mach One
    04. Fleisch hat immer Saison feat. Atze Jope
    05. Bronko next Topmodel (Skit)
    06. Wurstsalat
    07. Electronic feat. Jim Tonic
    08. Fressroboter feat. Marsimoto
    09. Se la Puka Bo feat. Lanola Bombalock
    10. Mikrowellensong feat. Mach One
    11. Bronko ist der Beste feat. Saitu
    12. Basar (Skit)
    13. Türkischer Basar feat. Käptän Kek
    14. 25 Bars (Es gibt kein Limit für Bronko)
    15. Ich schlafe lange aus feat. Atze Bierbong
    16. Auf der Suche nach Fleisch (Skit)
    17. Fett und faul in Mexico feat. Vorko El Paco
    18. Alles hat ein Ende feat. Atzen Musik


    Es ist Anfang September, die Tage werden wieder kürzer, Ballermann/Splash! sind nicht mehr als eine verbleichende Erinnerung, von der nur die Leber noch zehrt, an Open-Air-Jams ist nur noch im Traum zu denken, statt Frauenarzt & Manny Marc säuseln nun Curse und Tua aus den Boxen und des Deutschen liebste Jahreszeit, die Grillzeit, neigt sich dem Ende zu. Für die meisten jedenfalls. Bronko mit seiner Imbissstube und seine Brüder im Geiste Mach One, Atze Jope, Jim Tonic, Marsimoto, Saitu, Käptän Kek, Atze Bierbong, Frauenarzt, Manny Marc, der legendäre Vorko el Paco und Bronkos Seelenverwandte Lanola Bombalok sowie DJ Irmgard nämlich wissen: genau. "Fleisch hat immer Saison". Dass Fleisch in diesem Zusammenhang getrost zweideutig verstanden werden kann, nämlich als Nahrungsmittel sowie als Lustobjekt weiblicher Erscheinungsform, weiß jeder, der sich nur ansatzweise mit dem Lebenswerk des Manuel Romeike auseinandergesetzt hat. Es geht in diesem Album salopp gesagt um "Kottelets und Titten", wobei ersteres sicherlich den inhaltlichen Schwerpunkt darstellt. Serviert wird dieser Fleischsalat im kalorienreichen Elektromantel. Bevor die vegetarisch-essenden Studenten- und Backpackrap-Jünger angwidert den Computer räumen, will ich vorwegnehmen, dass sich die ganze Sache durchaus unterhaltsam gestaltet. Nicht nur für eingefleischte Fans.
    Im Intro heißt es "'Fleisch hat immer Saison' ist ein unfassbares, hochwertiges Musik-Meisterwerk." Nun, das vielleicht nicht, aber einem wird ebenso wenig musikalisches Fastfood aufgetischt – denn auffallend ist, dass viel Wert auf die Produktionen gelegt wurde und dass das Album hervorragend gemastert worden ist. Der lockere Mitgröhl-Opener "Bum Bum" ist bezeichnend für die Unbeschwertheit des Langspielers; so stellt das Album wohl eher lyrische Diätkost dar. Doch, dass Orgi in Caspersche Sentimentalitätsdimensionen abdriftet oder den Literaturnobelpreis anstrebt, erwartet wohl niemand. Zudem vermag der Pornoboss auch ohne bedeutungsschwangere Lyrics zu unterhalten, was nicht zuletzt durch dieses Album unterschrieben wird. Dass Bronko neben seinem Imbissfraß auch mit den Exklusivitäten der gesellschaftlichen Avantgarde vetraut ist, beweist er an der Seite von Mach One im Track "5 Sterne Himmel", der nicht zuletzt durch seine gewitzte Hook zu den Höhepunkten des Tonträgers zählt.


    "Ich bin im 5 Sterne Himmel, ich ess' den großen Wagen leer/
    Ich bin im 5 Sterne Himmel und nehm' die Jungfrau zum Dessert/
    "


    Mit Atze Jope und Berliner Akzent wird der der Titeltrack "Fleisch hat immer Saison" eingeläutet. Mit diesem Leckerbissen wird deutlich, warum gerade Fleisch Bronkos Gemüse ist, denn es schmeckt ihm nicht nur, sondern es unterliegt, im Gegensatz zu letztgenanntem, nicht dem unvermeidbaren Jahreszeitenwechsel. Über einen mäßig witzigen Skit führt uns die Playlist zu "Wurstsalat", einer scheinbar dadaistisch angehauchten Wortcollage, der eine "Legalize It"-Tonsequenz vorangeht und deren Gesamtbedeutung sich nicht ganz erschließen lässt. Dank eingängiger Hook stört das aber nicht weiter. Im folgenden Track"Fressroboter" weiß Featurepartner Marsimoto durch seine aberwitzigen Gedankenspiele zu überzeugen und lässt diesen Thementrack zu einem Glanzpunkt der Platte werden.


    "Wir bring' die Riesenhits/
    Ich bin ein Fressroboter und esse nur noch Mikrochips/
    Das Steak ist ganz schon C 64/
    Hol die Elektromarinade raus, denn ohne schmeckt's nicht/
    "


    Mit inhaltlichen Abrissen der weiteren Tracks fortzufahren wäre vermutlich etwas eintönig, denn in dieser Hinsicht dreht sich Orgi im Kreis wie Mikrowellenessen, welches übrigens in der Aufwärm-Hymne "Mikrowellensong" mit Mach One besungen wird. Denn es geht in Bronkos Texten vor allem um eines: Essen. Dieses wird in jedem Track, in verschiedensten Formen und in verschiedensten Ländern verspeist. Was verschiedenste Formen angeht, so sollte ebenfalls die Raptechnik von King Orgasmus One erwähnt werden, denn diese variiert je nach verkörpertem Charakter. Als Bronko schwankt er zwischen wohlklingendem Endreim-Singsang und an alte Tapes erinnernden, hektischen Beat-Spießrutenlauf, während er als Lanola Bombalok einen verrückten Kauderwelsch-Englisch-Mix an den Tag legt. Alle 3 Spielarten passen auf die durchweg elektroiden Beats wie das rohe Steak aufs blaue Auge.
    Lasst euch abschließend von mir als musikalischem Vorkoster sagen, dass die thematische Festlegung keinerlei Auswirkungen auf die Kurzweiligkeit des Albums hat. Für ein ausgelassenes Gelage bei ein paar Dosen Atzenbräu ist es auf jeden Fall das Richtige. In diesem Sinne: Ich bin hier fertig, das Bier ist kaltgestellt, der Grill ist in der Mache und das Fleisch ist mariniert. Trotz Regenwetter.



    disdi (Christian Weins)

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    01. Intro
    02. Wer bist du
    03. Ultimate Warrior
    04. Ein Moment
    05. Präsidenten Wahl feat. Summer Cem
    06. Falsche Werte feat. Jonesmann
    07. Bruder
    08. NazarFakker
    09. Össi Ö feat. Chakuza & Raf Camora
    10. Kanackenstolz
    11. Junkie
    12. Silla mit dem Killa feat. Godsilla
    13. H C
    14. Was ist Rap feat. Baba Saad
    15. Dann ist es Zeit feat. Ozan
    16. Outro



    Chakuza hat's vorgemacht. Die Sprachbarriere bzw. die Dialektsbarriere hat er überwunden und das Bild der unzugänglichen, teilweise belächelten österreichischen Mundartrapper, das dem durchschnittlichem HipHop-Head womöglich im Kopf rumspukte, wurde neu gezeichnet. Seitdem kann sogar der chartorientierte Rezipient guten Gewissens in Richtung Alpen schauen. Wie auch Chakuza kann sich Nazar nicht mit dem Großteil der Szene seiner Heimat identifizieren und wendet sich mit seinem neuem Album "Paradox" ganz bewusst gen Bundesrepublik. Als logische Konsequenz holt er sich von deutscher Seite Jonesmann, Summer Cem, Godsilla, Baba Saad und Ozan ins Boot, während sich die Landsmänner Chakuza und Raf Camora auf der Österreich-Hymne "Össi Ö" die Ehre geben.
    Der Anspruch des Albums, qualitativ hochwertigen Straßenrap abzuliefern, wird auf weiten Strecken erfüllt, auch wenn einige Tracks vermuten lassen, sie seien lediglich Lückenfüller, um eine annehmbare Spielzeit der Platte zu erreichen. Diese Negativbeispiele sind das allzu allgemeine "Was ist Rap" mit Baba Saad, bei dem sich die beiden Wortakrobaten der Frage widmen, was eigentlich dieses "Rap" ist, von dem die ganze Szene andauernd spricht, und "Junkie", einem Stück, welches zwar zeigt, dass sich seit Falcos "Ganz Wien" in der Drogenszene wenig geändert hat, bei dem man aber vergeblich nach einer aufregenden Storyline oder einer Katharsis sucht. Außer der, dass Drogen schlecht sind, natürlich.
    Im Gegensatz zur Drogenszene hat sich seit Falco in der österreichischen Rapszene so einiges getan und das wird auf "Paradox" deutlich bewiesen. So etwa auf der Singleauskopplung "Präsidentenwahl" an der Seite von Summer Cem, der bis auf eine recht radikal wirkende Zeile über den 11. September einen der Glanzpunkte des Langspielers darstellt.


    "Was willst du mit einer Aussprache regeln/
    Du Asylbewerber musst erst deine Aussprache regeln/
    Ihr wollt mitessen vom Teller, doch Rapper sind nur Penner/
    Machen Palaver und kriegen auf die Fresse wie Rhianna/"
    Summer Cem auf "Präsidentenwahl"


    Es ist, wie üblich für das Genre, keine lyrische Ejakulation zu erwarten, aber Representer wie "Ultimate Warrior" bestechen durch druckvollen Beat und abwechslungsreichen Flow, bei dem einem besonders das Spiel mit verschiedenen Betonungen positiv in Erinnerung bleibt.
    Mit nationalistischem Gedankengut schließt der Streetfighter auf dem Track "H C" ab, einem Disstrack gegen den österreichischen Politiker Heinz-Christian Strache. Dem deutschen Publikum wird die Persönlichkeit der Ansage zwar weniger zugänglich sein, aber Lines wie "Und fick' ich deine Mutter, ist dein Blut auch wieder rein" unterhalten gleichermaßen von Flensburg bis nach Kärnten. Nun mag es den Anschein erweckt haben, als sei Nazar nur zu Representern und Kampfansagen fähig, doch Mut zur Deepness beweist der gebürtige Iraner etwa auf dem Kopf-hoch-Track "Dann ist es Zeit", bei dem er gesanglich von Ozan unterstüzt wird.


    "Zeit voranzuschreiten, ohne Rücksicht auf Verluste/
    Dreh dich nicht mehr um, Mann, bleib auch ohne Rücklicht auf der Route/
    Und selbst der dichteste Nebel soll dich nicht aufhalten/
    Wenn du denkst, du müsstest auf 'nen Traum warten/"
    Nazar auf "Dann ist es Zeit"



    "Paradox" heißt das Album. Dem Titel wird es gerecht, wenn man sich das Werk einmal genauer anhört. So ist der Track "Falsche Werte" ein Abgesang auf die der Jugend gebotenen Wertewelt. Aber kritische Lines wie "Kinder, die glauben, dass das G-Sein so geil wär', Mann" verlieren an Glaubwürdigkeit, denn ein paar Tracks weiter heißt es prahlerisch: "So ist das als Asylant/ hast du hier kein Recht bringst du Drogen an den Mann/". Man kann es Haarspalterei nennen, doch letzten Endes verliert der ganze Charakter, die Figur Nazar, an Kredibilität und eben diese "deepen" Tracks erwecken den Anschein, als seien sie Teil eines kommerziell orientierten Konzeptes.
    Beattechnisch wird nahezu durchweg gute Arbeit geleistet. So stehen große Namen wie Beatzarre und Beatlefield hinter den Reglern, ebenso wie Raf Camora, Mike Knight, 83 Sound, Tobstarr und Nazar selbst. Was ihm den Einfall in die deutschen Charts erschweren dürfte, ist sein starker Akzent, der im ersten Moment sogar dem realsten Hustler ein klitzekleines Schmunzeln auf das vom Struggle verzerrte Gesicht zaubern könnte. Denn so ein "Ja, Habibi und nichts anderes" in Mundart-Manier wirkt leider unfreiwillig komisch.


    Zusammenfassend bleibt zu sagen, dass Nazar die Straße sicherlich nicht neu asphaltiert hat, aber dass sich sein Album trotz genannter Mängel genreintern über dem Durchschnittsniveau bewegt, was ihm einen festen Platz auf dem Radar jedes HipHop-Polizisten gesichert haben dürfte. Ob ihm das Album zu einer festen Größe in der deutsche Szene machen wird, bleibt abzuwarten, aber es stellt sicherlich einen guten Anfang dar.



    disdi (Christian Weins)

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    01. Intro
    02. Apokalypse Jetzt
    03. Bastard Homo sapiens
    04. Müde Augen feat. Asek
    05. Manifest feat. Dj Pro-Zeiko
    06. M.V.H.
    07. Goethe feat. Absztrakkt
    08. Kugeln
    09. Robespierre
    10. Flokatiteppich
    11. Der Funken
    12. Macheten II feat. Ruffkidd
    13. BRD feat. Audio88
    14. Das Haus
    15. Christina feat. Mike Fiction
    16. Steinewerfen
    17. Die Furcht 500
    18. Mutter der Huren
    19. Outro


    "Am sechzehnten Juli werden wir erlöst."
    Mit diesen doch sehr verheißungsvollen Worten endete jedes der Promovideos zu Morlockk Dilemma & Hiobs neuem Kollabo-Album "Apokalypse Jetzt". Ob in diesem Album nun die verzweifelten Heilsgebete der Suchenden erhört werden, oder anerkannte Soteriologen es mit einem müden Lächeln und einer lässigen Handbewegung abtun werden, soll an dieser Stelle offen gelassen werden. Fest steht aber, dass einen der Tonträger über 19 Anspielstationen und eine Dauer von knapp einer Stunde vom immer gleichen vertonten Schwanzvergleich, dem sogenannten "Game", erlöst. Das zeigt sich in den hochwertigen Produktionen von Hiob und Dilemma selbst sowie Dexter und Tillevisions, die gepaart mit den eigenwilligen Styles der beiden Wortakrobaten eine Atmosphäre erzeugen, die Tuas Grau nahezu gleich kommt.
    Eine weiter Stärke der Platte sind die exotischen, für aktuellen Deutschrap untypischen Songkonzepte. So wird in "Bastard Homo sapiens" der Werdegang unserer Gattung in Kurzform präsentiert. Dass es hier weder eine Happy End gibt, noch eine Auseinandersetzung mit den positiven Errungenschaften der Menschheit, dürfte jedem, der nur einen flüchtigen Blick auf das Albumcover wirft, sofort klar sein.


    "Die Herrschaft über die Flamme hat ihn emanzipiert/
    Der Kreis schließt sich, denn das atomare Feuer beendet das Wir/"
    (Dilemma auf "Bastard Homo sapiens")


    Dass sich das Weltbild der beiden apokalyptischen Reiter eher mit dem Wort "negativ" beschreiben lässt, wird auch im Track "Robespierre" klar, einem postapokalyptischen Revolutionsaufruf, dessen Titel auf die Inspirationsquelle für den Song schließen lässt.


    "Es kommt die Zeit, da wird der Galgen gesetzt/
    Die Schlösser stehen in Flammen, der Pöbel feiert ein Fest/
    Spreng deine Ketten, scheiß in dein Bett/
    Und du weißt wieder wie die Freiheit schmeckt/"
    ("Robespierre")


    Ihre Ehrfurcht vor der Natur, welcher der Mensch ihrer Meinung nach unterliegt, wird im Hiob-Solo-Storyteller "Der Funken" zelebriert, indem er die vernichtende, aber auch reinigende Kraft des Feuers darstellt und zeigt, dass der Mensch das Feuer zwar instrumentalisiert hat, er jedoch nicht imstande ist, es zu zähmen und vollends zu kontrollieren.


    "Feuer braucht nur einen Funken und es wächst und gedeiht/
    Es unterscheidet nicht zwischen Lebewesen Blech oder Stein/
    Versuch den Dämon zu zähmen und du wirst kapitulier'n/
    Denn du bist nur ein Statist, wenn der Funken zur Fackel mutiert/"
    ("Der Funken")


    Dass auch so griesgrämige Nihilisten wie Hiob & Dilemma über Humor verfügen, zeigen die bitterbösen Vergleiche auf den Battletracks, die bei der ansonsten beinahe schweren Kost des Albums wie kleine Diät-Joghurts wirken und sicherstellen, dass das Album ein kurzweiliges Vergnügen mit einer hohen Halbwertszeit bleibt und keine thematische Wiederkäuerei betrieben wird.


    "Mein Weg ist bestimmt, mein Schicksal lautet: zerstückel MCs/
    Auch wenn ich dafür lebenslänglich sitze wie Christopher Reeves
    Glaub es mein Bruder, auch wenn du für deinen Traum keinen Cent siehst/
    Sorge steht an letzer Stelle wie im Ausweis von Samy/"
    (Dilemma auf "Manifest")


    Unterstützt werden Hiob und Dilemma von Labelkollege Mike Fiction, Asek 36, dem ITF-Weltmeister DJ Pro-Zeiko, den X-Men-Clan Künstlern Absztrakkt und Ruffkid sowie der Offbeat-Untergrund-Legende Audio88. Die Features reihen sich, mit Ausnahme von Asek, dessen etwas platte Straßenattitüde ein wenig aus dem Rahmen fällt, nahezu perfekt in die düstere Soundästhetik des Langspielers ein . Ein zweiter Kritikpunkt des Albums könnte und wird die doch recht gewöhnungsbedürftige Vortragsweise der Protagonisten sein, welche vermutlich der Grund ist, warum ihnen die große mediale Aufmerksamkeit bisher verwehrt geblieben ist, die jedoch, wenn man den Schritt geht, sich ihrer anzunehmen, durchaus ihren persönlichen Charme hat. Den, auf neudeutsch gesagt, Hatern würde ich an dieser Stelle wärmstens ans Herz legen, für einen Moment die Scheuklappen abzulegen, denn dieses Werk hat es verdient, gehört zu werden.

    Am Ende des jüngsten Tages verbirgt sich unter dem Deckmantel des Endzeit-Konzeptalbums ein hochpolitisches Werk mit einigen durchaus gelungenen Abstechern in die Welt des Battleraps. Während politisch motivierter Rap gemeinhin Pseudo-Weltverbesserern und langhaarigen Studenten zugeschrieben wird und stets mit unreflektierten Lösungsvorschlägen sowie der Mast von Phrasenschweinen in Verbindung gebracht wird, liefern Hiob & Morlockk Dilemma mit "Apokalypse Jetzt" den passenden Gegenentwurf ab; sie erfassen mit einer erstaunlich präzisen Beobachtungsgabe die Ängste und Aggressionen ganzer Generationen, verpacken diese gekonnt in szeneferne Konzepte und unterlegen sie mit brachialen Boombap-Geräuschcollagen: Polit-Rap ohne Zeigefinger. Das ist consciousness!



    disdi (Christian Weins)

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    In einem Interview hat Franky Kubrick verlauten lassen, sein Album werde im Sommer erscheinen. Auf dem Langspieler hat er sich, wie er sagt, weniger auf umfangreiche Konzepte konzentriert, als vielmehr auf das Rappen und Flowen an sich.

    Außerdem nutzte Franky die Chance und richtete noch ein paar Worte an Farid Bang, der sich in der Vergangenheit des Öfteren über ihn ausließ.
    Franky kündigte an, dass in Richtung Farid Bang auf jedenfall noch etwas von ihm zu hören sein wird.


    Als kleinen Drink auf der Durststrecke bis zum Album hat Kubrick in Zusammenarbeit mit Jifusi außerdem ein Free-Mixtape mit dem Namen "Wir sind die Besten" veröffentlicht. Auf dem Tape werden unter anderen Kool Savas und Laas Unldt. zu hören sein.


    Quelle


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