$uicideboy$ – I want to die in New Orleans


  • 1. King Tulip
    2. Bring Out Your Dead
    3. Nicotine Patches
    4. 10,000 Degrees
    5. 122 Days
    6. Phantom Menace
    7. Krewe du Vieux (Comedy & Tragedy)
    8. Wartime All the Time
    9. Coma
    10. Long Gone (Save Me From This Hell)
    11. Meet Mr. Nice Guy
    12. Carrollton
    13. Fuck the Industry
    14. I No Longer Fear the Razor Guarding My Heel (IV)


    "Kill Yourself" haben uns die $uicideboy$ mit ihrer mittlerweile zwanzigteiligen EP-Reihe über die letzten Jahre eingetrichtert und damit seit 2014 tatsächlich einen maßgeblichen Einfluss auf die Rap-Szene ausgeübt. Ihr enormer Output mit seiner Melange aus South Trap und Industrial, garniert mit etwas Punk und Screamo, hat seine Nische rasch gefunden, allerdings – und das halte ich für ein seltsames Zeichen unserer Zeit, ebenso wie bei Death Grips – in seiner konkreten Ausprägung keine klaren Nachahmer gefunden; zumindest keine, die kommerziell nennenswert erfolgreich wären. Der Stil der beiden Cousins und MCs hat sich im Laufe der Jahre kaum geändert, geriet trotz der hohen Zahl von Veröffentlichungen und dieser Kohärenz allerdings nie langweilig. Das ist natürlich der Vorteil an einem solchen Amalgam von Musik: Nicht nur kann man selbst die absolute künstlerische Hoheit über seine Spielart beanspruchen, solange nicht Hinz und Kunz nacheifern, sondern ein solcher Sound ist eben durch seine Natur als Mische relativ leicht offen und spannend zu halten – sofern das Songwriting stimmt und das war bislang immer der Fall. Beste Voraussetzungen also für das offizielle Debütalbum "I want do die in New Orleans" der S€lbstmordjungs. Das dachte sich auch Spotify, das mal eben unter anderem eine Riesenwerbung am NY Times Square springen ließ. Vielleicht das deutlichste Zeichen, dass null Verkäufe binnen 4 Jahren und 30 Releases heutzutage irrelevant sind.

    Never say no to whatever drug, I always enter the void/
    When it is time that I die, make sure I'm buried in FTP corduroy/
    $uicideboy$; most avoided, most ignored/
    I like their old stuff from before (I do)/
    Who am I, Freud?/
    I'm not who I thought I was anymore

    ($uicideboy$ auf "122 Days")


    Ihrem Trademark-Stil bleiben die Boy$ treu, das wird schon am Cover deutlich. Schnell wird aber auch klar, dass eine Hinwendung zu klassischeren Rapstrukturen und poppigen laid-back-Songs auf zum Beispiel "Nicotine Patches" durchaus stattfindet. Da die Backlist ihres Plattenlabels quasi nur aus ihnen besteht, ist das wohl weniger auf Druck der Labelbosse, die sie selbst sind, denn auf eine bewusste Entscheidung der Künstler zurückzuführen. Auch das in vorherigen Releases (und in den jünsten Releases besonders) überdominante Bass wurde zurückgefahren, zugute klassischerer Beats und Snares. Das ist legitim und kommerziell vielleicht sinnvoll, nimmt dem Sound allerdings auch an Wiedererkennbarkeit und Qualität. Der oftmals sehr zähe Bass war es erst, der schnelle Flowpassagen in Kontrast setzte. Die fast durchgehende mid-Tempo-Produktion von $crim, einem der beiden MCs, enthält dem Hörer diesen Kontrast leider größtenteils vor; bis auf "WAR TIME ALL THE TIME" wird die Handbremse deutlich angezogen. Dabei ist die Produktion keinesfalls missglückt, aber zu selten finden die beiden Möglichkeiten, ihre Stärken auszuspielen und mehr zu liefern als okayen, mittelschnellen Rap über okaye, mittelschnelle Produktion, denn nur dafür fehlt ihnen dann Technik oder Inhalt. Am deutlichsten wird das beim über sieben Minuten langen "I No Longer Fear the Razor Guarding My Heel (IV)", wo sich beide offenkundig wohl fühlen und das durch seine zahlreichen Brüche und sein Trompetensample sehr überzeugen kann; diese Weirdness lässt der Rest des Albums vermissen.
    Ein Aspekt, bei dem die neue Herangehensweise besser gelingt, ist der Gesang. Den setzten die Jungs bereits auf früheren Releases ein, durch die klarere Produktion und die gedrosselte Aggression beansprucht er nun aber einen dominanteren Platz im Gefüge und das klappt gut, obwohl der Gesang ebenfalls klarer wurde. Songs wie "Long Gone (Save Me From This Hell)" und vor allem "Meet Mr. NICE GUY" profitieren stark von den Gesangspassagen, die zumindest diesen beiden Songs auch eine Struktur geben, die für die $uicideboy$ so neu ist und eine deutliche Dosis R'n'B in den Sound gibt.


    Wirklich etwas zu erzählen haben die $uicideboy$ weiterhin nicht. Die Texte drehen sich um sich selbst in einem monotonem Wust aus negativen Gedanken und Depression, die dann ganz natürlich zu nicht erfüllendem Drogenmissbrauch (was einen gleich noch trauriger macht) und eben zumindest einem besungenen Suizid führen. Garniert mit ein paar Drohungen und Pistolensounds schreien einem die Facetats förmlich ins Gesicht. Sollte es eine Lyricwerkstatt geben, bezieht BONES die seinen aus derselben wie die Doppeldollardudes. Für eine solche Simplizität fehlt leider auch die Selbstironie. Bestes Beispiel ist die Eloge auf die Boy$ von eben genanntem BONES am Ende von "FUCK the industry" – cringe, denn ohne Selbstironie den eigenen Abgang inszenieren (und das nicht mal im letzten Song!) dürfen weiterhin nur HIM. Das ist aus gutem Grund musikalisches Völkergewohnheitsrecht, denn bei allen anderen, inklusive den Umbringbuben, wirkt es einfach nur präpubertär und lächerlich, was angesichts solch rein düsterer Themen natürlich Gift ist. Ebenfalls nur wenig Änderung gibt es aber beim immer wieder überraschenden und guten Umgang mit Sprache. Die Reime passen einfach oft, was angesichts des zumeist leeren und repetitiven Inhalts bemerkenswert ist. Die beiden schaffen es, Lyrics zu schreiben, die sowohl zu ihren Stakkato-Flow-Passagen als auch zum an sich oft gemächlichen Beat passen; eine nicht zu unterschätzende Leistung. Die Sprachbilder wiederum passen nach meinem Gefühl oft nicht mehr so gut wie zuvor. Manches wirkt zu gewollt, zu wenig subtil, wie die wiederholten Scarface-Anspielungen hier:


    Tony gripping on the Tommy, bitch/
    I bite the head off a bat like I'm Ozzy/
    You got a problem motherfucker? Come and try me/
    I'm nothing like what you punk boys wanna embody/
    Norf, Norf, East Side *59/
    Tony gripping Tommy/

    ($uicideboy$ auf "Carollton")


    Fazit:
    Ganz ehrlich, fühlt sich eher unbefriedigend an. Denn dass die Jungs etwas draufhaben, war doch schon vorher völlig klar. Tapes wie "Eternal Grey" zählten zu den besten Releases des Jahres und das tut "I want to die in New Orleans" leider nicht. Der Ansatz, den eigenen Sound ein Stück weit runterzufahren und massentauglicher zu machen, ist nicht per se verwerflich, dann muss aber gleichzeitig eine andere Möglichkeit, den Sound anzureichern, gefunden werden oder aber besonders viel Liebe in das Produkt gesteckt werden, und beides ist hier nicht oder zu wenig der Fall. So ist es "nur" ein gute Release von zwei okayen MCs mit eigenem Sound, der aber durchaus auch 2018 als Hommage an BONES entwickelt worden sein könnte. Ich wünsche den $uicideboy$ Erfolg und mir, dass sie wieder bessere Scheiben mit mehr Ecken produzieren.


    (Franz Xaver Mauerer)


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