01. Intro
02. Dis wo ich herkomm
03. Bis die Sonne rauskommt
04. Wer ich bin
05. Wir sind keine Kinder mehr
06. Vatertag
07. Oma Song
08. Superheld
09. Erster
10. Übers Geld (Skit)
11. Musik um durch den Tag zu kommen
12. Stumm (Xenja)
13. Sowieso schwer
14. Blick nach vorn
15. Deshalbspreh
16. Sprech wie ich sprech
Gleich zu Beginn: Zu sagen, dass es sich bei "Dis wo ich herkomm" thematisch um Samys Verhältnis zu Deutschland und um sein Heimatgefühl dreht, ist stark vereinfacht. Zu breit ist das Themenspektrum angelegt, um es auf diese eine Facette runterbrechen zu können. Vielmehr bewegen sich die meisten Songs in einem Rahmen, in dem es darum geht, wovon Samy Deluxe geprägt wurde, was ihn zu dem gemacht hat, der er heute ist und was maßgeblich an seiner Entwicklung beteiligt war. Klar, da spielt Deutschland eine große Rolle, aber auch seine Familienverhältnisse und seine Musik beleuchtet der Hamburger von allen möglichen Seiten.
Die erste Bombe fällt gleich zu Beginn des Albums. Nachdem Sohnemann den Vater introducen durfte, werden Styles ausgepackt, die mir das Herz aufgehen lassen. Keine Hook, dafür drei Minuten Rap, ein bombastisches, gitarrenlastiges Instrumental mit klatschenden Drums und klare Ansagen. Bilderbuchintro! Im Schlepptau des Intros findet man die beiden Singles, an denen man die letzten Wochen nur schwer vorbeihören konnte. An der einen Single ("Dis wo ich herkomm"), weil sich die halbe Blogosphäre die Mäuler über eine zugegebenermaßen unglücklich blauäugig ausgedrückte Zeile zerissen hatte. An der anderen ("Bis die Sonne rauskommt"), weil sie auf sämtlichen kommerziellen Radio- und TV-Stationen auf Rotation gesetzt wurde.
Meiner Meinung nach wurden die richtigen Songs als Single auserkoren. Gemeinsam repräsentieren sie ein gutes Abbild des Sounds, der einen auf dem Album erwartet. Musikalischer produziert als das 08/15-Raplied. Sowohl Rap als auch reine Gesangstracks. Texte, die etwas vermitteln wollen. Und Letzteres gelingt auch häufig. Am besten, wenn Herr Sorge seine Gedanken um seine Familie kreisen lässt.
"Denn ich will leben, ihm eines Tages den Text hier vorlesen/
Ihn danach übersetzen und ihm dabei ins Gesicht sehen/
Und fließt keine einzige Träne, dann werde ich gehen/
Für all die Tränen, die ich vergoss, muss ich mich nicht schämen/"
("Vatertag")
Der Vater ist ein Thema, das schon hin und wieder mal in Samys Texten auftauchte, wie zum Beispiel in ASDs "Vaterlos". In "Vatertag" richtet sich der erste Teil an den leiblichen Vater, der sich einfach aus dem Staub gemacht und sich nicht um seinen Sprössling gekümmert hatte. Wie Samy Deluxe in mehr oder weniger nüchternem Tonfall mit leicht aggressivem Unterton auf einem unterdrückt wütenden Gitarrenriff die Situation beschreibt, ist schon großes Kino. Nachdem im zweiten Teil Vater Staat dran ist, folgt im dritten Teil, in dem es um den Gottvater geht, ein abrupter Beatwechsel, breite Chöre erklingen und Tuas Mitwirken wird nicht nur hör-, sondern auch spürbar.
Wären auf dem Album nur Texte dieses Kalibers, würde ich die CD so schnell nicht mehr aus der Stereoanlage nehmen – schön wär's! Als hätte die Kreativität seiner Gehirnschnecke nicht genug Kraft für ein ganzes Album gehabt, stößt man auf Lieder, die sich inhaltich im Kreis drehen, bis ihnen schwindelig wird und sie unbeachtet umfallen und reglos liegen bleiben. In "Stumm" werden sozialkritische Rundumschläge ausgeteilt. Alles, worüber in jeder biergetränkten Stammtischrunde gemeckert wird, bekommt auch hier die volle Breitseite ab. Politiker sind Schweine, alle Mitbürger im Konsumwahn, jeder schaut nur noch in den Flimmerkasten – und das sind nur einige der Allgemeinplätze, auf denen keinerlei Erkenntnisse gefunden werden können.
"Und würdet ihr Politiker hier wirklich mal an Deutschland denken/
Würdet ihr als allererstes die verdammten Steuern senken/"
("Stumm")
Steuern senken, dann wird alles gut? Am besten ganz abschaffen? Hat sich da jemand wirklich Gedanken gemacht oder einfach Lust gehabt, oberflächlich herumzumosern? Faszinierend nichtssagend ist auch "Sowieso schwer". Der Inhalt lässt sich in zwei Worten wiedergeben, der Liedtitel dient gleichzeitig als vollständige Inhaltszusammenfassung, der Interpret jedoch dehnt das Ganze über dreieinhalb Minuten aus und wiederholt und wiederholt und wiederholt sich. Immerhin ist es ansprechend umgesetzt, rootsreggaeartiges Instrumental und ein angenehmer Gesang, auf dem man die letzten Jahre Gesangsunterricht heraushören kann.
Allgemein kann man das zwiespältige Bild der Lyrics auch auf die musikalische Seite übertragen. Der Gesang von Leuten, die der HipHop-Szene entspringen, groovt oft einfach ordentlich, weil diese Leute ihr Handwerk gelernt haben und gute Reime und Flows für wichtiger erachten als manch anderer Gesangskollege. Das Problem von "Dis wo ich herkomm" ist aber, dass vieles zu aalglatt rüberkommt. Auch Leuten, die sich an einem poppigen Sound erfreuen können und gegen eine cheesy Hookline nichts einzuwenden haben, dürfte manches, was hier den Gehörgang erreicht, sauer aufstoßen. Produktionen und/oder Gesangspassagen wie auf "Wer ich bin", "Deshalb" oder dem zuckersüßen und ekelhaft kitschigen "Wir sind keine Kinder mehr" fehlt es einfach an Charakter! Sich anderen musikalischen Richtungen zu öffnen, ist sehr zu begrüßen, wenn sich das Ergebnis allerdings gesichtslos und austauschbar anhört, wie auf gerade genannten Nummern, ergibt diese Entwicklung keinen Sinn.
Wo die Produktionen etwas souliger, dreckiger werden, fühlt man sich aber sofort wieder wohl, bei dem beschwingt-jazzigen "Sprech wie ich sprech" oder dem bereits gelobten Intro wird das Interesse an mehr geweckt. Die Instrumens waren für gut die Hälfte der Beats zuständig, aber auch illustre Gestalten wie Max Herre, Dead Rabbit und natürlich die Kollegen von Dynamite Deluxe, Tropf und Dynamite, dürfen nicht fehlen.
Der letzte Kritikpunkt, den ich anbringen muss, ist der unglaublich nervige Autotune-Einsatz. Eine Soundspielerei, die die Qualität der CD deutlich mindert. Mit welchem künstlerischen Anspruch wird Autotune hier eingesetzt? Denkt wirklich noch jemand, dieser weltweit überstrapazierte und ausgelutsche Effekt würde auch nur noch ein Fünkchen Innovation besitzen? An vielen gesungen Stellen hört man raus, dass die Vocalspur bearbeitet wurde, was mir nicht imponiert, sondern mich dazu verleitet, zu denken, dass da gesangliche Misslichkeiten ausgemerzt werden mussten, auch wenn ich Samy Deluxe damit höchstwahrscheinlich Unrecht tue. Wirklich störend sind diese Lieder aber auch nicht, viel anstrengender sind die Lieder, in denen der Effekt nicht dezent, sondern sehr aufdringlich zum Einsatz gebracht wird. In "Superheld" oder "Blick nach vorn" kann man ihm nicht entkommen, man spürt seinen fauligen Atem stets im Nacken und vermutet ihn so auch auf anderen Songs hinter jeder Ecke beziehungsweise in jedem neuen Takt, auch wenn er dort gar nicht auftaucht.
Fazit:
Das spektakulär beginnende "Dis wo ich herkomm" hätte ein großes Werk werden können. Wurde es aber nicht, denn je weiter die Spielzeit fortgeschritten ist, desto mehr Störfaktoren kommen ans Tageslicht. Samy kanns, das ist klar und das zeigt er auch auf diesem Album so oft, dass der Deutschraphörer an sich unbedingt reinhören muss, um sich seine persönlichen Rosinen rauszupicken, die er sicherlich finden wird. Die Hits, die "Dis wo ich herkomm" liefert, machen Lust auf weitere Projekte des selbsternannten "Baus of the Nauf". Was zum Meilenstein fehlt, sind die durchgehende Eigenständigkeit der Produktionen und etwas mehr Finesse in den Gesangsmelodieführungen, die zu selten hängen bleiben, um vollends überzeugen zu können.
(Rapture)
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