01. Vorwort
02. Haus am Mehr
03. Countdown
04. Klopapier
05. Epochalität feat. Megaloh
06. Tellerrand
07. Himmel (Skit)
08. Mittendrin
09. So Good
10. Bisschen mein Ding
11. Mimimi
12. Letzte Überlieferung (Skit)
13. Was ich fühl
14. Papa weint nicht
15. Von dir Mama
16. Berühmte letzte Worte
Das würdige musikalische Altern ist für die erste Reim-Generationen ein weiterhin schwieriges, weil weitestgehend unerforschtes Terrain. Auch Samy Deluxe, in grauer Vorzeit über jede Kritik erhabener Mitbegründer der Hamburger Rapszene (nach 187 versteht sich), bekam im Zuge seiner jüngsten Veröffentlichungen Kritik seiner Fan-Basis zu spüren. Während man ihm Kernkompetenzen, wie seine unglaublichen Live-Skills, nur schwerlich absprechen kann, löste sein aktuelles Release "Männlich" bestenfalls gespaltene Meinungen aus. Der Gegenwind beschränkte sich hier nicht nur auf ein kleingeistiges "Rapp doch mal wieder so wie früher", sondern setzte tiefer an und bezweifelte verbliebene Inspiration und Innovationskraft des ehemaligen Dynamite-Deluxe-Rappers, dessen Sessel in der Deutschrap-Ruhmeshalle zusehends ungemütlicher wurde. Sehr vielsagend erscheint deshalb der neue Albumtitel "Berühmte letzte Worte", welcher einen Abgesang der tatsächlich etwas grau gewordenen MC-Eminenz verspricht. Da die letzten mit den ersten Worten wohl den längsten Nachhall haben, sind sie mit äußerstem Bedacht zu wählen – gelingt es Samy Deluxe, hier nochmal ein Monument zu schaffen, oder fügt er dem eigenen Denkmal weitere Schrammen zu?
Aber will viel, mir reicht Peters Haus am See nicht/
Ich war nie Businessmann und Verkaufsstratege/
Ich schreibe lieber Lieder, spreche Menschen aus der Seele/
Doch will mehr, als würde ich Surfer sein/
(Samy Deluxe auf "Haus am Mehr")
"Es kommt euch vor, als hättet ihr grad die Biografie gelesen" ("Vorwort"), den Effekt, welchen der Rapper mit dem Langspieler erzielen möchte, wird schon im Intro klar gemacht und der Wickeda MC bleibt dieser Linie treu. Während sich etwa die OTW-Reihe ihre Existenzgrundlage besonders durch Flowpattern und Wortspielerei verdient, ist hier zweifellos der Fokus auf inhaltliche Aspekte gelegt. Hier muss man bisweilen gewisse textliche Passagen mit also nahe liegenden Verweisen und bemühten Vergleichen (siehe Textbeispiel 1) allerdings ausblenden, um sich nicht um den Hörgenuss zu bringen; dass dies gelingen kann, ist in erster Linie der Musikalität der Platte zuzuschreiben. War die im Vorjahr erschiene ASD-Auskopplung "Blockbasta", in dem sich Samy mit Gefährte Afrob auf Synthie-Bangern austoben konnten, auf Bühnenshows ausgelegt, ist die Instrumentierung hier deutlich dezenter gehalten und wirkt eher unterstützend als übertönend. Bazzazian, der sich zunächst als Azzlack-Hausproduzent einen Namen gemacht hat, übernimmt hier die gestalterische Hoheit und ist auf fast jedem Track vertreten, wobei er etwa von Farhot oder Deluxe selbst unterstützt wird. Der Sound ist wie die inhaltliche Ausarbeitung wahnsinnig kohärent, verzichtet dabei jedoch nicht auf Variationen wie den Titeltrack "Berühmte letzte Worte", der durch seinen treibenden Charakter eine der bemerkenswertesten Auskopplungen darstellt. Auch bei den Featuregästen greift Samy auf eine erlesene Auswahl zurück, Megaloh, dem zurzeit fast alles zu gelingen scheint, ist sogar der einzige, der namentlich auf dem Plattencover erscheint. Lediglich das Wort "Mehr" steuert Nena im Refrain der Singleauskopplung "Haus am Mehr" bei und hat dennoch einen großen Anteil an dem wohl besten Albumtitel. Ungemein melodisch und auch inhaltlich ansprechend nimmt sich der ehemalige Dauerkiffer dem eigenen Altern ("Heute bin ich schon nach einem Joint platt") und den Schattenseiten des unstillbaren Erfolgshungers an ("Wie viele Jahre kann ich als Rapper noch relevant sein"). Einen thematisch ähnlich gelagerten und textlich nicht weniger stimmigen Track stellt "Coutdown" dar, der die durchschaubare Konzeption von Radiohits mit Hookbeiträgen wie Andreas Bourani sowie die Abhängigkeit von äußerem Feedback kritisch beäugt.
Der reflektierende Samy, der als unangenehmer Geist gesellschaftliche Themen bearbeitet, ist neben dem persönlichen Archivar des eigenen Nachlasses die zweite Facette, die auf "Berühmte letzte Worte" ausgeprägt ist. An der vorherrschenden Oberflächlichkeit, die Songs wie "Mimimi" oder "Klopapier" zweifellos innewohnt, kranken allerdings die durchaus unterstützungswürdigen Aussagen der Tracks, denen es für beißende Sozialkritik an einem ausgeprägten Gebiss mangelt. Überzeugender agiert der Hamburger jedoch, wenn der Fokus auf die persönlichen Erlebnisse gelenkt wird; herausragend ist in dieser Hinsicht der Track "Papa weint nicht", der die schmerzliche Konstellation mit dem in den USA lebenden Sohn schildert.
In Großstädten auf Hochhäusern/
Auf Koksfeten mit Kronleuchtern/
Trink ich Freibier mit Freimaurern/
Lass mich einfrieren, dann einmauern/
(Samy Deluxe auf "Berühmte letzte Worte")
Im 16bars-Interview wurde der Hamburger mit der logischen Frage konfrontiert, ob "Berühmte letzte Worte" das letzte Werk des MCs sei. "Wird es nicht, sofern nichts Unvorhergesehenes passiert", konnte Samy sinngemäß abwiegeln. Dieser Eventualität, wichtige persönliche Themen musikalisch nicht rekapituliert und damit brennende Themen nicht verarbeitet zu haben, entzog er sich durch diesen chronischen Rundumschlag, der deshalb nicht als Abschiedsgruß des Rappers, sondern vielmehr als Testament bezeichnet werden kann.
"Erwachsen" hat sich in der Deutschrap-Kritik als veritables Schimpfwort durchgesetzt – so steht "erwachsen" im Kontext eher für "bieder", "angepasst" oder "poppig", als für "reflektiert", "ausgereift" und "musikalisch". Den Balanceakt dieser Lesarten meistert "Berühmte letzte Worte" recht mühelos, sodass es der zweiten Attributskette deutlich mehr entspricht. Der riesige Erfahrungsschatz kommt dem Rapper im Vergleich zu jüngeren Kollegen hier sicherlich zu Gute, denn fast vier Jahrzehnte Lebensmaterial sind deutlich abendfüllender als zarte Selbstreflexionsakte von Studenten in ihren Zwanzigern. Musikalisch haben Bazzazian und Konsorten dem Release ein stimmiges, düsteres Gewand angelegt, das ein absolutes Kontrastprogramm zum letztjährigen ASD-Album darstellt. Sowohl Producer als auch der versierte Wortakrobat schaffen so ein stimmiges Gesamtbild, das allerdings nicht über Längen im Mittelteil erhaben ist. Auch textlich finden sich Kritikpunkte: Es wirkt zeitweise, als müsste der Inhalt hinter der Form zurückstecken, was gerade bei politischen Tracks bisweilen zu einer oberflächlichen Betrachtungsweise beiträgt. Deutlich besser gelingt Samy Deluxe das Vermitteln seiner durchlebten Emotionen, diese menschliche Nahbarkeit ging in den vorherigen Veröffentlichungen vielleicht etwas abhanden und dadurch gelingt dem Hamburger wohl sein bestes Album seit einigen Jahren.
Lennart Gerhardt
[redbew]2063[/redbew]
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