Prinz Pi – Im Westen nix Neues


  • 01. Rebell ohne Grund (Kompass Reprise)
    02. 21:04 / Schwarzer Lack
    03. Weiße Tapete / Minimum
    04. 1,40 m
    feat. Philipp Dittberner
    05. Werte
    06. Kartenhaus
    07. Im Jetzt ist das Chaos (Funkeln)
    08. Familienalbum Seite 19
    09. Die Füllung vom Kissen
    10. Ballade für Jojo
    11. Schwermetall
    12. Wasser zu Wein
    13. Schornsteine
    14. Im Westen nix Neues / Tochter
    15. Strahlen von Gold / Sohn
    16. Lösung / Gepäck


    Vor genau einer Dekade brachte Prinz Pi mit "!donnerwetteR!" sein kommerziell bisher erfolgreichstes Album in die Läden, das von Fans der ersten Stunde ebenso wie von Kritikern gefeiert wurde und sich zu einem veritablen Genre-Klassiker aufschwang. Pi orientierte sich anschließend dogmatisch am Sound der Platte, schöpfte und erschöpfte sich in Selbstzitaten und präsentiert seiner erlesenen Hörerschaft, passend zum zehnjährigen Geburtstag, die inzwischen vierte Neuauflage der Erfolgsscheibe, die folgerichtig "Donnerwetter V" getauft wurde. Wäre das eine bessere Realität? In der unsrigen durchlief der Rapper, der sich einst Porno nannte, eine stetige künstlerische Entwicklung, durch welche der Berliner ein deutlich breiteres und auch jüngeres Publikum ansprach und sich zudem in Richtung Pop orientierte. Sein neues Nummer-Eins-Album "Im Westen nix Neues" (wohlgemerkt das dritte in Folge) steht nun in den Regalen und der Rezensent fragt sich, ob man einen Künstler, der inzwischen ebenso für volle Festivalshows wie für feuchte Höschen seiner noch halbwüchsigen HörerInnen sorgt, überhaupt objektiv kritisieren kann oder man sich viel mehr als nachtragender Ex-Partner zeigt, welcher mit einer Weiterentwicklung nicht Schritt halten konnte. Diesen Parforceritt werde ich im Folgenden angehen und erörtern, ob die neue Platte den recht dürftigen Vorgänger "Kompass ohne Norden" übertrifft und ich im Idealfall wieder Frieden mit einem meiner einstigen Lieblingsrapper schließen kann.


    "Meine Freunde raten: Alter, mach' aus deinen Strophen die Hooks!/
    Mit bisschen Zucker wird die Pille von den Doofen geschluckt/
    Meine Freunde raten: sag's nicht so hochkompliziert/
    Doch ich verbieg' mich nicht einen Millimeter ab hier/
    "
    (Prinz Pi auf "Werte")


    Was bleibt denn beim Alten?


    Neben Prinz Pis unübersehbarer Schwäche, das eigene Antlitz auf dem Plattencover zu präsentieren, schaut er hier dem Titel entsprechend skeptisch in die Linse und greift auch bei der Alben-Benennung auf eine bekannte Formel zurück. Ein Bezug zu einer literarischen Vorlage, diesmal unzweifelhaft dem Klassiker von Erich-Maria Remarque, weckt eine gewisse Erwartungshaltung, wie zuvor etwa bei dem James Dean inspirierten "Rebell ohne Grund" geschehen. Inhaltlich knüpft besonders der Track "Schornsteine" an die Kriegstragödie an; hier widmet sich der Interpret mit "Waffen" einem der größten deutschen Exportschlager. Zweifellos ein brennendes Thema, das hier durch Pi in für ihn charakteristischer Weise aufgegriffen wird: Von einem Einzelschicksal, hier ist es wohl ein führender Mitarbeiter einer Munitionsfabrik, wird in den späteren Parts auf die Maschinerie dahinter eingegangen und der Bogen zum Weltgeschehen gezogen. Textlich eine klare Position beziehend und deshalb überzeugend, gerät der Vortrag durch die Instrumentierung deutlich zu gehetzt und sorgt damit für ein gespaltenes Urteil. "Alle zwei Jahre werden neue Lieder gedroppt/ Und bei deinem Tätowierer explodieren die Jobs" ("Weiße Tapete / Minimum"). Dass seine Zeilen sich als Hautverzierung wieder finden, schmeichelt offensichtlich der Künstlerseele; ständig spürbar ist der Wille, eine besonders griffige Zeilen zu formulieren, ein Balanceakt, bei welchem der Rapper als zittriger Seiltänzer des Öfteren ins Facebook-Weisheiten-Fangnetz fällt und mit Aussagen wie "Die besten Sachen im Leben sind keine Sachen" ("Werte") oder "Du bist Gift, doch gegen dich weiß ich kein Mittel" ("1,40") ins Phrasenhafte abrutscht. Altbewährt beim einstmals notorischen Ich-Erzähler, der zur besseren Kollektivierung inzwischen auch gerne zur 2. Person Singular sowie 1. Person Plural greift, sind stets Romanzen, im besten Fall mit dramatischem Ausgang. Neben "Ballade für Jojo" und dem passablen "Die Füllung vom Kissen" (starker Titel) wirkt die Schmonzette "1,40" mit Behilfs-Bendzko Phillip Dittberner wie die Vertonung eines Einrichtungshauskataloges mit identischer inhaltlicher Tiefe.


    "Die meisten, die du triffst, werden lügen, mein Schatz/
    Menschen könn’ das nicht von selbst, darum üben wir das/
    Aber wenn wir einfach ehrlich sind, dann fühlen wir uns nackt/
    Ohne elegantes Make-Up aus Lügen ertappt/
    "
    (Prinz Pi auf "Die Füllung vom Kissen")


    Gibt es denn doch Neues?


    Schon beim Studieren der CD-Rückseite fällt auf, dass es dem Prinz scheinbar nicht genügt, lediglich einen Titel für seine Anspielstationen zu wählen, sondern dass er gerne auf Doppelnamen zurückgreift. Dieses aufgedrängte Aufzeigen von verschiedenen Lesarten wirkt reichlich albern bemüht und einem Track ein "Reprise" nachzustellen, erscheint einfach nur affektiert. Etwas unerwartet und deshalb umso erfreulicher ist wiederum das Comeback der Zusammenarbeit mit dem ehemaligen Stammproduzenten Biztram, der hinter den Reglern als Solist verantwortlich ist, was zuletzt bei "Neopunk" der Fall war. Die Experimentierfreudigkeit des Beatbastlers war bei früheren Zusammenarbeiten eine der größten Stärken der Kooperation, hier wirkt es phasenweise, als wäre er von Pi an einer etwas kürzeren Leine gehalten worden. Dem Großteil der Produktionen ist eine Orientierung an dem Vorgänger-Werk anzumerken, ohne allerdings den zündenden Gedanken, die eingängigste Melodie gefunden zu haben. Herausragende Instrumentals der Platte sind hingegen das epische "Im Westen nix Neues/Tochter", das ich mir auch durchaus als Intro hätte vorstellen können, sowie "Werte", das durch ein rockiges Gitarrenriff überzeugt. Eine zeitweise Renaissance erlebt zudem mit "Weiße Tapete / Minimum" der Representer, einstmals das Steckenpferd des Prinzen, dem jedoch auf "Kompass ohne Norden" kaum Beachtung zukam. Diese größere Variation der verschiedenen Track-Spielarten kommt der Laufzeit der Platte auf jeden Fall zu Gute, sodass ich die ausgeprägte Vielseitigkeit als zentrale Neuerung auffassen würde.


    Fazit:
    Mit "Im Westen nix Neues" bleibt Prinz Pi dem Weg, den er mit "Rebell ohne Grund" eingeschlagen hat, weitestgehend treu, orientiert sich allerdings auch hier und da an früheren Werken. Positiv bemerken muss man im Vergleich zum Vorgänger, dessen Kosmos sich doch sehr der Jugendzeit verschrieben hatte, eine größere thematische Vielfalt, die auch abwechslungsreich instrumentiert wird. Trotz der Bandbreite fehlen einigen Produktion jedoch die Kanten, sodass auch nach zahlreichen Durchläufen einige Tracks komplett unter dem Radar fliegen und dementsprechend auch keine größere Erwähnung in der Rezeption finden. Nach wie vor stellt die Altersdifferenz zwischen dem Berliner und seiner anvisierten Hörerschaft für mich eine der offensichtlichsten Schwächen seines künstlerischen Schaffens dar. War frühe Authentizität die erste Maxime des Wirkens ist heute der Unterschied zwischen lyrischem Sprecher und der Person Friedrich Kautz deutlich greifbar. Textlich überzeugen demnach etwas distanzierte Titel, in welchen der Berliner die Rolle eines Berichterstatters einnimmt, um zeit-aktuelle Themen zu analysieren. So bleibt am Ende ein gespaltenes Bild für ein Release, aus dem sich Anhänger aus fast zwei Jahrzehnten Musik ihre jeweiligen Rosinen picken können.



    Lennart Gerhardt


    [redbew]2021[/redbew]


    Bewerte diese CD:
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  • Man könnte sich die besten Songs raussuchen und dann hätte man eine richtig krasse EP, finde ich. Schade eigentlich.

  • Kann leider mit Prinz Pi nichts mehr anfangen. Früher waren da noch einige lässige Lines dabei, mittlerweile kommt mit das pseudodeep vor. Eben so deep, dass sich jedes Mädchen zwischen 14 und 18 verstanden fühlt, während ihr Hormone die Sinne vernebeln und sie zwischen Liebeskummer und Selbstfindung hin und her wankt. Dennoch oberflächlich genug, dass eben dieses Publikum, welches nicht tief in der Materie drin steckt, von den Lines nicht überfordert wird. Am Ende kommt dann meistens etwas Nichtssagendes raus. Dabei könnte er glaub ich wesentlich mehr, ab und zu kommts ja schon durch - Aber "anvisierte Hörerschaft" eben.


    Die Review find ich gut geschrieben, erster Abschnitt trifft.

  • Man könnte sich die besten Songs raussuchen und dann hätte man eine richtig krasse EP, finde ich.


    Genau das war auch mein Eindruck. Nach dem Durchhören/Skippen via Spotify ist es eine 5 Track lange Playlist geworden, mit durchgehend Brettern. Kann ich gut mit leben. Allerdings sind die Tracks ja schon durchwegs gut. Aber halt sehr geschmackspolarisierend. Zumindest bei mir :)

  • Textlich ist das halt echt Im Westen nichts Neues.
    Trotzdem sind alle Tracks mehr als hörbar, die Instrumentals sind allesamt geil, es gibt zwar keine, die Anwärter für das Instrumental des Jahres werden könnten, aber jeder Beat transportiert eine außerordentlich passende Atmosphäre und wäre auch ohne Rap definitiv hörbar.
    Pi klingt halt auch gut, ich feier seine Betonung und Wortwahl, aber ich muss euch zustimmen, dass ein paar der Songs zu pseudo-deep bzw. auch einfach zu oberflächlich sind.
    Würd 7.5 Punkte geben und das Album auch beim Staubsaugen, Zimmer aufräumen, etc. hören, was natürlich schade für ein Pi-Album ist, aber nochmals für die eingängigen Flows, die schönen Beats und die gelungene Atmosphäre spricht.

    Denn ihre Sicht ist zu verdreht, sie haten was sie nicht versteh'n.

  • Dieser Moment, wenn du überall die 28kg Hanteln für deine Bizeps Curls suchst, aber irgendwer sie verschlampt hat. Dann guckst du nach oben und plötzlich ist da eine gute Review zu Prinz Pis neuem Album. Verrückt.

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