Classics Revisited: Sido – Maske (2004)

  • Als ältestes Redaktionsmitglied hat man es nicht leicht. Während die jungen Redakteure ausgelassen über neue Trends sinnieren, sitzt man zuhause, eine verstaubte Stieber Twins-Platte eiert am Grammophon und man will einfach nicht verstehen, was alle mit diesem "Sheesh" meinen. Hipsterrapper, Tweef und Money Boy. Money Boy ... was soll das eigentlich schon wieder sein? Früher haben wir noch gekifft und jetzt trinken die allen Ernstes Hustensaft – den trinke ich zwar auch, aber nur, weil ich früher eben viel gekifft habe. Von den engen Hosen will ich gar nicht erst anfangen. Wie ich die gute alte Zeit vermisse. Rap war noch real und Star Wars noch kein Disney-Franchise. In den Battles nennen sie sich neuerdings "Hurensohn", das hätt's früher auch nicht gegeben, diese Kinder – sowas von respektlos. Nicht weiter drüber nachdenken, lieber ins Bett, ist ja immerhin schon halb neun und der Morgenspaziergang erledigt sich nicht von selbst. Wenn nur diese Nachbarskinder etwas leiser wären. Also Ihr Lieben, kommt ran, Opa erzählt jetzt von einer Zeit, als das Gras noch grün war und Rapper noch Rapper sein durften:


    01. Interview
    02. Ausm Weg
    03. Steig ein!
    04. Mein Block
    05. Maske
    06. Mama ist stolz
    07. Sido und die Drogen
    08. Endlich Wochenende
    (indiziert)
    09. 3 Leben feat. Tony D, Mesut
    10. Knast feat. MOK
    11. Taxi feat. Olli Banjo
    12. Fuffies im Club
    13. Was hat er?
    feat. Olli Banjo
    14. Glas hoch! feat. Harris
    15. Die Sekte feat. B-Tight, Tony D, Mesut, Fuhrmann, Bendt
    16. Ghettoloch
    17. Sido aus’m Block
    18. Arschficksong RMX
    (nur auf Maske X)
    19. G mein Weg (nur auf Maske X)



    Sido! Ein Name den im Jahr 2017 ausnahmslos jeder kennen sollte, sah man den Ost-(ehemals West-)Berliner und seit kurzem auch stolzen Zi-Zi-Zigeuner in den letzten Jahren nicht nur im Jurystuhl diverser Castingshows, sondern auch unterstützt von Hitgaranten wie Andreas Bourani und Mark Forster in den Playlists aller Radiosender. Von seinem regelmäßigen Anbiedern im Mainstream kann man halten, was man möchte und ähnlich verhält es sich mit immer wiederkehrenden Versuchen, zu beweisen, dass er doch noch immer der Junge von der Straße ist. Ein Zwiespalt, in dem Sido selbst gefangen zu sein scheint und der eher mäßige Releases wie zuletzt "das goldene Album" zur Folge hat. Begeben wir uns allerdings zurück ins Jahr 2004 und befassen uns mit dem Solodebüt eines jungen Sido, dessen Gesicht zu diesem Zeitpunkt kaum jemand kannte.

    Erschreck dich nicht, Sido ist schrecklich frisch/
    Ich hab dir schon auf dem ersten Tape gesagt, dass du zu hässlich bist/

    (Sido auf "Maske")


    Gleich im Intro wird in Form eines fiktiven Interviews mit "Frank Furz vom Mittelfinger Gymnasium am Karl-Marx-Platz" (naja …) der Protagonist vorgestellt. Sido berichtet, mit wem wir es zu tun haben, erklärt, seit wann und warum er rappt, wo er herkommt und macht klar, dass es ihm in erster Linie um Geld und Drogen geht. Damit wäre dann eigentlich auch schon die Themenpalette, an der sich "Maske" bedient, beinahe in ihrer ganzen Breite abgearbeitet. Von "Glas hoch" über "Endlich Wochenende" bis zum partytauglichen "Fuffies im Club" sind in erster Linie Rauschmittel und nackte Frauen Thema, was auf dem Titelsong in der Zeile "Geld, Sex, Gewalt und Drogen/ Ich bin geboren für das Leben ganz oben/" zusammengefasst wird. Auch die zur Unterstützung beinahe vollzählig angereiste Sekte konzentriert sich im gleichnamigen Track neben klassischen Battlephrasen sehr stark auf Drogen. Gedisst wird in Aggro Berlin Manier auch zur Genüge und aus heutiger Sicht fällt auf, dass Seitenhiebe in Richtung Markus Staiger in den letzten 13 Jahren nichts an Unterhaltungswert eingebüßt haben. "Steig ein", die Erfolgssingle "Mein Block" oder das von Tony D und Mesut unterstützte "3 Leben" beschäftigen sich mit dem Dasein in Berlins Problembezirken: Teilweise wird Kriminalität und Armut übertrieben, ein anderes Mal stark romantisiert dargestellt.


    Wir hier im Viertel kommen klar mit diesem Leben/
    Ich hab' alle meine Freunde aus dieser Gegend/
    Hab' doch keine Angst vor dem Typ mit dem Schlagring/
    Er ist zwar ein bisschen verrückt, doch ich mag ihn/
    Ich kann verstehen, dass du dich hier nicht so wohl fühlst/
    Dass du viel lieber zuhause im Kohl wühlst/
    Du sitzt lieber an 'nem gut gedeckten Tisch/
    Dann merkst du schnell, Berlin is nichts für dich/

    (Sido auf "Steig ein")


    "Taxi" mit Gastrapper Olli Banjo erzählt die Geschichte eines Banküberfalls und eines Taxifahrers, der durch Zufall in die Sache reingezogen und zum Fluchtwagenfahrer wird. Laut eigener Aussage handelt es sich dabei um die einzige nicht autobiografische Nummer und um einen Geheimtipp auf der Platte. Der zweite Auftritt Olli Banjos in der Groupielovestory "Was hat er?" weiß leider wesentlich weniger zu überzeugen: Während Sido gewohnt ironisch über einen zu anhänglichen weiblichen Fan erzählt, muss der Featuregast sich mit dem Singen der ziemlich peinlichen Hook abfinden und sorgt so für einen der großen Fremdschammomente der früheren Deutschrapgeschichte. Bei all diesen Thematiken ist es doch erschreckend, dass "Maske" ausgerechnet wegen "Endlich Wochenende", genau der Nummer, die auch die Schattenseite von Party und Drogenexzessen beleuchtet, indiziert wurde. Aggro Berlin wäre allerdings nicht Aggro Berlin, hätten sie das Album nicht als "Maske X" neu aufgelegt und "Endlich Wochenende" durch den allem Anschein nach wesentlich kinderfreundlicheren "Arschficksong" ersetzt. Anale Entjungferung von Teenagermädchen mittels Sexspielzeug und die Vergewaltigung aufmüpfiger Rapperkollegen scheinen der BPJM weniger ein Dorn im Auge zu sein als eine durchgefeierte Nacht mit Schlägereien, Drogen und "den Homies Egon und Manfred" – ja, das ergibt Sinn. Das Produzentengespann leistete ebenfalls ganze Arbeit: Die Beathoavenz wissen durch bassgewaltige, atmosphärisch starke Stücke zu überzeugen, Roe Beardie – seines Zeichens für einen Großteil der Beats verantwortlich – erzeugt sowohl Clubsounds als auch düstere, ghettoeske, langsame Melodien, die perfekt auf das Album passen. Sidos eigene Produktionen "Ausm Weg", "Maske", "Mama ist Stolz" und "Knast" beeindrucken vor allem deshalb, weil sie trotz billigster Mittel und nicht sonderlich aufwändiger Struktur einfach durch einen gewissen Flavour überzeugen.

    Ich mein', wie lange gibt es Weihnachten/
    Und wie viele Rapper vor mir, die nicht dran dachten/
    Ein Weihnachtslied zu machen, ihr könnt mich ruhig hassen/
    Doch alle Jahre wieder klingeln bei mir jetzt die Kassen/

    (Sido auf "Ghettoloch")


    Ob man den massentauglichen, ruhigeren Sido von heute mag oder nicht, ob man sich 2005 schon zu den Becherwerfen am Splash! zählte oder ob man generell nie wirklich was mit ihm anfangen konnte, den Einfluss von "Maske" zu leugnen, ist schlicht nicht möglich. Selbst Menschen, die zum Release der Platte noch nicht geboren waren, kennen "Mein Block" und den "Arschficksong" und kaum jemand Mitte 20 kann heute von sich behaupten, nicht Teile der Lieder, oder vielleicht sogar das gesamte Album, auswendig mitgerappt zu haben.

    Ich bin der Arschfickmann das ist der Arschficksong und der geht/
    Dadadada daaaa daaa Dadadada daaaa daaa/

    (Sido auf "Arschficksong")



    El-Patroni (David)



    Bisherige Ausgaben:


    Eins Zwo – Gefährliches Halbwissen


    Creutzfeld Jakob – Gottes Werk und Creutzfelds Beitrag


    Curse – Feuerwasser


    Samy Deluxe – Samy Deluxe


    Azad – Leben


    Sonny Black & Frank White – Carlo Cokxxx Nutten


    ASD – Wer hätte das gedacht?

  • Interview, Steig ein, Mein Block, Endlich Wochenende, Fuffies im Club und Taxi haben mich damals total geflasht. Im Alter von 15/16 Jahren war das schon richtig heftig damals. Zuvor hat man ja nur A.i.d.S. gehört und da eher das Duo gefeiert. Aber das war dann von der Atmosphäre einfach anders.

  • Hab kein Bock mir den Artikel durchzulesen, aber das Album ist legendär. Hab ich mit 13 damals totgefeiert. Vor Allem "Taxi" und "Mama ist stolz" hab ich damals rauf und runter gepumpt.

  • Schließe mich Peasout absolut an. :D

    [align=center]"[U][I]Es ist ja relativ bekannt, dass Hip Hop nicht so schwer zu machen und meistens nicht so anspruchsvoll ist.[/I][/U]" - JAW[/align]
  • also kommt scheinbar kein Vom Bordstein bis zur Skyline? :(
    schade


    in letzter Zeit finde ich deine Reviews ganz cool, die aber nicht so, scheint so, als ob du damals das Album nicht so cool fandest

  • An den letzten beiden wochenenden erst mit nem Kumpel wieder mal gehört und das ist einfach nen gutes Album.
    "Was hat er" find ich aber an sich auch ganz chillig und der track ist nun nicht so dermaßen zum fremdschämen wie hier dargestellt.

  • also kommt scheinbar kein Vom Bordstein bis zur Skyline? :(
    schade


    in letzter Zeit finde ich deine Reviews ganz cool, die aber nicht so, scheint so, als ob du damals das Album nicht so cool fandest


    Ich fand das Album eigentlich ziemlich gut damals :suspekt:


    Wegen vbbzs gibts ja Probleme mit der indizurung usw. für genaueres frag mal beim chef nach

  • Sehr gutes Album
    Fand "Ich" aber noch einen Hauch besser, weil Maske teilweise raptechnisch noch holprig war
    Mama ist Stolz,Fuffies im Club, Mein Block, Steig ein,Interview, Endlich Wochenende, Maske und Ausm Weg allesamt dope Tracks

    Ich zieh weißes vom Tisch als ob´s Leistungssport ist

    Einmal editiert, zuletzt von Kolu ()

  • Vor kurzem noch mal Electro Ghetto gehört... ich weiß, die Platte fällt etwas ab gegen VBbzS, aber da waren so viele krasse Dinger drauf. Würde das mittlerweile auch als Classic bezeichnen, weil es einfach noch immer extrem erinnerungswürdig ist und weils sich nochmal einzigartig gegenüber VBbzS abhebt. So als Vorschlag für nen weiteren Eintrag in diese Liste.


    Wenn ich so Titel wie Electro Ghetto, Ersguterjunge, Wenn wir kommen, Feuersturm, Nie wieder, Typisch ich... hör kommt einfach wieder harte Nostalgie. Hat find ich der Zeit standgehalten. Könnte aber verstehen, wenn man sagt da fehlt was zum Classic.

  • Electro Ghetto ist auf keinen Fall ein Klassiker
    da sind 3-4 gute Lieder bei, alle mit Saad kann man vergessen und haben sich abgenutzt

  • So gehen die Meinungen auseinander :D Wenn wir kommen war damals der Übershit. Allein deshalb werd ich da sofort nostalgisch. Saad hat wie ich finde einen perfekten Beitrag zum Soundbild und der Stimmung des Albums geleistet. Ersguterjunge fand ich auch extrem geil wegen dem Beat, der Harmonie zwischen Bu und Saad und stumpfer Scheiße wie "Was macht der Junge hier - ICH FICK DICH HUNDESOHN - Das macht der Junge hier" ist einfach legendär :D Aber kann das verstehn. Für mich würde vllt auch noch das letzte Bisschen fehlen. Wobei ich auch Maske X jetz nich so oft gehört hab. Für mich persönlich ist EG noch eher Classic als Maske X weil ich mit Sido einfach nie so viel anfangen konnte (bis auf die üblichen Verdächtigen "Mein Block", "Mama ist stolz" usw.)

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