Es ist nicht leicht, heikle Themen anzusprechen, gerade wenn es an emotionale, persönliche oder leidenschaftliche Sachverhalte geht. Ein HipHop-Fan sieht sein Genre ungern Kritik ausgesetzt. Egal, ob die kritischen Worte berechtigt oder konstruktiv sein mögen, ein Fan wird seine heilige Kuh verteidigen, er wird den kritischen Stimmen Ahnung und Zugehörigkeit absprechen, ihnen die Deutungshoheit über das Thema verweigern oder sie über zweifelhafte Taktiken aus dem Diskurs exkludieren. Das lässt sich jetzt gerade live und in Farbe beobachten, denn die Frankfurter Allgemeine Zeitung veröffentlichte vor einigen Tagen einen Artikel, in dem die Autorin "The Story of OJ" – insbesondere die kontroverse, antisemitische Textzeile daraus – von Jay Z zum Anlass nimmt, das grundlegende Problem um Hatespeech und Diskriminierung in der HipHop-Kultur zu beleuchten.
"Eine Zeile zu viel" sei es gewesen, als Rap-Millionär, Mittvierziger und Familienvater Jay Z antisemitische Ressentiments reproduziert hat. Kurz rekapitulierend erzählt die Autorin in konstruktivem, wohlwollenden Tonfall von den Wurzeln der Kultur, von ihrer eigenen Leidenschaft zum Genre und wirft daraufhin dennoch der Community vor, sich in aller Selbstreferenz im Umgang mit kritischen Positionen und diskriminierenden Inhalten selbst zu belügen und sich jenseits der moralischen Richtlinien zu positionieren. Kurzum: Sie wirft HipHop vor, Hatespeech nicht ernsthaft zu konfrontieren, sondern im Rahmen der Kultur abzutun und zu relativieren. Ein durchaus schwerer und großflächiger Vorwurf, aber – lässt man den intuitiven Verteidigungsreflex des Genrefans kurz beiseite – er ist definitiv nicht unangebracht. Auch die Beispiele um den Antisemitismus eines Haftbefehl, den Sexismus eines Kool Savas oder die Homophobie eines SSIO sind durchaus valide Punkte, über die mit einer Selbstverständlichkeit hinweggesehen wird, als wären die toxischen Haltungen Teil der Musik selbst. Dieser Eindruck sollte diskutiert werden, denn trotz aller Sympathie mit der kritischen und differenzierten Auseinandersetzung seitens der Autorin verwechselt der Artikel Ursache und Wirkung, Gefahr und Potential einer musikalischen Subkultur. Grund dafür ist das Missverständnis über die Natur von Kultur an sich: Dröseln wir also auf, wie Kultur funktioniert, wie HipHop funktioniert und warum es ein Trugschluss ist, das toxische Potential dem Genre selbst zuzuschreiben.
[YOUTUBE]
[/YOUTUBE]Don't Shoot at the Messenger – Warum Rap nicht lügt
Wie auch der Artikel schon von Haftbefehl zitiert, fungiert Rap in erster Linie als Sprachrohr. Ein Rapsong reproduziert Ideen, Stigmata und Ressentiments eines sozialen Milieus. Wenn also Savas oder SSIO in ihren Texten vor allem die Idee einer anarchischen, dominanten Maskulinität bedienen und diese dabei durch die Abgrenzung von anderen Gruppen (also Frauen, Homosexuelle, etc.) deutlich zu machen suchen, lernen wir, dass entweder sie selbst sich diese Idee zu Eigen gemacht haben oder dass sie erwarten, mit dieser Idee in ihrer jeweiligen Zielgruppe Resonanz zu erfahren. In beiden Fällen lernen wir, dass das soziale Milieu, aus dem die beiden Musiker aufgestiegen sind und das sie kulturell ansprechen, eine internalisierte Vorstellung von toxischer Maskulinität vorweist, das mit derartig artikulierten Gedanken resoniert. Kurz gesagt: Durch diese Texte eröffnet sich ein Bild von internalisierter Diskriminierung, das sich irgendwo in der kulturellen Sozialisierung der beiden Künstler widerspiegeln muss. Die Autorin zieht nun den Umkehrschluss und behauptet, dass HipHop als einziger gemeinsamer Nenner und als leitende Kultur von Künstlern wie Zielgruppe also die Basis sein muss, auf der sich diese politischen Inhalte manifestieren können. Und das mag nicht komplett falsch sein, jedoch verwechselt es Basis und Medium. Doch um das diskutieren zu können, muss man zunächst einen kritischeren Blick auf den Kulturbegriff der HipHop-Szene werfen.
Was bedeutet eigentlich Kultur? Sammelt man kulturanthropologische Grundsatzbetrachtungen zu diesem Begriff, so kann man grob vereinfacht behaupten, dass es als der Kanon des menschlichen Hervorbringens verstanden werden kann, der zu einer normierten Zivilisation mit gemeinsamer Basis führt. In großen Schemata erlaubt es das, einen zivilisatorischen Moralbegriff nach Kant zu etablieren, einen Weltethos im Sinne von Hans Küng zu installieren oder im Gedanken von Levi-Strauss ein grundsätzliches Regelwerk für das menschliche Zusammenleben zu schaffen. Weiter vereinfacht könnte man Kultur also als moralische wie regelnde Grundräson des zivilisierten Zusammenlebens interpretieren. Nun kann man natürlich leicht feststellen, dass HipHop keine derart grundlegende Funktion in der Gesellschaft einnimmt: Wir haben es mit einer Subkultur zu tun, eine Subkultur, die Kunstformen mit grundsätzlichen moralischen Ideen der Entstehungstradition verknüpft. Bedeutet im ursprünglichen Sinne: Man nehme die Kunst der MCs und DJs, das Breakdancen und das Sprühen und verbindet diese Medien mit ideellen Vorstellungen der Zulu Nation a la "Each one, Teach one", "One Love" oder der Competitiveness und der Inklusion. Doch auch wenn diese Richtlinien zwar suggerieren, Hate Speech könnte kein Teil der Kultur sein, ignoriert es den kulturellen Konflikt der Kunst, denn: HipHop erlaubt seinen Partizipanten individuellen Ausdruck. Das ist eine vordergründige Selbstverständlichkeit der künstlerischen Subkultur und dieser Ausdruck wird insbesondere in der Zukunft das einende Element von HipHop darstellen. Und hier entsteht ein Konflikt, der weit später zu den Problemen der Autorin führen wird.
[YOUTUBE]
[/YOUTUBE]Mehr als James, Jamal und Mehmet
Nun befinden wir uns allerdings nicht mehr im Jahre 1979 und leben HipHop als Blockparty in der Bronx. Die Subkultur stellt nun seit mehreren Jahrzehnten ein globales Massenphänomen dar, das nicht nur zahllose Untergruppen und Neuerfindungen durchlebt hat, sondern auch ein klarer Attraktionspunkt für Kommerzialisierung geworden ist. Im jungen Forschungsfeld der Subcultural Studies – irgendwo zwischen Soziologie und Literaturwissenschaft – beschreibt der Londoner Anthropologist Phil Cohen im Theorieband "The Subcultural Imagination" das Phänomen folgendermaßen:
"Sometimes opposed but complimentary interpretations are given to the same thing. This ambivalence not only illustrates the interstection of romantic and rationalist views of youth, but reflects the fact that capitalism's subcultural turn simultaneously undermines and renews its trajectories of growth."
("Manchmal kristallisieren sich widersprüchliche, aber dennoch schmeichelhafte Interpretationen derselben Sache heraus. Diese Ambivalenz unterstreicht nicht nur den Schnittpunkt von romantischen und rationalen Ansichten der Jugend, sondern reflektiert auch die Tatsache, dass die subkulturelle Ausprägung des Kapitalismus die Entwicklungslinie der wachsenden Szenen gleichermaßen unterwandert und erneuert.")
Das mit nahezu ausbeuterischer Kommerzialisierung eingehende radikale Wachstum der HipHop-Kultur führte in unserem konkreten Beispiel also zu einer komplett Aufteilung der Subkultur in kleinere Kommunen und individuelle Auslegungen der Tradition, die vom jeweiligen Interpreten beliebig bedient werden können. Sprich: Berliner Battle a la Savas stellt einen anderen HipHop dar als Frankfurter Gangster-Rap, wie ein Haftbefehl ihn vertritt. Jay Zs Zugang zur Kultur ist fundamental unterschiedlich zu dem eines Soundcloud-Rappers aus der Bay Area, eines Oldschoolers aus Chicago oder eines Trillwave-Artists aus Schweden. Was all diese Künstler im Rahmen ihrer Subkultur eint, das sind wie beschrieben die künstlerischen Elemente. Eine traditionalistische moralische Grundinstanz zu suchen, ist an diesem Punkt schlicht nicht mehr möglich, die Kultur ist schlicht zu vielfältig geworden, um sich auf einen derartigen Konsens zu einigen.
Woher kommt also der Hass?
Bringen wir nun also die Beobachtungen auf die vorher aufgestellte zweckmäßige Definition von Kultur und Subkultur zurück, stellen wir fest: Die Subkultur eint sich allen voran durch künstlerische und ästhetische Form und Tradition, moralische Werte lassen sich allerdings mehr der grundlegenden Kultur zuordnen. Nur weil Jay Z, Haftbefehl und Kool Savas allesamt das Medium des Sprechgesangs nutzen, um Ressentiments zu verbreiten, bleibt der Rap dennoch nicht als der einzige gemeinsame Nenner übrig. Der wahre Common Ground ist nämlich der Hass selbst. Und der kommt in verschiedenen Farben und Formen. Der Antisemitismus von Haftbefehl lässt sich genauso simpel erklären wie vorhin der Sexismus eines Savas: Er ist das Produkt eines sozialen Areals, in dem Juden grundsätzlich zu einem Feindbild stilisiert werden. Savas hingegen stammt einem Umfeld ab, in dem Maskulinität ein prägendes Statussymbol ist und vor allem durch Abgrenzung und Diskriminierung erlangt wird. Jay Z reproduziert diese toxischen Stereotype vor allem deswegen weiter, weil er als Geschäftsmann weiß, dass seine junge, schwarze Zielgruppe positiv darauf reagieren wird. Dieses Gedankengut existiert also unabhängig von der Subkultur, es ist vielmehr Teil von komplexen, soziologischen Entwicklungen, in denen sich gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge und Problemfelder in Ressentiments und toxischen Attitüden gegen bestimmte Minderheiten manifestieren. Erst im Rap werden sie sichtbar und massenwirksam verkauft. Doch würde man die Schuld dafür im Medium suchen, könnte man die Probleme lediglich wieder aus dem Blickfeld verbannen und sie in ihren jeweiligen sozialen Klimas weiter in der Mitte der Gesellschaft brodeln lassen.
[YOUTUBE]
[/YOUTUBE]Und genau das meint die Verwechslung von "Gefahr und Potential". Denn natürlich ist es leicht, mit dem Finger auf diese moralischen Missstände hinzuweisen und mit einem Verweis auf die Beeinflussbarkeit von Jugendlichen auf eine Verstummung oder einen Boykott dieser Künstler zu pochen, indem man es der Kultur selbst ankreidet, diese Ideologien als "Untermieter" zu beherbergen. Doch auch wenn die Reproduktion dieses Gedankenguts es durchaus mit am Leben erhält, sorgt es auch dafür, dass eine Diskussion überhaupt erst geführt werden kann. Rap ist die ultimative Reduktion auf den Performer, Realness formuliert ein Gebot der Authentizität – und allein die Tatsache, dass Rapper ungefiltert ihr Gedankengut und ihre damit einfließenden Sozialisierungen verarbeiten und publizieren, sorgt dafür, dass problematische Aussagen in Umlauf gelangen können. Doch genau hier sollte der Fan einschreiten: Statt ängstlich auf ein Erstillen des Hasses zu hoffen, sollte man die Abwehrhaltung verlassen, um diese Inhalte zu diskutieren und in Frage zu stellen. Schließlich wird es erst dort möglich, Diskriminierung, Vorurteile und Hass an einer Wurzel zu packen und einen Diskurs dorthin zu bringen, wo er nachhaltig auch Früchte tragen könnte: an den Konsumenten in die Mitte der Gesellschaft. Man darf Künstler und Aussage nicht mehr trennen wollen, sondern man muss Aussagen mit dem Respekt behandeln, mit dem sie ausgesprochen werden. Und die Aussprache dieser unsichtbaren sozialen Konflikte macht sie angreifbar. Das sollte man nicht unterschätzen und schon gar nicht aus Bequemlichkeit und aufgrund von falsch verstandener Fankultur übersehen. Zusammengefasst: Der Hass ist nicht Teil des Mediums, sondern Teil der Wirkenden. Formulierte die Autorin der FAZ es als einen unliebsamen Untermieter, sollte man ihn eher als einen unvermeidlichen Aufsetzer verstehen. Eine so authentische Kunstform, wie HipHop sie fordert, sorgt nun einmal unweigerlich dafür, dass uns als Publikum ein unverfälschtes, ungefiltertes und direktes Bild des Rappers gezeigt wird, was eben auch beinhaltet, dass die Sichtweisen problematisch, kontrovers oder schlicht falsch sein können. Allerdings wäre es naiv, die Schuld für die Inhalte in der Form zu suchen, als erhoffe man sich davon, dass ein Ende der Artikulation des Hasses in repräsentativen Figuren eines Milieus mit einem Ende des Hasses in den Herzen der betroffenen Menschen gleichzusetzen wäre. Denn dieser Diskurs ist ein wesentlich schwerwiegender, komplexerer und bedarf einer adäquaten Arbeit daran, die weit über die Beschäftigung mit der Kunst hinausgeht.
(Yannik Gölz)