01. Ultralight Beam feat. The-Dream, Kelly Price, Kirk Franklin & Chance the Rapper
02. Father Stretch My Hands Pt. 1 feat. Kid Cudi
03. Pt. 2 feat. Desiigner
04. Famous feat. Rihanna
05. Feedback
06. Low Lights
07. Highlights feat. Young Thug
08. Freestyle 4 feat. Desiigner
09. I Love Kanye
10. Waves feat. Chris Brown & Kid Cudi
11. FML feat. The Weeknd
12. Real Friends feat. Ty Dolla $ign
13. Wolves feat. Caroline Shaw & Frank Ocean
14. Silver Surfer Intermission feat. Max B & French Montana
15. 30 Hours feat. Andre 3000
16. No More Parties in L.A. feat. Kendrick Lamar
17. Facts (Charlie Heat Version)
18. Fade feat. Post Malone & Ty Dolla $ign
Da ist es also. Es wird Zeit, einmal die obligatorischen einleitenden Witze und vorgefertigten Urteile über Kanye Wests polarisierende Persönlichkeit, seinen unternehmerischen Ehrgeiz und seine vor Popularität nur so strotzende Familie beiseite zu lassen oder es zumindest kurz abzuhandeln, wie hier geschehen. Eines ist er nämlich fernab der Skandale und Kontroversen: einer der größten Rapper und Produzenten unserer Zeit. Berufsgenossen, die man aktuell neben ihm einordnen könnte, dürften locker an einer Hand abzuzählen sein. Ein Drake zum Beispiel, der sich in diesen Sphären durchaus bewegt, bezeichnete ihn einst als eines seiner Idole und dies lässt sich sogar musikalisch begründen; so hat Kanye bereits 2008 mit "808s & Heartbreak" das Fundament gelegt, auf dem einerseits er selbst seinen experimentellen Stil weiterentwickeln sollte, in dem jedoch größtenteils zugleich der erfolgreiche Trap der letzten Jahre wurzelt. Nun ist "The Life of Pablo" erschienen – sozusagen "Help me God", "Swish" und "Waves" a.D. – und als siebtes Soloalbum des Ausnahmekünstlers nach fast drei Jahren Wartezeit die lang erwartete Fortführung seines musikalischen Schaffens. Genau dieses Schaffen ist es nämlich, womit der Chicagoer den Grundstein gelegt hat für all das, was danach gekommen ist und noch kommen wird. Doch ist dies überhaupt adäquat möglich? Kann die Musik von einem 21-fachen Grammy-Preisträger im Jahre 2016 noch differenziert vom medialen Aufsehen bewertet werden? Oder provoziert, gar fordert es ein Album wie "The Life of Pablo" regelrecht heraus, in den Kontext des Gesamtphänomens Kanye West, nicht nur seines künstlerischen Werks, eingeordnet zu werden?
"What if Kanye made a song about Kanye/
Called "I miss the old Kanye", man that would be so Kanye/
That's all it was Kanye, we still love Kanye/
And I love you like Kanye loves Kanye/"
(Kanye West auf "I love Kanye")
An dieser Stelle stand vor einigen Tagen noch eine Kurzbiografie seiner Karriere. Absatz für Absatz wollte ich den künstlerischen Werdegang Kanye Wests an verschiedenen Alben, Songs und Ereignissen festmachen, um dann sein neuestes Werk in Relation zu diesen zu setzen. Dazu noch ein paar passende Zitate, am besten aus Interviews und Tweets, um diese interessante Künstlerpersönlichkeit darzustellen. Doch warum? Dieses Album verdient mehr als das. Es verdient mehr, als den x-ten Zwei-Absatz-Artikel von Welt, ZEIT oder Süddeutsche. Mehr als eine Plattenkritik, für die sich ein Autor die strittigsten Zeilen heraussucht, um 400 Wörter darüber zu schreiben, warum Taylor Swift sich vielleicht verletzt fühlen könnte, ohne dass sie sich selbst überhaupt direkt dazu geäußert hätte. Für Kanye-West-Aussagen braucht man den Kanye-West-Kontext. Wer die Inszenierung und die Art nicht versteht, versteht ebenso wenig die Musik, geschweige denn die Texte. So war es schon immer mit Kanye, so war es schon immer mit HipHop. Und genauso ist es auch mit "The Life of Pablo". Es ist kein einfaches Album geworden, Hits lassen sich, bis auf die eingängigen Hooks von Rihanna auf "Famous" und The Weeknd auf "FML", nicht identifizieren. Zu vielschichtig das Klangbild, zu aggressiv die Zeilen. Von einer Lobpreisung des Herren mit einem überschwänglichen Gospel-Chor auf "Ultralight Beam" zum Bleaching von Arschlöchern auf „Father Stretch My Hands Pt. 1" – Kanye West ist wütend, belustigt, locker, aggressiv, traurig, verletzt. All das auf einem einzigen Langspieler. Entweder er singt oder, und das wohl zur großen Freude seiner langjährigen Fans, rappt einige der besten Parts, die er seit langem gebracht hat. Es schien schon fast vergessen, was Kanye neben dem Produzieren auch noch für ein Raptalent vorzuweisen hat. Doch wer dies aus seiner Erinnerung gestrichen hat, möge ihn mit Kendrick Lamar auf dem sechsminütigen "No More Parties in L.A." hören. Quod erat demonstrandum. Dass der symbolische Handschlag zweier der bedeutendsten Rapper zurzeit wohl nicht weniger als musikhistorische Bedeutung hat, sei hier nur am Rande erwähnt.
"I know some fans who thought I wouldn't rap like this again/
But the writer's block is over, MCs cancel your plans/"
(Kanye West auf "No More Parties in L.A.")
Beeindruckend ist die Zahl der Features, die sich wohl kaum in eine Tracklist packen, erst Recht nicht ausdifferenzieren lässt. Zu komplex scheint hier der künstlerische Prozess. Doch entgegen der eindeutigen Ordnung, wie sie auf "My Beautiful Dark Twisted Fantasy" noch zugegen war, wirken sie hier trotz ihrer Zahl stärker untergeordnet als je zuvor. Alles dient dem Song in seiner Gesamtheit. Dies hat ebenso zur Folge, dass niemand den Protagonisten verdrängt oder gar übertrifft, jeder findet seinen Platz neben ihm, wie der Dirigent es antizipiert hat. Niemand wirkt unpassend, niemand versagt in seiner Leistung. Es scheint fast so, als würde Kanye die Stärken seiner Kollaborateure genauestens kennen und derart zielgerichtet einsetzen, dass es fast unmöglich wird, negativ aus diesem Gesamtwerk hervorzustechen. Ein hervorragendes Beispiel hierfür bietet "Pt. 2". Kanye hat laut eigener Aussage beim Schreiben seiner Strophe in Liebe an seinen Vater geweint, teilt sich jedoch trotz der Intimität dieses Titels den Beitrag mit dem G.O.O.D. Music Neuling Desiigner – eben, weil es passt. Und nur deswegen. Genauso wie der 19-Jährige Post Malone auf "Fade", der mit einem kurzen Intermezzo Eindruck hinterlässt:
"You don't even know, I've been so far gone/
I've been so led on, I've been runnin' round/
I've been on my shit, whole world on my dick/
I just need to know (I can feel it)/”
(Post Malone und Ty Dolla $ign auf "Fade")
Eine Neuerung lässt sich in der Gesamtbetrachtung erkennen, die dieses Album so besonders und besser als das meiste macht, was der Rap und Pop dieser Zeit zu bieten hat. Es ist die Perfektion in Lockerheit. Kanye-West-Alben waren bisher entweder perfekt oder locker, sie waren jedes für sich entweder abgerundet und sauber oder hingerotzt und cool. "The Life of Pablo" schlägt endlich eine Brücke zwischen diesen beiden so essentiellen Eigenschaften, die es sowohl vollendet als auch wie aus einem Guss wirken lässt. Es ist die Mischung aus Picasso und Escobar. Das gibt eben einer "Silver Surfer Intermission" oder dem zweiminütigen "Low Lights" seine Berechtigung. Es ist keine Platte, die Hit an Hit aufstaut und nicht als abgeschlossenes Werk bezeichnet werden könnte. Dieser Spagat ist vielleicht das größte Plus. Es ist ein Balanceakt, der diesen knallenden, atmosphärischen und höchst innovativen Beats einen Rahmen gibt und der die härter gewordenen Texte und melancholischen Gesänge erst zu einem großen Ganzen werden lässt. Er rechtfertigt einen 44-sekündigen Acapella-Rap zwischen dem monströsen "Freestyle 4" und dem enthusiastischen mit Gospel-Sound unterlegten "Waves". Kanye holt uns immer wieder ab, es werden keine 18 Tracks einfach heruntergespielt, um dann als Hörer vier oder fünf Rosinen herauszupicken und sie in die Playlist einzuordnen, obwohl der Langspieler auch dafür genügend Songs böte.
"See through the veil and forget all your cares/
Throw them, throw them away/
Oh, life's a feeling/
Oh, the body's a feeling/"
(Kanye West auf "FML")
Ist es also möglich, wie in der Eingangsfrage thematisiert, Kanye Wests künstlerisches Schaffen von seiner Darstellung als Persönlichkeit zu trennen? Definitiv nicht. Zwar bietet "The Life of Pablo" selbst einen Katalog an Anknüpfungspunkten und Themen, die noch nicht mit 30 Seiten Rezension abschließend erfasst wären, es ist also mehr als genügend da, um es einzeln zu betrachten. Jedoch sind nicht nur die Texte, sondern auch die gesamte Musik ein Gefüge aus der Person Kanye Omari West und dem Künstler Kanye West. Dem Mann von Kim Kardashian und Vater von North und Saint. Dem Designer und Selbstinszenator. "The Life of Pablo" ist ein Spiegel dieser so vielseitigen Kanye-Welt, der fast nebenbei die Musikwelt wieder einmal nachhaltig beeinflusst und Maßstäbe gesetzt hat. Es ist vollendet und es ist cool, ohne dass es überhaupt den Anschein erweckt, als wolle es das sein. Eben nicht nur "perfekt". Genau das wird Kanye gemeint haben, als er einmal sagte: "Ich möchte kein perfektes Album mehr machen, das habe ich mit 'Dark Fantasy' bereits – wozu also nochmal?" Die imperfekte Perfektion, sie ist ihm drei Jahre nach dem zu kurzen und experimentellen "Yeezus" und sechs Jahre nach dem zu perfekten und geordneten "My Beautiful Dark Twisted Fantasy" endlich gelungen. "The Life of Pablo" ist ein Höhepunkt seines gesamtkünstlerischen Schaffens und dabei wohl eines der besten, wenn nicht das beste Album seiner Karriere.
"This is a God dream/
This is everything/"
(Kanye West auf "Ultralight Beams")
(Max)
[redbew]2013[/redbew]
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