Kaas und der Amoklauf: Auf der Suche nach einem Sündenbock.
"Künstlerischer Ausdruck und das Recht, sich auszudrücken, sind lebenswichtig. Jeder kann sich künstlerisch ausdrücken..." (Kurt Cobain)
Wann ist Kunst Kunst? Wer bestimmt, dass etwas Kunst ist? Wer darf behaupten, dass etwas keine Kunst sei? Wann darf man Kunst verbieten und wie viel Inhalt darf Kunst in sich tragen? Inhalt, den man interpretieren kann. Inhalt, den man falsch auslegen kann. Inhalt, der so offensichtlich ist, dass ihn scheinbar jeder verstehen muss.
Wenn ich sage "Ich möchte [...] Menschen dazu inspirieren, ihre Aggressionen in Kunst zu verwandeln, indem sie Bücher schreiben, Bilder malen oder auch Musikstücke über ihre Gefühle komponieren", wenn ich das Wort "Liebe" so oft als Ausdruck für das Gute, als Ausdruck für das, was fehlt, als Ausdruck für das, was ich vermitteln möchte, verwende, dass es die Welt nervt, bin ich dann derjenige, den man ebenfalls anklagen kann, Böses zu wollen? Kann ich zwei so gegensätzliche Werte gleichzeitig vermitteln oder werde ich von verschiedenen Seiten missbraucht, damit es irgendwen gibt, auf den man mit dem Finger zeigen kann, wenn etwas passiert, was man sich sonst nicht erklären kann? Was man nicht für normal hält, was man nicht so sehen will?
Das bin nicht ich. Das ist Kaas.
Wenn CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach auf der Webseite vom Stern zitiert wird "Das ist gewaltverherrlichend, das ist schwer jugendgefährdend. [...] So etwas gehört nicht ins Netz", und dabei über das Video zum Kaas-Track "Amok Zahltag" spricht, kann man die Sicht von Menschen wie ihm vielleicht dann ein bisschen verstehen, wenn man die Augen zumacht und sich vorstellt, man hätte dieses Video noch nie gesehen. Man hätte den Namen "Kaas" noch nie gehört. Man wüsste nur im entferntesten Sinne, was Deutschrap ist. Gewaltverherrlichend. Jugendgefährdend. Vielleicht ein bisschen rechts. Vielleicht noch ein bisschen von jedem Klischee, das dieser Musikrichtung nachgesagt wird, obendrauf.
Und dann sitzt man in der WDR-Sendung "Hart aber fair", in der es um den allseits bekannten Amoklauf geht, Moderator Frank Plasberg steht einem gegenüber: "Es ist ein Video, das ein Rapper ins Netz gestellt hat, der damit seine CD [...] beworben hat. [...] Kaas heißt er und er hat sein Video genannt: "Amok Zahltag"." Dann spielt er benanntes Video ab und man hat wenige Sekunden Zeit, ein Statement abzugeben. Ist es nicht klar, dass man all das wiedergibt, was seit Jahren in der Endlos-Schleife wiederholt wird?
Muss sich wirklich irgendjemand noch die Frage stellen, warum immer und immer wieder dieses eine Computerspiel sowie diese und jene Musikrichtung als Argument aus dem Topf gezogen werden, wenn man irgendwas bitte innerhalb von ein paar Stunden erklären muss? Wenn man Antworten geben muss, die es nicht gibt, die keiner kennt, die keiner wirklich kennen kann?
Natürlich hätten wir alle anders gehandelt und natürlich sehen wir alle, die wir diese eine Musikrichtung kennen, dass das falsch ist, was auf einem eigentlich seriösen TV-Sender für Aussagen gemacht werden. Aber haben wir nicht auch den Verbraucherhinweis gelesen, der als Botschaft vor Kaas' Video eingeblendet wird? Wie sicher bin ich mir, dass Bosbach diesen Hinweis vor seinem Statement nicht lesen durfte? Sehr. Was dennoch sein Statement auf keine Art und Weise wirklich ändert.
Ob an den falschen Stellen angesetzt wird, frage ich mich schon lange nicht mehr. Allerdings wundere ich mich, wieso jetzt mit dem Video namens "Die letzten Sekunden des Amokläufers" geworben wird - und das auch auf der Website des Sterns - neben dem Artikel mit Bosbachs Aussage. Und ich wundere mich, wieso das nicht gewaltverherrlichend ist. Wieso das nicht jugendgefährdend ist. Und wieso so etwas ins Netz gehört.
Und ich frage mich, wie Bosbach und Plasberg Kunst definieren würden. Vor allem, ab wann Musik Kunst ist und wie weit künstlerischer Ausdruck gehen darf. Und ich frage mich, ab wann die Menschen aller Generationen bereit sind, zu differenzieren. Bereit sind, sich Gedanken zu machen. Und bereit sind, anderen mal richtig zuzuhören. Das bezogen auf Kunst. Und auf den Amoklauf selbst.
lupa (Florence Bader)