Beiträge von baurau


    01. Teufelskreis
    02. Schlussstrich
    03. Wenn ich rap
    04. Karma
    05. Hab gelernt
    06. Doch wie lang
    07. Bitch Pleaze feat. Big A
    08. Kopffick
    09. Komm und friss feat. Big A
    10. Assesino
    11. Puta madre
    12. Primos
    13. Mein Fluch feat. Moro
    14. TKÜ feat. Plusmacher
    15. Niemand
    16. No commigo feat. Chiko Malito


    Latino-Gangsterrap ist eine seltene Stilblüte in unseren Landen beziehungsweise wird amerikanischer Latino-Gangsterrap bei uns viel weniger nachgefragt als in den USA. Das zeigt sich nicht zuletzt in den seit Jahren konstant schwachen Verkaufszahlen spanischsprachiger Rapper. Zwar nimmt die Anzahl der Latinos in den USA stetig zu, der Rap-Markt wird aber klar von afroamerikanischen Künstlern beherrscht. Umso schöner, dass im deutschsprachigen Raum seit einigen Jahren eines dieser seltenen Exemplare, in diesem Fall mit kubanischem Hintergrund, sein Unwesen treibt, wenngleich Omik K, trotz zahlreicher Herkunftsbezüge, fast ausschließlich auf Deutsch rappt. Mit seinem vorherigen Album "Sangre Mala" konnte er einen kleineren Durchbruch erzielen und eine für Latino-Gangsterrap durchaus typische Melange aus wirren politischen Ansichten, katholisch angehauchtem Selbstmitleid, Straßenhärte und angedeutetem Sprachmischmasch präsentieren. Das Problem von "Sangre Mala" war jedoch seine Eindimensionalität, denn Omik K war einfach zu schnell zu durchschauen als Straßenrapper mit arg limiterten Mitteln. Die interessanteste Frage zum neuen Album "Karma" ist also, ob der Leipziger seine Fähigkeiten als Rapper ausbauen konnte und eine musikalische Weiterentwicklung schafft, ohne sich unglaubwürdig zu machen.


    "Teufelskreis" startet mit einem Intro aus dem Bergman-Film "Das siebente Siegel", in dem der Ritter Antonius Block versucht, dem Tod zu entkommen, indem er ihn zu einem Schachduell herausfordert. Obwohl das ein durchaus atmosphärisches Intro ist, bleibt unklar, wo die Verbindung zu Omik K oder dem Song selbst sein soll. Stattdessen handelt "Teufelskreis" ebenso wie alle folgenden Songs davon, dass ehemalige Freunde und die komplette Deutschrap-Szene "puta madre"s seien. Texte wie dieser:

    Nur falsche Ratten, leere Versprechen/
    Observationen, Türen am Brechen/
    Anwälte kassieren, weil Primos blechen/
    Familienkriege, ständig am Rächen/
    Trau niemand', weil jeder Mimik verzieht/
    Primo, jeder rippt dich auf der Jagd nach Profit

    (Omik K auf "Teufelskreis")

    sind eher Litaneien anstatt Songtexte im klassischen Sinn, denn es wirkt stellenweise so, als habe Omik K die Lücken zwischen den Beats mit irgendwelchen Lyrics füllen müssen. Jeder kennt aus Filmen Erpresserbriefe, die zur schwereren Nachverfolgbarkeit aus Zeitungsschnipseln bestehen; jede Line des Rappers wirkt wie ein solcher Schnipsel, wahllos aus einer riesigen Schachtel gegriffen und dann als Collage-Bestandteil auf die Lyrics geklebt. Er rappt hier nicht davon, dass Kriminalität oder das Leben im Ghetto ein Teufelskreis ist, sondern er kotzt sich aus, es gibt kein Thema außer dem Kampf Omik Ks gegen den Rest der Welt und selbst dieses Thema schafft keinen Zusammenhang über mehr als ein paar Lines. Dabei bleibt der MC angenehm konsequent, man kauft ihm durchaus ab, dass sein Dasein tagein, tagaus nur daraus besteht, Listen zu führen, auf der alle Personen im Umkreis von 200 Kilometern nach Wackness geranked werden. Jedoch bleibt er seltsam unspezifisch: Die Entscheidung, ein Album komplett auf hasserfüllter Wut aufzubauen, mutet seltsam an, wenn dann über die komplette Länge quasi nicht ein einziges Mal ein konkreter Grund vorgegeben wird. Was interessieren mich denn als Hörer irgendwelche Ex-Kumpels, vor allem da sie nie konkret benannt werden? Wie soll man sich in Lines wie:

    Nichts mit High Five, ich ficke dich aus zehn Metern/
    Straftäter, bleib du auf Ticker/
    Ich bin nicht Tony Montana, doch geb' ein Fick, Mann/
    Importiere die Karibik in 'nem Dickdarm/
    Du machst auf Baba mit Cousins im Rücken/
    Ich kenne Kids, die für zwei Scheine drücken/
    Zeit zum Pflücken, du bleibst Plastik/
    Hör wie abartig ich Grammatik vergewaltig'

    (Omik K auf "Assesino")

    hineinversetzen, wenn die sehr konkrete Aggression mit ihren sprachlichen Kanonen nur auf Schrödingers Spatzen schießen darf? Der Eindruck bleibt, dass Omik K Thema und Gegner fehlen. Zwar benennt er manche Songtitel spanisch und brüllt hin und wieder "Fidel" dazwischen, insgesamt bleibt sein zentralamerikanischer Hintergrund aber so blass wie der englische von Ross Anthony – oberflächliche Makulatur statt echter Einblick in eine andere Kultur. Für reinen Battlerap fehlen ihm aber die ausgefallenen Ideen, die wirklich aussagekräftigen Bilder, so dass sich textlich relativ rasch etwas Verdruss beim Hörer einstellt. Im Gegensatz zu manch anderem pendejo nimmt man Omik K seine Gangsterattitüde bis zu einem gewissen Punkt ja auch ab, wenn er im Video zu "Puta madre" mit seinen ungefähr 3000 Homies posiert und man denen in Leipzig wirklich nicht begegnen möchte, egal zu welcher Tageszeit.
    Ein weiterer Aspekt dieser fehlenden Pointierung ist der Rapstil von Omik K, der zwar drängend nach vorne geht, er bellt und brüllt sich durch dieses Album, von Anfang bis Ende, aber eben hier liegt die Krux, denn auf diesem Album stellt sich sofort der Jack-Johnson-Effekt ein: Schaut man nicht auf die Tracknummer, hat man keine Ahnung, welchen Song man gerade hört, trotz mehrfacher Durchgänge. Die Delivery ist, wie bereits angedeutet, voll auf die Schnauze, man kann sich vorstellen, wie diese Musik passend im Hintergrund zu wahlweise Hundekämpfen, Drogenkriegen in der Favela oder beim Vorglühen zu bouncing Lowrider-Rennen pumpt. Diese Stringenz ist es auch, die, zwar nie mehr als zwei Zeilen hintereinander, innerhalb seines beschränkten Kosmos gute Sprachbilder ermöglicht: "Ich begrabe dich mit meinem Schatten" in "Puta madre", "Mach' Fluss trotz zwei Sterne in der Juice" in "No commigo" sind für sich genommen brauchbare Lines, die nur leider ein Crusoe-Dasein im Ozean des Gangsta-Einheitsbreis fristen müssen. Die Produktion von Phatal Beatz und Defektor hilft insofern nicht wirklich: Zwar hat das Produzentenduo, wie zuvor auf "Sangre Mala", handwerklich zufriedenstellende Arbeit abgeliefert, der schwere und basslastige G-Funk ändert sich aber von Song zu Song nur in Nuancen. So passt der dichte Klangteppich zwar prinzipiell gut zu Omik Ks Stil, fügt dem zähen Brei aber noch etwas Beton hinzu, statt ihn aufzulockern.
    Der zweifache Feature-Gast Big A sollte mit seiner hohlen, dämlich wirkenden Stimme und seinem schweratmigen Rap besser als Ansager am Scooter-Stand an einer Provinzkirmes arbeiten, denn mit dem Rapbiz wird das so nichts mehr; mir zumindest macht er mit legendären Lines wie den folgenden Big Aua im Kopf:

    Mädchen, was ist los mit dir/
    Mach' nicht auf high society/
    Jeder kennt hier deine Leier/
    Du Stück Scheiße auf Klopapier/
    Guck deine Weiber, diese Chayas/
    Lutschen Eier bei 'nem Dreier, Nutte

    (Big A auf "Bitch Pleaze")

    , wobei das "Nutte" so betont ist, dass sich sogar SSIO fremdschämen würde. Umso besser, dass Plusmacher auf "TKÜ" auf von "Die Ernte" gewohntem Niveau rappt, und dadurch nicht etwa dem "main act" die Show stiehlt, sondern den Song spürbar aufwertet. Omik K könnte öfter einen Featurepartner vertragen, der nicht nur ein schlechterer Abklatsch von ihm selbst ist, sondern der seine monotone Thematik und seinen ununterbrochen aggressiven Stil etwas aufbricht und auflockert.

    Fazit:
    Omik K ist kein schlechter Rapper und seine Produzenten machen keine schlechten Beats. Aber nicht schlecht zu sein, genügt nicht in Zeiten, in denen Konkurrenten wie die 187er mit fast derselben Konzeption Reibach machen und dabei technisch besseren Rap und eine abwechslungsreichere Produktion vorweisen können. Die facettenreichen Alben der Konkurrenz machen deutlich, dass er sein Alleinstellungsmerkmal, seine Herkunft, viel deutlicher und mit tatsächlichem und prägnantem Einfluss auf seine Musik hervorstellen müsste, um aus der Masse hervorzustechen. Die Fähigkeiten, um einen anspruchsvolleren Stil zu verfolgen, hätte Omik K als Rapper zweifellos, aber "Karma" kann insofern nur bestätigen, was durch "Sangre Mala" bereits bekannt war, eine Weiterentwicklung blieb leider aus. Somit ist "Karma" ein höchstens durchschnittliches Album eines zwar authentischen, aber nicht auffälligen Straßenrappers, dessen Formkurve so flach wie die Brustmuskeln von Yung Hurn ist.


    (Franz Xaver Mauerer)


    [redbew]2086[/redbew]


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    01. Legend
    02. Ten Toes Down
    03. Don't Stop feat. Too Short
    04. Super Crip
    05. Coolaid Man
    06. Let Me See Em Up feat. Swizz Beatz
    07. Point Seen Money Gone feat. Jeremih
    08. Oh Na Na feat. Wiz Khalifa
    09. My Carz
    10. Two Or More
    11. Affiliated feat. Trick Trick
    12. Feel About Snoop
    13. Light It Up feat. Swizz Beatz
    14. Side Piece
    15. Kush Ups feat. Wiz Khalifa
    16. Double Tap feat. E-40 & Jazze Pha
    17. Got Those
    18. Let The Beat Drop (Celebrate) feat. Swizz Beatz
    19. What If feat. Suga Free
    20. Revolution feat. October London


    "Gangsta Rap is back" sagte Snoop Dogg bei Jimmy Kimmel und beerdigte damit fürs Erste seine musikalisch irrlichternden Alter Egos Snoop Lion und Snoopzilla. Die Hommage von "Coolaid" an seine eigenen OG-Alben "Doggystyle" und "Tha Last Meal" wird schon beim (schrecklichen: Die Karaffe mit "hair"! Die stirnrunzelnden "o"s! Der Hintern des pinkfarbigen Tyrannosaurus Blacks!) Cover klar, im Snoop Doggschen Triumvirat Schlampen, Gangsta-Dasein in Long Beach und Ganja verschieben sich die Koordinaten erneut, dieses Mal Richtung Long Beach. Nachdem er also die Wandlungen vom Rap-Megastar zum Rap-Opa zum Pornoproduzenten zum Rastafari zum Blaxploitation-Funkster hinter sich gebracht hat, zieht der Hund sozusagen den Schwanz ein und rennt zurück zum Dogg Pound. Kann das funktionieren? Ist ein offensichtlich im Luxus gealterter Veteran in der Lage, dieselben Messages zu transportieren, wie es diese psychopathische, völlig zugedröhnte Bohnenstange neben Dr. Dre Anfang der 90er noch schaffte – denn zog sich dessen Faszination nicht auch daraus, dass er ohne Probleme als Türsteher eines Crackhouses für Training Day oder The Wire gebucht hätte werden können? Und ist er angesichts des Erfolgs von Dr. Dres "Compton" nicht einfach zu spät dran, was kann er dem noch hinzufügen?

    Da das Album ja vor allem eine inhaltliche Zeitreise nach Long Beach, CA, ca. 1993 sein soll, fangen wir mit den Texten an. Ein wiederkehrendes Thema in quasi allen Rezensionen seiner gesamten Diskographie, das deshalb offen benannt werde sollte: Snoop Dogg schreibt meist schlechte Texte. Es fehlt das Thema außer Weed und oberflächlichem OGtum, und dadurch fällt noch mehr auf, dass der Kalifornier selten gute Sprachbilder findet, originelle Vergleiche zieht oder irgendwie sonst eine Immersion in seinen mit Sicherheit im Alltag nicht uninteressanten Kosmos vollbringt. Das ist der gleiche Künstler, der "Oh Sookie", "Beat Up On Ya Pads" und das gesamte Album "Tha Doggfather" verbrochen hat und über dessen Texte als Snoop Lion der Ganja-Mantel des Schweigens gelegt werden sollte – oftmals blieb der Eindruck, dass Snoop Dogg einfach keine Lust hatte, sich mit ausgefeilten Lyrics herumzuschlagen, ebenso wie er schon immer auf gute Produzenten angewiesen war: "I don't give a fuck about no beat" (Snoop Dogg auf "Freestyle Conversation", 1996). Nachdem die Erwartungen also etwas justiert sind, zeigt "Coolaid" insofern recht rasch seine Janusköpfigkeit. Es gibt Lyrics wie diese:

    What's up, what's happening?/
    Big Snoop in this bitch, get it crackin'/
    Dickies creased up and they saggin'/
    Gat in the right side, left side flag/
    Niggas running at the lip again/
    Got me feelin' I'ma trip again/
    And you thought I wasn't listenin'/
    Bitches talk shit, got me walkin' like a Crip again

    (Snoop Dogg auf "Super Crip")

    , die es mit Sicherheit nicht in ein Poesiealbum von Ghostface Killah oder Aesop Rock schaffen würden, die aber funktionieren und ihren Zweck erfüllen. Snoop Dogg erinnert mich textlich auf "Coolaid" stellenweise an Bushido, um ein deutschsprachiges Beispiel zu bemühen: Manchmal gestelzt, aber fast immer zweckdienlich und durchgehen konsequent und so eng am Thema wie der twerkende Arsch einer Backgroundtänzerin seines Oeuvres "Snoop Dogg's Doggystyle" (nicht googlen, Kinder!) am Schritt von eben dem Künstler. Leider bleibt auch bei diesem Album die Beobachtung nicht aus, dass der alte Hund leider gar nichts zu sagen hat. Es gibt einen Unterschied zwischen einer stimmigen Ghetto-Beobachtung, wie sie vor nicht langer Zeit Dr. Dres "Compton" zustande brachte – die deswegen keineswegs eine ausgewachsene Milieustudie sein muss oder soll – und der Benutzung bestimmter bekannter Plattitüden – schließlich weiß jedes Kind von Hanoi bis Pressburg: Long Beach, CA = Gangsta – zur wenig organisch wirkenden Ausnutzung als purer Rahmen einer Selbstbeweihräucherung, siehe:

    Don’t stop being you, don't stop being G/
    Egotistical, mystical, officially/
    Shuffle my feet to the beat with my heat in the stash/
    G in the bag with the C on the flag/
    We some real OGs baby/
    I was getting money in the 80's daily/
    Niggas like me don't never quit/
    And I still go hard on a bitch, ya bitch

    (Snoop Dogg auf "Don't Stop")

    Liest man diesen Abschnitt laut vor, wird hoffentlich deutlich, was hier mit zweckmäßigen Lyrics gemeint ist; trotz inhaltlicher Schwächen geben die Texte aufgrund ihrer Struktur Kraft und kommen Snoop Doggs Flows sehr entgegen. Die vielen middle rhymes geben ihm Raum, seine Klasse und Erfahrung als Rapper auszuspielen.
    Die Produktion teilt sich ein ganzes Sammelsurium von Beatmachern, vom verstorbenen J Dilla über Snoop Dogg selbst (als Niggarachi – ob er weiß, dass diese von ihm seit vielen Jahren benutzte Liberace-Anspielung Homosexualität impliziert?) bis zu Timbaland, dem auch gleich drei Mal als durchschnittlichen Feature-Gast vertretenen Swizz Beatz und Just Blaze. Hört man diese Namen, schwingt die Vorahnung mit, dass hier keine abgedrehten Experimente zu erwarten sind. Tatsächlich machen es sich manche Songs wie "What If", "Feel About Snoop" und der Albentiefpunkt "Don't Stop" zu leicht und setzen auf Standard-G-Funk-Formeln, tausend Mal gehört und nicht schlecht, aber auch nicht besonders – warum sollte man das hören wollen, wenn es tausende bessere G-Funk-Songs aus den 90ern gibt? Dass es anders geht, zeigt "Double Tap", bei dem Jazze Pha tatsächlich einen zeitgenössischen Zugang zum G-Funk findet; ebenso wie das ganz hervorragende "Got Those" von Timbaland und die Single "Kush Ups" von KJ Conteh, die vorbildlich moderne Elemente integriert und so Wiz Khalifa als Feature einen Weg in den Song ebnet. Nicht wirklich mehr auf dem G-Funk-Pfad ist "Super Crip", dessen Beat sich aber auf absolut jedem Rap-Album hervorragend machen würde. Die Produzenten, die ich hier besonders lobend erwähne, sind teilweise noch länger als Snoop Dogg selbst im Biz, was einerseits gegen die Experimentierfreudigkeit des Rappers spricht, andererseits aber ein Signal an junge Produzenten sein sollte, dass das Pferd G-Funk mit seinem warmen und vielschichtigen Sound nicht totgeritten ist und mit moderner Produktion eine Revitalisierung wert ist, wenn sogar so uralte Säcke wie Jazze Pha, der ungefähr so altes Eisen ist wie Kaugummizigaretten oder Beanies, eine solch starke Arbeit abliefern kann. Dr. Dre ist übrigens nicht mit an Bord; schön zu sehen, dass guter G-Funk auch ohne ihn geht.
    Die Delivery von Snoop Dogg, man glaubt es kaum, hat sich entweder geändert oder er hat sich hier endlich mal wieder zusammengerissen. Das Zerfledderte, zu Schnorrige ist größtenteils weg, einen pointierten Rap auf einem schwierigen Beat wie in "Point Seen Money Gone" haben ihm wohl viele nicht mehr zugetraut, er findet rasch in einen Sing-Sang-Flow, wie er seine besten Releases auszeichnet, der Mann hat sein Trademark wiedergefunden. Leider ist der Song "Coolaid Man" aufgrund seiner wirren Lyrics und dem beliebigen Beat kein Höhepunkt, aber ein weiteres Beispiel für den hier vorherrschenden souveränen Stil von Snoop Dogg. Persönlich dachte ich nach dem "Compton"-Highlight "One Shot One Kill", dass er nach dem tausendfachen Lob, das er dafür erhalten hatte, verstärkt auf einen aggressiven Flow setzen würde; eine solche rote Linie fehlt auf diesem Album aber völlig und man vermisst sie auch nicht. Falls es Snoop Doggs Kalkül war, den G-Funk deswegen wieder auszugraben, um zu beweisen, dass er nicht nur das Schmutziger-Opa-Maskottchen des Raps ist, sondern sein Rap im richtigen Kontext nicht deplatziert, im Gegenteil sogar stark und authentisch wirkt, dann hat er das geschafft. Die Features sind übrigens kaum einer Erwähnung wert; Künstler wie Suga Free, Trick Trick und Too Short stören nicht, Snoop Dogg schien sich aber nicht der Gefahr aussetzen zu wollen, dass ihn jemand auf seinem Album überstrahlt. Allerdings bildet Wiz Khalifa die Ausnahme dieser Regel, und wie oben schon erwähnt, ist dieser Song auch so konzipiert, dass er beiden Rappern entgegenkommt, so dass beide MCs auf Augenhöhe liegen und brillieren können – angesichts des kommerziellen Erfolgs von Wiz auch aus Geschäftsperspektive bestimmt keine schlechte Idee.

    Fazit:
    Tatsächlich schafft es Snoop Dogg mit diesem Album, sich erfolgreich auf sich selbst zu beziehen, und das größtenteils ohne altersmilde, einfallslos oder in der Vergangenheit hängengeblieben zu wirken. Die Texte sind, wie sie bei dieser Legende nun mal zu erwarten waren, nicht das Wahre, aber nur weil man etwas Schlechtes 25 Jahre lang durchzieht, wird's inhaltlich nicht leichter zu entschuldigen. Umso besser, dass zumindest die formelle, musikalische Seite der Texte wieder ihren Teil zum Flow beitragen kann und nur wenige ungelenke Passagen den Gesamteindruck stören. Zusammen mit seiner Veteranen-Produzentenriege schafft er den Kraftakt, dem bemerkenswerten "Compton" ein musikalisch gleichwertiges Pendant entgegenzustellen, das eine echte Zukunftsperspektive für den G-Funk und für den Rapper Snoop Dogg aufzeigt: Zusammengefasst ein gutes Album eines Künstlers, der zuletzt eher gute Features als gute eigene Werke abgeliefert hat. U read that, Cold187um?


    (Franz Xaver Mauerer)


    [redbew]2085[/redbew]


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    01. Keine Wissenschaft
    02. Wer willst du sein feat. Karate Andi
    03. Feiern und ficken
    04. Gewalttinder
    05. Missgunst und Neid
    06. Taubensohn feat. Shacke One
    07. Hackfressen
    08. Kampfwespen
    09. Fette
    10. Das ist Hip Hop feat. Frauenarzt
    11. Fleiß bei der Arbeit
    12. Berlin holt die Punkte
    13. Das große Fressen
    14. Bärentöter feat. Tiger
    15. Deutschraps Mercedes Benz


    Nur wenige andere deutschsprachige Rapper konnten sich so konstant und im Nachhinein fast konzipiert wirkend eine Karriere aufbauen wie MC Bomber. Er hat die Crew für starke Features, er hat ein Indie-Label im Rücken, er konnte sich über die Prenzlberg-Battletapes und gefühlte 1000 Teilnahmen bei Rap am Mittwoch oder Cyphers einen Ruf im Untergrund aufbauen. Sein jüngster Output, die "Storch oder Affen"-EP, verbunden mit einem Signing bei Morlokk Dilemmas MOFO AIR, entpuppte sich allerdings als der erste Rückschlag für den Karriereweg des Berliners. Die Produktion war unausgegoren, das Songwriting wirkte unfertig, das Ding war einfach nicht rund und hinterließ in der Szene auch nicht ansatzweise einen solchen Fußabdruck wie das "Prenzlberg Battletape Vol. 3". Dennoch hat der Bomber wieder Aufwind, denn über Frauenarzts Proletik-Label hat er zum ersten Mal einen Major-Vertrieb im Rücken, weshalb dieses Album für MC Bomber einige langfristige Weichen stellen dürfte. In Anbetracht des Albums seines neuen Labelbosses, "Mutterficker", stellt sich durchaus die Frage, ob MC Bombers Wechsel vom strikten Oldschool-Wächter Morlokk Dilemma zum musikalisch deutlich offeneren Frauenarzt auch eine Entwicklung seiner eigenen aggressiven Battlerap-Lines und BoomBap-Instrumentierung bedeutet.


    Ich bin ein Brutalo, der euch dumme Toys verbrennt/
    Eure Hollywood-Türken-Mucke ist nicht von Interesse/
    Ich hab' keine Zeit, weil ich im Studio fick' und esse/
    Mein monatlicher Output wär' für andere ein Lebenswerk/
    Ich geb' extra Gas, wenn mir irgendwer entgegenfährt/
    VBT-Opfer biten meine Punchlines

    (MC Bomber auf "Keine Wissenschaft")

    Die erste Antwort ist rasch gefunden: Nein, die Texte sind weiter so aggressiv wie ein 8-Jähriger beim Manhunt-Zocken und auch gewohnt originell und oftmals lustig. MC Bombers Albumdebüt trägt den Namen "Predigt" – kennt man sein bisheriges Schaffen, drängt sich der Vergleich mit einem Prediger tatsächlich ein Stück weit auf, auch wenn er natürlich kein David Eugene Edwards oder Daniel Johnson ist, sich also nicht wirklich mit Religiosität auseinandersetzt. Zum einen passt der Vergleich aufgrund der Technik des Bombers: Die überhastete, atemlose Delivery erinnert an einen Fanatiker, an einen Televangelist gekreuzt mit einem angepissten Bill O'Reilly – zum anderen, da der Künstler fast immer als lyrisches Ich mit dem Hörer in Zwiespalt liegt und sich wie Mos Def und Rakim zu ihren besten Zeiten (und aktueller noch Audio88 & Yassin, die sich einer ähnlichen Herangehensweise bedienen) am Gegenüber auf der anderen Leitung reibt und von der Kanzel "predigt". Die Litaneien dieses Rappers von der Kanzel sehen so aus:


    Was willst du tun, wenn zwei beknackte Atzen ausgreifen/
    Dein Bild von HipHop ficken und dir in dein Maul scheißen/
    MC Bomber – Deutschraps Mercedes Benz/
    Komm in meine Stadt und du siehst, wie mein Penis glänzt/

    (MC Bomber auf "Deutschraps Mercedes Benz")

    Eine der größten Stärken des Berliner MCs waren schon immer seine Themen, denn es gibt einen Unterschied, ob jemand aus seinem Leben erzählt oder er dich "durch den Spiegel zieht". Ein Beispiel aus der jüngeren Kulturgeschichte: MC Bomber malt ein Bild, in das man wie Geralt von Rivia in Iris von Everecs Bilder reinsteigen kann, er macht seine Umgebung und seine Themen greifbar. Sein Kosmos ist nicht auf den Nordosten Berlins beschränkt, dieser und sein täglicher Streifzug durch die Stadt sind aber sein Medium, durch das er seine Ansichten über urbanes Leben transportiert – wie schon bei "Trainhustler" ist dabei der Berliner ÖPNV ein beliebter Rahmen, mittels dem er seine Beobachtungen veranschaulicht:

    Ringbahn Rush Hour/
    Kopflose Nullmenschen/
    Stehen rum in Massen/
    Frage bleibt, wann meine Geduld endet/
    Ich hab' kein iPhone/
    Daher rennt mein Blick hektisch/
    Zwischen all den Zombies rum/
    Vertieft in ihrer Technik

    (MC Bomber auf "Gewalttinder")

    Obwohl "Predigt" insgesamt den Charakter eines Battletapes erhält, nutzt der Rapper seine Tracks noch konsequenter als zuvor, um Einblicke in sein Leben zu geben und erreicht so direkte und authentische Texte, die ihm immer wieder intelligente und überraschende Sprachbilder und durchgängig starke Lines ermöglichen. Davon unabhängig scheint der Mensch MC Bomber seine Rolle als Stadtbewohner zuvorderst über Menschenhass und Misogynie zu definieren, angesichts seines souveränen Umgangs mit seinen Texten fast schon schade und etwas ungenutztes Potential. Nun könnte man sagen: Ist halt Battlerap. Aber eben, da er ständig sprachlich nach allen Seiten mäandert und unorthodox textet, würde sein Battlerap auch weniger direktes Battle vertragen, ohne Authentizität zu verlieren. In "Kampfwespen" schafft es MC Bomber, einen nicht-peinlichen Song über Wespen zu schreiben – wer kann das schon?


    Der erste Feature-Gast ist Karate Andi; dass er und MC Bomber immer noch wie siamesische Zwillinge aneinander kleben, ist erstens einfach herzergreifend und zweitens auch aus raptechnischer Sicht wünschenswert, da die beiden einen fast schon konträren Rapstil bringen und sich wunderbar ergänzen. Karate Andi neigt (so auch auf dem insgesamt starken "Turbo") ja manchmal dazu, sich wie "jemand Langsames" anzuhören, aber hier bringt er einen schönen Kontrast zu MC Bombers hastigem Stil. Shacke One und Tiger sind alte Bekannte auf Veröffentlichungen des Berliner Rappers, und im Gegensatz zu Karate Andi fährt vor allem Shacke One seinen Rapstil auch so, als würde er gleich ersticken und müsste noch schnell den Namen seines Mörders herauspressen – sie können die Tracks nicht so komplementär ergänzen wie Karate Andi, sorgen aber für ein homogenes Sound-Bild und rappen ihre Parts für sich genommen stark. Wie schon auf "Mutterficker"s stärkstem Track "Wir geben keinen Fick" ergänzen sich Frauenarzt und sein Protegé auf "Das ist Hip Hop" erneut exzellent.


    Die Delivery ist für MC Bomber typisch, er hat bereits seit einiger Zeit seinen eigenen Stil gefunden: Lieber einmal kurz verhaspeln als Langeweile aufkommen lassen, lautet hier das Motto. Der Prenzlberger MC rappt schnell und er rappt gut, und vor allem tut er es unterhaltsam. Er findet rasch in seinen leicht leiernden Flow hinein und dann kommt man teilweise aus dem Staunen nicht heraus: Eine solch souveräne Performance findet man im Deutschrap nur sehr selten, dieser Rapper hat seinen Stil gefunden und der ist treibend, hektisch und meist einfach ein Genuss. Was für den Rap gilt, gilt auch für die Beats: KevBeats liefert verlässlich die NY-BoomBap-Instrumentierung, die mit harten Kicks und trockenen Snares zu keiner Zeit angestammtes Terrain verlässt. Eben aufgrund der starken technischen Fähigkeiten seines Rapstils kann er mit dieser kargen Instrumentierung auch umgehen, so dass seine Vocals schlicht im Vordergrund stehen. Jedoch, und meine Kritikertränen kullern mir beim Schreiben auf die Tastatur, liegt hier auch ein Knackpunkt dieses Albums, der "Predigt" sofortigen Klassikerstatus verwehrt: So gut hat man das alles schon lange nicht mehr gehört, insbesondere aus Deutschland, aber man hat es eben schon gehört. Man kommt nicht umhin, sich vorzustellen, wie gut MC Bomber sein könnte, wenn er sich mehr aus seinem Revier trauen würde – nicht etwa einen Trapsong auf das Album packen, nein, sondern sich insgesamt eine offenere Herangehensweise trauen. Die Songs sind abwechslungsreich, in ihrer Struktur sind sie aber starr und insgesamt zu homogen in ihrer Simplizität. Die Beats sind handwerklich astrein, kommen aber über eine Untermalung nie hinaus. Auf meinem Lieblingssong des Albums, "Deutschraps Mercedes Benz", gibt es eine kurze Passage, in der der Künstler durch eine ironische Betonung eine Passage beendet und dann mit einem wahnsinnig starken Zug in die nächste überleitet –mehr von diesen kleinen Kniffen würden den Bomber noch einmal ein bisschen höher fliegen lassen. Wenn der kluge Beobachter MC Bomber musikalisch den nächsten Schritt geht, hat er zweifellos das Zeug, mehr als "nur" ein sehr gutes Album zu machen – und dafür ist ja noch genug Zeit.

    Fazit:
    Ein ganz starkes Album, in sich stimmig, technisch durchgehend auf hohem Niveau und textlich gewohnt überzeugend. "Predigt" soll eine Oldschool-BoomBap-Platte mit Battletape-Charakter sein und diesen Anspruch erfüllt die Scheibe zweifellos. Ein Geheimtipp ist MC Bomber nun schon eine ganze Weile nicht mehr, nach dem gewöhnungsbedürftigen "Storch oder Affen"-Release konnten aber zumindest Zweifel bleiben, ob er den Sprung in den Mainstream unbeschadet übersteht, und die Antwort darauf kann nur lauten: Ja. "Predigt" ist ab jetzt die Benchmark für kontemporären 2010er-Jahre-Battlerap, das ist der Vorsprung, zu dem sich alle folgenden Releases dieses Jahres recken müssen, um nicht im Durchschnittsstrom zu ersaufen (looking at you, Sylabil Spill!). Für einen echten Klassiker muss der Prenzlberger aber mutiger werden, auch ein Joey Bada$$ musste schon einsehen, dass Reminiszenz und Stillstand leider oft dasselbe Paar Schuhe sind.


    (Franz Xaver Mauerer)


    [redbew]2082[/redbew]


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    [MENTION=1007348]MDSN[/MENTION]: völlig ok, genau dafür schreibe ich reviews, wenn irgendeiner armen sau um 13:11 in der arbeit so langweilig ist, dass er noch lieber was altes über chakuza liest.

    [MENTION=1045855]IVIB[/MENTION]


    hola hermano,


    ich entkräfte überhaupt nichts, wenn ich ihn komplett schlecht fände, hätte ich ihn komplett schlecht bewertet. Und ja, "nicht schlecht" bedeutet v.a. im süddeutschen Sprachraum gut. Wenn Schuhbeck an einer Suppe schmeckt, sagt er auch "nicht schlecht", mal so als Beispiel.


    Ich erwarte(te) von Chakuza überhaupt nichts, weil mich sein bisheriges Schaffen kaum tangiert hat, weder positiv noch negativ. Als ich mich aber mit seinem letzten Album beschäftigt habe, fielen mir eben einige Aspekte auf, auf die ich dann in der Rezension zum neuen Album geachtet habe, das ist aber einfach Nachvollziehen einer Entwicklung, keine Erwartungshaltung. Um eine solche geht es auch überhaupt nicht, genauso wenig um den Stil, den Chakuza gerade fährt, sondern im Kern geht es um immer schlechter werdende Lyrics. Ich bezweifle überhaupt nicht, dass man gute Lyrics schreiben und gleichzeitig Chakuzas aktuellem Stil treu bleiben kann- nur kann Chakuza das halt anscheinend nicht. Und die Ausrede, der brauche keine guten Lyrics mehr, der habe schon so viele geschrieben, die lasse ich mal im Raum stehen. Und wer die von mir zitierten Lyrics nicht beschissen findet, dem kann ich beim besten Willen nicht mehr helfen.


    Dein Waterboarding-Absatz erschließt sich mir nicht wirklich. Wenn dein Fazit "das Album ist eine Frage der Erwartungshaltung bezogen auf Kenntnis seiner Werke" ist, dann habe ich doch nach deinem eigenen Vorwurf alles richtig gemacht, da du ja behauptest, ich hätte mich nur auf meine Erwartungshaltung verlassen? Außerdem habe ich ihn nicht im Bach ersoffen, es finden sich genügend positive Elemente in der Review- deswegen ja auch 2,5- die muss man sich erst mal verdienen, bei Vollscheiße gebe ich auch gar kein Mic.


    01. Anno 1981
    02. Wien
    03. Bilder
    04. Gold
    05. NOAH
    06. Tanzmarie
    07. Vorhang
    08. Prag
    09. Sonnenallee
    10. Winterschlaf
    11. Mond
    12. Dings
    13. Wassersturmfeuer


    Albencover sind eine schwierige Angelegenheit, alleine schon, weil eine Verbindung so grundverschiedener Medienrezeptionsformen wie Audio und Visualisierung komplex ist. Dazu kommt im speziellen Fall von Albencovern ein immanentes Ungleichgewicht: Anders als in einem Musikvideo können sich die beiden Formen kaum ergänzen, sondern das Visuelle, quasi die Werbefläche des Albums, muss zunächst für sich alleine stehen, um als Kaufanreiz zu dienen. Anschließend muss die visuelle Komponente auch noch dann bestehen, wenn der einzelne Rezipient die Musik aufgenommen und für sich individuell verarbeitet hat. Was will uns also ein Künstler wie Chakuza sagen, der sich mit zum Gebet gefalteten Händen, ein bisschen weltschmerzig nach unten schauend mit einem Pastell-Blur-Effekt auf seinem Albumcover verewigen lässt? Ist das ein harter Metawitz auf Kosten von Audio 88 & Yassin oder nicht ironisch gemeint? Ist Chakuza also in die alte Four Music-Falle gerutscht und folgt seinen Labelkollegen (jüngstes Beispiel: Schirmmützenheini Mark Forster, dessen EM-Song sich im zwangsfinanzierten TV-Programm ein tägliches Peinlichkeitsbattle mit Grönemeyers "Jeden für Jeden" liefert) in die Bedeutungslosigkeit des Stammelns eines wabernd angedeuteten generellen Unwohlseins, die seelisch Verkrüppelten als echte Emotionen verkauft werden sollen? Sein selbstgewähltes "Exil" auf einem Pferdehof in der bayerischen Provinz, das auch noch medienträchtig mitsamt dem letzten Album "Exit" als innere Einkehr verkauft wurde, lässt Schlimmes erahnen – und missfiel dem aus der bayerischen Provinz stammenden Autor dieser Rezension, weil Chakuza Bayern als Einsiedlerhöhle zu verkaufen versuchte.


    Die aktuelle Platte "NOAH" (großgeschrieben, s. -> "Pathos") ist in Chakuzas Kosmos also als Wiederkehr von der Flucht zu verstehen, als ein Wiederaufbäumen eines revitalisierten Rappers. Der Titel, den Chakuza nicht religiös verstanden haben will, soll einfach nur ausdrücken, dass er alles ihm musikalisch Wichtige auf seiner Arche versammeln möchte. Das ist kein geringer Anspruch, aber Chakuza legt noch nach auf seiner Website: "»NOAH« ruht in sich selbst und ist ein fantastischer Schlussstrich unter den langjährigen Selbstfindungsprozesses [sic!] einen [sic!] Künstlers, der lange genug mit sich selbst und der Welt im nervenzehrenden Streitgespräch lag. Chakuza kann wirklich erleichtert sein". Nun kann man aber auch vom Sich-Erleichtern erleichtert sein und um dem nachzugehen, fangen wir von vorne an: "Anno 1981" ist etwas ganz Wichtiges passiert, da erblickte der kleine Chakuza nämlich das Gesicht einer Linzer Hebamme. Orgeln sind immer toll und tatsächlich gelingt es Chakuza hier, eine organische Instrumentierung zu präsentieren, die einfach gut klingt, seinen Rap unterstützt und zwar eingängig, aber nicht eindimensional ist. So wollen sich viele Clueso-Songs anhören, da ist Zug drin, es sind offensichtlich gute Musiker am Werk und dann ist das auch noch sauber produziert und abgemischt. Textlich sieht das anders aus: Der Song beschreibt nur den unwahrscheinlichen Aufstieg (zu was?) eines tollen Typen, dem irgendwelche Idioten Steine in den Weg gelegt haben:

    Ich bin mein eigenes Zugpferd/
    Die Scheiße ist nur, dass, wenn ich schreie, keiner zuhört/
    Wie eine Einweihungsfeier, aber du störst/
    Der Kreis wird bei weitem nicht reichen für'n U-Turn/
    Riesiges Boot oder sinkendes Floß/
    Stimme zu tief für 'nen Engel/
    Der Himmel zu hoch/
    Nach außen hin kleiner Bengel, innen drin groß

    (Chakuza auf "Anno 1981")

    Sogar der libertärste Parlamentarier würde wahrscheinlich einem Gesetzentwurf zustimmen, der solche Lyrics verbietet. Abgesehen von der infantilen Sprache als solcher ergibt das alles auch überhaupt keinen Sinn; warum sollte jemand Starkes ("Zugpferd") denn überhaupt Zuhörer benötigen? Welche Feier? Welcher Kreis? Warum die Engel? Das sind Phrasen, das sind Punkte – kennt ihr diese Infrarotschnittstellen in Einkaufszentren oder Behörden? Die sind dafür da, dass Wachmänner auf ihrer Tour mit einer Chipkarte bestätigen, dass sie diesen Bereich patrouilliert haben – so macht Chakuza das auch, er schlurft für Mindestlohn durch ein verwaistes Bürogebäude um 02:00 Uhr nachts, checkt den Punkt ab, und den nächsten, und so weiter, bis er eben alle Bereiche abgedeckt hat – authentisch wirkt das nicht.
    Widmen wir uns den Ort-Songs des Albums, davon gibt es gleich vier: "Wien", "Prag", "Sonnenallee" und "Mond". Die Distanz Chakuzas zu seinen eigenen Texten ist hier besonders eindringlich, denn in keinem dieser Songs geht es um die Orte oder Emotionen, die er mit diesen Orten verbindet; sie dienen ihm nur als Blaupause für verschiedene Sehnsuchtsstufen, sind aber völlig losgelöst von Chakuzas eigentlichem Bezug ihnen gegenüber. "Wien" handelt von (unreflektiertem) Utopismus, "Prag" von jugendlichen Idealen, "Mond" von Weltschmerz und "Sonnenallee" von einem Katermorgen. Der letztgenannte Song ist wiederum ein weiteres Beispiel für die belang- und lustlosen Texte dieser Platte:

    Nur durch vergessen kommt der grenzenlose Horizont/
    Ich seh' die grelle Sommersonne, wenn der Morgen kommt/
    Die Türen sind geschlossen, auch für dich, Jim Morrison/
    Ich brauch nach der Action wohl 'ne Pause/
    Hol' mir was zu essen, lauf' wie Rotkäppchen nach Hause/
    Das echte Leben fühlt sich gar nicht so an/
    Ich war bis eben noch gefangen im Fantasialand

    (Chakuza auf "Sonnenallee")

    Welcher Rapper bezeichnet sich selbst als "Rotkäppchen", direkt nachdem er sich mit "Jim Morrison" vergleicht? Nicht einmal (dem hochgeschätzten) Le1f käme so ein genderbender-Nonsens in den Sinn, wobei Chakuza keinen Anflug von Ironie oder Reflektion erkennen lässt, wenn er so etwas bringt. Das ist umso bedauerlicher, da Chakuza als Rapper eigentlich nicht so limitiert wäre, als dass er sich eh nur auf die Instrumentierung verlassen müsste. Seine sonore, ruhige Stimme passt zu seiner unaufgeregten Delivery. Trotzdem wirkt sein Rap stimmlich selten fad, Langeweile stellt sich erst durch die plätschernden Lyrics ein. Chakuzas Songwriting ist eher zurückhaltend, so dass er seinen Rap gut auf die Produktion einstellen kann, das Fließende kommt ihm zupass. Insgesamt dominieren weiche Drums und Tasteninstrumente, die bereits genannte Orgel muss viele Einsätze bestreiten, "Wien" wird vom Klavier getragen. In seinen besten Momenten wirkt das für die Instrumentierung zuständige niederländische Künstlerkollektiv In Vallis wie eine schnellere Version von Lambchop. Bezüge zu aktuellen Entwicklungen im HipHop fehlen übrigens völlig, aufgrund des organischen Charakters der Platte vermisst man diese aber auch an keiner Stelle, es zeichnet Chakuza durchaus aus, dass er hier keine Kompromisse fährt. Chakuza erwähnt oftmals die Donau, den prägenden Fluss seiner österreichischen Heimat, und so wie der Schwarze Fluss ist Chakuzas Flow auch meist ruhig und konstant. Die beiden obigen Beispiele verdeutlichen aber eine weitere eklatante Schwäche von Chakuzas Lyrics, nämlich ihre unbeholfenen Fünftklässler-Reime. Oft muss Chakuza Füllwörter, schiefe Satzkonstruktionen oder Inversionen nutzen, um die Reime hinzubiegen, so in:

    Wie oft hat mir der Kopf das schon verziehen?/
    Ich denke oft, ich fiel als Kind in einen Topf voll Aspirin/
    Die Arme müde und die Hanteln, die sind richtig schwer/
    Tag der lahmen Ente, nicht verdammt wütender Grizzlybär/

    (Chakuza auf "Winterschlaf")

    Diese wirken dadurch natürlich künstlich, was durch die souveräne Delivery nur teilweise ausgeglichen werden kann. Über den indiskutablen Aufzählrap im grotesk benannten "Tanzmarie" sollte man nicht mehr Worte verlieren als nötig. Streckenweise hätte ich mir gewünscht, Chakuza würde einfach wie ein SingStar-Cheater summen, dann wäre das ein ziemlich gutes Album. Übrigens gibt es eine Edition des Albums, bei der als Bonus-CD die Instrumentals beiliegen. Diese sei hiermit jedermann ans Herz gelegt.

    Fazit:
    Ein Witz für unsere bayerischen und österreichischen Leser: No, ah, wie war denn "NOAH"? Die eingangs geäußerte Befürchtung, "NOAH" könnte bedeutungsschwangerer inhaltsleerer Sondermüll sein, konnte leider nicht ganz zerstreut werden. Chakuza selbst bezeichnete das Album in einem Interview etwas verschämt als "Coldplay mit Rap"- aber muss das implizieren, Chris Martins beschissene Lyrics zu übernehmen? Allerdings bleibt es dabei, dass Chakuza ein wirklich nicht schlechter Produzent und Songwriter ist. Vielleicht wäre ein Ghostwriter eine gute Idee, aber das bleibt wohl ein hehrer Wunsch. Wenigstens das verhuscht Konzeptionelle sollte Chakuza aber aufgeben; entweder er sucht sich ein Thema, das er dann auch auf Albumlänge durchzieht und in das er tief einsteigt, oder er akzeptiert, dass er kein festes Thema hat. Der Ansatz, Schaffensperioden emotional prägen zu wollen, übersteigt seine Fähigkeiten nämlich gewaltig. So ist "NOAH" eine nette, aber belanglose Platte, ideal für eine nächtliche Autofahrt zwischen Chakuzas Heimat Linz und der bayerischen Provinz, in die es ihn verschlagen hat. Für die Rückfahrt lege ich aber lieber Ambros ein.


    (Franz Xaver Mauerer)


    [redbew]2074[/redbew]


    Bewerte diese CD:
    [reframe]reviewthread.php?reviewid=2074[/reframe]

    Es gibt keinen. Das Taktloss-Feature ist fantastisch und einer der besten Tracks des Albums.


    Ich finde, dass das schwierige Tempo Frauenarzt als Rapper etwas überfordert. Die pfeifenden und recht statischen Synths mit diesen schweren Bässen geben dem Song eine zähe Struktur. Frauenarzt ignoriert das nach meinem Eindruck einfach und rappt nur leicht langsamer als am Rest des Albums, während Taktloss, was ihn durchaus auszeichnet, versucht, voll drauf einzugehen, aber dem ganzen Sud nur noch mehr die Energie rausnimmt. Vielleicht hätte das sogar noch geklappt, wenn der Refrain eine echte Befreiung wäre, ein richtiger Punch. Ich finde aber, dass beim Refrain die Handbremse mindestens halb angezogen ist. Dazu kommt, dass ich Taktloss Lines "Ich tu so, als würd ich dich kennen/ und werde das Kind gleich beim Namen nennen/ Hurensohn" und "Wäre mein Name Buuh/ würde ich keinen Applaus kriegen" völlig unter seiner Würde finde, genau wie das Konzept des Songs überhaupt - "Wär dein Name Buuh"? Ja, sind wir denn hier bei Blumentopf, ist das hier Four Music?


    [MENTION=378248]lionxx[/MENTION]: Letztlich ist er die falsche Wahl für den Track gewesen, und er hat versucht, sich dem Track anzupassen und es hat halt nicht funktioniert. Im Endeffekt nicht seine Schuld (bis auf die Lyrics! Selbst diese Meute-Line ist doch schief...)


    01. KKF
    02. Zieh dein Shirt aus
    03. Nachbarviertelterrorist
    04. Blaulicht
    05. Alles Gute
    06. Fickfinger
    07. Eine Kugel
    08. Buuuh
    feat. Taktlo$$
    09. Westberlin
    10. Ketten raus, Kragen hoch
    11. 666
    12. Mein BAE
    13. Wir geben keinen Fick
    feat. MC Bomber
    14. KKF (Kool Savas & Smoove Remix)
    15. Zieh dein Shirt aus (Remix) feat. SXTN
    16. Nachbarviertelterrorist (Remix) feat. Karate Andi
    17. Blaulicht (Remix) feat. Audio 88 & Yassin
    18. Alles Gute (DJ Desue Remix)
    19. Fickfinger (Remix)
    feat. Corus 86
    20. Eine Kugel (Remix) feat. King Orgasmus One
    21. Buuuh (DJ Reckless Remix) feat. Taktlo$$
    22. Westberlin (Remix) feat. Prinz Porno
    23. Ketten raus, Kragen hoch (Remix) feat. Haiyti
    24. 666 (Remix) feat. Basstard
    25. Mein BAE (Remix) feat. MC Bogy
    26. Wir geben keinen Fick (Remix) feat. K.I.Z., MC Bomber & Shacke One


    Mutterficker ist ein interessanter Albumtitel: Schließlich konnte sich die deutsche Variante von "motherfucker" im deutschen Sprachraum, sei es auf Pausenhöfen, Uni-Mensas oder im HipHop nie durchsetzen und insbesondere nicht die rebellisch und letztlich positiv konnotierte Bedeutung wie das englische Äquivalent erlangen. Ein aus der Zeit gefallener Titel für einen altersmüden Veteranen des Deutschrap? Frauenarzt war lange Zeit am Puls des Untergrund-Raps, bevor er und Manny Marc zusammen als Die Atzen die Meuten in mallorquinischen Sauftempeln mit anzüglichen Schlagern beglückten. Die Atzen verloren jedoch ihre Anziehungskraft auf Sauftouristen und nach ihrem letzten, weitgehend erfolglosen Party-Rap-Album "Atzen Musik Vol. 3" brachte Frauenarzt nichts Vernünftiges mehr zustande. Das vermeintliche Lebenszeichen "Tanga Tanga 3" aus dem Jahr 2013 zeigte einen gealterten Rapper, der zusammen mit seinen technisch limitierten Kumpels (Basstard, MC Bogy, King Orgasmus One) zu zaghaft versuchte, seine Erfolge als Die-Atzen-Mitglied mit seinen Rap-Credentials zu verbinden und irgendwo im Niemandsland dazwischen landete.
    Dass Frauenarzt für "Mutterficker" ein anderes Konzept verfolgt, war durch die Promo, in der das neue Album mit relativ großem Aufwand als Comeback-Album inszeniert wurde und die dezidiert Frauenarzts frühere Gang-Mitgliedschaft sowie seine Untergrunderfolge thematisierte, deutlich. So ist die spannendste Frage zum Album wahrscheinlich: Folgen den Worten Taten, schafft es Frauenarzt, den von ihm geschaffenen Charakter des El-Arenal-Prolls abzulegen?
    "Mutterficker" muss die Antwort liefern und gliedert sich in zwei Teile: Die Tracks der ersten Hälfte spiegeln sich in Remix-Versionen im zweiten Teil wider. Alle Features außer denen von Taktlo$$ und MC Bomber finden sich in der zweiten Hälfte, die Remixes sind mit drei Ausnahmen instrumental identisch mit den Originalen. Also alles ein bisschen kompliziert, hier wird die Gesamtheit des Albums bewertet, der Fokus soll nicht auf einem Vergleich der Versionen liegen. Das Album startet mit der ersten Single "KKF", was für King Kool Frauenarzt steht (übrigens ist eine musikhistorisch nette Fußnote, dass (King) Kool Savas am instrumentalen Remix von "KKF" mitgewirkt hat). "KKF" ist eine gelungene Ansage, eine völlig übertriebene und rein aggressive Selbstbehauptung:

    Es gibt kein Battle/
    Du kannst nicht gewinnen/
    Ich sage dir zum Teufel/
    Wer verdammt nochmal ich bin/

    (Frauenarzt auf "KKF")

    Der Track zeigt gleich zu Beginn des Albums zwei Dinge: Frauenarzt ist hungrig und Hell Yes als Produzententeam hat eine neu entdeckte Vorliebe für harte Beats, die nahe am Rave sind. Widmen wir uns zunächst den Texten: Auch wenn der zweite Song "Zieh dein T-Shirt aus" heißt, handelt es sich nicht um einen Rückfall in alte Atzen-Zeiten, sondern bis zum Schluss ist textlich Battlerap pur geboten, inhaltlich ist das einzige Thema: Frauenarzt ist Gott, alle anderen Mutterficker, insbesondere deine Mutter, deine Freundin, deine Frau und deine Tochter. Und das auf fast durchgehend hohem Niveau, Frauenarzt findet immer wieder gute Sprachbilder, ohne gezwungen zu wirken:

    Das ist Hardcore-Rap, Fotzenvibration/
    Ich rotze meine Texte in das Mikrofon/
    Deine Ex ist mein Sexspielzeug heute Nacht/
    Ich bums' sie eine Runde für dich mit, du verkackst/
    Jeden Part den du machst, ich prolle wie Bolle/
    Ficken heißt bei mir: ich roll' über die Olle/
    Ich prahle gekonnt und zahle in bar/
    Ich zeige meinen Schwanz jeder Frau in der Bar

    (Frauenarzt auf "KKF")


    Den Bruch mit gesellschaftlichen Konventionen, wie der oben genannten Schwanz-Präsentation in der Bar, den Frauenarzt mit einer Mischung aus Stärke gegenüber Schwächeren (vulgo: Frauen) und Schlitzohrigkeit gegenüber Stärkeren (zumeist der Staatsgewalt) in diesem Abschnitt


    Frauenarzt der Underboss, Underdog aus Tempelhof/
    Penis in der Faust und die Bitches geh'n die Wände hoch/
    Die Bullen rufen Hände hoch/
    Ich konzentrier mich auf die Beine/
    Laufe wie beim Marathon/
    Über Schienen, über Steine

    (Frauenarzt auf "Fickfinger")


    sehr anschaulich inszeniert, nutzt er konsequent, um sich von der Atzenrolle weg zu entwickeln. Frauenarzt kann nicht aus einer paternalen Rolle heraus agieren, wie es beispielsweise Ice Cube in "Laugh Now, Cry Later" tat, das hat er sich durch "Die Atzen" ein Stück weit verbaut. Stattdessen gelingt es ihm, als "underboss" und "underdog" in ein und derselben Person allerdings, authentisch eine Rolle als Berlusconi unter den elder statemen des deutschen HipHop einzunehmen: Ein bisschen irre, ein bisschen schmierig, aber dabei charmant und erfolgreich. Diese Thematik zieht sich konsequent durch das ganze Album, verkrampft dabei aber nicht, sondern wirkt stellenweise überraschend reflektiert oder zumindest nicht bierernst. Dies zeigt Frauenarzt textlich insbesondere in seinem ständigen Nihilismus, der aufgrund der Features umso deutlicher wird: Taktlo$$ sagt irgendwas Politisches, MC Bomber geht’s um Cyphers, bei Karate Andi geht’s um Billigplörre am Kotti, aber Frauenarzt, der hat gar kein Thema außer dem Diss als solchem. Selbst Action-Bronson-Hörer müssen wohl kurz schlucken, wenn die letztlich völlig unnötige Aufklärung im "Liebeslied" "Mein Bae" zeigt, dass das "Bae" einfach nur Frauenarzts bottom bitch ist, die er anschaffen schickt; dabei geht es aber gar nicht in dem Track, dieser Fakt fällt einfach nebenbei. Letztlich schafft Frauenarzt also den schwierigen Spagat zwischen dem Hanswurst, dem Tempelhofer Berlin-Crime-Gangster und dem Rap-Veteran.
    Das Konzept kommt Frauenarzts leicht schwerfälligem aber pointiertem Rap-Stil zu Gute, da der Kontrast zwischen der linkisch wirkenden Delivery von Frauenarzt und der treibenden, scharfen Instrumentalisierung nicht fehl am Platz, sondern gewollt wirkt. Ein gutes Beispiel hierfür ist "Ketten raus Kragen hoch", dessen flirrender Beat eine echte Dynamik erzeugt, man kann sich förmlich vorstellen, wie Frauenarzt zu diesem Song im trostlosen Tempelhof stolziert und sich trotz seines Alters reckt wie ein Gockel bei Sonnenaufgang. Obwohl Haiyti mit der ihr eigenen Aggression für diesen Song geboren scheint und der auch sehr gut auf ihr "City Tarif"-Mixtape gepasst hätte, ist Frauenarzts Part im Remix dieses Songs der stärkere, einfach weil er deutlich souveräner wirkt. Diese Stärke zieht sich durch das Album: Prinz Porno liefert zwar seinen besten Part seit langer Zeit und die hervorragenden SXTN wurden, wie schon Haiyti, für genau den Song ausgesucht, der am besten zu ihnen passt, aber Frauenarzts Lines sind die prägnantesten und seine Parts die, zu denen der Kopf am heftigsten nickt. Es bleibt der Eindruck, dass er sich einfach mehr Zeit nimmt für die Feinabstimmung, mehr Pausen setzt und nie versucht, gegen den Beat anzurappen, sondern wortwörtlich "flowt". So hört sich kein Rapper an, der mit dem Rücken zur Wand sein Lebenswerk verteidigen muss. Umso beachtlicher, dass Frauenarzt für sein Comeback nicht der Versuchung erlag, seine offensichtlich nach wie vor vorhandenen Skills vor einer zurückhaltenden Instrumentierung zu präsentieren, um darauf aufbauend dann erst im nächsten Album richtig anzugreifen. Die Beats sind in der Abmischung immer vorne, diese Tracks sind durchaus clubtauglich. Der Charakter der Platte ist stark basslastig und verzerrt, die Melodien sind von schneidenden Synths dominiert, die stellenweise Richtung Acid Techno gehen; wie oben bereits erwähnt, sind die Melodien meist aufgekratzt, dabei aber eher simpel und eingängig und konterkarieren die Bässe insoweit. Diese Mischung aus dominantem, verzerrten Bass, eingängigen aber schrillen Melodiebögen und schnellen Hi-Hats, ein Kollege einer anderen Website nannte es "Rave-Trap", erinnert teilweise, so wie bei "Zieh dein Shirt aus" und "Eine Kugel", an EDM angehauchten Trap Marke "Oh my darling (don't cry)" von Run the Jewels, nur deutlich simpler gestrickt. Allerdings ist in der Instrumentierung durchaus noch ein guter Schuss von "Die Atzen", denn die Tracks "Blaulicht" und "666" funktionieren wie Ballermann-Hits und sind letztlich aufgemotzter Dance, der in seiner etwas cheesigen Konsequenz an den Bubblegum-Dance von Sophie erinnert. Dumme Jungs und Spectre haben hier ihre beste Arbeit abgeliefert; dieses Album ist wesentlich auch ihr Erfolg.


    Fazit:
    Es lohnt sich zunächst, festzuhalten, dass Frauenarzt aus musikalischer Sicht wieder ein Name auf dem iPod ist, für den man sich nicht schämen muss. Was gibt es Schöneres als ein gelungenes Comeback? Als Comeback-Statement ist "Mutterficker" hochgelungen und es würde schon sehr verwundern, wenn diese Tracks live nicht mindestens genauso zünden. Die Kombination aus der kohärenten Instrumentierung und den aggressiven Lyrics gibt eine richtig gute Platte ab, die mit Ausnahme von "Buuuh" (in dem Taktlo$$ ein regelrecht gruselig schlechtes und wirres Feature liefert) ohne echten Aussetzer auskommt. Frauenarzt gelingt es mit einem harten Sound, sich seinen Jugendruf zurückzuerobern und gleichzeitig neues Territorium zu erschließen. In dieser Form ist er ein würdiger Labelchef mit Strahlkraft, dessen erstes Signing mit MC Bomber ebenso wie "Mutterficker" zeigt, dass mit Frauenarzt und Proletik im Deutschrap auf längere Sicht gerechnet werden muss. Über die fehlende inhaltliche Message und den manchmal nach wie vor monotonen Flow von Frauenarzt kann man so getrost hinwegsehen. Trotz seiner dichten Homogenität vermeidet es das Album, repetitiv zu wirken und stellt seine Stärken geschickt heraus. Frauenarzt schafft sich mit dieser Platte sogar eine Art Alleinstellungsmerkmal, denn zumindest aktuell klingt kein anderer deutscher Rapper so – und wer kann das schon von sich behaupten?



    (Franz Xaver Mauerer)


    [redbew]2073[/redbew]


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