Ab-Soul – Do What Thou Wilt.


  • 1. RAW (backwards) feat. Zacari
    2. Braille feat. Bas
    3. Huey Knew THEN feat. Da$H
    4. Threatening Nature
    5. Womanogamy
    6. INvocation
    feat. Kokane
    7. Wifey vs. WiFi / P.M.S. feat. BR3
    8. Beat the Case / Straight Crooked feat. Schoolboy Q
    9. Portishead in the Morning / HER World
    10. God's a Girl?
    11. Now You Know
    12. D.R.U.G.S.
    13. Evil Genius
    feat. Teedra Moses & JaVonté
    14. Lonely Soul / The Law (Prelude) feat. Punch & SZA
    15. The Law feat. Mic Miller & Rapsody
    16. Y M F


    Klischees über uns gleich durch welche Medien bekannte Protagonisten als Mitglieder einer bestimmten Gruppe von Charakteren zu stülpen, ist Teil unseres sozio-psychologischen Archetyps, denn so wird uns der Zugang zur Erzählung erleichtert. Diese Rollenzuordnung innerhalb der Gruppe dient also dazu, dass wir uns alle etwas wie Joe Dalton und etwas wie Averell fühlen können und die Daltons so also letztlich einen komplexen Charakter repräsentieren können, der durch eine klischeehafte Trennung seiner Eigenschaften aber leichter erfahrbar wird (und das Erzählen erleichtert); zumal die Daltons in ihrer Gesamtheit soziopathische, tendenziell inzestuöse Massenmörder sind und somit nur in ihrer Gesamtheit als Relationsobjekte in Frage kommen.


    Rapfans kennen dieses Phänomen spätestens seit NWA und Public Enemy: Es braucht zumindest einen Nachdenklichen und einen Partyboy, und auch die Kernposse um das Label Top Dawg, Black Hippy, macht hier keine Ausnahme. Kendrick ist der erfolgreiche Star, Schoolboy Q der wilde Party-Bad-Boy, Jay Rock der verschlossene Gangsta und Ab-Soul, der ist der nachdenkliche Philosoph und zum Mystischen neigende Lyriker – quasi der GZA von Black Hippy. Nun ist die Gefahr solcher Zuordnungen, die professionellen Seriendarsteller von Euch wissen es, ein zu starkes Branding, das den Blick für andere Stärken und vor allem für individuelle Weiterentwicklung übertüncht. Ab-Soul ist das schon etwas passiert, denn trotz starker Veröffentlichungen mit zahlreichen potentiellen Hits wird man das Gefühl nicht los, er hat seine eher mageren Verkaufszahlen seinem anspruchsvollen Ruf zu verdanken. Leider zerfaserte er daraufhin auf seinem letzten Werk "These Days…" künstlerisch etwas und konnte weder einen Schritt in eine andere, zugänglichere Richtung machen noch seine künstlerische Vision vorantreiben, so wie es ihm bis dahin gelang. Machen wir uns also über das neue Werk "Do What Thou Wilt." her und widmen uns vor allem der Frage, in welche Richtung es Soulo (neuer Spitzname) treibt.


    Auf die Texte als vordergründigste Mitteilungsmöglichkeit schaut man sowieso gerne als erstes, bei Ab-Soul bei seinen bisherigen Credentials als Schreiberling bietet sich das natürlich erst recht an. Es wurde oben schon erwähnt, dass der MC nicht nur besonders passende und stilistisch gelungene Texte schreibt, sondern oftmals einen Hauch entrückter Mystik mit einbringt, der ihn einerseits von allzu direkten Ghetto-Glorifizierungen abhebt, andererseits aber auch zum Text-Entschlüsseln und zur Reflektion anregt. Dass dieses Album hier ansetzt, wird schon durch den Titel deutlich, der eine Anspielung auf das philosophische Thelema-Konzept von Aleister Crowley darstellt, Euch jungen Kids wahrscheinlich bekannt als Teil irgendwelcher Dan-Brown-Verfilmungen. Soulo bewegt sich trotz dieses ungewöhnlichen Bezugs thematisch durchaus in bekannten Gefilden (Frauen, Gewalt, Drogen), allerdings benutzt er sie als authentische Instrumente und Vehikel seiner Gefühlswelt, nicht zum Selbstzweck, und verwendet philosophische und theologische Elemente und Bezüge vor allem zur Ornamentierung. So fährt er auf "Womanogamy" mehrere hammerharte sexistische Lines auf (selber hören!), die folgende illustriert aber besonders schön, wie viel Verweise und Sprachbilder der Rapper in wenige Lines packen kann, ohne dass sie wie zusammengebastelte Collage-Versatzstücke wirken würden:


    Hold that thought, next scene, shit, it would be the morning/
    I give her morning wood, then roll my wood up in the morning/
    Finesse this flow from Lucki Eck$/
    I’m finger-fuckin' Mother Earth/
    Put my thumb up in her butt, then roll like I was bowlin'/

    (Ab-Soul auf "Womanogamy")


    Teilweise ist es eine echte Freude, die kryptischen Ausführungen des Kaliforniers zu entschlüsseln und nachzuvollziehen, hier beispielhaft ein schöner selbstreferentieller Part:


    The philosopher gettin' stoned/
    It's no doubt in my mind I found the philosopher's stone/
    Thought these were just songs that I write? You're wrong/
    Move my mouth and move a mountain with ease as well/
    Dead ass, I'ma live forever, like the HeLa cell/

    (Ab-Soul auf "Portishead in the Morning / HER World")


    Und ein kurzes Beispiel für die sich wirklich durch sämtliche Bestandteile dieses Albums ziehende herausragende Sprache, die bildhaft und durch Symbole und Bezüge nicht nur Pseudo-Inhalt generieren will, sondern stilistisch prächtige Blüten treibt:


    I hope I'm in Obama's iPod/
    Yeah, 'fore I had a desktop/
    Was lookin' for a shortcut to be an icon/

    (Ab-Soul auf "Huey Knew THEN")

    Ihr merkt, ich sehe die Inhalte dieses Albums etwas anders als zum Beispiel Pitchfork, die Ab-Soul bislang stark pushten und ihm jetzt ein vernichtendes Zeugnis ausstellen, wobei sich die Kritik hauptsächlich auf die als wirr und zum Selbstzweck verkommenen Lyrics bezieht. Tatsächlich wirft Ab wieder mit theologischen Andeutungen, literarischen Bezügen und vor allem Verschwörungstheorien nur so um sich. Dass sein Rap oder seine Art zu erzählen darunter leiden, ist aber nicht zu spüren, im Gegenteil wirkt er, ähnlich wie Capital Steez, immer dann am besten, wenn der von manchen Musikmedien als solcher bezeichnete "black-lip preacher" sich völlig in seinem Kosmos verliert, denn dann spittet Soulo auch am konstantesten und man spürt den authentischen Eifer, der ihn treibt.


    Das betrifft jetzt nur die Lines als solche, denn ein Aspekt, der mit der oben genannten Kritik verwoben ist und tatsächlich ins Auge sticht: die Länge des Albums mit über 80 Minuten und die damit einhergehenden Herausforderungen an seine Kohärenz. Ich könnte ihm sogar noch viel länger bei seinem Sermon zuhören, allerdings ist es doch verwunderlich, dass jemand, der so extrem viel Aufwand für seine Texte betreibt, nicht bemühter um inhaltliche Stringenz seines Werks ist. Zwar finden sich viele selbstreferentielle Bezüge auf dem Album, das ändert aber nichts daran, dass "Huey knew THEN", "Braille" und "God's a Girl?" schlicht nicht dieselbe Message transportieren. Es ist eine verpasste Chance, wenn ein wortgewaltiger Prophet wie Ab-Soul einen zwar befriedigt und mit lyrischen Bruchstücken vollgestopft, aber ohne größeres Konzept oder spannende Idee hinterlässt. Dass das nicht an Unfähigkeit, sondern an Betriebsblindheit ob der Vielzahl an Messages, die der MC in seinen Texten vergräbt, liegt, scheint klar; ein ähnlicher Mangel an konzeptueller Initiative zeigt sich auch in der Produktion, die größtenteils von einer Mischung aus langjährigen Partnern und TDE-Hausproduzenten (vor allem Sounwave und Rahki) übernommen wurde. Handwerklich blitzsauber und musikalisch ist das alles breit aufgestellt, abgesehen von einer dezidiert düsteren Atmosphäre hat man aber den Eindruck, dass der Künstler zu wenig Interesse zeigt an überraschenden und, das ist schlimmer, zu seinem distinktiv bekifft-paranoiden Flow passenden Beats. Einem so ernsthaften MC würde eine Zusammenarbeit mit einem Produzenten über Albumlänge mit Sicherheit gut tun und mit Sounwave, Willie B oder Tae Beast hätte er auch Leute an der Hand, die so etwas stemmen und seinem Sound so mehr Eigenständigkeit und Wiedererkennungswert verschaffen könnten.


    Das ist Kritik auf ziemlich hohem Niveau, denn das verlorene Klavier-Pattern in "Portishead in the Morning / HER World" und die trippy Hats von "God's a Girl?" bilden an sich eine starke Instrumentierung – man hat nur den Eindruck, dass Soulo mehr Spaß daran hat, sie zu unterbrechen und sie einander zum Bruch innerhalb des Albums gegenüber zu stellen, als sie wirklich als Partner für seinen Vortrag und als gleichberechtigte Möglichkeit, ein Album zu gestalten, zu begreifen. Ab-Souls Flow wurde gerade schon erwähnt und hier ist eine deutliche Steigerung zu allen früheren Releases zu vermerken, auf 80 Minuten arbeitet er im Vergleich zu vergangenen Zeiten nicht nur auf besonders griffige Parts und Hooks hin, stattdessen zeigt er insgesamt deutlich weniger technische Schwächen, verzichtet aber im Flow und im Songwriting größtenteils auf die hitlastigen Momente von "Empathy" oder "Tree of Life" und lässt so die Dominanz des flow of consciousness, der die Lyrics in den Vordergrund rückt, zu. Standouts bilden vor allem "D.R.U.G.S." und "Y M F", und zwar, weil diese beiden schleichenden und klug konstruierten Songs hervorragend zu Ab-Souls Flow passen und sich seinen abgehackten Einwürfen anpassen.


    Inwiefern die Black Hippy-Posse denn überhaupt noch ein künstlerisches Kollektiv bildet, wird gerne anhand der Features ihrer Mitglieder beäugt. Aus dem näheren Umfeld von Top Dawg findet sich zwei Mal Schoolboy Q (einmal ohne Credits), der in "Beat the Case / Straight Crooked" auf gewohnt starkem Niveau abliefert, und die omnipräsente und unterschätzte SZA. Kein Kendrick, kein Jay Rock. Insbesondere angesichts der Tatsache, dass Ersterer auf gefühlt allen relevanten Rap-Releases der letzten Zeit auftaucht (alleine aus dem Stegreif: "Really Doe", "Freedom", "Goosebumps", "Side Walks", "Conrad Tokyo"), aus künstlerischer Sicht bedauernswert (man denke an den Posse Cut "Vice City"!). Die weiteren Features bereichern das Release nicht wirklich, hier sollte Ab-Soul weniger auf gleichgesinnte und ihm sympathische Buddies setzen und mehr auf Rapper, die ihm zum einen das Wasser reichen können und zum anderen einen Kontrapunkt zu seinem distinktiven Rapstil setzen. Wie das gut funktionieren kann, haben Danny Brown und er in "Terrorist Threats" bewiesen.


    Fazit:
    Ab-Soul hat seinen künstlerischen roten Faden nach dem (zur Abwechslung nicht nur inhaltlich) etwas diffus wirkenden "These Days…" wiederaufgenommen. Er ist und bleibt ein "rappers' rapper", wie er sich in Interviews mittlerweile auch selbst bezeichnet, diese Rolle nimmt er durch Bezüge auf Beefs mit Jay Electronica und Verweise auf andere Rapper einerseits, durch Konzentration auf seine kruden und tatsächlich über weite Strecken meisterhaft verschlungenen Lyrics andererseits auch an. Beides wird ihm den Weg in die Billboard-Charts auf längere Sicht versperren, allerdings bleibt uns als Zuhörer so ein echter Poet am Mic erhalten, der, nachdem er sich künstlerisch nun festgelegt zu haben scheint (der Gute ist ja auch noch recht jung!), vielleicht auch musikalisch seinen Weg weiter erkundet und uns an seinem wirren Mindset teilhaben lässt.



    (Franz Xaver Mauerer)


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    Bewerte diese CD:
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  • Danke für die Review. Ist wirklich kein leicht zugängliches Album mit den ganzen verschiedenen Thematiken, Querverweisen und Wortspielen dazu ist es auch noch ziemlich lang, dementsprechend merkt man, dass der Reviewer sich viel Zeit genommen hat. 4/6 geht klar. Finde die erste Hälfte des Albums richtig überragend, danach baut es bisschen ab für mich und zieht sich auch in die Länge. Ab-Soul ist aber ein lyrisches Genie und auch wenn manche Lines keinen tieferen Sinn haben, den man zuerst vermutet, sind sie einfach lustig gemacht.
    :thumbup: Auch noch für den Capital Steez Shoutout, schön dass den hier jemand außer mir kennt

  • Capital Steez ist doch der von Survival Tactics oder nicht?


    Echt eine schöne Review. Muss sagen, dass ich bei Amirap nicht so sehr auf die Lyrics achte, als dass es mich wirklich beeindrucken würde. Aber man merkt natürlich dennoch, dass das schon ein hohes Niveau ist bei Ab-Soul. Ist insgesamt ein rundes Album finde ich, aber nichts herausragendes. Wobei Ab.Soul sowieso nie der Rapper mit vielen Hits war, hab ich zumindest immer die Hoffnung auf einen atmosphärischen Vibe. Diesen hatte ich nur bei D.R.U.G.S.

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