Tiger & G.G.B. – Cornertape


  • 1. Intro
    2. Falling in Love
    feat. MC Bomber
    3. Wochenende feat. Pilskills
    4. Feuerwasser feat. Shacke One
    5. Alles fit im Slip
    6. Asylheim für Werbetexter
    7. MegaMix
    8. USA
    9. FünfFingerRabatt
    feat. MXM
    10. Punani
    11. Outro
    12. 104er
    feat. Mister Jones (Bonustrack)


    Was ein schönes Albumcover. Wir würdigen das hier manchmal zu wenig, ehrlich gesagt auch deswegen, weil viele Rapcover Schmutz sind. Aber Mensch, dieser LKW mit seinem sanften Bernsteinton, der durch die Schattierungen aber doch genau das richtige Maß an On-the-road-feeling vermittelt, den pastell- und neonfarbenen Rauch und Wüstenhorizont, gebrochen durch eine schmutzig-ausgreifend wabernde, wolkenartige Kondensschicht, mit einer slicken Unterschrift, als würde sie von einem echten Gentleman und nicht zwei Berliner Vollproleten stammen. Sollte jemand die moderne Biotechnik sinnvollerweise dafür einsetzen, einer Zombiecyborg-Version von Gene Clark ein Comeback zu ermöglichen, dann sähe so das Cover seines umjubelten Comebacks aus (David Eugene Edwards würde es übrigens produzieren).
    Tiger und G.G.B., das sind zwei Jungs aus MC Bombers Upstruct-Umfeld und wie erfahrene Leser dieses Portals wissen, bin ich der für diese Brut Zuständige im weit verzweigten r.in-Organigramm. Da Upstruct zurzeit sehr viel für Battlerap allgemein und dessen Berliner Variante im Besonderen tut, wollen wir an dieser Stelle, zugegeben arg verspätet, das Debütalbum mit Namen "Cornertape" dieser zwei weniger bekannten Mitglieder ihrer Crew unter die Lupe nehmen: Dies nicht nur aus Komplettierungswillen heraus, sondern was eine gute Crew sein will, die muss sich auch am schwächsten Glied beziehungsweise weniger publikumswirksamen Veröffentlichungen messen lassen. Wu-Tang ist so stark wie Inspectah Deck, nicht wie GZA – Odd Future muss sich an Hodgey messen lassen, nicht an Earl. Denn wo ist der Sinn an Crews, wenn einem ein schwacher MC einer eigentlich guten Crew (looking at you, B-Tight) auf dem Crewsampler fürchterlich auf den Sack geht?


    Schon von Beginn des "Cornertape"s an wird stilistisch die Nähe zu Rappern im Umfeld der beiden MCs deutlich, denn wie MC Bomber, Pilskills oder der sehr geschätzte Shacke One halten sich auch Tiger und G.G.B. an die Labelpolicy "Vorwärts immer, rückwärts nimmer"; wer deepe Thementexte und aufwendig strukturierte Songs sucht, ist hier eher falsch, die Heimat ist Battlerap. Wie schon "Falling In Love" zeigt, funktioniert das vor allem aufgrund der Authentizität aller Beteiligter und der starken Produktion, die für das Album typisch mit simplem, aber melodiösen und angenehmen laid-back Beat samt sparsamen Samples unterlegt, aufwartet. Sie kann mit Texten wie


    Während ihr mit Sitzblockaden glaubt, die Welt zu verbessern/
    Investier' ich in den Mittelstand und geh' in Kneipen bechern/
    Kämpf du mal weiter für Gerechtigkeit und Frieden/
    Ich zock' Novoline und will in Reihe drei mal sieben

    (Tiger auf "Falling In Love")


    und


    Und ich weiß, dass sie ein Flittchen ist/
    Oben ohne, nur Kondome und die Lippen sind verziert mit rosa Lippenstift/
    Sie ist der Inbegriff, keine wie sie/
    Außer ich [sic!] haben die Anderen sie auch verdient

    (G.G.B. auf "Falling In Love")


    ob der Diskrepanz zwischen ihrem smoothen Wesen und den harschen Texten und der Sturm-und-Drang-delivery eigentlich nicht richtig funktionieren, vermittelt aber im besten Sinne eines "Cornertape"s das Gefühl, mit zwei Asis und ihrem Vollasikumpel (MC Bomber) in einem Döner an der Greifswalder zu sitzen, während sie entspannt, weil so selbstverständlich, über eine Frau herziehen, der sie sich eigentlich emotional verbunden fühlen, in völliger Abwesenheit jeglicher safe spaces, political correctness oder auch nur der geringsten Achtung vor Frauen oder Mitmenschen. Dazu gehört, dass die beiden Berliner es ohne großen Aufwand vermögen, lebendige Sprache zu schaffen, die ihren jeweiligen Flow im Sprachrhythmus niemals im Weg steht und sich trotz Profanität auch schwierigen Versmaßen nicht verweigert. Den zwei und der Abwechslung auf dem Album tut neben der Produktion gut, dass sie sich stimmlich und als MCs recht deutlich unterscheiden: Tiger verfügt über einen melodischen, hooklastigen Flow ähnlich dem von Shacke One, während G.G.B. über einen nasalen, eher sprechlastigeren Stil kommt, wie ein noch nicht zu oft auf den Kopf gefallener früher MC Bogy. Wie bei allen guten Duos gibt es also eine klare Distinktion zwischen den beiden MCs, wobei die funklastige Produktion eher Tiger zupasskommt (der auch die meisten Songs produziert hat).


    Ohne Kater aufzuwachen, diese Zeit ist lang' vorbei/
    Kein Problem, ich bin gewohnt, vom Saufen abgefuckt zu sein/
    Wird erst gesellschaftstauglich mit 'nem 2 1/2er-Pegel/
    Die einzig wahre Wahrheit liegt bei mir unter dem Tresen

    (Tiger auf "Feuerwasser")


    Um zurückzukommen auf "Falling in Love": Dieser grundstabile Sound, funkige Beats und harte Raps, ist das grundsolide Gerüst dieser Scheibe und findet sich sehr vergleichbar in "Alles fit im Slip", "FünfFingerRabatt", etc. Allerdings muss ich hier zwei Songs herausstellen, mit denen "Cornertape" sich auf lange Zeit in meinen iPod gebrannt hat: "Punani" ist Sommerhit einer musisch kundigeren Gesellschaft, eine Perle, die ob ihres an 2Pac erinnernden Mumu-Namens wohl nie über Nicht-einmal-Kultstatus hinauskommen wird. Der Track zeigt sehr schön, was passiert, wenn sich starker Beat und beide MCs in Höchstform treffen und die Produktion ihnen erlaubt, etwas mehr Spielereien einzubauen, als das auf dem Großteil des restlichen Albums der Fall ist. Jedenfalls eine der schönsten und beschwingtesten Hommagen an die Tropfsteinhöhle des Lebens, die ich jemals hören durfte. Mit "USA" verhält es sich da etwas anders, denn hier findet auf einem wirklich wunderschönen Pseudo-80er-Sound, der auch zu Hotline Miami gepasst hätte, tatsächlich eine vertiefte Auseinandersetzung mit den USA aus Sicht zweier armer Ostberliner Jungs statt, die in ihrer Ehrlichkeit einfach mitreißt – auch hier liefern beide MCs ihre mit besten Parts des Albums ab und beherrschen die schwierige Instrumentierung mit nach vorne gemischter, gestreckter Melodie ohne Probleme.
    Die kompetente Produktion wurde bereits erwähnt – die Beats von "Punani", "USA" und "Feuerwasser" sind absolute Banger, typisch für die besten Upstruct-Produktionen mit einem ordentlichen Anteil Funk und Cheesiness – und das, obwohl Haus- und Hofproduzent Achim Funk hier nicht beteiligt war, sondern fast alle Songs von Tiger selbst produziert wurden – daneben noch von Pavel und MC Bombers Buddy Morlokk Dilemma. Es gibt keinen langweiligen Beat auf dem gesamten Album; kritisch anzumerken ist höchstens die auf Albumlänge zu oft simple Struktur der Produktion: Soul-Samples und Funk werden nicht verschmolzen, sondern nebeneinander gestellt und die überaus feinen Beats zu selten gebrochen, sie bleiben meist über Tracklänge starr, was vor allem G.G.B. Möglichkeiten nimmt, sich über Tempianpassungen als Rapper hervorzutun. Darüber hinaus ist sowohl Aufnahme- als auch Mischqualität vorzüglich, bei Kollaborationsalben selbst bei AAA-Aufnahmen leider keineswegs eine Selbstverständlichkeit. Die Features machen übrigens nichts kaputt, bringen aber auch keinen Mehrwert: Shacke One liefert gut ab, MC Bomber ebenfalls, beide stören durch ihre sehr gewachsenen und wiedererkennbaren Stile den so gelungenen Fluss dieser Scheibe eher. MXM und Pilskills performen leider eher schwach, wie so oft fühlen sie sich auf fremden Songs merklich unwohl – falls einer ein gutes Feature von denen kennt, bitte melden.


    Abschiedskuss, du bist am Flennen/
    Das nächste Mal, wenn wir uns sehen, werd' ich dich nicht mehr kennen/

    (G.G.B. auf "Alles fit im Slip")


    Fazit:
    "Cornertape" ist genau das: Ghettoblaster auf die Schulter oder Album aufs Handy, mit Kumpels auf ein Bierchen am Späti, dafür liefern Tiger und G.G.B. zwar nicht die perfekte, aber hochgradig gelungene Unterhaltung. Mehr will das Oeuvre gar nicht sein, dank seiner starken Produktion, gelungener Texte und souveräner MCs erreicht es stellenweise aber unbeabsichtigte Höhen und überzeugt nicht zuletzt deshalb als Debütwerk über alle Maßen umso mehr, wenn man die hohe Eigenproduktionsquote berücksichtigt. Die beiden Berliner schaffen es, vom Cover angefangen, ein homogenes und in sich stimmiges Album vorzulegen, mit dem sie, abgesehen von der handwerklichen Qualität des Ganzen, im eng gedrängten Deutschrap-Kosmos bereits jetzt einen eigenen Stil gefunden haben, ich würde ihn "80er-LKW-Fahrer hält an Späti in Arizona an, schlägt Frau und alle lachen"-Sound nennen wollen. Die bestehenden Schwächen im Songwriting und der Produktion, die hier allerdings zumeist durch Herzblut wettgemacht werden konnten, sollten sich zukünftig durchaus ausmerzen lassen. Als MCs sind die beiden Künstler mit ihrem hohen technischen Niveau bereits jetzt für Größeres bereit.



    Franz Xaver Mauerer


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