Als ältestes Redaktionsmitglied hat man es nicht leicht. Während die jungen Redakteure ausgelassen über neue Trends sinnieren, sitzt man zuhause, eine verstaubte Stieber Twins-Platte eiert am Grammophon und man will einfach nicht verstehen, was alle mit diesem "Sheesh" meinen. Hipsterrapper, Tweef und Money Boy. Money Boy ... was soll das eigentlich schon wieder sein? Früher haben wir noch gekifft und jetzt trinken die allen Ernstes Hustensaft – den trinke ich zwar auch, aber nur, weil ich früher eben viel gekifft habe. Von den engen Hosen will ich gar nicht erst anfangen. Wie ich die gute alte Zeit vermisse. Rap war noch real und Star Wars noch kein Disney-Franchise. In den Battles nennen sie sich neuerdings "Hurensohn", das hätt's früher auch nicht gegeben, diese Kinder – sowas von respektlos. Nicht weiter drüber nachdenken, lieber ins Bett, ist ja immerhin schon halb neun und der Morgenspaziergang erledigt sich nicht von selbst. Wenn nur diese Nachbarskinder etwas leiser wären. Also Ihr Lieben, kommt ran, Opa erzählt jetzt von einer Zeit, als das Gras noch grün war und Rapper noch Rapper sein durften:
01. Interview
02. Ausm Weg
03. Steig ein!
04. Mein Block
05. Maske
06. Mama ist stolz
07. Sido und die Drogen
08. Endlich Wochenende (indiziert)
09. 3 Leben feat. Tony D, Mesut
10. Knast feat. MOK
11. Taxi feat. Olli Banjo
12. Fuffies im Club
13. Was hat er? feat. Olli Banjo
14. Glas hoch! feat. Harris
15. Die Sekte feat. B-Tight, Tony D, Mesut, Fuhrmann, Bendt
16. Ghettoloch
17. Sido aus’m Block
18. Arschficksong RMX (nur auf Maske X)
19. G mein Weg (nur auf Maske X)
Sido! Ein Name den im Jahr 2017 ausnahmslos jeder kennen sollte, sah man den Ost-(ehemals West-)Berliner und seit kurzem auch stolzen Zi-Zi-Zigeuner in den letzten Jahren nicht nur im Jurystuhl diverser Castingshows, sondern auch unterstützt von Hitgaranten wie Andreas Bourani und Mark Forster in den Playlists aller Radiosender. Von seinem regelmäßigen Anbiedern im Mainstream kann man halten, was man möchte und ähnlich verhält es sich mit immer wiederkehrenden Versuchen, zu beweisen, dass er doch noch immer der Junge von der Straße ist. Ein Zwiespalt, in dem Sido selbst gefangen zu sein scheint und der eher mäßige Releases wie zuletzt "das goldene Album" zur Folge hat. Begeben wir uns allerdings zurück ins Jahr 2004 und befassen uns mit dem Solodebüt eines jungen Sido, dessen Gesicht zu diesem Zeitpunkt kaum jemand kannte.
Erschreck dich nicht, Sido ist schrecklich frisch/
Ich hab dir schon auf dem ersten Tape gesagt, dass du zu hässlich bist/
(Sido auf "Maske")
Gleich im Intro wird in Form eines fiktiven Interviews mit "Frank Furz vom Mittelfinger Gymnasium am Karl-Marx-Platz" (naja …) der Protagonist vorgestellt. Sido berichtet, mit wem wir es zu tun haben, erklärt, seit wann und warum er rappt, wo er herkommt und macht klar, dass es ihm in erster Linie um Geld und Drogen geht. Damit wäre dann eigentlich auch schon die Themenpalette, an der sich "Maske" bedient, beinahe in ihrer ganzen Breite abgearbeitet. Von "Glas hoch" über "Endlich Wochenende" bis zum partytauglichen "Fuffies im Club" sind in erster Linie Rauschmittel und nackte Frauen Thema, was auf dem Titelsong in der Zeile "Geld, Sex, Gewalt und Drogen/ Ich bin geboren für das Leben ganz oben/" zusammengefasst wird. Auch die zur Unterstützung beinahe vollzählig angereiste Sekte konzentriert sich im gleichnamigen Track neben klassischen Battlephrasen sehr stark auf Drogen. Gedisst wird in Aggro Berlin Manier auch zur Genüge und aus heutiger Sicht fällt auf, dass Seitenhiebe in Richtung Markus Staiger in den letzten 13 Jahren nichts an Unterhaltungswert eingebüßt haben. "Steig ein", die Erfolgssingle "Mein Block" oder das von Tony D und Mesut unterstützte "3 Leben" beschäftigen sich mit dem Dasein in Berlins Problembezirken: Teilweise wird Kriminalität und Armut übertrieben, ein anderes Mal stark romantisiert dargestellt.
Wir hier im Viertel kommen klar mit diesem Leben/
Ich hab' alle meine Freunde aus dieser Gegend/
Hab' doch keine Angst vor dem Typ mit dem Schlagring/
Er ist zwar ein bisschen verrückt, doch ich mag ihn/
Ich kann verstehen, dass du dich hier nicht so wohl fühlst/
Dass du viel lieber zuhause im Kohl wühlst/
Du sitzt lieber an 'nem gut gedeckten Tisch/
Dann merkst du schnell, Berlin is nichts für dich/
(Sido auf "Steig ein")
"Taxi" mit Gastrapper Olli Banjo erzählt die Geschichte eines Banküberfalls und eines Taxifahrers, der durch Zufall in die Sache reingezogen und zum Fluchtwagenfahrer wird. Laut eigener Aussage handelt es sich dabei um die einzige nicht autobiografische Nummer und um einen Geheimtipp auf der Platte. Der zweite Auftritt Olli Banjos in der Groupielovestory "Was hat er?" weiß leider wesentlich weniger zu überzeugen: Während Sido gewohnt ironisch über einen zu anhänglichen weiblichen Fan erzählt, muss der Featuregast sich mit dem Singen der ziemlich peinlichen Hook abfinden und sorgt so für einen der großen Fremdschammomente der früheren Deutschrapgeschichte. Bei all diesen Thematiken ist es doch erschreckend, dass "Maske" ausgerechnet wegen "Endlich Wochenende", genau der Nummer, die auch die Schattenseite von Party und Drogenexzessen beleuchtet, indiziert wurde. Aggro Berlin wäre allerdings nicht Aggro Berlin, hätten sie das Album nicht als "Maske X" neu aufgelegt und "Endlich Wochenende" durch den allem Anschein nach wesentlich kinderfreundlicheren "Arschficksong" ersetzt. Anale Entjungferung von Teenagermädchen mittels Sexspielzeug und die Vergewaltigung aufmüpfiger Rapperkollegen scheinen der BPJM weniger ein Dorn im Auge zu sein als eine durchgefeierte Nacht mit Schlägereien, Drogen und "den Homies Egon und Manfred" – ja, das ergibt Sinn. Das Produzentengespann leistete ebenfalls ganze Arbeit: Die Beathoavenz wissen durch bassgewaltige, atmosphärisch starke Stücke zu überzeugen, Roe Beardie – seines Zeichens für einen Großteil der Beats verantwortlich – erzeugt sowohl Clubsounds als auch düstere, ghettoeske, langsame Melodien, die perfekt auf das Album passen. Sidos eigene Produktionen "Ausm Weg", "Maske", "Mama ist Stolz" und "Knast" beeindrucken vor allem deshalb, weil sie trotz billigster Mittel und nicht sonderlich aufwändiger Struktur einfach durch einen gewissen Flavour überzeugen.
Ich mein', wie lange gibt es Weihnachten/
Und wie viele Rapper vor mir, die nicht dran dachten/
Ein Weihnachtslied zu machen, ihr könnt mich ruhig hassen/
Doch alle Jahre wieder klingeln bei mir jetzt die Kassen/
(Sido auf "Ghettoloch")
Ob man den massentauglichen, ruhigeren Sido von heute mag oder nicht, ob man sich 2005 schon zu den Becherwerfen am Splash! zählte oder ob man generell nie wirklich was mit ihm anfangen konnte, den Einfluss von "Maske" zu leugnen, ist schlicht nicht möglich. Selbst Menschen, die zum Release der Platte noch nicht geboren waren, kennen "Mein Block" und den "Arschficksong" und kaum jemand Mitte 20 kann heute von sich behaupten, nicht Teile der Lieder, oder vielleicht sogar das gesamte Album, auswendig mitgerappt zu haben.
Ich bin der Arschfickmann das ist der Arschficksong und der geht/
Dadadada daaaa daaa Dadadada daaaa daaa/
(Sido auf "Arschficksong")
El-Patroni (David)
Bisherige Ausgaben:
Eins Zwo – Gefährliches Halbwissen
Creutzfeld Jakob – Gottes Werk und Creutzfelds Beitrag
Sonny Black & Frank White – Carlo Cokxxx Nutten