Neunfünf (9 to 5, Cloudrap, Producing) – Text

  • HipHop ist vielfältiger denn je. Während der Untergrund hierzulande jedoch bislang meist alteingesessene Realkeeper und Backpacker bediente, tat sich in der Vergangenheit eine immer größer werdende Nische für experimentellen Rap auf, der sich vor allem durch Vibe und Atmosphäre auszeichnet. Zugpferd dieser Bewegung ist mitunter die Berg Money Gang – ein Künstlerkollektiv, das derzeit ein Release nach dem anderen ins Netz stellt. Neunfünf ist Teil davon und veröffentlichte gestern sein Free-Tape "Nord s". Kurz vor Interviewbeginn kommt er gerade von der Arbeit und setzt einen Tee auf.



    rappers.in: Dabei heißt es doch auf "Tapedeck", du wollest keinen 9-5-Job.


    [indent]Neunfünf: Naja, das ist eigentlich eher so ein ambivalentes Verhältnis. Wenn ich an meinen Vater denke, der von Polen nach Deutschland kam und dann natürlich ganz andere Möglichkeiten hatte dadurch, glaube ich nicht, dass es prinzipiell schlecht ist. Die Frage ist, ob man 9-5 in 'nem Bürojob hocken will, ich glaube, da muss man an dieser Stelle schon ein bisschen differenzieren.[/indent]


    rappers.in: 9-5 heißt für dich in dem Kontext also nicht, dass man nicht geregelten Arbeitszeiten nachgehen möchte, sondern eher die Unzufriedenheit, wenn man beispielsweise den ganzen Tag irgendwo im Büro die Zeit absitzt?


    [indent]Neunfünf: Ja, voll. Aber das ist immer so 'ne Sache. Es gibt natürlich auch Jobs im Büro, auf die du voll Bock hast. Zwangsläufig wird, glaub ich, jeglicher Job in Zukunft im Büro sein und da ist die Frage, wie du das Büroleben später erlebst. Wenn man zum Beispiel ins Silicon Valley guckt, haben die da ja wieder 'ne ganz andere Struktur von Arbeit. Da kommst du vielleicht auch um 9 und gehst um 5, hast aber nur sechs Stunden gearbeitet und warst zwischendrin beim Italiener essen oder im Fitnessstudio. Wenn ich jetzt irgendwann mal als Musiker arbeiten könnte, hast du natürlich auch nicht so'n 9-5 Job, wenn du dich aber als Künstler irgendwie in eine Ordnung herein zwingst, ist das sicher auch ganz gut. Aber ich würde nicht gerne in ein Büro gehen und da den ganzen Tag irgendwelche Blätter abarbeiten. Das ist ja auch das, was man sich darunter im Allgemeinen vorstellt, da hätte ich eben keinen Bock drauf.[/indent]


    rappers.in: Wenn wir schon von Utopien sprechen – da wird der Kreativberuf den Bürojob ja aus heutiger Sicht vielleicht erstmal überleben.


    [indent]Neunfünf: Schon. Wobei das auch wieder eine romantisierte Vorstellung ist. Wenn man ganz ehrlich ist, sitzt man als Produzent oder Musiker wie ich im Studio dann auch nur vor 'nem Desktop. Man muss das 9-5 einfach richtig nutzen und als Ordnungszahl für sich nehmen und von sinnloser Abarbeitung wegkommen.[/indent]


    rappers.in: Du bist jetzt ja noch nicht so lange präsent in der Musiklandschaft und hältst dich in Musikvideos, die ja keine "Perfomance Shots" im klassischen Sinne sind, eher im Hintergrund. Gehört das einfach zu deinem Stil oder hältst du deine Person gezielt aus der Öffentlichkeit heraus?


    [indent]Neunfünf: Mhmm, da muss ich selbst erstmal überlegen. Das ist 'ne Mischung aus beidem. Kennst du das Gefühl, wenn du einen Künstler richtig kennen lernst – dass dann die Kunst kaputtgeht? [/indent]


    rappers.in: Klar, da gibt es ja auch eine Menge Tracks zu.


    [indent]Neunfünf: Besonders krass ist das, wenn du 'nen Künstler persönlich triffst und mit dem Essen gehst oder so, dann ist dieser Zauber einfach weg. Deswegen ist das so teils, teils – weil ich finde, dass Musik zu 'nem gewissen Teil für sich sprechen sollte, da die Privatperson, also Adam jetzt bei mir, nicht äquivalent ist zu der Künstlerfigur, da "Neunfünf" auch eine überspitzte Version von mir selbst ist.[/indent]


    rappers.in: Die Übertreibung von Eigenschaften ist im HipHop ja auch eigentlich schon immer ein legitimes Stilmittel gewesen.


    [indent]Neunfünf: Wobei das bei mir nicht so Kollegah-mäßig ist. Ich schöpfe Emotionen vielleicht einfach ein bisschen weiter aus, als ich es privat tun würde.[/indent]



    rappers.in: Aktuell liest man öfter mal über dich und sieht auch die ein oder andere Videopremiere auf den größeren Kanälen. Man könnte also schon sagen, dass sich das Ganze aktuell bei dir professionalisiert?


    [indent]Neunfünf: Ja, auf jeden Fall, aber einfach auch deswegen, weil ich es gerade will und das ein bisschen skaliere. Wenn ich Lust habe, Musik zu machen, aber nur begrenzt Zeit zur Verfügung habe, ordne ich das mehr. Was aber auch mit der ganzen Professionalisierung zu tun hat, ist, dass wir jetzt einfach Leute getroffen haben und sich diese ganze Nugod-Cloud zusammengefunden hat, mit denen wir professionell arbeiten können.
    Vor "About Parks and Clouds", was vom Gefühl her mein erstes richtiges Release war, auf dem ich auch einen roten Faden verfolgt habe, hatte ich sowas ja nicht. Videos, Mix und Master habe ich alles alleine gemacht – da kann man dann alles so'n bisschen, aber nichts richtig gut. Mit den Leuten jetzt, die diese Dinge einfach besser können, wird dann auch das Gesamtprodukt besser.[/indent]


    rappers.in: Gerade scheint es ja auch zeitlich zu stimmen. In den letzten 12 Monaten habe ich mit "About Parks and Clouds", "Trunkshop Strories" und aktuell "Nord s" drei Releases gezählt. Hast du zurzeit ein kreatives Hoch?


    [indent]Neunfünf: Das ist im Grunde auch recht seltsam. Was viele nicht wissen, ist, dass ich momentan viel weniger Musik mache als früher. Durch die Erfahrung und die künstlerischen Fähigkeiten, sag' ich jetzt mal, weiß ich inzwischen einfach viel früher, ob ein Song was wird. Für "Trunkshop Stories" hatte ich an die 56 Beatskizzen und nochmal um die 26 aufgenommene Songs. Von denen bin ich dann letztendlich auf 10 runter. Ein kreatives Hoch ist es also nicht unbedingt. Ich arbeite Sachen einfach mehr aus und dadurch, dass andere Leute die Videos machen, bleibt mir auch mehr Zeit für die Musik.[/indent]


    rappers.in: Wo wir wieder bei der Professionalisierung sind. Werden die Skizzen auch noch irgendwann releast, vielleicht in so einer Art Sammel-Mixtape?


    [indent]Neunfünf: Viele von denen sind einfach noch nicht da, wo sie für ein Release sein sollten. Ein paar von den Skizzen habe ich schon noch im Kopf, aber fest geplant, die zu veröffentlichen, habe ich nicht. Ich setze mir täglich ein Ziel von eineinhalb Stunden, in denen ich aktiv etwas für meine Musik machen möchte. Wenn man dann nach Hause kommt, hat man dann vielleicht eine Idee für einen neuen Song oder setzt sich doch nochmal an eine alte Skizze dran, das kann man nur schwer planen.[/indent]


    rappers.in: Kommen wir dann doch mal zu dem, was jetzt tatsächlich releast wird, nämlich "Nord s". Mal ganz stumpf gefragt, magst du uns den Titel erklären?


    [indent]Neunfünf: "Nord s" begrenzt eigentlich nur die Gegend, aus der ich komme, nämlich von der nördlichen Stadtgrenze von Stuttgart. Nach "Trunkshop Stories" hatte ich direkt zwei Skizzen-Playlists und gemerkt, dass die eine Hälfte sehr hell ist und die andere extrem dunkel; deswegen wird nach "Nord s" noch eine wesentlich düsterere EP erscheinen. Das Tape aktuell dreht sich aber eher um meinen Lebensraum.[/indent]


    rappers.in: Für mich schwingt in dem Titel auch wieder so ein bisschen Fernweh mit, das würde auch zu deiner ausgekoppelten Single passen. Dass das Tape aus deinem aktuellen Kosmos erzählt, aber "Nord s" eben einfach ein bisschen weltlicher klingt als "Stuttgart Nord".


    [indent]Neunfünf: Ja, das ist cool. Ich suche mir Titel ja auch mitunter aufgrund der Soundästhetik aus. Manche Titel von anderen Leuten drücken oft das Richtige aus, aber sehen einfach scheiße aus und klingen auch dementsprechend.[/indent]


    rappers.in: Dein Crewkollege Planemo hat zusammen mit Qriffin und Box Film Father mit "Kokosmilch" ebenfalls kürzlich eine EP releast. Was hat es da mit dem Titel auf sich?


    [indent]Neunfünf: Ich glaube, das ist auch wieder so ein ästhetisches Ding. Es klingt einfach gut und sieht auch gut aus – wie ich ihn kenne, wird er sich da aber gar nicht so viel bei gedacht haben.[/indent]


    rappers.in: Also ist das auch eher als Stilmittel zu verstehen, wie es jetzt vielleicht der Lean im Cloudrap ist.


    [indent]Neunfünf: Man könnte das Ganze natürlich auch wieder auf 'ne sexuelle Ebene übertragen. Es könnte aber auch sein, dass das einfach aus der Hook vom Titeltrack entstanden ist, die mitunter als erstes fertig war.[/indent]


    rappers.in: Bislang kommen deine Songs ja fast ohne Features aus, woran liegt das? Lässt du deine Musik lieber für sich stehen oder mangelt es aktuell einfach noch an Kontakten in der Szene?


    [indent]Neunfünf: Es passt halt meistens nicht. Außerdem sind Songs mit Features oft zu lang und erzwungen. Das will ich einfach vermeiden und das geht am einfachsten, wenn man Features nur zulässt, wenn es richtig passt. Wir featuren deshalb auch innerhalb der Nugod-Cloud nicht so oft untereinander, sondern beraten uns dann eher gegenseitig. Ich würde eben niemals ein Feature aufgrund der Bekanntheit oder so machen.[/indent]


    rappers.in: Da wir schon von Nugod-Cloud sprechen: Wie ist dieses Künstlerkollektiv überhaupt einzuordnen? Du bist ja sowohl Teil der Berg Money Gang als auch von Nugod, wie sind da die Strukturen?


    [indent]Neunfünf: Also von den Medien werden wir immer als so eine Art Untergruppierung der BMG betitelt, was jetzt nicht falsch, aber auch nicht wirklich richtig ist, weil von uns nur ein Drittel da so wirklich aktiv ist. Zuerst war ich in der Berg Money Gang. bevor wir dann Nugod ins Leben gerufen haben und eigentlich war ich damals der einzige, der bei ersterer aktiv war. BMG ist vielleicht eher ein Movement als ein Künstlerkollektiv, bei Nugod ist man dann stärker auf die Kunst an sich fokussiert.[/indent]



    rappers.in: Du produziert ja im Prinzip alle deine Songs selbst. Ist dir das wichtig, selbst vollkommen freie Hand zu haben, anstatt mit einem Produzenten irgendwie auf einen Konsens zu kommen?


    [indent]Neunfünf: Absolut. Aber vor allem sehe ich mich auch eher als Producer und nicht als Rapper, das macht mir einfach mehr Spaß. Beatbauer sind eigentlich alle Nerds und die Rapper eher so die Extrovertierten. Früher und heute eigentlich auch noch habe ich immer viel Kanye West gehört, der ja auch selbst produziert hat und wirklich alles passt. Das ist ja bei Bands genauso; die machen ihre Musik auch alle zusammen, da sagt nicht jemand "ok, ich mache die Musik und du setzt 'nen Verse drauf".[/indent]


    rappers.in: Ist ja auch ein Streitthema. Auf der einen Seite kann man natürlich sagen, bei Eigenproduktionen weiß man, was man hat, aber ein Produzent, der sich auf seine Sache spezialisiert hat, ist dem Rapper da vielleicht einfach technisch voraus.


    [indent]Neunfünf: Das kommt ja auch immer drauf an, was das für ein Künstler ist und wie der arbeitet. Ich komme zum Beispiel auf sehr vielen Beats sehr scheiße, auch auf ein paar von meinen eigenen. Ich brauche einfach eine Grundharmonie, damit es für mich passt. Trap würde aufgrund meiner Stimme zum Beispiel nicht funktionieren.[/indent]


    rappers.in: Wenn du dich eher als Produzent anstatt als Rapper siehst, warum produzierst du dann nicht auch für andere? Die Szene wäre ja inzwischen groß genug.


    [indent]Neunfünf: Ist bisher einfach nicht das, worauf ich Lust habe. Ich mag es auch gar nicht, einen fertigen Beat herumzuschicken und andere Leute zu fragen, ob sie was damit machen möchten. Wenn ich Instrumentals verschicke, dann auch immer nur als ungemasterte Skizze, weil Songs für mich einfach immer in enger Zusammenarbeit mit dem Rapper entstehen. Und wenn ich selber Beats geschickt bekomme, brauche ich auch immer die Files, damit ich die selber noch hin und her verschieben kann. In 99% der Fälle ist es scheiße, wenn du 'nen fertigen Beat bekommst und einfach darauf rappst.[/indent]


    rappers.in: Mal ganz plakativ gefragt: Vibe > Text?


    [indent]Neunfünf: Mhmm ... ja.[/indent]


    rappers.in: Das wird Künstlern, die Cloudrap oder Trap machen ja immer vorgeworfen. Dass Texte bei deren Musik eher hinten anstehen.


    [indent]Neunfünf: Das würde ich aber auch nicht immer hundert Prozent geltend machen. Es gibt Songs, auch auf "Nord s", bei denen ich die Texte als Gedicht jetzt vielleicht nicht so cool finden würde, aber wenn's dann zur Musik passt, finde ich es eigentlich ganz okay. Wobei ich jetzt nicht grundsätzlich sage, dass Texte egal sind.
    Ich habe früher als Kind nie verstanden, was die englischen Rapper sagen, aber trotzdem habe ich Rap mehr gefeiert als zum Beispiel Rock. Das ist einfach stark in mein Denken über Musik übergegangen, dass es gar nicht so wichtig ist, ob ich verstehe, was der Typ sagt, sondern kommt das, was er eigentlich will, auch rüber.[/indent]


    rappers.in: Ist ja ein wichtiges Element in der Musik; den Inhalt des Tracks musikalisch darstellen zu können.


    [indent]Neunfünf: Ja, genau. Früher habe ich auch viel Cr7z gehört und dachte "krasse Texte." Das Problem war dann, dass er zum Beispiel auf seinem Debütalbum die ganze Zeit den gleichen Flow hat. Dann hab ich schon nach dem ersten Hören gemerkt, dass ich mir die Songs einzeln rausnehmen muss, um sie hin und wieder zu hören, wenn ich Bock drauf habe und konnte mir das ganze Ding nicht als Projekt geben. Bei "2014 Forest Hill Drive" von J. Cole, was meiner Meinung nach eins der krassesten Tapes der letzten Jahre ist, ist er vielleicht textlich nicht immer on top, aber das passt dann auch einfach nicht zu der Musik. Deswegen, Vibe eigentlich viel wichtiger als Text.[/indent]


    rappers.in: Als vor Kurzem Fruchtmax & Hugo Nameless bei Circus Halligalli waren, wurden sie gefragt, ob das größte Merkmal von "Cloud-Rappern" ist, dass sie den Begriff und diese Kategorisierung nicht mögen. Wie geht es dir damit, würdest du dich auch ungern unter dem Begriff zusammenfassen lassen?


    [indent]Neunfünf: Ich glaube, ich bin der erste Rapper, der sagt, dass er damit kein Problem hat. Ich kann mich davon auch selbst nicht lösen, weil ich 2012, als ich angefangen habe, Soundcloud zu benutzen, selbst den Begriff "Cloud-Rap" benutzt habe, bevor das so ein Schmähbegriff wurde. In Deutschland haben das auch die Medien ein bisschen dazu verkommen lassen. Wenn man mich jetzt unbedingt einem Subgenre zuordnen müsste, dann wäre das für mich in Ordnung. [/indent]


    rappers.in: Wir nähern uns dem Endspurt: Kannst du uns schon verraten, was in Zukunft ansteht? Vielleicht Live-Auftritte auf Festivals oder dergleichen?


    [indent]Neunfünf: Festivals wissen wir noch nicht, aber wir hoffen, dass da mit mehr Präsenz auch noch was kommt. Man darf auch echt nicht vergessen, dass das unsere Leidenschaft ist und selbst wenn wir davon vielleicht später nicht leben können, immer noch 'ne gute Zeit hatten. Aktuell versuchen wir uns in Stuttgart ein bisschen zu connecten, aber am liebsten wäre man natürlich überall.[/indent]


    rappers.in: Damit wären wir am Ende des Interviews. Möchtest du abschließend ein paar Worte an die Leser richten?


    [indent]Neunfünf: Liebt einander. Oder warte: Diskutiert und liebt einander dennoch.[/indent]



    [youtube]3Es8CbvpdXE[/youtube]


    Neunfünf auf Facebook


    "NORD s" bei Soundcloud
    "NORD s" herunterladen


    Friedrich Stf.

    signatur.

    Einmal editiert, zuletzt von Play70 ()

  • gutes interview :thumbup:
    neunfünf wirkt sehr sympathisch
    mit planemo hat er sich auch einen passenden crewkollegen "ausgesucht", harmonieren super die zwei


    e: witzig, dass ich fast jeden ausm video "kenne", aber nicht neunfünf
    sind alles gute jungs, vor allem der bei ~minute 1 haha.
    ist der anfang in der neuseeland-villa gedreht worden?

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