Beiträge von baurau


    01. Army Nights
    02. Just Like We Do
    03. Moptop
    04. Messy Anywhere
    05. Time Sands
    06. Snout
    07. Drayton Manored
    08. Carlton Touts
    09. Cuddly
    10. Dull
    11. B.H.S.
    12. I Feel So Wrong


    Im von OVO als nette Geste ausgestatteten "Drake Room" der r.in-Büroetagen im 20. Stock an den Treptower Türmen: Bei der täglichen Review-Redaktionskonferenz schwappt mir fast etwas Sherry aus dem Glas, als ich merke, dass meine Kollegen Sleaford Mods nicht kennen. Spricht einerseits für sie, da jeder Feuilleton-Schleimer der SZ sich schon seit Jahren mit den beiden Briten ziert (weil die sagen oft fuck, voll noise), andererseits können Sleaford Mods nichts für diesen unerwünschten Beifall, den sie selbst nicht befördern, sondern stattdessen auf den mit "English Tapas" nicht mitgezählt drei Alben und fünf Vorgängertapes konstant hochqualitatives "spoken word"-Geschrei von Jason Williamson (englischerer Name nicht verfügbar) mit repetitiven Beats von Andrew Fearn abliefern, mit einer konsequenten Unterschichtenperspektive mit Hass auf die da oben und die blinden Arschlöcher auf derselben Ebene.
    Dabei setzte zuletzt unverkennbar ein Professionalisierungsprozess ein, jedoch von niedrigem Niveau ausgehend (sogar James Jencons Tapes sind besser produziert als die frühen Werke der Sleaford Mods). Dieser Prozess ist mit dem letzten Album "Key Markets" eigentlich abgeschlossen gewesen, trotz Majorlabel-Backing blieben die beiden Engländer ihrem Konzept treu und haben ihren Sound gefühlt einfach zur perfekten Hörbarkeit ausproduziert, ohne weitere Experimente zu wagen. Dabei entwickeln die beiden auch live trotz ihres eher monoton herkommenden Konzepts aufgrund der emotionalen Stimmgewalt von Williamson eine irre Energie, die ihnen weltweit Beachtung einbrachte.
    Die beiden Mods waren politisch übrigens arg gebunden, haben im Zwist Labour verlassen und kräftig bei den Querelen um Tattergreis Corbin mitgemischt. Dementsprechend war zu erwarten, dass sich in "English Tapas" wieder ein ordentlicher Schuss Agitation finden wird, und die Leadsingle "B.H.S." (für alle Nicht-Leser des The Economist: CEO einer Supermarktkette fährt eben diese gegen die Wand aber kassiert vorher Subventionen) bestätigt diese Vermutung auch:


    We're going down like BHS/
    While the abled bodied vultures monitor and pick at us/
    We're going down and it's no stress/
    I lay and hope for the knuckle dragging exodus

    (Sleaford Mods auf "B.H.S.")


    Ebenfalls sehr rasch zeigt sich, dass das neue Signing bei Rough Trade nicht etwa zu einer Revidierung der bisherigen musikalischen Formel führt, wieder bilden Fearns simple und monotone Beats, die wirken wie die erste Demo einer Idee zu einem Track, die passende Grundlage für Williamsons Sprechgesang, der wie schon auf den beiden Vorgängeralben nur sporadisch durch "richtigen Gesang" (= der MC zieht einen Vokal) angereichert wird. In der Mischung: viele Hits. Die Stücke sind nach wie vor ausgesprochen homogen, der Jack-Johnson-Effekt stellt sich aber nicht ein, jeder Song ist für sich genommen ausreichend musikalisch und thematisch variiert, um einen eigenen Charakter zu erhalten und im Gedächtnis zu bleiben. Das ist hier keine Vereinfachung, sondern das Konzept der beiden ist post-modern minimalistisch: Bass, Kickdrum, nölendes Cockney-Gekeife: Diese drei Faktoren ergeben anscheinend tausende Möglichkeiten der Zusammensetzung, die Sleaford Mods auch hier wieder zu etwas Rundem ausreizen, das wie gemacht ist für misanthropische Fahrten in der U9 nördlich des Limes der geistigen Gesundheit namens Bahnhof Zoo. Der Charme des Sounds liegt dabei ganz klar in Williamsons authentischem Hass und seinen außergewöhnlichen Fähigkeiten als MC. Er trägt die Tracks, die musikalisch nur Skelette sind, und kann sich auch aufgrund der Stumpfheit der Beats ganz ausbreiten und mit kleinsten nuancierten Verschiebungen arbeiten. Live starrt er dabei am Publikum vorbei auf sein Mic und genau diesen "frenzy state" braucht er, um einen stimmlichen Maelstrom zu erschaffen, in dem man sich als Hörer im besten Fall verliert.


    Make shift roaching as I sweat/
    Rush hour and I'm not meant to sweat/
    But they forgive me that I'm sure/
    Here comes the Monday law/
    Of cigarettes and trains and plastic and bad brains/
    And heartbreak lays upon the self of this the another hell, well

    (Sleaford Mods auf "Time Sands")


    Wie von ihnen gewohnt, geben sich die beiden Menschenhasser keinerlei Blöße bei den Texten, die unbedingt grausam ehrlich aus rein subjektiver Perspektive mit viel Humor von Gott und der Welt erzählen. Trump, Brexit und Co. führen aber nicht dazu, dass Williamson versuchen würde, die großen Themen mit seinem "unique selling point" perspektivischer Authentizität zu verbinden oder Touralltag und Musikerleben zu verarbeiten, stattdessen konstruiert er das Große weiterhin aus dem Kleinen des kleinen Manns, kritisiert das System also durch seine für ihn sichtbaren Auswirkungen, statt sich in abstrakter Argumentation zu verheddern. So in meinem Liebling "Time Sands", siehe oben, durch die Augen eines Druffies im Berufsverkehr, allerdings scheißt Williamson zumeist auf Storytelling und rantet direkt, ohne Rahmen.


    I'm sick of the fat so far mixed in, mate, gluten free/
    Try scrolling down a website, the NME, without laughing/
    I'll give you ten quid if you can keep a straight face/
    Honestly, just fucking try it, mate

    (Sleaford Mods auf "Dull")


    Die inhaltliche Vielfalt, verbunden mit dem zwar klar definierten Instrumentarium, das aber ja nicht nur auf diesem Album so eingesetzt wurde, ergibt jedoch eine kleinere Schwäche: Jeder Sleaford Mods-Track könnte letztlich auf jedem Sleaford Mods-Release zu finden sein, die beiden produzieren Single-Sammlungen ("English Tapas"!), keine echten Alben. Das ist zu verschmerzen, allerdings ist das ein Aspekt, der auf "Key Markets" schon eine Idee weiter entwickelt war – übrigens genauso wie eine Öffnung hin zu freieren Beat-Strukturen. Letztlich perfektionieren die beiden hier einen Sound, den sie eher auf dem (hervorragenden) Vorvorgängeralbum "Divide and Exit" gepflegt hatten, mit Ausnahme des experimentielleren und ausgesprochen gelungenen "I Feel So Wrong".


    Fazit:
    Der anhaltende kommerzielle Erfolg der Sleaford Mods, aber auch das anhaltende Wohlwollen auch feuilletonfremder Musikkritiker ist eben nicht in Stillstand begründet, sondern in der steten, aber organischen Weiterentwicklung ihres Schaffens. Das lässt sich nicht auf gesteigerte technische Produktionsfähigkeiten reduzieren, sondern auf den ernsthaften Wunsch, sich weiterhin authentisch auszudrücken und dabei dem eigenen Ouevre zuzuschauen, wohin es sich entwickelt. Das passiert hier zwar inkrementeller, als es das Vorgängeralbum vermuten ließ, allerdings auf allerhöchstem Niveau. Hier fällt nicht jemanden nichts Neues ein, hier ist jemand einfach noch nicht fertig mit seinem Ding.


    I had an organic chicken it was shit
    (Sleaford Mods auf "Cuddly")



    Franz Xaver Mauerer


    [redbew]2235[/redbew]


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    deine punkte zeigen, dass branding als legitimites verkaufswerkzeug zur erhöhung des wiedererkennungswerts und pseudogenrebranding getrennt werden müssen; das ist auch in meiner review nicht klar der fall, das stimmt. der vergleich hatte sich für mich so aufgedrängt, da emopunkrap (im ggsatz zu whiskeyrap) als nicht-genre-branding insofern irrsinnig ist, als dass das wort aus 3 genrebezeichungen besteht und das gegenteil nahelegt. die in meiner review implizite behauptung, du hättest mit whiskeyrap genreanspruch erhoben, ist nicht richtig. persönliche bitte: feature lieber in besseren alben.

    Sorry, denke immer nicht daran... habe es bisher selten (vlt auch gar nicht...) verwendet. :)


    Mag sein, dass sie das tun... mir ist eigentlich auch egal, wie sie es nennen. Meiner Meinung nach lässt es sich allerdings schwer von der Hand weisen, dass Prezident tatsächlich eine eigene Nische besetzt. Wer sonst macht sein Ding im deutschen Rap in der Art, wie er es tut? Bei vielen Künstlern würden mir Vergleiche einfallen, bei ihm dagegen tue ich mir da schwer. Manche gehen etwas in die Richtung, mit anderen Nuancen...
    Verstehste, was ich meine? Stinknormal ist er jedenfalls nicht, finde ich. Da kann man von seinem Zeug halten, was man will. :)


    Bezüglich Private Paul kann ich leider nichts dazu sagen, keine Ahnung wie es sich da verhält.


    prez ist prez, ganz klar. aber "whiskey-rap" ist halt nicht "whiskey-rap". prez ist einfach ein ziemlich guter rapper, der seinen stiefel fährt, woraus sich ja zwangsweise eine gewisse distinktion von anderen rappern ergibt/ ergeben sollte. das bedeutet aber nicht, dass er gleich sein eigenes subgenre erschafft, dafür fehlt es prezs werk an homogenität (gottseidank- wäre ja sehr eintönig) und klar zuordenbaren attributen, wie sie genres nun mal üblicherweise haben.


    wir rapfans lassen uns da zu oft etwas pseudobranding unterjubeln, ohne das zu kritisieren. eine seit langem konstant ablieferne band im rockbereich wie die nerven (wahlloses beispiel mit ungefähr so vielen veröffentlichen wie prez) käme auch nicht auf die idee, ihre musik als "esslingen sound" oder "german post post punk" zu vermarkten, alleine schon, weil es nicht zu ihrer reflektierten herangehensweise an musik passen würde- genauso wenig wie bei prez.


    1. Down feat. Joi
    2. Talk to Me
    3. Legend Has It
    4. Call Ticketron
    5. Hey Kids (Bumaye)
    feat. Danny Brown
    6. Stay Gold
    7. Don't Get Captured

    8. Thieves! (Screamed the Ghost) feat. Tunde Adebimpe
    9. 2100 feat. Boots
    10. Panther Like a Panther (Miracle Mix) feat. Trina
    11. Everybody Stay Calm
    12. Oh Mama
    13. Thursday in the Danger Room
    feat. Kamasi Washington
    14. A Report to the Shareholders / Kill Your Masters feat. Zack de la Rocha


    Was tun als Politrapper, wenn außer obskuren E-Street-Band-Coverbands absolut jeder gegen das (kommende) politische Establishment ist? Noch dazu, wenn man erfolglos intensiv Sanders unterstützt hat? Killer Mike, seit einigen Jahren eine der wütendsten politischen Stimmen im US-Rap-Kosmos, muss sich dem stellen, während wir uns fragen: Können er und sein politisch etwas weniger expliziter Compagnon El-P mit ihrem seit zwei Alben etabliertem Sound, bestehend aus basslastigen, oftmals sogar clubtauglichen, Flächenbeats, livekonzerttauglichen Hooks und verlässlichem (und teilweise großartigem) Mid-Tempo-Rap, ohne Experimente weiterhin unterhalten, oder steht die Verbissenheit des politischen Kampfs dem Gesamterlebnis nun etwas im Weg? Dazu kommt, dass Run the Jewels eigentlich sowieso an einer wichtigen Karriere-Biegung stehen, da sie mit "Meow the Jewels" die erste wahrnehmbare Zäsur ihres gemeinsamen Projekts angestoßen haben. Denn das Way-out-there-Remixprojekt stellte die erste echte Variation der bisherigen Formel dar. "RTJ 1 + 2" waren letztlich vor allem Nachweise des Potentials der beiden als Rapper und Produzent. Dafür, dass diese beiden Alben so überaus gelungen waren, verschenkten sie aber auch Potential, denn ihre musikalische Limitation wird schon daran deutlich, dass sie obgleich ihres kommerziellen Erfolgs keinen merklichen Einfluss auf die restliche kontemporäre Rapmusik hatten – die junge Generation an MCs versucht weder, ihren Sound zu kopieren, noch eifert sie Killer Mikes politischer Verve nach und: Killer Mike existiert solo anscheinend nicht mehr, während El-Ps Produzentenkarriere darbt. RTJ haben durchaus etwas Neues ins Spiel gebracht, nur nimmt niemand den Ball auf, stattdessen gibt es bald die fünfzigste Unterart von Cloud. RTJ ist ein erfolgreiches, riesiges Kriegskamel, aber es steht auch alleine in der Wüste – wohin damit also?
    Richten wir unseren Blick auf "Run the Jewels 3", dann wird rasch deutlich, dass RTJ den politischen Schwanz keineswegs einziehen, sondern ihren Stiefel angesichts der aktuellen Ereignisse umso deutlicher durchdrücken:


    Is that blunt? Oh well, hell, so's this boot/
    We live to hear you say, "Please don't shoot"/
    A pure delight, c'mon, make my night/
    When I file reports what's right's what I write/

    (El-P auf "Don't Get Captured")


    Das Feature des Zombies Zack de la Rocha, der anscheinend extra für RTJ-Alben aus seinem stalinistischen Sarg der Selbstzufriedenheit, in dem er zwischen den für normale Menschen quasi unbezahlbaren Rage-gainst-the-Machine-cash-in-Touren schläft, geholt wird, zeigt schon, dass das politische Phrasenschwein ordentlich bedient werden will. Das politische Universum der beiden MCs dreht sich ausschließlich um das Dreigestirn US-Wahl, Cannabis und Polizeigewalt, allerdings ohne eines dieser Themen in irgendeiner Tiefe anzupacken. Dies geht im Gegensatz zu früheren Werken leider auch auf Kosten der formellen Line-Tauglichkeit der Lyrics, die mit weniger intelligenten Sprachbildern und Wortwitz auskommen müssen, um politische Perlen garniert mit juvenilem Beleidigtsein wie diese preis zu geben:


    Ooh, Mike said "uterus", they acting like Mike said "You a bitch"/
    To every writer who wrote it, misquoted it/
    Mike says, "You a bitch, you a bitch, you a bitch!"/

    (Killer Mike auf "A Report to the Shareholders / Kill Your Masters")


    Who thought the son of Denise would be the leader of people?/
    When he was at your house at Morehouse, slangin' pounds of the reefer/
    Sat with potential presidents and said the p should be legal as reparations/
    For what this nation has done to my people/

    (Killer Mike auf "Panther Like a Panther (Miracle Mix)")

    Die Lyrics waren auch bislang nie eine ausgeprägte Stärke von RTJ; natürlich trotzdem schade, dass hier eine Chance zur reflektierten oder auch unreflektierten, aber dafür dann intelligent-aggressiven, politischen Positionierung verpasst wurde und die Texte insgesamt unter diesem Salonsozialismus leiden – man merke, wie Killer Mike sich hier ohne Ironie als "leader of people" bezeichnet. Auf die Delivery der beiden Rapper hat dieser Aspekt gottlob keinen Einfluss, stattdessen perfektioniert Killer Mike seinen "elephant in the room"-Stil und überzeugt beispielsweise auf "Thursday in the Danger Room", "Don't Get Captured" und "Down", wobei er sich offensichtlich Mühe gibt, mehr Variabilität als bisher zu zeigen, und die Eigenheiten jedes Trackbeats ausnutzt, um kleine Variationen im Tempo einzubauen. Das gelingt ihm, obwohl die Beats, wie auf fast allen RTJ-Tracks bislang, konstant im Mid-Tempo-Bereich festhängen und ihm so gefühlt einige Ausbrüche verwehren. Dass es dem MC aus Atlanta trotzdem gelingt, seine Performance zu steigern, lässt dann leider die Grenzen seines Partners El-P offener als hitherto zu Tage treten. El-P ist kein schlechter Rapper, aber er beherrscht exakt ein Tempo mit einer Stimmlage und einer Tonalität, seine Parts sind zu einem Großteil zwischen den Tracks austauschbar. Das ändert allerdings nichts daran, dass kein Part, auch keiner von El-P, ein Ausfall ist, vielmehr dient El-P Killer Mike in dessen aktueller Form als nicht weiter störender Lückenfüller. Zur Produktion haben wir bereits das Tempo festgehalten, auch sonst herrscht business as usual: Breite Bässe dominieren, garniert mit auf wirklich jedem einzelnen Track gelungenen Melodiebögen für die Hooks. Dieses Rezept geben RTJ anscheinend nicht mehr aus der Hand und solange El-P, der mit Gehilfen wieder für die gesamte Produktion verantwortlich zeichnet, dieses Geschäft weiterhin so blendend beherrscht, gibt es dafür eigentlich auch keinen Grund. Selbst Tracks wie "Call Ticketron", die auf den ersten Blick einer bestimmten Produktionsidee folgen, offenbaren nach dem zweiten Hören das eingespielte Schema. Danny Brown liefert wie immer und das Feature des hervorragenden Tunde Adebimpe wirkt etwas lieblos an "Thieves! (Screamed the Ghost)" rangeklatscht, das ist schade. Einen Songwriter seines Kalibers hätte man nutzen können, um aus dem Korsett auszubrechen.


    Fazit:
    RTJ haben sich leider in zwei seit langem vorhersehbare Fallen manövriert: Killer Mikes Politrap wurde durch den Zeitgeist mit Relevanz überladen und hielt diesem Druck aufgrund seiner Seichte nicht stand und El-P kann mit der technischen Entwicklung seines Buddys nicht mithalten. Wenn El-P nicht Ballast für dieses Duo werden will, sollte er zumindest über die Texte ein wie auch immer ausgestaltetes Gegengewicht zum Mördermichl werden, denn sonst ist sein einzig richtiger Platz hinterm Producer-Tisch. Mike hingegen sollte darüber hinwegkommen, dass alle unfair zu ihm waren und seine Bekanntheit endlich für eine ernsthafte Auseinandersetzung mit politischen Themen nutzen. In jedem zweiten Track die Legalisierung von Cannabis zu fordern, ist 199X, außerdem kann Snoop das besser und authentischer. Als politisches "Manifest" taugt "Run the Jewels 3" keineswegs, dafür fehlt es ihm an inhaltlicher Tiefe und plakativen Hits. Sollten RTJ aber weiter den politischen Anspruch einer International Noise Conspiracy fahren wollen, dann müssen sie das Sujet mit der Tiefe würdigen, die es verdient. Denn politisches Irrlichtern können sich nur die Großen wie Kanye bieten – zu dessen irren Großtaten waren RTJ aber bislang nicht imstande. Das soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass "RTJ 3" ein gutes Rap-Album mit teilweise exzellenten Rap-Parts und gelungener Produktion ist, das auf Kopfhörern und im Club gleichermaßen überzeugen kann – etwas wirklich Besonderes ist es aber nicht.



    (Franz Xaver Mauerer)


    [redbew]2200[/redbew]


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    1. RAW (backwards) feat. Zacari
    2. Braille feat. Bas
    3. Huey Knew THEN feat. Da$H
    4. Threatening Nature
    5. Womanogamy
    6. INvocation
    feat. Kokane
    7. Wifey vs. WiFi / P.M.S. feat. BR3
    8. Beat the Case / Straight Crooked feat. Schoolboy Q
    9. Portishead in the Morning / HER World
    10. God's a Girl?
    11. Now You Know
    12. D.R.U.G.S.
    13. Evil Genius
    feat. Teedra Moses & JaVonté
    14. Lonely Soul / The Law (Prelude) feat. Punch & SZA
    15. The Law feat. Mic Miller & Rapsody
    16. Y M F


    Klischees über uns gleich durch welche Medien bekannte Protagonisten als Mitglieder einer bestimmten Gruppe von Charakteren zu stülpen, ist Teil unseres sozio-psychologischen Archetyps, denn so wird uns der Zugang zur Erzählung erleichtert. Diese Rollenzuordnung innerhalb der Gruppe dient also dazu, dass wir uns alle etwas wie Joe Dalton und etwas wie Averell fühlen können und die Daltons so also letztlich einen komplexen Charakter repräsentieren können, der durch eine klischeehafte Trennung seiner Eigenschaften aber leichter erfahrbar wird (und das Erzählen erleichtert); zumal die Daltons in ihrer Gesamtheit soziopathische, tendenziell inzestuöse Massenmörder sind und somit nur in ihrer Gesamtheit als Relationsobjekte in Frage kommen.


    Rapfans kennen dieses Phänomen spätestens seit NWA und Public Enemy: Es braucht zumindest einen Nachdenklichen und einen Partyboy, und auch die Kernposse um das Label Top Dawg, Black Hippy, macht hier keine Ausnahme. Kendrick ist der erfolgreiche Star, Schoolboy Q der wilde Party-Bad-Boy, Jay Rock der verschlossene Gangsta und Ab-Soul, der ist der nachdenkliche Philosoph und zum Mystischen neigende Lyriker – quasi der GZA von Black Hippy. Nun ist die Gefahr solcher Zuordnungen, die professionellen Seriendarsteller von Euch wissen es, ein zu starkes Branding, das den Blick für andere Stärken und vor allem für individuelle Weiterentwicklung übertüncht. Ab-Soul ist das schon etwas passiert, denn trotz starker Veröffentlichungen mit zahlreichen potentiellen Hits wird man das Gefühl nicht los, er hat seine eher mageren Verkaufszahlen seinem anspruchsvollen Ruf zu verdanken. Leider zerfaserte er daraufhin auf seinem letzten Werk "These Days…" künstlerisch etwas und konnte weder einen Schritt in eine andere, zugänglichere Richtung machen noch seine künstlerische Vision vorantreiben, so wie es ihm bis dahin gelang. Machen wir uns also über das neue Werk "Do What Thou Wilt." her und widmen uns vor allem der Frage, in welche Richtung es Soulo (neuer Spitzname) treibt.


    Auf die Texte als vordergründigste Mitteilungsmöglichkeit schaut man sowieso gerne als erstes, bei Ab-Soul bei seinen bisherigen Credentials als Schreiberling bietet sich das natürlich erst recht an. Es wurde oben schon erwähnt, dass der MC nicht nur besonders passende und stilistisch gelungene Texte schreibt, sondern oftmals einen Hauch entrückter Mystik mit einbringt, der ihn einerseits von allzu direkten Ghetto-Glorifizierungen abhebt, andererseits aber auch zum Text-Entschlüsseln und zur Reflektion anregt. Dass dieses Album hier ansetzt, wird schon durch den Titel deutlich, der eine Anspielung auf das philosophische Thelema-Konzept von Aleister Crowley darstellt, Euch jungen Kids wahrscheinlich bekannt als Teil irgendwelcher Dan-Brown-Verfilmungen. Soulo bewegt sich trotz dieses ungewöhnlichen Bezugs thematisch durchaus in bekannten Gefilden (Frauen, Gewalt, Drogen), allerdings benutzt er sie als authentische Instrumente und Vehikel seiner Gefühlswelt, nicht zum Selbstzweck, und verwendet philosophische und theologische Elemente und Bezüge vor allem zur Ornamentierung. So fährt er auf "Womanogamy" mehrere hammerharte sexistische Lines auf (selber hören!), die folgende illustriert aber besonders schön, wie viel Verweise und Sprachbilder der Rapper in wenige Lines packen kann, ohne dass sie wie zusammengebastelte Collage-Versatzstücke wirken würden:


    Hold that thought, next scene, shit, it would be the morning/
    I give her morning wood, then roll my wood up in the morning/
    Finesse this flow from Lucki Eck$/
    I’m finger-fuckin' Mother Earth/
    Put my thumb up in her butt, then roll like I was bowlin'/

    (Ab-Soul auf "Womanogamy")


    Teilweise ist es eine echte Freude, die kryptischen Ausführungen des Kaliforniers zu entschlüsseln und nachzuvollziehen, hier beispielhaft ein schöner selbstreferentieller Part:


    The philosopher gettin' stoned/
    It's no doubt in my mind I found the philosopher's stone/
    Thought these were just songs that I write? You're wrong/
    Move my mouth and move a mountain with ease as well/
    Dead ass, I'ma live forever, like the HeLa cell/

    (Ab-Soul auf "Portishead in the Morning / HER World")


    Und ein kurzes Beispiel für die sich wirklich durch sämtliche Bestandteile dieses Albums ziehende herausragende Sprache, die bildhaft und durch Symbole und Bezüge nicht nur Pseudo-Inhalt generieren will, sondern stilistisch prächtige Blüten treibt:


    I hope I'm in Obama's iPod/
    Yeah, 'fore I had a desktop/
    Was lookin' for a shortcut to be an icon/

    (Ab-Soul auf "Huey Knew THEN")

    Ihr merkt, ich sehe die Inhalte dieses Albums etwas anders als zum Beispiel Pitchfork, die Ab-Soul bislang stark pushten und ihm jetzt ein vernichtendes Zeugnis ausstellen, wobei sich die Kritik hauptsächlich auf die als wirr und zum Selbstzweck verkommenen Lyrics bezieht. Tatsächlich wirft Ab wieder mit theologischen Andeutungen, literarischen Bezügen und vor allem Verschwörungstheorien nur so um sich. Dass sein Rap oder seine Art zu erzählen darunter leiden, ist aber nicht zu spüren, im Gegenteil wirkt er, ähnlich wie Capital Steez, immer dann am besten, wenn der von manchen Musikmedien als solcher bezeichnete "black-lip preacher" sich völlig in seinem Kosmos verliert, denn dann spittet Soulo auch am konstantesten und man spürt den authentischen Eifer, der ihn treibt.


    Das betrifft jetzt nur die Lines als solche, denn ein Aspekt, der mit der oben genannten Kritik verwoben ist und tatsächlich ins Auge sticht: die Länge des Albums mit über 80 Minuten und die damit einhergehenden Herausforderungen an seine Kohärenz. Ich könnte ihm sogar noch viel länger bei seinem Sermon zuhören, allerdings ist es doch verwunderlich, dass jemand, der so extrem viel Aufwand für seine Texte betreibt, nicht bemühter um inhaltliche Stringenz seines Werks ist. Zwar finden sich viele selbstreferentielle Bezüge auf dem Album, das ändert aber nichts daran, dass "Huey knew THEN", "Braille" und "God's a Girl?" schlicht nicht dieselbe Message transportieren. Es ist eine verpasste Chance, wenn ein wortgewaltiger Prophet wie Ab-Soul einen zwar befriedigt und mit lyrischen Bruchstücken vollgestopft, aber ohne größeres Konzept oder spannende Idee hinterlässt. Dass das nicht an Unfähigkeit, sondern an Betriebsblindheit ob der Vielzahl an Messages, die der MC in seinen Texten vergräbt, liegt, scheint klar; ein ähnlicher Mangel an konzeptueller Initiative zeigt sich auch in der Produktion, die größtenteils von einer Mischung aus langjährigen Partnern und TDE-Hausproduzenten (vor allem Sounwave und Rahki) übernommen wurde. Handwerklich blitzsauber und musikalisch ist das alles breit aufgestellt, abgesehen von einer dezidiert düsteren Atmosphäre hat man aber den Eindruck, dass der Künstler zu wenig Interesse zeigt an überraschenden und, das ist schlimmer, zu seinem distinktiv bekifft-paranoiden Flow passenden Beats. Einem so ernsthaften MC würde eine Zusammenarbeit mit einem Produzenten über Albumlänge mit Sicherheit gut tun und mit Sounwave, Willie B oder Tae Beast hätte er auch Leute an der Hand, die so etwas stemmen und seinem Sound so mehr Eigenständigkeit und Wiedererkennungswert verschaffen könnten.


    Das ist Kritik auf ziemlich hohem Niveau, denn das verlorene Klavier-Pattern in "Portishead in the Morning / HER World" und die trippy Hats von "God's a Girl?" bilden an sich eine starke Instrumentierung – man hat nur den Eindruck, dass Soulo mehr Spaß daran hat, sie zu unterbrechen und sie einander zum Bruch innerhalb des Albums gegenüber zu stellen, als sie wirklich als Partner für seinen Vortrag und als gleichberechtigte Möglichkeit, ein Album zu gestalten, zu begreifen. Ab-Souls Flow wurde gerade schon erwähnt und hier ist eine deutliche Steigerung zu allen früheren Releases zu vermerken, auf 80 Minuten arbeitet er im Vergleich zu vergangenen Zeiten nicht nur auf besonders griffige Parts und Hooks hin, stattdessen zeigt er insgesamt deutlich weniger technische Schwächen, verzichtet aber im Flow und im Songwriting größtenteils auf die hitlastigen Momente von "Empathy" oder "Tree of Life" und lässt so die Dominanz des flow of consciousness, der die Lyrics in den Vordergrund rückt, zu. Standouts bilden vor allem "D.R.U.G.S." und "Y M F", und zwar, weil diese beiden schleichenden und klug konstruierten Songs hervorragend zu Ab-Souls Flow passen und sich seinen abgehackten Einwürfen anpassen.


    Inwiefern die Black Hippy-Posse denn überhaupt noch ein künstlerisches Kollektiv bildet, wird gerne anhand der Features ihrer Mitglieder beäugt. Aus dem näheren Umfeld von Top Dawg findet sich zwei Mal Schoolboy Q (einmal ohne Credits), der in "Beat the Case / Straight Crooked" auf gewohnt starkem Niveau abliefert, und die omnipräsente und unterschätzte SZA. Kein Kendrick, kein Jay Rock. Insbesondere angesichts der Tatsache, dass Ersterer auf gefühlt allen relevanten Rap-Releases der letzten Zeit auftaucht (alleine aus dem Stegreif: "Really Doe", "Freedom", "Goosebumps", "Side Walks", "Conrad Tokyo"), aus künstlerischer Sicht bedauernswert (man denke an den Posse Cut "Vice City"!). Die weiteren Features bereichern das Release nicht wirklich, hier sollte Ab-Soul weniger auf gleichgesinnte und ihm sympathische Buddies setzen und mehr auf Rapper, die ihm zum einen das Wasser reichen können und zum anderen einen Kontrapunkt zu seinem distinktiven Rapstil setzen. Wie das gut funktionieren kann, haben Danny Brown und er in "Terrorist Threats" bewiesen.


    Fazit:
    Ab-Soul hat seinen künstlerischen roten Faden nach dem (zur Abwechslung nicht nur inhaltlich) etwas diffus wirkenden "These Days…" wiederaufgenommen. Er ist und bleibt ein "rappers' rapper", wie er sich in Interviews mittlerweile auch selbst bezeichnet, diese Rolle nimmt er durch Bezüge auf Beefs mit Jay Electronica und Verweise auf andere Rapper einerseits, durch Konzentration auf seine kruden und tatsächlich über weite Strecken meisterhaft verschlungenen Lyrics andererseits auch an. Beides wird ihm den Weg in die Billboard-Charts auf längere Sicht versperren, allerdings bleibt uns als Zuhörer so ein echter Poet am Mic erhalten, der, nachdem er sich künstlerisch nun festgelegt zu haben scheint (der Gute ist ja auch noch recht jung!), vielleicht auch musikalisch seinen Weg weiter erkundet und uns an seinem wirren Mindset teilhaben lässt.



    (Franz Xaver Mauerer)


    [redbew]2197[/redbew]


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    Zur Review möchte (und vlt auch kann) ich nichts sagen, kenne das Album sowie Private nicht gut genug.
    Was aber meinst du mit Prezidents Pseudo-Rap-Nische? Erklär mal bitte.


    junge, wenn du mich markierst, dann bekämst du auch schneller ne antwort. pseudo-rap-nische meint, dass beide (paul u prez) ihren rap als distinktive rapnische verkaufen (emopunkrap + whiskeyrap), aber beide stinknormalen rap machen, weshalb dieses branding affig wirkt.


    [MENTION=322972]Deskar[/MENTION]: welche behauptung? das mit r.in könnte stimmen, du solltest dich besser nach was anderem umsehen.