01. Gott sieht alles
02. Eisen
03. Eckkneipenhustler
04. Mofa
05. Kleid deiner Mutter feat. Nico
06. Spiegel
07. Gebrochener Knieboogie
08. Flatrate
09. Schwarzer Krauser
10. Komm im Bimma
11. Spiel des Lebens
12. Lass mal bleiben feat. Meggy
13. Haram Cipher feat. John Borno & MC Bomber
Releases des Labels Selfmade hatten es in jüngerer Vergangenheit nicht unbedingt leicht, denn während sich die betriebswirtschaftliche Seite der Medaille goldglänzend präsentierte, setzte man künstlerisch auf eine durchaus konventionelle Ausrichtung, die für gespaltene Kritiken sorgte. Als extrem heterogene Ansammlung von Einzelkünstlern präsentierte sich das einstmals stimmige Gefüge auf dem Sampler "Chronik III", der aus musikalischer Sicht wohl einen Tiefpunkt der Veröffentlichungs-Historie bildet. Alles andere als gut integriert wirkte hier auch Karate Andi, wie auch, wenn sein Image dem eines Nichtangepassten entspricht. Als aufstrebender RAM-Interpret, quasi direkt von der Battlebühne gezogen, lieferte der Berliner mit "Pilsator Platin" einen ersten Langspieler, der seine Qualitäten unterstrich, allerdings reichlich unausgegoren daherkam. Um am verbesserungswürdigen Sound des Vorgängers zu feilen, setzte man sich für "Turbo" mit Bazzazian und Farhot in Verbindung, die als Duo sämtliche Instrumentals des zweiten Streichs verantworten. Den hohen Erwartungen an die Haftbefehl-Produzenten konnten die starken Auskopplungen mehr als entsprechen und so stellt sich mir als drängendste Frage, ob es gelingt, das aufgezeigte Potenzial über die gesamte Spieldauer zu konservieren.
Das gedimmte Licht ist im Interesse des Freiers/
Gib mir zwei hässliche Weiber, ich mach' direkt einen Dreier/
Sie versaut mir die Stimmung mit ihren scheiß Tränen beim Ficken/
Was kann ich denn dafür, dass ihr scheiß Leben ein Witz ist?/
(Karate Andi auf "Flatrate")
Den Themenkosmos, welchen der Buletten-Bukowski umreißt, lässt sich in der Essenz auf Drogenmissbrauch sowie sexuelle und persönliche Verwahrlosung beschränken. Der Berliner zeichnet dabei mehr Rauschbilder als Neo, rekapituliert den Konsum diverser Pharmazeutika und zeigt sich ähnlich empathielos wie die Protagonisten in einem Roman von Bret Easton Ellis. Mit dieser Attitüde generiert der Unterschichtrapper eine Battlerap-Persona, die ihre Widersacher und deren weibliche Verwandtschaft auf asoziale und geschmackloseste Art und Weise diskreditiert. Würden solche Attribute in einem anderen Kontext einem Verriss entsprechen, speist der Rapper genau aus diesen Grenzübertritten seinen Unterhaltungswert und liefert ein Zitatfeuerwerk sondergleichen. Den absoluten Niveautiefpunkt (positiv!) erreicht er hier zweifellos mit "Flatrate", einer zweifelhaften, wie abstoßenden Hymne auf das Gewerbe der käuflichen Liebe (wobei "Liebe" hier die unpassendste Bezeichnung ist). An diesem Track lässt sich zudem die Schonungslosigkeit gegenüber der eigenen Person skizzieren, welche den Charme des Hauptstädters ausmacht; denn statt ein Milieu vom hohen Ross abzuurteilen, inszeniert er sich als Zentrum des Molochs – als Deutschraps Frank Gallagher.
Auf dem Vorgänger "Pilsator Platin" schlug sich die textliche Ungehobeltheit auch in der musikalischen Ausarbeitung nieder; unterhaltsam-trashige Hooks von Pipe-Bruder Gustav sowie Synthie-Beats von 7inch, die eine gewisse Rummelplatzatmosphäre verbreiteten, taten ihr Übriges. Ein dementsprechend großer Schritt und zweifellos ein gewaltiges Upgrade stellt deshalb die Zusammenarbeit mit dem neuen Produzenten-Duo dar, deren ausgereifte Beats für ein neues Level sorgen. Während eine solche Entwicklung bisweilen den unschönen Nebeneffekt mit sich bringt, dass die eigenen Wurzeln unterschlagen werden, gelingt es hier der bisherigen Identität des Künstlers zu entsprechen, ohne dass Bazzazian und Farhot es verpassen, ihre eigene Gravur einzuritzen. Viele Tempowechsel, die der Berliner geübt meistert, sorgen im Opener-Duo ebenso wie zahlreiche Scratches und die Abkehr von dem standardmäßigen 16-Bars-Hook-Schema für eine angenehme Dynamik."Wow, du hast Realtalk und Songkonzept", bemerkt der Neuköllner sarkastisch und stellt damit eine indirekte Selbstdiagnose: Denn während Andi auf grandiosen Titeln wie "Gebrochener Knieboogie" oder "Schwarzer Krauser" wahllos um sich schießt, die Parts scheinbar apathisch ins Mic rotzt und damit einen fast beispiellosen Unterhaltungswert erreicht, fallen die Motto-Tracks doch etwas ab. Hier ist neben dem Automatensucht-Symposium besonders die eigentlich heißerwartete Zusammenarbeit mit Nico (K.I.Z.) herauszustellen, deren "Kleid deiner Mutter" zu einem "Böhses Mädchen"-Revival mutiert und zu einer etwas unergiebigen Nummernrevue des bekannten Stoffes gerät. Über die angemessene Spieldauer von 42 Minuten zeichnet sich die Platte jedoch durch eine enorme Kurzweiligkeit aus, die durch Stilexperimente, wie das trappig angehauchte "Komm im Bimma", forciert wird.
Karate Andi der King aus dem Szenekiez/
Zwischen Ketaminrausch und linker Systemkritik/
Ich führe ein Leben zwischen Fastfood und Szenedrogen/
Und laufe sonntags durch den Darkroom in Lederhosen/
(Karate Andi auf "Eckkneipenhustler")
Fazit:
Auch wenn der aufgequollene Beziehungsphobiker optisch zurzeit an eine Wasserleiche erinnert, war sein Sound nie satter und atmosphärischer. Bazzazian und Farhot beweisen, dass die Produktion einen Künstler nochmal auf ein komplett anderes Tableau heben kann und verpassen Andi ein Klangkorsett, stimmiger als Adidas-Trainingsjacke und Schnauzbart. Auch textlich lässt sich eine klare Steigerung beobachten, die geballte Geschmacklosigkeit, welche der Eckkneipenhustler hier kultiviert, birgt nicht nur einen enormen Unterhaltungswert, sondern wirkt auch auf schockierende Weise authentisch. Das Kiezkneipenrodeo, das den drogengeschädigten Protagonisten in Hinterhöfe hinabwarf, vermengt sich in der Andi'schen Prosa mit White-Trash-Schilderung aus dem Hillbilly-Hinterland. Mit einem Filter ohne Graustufen wird hier die bloße Hässlichkeit zur Schau gestellt und der Rapper entpuppt sich gewissermaßen als eine Art Casper "aus dem bösen Zeitstrang". Dass "Turbo" sich allerdings nicht nur als reine Orgie der Niveaulosigkeit abtun lässt, ist auf die Qualitäten Karate Andis zurückzuführen, der neben exquisiter Reimkunst diverse Kulturverweise bietet und etliche zitierwürdige Passagen abliefert. Zwar zündet nicht jeder Titel, doch in der Endabrechnung gelingt dem Berliner exakt das Album, welches sich seine Hörerschaft erhofft haben dürfte, das nicht nur für kurzfristige Lacher sorgt, sondern durch eine abwechslungsreiche Instrumentierung eine lange Halbwertzeit verspricht.
Du bringst es im Leben nur zum Nike-Schuhverkäufer/
Ich gestehe meine Sünden und der Beichtstuhl fängt Feuer/
(Karate Andi auf "Schwarzer Krauser")
Lennart Gerhardt
[redbew]2060[/redbew]
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