Classics Revisited: Samy Deluxe – Samy Deluxe (2001)

  • Als ältestes Redaktionsmitglied hat man es nicht leicht. Während die jungen Redakteure ausgelassen über neue Trends sinnieren, sitzt man zuhause, eine verstaubte Stieber Twins-Platte eiert am Grammophon und man will einfach nicht verstehen, was alle mit diesem "Sheesh" meinen. Hipsterrapper, Tweef und Money Boy. Money Boy ... was soll das eigentlich schon wieder sein? Früher haben wir noch gekifft und jetzt trinken die allen Ernstes Hustensaft – den trinke ich zwar auch, aber nur, weil ich früher eben viel gekifft habe. Von den engen Hosen will ich gar nicht erst anfangen. Wie ich die gute alte Zeit vermisse. Rap war noch real und Star Wars noch kein Disney-Franchise. In den Battles nennen sie sich neuerdings "Hurensohn", das hätt's früher auch nicht gegeben, diese Kinder – sowas von respektlos. Nicht weiter drüber nachdenken, lieber ins Bett, ist ja immerhin schon halb neun und der Morgenspaziergang erledigt sich nicht von selbst. Wenn nur diese Nachbarskinder etwas leiser wären. Also Ihr Lieben, kommt ran, Opa erzählt jetzt von einer Zeit, als das Gras noch grün war und Rapper noch Rapper sein durften:



    01. Wickeda MC
    02. Die Meisten
    03. S.O.S.
    04. Eppendorf
    feat. Illo77
    05. Positiv
    06. Is nich' wahr
    07. Der Beste
    08. Beat & Rap
    09. Sensationell
    10. Hab' gehört …
    11. Samy Deluxe 2001
    12. Dreist
    13. So soll's sein
    feat. Afrob
    14. Hausfriedensbruch
    15. Session
    feat. Dendemann, Illo77, Nico Suave
    16. Weck mich auf
    17. Internetional Love
    18. Mach Schluss



    Ich bin der sympathische Typ, nach dem ihr euch tagsüber umdreht/
    Doch nachts tag' ich an eure Wand und piss' auf euer Blumenbeet/

    (Samy Deluxe auf "Hausfriedensbruch")



    Früher war alles besser! Ein beliebter Satz, der immer wieder in den unterschiedlichsten Situationen von älteren Semestern getätigt wird. Oft brechen Diskussionen über den Wahrheitsgehalt dieser Aussage aus, aber wenn sich die Szene darauf einigen kann, dann im Fall Samy Deluxe. Peinliche Zeilen, fragwürdige Kollaborationen und ganze Alben, die eher nach Freestyles als nach durchdachten Texten klangen, brachten die Fans gegen den Hamburger Rapper auf. Spätestens, als man zusehen musste, wie das Idol seiner Jugend als Herr Sorge mit Zylinder, verlaufenem Eyeliner und im dreckigen Mantel uninspirierte Popmelodien unterstützt von ekelhaften Autotunepassagen zum Besten gab, war jeder froh, dass zumindest Tupac und B.I.G. ihren Legendenstatus nicht durch derlei Dummheiten zerstören konnten. All das wäre nicht so schlimm, wenn wir nicht wüssten, welches Potential in Samy Deluxe steckt und eben dieses stellte er auf seinem Solodebüt im Jahr 2001 am besten unter Beweis.


    Ich fahr' nach Kölle zur PopCon, schubs' Label-Chefs vom Tretroller/
    Steh' am Eingang mit 'ner Shotgun und nehm' Passanten Wegzoll ab/
    Fahr' danach auf dem direktesten Weg zur Hanf-Parade/
    Und sag' den scheiß Kiffern, dass ich jetzt was gegen Ganja habe/

    (Samy Deluxe auf "Dreist")


    Im Jahr 2001 wurde der Markt überschwemmt mit Releases, die krampfhaft versuchten, jedes HipHop-Klischee, das sie finden konnten, aufzugreifen, und aus dieser unüberschaubaren und eher semi-unterhaltsamen Masse erhob sich Samy Deluxe, dem das gelang, was sie alle anstrebten. Wenn es jemals ein Allround-Album gab, dann dieses: Auf "Samy Deluxe" mischen sich Songs mit Partytauglichkeit unter gesellschaftskritische Nummern und klassische HipHop-Lieder, ohne irgendeine Anspielstation überflüssig oder deplatziert wirken zu lassen. Das Produzententeam bestehend aus den alten Weggefährten Tropf und DJ Dynamite belieferte, teilweise unterstützt von Sleepwalker, den Protagonisten mit einem Beatgerüst von damals unvergleichlicher Hochwertigkeit. Der beliebte rhythmische aber zugleich energiegeladene Hamburger Sound wurde von den Herren hinter den Beats perfektioniert und um weitere Einflüsse ergänzt, was dazu führte, dass erstmals Pop-Elemente ihren Weg auf eine HipHop-Platte fanden, ohne zu viel vom HipHop-Charakter zu verlieren und peinlichst chartorientiert, kitschig, oder zu sehr nach dem verhassten Mainstream zu klingen. Man kann es sich heute kaum vorstellen, aber vor 15 Jahren kam schon das leiseste Schielen in Richtung konstruierter Charthit einem Kapitalverbrechen gleich und wurde von der Szene mit bodenloser Verachtung bestraft – umso erstaunlicher, wie gelungen Samy Deluxe samt seiner Produzenten diesen Drahtseilakt meisterte und ein Album mit Hitpotential auf den Markt brachte, das gleichzeitig auch die HipHop-Fans zufrieden stellte und die Szene nachhaltig prägen sollte. Die Featureliste zieren mit Afrob, Illo77, Dendemann und Nico Suave nicht nur große Namen, die Leistungen der Gastrapper halten über weite Strecken mit der des Protagonisten mit und sorgen für Abwechslung, ohne mit dem konsequenten Style der LP zu brechen.


    Scheiß auf'n Unfall im PKW, Schäden von THC, wir haben bald alle BSE/
    Und du schaust noch auf dein EKG, bevor dein Herz stoppt/
    Und denkst: 'Auf'n dickes Steak hätt' ich trotzdem jetzt Bock!'/
    Verdammt nochmal! Gehirnwäsche pur, rund um die Uhr/
    Und Vater Staat schlägt und vergewaltigt Mutter Natur/

    (Samy Deluxe auf "Weck mich auf")


    "Samy Deluxe" ist in erster Linie ein Battlerapalbum, weist jedoch trotzdem eine relativ breite Themenpalette auf. Während der Rapper auf "Hab' gehört" auf humorvolle Art und Weise mit Gerüchten über sich aufräumt, übt er sich auf "SOS" in seiner späteren Paradedisziplin: Gesellschaftskritik. Auf "Weck mich auf" stellt Samy klar, was er vom Staat hält und rückt dort vor allem die Probleme einer perspektivlosen Generation in den Vordergrund. Ein Glück, dass wir uns besser entwickelt haben, als der Hamburger damals prophezeite. Mit "Internetional Love" findet sich ein ironischer Liebessong über das damals noch brandneue Internet und beim Anhören eben dieser Nummer lässt sich heutzutage ein peinlich berührtes Schmunzeln natürlich nicht vermeiden, 2001 sorgte der Song aber bei den Hörern durch die Bank für gute Unterhaltung und den ein oder anderen Lacher. Grundsätzlich legte Samy auf beinahe jedem Track die Latte für die Konkurrenz verdammt hoch. Flowwechsel mit enormer Geschwindigkeit und völlig neue Flowvariationen in Kombination mit einer mehr als nur soliden Reimtechnik setzten neue Maßstäbe, an denen viele Rapper dieser Zeit in kommenden Jahren scheiterten. Die meisten Lieder der Platte sind 15 Jahre später natürlich nicht mehr zeitgemäß, aber wer dieses Album zu seiner Zeit erleben durfte, dem tut es heute wohl umso mehr weh, den Verfall des legendären Samy Deluxe mitansehen zu müssen.



    El-Patroni (David)

  • Find die Review gut geschrieben aber ein bisschen oberflächlich und kurz für ein Top3 Deutschrapalbum aller Zeiten. Man hätte ein bisschen mehr auf die einzelnen Tracks eingehen können.

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!