Habt ihr schon das Neueste gehört: YouTube-Kommentardiskussionen sind jetzt endgültig auch im Feuilleton angekommen! In einem brandfrischen Artikel bezeichnet Dennis Sand von der WELT Sun Diego aka Spongebozz als den "objektiv" besten deutschen Rapper. Ich habe den Artikel gelesen, kurz gekichert und als der emsige Schreiberling, der ich definitiv bin, die einzig richtige Reaktion darauf gewählt: Ich schreibe eine reißerische, polemische Antwort darauf. Mit etwas Glück sogar die erste von der Gegenseite, denn glaubt mir, spätestens morgen steht hier der ganze Laden in Flammen und Medien, Musiker und Fans werden sich mit Kacke bewerfen, als wäre die Tollwut im Schimpansengehege ausgebrochen.
Also, liebe WELT, lieber Dennis, da ich mich frei von Schuld wäge: Es wird Zeit, das erste Affenexkrement zu werfen.
Nun wird man wohl erwarten, dass ich mich darüber auslassen werde, wie grenzdebil und schlichtweg falsch es ist, so etwas wie einen objektiv besten deutschen Rapper zu küren. Nicht nur, weil das nach Logik des Artikels selbst Morlockk Dilemma wäre, sondern schlichtweg auch, weil es in einem kulturellen wie musiktheoretischen Kontext absoluter Blödsinn ist. Aber nein, darum geht es mir gerade gar nicht. Natürlich könnte man Vergleiche von N.W.A über Gang Starr bis hin zu Aggro Berlin ziehen und über einen größeren Kontext feststellen, dass die Sichtweise unseres Autoren auf Gangster-Rap eine absolut banale Vereinfachung ist (beide Qualitätskriterien, die im Artikel aufgestellt werden). Die Handwerkstechniken werden auf Kriterien reduziert, die sich lesen lassen, als würde Juliensblog im Quellenverzeichnis des Textes zitiert werden und das Argument über die charakterliche Inszenierung nur davon trieft, wie der mittelständische, akademische deutsche Autor ein derart relevantes und vielschichtiges gesellschaftliches Kulturphänomen wie Gangster-Rap durch seinen gutbürgerlichen "Unterhaltungs"-Filter betrachtet. Begriffe wie Authentizität, Charisma, Subkultur oder Milieu fallen einfach überhaupt nicht, als hätten diese Themen gar keinen Einfluss auf das Genre. Dazu wird heiter unterschlagen, dass unser Schwammkopf trotz fantastischer Raptechnik eine absolute Null in Sachen Songwriting, musikalischem Gespür und Betonung ist und inhaltlich noch kein einziges Mal irgendetwas gesagt hätte, durch das man seiner künstlerischen Identität Bestand außerhalb eines Mittelstufenpausenhofs unterstellen könnte. Außerdem würde ich niemanden in den Rap-Superlativ erheben wollen, dessen Beats nachhaltig wie belanglose Plastikaufgüsse von besseren Produzenten aus einer FL-Demo klingen. Aber nein. Das soll heute nicht mein Punkt sein.
Denn all das weiß Dennis Sand selbst. Den Texten zufolge, die ich von dem Mann gelesen habe, weiß er, wovon er redet. Einem Journalisten mit so viel Reflektion und kulturellem Hintergrundwissen maße ich einfach an, selbst ganz genau zu wissen, dass Spongebozz nicht der beste Rapper des Landes ist. Nicht technisch, nicht kulturell, nicht musikalisch. Warum also der Artikel? Das Stichwort dafür fällt selbst im Text: "Aufmerksamkeitsökonomie". Die willkürliche Gegenüberstellung des konservativen Hassobjekts schlechthin, Bushido, gegen eine Musik-Obskurität, deren Haltbarkeitsdatum in etwa gleichauf mit der Pubertät ihrer Zielgruppe liegt, verspricht Diskussions-Gold. Jeder wird darauf reagieren: Spongebozz-Fans werden sich vor Freude gar nicht halten können, der durchschnittliche Feuilleton-Leser darf sich an der Häme gegenüber einem angeblich strauchelnden Bushido ergötzen und Fans des Berliners und Verteidiger der konventionellen Rap-Ethik werden mit zornesroten Gesichtern wutentbrannte Gegenstatements zur Verteidigung von HipHop und der Kultur verfassen, wie ich es mir selbst im letzten Absatz schon nicht so recht verkneifen konnte.
Das Problem ist eben: Artikel wie dieser, die Gangster-Rap zu einer prolligen Freakshow machen wollen, in der die Unterhaltung der Pausenhöfe und die damit einhergehenden Plattenverkäufe zum höchsten Ziel erhoben werden, bagatellisiert nicht nur eine Kultur, sondern im Grunde genommen auch einen ganzen Gesellschaftskonflikt. Ohne den großen HipHop-Historiker oder Moralisten zu spielen, behaupte ich, dass Gangster-Rap seit jeher ein äußerst relevantes Medium für die Kommunikation, die Aufmerksamkeit und die Probleme von bestimmten Gesellschaftsschichten dargestellt hat. Und auch wenn es sich inzwischen natürlich auf die gesamte Gesellschaft verbreitet hat, bleibt es im Kern noch immer eine Darstellung und Inszenierung, eventuell sogar Problematisierung der Abgründe der Gesellschaft. Gangster-Rap kann Milieustudie, Wutrede, politisches Mittel, Erfahrungsbericht, soziales Dokument sein. Und ja, natürlich kann es auch seichte Unterhaltung sein. Doch sobald wir eine Diskussion führen, in der wir vorgeben, "objektive Kriterien" für Kunst zu kennen und darüber debattieren, wie sich das Universum über nichts als punktuelle Hypes, Pausenhöfe, Technikgeflexe und Plattenverkäufe erstrecken würde, dann bleibt von Gangster-Rap tatsächlich nichts außer dem kindischen Zirkus mit prolligen, asozialen Clowns, wie ihn sich der typische Feuilleton-Leser ohnehin schon vorstellt. Klingt falsch? Ist es auch. Und in diesem Sinne fände ich es schön, wenn man auch Acts wie Bushido und Spongebozz eine Kulturkritik entgegenbringen würde, die sie als Künstler ernst nimmt und da kritisiert, wo sie es verdienen, statt dem Genre einen postironischen Sonderplatz im kulturellen Universum des akademischen Spießers einzuräumen, in dem man dann mit vollem Selbstrespekt von so etwas wie "Objektivität" in der Kunst sprechen könnte.
(Yannik Gölz)
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