Frankfurt und die Welt

  • Zwei Frankfurter mit was drin


    Die beiden Frankfurter Chima und Namika haben vor einigen Wochen ihre gemeinsame Single "Wir können alles sein" veröffentlicht, eine flotte Midtempo-Nummer mit Calypso-angehauchtem Beat. Deutscher Pop, der nicht peinlich ist, das gibt es ja nicht allzu oft. Auch wenn die Nummer der Titelsong zum halbgar technologiekritischen Film "rate your date" ist, lässt sich der Track nicht nur als Techtelmechteluntermalung interpretieren, sondern enthält auch ein gehöriges Stück Fragen über Identität und vermeintliches Erkennen des Gegenübers.


    Wir haben uns mit den zwei Künstlern unterhalten, denn dieser Themenkomplex stellt sich für beide nicht zum ersten Mal; Namika ging auf ihrem letzten Album "Que Walou" (von eurem Lieblingsredakteur) ganz dezidiert Fragen nach Heimat und Herkunft nach und auch wenn Chimas Texte des Öfteren sprachlich hart am Kitsch vorbeischrammen, sind sie doch inhaltlich durchaus ernsthafte Nabelschauen und Reflektionen - so ist "Funktionieren" bis heute einer der weniger beschissenen "Die-Welt-dreht-sich-zu-schnell"-Songs. Beide stehen authentisch für den Versuch, Unterhaltung mit persönlichem Vorwärtskommen zu verbinden. Anders als etwa AnnenMayKantereit kaufe zumindest ich beiden ab, dass sie nicht Musik um des Erfolgs willens machen – das zeigen im Übrigen auch ihre durchaus nicht einfachen Karriereverläufe – sondern bemüht sind, sich selbst über dieses Medium auszudrücken und gleichzeitig dann aber eben auch Erfolg zu haben. In diesem Zusammenhang sehr sympathisch und nahbar ist Chimas Erleichterung, dass die Single gut ankommt, ebenso wie sein Wunsch, mit dem Album einfach in den fünfstelligen Bereich zu kommen, um weiter Musik machen zu können.
    Namika verteidigte übrigens den Film, und sie ging überraschend nicht auf dessen zweifelhafte Qualität ein - für sie war ganz offenkundig entscheidend, dass der Film eine (recht simple) Lehre zieht, indem die App, mit der man Dates bewerten kann, überraschend dann doch nicht zum großen Glück führt. Das ist eine entwaffnend ehrliche Argumentation, da Namika so offensichtlich die eigentliche Pointe des Films übersieht: Der Hamdanovic knallt die Schlampen reihenweise weg, obwohl er eigentlich ein ganz Lieber ist. Für diese ehrliche Blindheit muss man Namika einfach mögen. Auch Chima zeichnet diese fast naive Empathie aus: Im Gespräch nutzte er die selbstverständlich letztlich soziologisch sehr komplexe Schreckenstat in Christchurch, um für ein empathischeres Miteinander zu werben, für ein Füreinanderdasein. Und um es festzuhalten, diese Naivität ist nichts Negatives. Man denke an die berechnenden Empörungs-Schweinepriester Grönemeyer und Campino, die sich für jede Chose in die Bresche werfen, solang sie Publicity verspricht. Denn deshalb nehme ich Campino "Eine Handvoll Erde" nicht mehr ab und Chima "Stille" aber eben schon.


    Aber wie passt diese persönliche Beziehung zu den eigenen Texten zum kommerziellen Erfolg im Mainstream, den beide aktiv suchen? Diesem Spannungsverhältnis begegnen beide pragmatisch: Live geben beide an, ihre ruhigen Songs den Umständen anzupassen und mehr Druck und Instrumentierung in die Songs zu geben, um sie live-tauglicher zu gestalten. Das ist verständlich, aber auch schade, denn Künstler wie Perfume Genius, von Elton John ganz zu schweigen, zeigen statt Jahr und Tag, wie so etwas geht. Namika und Chima sind hier jedoch kein Ausnahmefall, diese Servilität gegenüber dem Festivalpublikum zieht sich durch die deutsche Poplandschaft; ärgerlich, denn ein ruhiger Song mit hinzugefügtem Wumms ist kein Pop, sondern Schlager. Das muss nichts Schlechtes sein, aber ein guter Schlagersong ist als solcher konzipiert und steht für sich selbst. Dabei gerät man natürlich als Künstler in die Zwickmühle, für wen man spielt, welches Publikum man sich züchtet. Leonard Cohen in der Waldbühne hat nun mal ein anderes Publikum als Namika, die als Konsequenz oder Ursache ihre Songs anpassen muss und mehr von eben diesem Publikum, das einen ruhigen Song nicht tolerieren könnte, anzieht.


    Ein weiteres Spannungsfeld ist die Arbeit mit Produzenten. Hier sind sich Pop und HipHop mit am nächsten, denn in beiden Genres ist es als Performer üblich, mit Produzenten zusammenzuarbeiten. Welche namhaften Rapper, Earl Sweatshirt ausgenommen, produzieren ihre Tracks schon tatsächlich selbst? Chima und Namika, die beide von David von den BeatGees produziert werden, beschreiben den Prozess als harmonisch und ein gemeinsames Arbeiten. Die Idee, dass die Songs dann letztlich so rauskommen müssten, ist aber natürlich Illusion, da die Idee nun mal teilweise in fremde Hände gegeben wird. Aber ist es nun besser, Beats einzukaufen und sie minimal an die eigenen Bedürfnisse anzupassen oder ist der kooperative Prozess der beiden nicht die ernsthaftere Herangehensweise? Bedeutet ein mehr an Produzentenanteil automatisch ein weniger an Künstleranteil?
    Chima hat angekündigt, dass sein neues Album zwar eine Abkehr von der Melancholie früherer Alben sein werde, aber gleichzeitig einen neuen inhaltlichen Fokus auf Identität legen wird - darauf freuen wir uns. Denn auch wenn die beiden musikalisch einen Weg eingeschlagen haben, der bislang nicht zu Großtaten führte, bleiben beide spannende deutschsprachige Künstler mit viel Potential.

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