01. !!!!!!!
02. bad guy
03. xanny
04. you should see me in a crown
05. all the good girls go to hell
06. wish you were gay
07. When the party's over
08. 8
09. my strange addiction
10. bury a friend
11. ilomilo
12. listen before i go
13. i love you
14. goodbye
Sie ist der Shootingstar des Jahres. Mehr als 800.000 Mal wurde ihr Album auf Apple Music vorbestellt, 14 Millionen Streams erreichte sie auf Spotify damit in der ersten Woche und ihre gesamte Tour war innerhalb von 60 Sekunden ausverkauft. Sie ist der erste in diesem Jahrtausend geborene Artist, der ein Album auf Platz eins der Charts katapultiert, und spätestens damit müsste klar sein, wer gemeint ist.
Die Rede ist von Billie Eilish. Umjubelter Popstar des letzten Jahres, Rohdiamant der Szene und schon mit 15 Jahren von der Vogue zur heißesten Anwärterin auf den Pop-Thron erklärt worden. Jetzt ist ihr erstes Album "WHEN WE ALL FALL ASLEEP WHERE DO WE GO?" erschienen. Und natürlich ist Billie Eilish mehr als ihre Musik, wie es sich für einen Popstar auf der Weltbühne gehört. Ihr extravaganter Klamottenstil und ihre jugendliche Art gepaart mit einem selbstsicheren Auftreten haben in der Promophase eine maßgebliche Rolle gespielt. Jedoch werde ich in der Kritik zu diesem Album nicht viele Worte über die Person jenseits der Musik verlieren. Die Softball-Interviews und die Auftritte in der Öffentlichkeit, in denen sie stets mit Samthandschuhen angefasst und mit Lob überschüttet wurde, boten wenig Unterhaltungswert, und ihre Aussagen über sich und ihre Kunst waren stets sehr vage. Die Kunst des Phrasendreschens beherrscht sie schon wie ein alter Hase. Aber ich war auf das Album trotzdem sehr gespannt, denn ihre Musik hat bisher sehr vielversprechende Aspekte gezeigt. Die Unbeschwertheit, Leidenschaft und Kreativität hörte man ihr an, genug Talent ist sowieso vorhanden und somit fragte ich mich, in welche Richtung sich die 17-Jährige durch das Spotlight musikalisch verändert und wie ihre ersten Schritte in Richtung Popkrone aussehen.
Die musikalische Inspiration hört man sofort raus. Stark präsent ist ein melancholischer, düsterer und depressiver Stimmeinsatz wie bei Lana Del Rey, auch der rhythmische und zurückhaltende Einsatz ihrer dünnen Stimme, der sehr an den minimalistischen Elektro Pop von Laurie Anderson erinnert, ist charakteristisch. Dennoch gelingt es, Billie Eilish auf dem Album ganz unterschiedlich klingen zu lassen. Wiederkehrende Elemente sind Harmonien im Instrumental, die der Künstlerin als wichtige Vorgabe dienen, Unterwasser-Effekte auf der Stimme ("bad guy"), ein zeitgemäß dominanter und teils bewusst übersteuerter Bass ("you should see me in a crown"), interessante, exzellent platzierte Synthesizer ("bury a friend") und viele spannende Nebengeräusche. Die musikalische Bandbreite ist enorm, alles ist detailverliebt produziert und wird auf Albumlänge nicht langweilig. Inhaltlich gibt es ein paar einzelne interessante Konzepte neben der sonst allgegenwärtigen Traurigkeit. "bad guy" nimmt die besonders idealisierten Vorstellungen eines Mannes als Playboy auf die Schippe. Gelungen ist auch die Umsetzung des finalen Tracks, dessen textliche Idee es ist, jeden Albumsong auf eine Zeile runterzubrechen und die hintereinanderweg zu singen.
Obwohl man so bei den ersten Hördurchgängen sehr fasziniert ist und quasi jeder Song als Hit durchgehen kann, der auf keiner einfachen Formel, sondern auf der Kreativität und Qualität des Kunstschaffenden beruht, stellt sich eine Frage: Wer ist denn der Kunstschaffende?
Denn wenn man die Sängerin und ihren Produzenten, welcher ihr Bruder ist, der jeden Song mit ihr schreibt und aufnimmt, mal trennt und einzeln betrachtet, dann hat er einen größeren Anteil an der Stärke dieses Albums als sie. An dieser Stelle will ich klar zwischen Stärke und Erfolg unterscheiden, denn ich zweifle keineswegs daran, dass sehr viele verkaufte Platten auf das Konto der Persona Billie Eilish gehen. Es ist aber so, dass sie im Gegensatz zu den prägenden Künstlern des Pops der vergangenen Jahre wie Rihanna oder Adele weitaus weniger kreativen Anteil am Produkt hat.
Nehmen wir zum Beispiel "you should see me in a crown". Ein sehr schöner, atmosphärischer Track. Denken wir uns die Effektkette an ihrer Stimme, die vielen Synthesizer im Hintergrund und natürlich den wummernden Bass in der Hook weg, bleibt aber nur noch ein Konstrukt, das musikalisch schon beim ersten Hören Langeweile erzeugen würde. So verhält es sich mit den allermeisten dieser Songs, in denen Abwechslungsreichtum und Versiertheit der Produktion das Talent der Sängerin in den Schatten stellen. Auch die Texte, die von Träumen und Ängsten handeln, stehen und fallen mit der Atmosphäre und der musikalischen Ausarbeitung. Die Texte sind dann stark, wenn es um verspielte, eigenwillige und ein Stück weit geheimnisvolle Darstellungen ihrer Gedanken geht, schwächer, wenn es kitschig ausartet oder sich in Phrasen verliert. Viele in der amerikanischen Gesellschaft manifestierte Themen wie Religion oder Ideale eines Mannes geht Billie kritisch, aber vorsichtig an. Stellenweise Feminismus, hinterfragen des in der Szene glorifizierten Drogenkonsums, aber nichts mit Punchlines oder einer Besserwisserei, sondern mit der einfachen Frage: Warum? Der Kitsch ist wiederum präsent auf Songs wie "i love you", die anspruchslos gereimt sind und wenig authentisch sind.
Für mich zählt "WHEN WE ALL FALL ASLEEP WHERE DO WE GO?" klar zu den besten Popalben der letzten Jahre. Den größten Anteil hat daran aber ihr fabelhaft produzierender Bruder, der seine vielen unterschiedlichen Ideen mit Perfektionismus und sehr viel Liebe auf diesem Album gekonnt umsetzt. Billie Eilish scheint durchaus eine talentierte Musikerin zu sein, die weiß, wie man sich in Szene setzt, aber bei mir bleibt der fade Beigeschmack, dass sie zu viele Credits für diese Platte bekommen hat.
Vincent Busche
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