Beiträge von disdi



    01. Raus
    02. SHSFLS
    03. Moment
    04. Babylon
    05. Nur du zählst
    06. MP3 Player
    07. Menetekel
    08. Vadata
    09. Stadt aus Heißluftballons


    Betrachtet man den musikalischen Werdegang Johannes Bruhns, kann man ihm eine enorme musikalische Reifung wohl kaum absprechen: Es begann mit seinem Debütalbum "Nacht", das 2005 bei Royalbunker erschien, mit dem er wohl vor allem als Rapper wahrgenommen wurde und das thematisch doch eher plakativ ausfiel. Doch bereits hier definierte er seinen Stil ein Stück weit als Solokünstler. Er gab seinen Produktionen durch wiederholten Gebrauch bestimmter Stilmittel wie etwa orientalischen Tonleitern, Balkaninstrumenten, tiefen Bässen und düsteren Synthies einen einzigartigen Anstrich mit hohem Wiedererkennungswert. Auf seinen kommenden Produktionen verfeinerte er diesen Stil und die Qualität seiner Produktionen kontinuierlich und zeigte sich auch textlich wesentlich nachdenklicher, wie es auch auf dem wunderbaren "Grau" seinen vorläufigen Höhepunkt fand. Seinem neusten Wurf, den er in der einsilbigen Tradition seiner bisherigen Veröffentlichungen schlicht als "Raus" betitelte, kann man eine gewisse Doppeldeutigkeit folglich kaum absprechen. Raus! Raus aus allen Genregrenzen. Die vergleichsweise hohe Dichte an reinen oder nur mit Voicesamples bespielten Instrumentals verstärkt diesen Eindruck sogar noch. Hört man sich die EP einmal an, stellt man schnell fest, dass Text und Instrumental untrennbar miteinander in Verbindung stehen (eine Eigenart, die übrigens gerade in Rapmusik viel zu selten anzutreffen ist). Denn es unterwirft sich alles, jeder Ton, dem Gesamtprodukt: der Musik! Dass Tua hierbei auf Rap im traditionellen Sinne gänzlich verzichtet und auch das musikalische Endprodukt mit Rapmusik so gut wie gar nichts zu tun hat, ist fast schon selbstredend. Vielmehr bietet sich dem Hörer ein Potpourri verschiedenster musikalischer Einflüsse wie Dubstep, IDM und HipHop, die stilsicher miteinander verschmischt werden, ohne dass dabei der oben erwähnte Wiedererkennungswert eingebüßt wird.


    "Scheiß drauf, ob ich morgen aufwach'/
    Für mich zählt nur jetzt und hier/
    Schön, dass ihr gut auf euch aufpasst/
    Doch bleibt weg von mir/

    ("Raus")


    Dieser Anspruch an die eigene Musik mag dem unaufmerksamen Zuhörer womöglich verborgen bleiben, wer sich jedoch darauf einlässt, genau hinhört, der erkennt schnell, wie viel Detailverliebtheit in den Produktionen steckt. Dabei darf nicht unerwähnt bleiben, mit welcher Sorgfalt er sich verschiedenen Genres bedient. So gelingt es Tua, im Gegensatz zu vielen Kollegen, den für Dubstep leider fast schon dogmatischen Wobble-Bass nicht zum Selbstzweck verkommen zu lassen. Während eine Vielzahl anderer Produzenten, die sich dieser Spielart bedienen, damit derart inflationär und unsensibel umgehen, dass in Autotune-Tradition stehender, allgemeiner Überdruss wohl nur noch eine Frage der Zeit ist, schafft Tua es, gezielt zu betonen und zu pointieren. Da wäre "Babylon", bei dem wohl mit Hintergedanken an das Babylon des Alten Testaments verschiedene Voicesamples so eingespielt und verändert wurden, dass deren Inhalt für den Hörer unverständlich bleibt. Das nur um dann in der treibenden, fast schon wütenden, vom Wobble getragenen Hook, Bässe und Stimmen verschmelzen zu lassen, bis sie nicht mehr klar voneinander zu trennen sind. Das vorhergehende Stück "Moment" wird von einem sanften Piano getragen, das spielerisch unter den Worten Tuas dahingleitet und in einem spannungsgeladenen Finale mündet. Textlich gestaltet sich das Ganze sehr lyrisch, hinterlässt jedoch einen ambivalenten Eindruck, denn Zeilen wie "Es ist nur ein Moment und nicht mehr, den wir nicht fassen und greifen können, unsere Hände sind leer" klingen fast schon nach einer Poesiealbum-Metaphorik. Was bei "Dein Lächeln" als Marianne Rosenberg-Groteske und bei "MDMA" in seiner Zweideutigkeit wunderbar funktioniert hat, wirkt in einem derart nachdenklichen Track schlichtweg zu kitschig. Weniger kryptisch sind die folgenden Anspielstationen; das pragmatische "Nur du zählst", dessen bitterer Nachgeschmack sich erst entfaltet, wenn man sich die drei Worte einmal auf der Zunge zergehen lässt und das unglaublich kraftvolle "MP3 Player", bei dem der Wobble-Bass die fast geschriene Hook nahezu perfekt prononciert.


    "Warum kann man diese MP3-Player nicht lauter machen? Ich will die Welt nicht hör'n"
    ("MP3 Player")


    Mit "Menetekel" bekommt man nun das fast schon einer Tradition folgende pure Pianostück zu hören, was inklusive Vinylrauschen neben all der Elektronik fast wie aus einer anderen Zeit wirkt. Jenes Elektroide, in Kombination mit gezielt eingesetzten, an Burials "Untrue" erinnernden, halllastigen Knarzgeräuschen und blechernen Paukenschlägen, verleiht der EP etwas Dystopisches. Diese Homogenität und Konsequenz schaffen eine äußerst intensive Atmosphäre, bis man sich auf "Stadt aus Heißluftballons" endgültig in einer Jules Verne'schen Zukunftsfiktion wähnt.
    So bleibt festzuhalten, dass Tua mit "Raus" ein weiteres Mal bewiesen hat, wieviel kreatives Potenzial in ihm steckt. Zwar bleibt auch "Raus" durchweg düster und nachdenklich, die spielerische Leichtigkeit jedoch, mit der er sich verschiedensten Genres zu bedienen weiß und diese sinnvoll in sein Klangbild hineinwebt, ist schlichtweg bewundernswert. Man muss sich nur einmal die Symbiose von Snare und Sub-Bass auf "SHSFLS" oder den aus dem Hintergrund aufbrandenen Choral auf "MP3 Player" anhören und man kommt nicht umhin, festzustellen, mit welchem Perfektionismus hier ans Werk gegangen wurde. So hat es zumindest den Anschein, als sei jeder Ton genau da, wo er hin sollte. Da auf "Raus" musikalisch einfach unfassbar viel passiert, sollte man sich bestenfalls selbst ein Bild davon machen. Die Rap-Puristen unter euch, die sich jetzt fragen, warum zum Teufel das Teil rezensiert wurde, obwohl es doch fast gar nichts mit Rap zu tun hat, können diesen Text ja als nett gemeinten Tipp unter Musikliebhabern verstehen.



    disdi (Christian Weins)

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    01. Lauf der Dinge
    02. Solange früher alles besser war bleibt alles beim alten
    03. Geh jetzt weg du redest Dreck
    04. HJ
    05. Mutterficker von Track feat. Audio88 & Yassin
    06. BMI
    07. Oase
    08. Pille danach feat. Keno & Demograffics
    09. Ich habe keine Vorurteile feat. Juse Ju
    10. Jeder 10. Deutsche feat. Edgar Wasser
    11. Findet mich das Glück?
    12. Von vorne feat. Sir Serch
    13. Wo du bist


    Als Mitglied einer etablierten Musikgruppe Solopfade zu beschreiten, erweist sich oftmals als schwieriges Unterfangen. So wird den Soloacts zum Beispiel vorgeworfen, qualitativ zu sehr vom "Hauptprojekt" abzuweichen, es werden endlose Diskussionen darüber geführt, wie der Solokünstler im Vergleich zur Gruppe nun abschneidet, wie man die Soloprojekte der anderen Gruppenmitglieder findet und ob der Sound des Soloalbums nicht vielmehr eine beschnittene Version bisheriger Gruppenveröffentlichungen ist. Bei alldem sollte man im Hinterkopf behalten, dass Solo- und Bandarbeit nicht zwingend etwas miteinander zu tun haben müssen. Bewiesen haben das bereits Formationen wie beispielsweise die Orsons. Auch Fatoni, der den meisten wohl durch seine Mitgliedschaft bei der aus München stammenden und immer wieder als Nachfolger Blumentopfs missverstandenen Crew Creme Fresh bekannt sein dürfte. Dieser legt nun sein erstes Soloalbum vor. Wobei man in diesem Fall kein bis zum letzten Song durchdachtes Konzeptalbum erwarten sollte, denn "Solange früher alles besser war" hat eigentlich eher Mixtape-Charakter. Man hat fast das Gefühl, als wolle der Münchner das verbalisieren, was auf einem Creme Fresh-Release angesichts des in der Vergangenheit eingeschlagenen Weges unangebracht wäre. So zeigt er sich mit der Welt deutlich unversöhnlicher und, man will fast meinen, ehrlicher als auf seinen bisherigen Veröffentlichungen.


    "Generation null Bock/
    Generation Wodka Red Bull/
    Generation MacBook/
    Generation 'Ich mach' jetzt was mit Medien'/
    Generation der in Berlin Lebenden/
    "
    (Fatoni auf "Solange früher alles besser war bleibt alles beim alten")


    Beachtet man diesen Umstand und die Featureliste, so ist es nicht weiter verwunderlich, dass es inhaltlich in Richtung zynischer Sozial- und Szenekritik geht. Bei einer wiederholten Hervorhebung des Protagonisten, dass er dem Alkoholkonsum alles andere als abgeneigt sei, und einem in den 90er Jahren angesiedelten Soundbild, ist eine Zusammenarbeit mit den beiden Vollzeitalkoholikern Audio88 und Yassin eigentlich unausweichlich. Diese liefern auch hier wie gewohnt hochwertige Arbeit ab, was im Klartext heißt: Jeder, der Zugang zu ihrem eigenwilligen Style hat, wird kaum etwas zu bemängeln haben. Der Rest wird mit dem Reim-armen, beinahe Spoken-Word-artigen Rap wenig anfangen können.


    "Ich nenne dich einen Hurensohn/
    Nicht, weil ich denke, dass deine Mutter eine Hure ist/
    Sondern, weil ich weiß, dass es dich aufregt/
    Wenn ich sage, dass deine Mutter eine gottverdammte Hure ist/
    "
    (Audio88 auf "Mutterficker von Track")


    Eine gewisse Korrelation zwischen Fatoni und dem Machwerk der beiden Berliner lässt sich ohnehin nicht abstreiten, da die thematischen Ansätze wie auch die Art und Weise der Künstler, mit Sprache umzugehen, deutliche Parallelen aufweisen. Dies ist hierbei keinesfalls als Vorwurf des Bitens misszuverstehen, sondern vielmehr als Empfehlung. Denn Fatoni setzt (im Gegensatz zu den beiden oben genannten) auf klassische, bisweilen komplexe Reimschemata und auf einen variablen Flow, den er dem Rezipienten auf seine ureigene, sympathisch-schludrige Art in den Gehörgang transportiert. Dass er hierbei auch vor Experimenten nicht zurückschreckt, zeigt der sehr unterhaltsame, ein bisschen an Eins Zwos "Ich so, er so" erinnernde und fast gesprochene Storyteller "Geh jetzt weg du redest Dreck". Neben den obligatorischen Battletracks wie etwa "Jeder 10. Deutsche" (inklusive Edgar Wasser-Feature und Savas-Cut) erweist sich vor allem das vor Sarkasmus nur so strotzende "Ich habe keine Vorurteile" mit Juse Ju als besonders hörenswert. Der Track ist als Mittelfinger in Richtung typischer Gutmenschen zu sehen, welche sich über ihr ach so breites Toleranzspektrum profilieren, ohne die eigentlich offensichtliche Doppelmoral in ihrer Denk- und Handlungsweise zu erkennen. Fatoni und Juse zeigen hier humorvoll und selbstironisch, dass sogenanntes Schubladendenken vor allem eines ist: menschlich. Der rockige, zum Hüftschwung animierende Beat und die mitgröhlbaren Textpassagen lassen zudem auf hohe Gigtauglichkeit hoffen.


    "Du hast dir die DVD von Mario Barth gekauft/
    Ich halte dich für einen Spasten/
    Du magst Nickelback und Unheilig magst du auch/
    Ich halte dich für einen Spasten/"
    (Fatoni auf "Ich habe keine Vorurteile")


    Musikalisch werden Fans von disharmonischen, samplelastigen Beats ohnehin nicht das Geringste zu bemängeln haben, denn The Gunna, Dexter, Monaco Fränzn, Bustla, Provo, Simple Minded und Maniac leisten durchweg hochwertige, kompromisslose Arbeit. Alles in allem erweist sich "Solange früher alles besser war" als ein kantiges, ungeschliffenes Stück Musik, was für Freunde eines solchen Sounds durchaus befriedigend sein sollte. Der Rest, inklusive alteingesessener Creme Fresh-Fans, dürfte mit Fatonis Album so seine Probleme haben, weil es schlichtweg anders ist und man einen in diesem Maße ausfallend werdenden Fatoni bisher lediglich auf den "Feuer über Deutschland"-Auftritten gehört hat. Manch einer könnte, angesichts des unfertigen Charakters der Veröffentlichung, das Prädikat "Album" als eine Art Mogelpackung missverstehen. Solchen Leuten sei jedoch ans Herz gelegt, dass ein so intuitiv anmutender Sound eine eigentümliche Leichtig- und damit einhergehende Zeitlosigkeit erzeugen kann, die gerade in einer so schnelllebigen Szene, wie unsere es ist, von unschätzbarem Wert sein kann. Das hat mich zumindest meine persönliche Hörerfahrung gelehrt. Ob "Solange früher alles besser war" eine vergleichbare Wirkung erzeugen kann, wird die Zukunft zeigen. Das Potenzial ist auf jeden Fall vorhanden.



    disdi (Christian Weins)



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    01. Thunder in Paradise
    02. Hypeatude feat. Noemie
    03. Heil HipHop
    04. Heimweg
    05. Nie mamy czasu feat. Jonathan Jarzyna
    06. Toxic Serch feat. Audio88 & DJ Breaque
    07. Tetris
    08. Discoqueen
    09. Edelhoe 2
    10. Handhoch
    11. Lauf weg feat. Noemie
    12. Eisschollen
    13. Stadt bei Nacht 2


    In Zeiten von MySpacebannergewittern und an die Vorlieben des Individuums angepasste Werbeanzeigen, in der es von sich selbst überschätzenden Rookies nur so wimmelt, sind Künstler, denen man die Schaffensmotivation %uFFFD nämlich eine leidenschaftliche Liebe zur Musik und nicht etwa ein materialistischer Hintergedanke %uFFFD nach nur wenigen Takten anhört, nicht zwingend eine Seltenheit. Man muss jedoch zugeben, dass man sie dank ihrer fast schon zurückhaltenden Promotion nicht unbedingt auf dem Schirm hat. Einer dieser Künstler ist Sir Serch vom P-Berger Indielabel Spokenview Records, das Geschäfte und Musik seit jeher auf freundschaftlicher Basis hielt, aber dennoch für hochwertige Veröffentlichungen abseits des Hauptstroms steht. Mit Antigroove 2 folgt nach dem 2007 erschienenen "Hasenfuß" die Fortsetzung zu dem 2001 noch auf Kassette gespielten Untergrundjuwel Antigroove. Hier präsentiert sich ein Rapper, der sich vor allem mit seinen Storytellern einen Namen gemacht hat, in denen er für gewöhnlich gekonnt zwischen komödiantischen und tragischen Ansätzen zu mäandrieren wusste und dem Hörer immer das Gefühl gegeben hat, als hätte man mit dem Privatmenschen, wie er leibt und lebt, zu tun und nicht etwa mit einer überspitzten oder gar absichtlich verfälschten Inszenierung.


    "Erhebe die Stimme/
    Nichts als Empfindung/
    "
    ("Thunder in Paradise")

    Dank der kollegialen Labelpolitik sind auch die geladenen Gäste und Produzenten nicht weiter verwunderlich; sie stammen bis auf Noemi , eine enge Freundin von Serch und Jonathan Jarzyna %uFFFD allesamt aus dem "Generation Tapedeck"-Umfeld, was für Liebhaber schon seit längerem ein Garant für roughen, samplelastigen Sound ist. Umso ironischer erscheint einem da der von Tillevision produzierte Einstieg "Thunder in Paradise", ein treibendes Ghettobrett, das Sir Serch jedoch nicht in die Verlegenheit bringt, sich in platten Phrasen zu verlieren, die mit einem solchen Klangbild korrelieren würden. Vielmehr erwarten den Hörer ehrlicher Rap, ernste Klänge und ein Protagonist, der sich nicht davor scheut, dem Hörer sein Innerstes zu offenbaren. Leider schafft er es dennoch nicht, auf seinen Parts durchgängig zu überzeugen und so entblößt der erste Song bereits die größte Schwäche des Albums: Serch schafft es gerade bei den witzig gehaltenen Tracks nicht, ein konstantes textliches Niveau zu halten und auch die Qualität der Gags variiert stark. So schafft er es, auf Tracks wie "Toxic Serch (feat. Audio 88)" mit zynischen Zeilen durchaus zu überzeugen, während sein fast schon infantiles Geäffe auf "Heil HipHop" leider Fehl am Platze ist. Nicht nur, weil Rap so platt durch den Kakao zu ziehen schon lange nicht mehr lustig ist, sondern weil es so gar nicht zu Serch zu passen scheint, der sich bei einigen Tracks zwar einer freestylebasierten Arbeitsweise bedient, ohne dabei zu schlechten Resultaten zu gelangen, hier jedoch kläglich scheitert. Und dass jemand wie Serch, der eigentlich den Anschein macht, mit dem Restszenegeschehen wenig am Hut zu haben, sich von "Imagerappern" derart gestört fühlt, dass es ihm anscheinend eine Herzensangelegenheit ist, diese Meinung auf Tracklänge zu verewigen, ist fast schon ein bisschen enttäuschend.


    "Ich bin so Rap, ihr seid nicht Rap und ich rap einfach am krassesten/"
    ("Heil HipHop")


    Zum Glück ist sein Talent, Geschichten zu erzählen, von beständiger Natur und so erweisen sich seine Storyteller als wahre Kleinode deutschen Sprechgesangs. Dergestalt schafft Sir Serch es einerseits, mit sehr bildhafter Sprache zu überzeugen, ohne zu sehr in eine Pseudodeepness abzudriften, andererseits schafft er es gekonnt, Situationen aus seinem und dem Hauptstadtleben sehr lebensnah und unverfälscht auf Papier zu bannen.


    "In der Ferne hört man Jazz, mein Interesse wird geweckt/
    Ich wechsel' meine Richtung und nähere mich den Klängen/
    Archie Shepp, Coltrane oder Rahsaan Roland Kirk/
    Es ist nicht klar zu entnehmen, wem dieses Saxophon gehört/
    "
    ("Stadt bei Nacht 2")


    Generell kann man Antigroove 2 als eine eigentümliche Mischung aus einer Ode und einem Abgesang an Berlin betrachten. Dass hier beide Seiten der Medaille unverblümt dargelegt werden, ist angesichts Sir Serchs Angewohnheit, den Hörer stets sehr persönlich an seiner Lebenswirklichkeit teilhaben zu lassen, nicht weiter verwunderlich. Dass man jedoch auch keine klassisch platten Postleitzahlenrepresenter zu hören bekommt, dürfte dem aufmerksamen Leser bereits gedämmert haben. Vielmehr zeichnet Serch ein ambivalentes Bild von der Großstadt. So präsentiert er sich auf einigen Tracks voller Faszination und Liebe, in anderen Tracks äußert er sich jedoch kritisch gegenüber aufgesetztem Szenegehabe und zeigt sich dem Großstadtmärchen überdrüssig.


    "Die Schickeria presst sich den Mett in den Mastdarm/
    Ich muss weg aus der Stadt, man, weg hier, fuck, man/
    "
    ("Hypeatude" feat. Noemi)


    Beattechnisch ist Antigroove 2 durchgängig auf äußerst hohem Niveau und für Freunde der Neunziger gibt es das ein oder andere Schätzchen zu entdecken, was mit einem Blick auf die Produzentenliste sofort begründet wird. An den Reglern sitzen Tillevision, A Kid Called Drum, Dra-Q und Hiobs Alter Ego Hieronymuz. Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass Sir Serch mit Antigroove 2 nicht der ganz große Wurf gelungen ist, was aber angesichts der Tatsache, dass er das wahrscheinlich niemals vorgehabt hatte und die durch seine charmante Art geweckte Sympathie eigentlich zu verschmerzen ist. Ein echtes Highlight abseits des Rampenlichts!



    disdi (Christian Weins)

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    01. Intro – Kool Savas
    02. Kooler Savas Diss
    03. Omis im Bus feat. Hr. Günther
    04. Sand bei – Sido
    05. Catchy Hook
    06. Motherfucka feat. Olli Banjo
    07. Skit
    08. Online komm
    09. Beedet
    10. Skit
    11. Sprachfehler feat. Doreen
    12. Vera Wolf
    13. Sprachfehler Remix (Artillery Remix)
    14. Skit
    15. Beischlafe nicht mit TAAHM 2


    Auf dem Nachfolger der "Two and a half man"-EP von Hammer & Zirkel und Liquit Walker erwartet den Hörer eine nahtlose Fortsetzung des ersten Teils, nur diesmal ganz ohne ernste Töne, das wiederum heißt, dass die beiden Erzieher und der Underdog mit der Unterstützung einiger Gaststars wie Kool Savas, Sido und Olli Banjo auf Beats von Sneezybeats, Dirty Dasmo, 7Inch, Artillery und KD Supier ein bisschen herumblödeln und dabei unseren geliebten HipHop durch den Kakao ziehen. Wer den Vorgänger gehört hat, wird also wissen, was auf ihn zukommt.


    Die EP beginnt mit einem Telefongespräch zwischen G-Fu und Savas, in dem Letztgenannter um Feedback zur "Two and a half man"-EP und um Tipps für den geplanten zweiten Teil gebeten wird, was in dem augenzwinkernden Hinweis mündet, einen berühmten deutschen Rapper zu dissen, um die eigene Bekanntheit zu steigern. Darauf folgt – man ahnt es schon – ein "Kooler Savas Diss", der technisch zwar überzeugt, dessen Gag durch eher hanebüchene Zeilen gegen den "King of Rap" jedoch nicht recht zu zünden weiß. Die Autotune-Hook macht das Ganze nicht besser, denn es ist nicht nur so, dass der eigentliche Effekt zum Skippen animiert, nein, es ist schon soweit (und das trifft im Übrigen auch auf Beef in Rapdeutschland zu), dass sogar die eigene Parodie unerträglich langweilig geworden ist. Nach diesem eher misslungenen Einstieg geht es glücklicherweise bergauf, denn es folgt die "Fuffies im Club"-Verballhornung "Omis im Bus", in der es – ja, ihr lest richtig – darum geht, Omis durch den Bus zu werfen. Was sich zunächst einmal gnadenlos flach anhört, erweist sich im Vergleich mit dem Original, ähnlich wie die "Schlechtes Vorbild"-Karikatur auf dem Vorgänger, als äußerst unterhaltsam.


    "Sie zählt ihr Geld, während ein Cent runterfällt/
    Sie kann's sich leisten, weil der Fahrer gerade hält/
    So 'n Bus mit Kasse ist 'ne ganz andre Welt/
    Als die sechs Reihen bei Kaiser, wenn der Köter draußen bellt/"
    (Liquit Walker auf "Omis im Bus")


    Die folgenden Tracks "Catchy Hook" und "Motherfucka" mit Olli Banjo zeigen, dass es ohne karikierbares Vorbild wesentlich schwieriger ist, den Zuhörer zum Lachen zu bringen, was nicht heißen soll, die beiden Stücke seien schlecht – sie sind im Bereich des oberen Durchschnitts anzusiedeln –, sondern vielmehr, dass die wirklichen Parodien die klaren Highlights der Platte sind. So auch eine zweite, sexuell anstößigere, aber nicht weniger unterhaltsame Version des "TAAHM 1"-Hits "Online komm", der etwas anderen Interpretation von Lionel Richies Klassiker "All Night Long" sowie die wirklich lustige "Beat It"-Persiflage "Beedet", mit der die Protagonisten mit sympathischer Berliner Schnauze vor allem denjenigen helfen werden, die Probleme haben, Entscheidungen zu treffen.


    "Netz an, Tür zu, Jalousie, Startschuss/
    Hose aus, doch auf keinen Fall barfuß/
    YouPorn, RedTube, Tubebabe, Pornhub/
    Zewa-Rolle, du weißt, was ich vorhab'/"
    (Liquit Walker auf "Online Komm")


    Die durchweg komisch gehaltenen Lyrics werden – konsequenterweise – durch unaufdringliche, heitere Arrangements ergänzt, die wie bei dem von Dirty Dasmo und Sneezybeats produzierten Track "Catchy Hook" entscheidend zur Pointierung beitragen.


    "Ja, von wegen 'Hammer, Mann, wir machen mal 'nen Punchline-Song!'/
    Wie soll ick denn auf diesem Rotzbeat mit Punchlines komm'/
    Dasmo, Mann, dat haste doch mit Absicht so jemacht/
    Oder Liquit, damit der noch 'ne Chance gegen mich hat/"
    (G-Fu auf "Catchy Hook")


    Fazit:
    Wie diese Zeilen recht gut verdeutlichen, durchzieht den ganzen Tonträger eine Albernheit, die ihn zu einer Momentaufnahme zu machen scheint; man hat weniger das Gefühl, dass hinter dem Tape irgendeine kommerzielle Motivation steckt, sondern die Aufnahmen erwecken vielmehr den Eindruck, als hätten sich eine Hand voll Freunde getroffen und ungezwungen im Studio abgehangen – wie es das letzte Album von Hammer & Zirkel schon im Titel verrät: "Wir sind Freunde und darum machen wir Musik". Mit dieser Herangehensweise schöpft TAAHM 2 aus demselben Quell des Charmes wie schon der Vorgänger oder auch das erste Orsons-Album. Diese Empfindung findet sich vor allem in den Skits, Zwischenrufen und Dialogen bestätigt, die anfangs zwar zu einer erfrischenden Kurzweiligkeit beitragen, nach einigen Hördurchläufen jedoch schon starke Abnutzungserscheinungen erkennen lassen. Mit diesen hat eigentlich jeder Tonträger, der sich ausschließlich komischer Elemente bedient, zu kämpfen, weshalb sich eine EP als klug gewähltes Format für eine solche Interpretation von HipHop erweist. Was auf dieser EP recht gut gelingen will, dem würde es auf Albumlänge schlicht an Tiefe und Originalität mangeln. Also muss man weiter auf ein Release von Hammer & Zirkel warten, das ohne ernstzunehmende Ausfälle auskommt, denn ihr musikalischer Ansatz hat durchaus Potential und ist schon jetzt eine Bereicherung für diese bierernste Szene. Und dass man Liquit Walker ohnehin auf dem Schirm haben sollte, war doch allerspätestens beim Vorgänger klar.



    disdi (Christian Weins)




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    01. Intro
    02. Die Ankunft
    03. Der wahre Messias feat. Absztrakkt
    04. Der Baum feat. Hiob
    05. Mordshunger feat. DJ D-Fekt
    06. Buffalo Bill
    07. Fieber feat. Choleriker
    08. Galgenberg
    09. Der Stein feat. Hiob
    10. Sündenfall
    11. Wende den Blick ab Part 1 + 2 feat. DJ D-Fekt
    12. Portwein feat. Hiob, R.U.F.F.K.I.D.D & JAW
    13. Die Röhre
    14. Die Taube
    15. Herkunft
    16. Interlude
    17. Der Schatten
    18. Outro
    19. Vorsuppe feat. DJ D-Fekt
    20. Der obligatorische Ritt in den Sonnenuntergang (richtiges Outro)


    Panem et circenses. Brot und Zirkusspiele. Mit diesen Worten übte dereinst der römische Dichter Juvenal Kritik an der dekadenten, ignoranten römischen Gesellschaft, deren Ambitionen, am politischen und kulturellen Leben teilzunehmen, durch Festmahle und den Zirkusbesuch unterdrückt wurde. Der schreckliche Wahrheitsgehalt dieser Formulierung fand in den grausamen Wagenrennen, Gladiatorenkämpfen und der Tierhetze im Circus Maximus, dem größten Veranstaltungsgebäude im antiken Rom, seinen Höhepunkt. Welche Inhalte mag ein Album haben, das nach diesem monumentalen Bauwerk benannt ist? Bewahrheiten sich die oben beschriebenen blutigen Assoziationen, die der Titel erweckt, und Morlockk Dilemma läuft "mit schwingendem Säbel/ in die Indieszene" – soll heißen: wie Russel Crowe im Arenasand –, wäre der Tonträger eine nahtlose Fortsetzung seiner letzten Veröffentlichung "Der Eiserne Besen" und Dilemma würde sich dem Hörer als reiner Battlerapper präsentieren. Erweist sich das mit dem Album verbundene Anliegen jedoch in der Tradition des eingangs zitierten Juvenal, so könnte man es wohl eher mit dem Vorvorgänger "Apokalypse Jetzt!" vergleichen und dem Hörer böte sich verschwörerische Gesellschaftskritik, ebenso intelligent wie düster. Nun ist das Themenspektrum, gerade bei einer derart stilisierten und überzeichneten Figur wie Morlockk Dilemma, nicht gerade unerschöpflich; sein neuester Wurf beinhaltet stilistische Elemente aus den beiden vorhergegangenen Veröffentlichungen und erweitert diese durch einen zuletzt auf "Omnipotenz in D-Moll" hörbaren, bodenständigen humoristisch-satirischen Einschlag, der beispielsweise auf "Sündenfall" erkennbar ist.
    Dass man dennoch nicht von einer künstlerischen Regression sprechen kann, beweist seine enorme, beinahe bis zur Perfektion herangereifte sprachliche Weiterentwicklung, die sich nicht zuletzt auf dem Opener "Die Ankunft" ausmachen lässt, auf dem Morlockk über einem typisch Dilemma'schen Rumpelbeat, jedoch mit ungewohnt tiefer Stimme, aus einem für Deutschrap erfrischend umfangreichen Vokabular zu schöpfen vermag.


    "Sein Kommen war beschrieben in Büchern/
    Überliefert in Mythen, hinter sieben Siegeln behütet/
    Sein wütendes Mienenspiel zierte griechische Büsten/
    Jetzt war er niedergestiegen – als biblische Prüfung/"
    Morlockk Dilemma auf "Die Ankunft"


    Wes' Geistes Kind der 30-Jährige ist, zeigt sich spätestens bei einem Blick auf die Featureliste, auf der sich mit Hiob, Absztrakkt, R.U.F.F.K.I.D.D, JAW und Choleriker die gewohnte Schar misanthropischer, soziopathischer Untergundphänomene tummelt, die ebenso gewohnte Qualitätsware abliefert, obwohl Choleriker die Wonne eines ganzen Verses verwehrt blieb. Der Fokus liegt natürlich dennoch auf dem "Josef Stalin der Herzen", der in seinem unverkennbaren Stakkato-Flow bissige Parabeln ("Der Baum") ebenso gekonnt spuckt wie bösartige Battletexte, wobei diese nicht durchgehend das Niveau vergleichbaren Liedguts aus seiner eigenen Diskografie halten können und man den Protagonisten auf "Buffalo Bill" sogar der Ursünde eines jeden Reimers überführt, nämlich des Zweckreims. Aus diesem Grund bilden die inhaltlich innovativeren Anspielstationen wie etwa "Die Taube", welches die Symbolkraft des auch auf dem Cover vertetenen Vogels zynisch beleuchtet, die eindeutigen Höhepunkte dieses großartigen Albums.


    "Sie bauten die Hoffnung auf blutiger Asche/
    Und sangen Lieder des Vergessens mit dem Mut der Verlass'nen/
    Aus diesem Szenario steigt sie empor/
    Eine weiße Taube – sie wirft sich in den peitschenden Sturm/"
    Morlockk Dilemma auf "Die Taube"


    Dass mit dem fleißig scratchenden DJ D-Fekt jemand ins Boot geholt wurde, der die beinahe frühRZA'schen Bumm-Tschak-Rumpeleien sinnvoll akzentuiert, scheint bei der schon irgendwie kulturbewahrenden Ausstrahlung, die Dilemma und seine geistige Heimat Spoken View Records versprühen, eigentlich nur folgerichtig. Und neben all den geautotunten, hoch- und runtergepitchten "Hooklines", die ein Großteil der Konkurrenz so zu bieten hat, sind Cuts ja schon beinahe wieder revolutionär.


    Fazit:
    "Circus Maximus" bedeutet, dass die Reihe wirklich herausragender Veröffentlichungen aus der Feder Morlockk Dilemmas vorerst nicht abreißt, ganz im Gegenteil. Auch nach zahllosen Releases versteht es das Leipziger Allroundtalent wie kaum ein anderer, dem sogenannten "Spiel" inhaltliche und konzeptionelle Impulse zu geben, ohne jedoch zu versuchen, dessen musikalische Grenzen neu auszuloten. Den Golden Era-Fetischisten, Cratediggern und Freunden artverwandter Musiker wie etwa der Kölner Entourage-Business-Kollegen dürfte Morlockks kantiges Gepolter Freudentränen in die Augen treiben. Die Conscious-Jünger und Studentenrapper werden nicht umhinkommen, ihm trotz sexuell expliziter Inhalte einen enormen Grad an Weitsicht und Belesenheit zu attestieren, und selbst dem ignorantesten Kollegah- oder Farid Bang-Groupie sollte bei derartigen Reimketten und Um-die-Ecke-Vergleichen vor Ehrfucht die (Sonnenbank-)Bräune verblassen.
    Und wer sich nach all den Jahren und unzähligen Interviewfragen zu genau dieser Thematik immer noch über die Vortragsweise Dilemmas beschwert, hat das Gesamtkunstwerk Morlockk Dilemma derart missverstanden, dass ebendieser vermutlich gern darauf verzichtet, solche Leute zu seiner Fangemeinde zu zählen.



    (Christian Weins)

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    01. Intro
    02. Hey
    03. Dieser Sommer wird heiß
    04. Ich gebe niemals auf
    05. Bulletproof feat. Farid Bang, Massiv, Beirut, Al-Gear
    06. Puff puff puff
    07. Kai Ebel Style
    08. Breakdance feat. Frauenarzt
    09. Alles im Lot 2 feat. Ado
    10. Swagger like moi feat. Money Boy
    11. No homo
    12. Der Beste den du kennst
    13. Die oberen 10.000 feat. Tatwaffe
    14. Freezeynius Institut
    15. Ek Flow
    16. Public Enemy No.1
    17. Es ist nicht einfach
    18. Rückkehr des Königs feat. Baåder-Meinhøf Bande & Emory
    19. Landsleute 2 feat. Summer Cem



    Wir schreiben das Jahr 2011. Es gibt seit mittlerweile über 20 Jahren deutschsprachigen HipHop, der sich dem interessierten Konsumenten %uFFFD wie für ein derart junges und vor allem derart vielseitiges Genre üblich oder sogar erwünscht %uFFFD in den mannigfaltigsten Formen und Farben präsentiert. Dass das Qualitätsspektrum in etwa der Anzahl an Releases entspricht und das Internet es ermöglichte, dass jeder noch so unambitionierte Sprechgesangsversuch seinen Weg ans Tageslicht findet, erscheint hier nur folgerichtig. Wenn man als Konsument mit einer derartigen Masse an Tonträgern überschwemmt wird, gehört zu den naheliegendsten Reaktionen sich betreffend Qualität eines Produktes der fachkundigen Meinung der Blogosphäre, der allseits beliebten Online-Magazine oder der tapfer kämpfenden Printmedien hinzugeben. Verzichtet man auf diesen Schritt, so greift man mit Vorliebe auf Altbekannte zurück, die bestenfalls durch langjährige Erfahrung glänzen können und deren Namen somit zum Qualitätsgarant avancieren. Eigentlich. Denn auch unter dieser vermeintlich elitären Riege findet sich der ein oder andere, der unser musikalisches Labsal mit Sneakern tritt und liebloses Geschreibsel auf Plastik-Instrumentals veröffentlicht. Da es sich bei Eko Freshs neuestem Wurf "Freezy Bumaye 2.0 %uFFFD Es war alles meine Idee" um solches Liedgut handelt, sehe ich es als (Hobby-)Journalist als meine Pflicht an, die hier eventuell vertretene Hörer- und Kundschaft im Voraus zu warnen.


    Nach dem ersten Hördurchgang erscheint einem der Untertitel des Tapes schon beinahe als Beleidigung, da, von den (meisten) Featureparts mal abgesehen, kein Track positiv in Erinnerung bleibt. Als Rezipient und %uFFFD schlimmer noch %uFFFD als Käufer fragt man sich missmutig: "Es war alles seine Idee? Was war denn seine Idee?!"
    Es war also beispielsweise seine Idee, vollständig auf eine inhaltliche Verknüpfung der verfassten Zeilen zu verzichten? Bei den dargebotenen Zweckreimkanonaden würde man dieser Aussage bedenkenlos zustimmen. Die lyrischen Ergüsse des Herrn Bora scheinen die Abtreibung für jede Bedeutungsschwangerschaft zu sein. (Ein zufällig ausgewählter Track wird im Folgenden zitiert.)


    "Deine Jungs feiern und ziehen eine Linie durch/
    Währenddessen zieh' ich hier meine Linie durch/
    Vierzig Pokale, Kirschlimonade/
    Wir reiten in die Wälder, um paar Hirsche zu jagen/"
    (Eko Fresh auf "Freezeynius Institut")


    Es war also seine Idee, zu versuchen, die letzten Ausläufer des Atzenmusik-Hypes kommerziell auszuschlachten, in der Illusion, 2011 würde sich noch irgendjemand über eine Kick auf jedem Viertelschlag und ein Frauenarzt-Feature freuen? Wobei "Breakdance" nicht nur dieses Kriterium erfüllt, denn mit einem solchen Kracher hat man den für jedes belang- und einfallslose Mixtape obligatorischen Partytrack ebenfalls eingetütet: Zwei Fliegen mit einer Clap.


    "Eko Freezy, Breakdance-Crew/
    Es sind schon alle da, jetzt fehlst nur du/
    Mein Atze Frauenarzt, es geht uns gut/"
    (Eko Fresh auf "Breakdance Crew")


    In diesem Zusammenhang sollte auch das Feature des vielerorts belächelten Money Boys nicht unerwähnt bleiben. Interessant ist hierbei nämlich die entlarvende Wirkung dieses längst nicht mehr szeneinternen Running Gags. Gerade durch eine Zusammenarbeit mit einem Künstler wie Eko Fresh gelingt es dem Österreicher, ob nun gewollt oder nicht, Deutschrap einen Spiegel vorzuhalten: Denn so traurig diese Erkenntnis auch sein mag, der qualitative Spalt zwischen einem Money Boy und einem Eko Fresh ist nicht so groß, wie man vielleicht vermuten würde.


    "Spiele auf dem Flügel, ich glaub', mir wachsen Flügel/
    Im Museum benennt man nach mir einen Flügel/
    "
    (Eko Fresh auf "Der Beste den du kennst")


    "Wenn ihr Money seht, wie er grad sein Money zählt/
    Das ist Money-Rap, weil ich über Money rapp'/"
    (Money Boy auf "Swagger like moi")


    Eigentlich ist das gesamte Ergebnis ziemlich schade, denn Monroe, Illthinker, Phat Crispy, ZH Beats und die Bounce Brothas haben sich im Grunde wenig vorzuwerfen. Die offensichtliche Prämisse und konsequente Fortführung des ersten (deutlich besseren) Teils %uFFFD bei dem Eko noch Übersee-Beats berappte , einen Dipset'schen Sound ins Deutsche zu adaptieren, ist ihnen größtenteils gelungen. Und auch die Gastparts sind bis auf wenige Ausnahmen (Al Gear, Frauenarzt) zumindest durchwachsen.


    Fazit:
    Mit "Freezy Bumaye 2.0 %uFFFD Es war alles meine Idee" wollte GD-Evangelist Eko Fresh das aktuelle amerikanische Soundbild parodieren, ihm vielleicht sogar ein Denkmal setzen. Beachtet man hierbei, welche inhaltlichen Parallelen sich zu Ekos gewohnten Pfaden aufzeigen lassen, und zieht man sein ihn auszeichnendes, vor Arroganz nur so strotzendes Organ hinzu, so sieht man, dass er das nötige Rüstzeug, dieses Vorhaben zu verwirklichen, gehabt hätte. Es ist ihm jedoch nicht im Entferntesten gelungen! Statt einer gewitzten Hommage, einer sympathischen Parodie, wird Eko zu einer Karikatur seiner selbst. Wenn man bedenkt, dass der gute Ekrem ja eigentlich ein technisch versierter Rapper ist und sicherlich auch ein dufter Typ, bleibt es umso schleierhafter, wie er ohne einen Anflug von Schamesröte etwas Derartiges veröffentlichen kann. Auf diese Weise bleibt der German Dream jedenfalls bis auf unbestimmte Zeit unerfüllt.



    (Christian Weins)

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    01. Anfang
    02. Santa Pauli Patriot
    03. Waffenfreie Zone
    04. S.A.K.
    05. Zeitbombe (Skit)
    06. Fick die Welt
    07. Unterdrückt
    08. Tränen feat. Reeperbahn Kareem
    09. Geld regiert die Welt feat. Blacky White
    10. Nate57
    11. Im Kreis
    12. Zieh dich ab feat. Collin
    13. Bandit
    14. Träume feat. Telly Tellz
    15. Es tut mir leid
    16. Gefährliches Mädchen feat. BoZ
    17. Ende


    Nate 57. Kaum einen Namen liest man so oft wie den des jungen Hamburgers, der, gesegnet durch Talentbekundungen von Szenegrößen wie Fler, Sido, Kool Savas, Samy Deluxe und sogar Jan Delay, zur Galeonsfigur, zur Hoffnung der vielgeforderten neuen Generation technisch-versierten Straßenraps zu werden scheint. Eine Formulierung, die beinahe schon zur Formel geworden ist für die Rettung des Genres aus der endgültigen Belanglosigkeit. Trotz der zahlreichen, prominenten Gönner hält der Paulianer es erstaunlich familiär, indem er alle Gastbeiträge und Produktionen aus seinem direktem Umfeld bezieht und bisher sämtliche Featureanfragen, sogar von Großverdienern wie Sido, ablehnte. Damit, dass ein Buzz dieses Ausmaßes die Erwartungshaltung enorm erhöht und die Ohren der Kritiker weiter sensibillisiert, muss der Künstler wohl leben. Und ob sein Debüt dem Hype gerecht oder schlussendlich von ihm überollt wird, soll diese Rezension näher untersuchen.


    Der Longplayer beginnt mit einem Tonausschnitt aus dem Spielfim "Der letzte Lude", in dem vom "alten Kiez" gesprochen wird, einem Ort "von Ehre, von Faustkampf, von Mann gegen Mann". Ein Bild, welches gleich nach dem ersten Vers überholt und nach einem Hördurchgang des gesamten Langspielers vollständig widerlegt wird. Denn Nathan Pedreira rappt vom kriminellen Alltag der Hamburger Unterschicht, der sich schon lange nicht mehr durch Schlagwörter wie Ehre, Faustkampf oder Mann gegen Mann beschreiben lässt. Stattdessen ist von Skrupellosigkeit die Rede, von Drogenhandel, Raubüberfällen und Messerstechereien.


    "Hier gibt's Hehlerei, Waffenhandel, Prostitution/
    Die Cops wollen uns hol'n/
    Paranoide Gedanken und trotz des Verbots wird immernoch am Hafen/
    Mit Butterflys hantiert, bis sie uns verhaften/
    "
    ("Waffenfreie Zone")


    Im zweiten Track, der Lokalhymne "Santa Pauli Patriot", wird durch skizzenhafte Beschreibung des direkten Wohn- und Lebensumfeldes des Protagonisten nicht nur eine visuelle Greifbarkeit und eine in sich schlüssige Atmosphäre erschaffen, sondern durch das Representen des eigenen Kiezes, das Representen Hamburgs, eine neue Ära Hamburger Rapmusik eingeleutet. Suggerierte man die Nordstadt bisher fast ausschließlich mit der eher mittelständischen Mongo-Clikke oder gar den Gesichtern der auf Chartkompatibilität ausgelegten Fast-Rapkapelle Fettes Brot, wird mit dem Release von "Stress aufm Kiez" der Grundstein dazu gelegt, dass einem bei Rap aus Hamburg fortan ein schwarzer St.Pauli- oder Rattos Locos-Pullover in den Sinn kommt.


    "Hier wirst du dein Geld los, Partys auf der Meile/
    Nach dem Raubzug feiern Piraten in der Kneipe/
    Schreie aus'm Stadion: Nicht mehr lange, bis Randale kommt/
    Altbaubuden und keine Pavillions/
    "
    ("Santa Pauli Patriot")


    Als möglichen Grund für einen Teil des um ihn entstandenen Hypes nennt Nate 57 seinen "politischen Ansatz". Dass dieser sehr linksgeartet ist, erscheint bei dem Wohnumfeld, welches seit jeher als linksorientiert gilt, und dessen "linke" Geschichte sich bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurückverfolgen lässt, nur als logische Konsequenz. Dieser sogennante politische Ansatz ("Fick die Welt", "Unterdrückt")zeigt sich jedoch nicht in fundierten, politischen Kenntnissen oder nachvollziehbaren Lösungsansätzen, sondern exprimiert sich vor allem in mangeldem Reflexionsgrad, blinder Wut und schon beinahe hanebüchenen (Verschwörungs-)Theorien:


    "Guck, die Medien machen Gehirnwäsche, Materialismus/
    Wird gefördert, überall, so wie Faschismus/
    Ihr wisst es nur noch nicht, seht jetzt einen Präsidenten, er ist schwarz/
    USA, er hätte es nie geschafft, hätten sie ihn nicht bezahlt/
    "
    ("Fick die Welt")


    Da es einleuchtend ist, dass es Nate mit blutjungen 20 Jahren an Weitsicht, Lebenserfahrung und Bildung mangelt, um etwa ein Marx'sches Kapital zu verfassen, lassen diese Tracks dem Künstler nichts von seiner Authentizität einbüßen, sondern zeigen, ganz im Gegenteil, wie eine frustrierte Jugend auf für sie verschleierte, politische Zusammenhänge blickt. Die mangelnde Reife des Paulianers zeigt sich auch in der Beziehungskiste ("Es tut mir leid"), welche unpassend kalt ausfällt und durch seine Fixierung auf die Notwendigkeit des Straßenlebens eher am Thema vorbei zu gehen scheint.


    "Es tut mir leid, dass ich scheiße mit dir geredet hab/
    Der Frust von der Straße, der mir an der Seele nagt/
    Doch ich kann dir nicht immer alles erzählen/
    Da musst du mich verstehen, war ich weg, hast du die Stunden gezählt/
    "
    ("Es tut mir leid")


    Hauptkritikpunkt der sonst überdurchschnittlichen Platte sind die Produktionen, die bis auf zwei Ausnahmen (von Telly Tellz) der Feder von Nates Bruder Blacky White entsprangen. Sein Anspruch an die Erschaffung eines lokalen Soundbilds, eines "Piratensounds", hat zwar durchaus Potenzial und ist auf einigen Produktionen auch erkennbar, doch klingen Whites Beats für eine Verwirklichung dieser Idee zu stark nach kostenfreien VST-Instrumenten und dilettantischen Masteringversuchen. Abgesehen von diesem Wermutstropfen ist Stress aufm Kiez, wenn es auch unter den hypeverschuldeten Erwartungen zurückbleibt, ein rundes Ding, auf dem sich ein aufstrebender Newcomer gekonnt in Szene zu setzen weiß und technisch vor allem mit seinem vielseitigen Flow und komplexen Reimstrukturen beeindruckt. Da ist zwar noch Luft nach oben, aber der Kerl ist ja noch jung.



    disdi (Christian Weins)

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    01. Intro
    02. Ab jetzt
    03. Ein einziges Mal
    04. Zu viel Zeit
    05. Zweiundzwanzigjetzt
    06. Ursache/Wirkung (feat. Flip)
    07. Brief aus der Leere
    08. Faserland
    09. Gelbgrünblau
    10. Dunkelblauundgelb
    11. Einatmen, ausatmen
    12. Wahllose Szenen (feat. Maeckes)
    13. Halt es fest
    14. Beautiful Day (feat. Deniz)
    15. Alles gut
    16. Was bleibt



    Schon im Intro seines nicht mehr ganz so neuen Wurfs "Blur" erwähnt Gerard MC das "Lebensgefühl einer Generation". Eine Generation, die vom Rausch bestimmt ist. Von wilden Partys und Exzessen. Eine, die geplagt ist von Zukunftsängsten bis hin zu Perspektivlosigkeit.


    Ein solches Bild vermitteln zumindest die 16 von Fid Mella, Mainloop, clefco, Gerard MC selbst, DJ GQ, saiko und Maeckes produzierten Anspielstationen, welche dem Albumtitel durch ein Verwischen der gängigen Grenzen zwischen HipHop, Elektro und Rockmusik eine gewisse Doppeldeutigkeit verleihen. Wer nun eine sozialkritisch behaftete Milieustudie der urbanen U30er erwartet, wird wohl bitter enttäuscht werden. Denn als Produkt oben genannter Generation macht der Österreicher "Blur" nicht nur zum Ab-, sondern auch zum Selbstbild, in dem er hörbar persönlich Erlebtes in seinen Texten verarbeitet. Dies wird beispielsweise in "Brief aus der Leere" deutlich, einem Stück über die Verflossene, bei welchem trotz tausendfach recycelter Thematik Sätze wie "und jetzt steck dir dein 'Lass uns Freunde bleiben' einfach mal schön in' Arsch" klingen, als seien sie im Wortgefecht soeben hinausgespien worden. Zudem lässt sich in der Zerrissen- oder eben Verwischtheit der Themendarstellung – in diesem Fall ein Wechselspiel zwischen positiv und negativ gefärbter Retrospektive – ein Motiv erkennen, welches auf diesem Album mehr als einmal den Gedanken- oder Handlungstrang bestimmt. So auch in "Ab jetzt", das die Entscheidung vertont, ein Leben als Künstler zu führen.


    "Ab jetzt geht Kunst über Vernunft/
    Kunst über meine Zukunft/
    Kunst über Sicherheit/
    Kunst über Sich-sicher-sein/
    "
    "Ab jetzt"


    Mögliche Spätfolgen dieser Entscheidung werden mit zwinkerndem Auge auf "Zu viel Zeit" behandelt, indem der Wiener sich aus Langeweile, begleitet von einem rockigen Instrumental und einer wunderbar unbeschwerten Ohrwurmhook, auf die Suche nach dem Sinn des Lebens begibt, um schließlich über den Besuch eines Bibelkreises und einer Begegnung mit den Zeugen Jehovas wieder zu Hause anzukommen, ohne jedoch eine Antwort gefunden zu haben.


    "Logg' mich lieber wieder bei meinem Facebook ein/
    Schreib' in meinen Status 'Mission erfolglos! Ich bin wieder daheim'/
    "


    Dass bei einem gediegenem Künstlerleben auch der Exzess nicht zu kurz zu kommen scheint, zeigt sich in den Stücken "Gelbgrünblau" und "Dunkelblauundgelb", die zunächst zahllose Eindrücke einer durchzechten Clubnacht beschreiben und schließlich im zweitgenannten Track den durch diverse Rauschmittel erschwerten Heimweg und das Gefühl, in dem Gedanken runterzukommen, dass man in der folgenden Woche wieder ein funktionierender Teil der Gesellschaft zu sein hat. In die gleiche Kerbe schlägt "Wahllose Szenen" mit Chimperators Maeckes, worauf die beiden, gemäß des Titels, einzelne Erinnerungsfetzen einer stark berauschten Nacht wiedergeben.


    "Wahllose Szenen aneinandergereiht/
    Bilden die Vergangenheit eines wahllosen Lebens/
    Blackouts, alptraumartig/
    Leben im Shuffle-Modus. Egal, ich lass' es zu/
    "
    Maeckes auf "Wahllose Szenen"


    Mit dem letzten Stück erreicht das Album seinen lyrischen als auch emotionalen Höhepunkt. In "Was bleibt" verbalisiert Gerard MC die Resignation und die Fragen, die ein Verlust mit sich bringt. Das gestaltet sich derart eindrucksvoll, dass es wohl am besten für sich selbst spricht:


    "Der Sessel bleibt leer und das Zimmer bleibt dunkel/
    Und wenn man in Zukunft drüber spricht, wird's wohl immer 'n bisschen ungut/
    In ein paar Wochen, wenn's dann endlich wieder mal lustig ist/
    Wird's trotzdem so sein, dass es immer in der Luft liegt/
    "
    "Was bleibt"


    Betrachtet man "Blur" von der technischen Seite, so muss man es als durchschnittlich bezeichnen. Während die Reimschemata bisweilen sehr komplex sind, ist der Flow mancherorts etwas holprig, so dass die Textpassagen manchmal sogar regelrecht hingerotzt wirken. Aber gerade das verschafft dem Album etwas Spontanes, Ungeplantes. Und dieser beinahe unfertige Eindruck des Werkes macht einen Teil seines Charmes aus. Dass man dieses Album nicht an seiner technischen Seite messen sollte, wird einem spätestens dann klar, wenn der Protagonist den akustisch und verbal vertretenen Maeckes als Inspirationsquelle nennt. Bei solchen Einflüssen erwartet man vor allem Innovation, Experimentierfreudigkeit und ein Stück Bohemienhaftes. Diese Erwartungen werden vollauf erfüllt!



    disdi (Christian Weins)

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    01. Antihelden - Intro
    02. Dra-Q - True School feat. Boom Bap Project
    03. Antihelden - Arrogunz feat. Da Flexiblez
    04. Abroo - Lost battles feat. Outerspace
    05. Antihelden - Geh **** dich Exklusiv RMX feat. Conny Walker
    06. Dra-Q - Rewind that shit feat. Damion Davis
    07. Abroo - Himmel & Hölle
    08. Dra-Q - Im Namen Gottes
    09. Abroo - Hier hört der Spaß auf feat. Reef The Lost Cauze
    10. Dra-Q - 16 Zeilen unreleased 1999
    11. Abroo - Es reicht feat. Morlockk Dilemma & Damion Davis
    12. Krisenstab - Tote Sonnen feat. Cecile (Mellowbag)
    13. Abroo - Volume Up feat. Mortis One & Termanology
    14. Antihelden - Kräuterslang Exklusiv RMX feat. Mortis One
    15. Abroo - Kein Mitleid
    16. Dra-Q - Hoffnung feat. Taleb & Pal One
    17. Dra-Q - Leg dein Mic weg feat. Taleb & O-Six


    Es war einmal... So oder so ähnlich könnte diese Geschichte beginnen. Denn man könnte meinen, sie erzähle, wie viele solcher Geschichten, von längst vergangenen Zeiten. Es werden Worte fallen wie Boom Bap, Cuts oder Mixtape. Worte einer nur noch in der Erinnerung existierenden Epoche. Worte aus einem goldenen Zeitalter. Wie viele artverwandte Erzählungen hat auch diese Geschichte ihre Helden – wenn diese auch speziell sind. Normalweise ist von mächtigen Königen mit prunkvollen Kronen die Rede, von weisen Zauberern in prachtvollen Roben und von tapferen Rittern, die todbringende Schwerter schwingen. In unserer Geschichte tragen die Helden statt Kronen Caps, statt Roben Baggys und statt eines Schwertes ziehen sie mit einem Mic in die Schlacht. Während in den bekannteren dieser Sagen von großen Siegen erzählt wird, von schönen Prinzessinnen und von majestätischen Festgelagen, berichtet man hier von erlebten Niederlagen, freizügigen Bitches und leeren Brieftaschen: Antihelden eben, namentlich Abroo und Dra-Q.


    Wer bei Abroo an Joe Rilla-Synthiebretter denkt und bei Q an McDonald's, der wird auf diesem Stück Musik bitter enttäuscht werden. Die Kulturbewahrer unter den HipHop-Heads werden jedoch voll auf ihre Kosten kommen, denn was einem geboten wird, ist rougher, dreckiger Auf-die-Fresse-Boom Bap. Und eines kann vorweggenommen werden: Neben den deutschsprachigen Featuregästen (insbesondere Morlockk Dilemma und Mortis One) wird diese Schiene hierzulande sonst (leider) nirgends so kompromisslos bedient. Auch das Wort "Mixtape" steht bei den beiden nicht für drittklassige Lyrics auf tausendfach missbrauchten Übersee-Instrumentals, sondern für Rückbesinnung auf HipHop als Kultur. Zwar sind auch hier Remixes von bereits bekannten Stücken ("Himmel & Hölle" von Abroo) oder nicht-releastem Archivmaterial ("Tote Sonnen" von Krisenstab), aber durch den stilsicheren Einsatz der Cuts von DJ Access und DJ Illegal sowie Shout-Outs von in- und ausländischen Künstlern (etwa Ill Bill und Masta Ace) dringt einem zumindest der Hauch eines Back-in-the-days-Aromas in die Gehörgänge. Eingeläutet wird der "Kampf der Veteranen", wie das Tape passend betitelt ist, von einer drückenden Breitwandnummer, die auf Acoustic Views Kosten geht und mit zwei großen Parts einen guten Eindruck dessen vermittelt, was einen zu erwarten hat.


    "Ihr Birnen wollt Erleuchtung finden?/
    Ihr seid wie Milchtüten, jeder nimmt euch von hinten/
    Das sind die Hormone/
    Ihr wollt krumme Dinger abziehen und quatscht nicht von Kondomen/
    Ja, beschissen, Rucksack/
    Rap war ein Sprachrohr, bis ihr Bitches es gelutscht habt
    "
    Q auf "Intro"


    Während Übersee-Features hierzulande immer noch eine Rarität sind und der deutsche Künstler auf Anfrage und Überweisungen einen gelangweilten Part vom vermeintlichen "big thing" aus Amerika erhält, tummeln sich auf "Kampf der Veteranen" mit dem Boom Bap Project, Outerspace, Reef the Lost Cauze und Termanology eine ganze Reihe gestandener Untergrundgrößen, die den einen oder anderen Boom Bap-affinen Rap-Konsumenten wohl mehr als aufhorchen lassen dürften. Das Boom Bap Project leistet seinen Beitrag zum Kampf gleich im zweiten Stück an der Seite von Q. Klingt auf den ersten Blick zwar gut, jedoch kristallisiert sich hier, wegen eines deutlich schwächeren Parts, schon recht deutlich heraus, dass der Ostberliner nicht nur gegen die Gäste aus Seattle relativ alt aussieht, sondern auch mit seinem Lemgoer Duettpartner nicht ganz mitzuhalten weiß. Dass man sogar neben einem Künstler des Formats von Reef the Lost Cauze eine gute Figur machen kann, beweist Abroo ein paar Tracks später, indem er auf einem Snowgoons-Instrumental mit ungeahnter Coolness über den Beat schwebt und diesen musikalischen Schüleraustausch zu einem der Höhepunkte des Tapes macht.


    "Diese Pussy-Rapper fliehen direkt nach dem Verse/
    Man findet nur noch ihre Röhrenjeans und Ed Hardy-Shirts/
    Meine Fans – Tattoos, Fahne, Narben im Gesicht/
    Deine Fans – kriegen ihre Tage noch nicht/
    Und jetzt reden wir am Tresen weiter/
    Und ich bestell' kurze Jägermeister, Jägermeister, Jägermeister/
    "
    Abroo auf "Hier hört der Spaß auf"


    Nun mag man meinen, dass bei all der Rückwärtsgewandtheit kein Raum für Neuheiten oder gar Experimente mehr sei, wird jedoch auch hier eines Besseren belehrt. Denn nach einem unreleasten 16er von Q aus dem Jahre 1999, der sich auch nach dem Verstreichen einer vollen Dekade durchaus anhören lässt, treffen sich Abroo, Morlockk Dilemma und der herausragende Damion Davis auf "Es reicht", einem Storyteller erster Güte zum schizoid angehauchten Mord. Während Abroo als netter Mann von nebenan noch gegen seine blutrünstigen Triebe anzukämpfen weiß, sieht Morlockk Dilemma in einer Gesellschaft zwischen Nazis und Pushern keinen anderen Ausweg, als zur Waffe zu greifen. Doch obwohl beide Parts erzählerisch mit zu dem Besten gehören, was man sich 2010 geben kann, so ist Damions für HipHop ungewohnt experimentelle Hook (inklusive Screamo-Anleihen) die größte Überraschung. Gänsehaut.


    "Doch was hält mich ab, hier endlich zu wüten/
    Eine Stimme in mir flüstert: "Sie sind nicht die Quelle des Übels/
    Nur ein beschissenes Paradebeispiel/
    Fehlgeleitet, gezüchtet von geistigen Brandstiftern in Nadelstreifen"/
    "
    Morlockk Dilemma auf "Es reicht"


    Neben zuvor sezierten Tracks bedient das Duo auf den insgesamt 17 Anspielstationen des Tapes verschiedenste Themenbereiche: Es geht um Religionskritik ("Im Namen Gottes"), den alltäglichen Struggle um Geld ("Lost Battles"), exzessiven Rauschmittelkonsum ("Kräuterslang" mit Mortis One) und natürlich um battle. Das Konzept Hardcore-Boom Bap ins Deutsche zu übertragen, ist jedenfalls voll aufgegangen, woran die Produzenten alles andere als unbeteiligt waren: So steuern große Namen wie Shuko oder die Snowgoons etwas bei, jedoch liefern auch Leute wie DJ Knick Neck, Mortis One, Daniel Santiago aka Schattenmann, 12bitphil und Joe Rilla grandiose Beiträge. Es ist vorstellbar, dass sich an diesem Tape die Geister scheiden werden, denn die wertetreuen Backpacker werden sicherlich ihre Freude daran haben, während Sprösslinge der "Generation Autotune" den beiden Stagnation und hoffnungslose Nostalgie vorwerfen werden. Aber wie Dra-Q schon sagt: "Man braucht das Rad nich' neu erfinden... Es dreht sich doch!" Word.



    disdi (Christian Weins)

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    01. Intro (Maeckes, Plan B, Kaas, Kodimey, Tua)
    02. Hi (Maeckes & Plan B)
    03. Ambitionz as an Orson (Die Orsons)
    04. Um deinen Block (Tua & Vasee)
    05. Unfair (Maeckes & Tua)
    06. Empire State Gebäude (Kodimey, Plan B, Maeckes)
    07. Nico Schwanz (Maeckes & Tua)
    08. Ein Abend in Acryl (Plan B)
    09. Hilfe naht (Maeckes & Vasee)
    10. Jump'n'Run (Kodimey)
    11. Bloody Orsons (Die Orsons)
    12. Zurück in die Zukunft (Maeckes, Plan B, Tua)
    13. König voller Liebe (Kaas)
    14. Unterschied (Kaas, Plan B, Kodimey, Maeckes)
    15. Chimperator History (Kodimey, Maeckes, Plan B, Kaas)


    Diese Labelsampler waren schon immer ein zweischneidiges Schwert. Zum einen scheinen sie (gerade in Zeiten, in denen Plattenverkäufe immer mehr zurückgehen) ein notwendiger Move der Labels zu sein, um der möglichen Käuferschaft zukünftiger Veröffentlichungen einen Eindruck über ihre Künstlerpalette zu verschaffen. Zum anderen nimmt aber eben dieses Aneinanderreihen der Images einzelner Signings einem Werk jede Homogenität und macht es infolgedessen zu einem eher kurweiligen Spaß. Kodimey beschreibt genau das auf dem ersten Stück des Chimperator-Samplers "11 Jahre Chimperator" mit den Worten "Man sagt, Labelsampler sind Hurensöhne". Ob diese Ausssage auch für das hauseigene Label rund um die Künstler Maeckes, Plan B, Kaas und Kodimey sowie deren Brüder im Geiste Tua und Vasee gilt, soll im Folgenden näher erörtert werden.


    Die Chose beginnt mit einem dieser für einen ordentlichen Labelsampler nicht zu entbehrenden "Wir-halten-alle-gemeinsam-die-Fahne-für-unser-Label-hoch-Representer"-Tracks, der in diesem Fall zwar nicht unbedingt schlecht ist, bei welchem man aber dennoch anmerken muss, dass sich alle Beteiligten schon von besseren Seiten gezeigt haben. Denn, wenn man Tua Dinge sagen hört, wie "Wie schön, immer noch da zu sein/ Viel zu schön, um Warzenschwein", fragt man sich doch beinahe, wie "Grau" aus der Feder dieses Künstlers stammen kann. Glücklicherweise widerlegt der Reutlinger dann doch noch jeden Spross aufkeimenden Zweifels mit seinen nächsten Auftritten. Einerseits mit dem hervorragend beobachteten und bedingungslos nachvollziehbaren "Um deinen Block", einer Post-Beziehungskiste, die so oder so ähnlich auch ein wütender Nick Hornby hätte verfassen können. Andererseits mit dem grandiosen "Unfair", in welchem er für Maeckes Hook und Beat beisteuert.


    "Ich zieh' dreimal pro Jahr um, bring' mich einmal pro Jahr um/
    Den Verstand, raff' mich dann und mein': 'Lass dir das eine Warnung sein!'/
    Am nächsten Morgen wach' ich nicht auf, nein, ich bin wach geblieben/
    Kämpf' mich übermüdet aus dem Haus, um noch die Bahn zu kriegen/
    "
    (Maeckes auf "Unfair")


    Letztgenannter beweist mal wieder, dass er den Spagat zwischen Tiefe und Oberflächlichkeit beherrscht wie kaum ein Zweiter. Denn auf Tracks wie dem erwähnten "Unfair" (oder auch auf dem bedrückenden "Hilfe naht" mit Vasee) bekommt man Gänsehaut-Zeilen vorgesetzt: "Wenn hinter Schaufenstern Liebe liegt/ Ein Geschenk, das du niemals kriegst". Während er dann wiederum als Mitglied der Orsons auf dem von ihm produzierten und an Tupacs "Ambitionz as a Ridah" angelehnten "Ambitionz as an Orson" oder auf dem für Konzertbesucher bereits bekannten "Hi" mit Musiker-Lebensabschnittspartner Plan B durch gekonnte Blödelei brilliert.


    "Direkt aus dem Windschatten meines Airbusses/
    Komm' ich geflogen und verteile Servuses/
    Ob dieser Typ hier verrückt ist?!/
    Na klar! Doch die erste Klasse findet's sehr lustig/
    "
    (Plan B auf "Hi")


    Dieser wiederum sorgt mit seinem Solo-Track "Ein Abend in Acryl" für eine der größten Überraschungen der Platte. So dachte ich beispielsweise (gemessen an seinem Output und etwa Beiträgen auf Kool Savas' "Der Beweis 2 – Mammut Remix" oder seinen Tracks auf dem Touralbum "!#?@$!"), dass er seinem Weggefährten Maeckes nicht mehr das Wasser reichen könne... und wurde mit dieser surrealistisch anmutenden Geschichte über Fantasie eines Besseren belehrt. Auf dem etwas später folgenden "König voller Liebe" auf einem Beat vom Massiven Ton Wasi, wird aus Kaas' wunderschöner Welt (wohl ausgelöst durch einen Blick über seine rosaroten Brillengläser) ein Ort voller Leid und Hass, vor dem er nur allzu gern flüchten würde. Ansonsten präsentiert sich der Gründer des "Love Movements" gewohnt fantasievoll zwischen Elefanten ("Bloody Orsons") und im Laborkittel ("Intro").


    "Aids, Amokläufe, Armut/
    Erbeben, Brustkrebs, böses Blut/
    Und der Mond unterbricht und sagt: 'Genug./
    Ich bring' dich an 'nen Ort, da ist alles gut.'/
    "
    (Kaas auf "König voller Liebe")


    Der Letzte und wohl auch Unbekannteste im Bunde ist Kodimey. Trotz langjähriger Karriere und seiner Position als Gründungsmitglied des Labels erfreut sich Kodimey bei weitem nicht einer ähnlich hohen medialen Präsenz. Dies dürfte zum einen an seinem deutlich geringeren Output, zum anderen an der Nicht-Mitgliedschaft bei den Orsons liegen, die durch ihre polarisierende Wirkung einiges zum Bekannheitsgrad der einzelnen Bandmitglieder beitrugen. Technisch kann der bekennende Michael Jackson-Fan doch durchaus mithalten und beweist außerdem ein Gespür für eingängige Hooklines. Jedoch hat seine "Ich-bin-zwar-erwachsen-wäre-aber-viel-lieber-ein-Kind"-Thematik (welche er auch schon auf der "Bangerang!"-EP behandelte) trotz eines gewissen Charmes wohl eine eher geringe Halbwertszeit.


    "Ich bin hart und Schlägerei-erprobt/
    Nein, ein Star Wars-Fan/
    Luke Skywalker-Double/
    Chewbacca-Supermodel/
    "
    (Kodimey auf "Empire State Gebäude")


    Produktionstechnisch leisten Maeckes und Tua die Hauptarbeit, werden aber auch von Psaiko Dino, Jens der andere Rapper, Kodimey & Budget, Vasee, dem oben erwähnten Wasilicous und den Massiven Tönen unterstützt. Letztere greifen ihnen auf der Stuttgart Hymne "Unterschied" unter die Arme, deren Beat dem gleichnamigen Stück der Töne entstammt.


    Fazit:
    Wie für Labelsampler nicht unüblich, bleiben die Künstler auf weiten Strecken hinter ihren Möglichkeiten zurück, liefern jedoch gemessen am Landesdurchschnitt eine gute Figur ab. Untypischerweise überzeugen und überwiegen auf diesem Sampler nicht etwa Label-representende Kampfansagen, sondern vielmehr ruhige, durchdachtere Stücke. Und genau das verschafft einem dann auch im Hinblick auf das Artist-Sortiment ein richtiges Bild dessen, was einen auf Chimperator Records zu erwarten hat.



    disdi (Christian Weins)

    [REDBEW]376 [/REDBEW]

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    01. Was hat S.A.V. da vor?
    02. Butterflys
    03. Black
    04. Futurama (United Nations RMX) feat. S.A.S., Ceza, Curse, Greis, Havoc, Kaz Money & Azad
    05. Charisma (RMX) feat. Amar & 40 Glocc
    06. Charisma (Video) feat. 40 Glocc


    Als auch Optik – im Zuge des großen Labelsterbens – im Februar letzen Jahres seine Pforten schloss, schien die Zukunft des selbsternannten King of Rap ungewiss. Noch rätselhafter wurde es, als via Youtube und MyVideo die Videoreihe "Was hat S.A.V. da vor?" erschien. Hier wurden verschiedene Personen aus Savas' Umfeld, ohne klare Antworten zu erhalten, nach seinen Plänen befragt, der König beim Autofahren gezeigt und "das Orakel" sprach, welches Usern des Optik-Forums Fragen beantwortete. Dann, nach fünfzehn Folgen Rätselraten und nach einer an Folter grenzenden Informationsdurststrecke, wurde das erste Geheimnis der Reihe gelüftet: die "Was hat S.A.V. da vor?"-EP, die als spezielles Gimmick der Dezemberausgabe des JUICE-Magazins beigefügt war. Auf dem Cover posiert Savas Yurderi in "Der beste Tag meines Lebens"-Manier, die das ein oder andere Fanherz wohl höher schlagen ließ. "Zurück in die Zukunft?" fragte das Auflösungsvideo zurecht und ob nun ein Schritt nach vorn oder zurück getan wurde, wird in Folgendem behandelt.


    Die EP wird von ihrem Titeltrack eingeleitet, einem typischen Battletrack, der technisch wie textlich wenige Wünsche offen lässt und sich wohl am besten selbst erklärt:


    "Guck, sie haben Glück, dass mein Englisch so scheiße ist/
    Ansonsten würd' ich Eminem zeigen: "Who is the nicest?" mit/
    Den Lyrics und Pattern, der Rest ist billiger als Mensaessen/
    Ich kill' mehr Leute mit meinen Alben als'n Gangsterrapper/
    "


    Mit "Butterflys" folgt im Anschluss ein Storyteller, der in ausdrucksstarker Bildsprache von einem Mädchen erzählt, welches sich vom Fangirl zur krankhaften Verehrerin entwickelt. Störend ist dabei weniger die (zumindest im Subtext mitschwingende) Parallele zu Eminems "Stan", als vielmehr der Fakt, dass Savas dem Hörer eine dritte Strophe vorenthält. Denn, wenn es am Ende heißt "nimmt meine Bilder und verbrennt sie und als die Asche auf dem Boden glimmt,/ sieht sie auf mein Coverfoto und singt/" fragt man sich zurecht, was wohl geschehen mag – Stilmittel des offenen Endes hin oder her. Der darauf folgende Titel "Black" ist ein Konzeptbattletrack, in dem sich genannte Farbe wie ein, nunja, schwarzer Faden durch das Stück zieht und welcher dank vielfältiger Bezüge und Formulierungen durchaus funktioniert.


    "Damals noch das schwarze Schaf, heut töt' ich wie schwarze Witwen/
    Schwarzer Porsche, schwarze Felgen, Schwarz getönte Scheiben hinten/
    "


    Nach seinem vielbeachteten "Der Beweis Mammut RMX" scheint Savas auf den Geschmack gekommen zu sein, denn mit "Futurama (United Nations RMX)" erwartet den Hörer ein Großprojekt, in dem der Deutschtürke mit S.A.S., Ceza, Curse, Greis, Havoc, Kaz Money und Azad Rapper veschiedenster Sprachen und Herkunft auf einem Lied vereint. Fans dürfte hierbei vor allem der Part von Azad gefallen, der die langersehnte Fortsetzung von "One" immer greifbarer werden lässt. Anschließend folgt ein Remix des "John Bello Story 2"-Songs "Charisma", bei welchem Amar sich für einen zusätzlichen Verse hergibt und dessen Rohversion als Video auf der EP enthalten ist. Auffallend ist hierbei die durchweg hohe Qualität der Featurebeiträge, die das fast schon rar gewordene Kunststück fertigbringen, neben Savas nicht alt auszusehen.


    Produktionstechnisch sorgen Melbeatz, !Bazz, Sir Jai, Matheo und Ronald Mack Donald (neben dem King of Rap selbst) stets für hochwertige instrumentale Begleitung, die von Melbeatz' Battlebrett zu "Was hat S.A.V da vor?" bis zu Sir Jais beinahe kitschigem Beat zu "Butterflys" wenig zu bemängeln lassen. Zusammengefasst erweist sich "Was hat S.A.V. da vor?" als eine überdurchschnittliche Veröffentlichung, bei der Savas sich weder neu erfindet, noch unter seinen Möglichkeiten spittet. In ihrer Knappheit lässt sie die Frage, was S.A.V. denn nun endgültig vor hat, zwar offen, doch zeigt sie sich als gelungenes Extra in der Essah'schen Promo-Maschinerie und macht vor allem eins: Hunger auf mehr!



    disdi (Christian Weins)

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    01. Null
    02. Sägeblatt
    03. Fräulein Bird
    04. Wasserglas
    05. Kürzester Weg zum Glück
    06. Freude
    07. Spül 3 mal
    08. Copy & Paste Love
    09. Zwischen
    10. Nisma
    11. Alle mich mögen
    12. Schritt / Ich muss gehen


    Im Vorhinein gab es um Maeckes' erstes Solo-Album einigen Wirbel: Zu Promozwecken des Werkes, namentlich "Null", löschte er nach und nach, von Tag zu Tag seine MySpace-Freunde. Bis, man ahnt es, null übrigbleiben sollten. Allein diese ungewöhnliche Art der Kunstpromotion ließ Hater bei diesem Akt der ganz und gar nonkonformistischen Selbstinszenierung sauer aufstoßen und Sympathisanten vermutlich aus den selben Beweggründen frohlocken, oder sich sogar selbst aus Maeckes' Freundeskreis streichen. Dieses Opfer schien umsonst, als es kurz vor dem Release, am Spannungszenit, hieß: "Wasserschaden. Nichts mehr da." Wie diese Rezension zeigt, gab es doch noch, ob es jetzt ein Promo-Move war oder nicht, ein Happy-End: "Null" erschien. Als physischer Datenträger in der Limited Edition und als etwas abgespeckte Free-Download-Version. Zweiterer wird sich im Folgenden etwas ausführlicher angenommen.


    Dass Maeckes' musikalisches Verständnis sich nicht mit dem Begriff "Rap" einengen lässt und er folglich immer öfter über den Plattentellerand schaut, kündigte sich unter Einbezug der Diskografie des Markus Winter schon in früheren Werken an. Darunter etwa "Die Gedanken sind freier" vom "Days of the Champions"-Album mit Plan B, das "Mash-Up-Mixtape", in welchem er etwa Einflüsse wie Aphex Twin oder Nick Cave verarbeitete und nicht zuletzt das originelle "Kunst über Vernunft" mit Exfreundin Celina. Diese sich deutlich herauskristallisierende Entwicklung wird auch auf seinem neuesten Streich konsequent fortgeführt. Betrachtet man die zwischen Spoken Word, Singer & Songwriter und Rap anzusiedelnden Lyrics sowie die Beats, die sich zwischen nintendoesken Electrosounds, Gitarrenriffs und Maschinengräuschen bewegen, ist der Vergleich mit Ausnahmekünstlern wie Beck oder den Gorillaz durchaus zu rechtfertigen. Doch trotz etwaiger Parallelen kreiert Maeckes dabei etwas völlig neues. New weird Germany? Wer weiß?!


    Das Intro, eines der wenigen Stücke, auf denen wirklich noch gerappt wird, verleiht dem Hörer schon eine Ahnung von dem, was ihn auf "Null" erwartet. Ein verkopfter Maeckes beschreibt vorwiegend alltägliche Situationen, die mit einem kritischen Auge eigene Marotten sowie gesellschaftliche Massenerscheinungen präzise herausstellen, ohne dabei den verrufenen Zeigefinger zu heben oder dem Hörer Freiraum für Interpretationen zu nehmen.


    "Das sind Hits – 'Null'/
    Der Rest von euch beschäftigt sich mit Bullshit/
    Urteilt nicht über die Musik, urteilt über mich/
    Mein Unter-Ich prügelt diese Songs aus meinem Über-Ich/
    Und ich kann wirklich die Welt verändern damit/
    "
    ("Null")


    Wer im Zuge dieser – auf neudeutsch gesagt – "deepen" Veröffentlichung typische Lovesongs erwartet, wird mit Sicherheit enttäuscht werden. Stattdessen liefert Maeckes mit dem beinahe gesäuselten "Fräulein Bird" ein wirklich gelungenes Liebeslied, welches fragmentarisch und nicht ohne Augenzwinkern Situationen beschreibt, die in einer derart sympathischen Unverblümtheit wohl niemand erwartet hätte. Diese brechen aber gerade durch ihre Nachvollziehbarkeit aus dem schmalzigen Klischee von sonstigem, thematisch ähnlich gelagertem Liedgut heraus. Zwar verträgt sein Mädchen "wohl doch nicht so viel Wodka, wie es scheint" aber, Amor sei Dank, heißt es am Ende des Verses immer aufs neue: "Hallo Fräulein Bird, ich glaub', ich bin verliebt".
    Mit "Spül 3 Mal" präsentiert Maeckes ein Stück, welches eigenständig ohne Frage seine Berechtigung hätte und, als autonomer Song gesehen, einer kritischen Betrachtung problemlos standhalten würde. Mit seiner zynisch-sozialkritischen Message scheint es leider jedoch stark am Restkontext des Albums vorbeizugehen – und nimmt somit "Null" Teile seiner bis dahin fesselnden Homogenität.


    "Spül 3 mal, wir sind die erste Welt/
    Spül 3 mal, weil Scheiße sich oft länger hält/
    Spül 3 mal, Toiletten spiegeln unser Selbst/
    Wasser kostet doch nur Leben und Kein Geld/"


    Es folgt "Copy & Paste Love", welches, nicht zuletzt wegen der großartigen Produktion, die unverkennbar Tuas Feder entstammt, klang-ästhetisch im Gedächtnis bleibt. Über dieses schwelgerisch-drückende Trip-Hop-Instrumental schwebt der Chimp mit seiner Querkopf-Liebeslyrik auf nahezu schwerelose Art und Weise.


    "Nein, wir werden nie Amoklaufen – wir trauen uns nicht/
    Nein, wir werden nie heiraten – wir trauen uns nicht/
    Lieber unglücklich verliebt, als unverliebt glücklich/
    Komm schon, Herz: Mach dich nützlich/"


    Sein Talent, Gefühle und Stimmungen durch in den Raum geworfene Satzfetzen und scheinbar unvollständige Alltags-Anekdoten in einer überraschenden Schärfe auszdrücken, beweist der Stuttgarter Musiker im Stück "Nisma", welches sich dem Rezipienten (durch eben diese Art des Songwritings) erst nach mehrmaligem Hören erschließen wird. Doch aus genau diesem Grund sowie durch das schleppende, für Rapnormen avantgardistische Instrumental, wird dieser Track definitiv zu einem der Höhepunkte der Platte.


    Fazit:
    "Null" ist anders. "Null" ist unbeholfen – und doch wirkt jede Zeile durchdacht. Es ist dilettantisch und doch scheint jedes Rauschen einem Ziel zu folgen. Um es kurz zu machen: Maeckes' aktuelle musikalische Entwicklung zeigt enormes Potenzial, etwas ganz Großes zu werden, aber ist definitiv noch in einer frühembryonalen Phase. Es fängt eben bei null an. Man kann die Platte im Endeffekt nicht besser resümieren, als es der Protagonist selbst auf seinem MySpace-Blog tat: "Vielleicht ist es der Anfang von was Großem oder das Ende von was Kleinem, ich kann mich nicht entscheiden."



    disdi (Christian Weins)



    [REDBEW]347 [/REDBEW]

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    01. Hier geht's um Rap
    02. Wer ist da?
    03. Rockstarz
    04. Kriegstrommel
    05. Fresse halten
    06. Ding dong
    07. Friedhof
    08. Jetzt is aus
    09. Echte Männer
    10. Rums im Gesicht
    11. Wir chilln
    12. Alte Schule
    13. Mittelfinga ab
    14. Geht in Deckung
    15. Sekte Gang
    16. Mörderrap II


    Bonus-CD (Premium Edition):
    01. Altes Testament feat. Calle, Vokalmatador & Collins
    02. Beef statt Peace feat. Vokalmatador
    03. Es ist nicht leicht feat. Vokalmatador
    04. Meine Hood feat. Collins
    05. A.I.D.S. 2009
    06. Wir sind echt
    07. Scheiss auf alles


    Religionen sind ein schwieriges Thema. Waren sie schon immer. Während sie einst vermehrt für Krieg und Unterdrückung sorgten, wirft man heute der einen Radikalismus vor und der anderen sagt man, sie sei rückständig. Ganz im Trend der Zeit, befinde auch ich, ehemals erzkonservativer Katholik, mich in einer Glaubenskrise und da ich bei den fünf großen Religionen keine Erleuchtung fand, wandte ich mich den kleineren, weniger anerkannten Splittergruppen zu: den Sekten. Für Scientology war ich zu arm und für die diversen Satanskulte zu normal und so stieß ich, HipHop-Head durch und durch, auf eine ganz besondere Gruppierung: auf Die Sekte. Sie besteht vorrangig aus Sido, Alpa Gun, B-Tight, Tony D, MOK, Fuhrmann und Bendt. Ob ich in ihrem Kreis die gesuchte Geborgenheit finde, wird sich allerdings erst nach dem Hören ihres neuen Albums "Die Sekte" herausstellen.
    Das Album beginnt mit "Hier geht's um Rap", dem einzigen Track, auf dem die ganze Sekte vereint ist. Dass es bei einem Album der Sekte um Rap geht, dürfte den halbwegs informierten Käufer wenig überraschen, die Tatsache, dass es sich dabei um Battlerap handelt, ebenso wenig. Doch er wird höchstwahrscheinlich überrascht sein, wie schnell man bei dem dargebotenen Niveau das Interesse verliert. "Wir sind gut, ihr seid Spastis", ist so gesehen gar kein schlechtes Prinzip und man sieht in nicht wenigen Fällen, dass dieses auch erfolgreich und interessant gestaltet wird, aber der Haken ist: Man muss eben auch gut sein, um der Aussage ein Fundament zu geben. Wer im Jahr 2009 Parts wie...


    "Du kommst gar nicht mehr klar in deiner Welt, denn du hörst Stimmen reden/
    Du zitterst, denn dunkle Gestalten beobachten dich im Regen/
    Keiner ist gern in der Scheiße, du tust mittendrin stehen/
    Glaub mir, Junge, so, so ist es leider im Leben/"
    (Fuhrmann auf "Wer ist da?")


    ...schreibt, sollte sich entweder mehr Mühe geben oder die Entscheidung, sein Glück als Musiker zu versuchen, noch einmal gut überdenken. Aber nicht nur Fuhrmann bewegt sich durchweg unter dem Durchschnittsniveau, sondern auch die restlichen Mitglieder schmücken sich in ihren lyrischen Ergüssen nicht gerade mit Lorbeeren. Während Alpa Gun zwar technisch einigermaßen zu überzeugen weiß, kann der Rest auch auf dieser Ebene niemanden beeindrucken. Und sogar Tony D, dessen stumpfe Art zu rappen solo überraschende Entertainment-Qualitäten beweist, ist in der Sekte nur ein zusätzlicher Störfaktor. Einzig und allein Siggi vermag es, den Hörer für die Dauer des ein oder anderen Sechzehners in seinen Bann zu ziehen. So erahnt man bei der Hook zu "Fresse Halten" zumindest, warum er weiterhin oben mitspielt.


    "Wenn man nichts zu sagen hat, einfach mal die Fresse halten/
    Alle hassen dich, weil sie nichts von deiner Fresse halten/
    Kannst du meine Faust mal bitte mit deiner Fresse halten/
    Kein Respekt, keine Gnade – ja, so ist die Sekte halt/"
    (Sido auf "Fresse Halten")


    Während man der asozialen Attitüde der Sekte in der letzten Dekade durchaus einen gewissen Charme zusprechen musste, ja, sie sogar ein nicht unentscheidender Faktor für die erfolgreiche Gründung einer Fanbase war, wirken Selbsttitulierungen wie "Gesindelboss" aus dem Munde von Sido, der sich in Interviews neuerdings gerne in Hemd und schniekem Pullover zeigt und über ein Spießerleben sinniert, sehr schnell aufgesetzt. Paul UnglaubWürdig. Man kann diese Selbstdarstellung wohlwollend als "back-in-the-days-shit" interpretieren, aber wenn man so etwas sagt, meint man in der Regel die guten Tage, nicht die Plumper-langweiliger-Battlerap-Tage. Die Sekte jedenfalls weist nicht nur technische Defizite auf, sondern es hapert auch inhaltlich. Dort beschränkt man sich nämlich ausschließlich auf Battle in einer prähistorischen Form: Beschimpfungen treffen auf simpelste Vergleiche.
    Noch einmal kurz interessant wird es auf "Altes Testament", das auf der ansonsten nicht erwähnenswerten Bonus-CD der Premium Edition zu finden ist. Hier betreten mit Calle, Vokalmatador und Collins drei Sekte-Urgesteine die Bildfläche, was den ein oder anderen Nostalgiker durchaus erfreuen dürfte.


    "Guckt, wie die Kacke extrem hier am dampfen ist/
    Wer hätte gedacht, dass diese Combo nochmal zusammentrifft/
    Damit ihr es alle wisst, dass hier Calle spricht/
    Mach auf Psycho und wir sehen, wer in der Notaufnahme sitzt/"
    (Calle auf "Altes Testament")


    Dass zu viele Köche den Brei verderben, wird auch am Fallbeispiel "Die Sekte" eindrucksvoll bewiesen, denn die hohe MC-Durchschnittsanzahl pro Track nimmt jedem auf dem Album vertretenen Künstler die Chance, sich als eigenständiges Individuum zu präsentieren und Die Sekte wird lediglich als Crew wahrgenommen. Ob das Zufall ist oder eine Art Albumkonzept, bleibt an dieser Stelle offen, jedoch trägt es mit dazu bei, dass es sich bei dem verdorbenen Brei zu allem Übel auch noch um Einheitsbrei handelt.
    Im Zuge dieser "religiösen" Neuerfahrung jedenfalls werde ich nach kurzem Aufsagen des Vaterunser und in der Hoffnung, dass die heilige Kirche mich in ihren Schoß zurücknimmt, wohl als erstes ins nächstgelegene Gotteshaus marschieren, den Beichtstuhl besteigen und sagen: "Vergib mir, Vater, ich habe gesündigt..."



    disdi (Christian Weins)



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    01. Am Anfang...
    02. ...war das Ende
    03. Kein Zurück
    04. Weisse Scheisse
    05. Nimm die Welt wie sie ist
    06. AsoKacke feat. Hollywood Hank
    07. Bierliebe
    08. Spiel mir das Lied vom Dach
    09. Punkrockbaby feat. Me$$age
    10. Private Paul
    11. Lache und die Welt weint mit dir
    12. Harter Tag
    13. Kommt ran! feat. Peter Maffya
    14. Rinderbraten
    15. Maschinen
    16. Schmetterling
    17. Engelsstaub feat. Me$$age
    18. Am Ende war
    19. ...
    20. Der Anfang


    Es fühlt sich an, als sei es gestern gewesen – den Geruch der Bengalos noch in den Nüstern, den Geschmack von Oettinger noch am Gaumen und den Sound von Slimes Hymne "A.C.A.B" im Ohr, als ich, bekleidet mit Lederjacke und Doc Martens, auf der Straße stand. Als Punk. So dachte ich zumindest. Dabei war ich nicht viel mehr als ein Abkömmling einer Pseudo-Subkultur, die ihr Schockmoment längst eingebüßt hatte. Nämlich als Marketingbeauftragte sie analysiert und der Masse schmackhaft gemacht hatten, um sie mitsamt ihrer Werte kommerziell auszuschlachten, sodass sie letztendlich zur Farce wurde. Jetzt, wo "Punkbands" wie Die Toten Hosen oder Die Ärzte Stadien füllen und ihre Fans in dem Glauben lassen, sie seien nicht Käufer eines wirtschaftlich durchdachten Konzeptes, sondern dass die 60-Euro-Stehplätze rebellische Expression seien, da korpulieren die Werte der Punk-Kultur mit der gesellschaftlich weit aktuelleren Rapmusik. Der aus diesem Genreintermezzo entstandene Bastard hört auf den Namen "PCP": Projekt Chaos Punks, das Label heißt "Weisse Scheisse" und der neue Tonträger trägt den Titel "Lache und die Welt weint mit dir". Dass die vier Jungs JAW, Maexer, Rynerrr und Private Paul ihrem Crewnamen alle Ehre machen, lässt schon das Cover erahnen, welches sich in der Aufmachung in die Tradition typischer Deutschpunk-Veröffentlichungen von Bands wie "Pestpocken" oder "Betontod" einreiht. Zudem spielt dieses auf die Doppelbedeutung von "PCP" an, was nämlich zusätzlich für Phenylcyclohexylpiperidin, das dem ein oder anderen Junkie wohl als Angel Dust bekannt sein dürfte, steht. Ob sich PCP lyrisch als ebenso gewitzt erweisen wie bei ihrer Coverwahl, gilt es nun herauszufinden.


    Ein Blick auf die Tracklist lässt erahnen, worum es den Chaos Punks geht: Am Anfang war das Ende, am Ende war der Anfang. Dazwischen ist das Album. "Lache und die Welt weint mit dir" ist ein radikaler Abgesang auf die gegenwärtige Gesellschaftsordnung, der durch ein Palahniuk-inspieriertes Projekt Chaos mithilfe von Zecherei, Misanthropie, Krawall und dem berühmten roten Knopf ein Ende gesetzt werden soll. Diese grobe inhaltliche Zusammenfassung, das Vorwissen um das Gesamtwerk der partizipierenden Künstler und die gewählten Featuregäste lassen die Vermutung zu, dass man es wohl kaum mit trendigem Positivity Rap zu tun hat. Diese wird im Track "...war das Ende" ausdrucksstark verifiziert:


    "Obwohl ich high bin, ist die Aussicht scheiße/
    Rap macht reich und beliebt und das brauch' ich beides/
    Ich schöpf' aus einem reichen Fundus/
    An Wut, Mutlosigkeit, Trunksucht und Unzucht/
    "
    (Private Paul)


    Chaos scheint bei PCP nicht nur ein politisches Dogma zu sein, sondern auch die Umsetzung der Songs gestaltet sich ziemlich chaotisch. So sind die jeweiligen Stücke bis auf Hook und Instrumental stark austauschbar, denn sie alle setzen sich auf recht konzeptarme Weise mit oben genannten Dreh- und Angelpunkten auseinander.


    "Hierfür gibt es keine Krone in der JUICE/
    Das ist die Klinge an dei'm Arm, die Drogen in dei'm Blut/
    Der Rausch Adrenalin, wenn du siehst, wie kaputt dein Dasein ist/
    Und das der Welt, wenn du endlich das Napalm wirfst/
    "
    (JAW auf "Kein Zurück")


    PCP präsentieren ein Bild einer von Oberflächlichkeit, Geld und Leistungsdruck bestimmten Gesellschaft, doch statt dem Hörer Hoffnung zu schenken oder Änderungsmöglichkeiten aufzuzeigen, zeichnen sich die Texte, wie für die Punkkultur leider nicht unüblich, durch unreifen Reaktionismus und den Drang zur Realitätsflucht aus. Seinen Höhepunkt dürfte dies in der beinahe adoleszent wirkenden Gerstensaft-Preisung "Bierliebe" finden, für die – Achtung, noch nie dagewesen – die Lieblingsdroge der Deutschen mit einer Frau gleichgesetzt wird. Dass die Protagonisten eigentlich auch anders könnten, beweisen zumindest JAW und Private Paul auf den leider sehr kurz geratenen Solotracks "Harter Tag" und "Private Paul", auf denen beide in ihrem eigentlichen Element zu sein scheinen: Deepness und Witz.


    "Nehm mir die Stimme und du raubst mir die Seele/
    Gib mir einen fuckin' Beat und ich brech' aus aus meinem Käfig/
    Und lass' das Tier raus, das ihr geschlagen habt/
    Nimm dir heut' vielleicht lieber mal frei – das wird ein harter Tag/
    "
    (JAW auf "Harter Tag")


    "Er zieht sich alles rein, was dumm und froh macht/
    Greift einen Stundenlohn ab und hängt rum für'n Monat/
    Rumpelstilzchen ist einer seiner größten Erzfeinde/
    Der is' sauer, seinen Namen kennen mehr Leute/
    Dieser Kerl heißt Paul – nein, du kennst ihn nich'/
    "
    ("Private Paul") auf "Private Paul")


    Leider sind solche Zeilen nur gestreut auf dem Album zu finden. Zwar zeigen alle Beteiligten – so auch die ebenso unter ihrem Niveau befindlichen Featuregäste Hollywood Hank, Me$$age und Peter Maffya –, dass sie des Sprechgesangs durchaus mächtig sind und bringen technisch solide Parts, jedoch dreht sich das Album inhaltlich zu stark im Kreis, um auf ganzer Länge fesseln zu können. Deswegen bleibt trotz innovativer Instrumentierung lediglich zu sagen: '77 ist vorbei, Sid Vicious ist tot, die APPD noch immer nicht im Bundestag und auch "Neopunk" ist mehr oder weniger gefloppt. Man hätte daraus lernen können. Hat man aber nicht und deswegen müssen sich heute mal vier Interpreten dreieinhalb Mikrofone teilen. Baggy und Irokese scheinen außer bei Blumio einfach nicht zusammenzupassen.



    disdi (Christian Weins)

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